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Archiv "Ärztliche Betreuung im Vorfeld suizidalen Verhaltens" (07.12.1989)

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Hans-Jürgen Möller

Angesichts der großen Zahl von Suiziden und Suizidversu- chen in der Bundesrepublik ist das Problem der Suizidpro- phylaxe von großer Bedeutung. Der Arzt hat im Vorfeld suizi- dalen Verhaltens eine wichtige Versorgungsaufgabe wahrzu- nehmen, zu der er aufgrund seines besonderen Vertrauens- verhältnisses zum Patienten besonders geeignet erscheint.

Ärztliche Betreuung im Vorfeld

suizidalen Verhaltens

I

n der Bundesrepublik liegt die Suizidrate (Zahl der Suizi- de pro Jahr pro 100 000 Ein- wohner) größenordnungs- mäßig bei 21. Vereinfacht ausgedrückt kann man sagen, daß sich etwa alle 40 Minuten in der Bundesrepublik Deutschland ein Mensch das Leben nimmt Um ein Vielfaches höher als die Zahl der Suizide ist die Zahl der Suizidversu- che. Diese Zahlen weisen nach- drücklich auf die Notwendigkeit ei- ner intensiven Prävention suizidalen Verhaltens hin.

Die Suizidprophylaxe teilt man sinnvoll in drei Ebenen ein:

a) Primärprophylaxe: Alle Maßnahmen, die dazu führen, als ur- sächlich für suizidales Verhalten er- kannte Faktoren zu reduzieren in ei- nem Stadium, in dem eine konkrete Suizidgefahr noch nicht besteht.

Hierzu gehört unter anderem die Be- einflussung gesamtgesellschaftlicher Charakteristika, wie etwa die Ver- einsamung des Menschen in den hochindustrialisierten Ländern oder die adäquate Betreuung von Men- schen mit psychischen Störungen/

psychischen Erkrankungen.

b) Sekundärprophylaxe: Alle Formen professioneller und nicht- professioneller Hilfe im Rahmen von suizidalen Krisen, die darauf abzie- len, daß der in eine suizidale Krise geratene Mensch nicht einen Suizid oder Suizidversuch durchführt.

c) Tertiärprophylaxe: Alle Maßnahmen, die der Nachbetreuung

von Patienten nach einem Suizidver- such dienen und die darauf abzielen, weitere suizidale Krisen oder Hand- lungen zu verhindern.

Dieser Beitrag konzentriert sich auf Möglichkeiten und Probleme der Betreuung im Rahmen der Sekundär- prophylaxe. Um die prinzipiellen Mög- lichkeiten der Suizidprophylaxe zu verstehen, ist es hilfreich, sich vor Au- gen zu führen, daß ein Suizidversuch im weitesten Sinne des Wortes—in der wissenschaftlichen Terminologie heu-

te meistens als Parasuizid bezeichnet (3) — aus verschiedenen Intentionen begangenwerden kann, die meistens in unterschiedlichem Ausmaß miteinan- der vermischt sind (Abbildung 1).

Terminologie

Je mehr die autoaggressive Komponente im Vordergrund steht, je mehr also der Wunsch nach Selbsttötung das Handeln prägt, de- sto mehr nähert sich das Verhaltens- muster, sofern es nicht zum Tode führt, einem mißglückten Suizid. In der Terminologie von Feuerlein (1) spricht man von einer suizidalen Handlung. Wird das Verhalten, wie so häufig, stärker geprägt von appel- lativen Intentionen in dem Sinne, daß durch den Suizidversuch ein dringender Wunsch nach Hilfe und Psychiatrische Klinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. med. H.J. Möller) der Universität Bonn

Veränderung zum Ausdruck ge- bracht werden soll, spricht man von einem appellativen Suizidversuch beziehungsweise in der Terminolo- gie von Feuerlein von einer parasui- zidalen Geste. Diese neutrale Termi- nologie ist dem sehr emotionell auf- geladenen und diskriminierenden Begriff demonstrativer Suizidver- such, der von Ärzten häufig verwen- det wird, vorzuziehen, weil wir alles vermeiden sollten, die dem Unver- mögen nach einer adäquaten Kon- fliktlösung entspringende Verhal- tensweise dieser Patienten zu diskre- ditieren. Nur wenn wir das tun, kön- nen wir wirklich als verständnisvolle Helfer für diese Patienten auftreten und von ihnen akzeptiert werden.

Entspringt der Suizidversuch eher dem Bedürfnis nach einer gewissen Ruhe oder Pause, steht also mehr ei- ne Rückzugshaltung als intentiona- ler Faktor dahinter, so spricht man in der Terminologie Feuerleins von parasuizidaler Pause.

Stadienhafte Entwicklung

Der Suizidversuch ist meist die Endstrecke einer stadienhaften Ent- wicklung (Abbildung 2), deren Kenntnis für die Suizidprävention von prinzipieller Bedeutung ist. Sie beginnt zunächst mit einem recht uri- konkreten, oft geradezu spieleri- schem Erwägen der Möglichkeit ei- ner solchen Handlungsweise, durch-

(2)

Mißglückter Suizid Parasuizidale Geste Autoaggression

Parasuizidale Pause

Abbildung 1: Handlungen im Rahmen suizidaler Krisen, die nicht zum Tode führen (aus: W Pöldinger, 1988)

Tabelle 1: Übersicht über die bei Patienten in einer suizidalen Krise zu berücksichtigenden Aspekte

• Abschätzung der Suizidalität

• Diagnostische Abklärung, insbesondere mit der Frage endogener und hirnorganischer Grunderkrankungen

• Analyse persönlichkeitsbedingter und konflikthafter situativer Hin- tergrundfaktoren

• Beurteilung weiterbestehender Suizidalität

• Aufbau einer tragfähigen Arzt-Patient-Beziehung, in der sich der Patient geborgen fühlt und seine Probleme ansprechen und bear- beiten kann

• Aufsuchen der erhaltenden, haltgebenden Lebensstrukturen und Lebensfaktoren

• Angemessene Entlastung durch Psychopharmaka, je nach vorherr- schendem Syndrom. Wenn das Behandlungsschema nicht durch hirnorganische oder endogen-psychotische Symptomatik vorgege- ben ist, kommen hier am ehesten sedierende Antidepressiva oder Tranquilizer in Betracht

• Ansprache von Zielen für die allernächsten Zeiträume, ggf. Kon- trakt mit dem Patienten, bis zum nächsten Gespräch mit dem Arzt sich nichts anzutun

• Weiterbetreuung planen und zur Weiterbetreuung motivieren läuft dann die Stadien eines intensi-

ven Reflektierens, das geprägt ist durch die Ambivalenz von Pro- und Kontra-Gründen, bis es dann schließlich zum ernsthaften Ent- schluß und zur Tatausführung kommt Wie diese Entwicklung im Einzelfall abläuft, hängt von den un- terschiedlichen situativen Gegeben- heiten ab, zum Beispiel von dem Ausmaß der zur suizidalen Krise führenden äußeren Kränkungen und Belastungen, von der Art der mögli- cherweise mitursächlichen psychi- schen Erkrankung beziehungswei- se Persönlichkeitsstörung, von die Schwelle zum Suizid herabsetzenden Modellen (etwa Suizidversuche in der Umgebung, in den Medien be- richtete Suizide, freizügige Diskus- sion über das Recht auf Suizid und anderes) sowie von der Reaktion der Bezugspersonen und eventuell ein- bezogener semi-professioneller und professioneller Helfer.

Die einzelnen Stadien der suizi- dalen Entwicklung können unter- schiedlich lang dauern. Je größer der

ist, desto geringer wird sie, so zum Beispiel bei sehr impulsiven Suizid- versuchen nach Kränkungserlebnis- sen bei frustrationsintoleranten Per- sönlichkeiten.

Die sekundäre Suizidprävention setzt ein, wenn sich ein Mensch in ei- ner suizidalen Krise befindet. Sie kann, insbesondere bei nicht nen- nenswert psychisch gestörten Men- schen, in einem gewissen Ausmaß durch enge Bezugspersonen geleistet werden, sofern diese sensibel die Problemsituation des Betroffenen wahrnehmen und bereit sind, ihm verständnisvoll zuzuhören, Lösungs- möglichkeiten zu besprechen und ihm durch ein ausreichendes Kon- taktangebot das Gefühl des Nicht- verlassenseins zu vermitteln. Der größere Teil der sekundären Suizid- prophylaxe obliegt sicherlich profes- sionellen und semi-professionellen Personengruppen oder Institutio- nen, die entweder allgemein in der Gesundheitsversorgung tätig sind oder sich sogar speziell der Aufgabe der Suizidprävention widmen.

Öffentliche Einrichtungen als Ansprechpartner

Eine der bekanntesten semi-pro- fessionellen Einrichtungen ist die in allen größeren Städten der Bundes- Zeitraum dieser Entwicklung ist, de-

sto wahrscheinlicher wird die Mög- lichkeit einer helfenden Interven- tion. Je abrupter diese Entwicklung

(3)

Tabelle 2: Fragenkatalog zur Abschätzung der Suizidalität (aus: Th.

Haenel u. W. Pöldinger, 1986)

Je mehr Fragen im Sinne der angegebenen Antwort beantwortet wer- den, um so höher muß das Suizidrisiko eingeschätzt werden.

1. Haben Sie in letzter Zeit daran denken müssen, sich das Leben zu nehmen?

2. Häufig?

3. Haben Sie auch daran denken müssen, ohne es zu wollen?

Haben sich Selbstmordgedanken aufgedrängt?

4. Haben Sie konkrete Ideen, wie Sie es machen würden?

5. Haben Sie Vorbereitungen getroffen?

6. Haben Sie schon zu jemanden über Ihre Selbstmordabsichten gesprochen?

7. Haben Sie einmal einen Selbstmordversuch unternommen?

8. Hat sich in Ihrer Familie oder in Ihrem

Freundes- und Bekanntenkreis schon jemand das ja Leben genommen?

9. Halten Sie Ihre Situation für aussichts- und hoffnungslos?

10. Fällt es Ihnen schwer, an etwas anderes als an Ihre Probleme zu denken?

11. Haben Sie in letzter Zeit weniger Kontakte zu Ihren Verwandten, Bekannten und Freunden?

12. Haben Sie noch Interesse daran, was in Ihrem Beruf und in Ihrer Umgebung vorgeht?

Interessieren Sie noch Ihre Hobbies?

13. Haben Sie jemand, mit dem Sie offen und ver- traulich über Ihre Probleme sprechen können?

14. Wohnen Sie zusammen mit Familien- mitgliedern oder Bekannten?

15. Fühlen Sie sich unter starken familiären oder beruflichen Verpflichtungen stehend?

16. Fühlen Sie sich in einer religiösen bzw. welt- anschaulichen Gemeinschaft verwurzelt?

Anzahl entsprechend beantworteter Fragen

Endzahl = max. 16 ja ja ja

ja ja ja

nein

nein nein nein nein ja

ja republik etablierte Telefonseelsorge,

die mit Hilfe geschulter Laien einen 24-Stunden-Telefonservice unter- hält, so daß sich jeder in eine Krise Geratene zu jeder Zeit hier ausspre- chen und Rat und Trost finden kann.

Ein darüber hinausgehendes thera- peutisches Angebot wird allerdings von diesen Einrichtungen, die sich vor allem die ständige Erreichbarkeit als erste Anlaufstelle zum Ziel ge- setzt haben, nicht gemacht, sondern die Ratsuchenden werden lediglich darüber aufgeklärt, wo sie weiterge- hende Hilfe finden können.

Ein von vornherein weiter konzi- piertes Angebot machen die an meh- reren Orten der Bundesrepublik eta- blierten semi-professionellen oder professionellen Suizidpräventions- einrichtungen. Die bekannteste die- ser Art ist die „Arche" in München, die aus einem multidisziplinären Team von Ärzten, Psychologen und Sozialarbeitern ein intensives psy- chotherapeutisches Angebot im Sin- ne einer langdauernden Kriseninter- vention für Suizidgefährdete bietet.

Diese Suizidpräventionszentren, die meist sehr mühselig ihre finanziellen Mittel aus verschiedenen Quellen (staatliche Zuschüsse, Zuschüsse von Wohltätigkeitsverbänden, priva- te Spenden und anderes) erschließen müssen, sind im Regelfall nur tags- über besetzt, sind also nicht ständig erreichbar, was natürlich eine Ein- schränkung ihrer Hilfsmöglichkeiten darstellt. Gerade diese Suizidprä- ventionszentren verfügen als Spe- zialinstitution über die intensivste Erfahrung im Umgang mit Suizidge- fährdeten, und es wäre sicherlich, zumindest für jede größere Stadt, ei- ne Bereicherung, wenn diese Hilfe ständig für die von einer suizidalen Krise Betroffenen verfügbar wäre.

Über derartige Spezialinstitutio- nen hinausgehend sind all die Be- rufsgruppen, die im Gesundheitsver- sorgungssystem und in der Seelsorge arbeiten, in ganz besonderem Maße potentielle Ansprechpartner in suizi- dalen Krisen: zum Beispiel in freier Praxis arbeitende Ärzte oder Psycho- logen, an Kliniken, insbesondere an psychiatrischen/psychotherapeuti- schen Kliniken beziehungsweise Po- likliniken arbeitende Ärzte und Psy- chologen, die meist verschiedenen

(4)

III. Entschluß

Suizid- handlungen

I. Erwägung II. Ambivalenz

Psychodynamische Faktoren

Suggestive Momente

Direkte

Suizidankündigungen

Indirekte

Suizidankündigungen Aggressions-hemmung Suizide in der

Familie und Umgebung Pressemeldungen Literatur und Film usw.

Hilferuf als Ventilfunktion Kontaktsuche

Vorbereitungshandlungen

„Ruhe vor dem Sturm"

Soziale Isolierung

Abbildung 2: Stadien der suizidalen Entwicklungen (aus: W. Pöldinger, 1988)

Tabelle 3: Indikationen zur stationären psychiatrischen Behandlung suizidgefährdeter Patienten

• Ausgeprägt endogene oder reaktiv neurotische Depression mit deutlicher Angst, Agitiertheit, Selbstvorwürfen, Wahnideen. Akute schizophrene Symptomatik mit Angst, Erregung, paranoiden Denk- inhalten, Halluzinationen. Chronischer Alkohol-, Medikamenten-, Drogenmißbrauch mit depressiver Verstimmung und Suizidäuße- rungen

• Einengung des Denkens auf suizidale Inhalte

• Fehlende Einbindung in soziale Strukturen

• Fehlende tragfähige zwischenmenschliche Beziehung

• Ausdrücklicher Wunsch des Patienten nach stationärer Aufnahme Berufsgruppen zugehörigen Mitar-

beiter von psychosozialen Einrich- tungen und sozialpsychiatrischen Diensten, Gemeindepfarrer, Kran- kenhausgeistliche und so weiter.

Die Rolle des Hausarztes

Gerade der Hausarzt kann, da er meist die familiären und persön- lichen Hintergründe des Betroffenen sehr gut kennt und da für den Be- troffenen gerade die Schwelle zu dem ihm vertrauten Hausarzt nicht durch Ängste von einer als anonym erlebten Institution blockiert ist, ei- ne sehr wichtige Aufgabe in diesem Bereich erfüllen. Das sei an der Tat- sache demonstriert, daß ein großer Teil der Patienten im Vorfeld des Suizidversuchs einen Arzt aufsucht, sei es, um nur über körperlich-vege- tative Beschwerden zu klagen, sei es, was allerdings nur in einem geringen Teil der Patienten zutrifft, um kon- kret das Problem der Lebensunlust oder zumindest depressiver Sympto- matik anzusprechen (5). Die Tatsa- che, daß der Hausarzt meistens nicht auf die Suizidentenbetreuung spe- zialisiert ist, ist angesichts dieser Vorteile ein eher geringer zu bewer- tender Nachteil. Der Hausarzt kann ja, wenn er das Gefühl hat, mit der Aufgabe überfordert zu sein, den Pa- tienten an entsprechende „Speziali- sten", zum Beispiel Psychiater/Psy- chotherapeuten, weitervermitteln.

Wichtig ist allein, daß er überhaupt die Suizidalität des Patienten er-

den mit der notwendigen Sensibilität und Einfühlungsgabe mögliche kon- flikthafte Hintergründe und gegebe- nenfalls bereits latent vorhandene Lebensunlust und Suizidtendenzen erspürt. Nicht immer wird diese Chance genutzt, was sicherlich nicht nur bedingt ist durch ärztliches Un- vermögen oder Zeitknappheit in der Sprechstundensituation, sondern auch durch die Verschlossenheit und Bagatellisierungstendenz mancher Patienten.

Mit der wachsenden Zahl von Allgemeinärzten und Gebietsärzten verschiedener Disziplinen, die die psychotherapeutische Zusatzausbil- dung machen, wächst die diesbezüg- liche Kompetenz und damit auch die Kompetenz, in suizidalen Krisen Hil- fe zu leisten, so daß Weiterverwei- sungen an spezielle Fachkollegen nicht so häufig notwendig sein wer- den und damit insgesamt die ärzt- liche Versorgung in diesem Bereich optimiert wird. Aus den schon ge- nannten Gründen ist dieses wahr- scheinlich ein gegenüber der Schaf- fung weiterer Spezialinstitutionen zu bevorzugender Weg, der durch in- tensive Fortbildung in dem Bereich der Suizidgefährdetenbetreuung, ins- besondere auch für solche Arzte, die nicht die psychotherapeutische Zusatzausbildung gemacht haben, kennt und daß er durch sein ver-

ständnisvolles Zuhören dem Patien- ten das Gefühl vermittelt, daß es hilfreich sein kann, in einer solchen Situation professionelle Hilfe in An- spruch zu nehmen.

Es ist sehr wichtig, daß sich der Arzt Zeit nimmt für diese Patienten, daß er sie im Falle direkt angespro- chener Lebensunlust oder Depressi- vität einer entsprechenden weiter- führenden Therapie unterzieht be- ziehungsweise einem anderen, dies- bezüglich spezialisierten Kollegen zuführt, und daß er im Falle geklag- ter körperlich-vegetativer Beschwer-

(5)

noch weiter ausgebaut werden könn- te und sollte. In derartigen Fortbil- dungen müßte versucht werden, bei möglichst vielen Ärzten die Kennt- nisse über psychische Störungen zu vertiefen, die Diagnostik von Suizi- dalität zu üben und Gesprächs- und sonstige Behandlungsmöglichkeiten in suizidalen Krisen zu vermitteln.

Um nicht mißverstanden zu wer- den, sei gleich an dieser Stelle aus- drücklich betont, daß Suizidpräven- tion im Rahmen der Sekundärpro- phylaxe (wie auch der Tertiärpro- phylaxe!) zwar in einem Großteil der zu Betreuenden vorwiegend oder ausschließlich psychotherapeutische Methoden impliziert, daß aber, ins- besondere falls der Suizidalität schwerere psychische Erkrankungen zugrunde liegen, wie zum Beispiel Depressionen, Wahnkrankheiten usw., der Einsatz von Psychopharma- ka erforderlich ist. Patienten mit sol- chen Erkrankungen sollten mög- lichst durch einen Psychiater betreut werden.

Konfliktpartner mit einbeziehen

Beim Patienten in einer suizida- len Krise muß der Arzt eine Reihe von Aspekten berücksichtigen (4), die in Tabelle 1 aufgeführt sind. Bei den diagnostischen und therapeuti- schen Interventionen sind so weit wie möglich die Bezugspersonen und Konfliktpartner mit einzubeziehen.

Eine gewisse Hilfe bei der Abschät- zung der Suizidalität können soge- nannte Risikolisten geben (Tabelle 2), insbesondere für den in diesem Bereich nicht erfahrenen Arzt. Für die abschließende Diagnostik weiter- bestehender Suizidalität ist es unbe- dingt erforderlich zu wissen, wie die Konfliktpartner, auf die sich gegebe- nenfalls die suizidale oder parasuizi- dale Handlung bezog, reagieren. Das Gespräch mit den Konfliktpartnern ermöglicht auch, eine vorläufige Klä- rung des Konfliktes herbeizuführen und weitere Betreuungsmaßnahmen, gegebenenfalls für Patient und Kon- fliktpartner zusammen (etwa Part- nertherapie), anzubieten. Das Ziel einer solchen Partnertherapie muß

dabei offengehalten werden in dem Sinne, daß sowohl eine Fortsetzung der Partnerschaft auf einem besse- ren Niveau möglich ist, aber auch ei- ne für beide Partner akzeptable Trennung.

Ambulante oder

stationäre Behandlung Falls die Therapie der suizidalen Krise auf ambulanter Basis erfolgt, ist unbedingt darauf zu achten, daß ein Notkontakt sichergestellt wird, zum Beispiel Mitgabe der Nummer der Telefonseelsorge (24-Stunden- Service, aber nur semi-professionelle Hilfe), Vermittlung der Telefonnum- mer einer psychiatrischen Klinik (Vorteil: auch nachts sind intensive psychiatrische Gesprächskontakte möglich), Telefonnummer sonstiger suizidprophylaktischer oder sozial- psychiatrischer Dienste (Nachteil:

meist nur tagsüber besetzt).

Sowohl bei ambulanter Krisen- intervention wie auch bei Krisenin- tervention im Rahmen einer nicht- psychiatrischen Klinik ist mit Sorg- falt die Frage zu prüfen, ab wann ei- ne stationäre psychiatrische Behand- lung erforderlich wird. Eine solche

Literatur

1. Feuerlein, W.: Selbstmordversuch oder para- suizidale Handlung. Nervenarzt 42 (1971) 127-130

2. Haenel, Th., Pöldinger, W.: Erkennung und Beurteilung der Suizidalität. In: Kisker, K. P., Lauter, H., Meyer, J.-E., Müller, C., Ström- gren, E. (Hrsg.): Psychiatrie der Gegenwart, Bd. 2,3. Aufl., Springer, Berlin-Heidelberg- New York 1986, 107-132

3. Kreitmann, N • Parasuicide. Wiley, London 1977

4. Möller, H.-J., Torhorst, A., Wächtler, C.:

Versorgung von Patienten nach Selbstmord- versuch — Aufgaben, Probleme und Verbes- serungsmöglichkeiten. Psychiatr. Prax. 9 (1982) 106-112

5. Möller, H.-J., Werner, V.: Betreuung suizid- gefährdeter Patienten durch niedergelassene Arzte. Münch. med. Wschr. 121 (1979) 213-217

6. Pöldinger, W.: Erkennung und Beurteilung der Suizidalität. In: Hippius, H., Schmauß, M. (Hrsg.): Aktuelle Aspekte der Psychiatrie in Klinik und Praxis, Zuckschwerdt, Mün- chen—Bern-Wien 1988, 57-64

7. Tegeler, J.: Behandlung von Suizidgefährde- ten. Münch. med. Wschr. 127 (1985) 838-841

ist bei suizidgefährdeten Patienten, insbesondere bei Vorliegen be- stimmter Gegebenheiten (Tabelle 3), indiziert (7). Bei weniger schweren Fällen kann die Aufnahme in eine diesbezüglich kompetente und ko- operationswillige internistische Kli- nik einen sinnvollen Zwischenschritt zwischen ambulanter Betreuung und stationärer psychiatrischer Behand- lung darstellen und die von vielen Patienten als unangenehm empfun- dene Einweisung in die psychiatri- sche Klinik ersparen.

Die Inanspruchnahme profes- sioneller Hilfe in suizidalen Krisen insgesamt ist viel zu niedrig, wie ver- schiedene Untersuchungen zeigten, insbesondere extrem niedrig bei sol- chen Suizidgefährdeten, die dann im Rahmen der suizidalen Krise einen Suizidversuch durchgeführt haben.

Die Chance, in einer suizidalen Kri- se Hilfe zu bekommen, wird also nur von einem eher geringen Anteil der betroffenen Personen wahrgenom- men. Durch entsprechende Offent- lichkeitsarbeit auf verschiedenen Ebenen sollte versucht werden, die Inanspruchnahmequote zu verbes- sern. Dabei sollte insbesondere auch der Hausarzt als Berater in suizida- len Krisen propagiert werden.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Hans-Jürgen Möller Direktor der

Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Universität 5300 Bonn 1 (Venusberg)

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