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Gradience in Grammar

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Academic year: 2022

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Gisbert Fanselow, Caroline Féry, Ralf Vogel & Matthias Schlesewsky (Hg.). 2006. Gradience in Grammar. Generative Perspectives. Oxford: Ox- ford University Press. x, 405 S.

Bas Aarts. 2007. Syntactic Gradience. The Nature of Grammatical Indeter- minacy. Oxford: Oxford University Press. xiv, 280 S.

Hubert Haider Universität Salzburg

FB Linguistik Mühlbacherhofweg 6A A-5020 Salzburg hubert.haider@sbg.ac.at Zwei Bände zum Thema Gradienz – und hier der Ausgangspunkt, und die Fragen, für die man sich Argumente und Daten erhoffen darf, wenn man sich Bücher zu dieser Thematik vornimmt, um nach deren Studium etwas klüger zu sein als zuvor:

1. Grammatik ist diskret, Verhalten ist indiskret

Ist das sprachliche Wissen kognitiv diskretoder indiskret (= gradient) orga- nisiert? Angenommen, 77% von 77 befragten Probanden fänden einen Testsatz in Ordnung, 7% lehnten ihn ab, und 7% enthielten sich einer kon- kretisierbaren Meinung. Was folgt daraus bezüglich (In-)Diskretheit?

Nichts, außer dass der Autor anscheinend eine lästige Scheu vor gefälligem Runden hat.

Was ist eine plausible Nullhypothese hinsichtlich der gegenständlichen Frage? Erstens, Akzeptanzurteile sind nicht diskret, es sei denn, man zwingt Probanden zu ja/nein-Entscheidungen. Sie sind, über die Stichprobe hinweg betrachtet, stets gradient. Zweitens, grammatische Prinzipien sind diskret, aber man kann sie natürlich so formulieren, dass sie es nicht sind. Vielleicht erinnern Sie sich, wie uns im Unterricht Integralrechnung erklärt wurde?

Die Fläche zwischen einer Kurve und der x-Achse lässt sich ‚bequem‘ be- rechnen, wenn die Fläche in (letztlich infinitesimal) schmale Streifen parzel- liert wird, deren Fläche man summiert. Jeder dieser Streifen ist ein Recht- eck, und die Annäherung an die indiskrete Kurvenhülle ist eine diskrete Kurve aus Rechteckkanten. Das heißt, jede Kurve lässt sich diskret annä- hern (s. auch die antike Methode der Berechnung des Kreisumfangs oder -inhalts über eingeschriebene Vielecke). Auf der deskriptiven Ebene ist es bloß eine praktische Frage. Was davon unberührt bleibt ist die Bestimmung der wahren formalen Natur des grammatischen Wissens im Hirn der Spre- cher einer Sprache.

ZRS, Band 3, Heft 1

© Walter de Gruyter 2011 DOI 10.1515/zrs.2011.009

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Es ist für den Schreiber dieser Zeilen evident, dass das grammatische Wissen grundsätzlich diskret, und nicht gradient, ist. Sprache ist nämlich nur eine von vielen kognitiven Domänen, die durch kategoriale Verarbei- tung bestimmt sind, und ‚kategorial‘ ist diskret: etwas ist von Kategorie X oder nicht. In keinem der beiden Bände wird darauf Bezug genommen, und doch ist seit Eimas et al. (1971) bekannt, dass bereits Babys über die katego- riale Diskrimination von Sprachlauten verfügen. Mit dem Nachweis, dass auch Chinchillas über diese Fertigkeiten verfügen, haben Kuhl & Miller (1975) und Kuhl (1987) bewiesen, dass diese Form der kategorialen Wahr- nehmung sogar domänen- und speziesübergreifend ist (s. auch Harnad 1987).

Auch die Lektion von Berlin & Kay (1969), ebenfalls unerwähnt in den Bänden, verdient es, beachtet zu werden. Galt bis dahin die Art, wie einzelsprachlich das Farbenspektrum durch die Farbausdrücke gegliedert wird, als exemplarisch für einzelsprachliche‚Willkür‘: z. B. wird Honig und Gras im Altgriechischen mit demselben Farbwort bezeichnet, während es bei uns das Farbwort für den Eidotter ist, das auch den Honig charakteri- siert, und wir davon ausgehen dürfen, dass die antiken Waben mit dem gleichen Stoff gefüllt waren wie die heutigen. Berlin & Kay (1969) haben nachgewiesen, dass man bloß die richtige Frage stellen muss, um eine ver- lässliche Antwort zu erhalten. Bei den eklektischen Beobachtungen zur Gra- dienz der Farbterminologie war nämlich stets der periphere Bereich von Grundfarben, nicht aber der fokaleBereich gefragt. Die beiden aber unter- suchten die fokalen Bereiche, und siehe, sie fanden solide, eindeutige Gene- ralisierungen über die Systeme der Farbtermini in den natürlichen Spra- chen. Die Lektion daraus: Untersuche die fokalen Bereiche für deine Fragestellung. Studierst du periphere Daten, erhältst du periphere Ergebnis- se. Die Frage, ob sprachliche Prinzipien gradient seien, ist experimentell nicht direkt zugänglich, weil besagtes Wissen stets nur im Verband mit an- deren Systemen (d. h. neuro-physiologischen, perzeptuellen, artikulatori- schen, semantischen, pragmatischen, logischen, handlungsbezogenen etc.) aktiv sein kann. Diese Faktoren überlagern sich im beobachtbaren Verhal- ten und ergeben ein gradientes Bild eines in sich aber diskret basierten Sys- tems. Doch, selbst wenn dies evident erscheint, ist nicht evident, warum das nicht für andere ebenso evident ist. Das muss man ergründen (s. Matthias Schlesewsky, Ina Bornkessel und Brian McElree in Fanselow et al.).

Warum ist es evident? Erstens, weil es eine Fülle von positiver Evidenz für diskrete Kategorisierung gibt. Zweitens, weil es keine signifikante Menge von klaren Fällen mit gradienten Prinzipien gibt.1 Als gradient verdächtigte

1 Aarts (S. 34) zitiert M. Joos:„[No] gradation or continuity in either form or mea- ning, has ever been found in any language on this planet.“

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Prinzipien sind peripher(perzeptuell, artikulatorisch, schnittstellensituiert zu anderen Wissenssystemen), oder sie sind bloß deskriptive Generalisierungen, ohne hinreichende Rekonstruktion der zugrunde liegenden basalen Fak- toren, d. h. der‚Prinzipien‘ der Grammatik. Man müsste jedenfalls nachwei- sen können, dass sich die Forschung generationenlang geirrt hat und dass einige klassische Probleme sich in Nichts auflösen, wenn man dem Dogma der‚Gradienz‘ abschwört.

Betrachten wir ein simples und ein etwas komplexeres Beispiel. Zuerst das simple, nämlich Kasus in Sprachen mit morphologischem Kasus, wie zum Beispiel im Deutschen:

(1) a.Ich/*mich/*mirwurde nicht gefragt, inwiefern das gradient sei.

b.Mir/*ich/*michwurde nicht gesagt, inwiefern das gradient sei.

Es ist völlig unbestreitbar, dass in (1a) das direkte Objekt den Akkusativ erfordert, der im Passiv zu Nominativ wechselt, und dass in (2a) das indi- rekte Objekt mit Dativ bekleidet ist, und dieses Kleid auch im Passiv nicht wechselt. Hier gibt es keine Gradienz, wonach man etwa bei einem Verb (1b) meist den Dativ nimmt, aber sich in einigen Fällen unter Umständen auf den Akkusativ oder Nominativ einließe. Es ist bekanntlich entweder- oder, grammatisch oder ungrammatisch, Gradienz hin oder her (s. auch Ralf Vogels Beitrag, weiter unten).

Wie steht es aber mit etwas subtileren Fällen? Derer gibt es viele. Greifen wir den Fall der ‚bridge verb‘-Qualität (Erteschik-Shir 1973) heraus.2 Eine Bedingung für Extraktion aus eingebetteten Sätzen ist die – bis dato unge- klärte– ‚Brückenqualität‘ jenes Verbs oder Adjektivs, von dem der Satz mit der Extraktionsquelle abhängt. Es ist eine semantisch-pragmatische Qualität, die z. B. für Verba declarandi zutrifft (2a), aber nicht für faktive Verben (2b).

Nomi Erteschik-Shir (in Fanselow et al.) diskutiert eine Reihe von Fak- toren (und insbesondere die Rolle von Fokussierung), mit der Konklusion, dass kein Bedarf für gewichtete Beschränkungen (weighted constraints) be- stehe, sondern der Eindruck von Gradienz durch die Interaktion von Subsys- temen (optimale Fokussierung in Kombination mit suboptimaler Extraktion bewirkt bessere Akzeptanz als eine suboptimale Kombination von beidem;

der prosodische Einfluss auf syntaktische Beurteilungen wird auch im Beitrag von Yoshihisa Kitagawa und Janet Dean Fodor bestätigt.)

2 Hier seien norddeutsche Leser vorgewarnt. Die einschlägigen Beispiele sind allesamt Sätze mit Extraktion aus eingeleiteten Nebensätzen. Norddeutsche Varietäten meiden diese Form von Extraktion, im Gegensatz zu uns Süddeutschen, die, wie Paul (1919) in seinem Kapitel über ‚Satzverschlingung‘ demonstrierte, ausführlich davon Ge- brauch machen. Das zeigt bereits eine Quelle vermeintlicher Gradienz, nämlich Va- rietätendifferenzen. Was passiert in den Kontaktsituationen? Es kommt zu einer Ver- mischung von Toleranz in der Akzeptanz und Intoleranz in der Produktion (vgl.

Andersson & Kvam 1984).

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Es ist ein Leichtes, ungeeignete Stimulussätze zu sammeln (2c), die für ein zweifelsfreies ‚bridge-Verb‘ trotzdem eine Ablehnung bewirken können.

Etwas mühsamer ist es, Stimuli bereitzustellen, die auch für extraktions- unwillige Informanten ein klares Urteil ermöglichen (2d). Der Satz (2d), einer von vielen Belegen von Paul (1919: 321), entsprang – trotz aller Ex- traktionsphobie – einem norddeutsch genährten Hirn, nämlich dem von Theodor Storm.

(2) a. Wenheißtes, dass man verhaftet habe?

b. *Wen ist (es)bedauerlich, dass man verhaftet hat?

c.?Wermeintder, dass hustet?

d. Wer wohlmeinter, dass ihm seine Arbeit hier bezahlen werde?

Konfrontieren Sie Probanden mit einer hinlänglich umfangreichen Liste von Stimuli, um herauszufinden, welche Verben des Deutschen Brückenverben sind, und Sie werden sich stets mit folgendem Ergebnis plagen müssen: Es gibt eine Gruppe von Verben, die für die meisten extraktionsdurchlässig sind, und es gibt eine andere Gruppe von Verben, die die Meisten extraktions- unfreundlich bewerten werden, und dann gibt es noch die lästige Gruppe der Verben, bei denen sich die Probanden nicht einig sind. Ist ‚bridge verb‘des- wegen eine gradiente Kategorie? Ja, das ist es. Aber‚bridge verb‘ist bloß eine operationalisierte deskriptive Kategorie und keineswegs eine Kategorie der mentalen Grammatik. Diese hat man erst dann, wenn es gelungen ist, die Eigenschaften, die einen‚bridge-verb‘-Kontext ausmachen, in Kategorien der Grammatik zu modellieren. Das steht noch aus. Bis dahin ist ‚bridge verb‘

eine (noch) nicht hinreichend verstandene deskriptive Charakterisierung. Es darf nicht verwundern, dass die Abtestung einer unverstandenen Kategorie zum Teil unverständliche (Neben-)Effekte zeigt. Da man die Kategorie nicht hinreichend versteht, kann man auch nicht sicherstellen, dass die Stimuli frei von intervenierenden, ablenkenden und maskierenden Faktoren sind.

Bleibt noch die Frage, weshalb viele ein geneigtes Ohr für gradiente Mo- dellierungen haben und Gradienz einer diskreten Architektur vorzögen. Ei- nerseits scheint ein gradientes Prinzip das perfekte Gegenstück zu einem gra- dienten Befund bei Wohlgeformtheitsbeurteilungen. Wenn aber zutrifft, dass Gradienz ein Epiphänomen ist, das entsteht, weil mehrere Faktoren be- teiligt sind, von denen einige stärkeren oder schwächeren Einfluss auf die Gesamtbeurteilung haben, dann ist die gradiente Formulierung eines Prinzips ein Missgriff. Sie verbaut geradezu den Weg zu einer präzisen Modellierung.

Klar ist aber auch, dass eine Modellierung auf Basis von Gradienz eine schwächere Modellierung bildet, weil gradiente Regeln weniger Falsifikati- onsmöglichkeiten ausgesetzt sind als diskrete. Und damit ist es auch eine minder anstrengende Modellierung. Passungenauigkeiten zwischen Modell und Faktenlage lassen sich bequem unter dem weiten Kleid der Gradienz kaschieren. Ist das ein verlockender, allzumenschlicher Grund? Lasst uns lesen.

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2. Erlesenes

Der Sammelband von Fanselow et al. gruppiert die Beiträge in vier Ab- schnitte. Im ersten („The Nature of Gradience“) gehen sieben Beiträge das Thema umfassend an, während die folgenden Abschnitte Detailunter- suchungen beisteuern („Gradience in Phonology“, „Gradience in Syntax“,

„Gradience in Wh-Movement Constructions“). Ein umsichtiges Plädoyer für Diskretheit liefert Eric Reuland, indem er versucht, die unter- schiedlichen Quellen (scheinbarer) Gradienz aufzuklären. Eine Quelle ist Variation, häufig bedingt durch Varietätenvielfalt, beispielsweise in der Überlagerung von regionalen Varietäten mit der Standardvarietät. Dies ist Variabilität aufgrund von Plurilingualität. Eine andere Quelle ist die me- thodische Schwierigkeit bei der Erfassung von Grammatikalitätsurteilen (s. dazu auch Schütze 1996). Die dritte Quelle ist der Umstand, dass nicht immer klar ist, was in den eigentlichen Bereich der Grammatik gehört. Packt man Eigenschaften dazu, die nicht dazugehören, weil es sich beispielsweise um Verarbeitungseigenschaften handelt, dürfe man sich nicht wundern, dass diese sich nicht der grammatischen Diskretheit fü- gen.Matthias Schlesewsky, Ina Bornkessel und Brian McElree nähern sich der Frage psycholinguistisch, indem sie die ERP-Signaturen devianter Sätze als Evidenzgrundlage heranziehen. Sie kommen zum Schluss, dass gradiente Urteile teils durch eindimensionales Urteilen über inhärent mehr-dimensionalen Datenqualitäten, und teils durch vermeint- lich gleiche Urteile über Daten aus qualitativ ungleichen Grammatikquel- len zustande kommen. Überdies können Akzeptanzgefälle dynamisch oder statisch sein.

Als Verteidiger der Gradienz argumentiert John A. Hawkins funk- tionalistisch. Gradienz ist die Konsequenz eines Optimierungsprinzips an der Syntax-Semantik-Schnittstelle (‚minimal domains‘ – minimize the con- nected sequences of linguistic forms, um den Parser zu entlasten). Mat- thew W. Crocker und Frank Keller sehen in der probabilistischen Organisation des Parsers in der Konfrontation mit den notorischen Ver- arbeitungshürden (local ambiguity, processing load) die Quelle der Gradienz auf der Performanzseite.

Probabilistische Gewichtung (stochastic optimality theory) ist auch das Rezept, das Ralf Vogel präsentiert, um der Gradienz Herr zu werden, die man beim Kasuskongruenz-Effekt in freien Relativsätzen findet. Wie Pitt- ner (1991) nachwies, erlauben freie Relativsätze mehr Varianz als ein strik- tes Kasus-Matching-Prinzip erlauben sollte.

(3) a. Ich lade ein [*wermir gefällt] / [wendu mir empfiehlst].

b. Ich lade ein, [wemich begegne] / [auf wenich stoße].

c. [WasAkkich nicht weiß], macht mich nicht heiß.

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In (3a) führt die mangelnde Kongruenz (freier Relativsatz vertritt Akk-Ob- jekt, W-Pronomen ist aber Nominativ und nicht Akkusativ) zu Akzeptanz- verlust. Das gilt aber nicht für (3b), obwohl es hier auch an Übereinstim- mung gebricht. (3c) zeigt schließlich, dass bloße morphologische Formengleichheit genügt. Was ist neutral bezüglich der Akk/Nom-Distink- tion. Festzuhalten ist aber, dass – egal wie (un)glücklich die angebotene probabilistische Analyse3 auch sei – der Datenbereich sowohl als peripher wie auch als nicht hinreichend ausanalysiert gelten darf. Daher gilt, wie nicht überraschend, „anything goes“.

Als Nicht-Phonologe maße ich mir kein Urteil über die inhaltliche Sei- te der fünf Beiträge über Phonologie an und rapportiere bloß Einzelnes:

Für Abigail Cohn hängt die Antwort (gradient oder nicht?) davon ab, was man unter Gradienz verstehe, und träfe am ehesten auf den Bereich der Phonotaktik zu, als Bereich an der Phonetik-Phonologie Schnittstelle. Ca- roline Féry und Ruben Stoel berichten über gradiente Ergebnisse beim Beurteilen der passenden Prosodie für informationsstrukturelle Unterschie- de, einschließlich Skopus. Das muss nicht überraschen, da das Grundphäno- men (Informationsstruktur relativ zu syntaktischer Struktur) noch auf eine allgemein geteilte Modellierung wartet und Prosodie variabel ist. Paul Bo- ersma geht dem Problem nach, weshalb Informanten im Experiment, auf- gefordert einen prototypischen Laut (z. B. /i/) zu wählen, stets eine periphe- rere Form wählen, als sie in der Produktion benutzen (und als in natürlichen Corpora vorkommen). Man ist als Leser überrascht, dass dies nicht die Nullhypothese sei: Es ist nicht überraschend, dass Informanten dazu neigen, bei Kategorisierungsaufgaben den Extremwert (maximal dis- tinkt, d. h. im Fall von /i/ mit sehr niedrigem erstem und sehr hohem zwei- ten Formanten) zu wählen.

Insgesamt ist der Band eine gute Kollektion, um sich einen Eindruck von der Thematik zu verschaffen, und wer dem Thema sein Hauptseminar widmen will, ist von der Literatursuche entbunden. Der Rezensent ist aller- dings zufrieden, dass er nach der Lektüre sein diskretes Vorurteil nicht revi- dieren muss.

3 Nimmt man das angenommene Prinzip ernst (S. 255:„An assigned case must be rea- lized morphologically by its case morphology or that of a case that is higher on the case hierarchy“), dann folgt zwar anscheinend, dass bei prädikativen DPs anstelle ei- nes kongruierenden Akkusativs auch Nominativ möglich ist (Laß mich dein guter Herold / deinen guten Herold sein). Andererseits trifft das nur auf Akkusative zu, nicht aber generell. Überdies folgt aber auch unzutreffenderweise, dass man‚bei Be- darf‘zwischen zugewiesenem Kasus oder einem höherrangigem wählen könne (es sei denn, man neutralisiert das Prinzip vorsorglich).

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3. Krauses Englisch –fuzzy English

Bas Aarts bezieht sich in seiner Monographie ausschließlich auf die eng- lische Grammatik. Er schlägt eine Präzisierung von Gradienz vor, indem er

‚subsective gradience‘ (Kap. 5) von ‚intersective gradience‘ (Kap. 6) trennt.

Mit Ersterem bezieht er sich auf gradiente Kategorienzugehörigkeit. Eine Schwalbe ist näher der Kernkategorie von Vogel als ein Pinguin, der wesent- lich mehr periphere Merkmale aufweist. Happy ist mehr ‚adjektivisch‘ als utter (wie z. B. in an utter disgrace). Indikativ ist höher auf der Finitheits- skala als Konjunktiv oder Imperativ (S. 118). Intersective gradience meint kategorieübergreifende Eigenschaften. Als ein konkretes Beispiel seien Ge- meinsamkeiten zwischen Adverbien, Präpositionen und Konjunktionen ge- nannt (S. 150; vgl.anstatt,außer,damitetc.)

Damit belebt Aarts ein bejahrtes Thema wieder, an das sich einige viel- leicht erinnern werden, die in den 70er-Jahren linguistisch sozialisiert wur- den, und mit ‚category squish‘ (Ross) oder ‚fuzzy grammar‘ (Lakoff) noch eine Bedeutung verbinden.

Aarts’ Arbeit ist nützlich für Studierende der Anglistik, zumal die Sprachvermittlung nicht an Ausnahmen und Seltsamkeiten vorbei kann, insofern sie frequent sind. Natürliche Sprachen sind nicht frei von Merk- würdigkeiten, die von der Grammatiktheorie zu Recht als Peripheriephäno- mene ausgegrenzt werden. Wer Englisch aber beherrschen will, muss wohl oder übel auch die exzentrischen Aspekte dieser Sprache berücksichtigen.

Zum anderen finden auch Syntaktiker das eine oder andere Anregende, denn hier sind Daten nach einem Grundsatz organisiert, der nicht der üb- liche ist. Die Ausnahme hat hier Vorrang vor dem Regelhaften. Und eine

‚Ausnahme‘ ist oft genug ein Indiz für eine nicht endgültig geglückte Re- gelformulierung.

Der dritte und letzte Teil des Buches, der Teil über‚Formalization‘, hat sich mir nicht erschlossen; bloß die graphische Gestaltung erinnerte mich an den Archimedischen Punkt ‚noli turbare circulos meos‘. Wenig riskant scheint mir abschließend eine Wette, dass wohl nur der glauben wird, dass Grammatik gradient sei, der schon vor der Lektüre dieses Buches überzeugt davon war, dass sie nicht diskret sei.

Literatur

Andersson, Sven-Gunnar & Sigmund Kvam. 1984. Satzverschränkung im heutigen Deutsch. Tübingen: Gunter Narr.

Berlin, Brent & Paul Kay. 1969. Basic Color Terms. Their Universality and Evolution. Berkeley: University of California Press.

Eimas, Peter D., Einar R. Siqueland, Peter W. Jusczyk & James Vigorito.

1971. Speech Perception in Infants. In:Science 171, 303-306.

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Erteschik-Shir, Nomi. 1973. On the Nature of Island Constraints. PhD Dis- sertation. Cambridge, MIT.

Goldstone, Robert L. & Andrew T. Hendrickson. 2010. Categorical Percep- tion. In:Interdisciplinary Reviews.Cognitive Science 1, 69-78.

Harnad, Stevan R. (Hg.). 1987. Categorical Perception. The Groundwork of Cognition. Cambridge: Cambridge University Press.

Kuhl, Patricia K. 1987. The Special-Mechanisms Debate in Speech Re- search: Categorization Tests on Animals and Infants. In: Stevan R. Har- nad (Hg.). Categorical Perception. The Groundwork of Cognition. Cam- bridge: Cambridge University Press .355-386.

Kuhl, Patricia K. & James D. Miller. 1975. Speech Perception by the Chin- chilla. Voice-voiceless Distinction in alveolar plosive Consonants. In:

Science190, 69-72.

Paul, Hermann. 1919. Deutsche Grammatik. Band III, Teil IV. Syntax. Tü- bingen: Max Niemeyer.

Pittner, Karin. 1991. Freie Relativsätze und die Kasushierarchie. In: Elisa- beth Feldbusch, Reiner Pogarell & Cornelia Weiss (Hg.). Neue Fragen der Linguistik. Tübingen: Max Niemeyer. 341-347.

Schütze, Carson T. 1996.The Empirical Base of Linguistics.Grammaticality Judgments and Linguistic Methodology. Chicago: University of Chicago Press.

Referenzen

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