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under siege (umzingelt)
Ansicht von Sarajevo vom jüdischen Friedhof aus
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Seite 19
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Wenn ich zum heutigen Zeitpunkt über die Kriegszeit nachdenke, scheint es mir, als wäre ich damals jemand an- ders gewesen. Nur die Erinnerungen und Träume bringen mich immer wie- der zurück in diese Zeit des Wahn- sinns. Ob es irgendwann mal aufhö- ren wird, weiß ich nicht. Ich hoffe nur, daß die heutigen Jungen als Erwach- sene was im Kopf haben
werden.
• Goran
gen hatten, war Luft zu atmen. Die Zeit vergeht im Krieg sehr langsam, obwohl Sachen passieren, die für zwei, drei Leben genug sind. Und wenn man denkt, es geht nicht mehr, es ist nicht mehr auszuhalten, erst dann merkt man, daß es noch tiefer und tiefer geht. Eine unterste Stufe von Menschenleid und Schmerz gibt es nicht. Die Generation, zu welcher ich gehöre, war in einen Krieg ver- wickelt, ohne daß sie die Möglich- keit hatte, drüber nachzudenken. Wir waren vom Tod umarmt und geküsst, wir verloren die Kindheit blitzschnell und unrückgängig. Diese Zeit ist nicht mehr nachzuholen. Wir sind jetzt 25 Jahre alt, aber wir fühlen uns wie 70jährige; wir sind stärker geworden, aber trotzdem verängstigt.
Fünf Jahre Krieg in einer umzingel- ten Stadt zu überleben, ohne Strom, Wasser, Lebensmittel und Heizöl oder Erdgas, in einer Stadt, die noch dazu ständig mit Granaten beschos- sen wird, und wo die Scharfschü.tzen eine tägliche Gefahr sind, ist nur Glück und Zufalissache. Das einzi- ge, was wir in ausreichenden Men- Dieser Text ist keine Erklärung der Kriegsgründe oder Beschuldigung von irgend jemand. Das ist die Ge- schichte über eine vom Krieg zerstörte Generation, obwohl sie seinen Gra- naten und Minen ausgewichen ist.
TU INFO Juni 1999
Nur das Stiegenhaus blieb vom Gebäude der Tageszeitung .Oslobodjenje" stehen Bosnien war schon immer ein
Schnittpunkt von verschiedensten Religionen und Kulturen. Sarajevo ist der geographische Mittelpunkt des Balkans und die einzige Stadt der Welt, wo eine katholische Kathedra- le, eine orthodoxe Kirche, eine mos- lemische Moschee und eine jüdische Synagoge im Raum von 300 m2zu finden sind.
Im ersten Moment konnte ich mein Glück nicht fassen. Man muß heute nicht in die Schule gehen. Der Traum eines jeden Schulkinds wurde wahr.
Als ich noch im Bett lag und versuch- te weiterzuschlafen, hörte ich EinzeI- schüsse. Erst dann wurde mir klar, daß ich später mal mein anfängliches Glück bereuen würde. Die Tage gin- gen vorbei, die Situation verschlim- merte sich ständig, und ich glaubte noch, daß die Erwachsenen genug im Kopf haben. Ich glaubte, daß der Krieg schnell beendet wird. Aber Krieg ist wie ein Dinosaurier, er ist seit immer da, er kommt schwer in Bewegung, aber einmal angefangen, ist er nicht zu stoppen.