• Keine Ergebnisse gefunden

Akademie Verlag

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie " Akademie Verlag "

Copied!
32
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Gerrit Himmelsbach, Die Renais- sance des Krieges. Kriegsmono- graphien und das Bild des Krie- ges in der spätmittelalterlichen Chronistik am Beispiel der Bur- gunderkriege, Zürich: Chronos 1999, 377 S., EUR 31,- [ISBN 3- 905313-17-0]

Beim vorliegenden Werk handelt es sich um eine 1996/97 an der Würzburger Universität von Rolf Sprandel ange- nommene Dissertation. Diese entstand im Rahmen eines interdisziplinären For- schungsprojekts, das sich mit dem Bild des Krieges im Wandel vom Spätmit- telalter zur Frühen Neuzeit auseinan- dersetzt, wobei Himmelsbach diesen Sachverhalt am Beispiel der Chronistik über die Burgunderkriege untersucht.

Den historischen Hintergrund bil- den die sogenannten Burgunderkriege der Jahre 1474 bis 1477. Der burgundi- sche Herzog Karl der Kühne hatte be- absichtigt, seinen Staat sowohl nach Norden als auch nach Süden auszu- dehnen. Dabei geriet er mit den Inter- essen der Eidgenossen in Konflikt, die sich ebenfalls bemühten, ihnen be- nachbarte Regionen ihrem politischen Einfluß zu unterwerfen. Mit diesen Er- eignissen verbinden sich die Schlachten von Grandson (2. März 1476) und Mur- ten (22. Juni 1476), bei denen es den Eid- genossen mit ihrem mit Lanzen kämp- fenden Fußvolk gelang, über das Rit- terheer der Burgunder zu siegen. Her- zog Karl fand vor Nancy am 5. Januar 1477 im Kampf gegen die Ubermacht eidgenössischer, elsässischer und lo- thringischer Truppen auf der Flucht den Tod.

Himmelsbach nähert sich seinem Thema, indem er in der Einleitung die These aufstellt, die Burgunderkriege hätten einen wesentlichen Wandel des Kriegsverständnisses der damaligen Zeit bewirkt. Von seinen politischen

und sozialen Auswirkungen her be- trachtet sei diese Zeit mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 zu verglei- chen (S. 12). Mit dem Tod Karls des Kühnen setzte nämlich eine »Flut von Schriften« (S. 13) ein, woraus sich für Himmelsbach die zentrale Fragestel- lung ergibt: »Welche individuellen und gesellschaftlichen Gründe sind für die- sen Aufschwung verantwortlich?«

(S. 14)

Als Quellengrundlage zieht der Au- tor eine Auswahl von Kriegschroniken heran, die in engem zeitlichen Kontext mit der Beendigüng der Auseinander- setzungen stehen und gleichzeitig im Titel auf eine Kriegsmonographie im In- halt schließen lassen: 1. Die Chronik der Burgunderkriege von Albrecht von Bonstetten (1477), 2. Die »Nicolai de preliis et occasu ducis Burgundie hi- storia« (1477/78), 3. Das Fragment ei- nes Basler Anonymus (~ 1484), 4. Die Burgunderkriegschronik des Peter von Molsheim (1478) und 5. die verschie- denen Fassungen der Burgunderchro- nik des Berner Chronisten Diebold Schilling (1477-1484), dessen »Kleine Burgunderchronik« auch die Vorlage für Peter von Molsheims Werk bildet.

Die Arbeit gliedert sich neben der Einleitung, dem Resümee und dem kri- tischen Apparat in fünf Hauptab- schnitte. Am Anfang steht ein kurzer ereignisgeschichtlicher Abriß, der den Leser anhand des neuesten For- schungsstandes in die Thematik ein- führt. Es folgt ein Kapitel über die je- weiligen Autoren und die Entste- hungsgeschichte der einzelnen Chroni- ken, wobei auf die persönlichen Lebensumstände und das soziale Um- feld der Autoren ebenso eingegangen wird wie auf literarische Vorbilder der einzelnen Werke. In einem dritten, um- fangreichen und zentralen Kapitel der Arbeit untersucht Himmelsbach das zeitgenössische Kriegsverständnis, wo-

Militärgeschichtliche Zeitschrift 63 (2004), S. 265-295 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

(2)

bei er staatsrechtliche, wirtschaftliche, kriegstechnische sowie identitäts- und mentalitätsgeschichtliche Fragestellun- gen aufgreift, die er quellennah und fun- diert einer Beantwortung zuführt. An dieser Stelle wäre allerdings ein einge- henderer Vergleich mit älteren Beispie- len von Kriegschroniken wünschens- wert gewesen, um die in der Einleitung aufgestellte These des »weitreichenden Wandels des Kriegsverständnisses« an- hand der Quellen abzustützen. So aber arbeitet der Autor mehr das Kriegsver- ständnis am Ende der Burgunderkriege und in den folgenden Jahren heraus als den konstatierten historischen Wandel.

Im vierten Abschnitt liefert Him- melsbach einige kurze, aufschlußreiche Ergebnisse zur Uberlieferungsgeschich- te der ausgewählten Kriegsmonogra- phien, u.a. auch eine weitgehend nach- vollziehbare Erklärung, den bisher nicht eindeutig festgestellten Autor von »Ni- colai de prelüs et occasu ducis Burgun- die historia« in dem aus Bern stammen- den Nikolaus Widempösch (Weiden- busch), der sich den Namen Salicetus gab, zu sehen.

Den Abschluß bildet eine umfang- reiche Kompilation der vier Haupt- schlachten von Hericourt, Grandson, Murten und Nancy, zusammengestellt aus den entsprechenden Abschnitten der zitierten Autoren. Diese bietet dem Leser eine gute und handliche Mög- lichkeit, sich einen unmittelbaren Ein- druck der benutzten Quellen zu ver- schaffen und die Aussagen des Autors kritisch zu überprüfen.

Martin Hofbauer

Söldnerleben am Vorabend des Drei- ßigjährigen Krieges. Lebenslauf

und Kriegstagebuch 1617 des hessischen Obristen Caspar von Widmarckter. Hrsg. und bearb.

von Holger Th. Graf. Mit Beitr.

von Sven Externbrink und Ralf Prove, Marburg an der Lahn:

Trautvetter und Fischer 2000, 168 S. (= Beiträge zur hessischen Geschichte, 16), EUR 17,80 [ISBN 3-87822-113-4]

Die Militärgeschichte der Frühen Neu- zeit erfreut sich seit einigen Jahren auch in der deutschen Wissenschaft eines wachsenden Interesses, Mit ihm einher geht auch die inhaltliche Vertiefung und vor allem methodische Erweiterung des Themenkomplexes. So ersetzen sozial- geschichtliche Fragestellungen allmäh- lich die gerade in der Militärgeschichte allzu starke Fokussierung auf poli- tikgeschichtliche und ereignisorientier- te Darstellungen. Grundlage dafür ist eine verbreiterte Quellenbasis, die den

»neuen« Fragen zu Antworten verhilft.

Unter ihnen sind die Selbstzeugnisse von unersetzlichem Wert.

Im Mittelpunkt der hier zu bespre- chenden Arbeit stehen zwei Zeugnisse dieser Art: Zum einen der Lebenslauf des Caspar von Widmarckter, zum an- deren die Beschreibung seines Feldzu- ges des Jahres 1617, beide ediert und be- arbeitet von Holger Th. Gräf.

Widmarckter (1566-1621) ent- stammte dem Leipziger Bürgertum und trat nach seinem Studium in Paris in den Dienst des späteren Feldmarschalls Caspar von Schömberg. Nach ver- schiedenen militärischen und diploma- tischen Aufträgen der französischen Krone ging er 1597 nach Hessen- Kassel, wo er schnell einer der ein- flußreichsten Diplomaten und Ratgeber des Landgrafen wurde, der ihn schließ- lich 1601 zum Amtmann in Vacha er- nannte.

(3)

So schnörkellos sich dieser Lebens- lauf liest, wird er doch durch die eige- ne Sicht des Verfassers zu einem indivi- duellen Zeugnis eines militärischen Werdegangs, der die Besonderheiten der Frühen Neuzeit spiegelt. Nicht allein operativ-taktisches oder strategisches Wissen waren die Voraussetzungen für den Aufstieg, sondern die Fähigkeit als Wirtschaftsunternehmer die eigene Ein- heit zu unterhalten. Hinzu kam die Not- wendigkeit, auch in diplomatischen Diensten Erfolg zu beweisen.

Der Bericht vom Feldzug 1617, der Widmarckter nach Oberitalien führt, zeigt dessen militärischen Alltag. In Form von Tagesberichten erhalten wir so Informationen über den Marschweg, die Versorgung seiner Truppe, die Un- terbringung und die Konflikte inner- halb der Mannschaft. Sparsam ist die Beschreibung des Verhaltens zur Zivil- bevölkerung, dies läßt sich aus dem Zweck des Berichtes ableiten, der wohl als »Rechenschafts- und Tätigkeitsbe- richt« (S. 62) angelegt ist.

Die beiden Quellen informieren über den Handlungsrahmen, über den ein Obrist am Vorabend des Dreißig- jährigen Krieges verfügte, über seine Motivation und, durch die Auswahl des Beschriebenen (gleichwohl den Entste- hungszusammenhang in Rechnung stellend), auch über seine Wahrneh- mung des militärischen Alltags.

Die Edition ist von Holger Thomas Gräf in vorzüglicher Weise vorgenom- men worden. Die hilfswissenschaffli- ehen Anmerkungen der Texte werden durch eine zusammenfassende und sy- stematisierende Einleitung zur Biogra- phie Widmarckters ergänzt, die eben- falls von Gräf verfaßt wurde. Sven Ex- ternbrink führt in die nicht ganz einfa- chen und in der deutschen Forschung nur kursorisch beschrieben Hinter- gründe des Mantuanischen Erbfolge- krieges ein. Ralf Prove würdigt die Quelle als Selbstzeugnis und ordnet sie

in die aktuelle militärgeschichtliche Dis- kussion ein. Dem Leser wird somit der Wert der Quelle deutlich, gleichzeitig erhält er eine Hilfe zu ihrer Einordnung.

Abgerundet wird die Arbeit durch eine Übersicht der gesamten Feldzüge Widmarckters, der in seinem Leben über 56 590 Kilometer zurücklegte, ein Itinerar des Feldzuges von 1617, ver- schiedene Karten und ein gesundheit- liches Attest aus dem Jahre 1620.

Olaf Gründel

Bauernleben im Zeitalter des Drei- ßigjährigen Krieges. Die Stause- bacher Chronik des Caspar Preis 1636-1667. Hrsg. von Wilhelm A. Eckhardt und Helmut Klin- gelhöfer, Marburg an der Lahn:

Trautvetter und Fischer 1998, 104 S. (= Beiträge zur hessischen Geschichte, 13), EUR 15,- [ISBN 3-87822-110-X)

Die Forschungsdiskussion der letzten Jahre hat es gezeigt: Selbstzeugnisse sind eine ernstzunehmende und den wissenschaftlichen Diskurs fruchtbar erweiternde Quellengattung auch und gerade für die Geschichte der Frühen Neuzeit. Erinnert sei nur an die Ent- deckung und Edition des unbekannten Söldnertagebuches durch Jan Peters oder an die von Benigna von Krusen- stjern vorgelegte Sammlung von Ego- Dokumenten aus der Zeit des Dreißig- jährigen Krieges.

In diese Gattung ordnet sich nun auch die Stausebacher Chronik des Cas- par Preis ein, die hier erstmals wissen- schaftlichen Ansprüchen genügend ediert vorliegt und der zur Einordnung zwei Aufsätze beigegeben sind: Wil- helm A. Eckhardt rekonstruiert auf der Grundlage von Archivmaterial die Fa- miliengeschichte des Bauern Preis. Ger- hard Menk stellt in konziser Form die

(4)

deutsche Forschungsdiskussion zur Ge- schichte des Dreißigjährigen Krieges vor.

Die im Original 98 Blätter umfas- sende Chronik zeichnet sich vielfach für eine Veröffentlichung aus. Sie ist Zeug- nis einer breiten, aber in der bisherigen Historiographie im allgemeinen schwei- genden Schicht der ländlichen Bevöl- kerung, nämlich der Bauern, und er- möglicht Einblicke in deren tägliches Leben und Denken und hilft so glei- chermaßen ihre Alltags-, Sozial-, und Mentalitätsgeschichte zu verdeutlichen.

Die Herausgeber haben, obschon sie die gesamte Chronik ediert vorlegen, den Schwerpunkt auf die Kriegsereig- nisse gelegt, so deutet es der Untertitel an und so wird es auch in dem einlei- tenden Aufsatz von Menk deutlich. Die- se Konzentration ist diskutabel, aber durchaus gerechtfertigt, nimmt doch die Wahrnehmung von militärischer Gewalt einen wichtigen Schwerpunkt in den Erinnerungen des Caspar Preis ein. Erinnerungen deshalb, weil die Jah- re von 1636 bis 1650 erst am Ende die- ser Zeit zusammenfassend niederge- schrieben werden, wobei dem Leser die Hintergründe dieses Vorgehens nicht verdeutlicht werden.

Das Dorf Stausebach, in dem sich Preis 1636 einkaufte, liegt im kurmain- zischen Amt Amöneburg, in Grenzlage zu Hessen-Kassel und Hessen-Darm- stadt, war daher auch in besonderer Wei- se von den Folgen des Krieges betroffen.

Zwischen 1636 und 1648 zählt man nicht weniger als 17 Durchzüge schwedischer, kaiserlicher oder hessischer Armeen, die für Preis, von einer Ausnahme abgese- hen, sich allerdings alle verhielten, als

»wan es lauter Durken wehren« (S. 42).

Neben diesen Beschreibungen des alltäglichen Krieges werden auch Re- flexionen zu Kriegshintergründen, di- plomatischen Verwicklungen und Frie- denssehnsüchten deutlich und zeigen so eindrucksvoll die Rezeptionsfähig-

keit der so oft unbeachtet bleibenden ländlichen Bevölkerung.

Abgesehen von der Einleitung be- schränken sich die Hinweise in den Fußnoten in erster Linie auf editorische Anmerkungen. Inhaltlich weiterfüh- rende Untersuchungen werden nicht unternommen. Der große Verdienst der Arbeit besteht darin, daß die edierte Quelle der Öffentlichkeit zur Interpre- tation, auch aus militärgeschichtlicher Perspektive, vorgelegt wird. Auf die Er- gebnisse kann man gespannt sein.

Olaf Gründet

Klaus Lübbe, Deutsche Seitenge- wehre und Bajonette 1740-1945.

Katalog mit Abb. und Preisen = German sidearms and bayonets [2. Aufl.], Hamburg: Niemann 2000, 361 S., EUR 30,- [ISBN 3- 934001-02-5]

Bereits 1991 erschien die erste Ausgabe des Erkennungskataloges und Preis- führers unter dem gleichen Titel, wenn- gleich auch in kleinerer und einfache- rer Ausführung als der vorliegende Band.

Schon mit seiner ersten Publikation gelang es dem bekannten Spezialisten Klaus Lübbe ein in Sammlerkreisen lan- ge vermißtes Werk über deutsche Blankwaffen, insbesondere Seitenge- wehre und Bajonette, auf den Markt zu bringen. Der Erfolg gab ihm recht und so entschied sich der Autor eine zwei- te, verbesserte und erweiterte Auflage zu veröffentlichen. Diese widmete er seinem langjährigen Freund, dem be- kannten Heeres- und Uniformkundler Hans Rudolf von Stein.

Lübbe war es seit Erscheinen seines ersten Kataloges gelungen, mehrere größere nationale und internationale Sammlungen zu besichtigen und die dabei gesammelten Informationen, vor

(5)

allem aber das Bildmaterial (eine Quel- lenangabe wäre für den weiteren For- schungsansatz wünschenswert gewe- sen) in seinem neuen Werk zu veröf- fentlichen. So wundert es auch nicht, daß die vorliegende zweite Auflage im Format doppelt so groß ist und der Um- fang 60 Seiten mehr beträgt. Eine vor- geschaltete zweitseitige Begriffsbe- stimmung ermöglicht es, vor allem dem Einsteiger, sich schnell in der Thematik zurechtzufinden.

Lübbe geht in seiner Arbeit chrono- logisch vor und beginnt nach einem ausführlichen Inhaltsverzeichnis, mit den frühesten preußischen Bajonetten aus der Zeit um 1740. Die Beschreibung der jeweiligen Waffe erfolgt in deut- scher und englischer Sprache, enthält Informationen zu technischen Details, sowie, für den Sammler ein nicht ganz unwesentliches Kriterium, Preisanga- ben in Deutschen Mark, Euro, britischen Pfund und US-Dollar. Darüber hinaus werden alle auf den Bajonetten und Sei- tengewehren befindlichen Informatio- nen, wie der Truppenstempel oder der Hersteller, in der Beschreibung und Be- wertung mitbetrachtet.

Wenngleich sich der Titel auf deut- sche Waffen des 18. bis zum 20. Jahr- hundert bezieht, zeigt Lübbe Modelle sämtlicher ehemaliger Staaten auf deut- schen Territorien, der Kontingente deut- scher Bundesstaaten nach der Reichs- gründung sowie im Deutschen Reich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.

Ausgeführt werden auch adaptierte Beutewaffen, die für den Gebrauch in den Armeen umgerüstet wurden.

Die Fotografien, welche in einer her- vorragenden Bildqualität reproduziert wurden, zeigen nicht nur die Waffe an sich, sondern werden vielmehr ergänzt durch umfangreiche Detailaufnahmen von Truppen- und Herstellerstempelri, durch Seitengewehrtaschen und Trod- deln und, damit schließt sich der Kreis zu Lübbes Arbeit über deutsche Uni-

formen und Seitengewehre, durch Bil- der von Soldaten unterschiedlichster Epochen und Waffengattungen. Somit werden die Seitenwaffen in die Ge- samtthematik der Heeres- und Uni- formkunde eingereiht.

Lübbe geht aber nicht nur auf Mi- litärwaffen ein, sondern behandelt gleichfalls Seitenwaffen zahlreicher uni- formierter Verbände und Formationen von Feuerwehr, Polizei und ähnlichen mit. Da alle Bild- und Textbeschreibun- gen auch in englischer Sprache vorge- nommen wurden, wird dieses Buch auch auf dem internationalen Markt sei- nen Nutzerkreis finden. Die umfang- reichen Quellen- und Literaturangaben am Ende der Arbeit erlauben es dem in- teressierten Leser, sich schnell einen Uberblick über die weiterführenden In- formationsmöglichkeiten zu verschaf- fen. Nicht nur der Blankwaffensamm- ler sondern auch der uniform- oder hee- resgeschichtlich interessierte Leser wird die Arbeit von Klaus Lübbe gerne in die Hand nehmen, zumal die Aufmachung und Qualität des Buches in einer ge- sunden Relation zum Preis stehen.

Peter Haug

Dietmar Raksch, Verleihungsur- kunden und Besitzzeugnisse aus dem Königreich Preußen und der Republik Preußen 1793-1972

= Award Documents and Autho- rization Certificates from the Kingdom of Prussia and the Re- public of Prussia 1793-1972, Hamburg: Niemann 2002,452 S., EUR 45,00 [ISBN 3-934001-03-3]

Pour le merite - Für das Verdienst, mit dieser Anerkennung geleisteter Dien- ste für den Souverän in Gestalt eines sichtbar zu tragenden Zeichens weitete sich im 18. Jahrhundert die Vergabe von eigentlich nur den Mitgliedern von

(6)

geistlichen oder weltlichen Ordenska- piteln vorbehaltenen Symbolen ihres

»ordo« aus auf einen Personenkreis von Stande, der dem Staate in besonderer Weise durch die Art seines Dienstes ver- b u n d e n war. Erst die Stiftung des Ei- sernen Kreuzes in einer für Preußen fa- talen politischen und militärischen Si- tuation eröffnete allen Soldaten die äußerliche Anerkennung für tapferes Verhalten. Die Vergabe dieser Ordens- zeichen geschah mittels Verleihungsur- kunden, die in ihrem Namensbestand- teile auf die früher übliche Praxis der nur lebenszeitlichen Inhaberschaft des Ordens verwiesen.

Diesen Urkunden und Besitzzeug- nissen gilt das Augenmerk des Verfas- sers, der diesen Band als Nachschlage- werk für einen großen Sammlerkreis im In- u n d Ausland zweisprachig - deutsch und englisch - gestaltet hat und im Anhang daher auch eine monetäre Bewertung dieser Dokumente veran- staltet. Berücksichtigt wurden nur preußische Belege von 1793 bis 1972;

diese etwas willkürlich erscheinende Zeitspanne ist wohl der Marktlage die- ser Dokumentenspezies geschuldet, stammen die vorgestellten Beispiele doch aus oftmals nicht leicht zugängli- cher Sammlerhand. Die in der Verant- wortung der Generalördenskommissi- on ruhenden Vorschläge w u r d e n im Falle der Verleihung zumeist von Kanz- leischreibern erstellt und vom Souver- än unterzeichnet; für die Belange des Hohen Ordens vom Schwarzen Adler war seit 1848 allein der Kanzler dieses höchsten preußischen Ordens zustän- dig. Der Verfasser war bestrebt, von je- dem preußischen Orden Verleihungs- urkunden und Besitzzeugnisse beizu- bringen, was nicht in allen Fällen ge- lang. Die nach der Wertigkeit der Orden geordneten Dokumente weisen jeweils nur geringfügige Änderungen in ihrer Formelhaftigkeit auf, je nach Aussteller

»Auf Befehl Seiner Majestät des Kö-

nigs« durch die Generalordenskom- mission oder »Wir [N.N.] von Gottes Gnaden König von Preußen etc.« durch S. M. selbst.

Der politische Umbruch nach 1918 stellte auch das Ordenssystem auf eine neue Basis: Gemäß der Weimarer Ver- fassung Art. 109, Abs. 5, die sich die Verleihung und Stiftimg von Orden ver- sagte, endete 1919 vorerst diese dem menschlichen Charakter so angenehme, dem Staate so einfache Befriedigung un- ausrottbarer Eitelkeiten. Wilhelm Busch hat dies in »Balduin Bählamm« auf den gereimten Nenner gebracht: »Gar man- cher schleicht betrübt umher; sein Knopfloch ist so öd und leer.« So schuf sich der Staat Ersatz in quasistaatlichen Ehrenzeichen bei Grubenwehr, Feuer- wehr und Rotem Kreuz; lediglich die Friedensklasse des Ordens Pour le Merite und das Ehrenzeichen des Jo- hanniterordens konnten wegen ihrer be- sonderen, demokratisch verfaßten Sta- tuten überleben. Sowohl auf dem Ge- biete der staatlichen preußischen Aus- zeichnungen, unter denen eine Verleihungsurkunde der nichttragba- ren (!) goldenen Staatsmedaille z u m 80. Geburtstage Max Liebermanns 1927 u n d die Würdigung des preußischen Ministerpräsidenten aus Anlaß eines 100. Geburtstages, die mit d e m Ge- schenk einer eigens signierten Tasse aus der Staatlichen Porzellanmanufaktur verbunden war, als auch bei den Ernennungen der Mitglieder des Jo- hanniterordens kann der Verfasser mit einer Reihe seltener Dokumente auf- warten. Alle U r k u n d e n werden in Kurzkommentaren in den jeweiligen phaleristischen Rahmen gestellt. Zur Er- leichterung des Lesers w u r d e n die in deutscher Schreibschrift ausgestellten Dokumente transkribiert, leider in zahl- reichen Fällen nicht fehlerfrei. Wenn dann noch mangelhafte militärge- schichtliche Kenntnisse hinzutreten, kann leicht der weit über die Grenzen

(7)

Preußens hinaus bekannte General- stabsarzt der Armee, Johann Friedrich Goercke (1750-1822) zu »Gaercke« mu- tieren; ein Blick in die Rangliste hätte fehlende Schriftkenntnisse ersetzen können.

Auch wenn der Verfasser die Ebene ordenskundlicher Sicht nur selten ver- läßt, können die angeführten 400 Ur- kunden und Besitzzeugnisse dem hi- storisch Interessierten dennoch manche Einblicke in eine vergangene Welt des Dienens und der Pflichterfüllung ge- währen, die in streng hierarchisch ge- ordneten Kategorien im Sinne des >su- um cuique tribuere< ihren Staatsdienern den Dank des Vaterlandes auf diese subtile Weise erwies. Schopenhauers Feststellung, »Orden sind Wechsel- briefe, gezogen auf die öffentliche Mei- nung: ihr Wert beruht auf dem Kredit des Ausstellers«, läßt diesen Kredit im Hinblick auf dep preußischen Staat nicht gering erscheinen.

Karlheinz Deisenroth

Peter Wacker, Das herzoglich-nas- sauische Militär 1813-1866. Mi- litärgeschichte im Spannungs- feld von Politik, Wirtschaft und sozialen Verhältnissen eines deutschen Kleinstaates. Mit Beitr.

von Guntram Müller-Schellen- berg, Taunusstein: Schellenberg 1998, 730 S. (= Das herzoglich- naussauische Militär 1806-1866), EUR 67,50 [ISBN 3-922027-85-7]

Die Spannweite der Darstellung wird in ihrem Untertitel erkennbar. Behan- delt werden nämlich im Anschluß an die Schilderung der Situation des Her- zogtums Nassau im Jahre 1815 resp. der

»Allianz gegen Napoleon« (S. 15-82),

»Der Feldzug von 1815« (S. 85-211),

»Das Herzogtum Nassau zwischen Re- form und Reaktion« (S. 213-267), »Die

Revolution von 1848 in Nassau«

(S. 269-327), »Die Lage in Nassau bis Mitte 1849« (S. 329-389), »Die Entwick- lung von 1849 bis zum Krieg 1866«

(S. 391-435) sowie »Die herzoglich-nas- sauischen Offiziere, Militärärzte und Militärbeamten« (S. 437-474).

Was die Ausführungen vor allem in- teressant erscheinen läßt, sind Vor- kommnisse, die in einschlägigen Dar- stellungen in der Regel nur wenig Be- achtung finden - wenn überhaupt -, so die Schilderung des »Elends der Ver- wundeten« im Zusammenhang mit der Beschreibung der Schlacht von Water- loo (18.6.1815), dabei das der Kreatur bzw. der Pferde nicht aussparend. U.a.

wird vermerkt: »Die wohl erschüt- terndste Schilderung der Qualen, die in der Nacht vom 18. zum 19. Juni auf dem Schlachtfeld gelitten wurden, hat der englische Artilleriehauptmann Mercer gegeben [...] >Hier und dort saß ein arm- seliger Bursche aufrecht inmitten der zahllosen Toten, selber angestrengt da- mit beschäftigt, den Blutstrom zu stil- len, mit dem sein Leben schon fast weg- genommen war. Manche, die ich in der Nacht so gesehen habe, waren beim Morgengrauen so steif und still, wie die schon vor ihnen davongegangenen. Von Zeit zu Zeit erhob sich eine Figur halb vom Boden, um dann wieder mit einem verzweifelten Stöhnen zurückzufallen.

Andere wiederum versuchten langsam aufzustehen, um hilfesuchend über das Schlachtfeld zu wandern<« (S. 160).

Zum Leiden der verwundeten Pferde vermerkt er u.a.: »Einige lagen am Bo- den mit heraushängenden Eingeweiden und doch lebten sie noch. Diese Tiere wollten gelegentlich versuchen aufzu- stehen, aber wie ihre menschlichen Bett- genossen fielen sie rasch zurück, woll- ten ihre armen Köpfe hochheben und - während sie einen sehnsüchtigen Blick zur Seite warfen - lagen sie wieder still da, um das gleiche so lange zu wieder- holen, bis die Kraft nicht mehr vorhan-

(8)

den war und dann, ihre Augen sanft geschlossen, nach einem kurzen, krampfartigen Zucken ihre Leiden be- endeten.« (ebd.) Angesichts solchen Lei- dens und Sterben wirkt das, was in dem Abschnitt »Die Rückkehr in die Hei- mat« (S. 179-185) berichtet wird, be- fremdlich: »Am 28. Dezember [1815]

morgens halb elf Uhr versammelte sich die Division bei Morbach, um von da den Fußweg nach Wiesbaden anzutre- ten [...] Vor dem Mainzer Tor, durch das die Truppen in die Stadt marschierten, waren auf beiden Seiten der Chaussee frisch geschlagene Tannenbäume in die Erde eingelassen worden, deren Gipfel man über die Straße hinweg mit Gir- landen aus Lorbeerzweigen verbunden hatte [...] Schönes Wetter begünstigte die Feier, an der Herzog Friedrich Au- gust und Fürst Friedrich Wilhelm mit ihrem Hofstaat ebenso teilnahmen wie die Beamten, der Stadtrat und die Geist- lichkeit [...] Die Kirchenglocken läute- ten, und ein lautes >Lebehoch< begrüß- te [...] die Heimkehrer aus dem Felde.«

(S. 180 f.) Den Empfang der Soldaten sowie die aus diesem Anlaß gehaltenen pathetischen Festreden werden durch die Verfasser folgendermaßen kom- mentiert: »Taten sind [den] hehren Wor- ten allerdings kaum gefolgt, die Invali- den und die Kriegshinterbliebenen wa- ren sich selbst überlassen oder auf mildtätige Spenden angewiesen; es gab weder staatliche Renten noch enga- gierten sich der Herzog oder der Fürst, an deren Höfen nicht gerade Schmal- hans Küchenmeister war, in nennens- wertem Umfang.« (S. 182)

Die detaillierten Ausführungen, die über die Darstellung des herzoglich- nassauischen Militärs in den Jahren von 1815 bis 1866 erheblich hinausgehen, denn sie berücksichtigen auch die poli- tische, wirtschaftliche und gesellschaft- liche Entwicklung des Herzogtums, ma- chen deutlich, daß es sich in dem 5570 qkm umfassenden Territorium mit

rd. 380 000 Einwohnern um ein Staats- gebilde handelte, das im Rahmen des Deutschen Bundes, zumal unter Be- rücksichtigung Preußens und Öster- reichs, kaum mehr als eine quantite neg- ligeable darstellte, keineswegs zuletzt hinsichtlich seiner militärischen Be- deutung. Das lassen die folgenden Hin- weise eindrucksvoll deutlich werden:

»Als die Kriegsbereitschaft [1855] [...]

tatsächlich angeordnet wurde, setzte in den Kammern, Magazinen und Depots das große Zählen ein. Es zeigte sich, daß es vom Bettzeug über Feldflaschen, Feldkessel, Signalhörner, Mantelsäcke, Waffenröcke, Hosen, Sporen, Säbel und Pistolen so ziemlich an allem fehlte [...]

Am eklatantesten aber war der Fehlbe- stand an Gewehren. Nach der Bundes- kriegsverfassung mußten zwei Garni- turen bereit gehalten werden; für Nas- sau hieß das zweimal 4680 gleich 9360 Stück. An dieser Zahl fehlte zwar mit 567 nicht allzuviel, nur waren von den Reservegewehren fast zweitausend reparaturbedürftig oder völlig un- brauchbar.« (S. 408)

Konrad Fuchs

Falko Heinz, Robert E. Lee und Ulysses S. Grant. Eine Gegen- überstellung der bedeutendsten Generale des amerikanischen Bürgerkrieges, Wyk auf Föhr:

Verlag für Amerikanistik 2003, 142 S., EUR 26,00 [ISBN 3-89510- 091-9]

Sowohl über den nordamerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 als auch über dessen bedeutendste Heerführer gibt es eine Unmenge an militärhistori- scher Fachliteratur; weniger allerdings in deutscher Sprache. Nicht zuletzt des- halb ist die vorliegende Arbeit zu be- grüßen.

(9)

Die große Aufmerksamkeit, die dem nordamerikanischen Bürgerkrieg und seinen wichtigsten Akteuren in der Hi- storiographie zuteil wird, ist verständ- lich, hat doch dieses Ereignis die Ge- schichte der USA fortan geprägt. Die Spuren, die der Krieg im Bewußtsein vieler Amerikaner hinterlassen hat, so der Autor zu Recht im Vorwort, lassen sich bis heute in der US-amerikanischen Gesellschaft ausmachen. »Trotz der in- zwischen mehr als einhundertund- dreißig Jahre überschreitenden zeitlichen Distanz zu den damaligen Geschehnis- sen übt der vierjährige Waffengang zwi- schen den Nord- und Südstaaten auf den interessierten Betrachter eine unge- brochene Anziehungskraft aus und ver- mag es bis in die Gegenwart, die Gemü- ter der Zeitgenossen zu erregen und zu faszinieren« (S. 6).

Der preußische Generalfeldmar- schall Helmuth Graf von Moltke hatte einmal geäußert, daß es sich beim ame- rikanischen Bürgerkrieg um eine Aus- einandersetzung zweier zusammenge- rotteter, einander durchs Land jagender Haufen, aus der aus militärstrategischer Sicht nichts zu lernen sei, gehandelt ha- be. Daß bei genauer und nunmehr zeit- versetzter Sicht aus dem ersten moder- nen Krieg der Weltgeschichte durchaus Lehren für die Militärgeschichte, Mi- litärökonomie im besonderen, Politik und Geschichte im allgemeinen zu zie- hen sind, zeigt die vorliegende Ge- genüberstellung der beiden bedeu- tendsten Militärs des Sezessionskrieges.

Falko Heinz hat sich die Aufgabe gestellt, die Lebenswege des Südstaa- tengenerals Lee sowie des Nordstaa- tengenerals Grant unter Berücksichti- gung der Analysen ihrer politischen Persönlichkeiten, im direkten Gegen- über während der letzten Kriegsjahre nachzuzeichnen. Der Autor legt mit ei- nem interdisziplinären Ansatz eine Dar- stellung ereignisgeschichtlicher Abläu- fe des Kriegsgeschehens vor und be-

schreibt einige Schlachten, was nicht nur für den Militärhistoriker, sondern auch für die alltags-, sozial- oder men- talitätsgeschichtlich orientierten Wis- senschaftler viel Neues bringt. Denn in dem Ansatz von Heinz werden die wechselseitigen Verhältnisse zwischen Krieg, Militär und Gesellschaft ausge- leuchtet. Selbstverständlich geht er auch auf die Rolle von Führungspersönlich- keiten in einem militärischen Konflikt ein. So wird vom Verfasser herausgear- beitet, daß die Klischees über die bei- den in der Untersuchung im Mittel- punkt stehenden Generäle in Teilen überholt sind. Während Lee noch heu- te in den Südstaaten der USA eine in ih- rer Mystik ungebrochene Gestalt ist und amerikaweit als herausragende Per- sönlichkeit anerkannt wird, verblaßt das Charisma Grants allmählich.

Zu diesem Ergebnis kommt der Au- tor, nachdem er in vier Kapiteln die Schlachten des Bürgerkrieges, seine Ur- sachen, zum großen Teil auch des Ver- laufs und seiner Erinnerungen, unter- sucht hat. Zwei der Kapitel behandeln explizit die Biographie der hier im Mit- telpunkt stehenden Helden, ein weite- res kann man als »Vergleichskapitel«

bezeichnen, in dem die wichtigsten mi- litärischen und politischen Handlungen von Lee und Grant als Gegenspieler in den Jahren 1864/65 analysiert werden.

Das abschließende Kapitel beinhaltet ei- ne knapp gehaltene Schilderung der Le- benswege der beiden militärischen und politischen Gegenspieler nach Ende des Bürgerkrieges.

Der Autor hat eine beeindruckende Auswahl von Fachliteratur für seine Darstellung herangezogen, allerdings ausnahmslos gedruckte Quellen.

Ulrich van der Heyden

(10)

Paul Erker, Dampflok, Daimler, DAX. Die deutsche Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart, München: Deutsche Verlags-Anstalt 2001,334 S., EUR 18,90 [ISBN 3-421-05564-5]

Ein sehr informatives Buch mit einem schmissigen Titel ist dem Privatdozen- ten für Wirtschafts- und Sozialgeschich- te an der Ludwig-Maximilians-Univer- sität München, Paul Erker, gelungen.

Dabei erhebt er nicht den Anspruch ei- ne umfassende deutsche Wirtschaftsge- schichte vorzulegen. Vielmehr möchte er mit einer kompakten »tour d' hori- zon« durch die Wirtschaftsgeschichte Deutschlands die Bedeutung der Wirt- schaftsgeschichte den deutschen Histo- rikern wieder in das »Bewußtsein«

rufen, da Erker insgesamt einen »Trend zur Entökonomisierung der Geschich- te« konstatiert. Dies gelingt ihm zwei- felsohne, vor allem mittels einer für Ökonomen nicht üblichen, leicht ver- ständlichen Ausdrucksweise, welche die deutsche Wirtschaftsgeschichte der ver- gangenen beiden Jahrhunderte gekonnt zusammenfaßt.

Dabei stellt Erker von vornherein fest, daß er keine neuen Thesen anbie- ten will, sondern nur »eine verständli- che, knappe Zusammenfassung der vielfach verstreuten Forschungsergeb- nisse«. Sein einziger darüber hinausge- hender Anspruch ist es, Abschied zu nehmen von »einer ganzen Reihe weit- verbreiteter, liebgewonnener und un- kritisch übernommener Mythen und falscher Vorstellungen wirtschaftlicher Vorgänge«. Beides gelingt in diesem Buch in sehr ansprechender Weise, in- dem er zum Beispiel die Mären der Fol- gen des Versailler Vertrages für die deutsche Wirtschaft, der »NS-Wirt- schaftslenkung«, der Bedeutung der Ost-Flüchtlinge für die bundesdeutsche Nachkriegsentwicklung oder zur Ent- wicklung der DDR-Wirtschaft scho-

nungslos aufdeckt und in den richtigen wirtschaftshistorischen Kontext stellt.

Für die Leser, die die großen Linien der deutschen Wirtschaftsgeschichte er- kennen wollen, stellt Erker immer wie- der durch sehr gut nachvollziehbare In- terpretationen die entsprechenden Ver- knüpfungen zwischen den verschiede- nen historischen Perioden her. Probleme wie positive Entwicklungen werden im- mer wieder durch bekannte Persönlich- keiten, Unternehmen und Ereignisse konkretisiert. Dabei gelingt es Erker die Interdependenzen zwischen den öko- nomischen, gesellschaftlichen und poli- tischen Veränderungen zu verdeutli- chen. Leider können aufgrund des großen Zeitraums, der betrachtet wird, sehr interessante Themenbereiche nur kurz angerissen werden. Dafür gibt es aber am Ende eines jeden Abschnittes ein umfangreiches Literaturverzeichnis, welches auf dem Stand des Jahres 2000 keine Wünsche übrig läßt.

Dieses lesenwerte Buch gibt dem in- teressierten Leser einen kompakten Überblick über die ökonomische Ent- wicklung Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert, eben »ein Handbuch für alle, die sich einen schnellen Überblick verschaffen wollen«, ganz so wie es der Klappentext verspricht.

Dieter H. Kollmer

John Beeler, Birth of the Battle- ship. British Capital Ship Design 1870-1881, London: Chatham Publishing 2001, 224 S., £ 35 [ISBN 1-86176-167-8]

Die Dekade zwischen 1870 und 1880 galt im Hinblick auf den britischen Kriegs- schiffsbau stets als »dunkle Epoche«, die vom technischen, finanziellen und poli- tischen Konservativismus einer engstir- nigen Admiralität geprägt blieb. Die al- ten Admirale in Whitehall schienen sich

(11)

auf den Lorbeeren englischer Seesupre- matie auszuruhen und wurden von der maritimen Revolution des 19. Jahrhun- derts überrollt. Nicht zuletzt deshalb, weil einschlägige Arbeiten zum Thema fehlten, wurde der in diesen zehn Jah- ren entstandene Schiffstypenwirrwarr bislang einer konturlosen Baupolitik zu- geschrieben, die sich im raschen Wandel technischer Innovationen wie dem Uber- gang vom Holz- und Eisen- zum Stahl- schiff, der Entwicklung des Hinterladers und der Granate sowie der Einführung von Dampfmaschinen auf großen Schiffs- einheiten verlor - ein Vorwurf, der be- reits von den zeitgenössischen Medien gegeißelt und bis in Veröffentlichungen der jüngsten Zeit zum Nachteil der ober- sten Marinebehörde übernommen und ausgeweidet wurde.

John Beeler hat sich diese Kritik vor- genommen und ihr anhand ausführli- chen Aktenstudiums eine souveräne, ruhige und sachlich überzeugende Ar- beit gegenübergestellt, die sich insbe- sondere mit den spezifischen politi- schen, ökonomischen und dann auch technischen Faktoren beschäftigt, die dem Entwurf von Kriegsschiffen in je- nem vorgeblich »finsteren Mittelalter der Marine« zugrunde lagen.

Der Verfasser kann zunächst anhand eines Vergleichs internationaler Flot- tenstärken und des Flottenmaterials der Seemächte in den 1870er-Jahren her- ausarbeiten, daß das »1. Rüstungsren- nen des Industriezeitalters«, zwischen Großbritannien und Frankreich, das die Franzosen mit dem Bau der »Gloire«, dem ersten Hochseepanzerschiff, be- gonnen hatten, mit einem »kompletten englischen Sieg« (S. 20) endete. Der französischen Rüstung auf Pump stan- den die ökonomischen Ressourcen und technischen Möglichkeiten wie etwa der industriellen Werftkapazitäten sowie die Eisenproduktion Englands gegen- über. Die nachfolgenden Kapitel be- schäftigen sich mit den politischen und

finanziellen Rahmenbedingungen für die Einführung technischer Innovatio- nen, dem Übergang vom Segel- zum Dampfantrieb und insbesondere dem Festhalten am Vorderladergeschütz, das als notwendiger Kompromiß an- tiquierter Geschütz- und vorhandener Feuerleittechnik dargestellt wird. In welchem Umfang der technische Wan- del Strategie und Taktik beeinflußt hat und wie die Admiralität darauf rea- gierte, wird ebenso erörtert wie das stete im Fluß bleibende Thema des Kreuzer- baus zum Handelsschutz oder zur Er- gänzung der Aufklärungskomponente der Schlachtflotte.

Beelers These, daß die Royal Navy am Ende der 1870er Jahre sehr genau wußte, wo die Reise hinsichtlich Poli- tik, Strategie, Technik und Taktik hin- ging, ist zwar nicht neu - immerhin hat sich etwa D.K. Brown in Warrior to Dreadnought (1997) der Thematik bereits mit ähnlichen Ergebnissen angenom- men. Allerdings behandelt Brown eher die technische Seite der Materie, während Beeler Browns Ergebnisse von der politischen und ökonomischen War- te aus ergänzt und bestätigt.

Analog dieser Ergebnisse sollte auch das deutsch-britische Rüstungsrennen vor dem Ersten Weltkrieg, das die Roy- al Navy ebenso klar für sich entschied wie 30 Jahre zuvor, einer objektiveren und nüchterneren Interpretation gerade auch im Hinblick auf die Gründe des Kriegsausbruchs und des deutsch-bri- tischen Antagonismus unterliegen.

Axel Grießmer

(12)

Elisabeth Kaske, Bismarcks Mis- sionäre. Deutsche Militärin- strukteure in China 1884-1890, Wiesbaden: Harrassowitz 2000, 293 S. (= Asien- und Afrika-Stu- dien der Humboldt-Universität zu Berlin, 11), EUR 68,00 [ISBN 3-447-04615-5]

»Bismarcks Missionäre« - so nannte die britische Presse spöttisch jene Gruppe von deutschen Militärinstrukteuren, die vor dem Hintergrund des französisch- chinesischen Krieges um Tonking 1884/85 auf Initiative des chinesischen Gesandten in Berlin, Li Fengbao, ange- worben wurden, um gegenüber Frank- reich ein politisches Signal vermeintli- cher deutscher Unterstützung auszu- senden. Die Reichsregierung war ange- sichts der diplomatischen Konsequenzen des taktischen Manövers strikt gegen das Projekt eingenommen; ihr fehlte freilich die gesetzliche Handhabe, um ehemali- gen Offizieren den Eintritt in fremde Ar- meen zu verbieten. Es handelte sich mit- hin um keine offiziell sanktionierte Mi- litärmission, wie sie 1883 erstmals in das Reich der Mitte erfolgte, sondern formal um privatrechtliche Anstellungen nicht aktiver preußischer Offiziere und Unter- offiziere, die sich aus unterschiedlichen Beweggründen (siehe dazu Kap. 3) für einen mehrjährigen Dienst in China ver- pflichteten.

Die Anwerbung der insgesamt 30 deutschen Militärs und deren Dienst- antritt in China markiert den Auftakt zu Elisabeth Kaskes mikrohistorischer Studie über die »Fußsoldaten des Kul- turtransfers« (S. 11), die im Gesamtka- non der zwischen 1870 und 1914 in Chi- na tätigen über 100 deutschen Militär- und Marineinstrukteure eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Das Anliegen der Autorin ist es, das Wirken der Deutschen in China gruppensozio- logisch zu untersuchen und deren Vor- stellungen, Lebenspraxis und Vorurtei-

le mit der Modernisierungskonzeption wie den traditionellen Handlungsmu- stern der chinesischen Führungsschicht zu kontrastieren, um auf diese Weise Grenzen und Möglichkeiten des Trans- fers militärischen Fachwissens ausloten zu können.

Das Gros der eingestellten Deut- schen, die zwischen November 1884 und Januar 1885 an ihrem Bestim- mungsort eintrafen, war für die Trup- pe von Chinas »starkem Mann« Li Hongzhang bestimmt, den General- gouverneur der Hauptstadtprovinz Zhili und (ab 1875) Chef der nordchi- nesischen Küstenverteidigung. Li war der spiritus rector von Chinas militäri- scher Modernisierung und zugleich die herausragende Figur der chinesischen Diplomatie. Auf seine Anregung hin wurden in den 1870er Jahren die ersten deutschen MiHtäiinstrukteure nach Chi- na verpflichtet. Lis nordchinesische Ver- bände galten keineswegs als »traditio- nell«, sondern befanden sich im Rah- men der »Selbststärkungsbewegung«

seit den 1860er Jahren in einem Um- strukturierungsprozeß, dessen Effekt freilich nicht immer leicht erkennbar war. Eine kleinere Gruppe von Militär- beratern - die »unproblematischere«,, wie sich bald erweisen sollte - kam nach Südchina.

Über Probleme und Kritik, die aus der Konfrontation zwischen westlichen Militärangestellten und chinesischen Vorgesetzten resultierten, informiert Kap. 4. Dabei erwies sich als ein grund- legendes Problem bei der Anstellung fremder Militärexperten das komplexe Beziehungsgefüge der chinesischen Ge- sellschaft sowie der Mangel an Ratio- nalisierung der militärischen Rang- strukturen, die als inkompatibel mit westlichem Militärverständnis angese- hen wurden. Erschwerend kamen hin- zu die Konkurrenz verschiedener west- licher Modelle, was die Chinesen eher verwirrte, der Mangel an durchgrei-

(13)

fenden, landesweit einheitlichen Refor- men sowie charakterliche Merkmale der Instrukteure, deren Vorschläge vielfach ohne Bezug zur chinesischen Realität wenig sachdienlich waren. Vielen In- strukteuren mangelte es an dem nöti- gen Quantum Fingerspitzengefühl und Anpassungsbereitschaft, um bei den Chinesen Gehör zu finden. Besonders auf seiten der deutschen Offiziere zähl- ten Statusvorbehalte viel und pro- grammierten Konflikte, bei denen es um Fragen der Ehre ging, regelrecht vor.

Letztlich war offenkundig - das wird in E. Kaskes Studie gut herausgearbeitet -, daß Chinas sozio-kulturelle Infra- struktur nicht veränderbar war und vie- le, z.T. berechtigte Kritikpunkte an chi- nesischer Selbstzufriedenheit abprall- ten. Damit sind nur einige der Schwie- rigkeiten umrissen, mit denen sich die deutschen Instrukteure konfrontiert sa- hen und vor deren Hintergrund nun drei ausgewählte case studies (Kap. 5-7) das Wirken der Militärs vor Ort unter die Lupe nehmen.

Als notorischer Unruhestifter galt Korvettenkapitän Sebelin, der als »Lei- ter der chinesischen Küstenverteidi- gung« vorgesehen war, aber ab 1885 an der Militärschule in Tientsin lehrte.

Deutschen wie Chinesen gleichermaßen waren seine Skandale, sein taktloses Verhalten und seine Kompetenzstreite- reien verhaßt, so daß er bereits im Som- mer 1886 wegen Unfähigkeit entlassen wurde. Als Leiter des Unterrichts der neu gegründeten Militärschule in Ti- entsin wurde Major Pauli eingestellt, ein zu pathetischem Auftreten neigen- der Offizier, der wegen einer geschei- terten geschäftlichen Beteiligung an ei- ner Bäckerei in ΉθηΐΒΪη den Spitznamen

»General Boulanger« trug. Pauli ver- zettelte sich nicht nur in aussichtslosem Kompetenzgerangel mit seinen chine- sischen Vorgesetzten, er lag auch mit der deutschen Gesellschaft in Tientsin und dem deutschen Gesandten in Pe-

king über Kreuz und schied im Jahre 1889 aus chinesischen Diensten. Das ge- naue Gegenteil von Sebelin und Pauli verkörperte der Marineoffizier Ernst Kretzschmar, der zuletzt an der Kieler Torpedoschule unterrichtet hatte. Elf Jahre lang (1884-1895) leitete Kretz- schmar ohne größere Friktionen das Seeminen- und Torpedo-Department in Whampoa bei Kanton, das - rück- blickend betrachtet - als »die große Er- folgsgeschichte der deutschen Instruk- teure in China« gelten darf (S. 30).

Die heutige (chinesische) Sicht der Ausländerbeschäftigung ist, wie aus Kap. 8 hervorgeht, eher kritisch. Sie gel- ten als zu teuer und zu schwer kon- trollierbar, wobei zu beachten ist, daß die »Zügelung« der Fremden, also de- ren Integration in bestehende hierar- chische Strukturen, eine wichtige chi- nesische Führungsqualität darstellte. E.

Kaske kommt jedoch zu einem eher ab- wägenden Urteil der 1884/85er »Mis- sionäre«, von denen einige im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchaus ordentli- che Arbeit geleistet haben, und das trotz unrealistischer Erwartungen auf beiden Seiten und menschlicher Schwächen so- wie des recht massiven Widerstands der deutschen Diplomatie und der Intrigen einflußreicher deutscher Residenten. In- sofern kann die Mission schwerlich als gescheitert gelten, wie die Autorin rich- tig erkennt, da keine konkreten Vorga- ben existierten, die hätten erfüllt wer- den sollen.

Unter dem Strich blieb die Wirkung der deutschen Militärmission gering, denn nur die beiden Militärschulen in Tientsin und Whampoa überdauerten deren Tätigkeit. Generell wird man wohl den personellen Faktor als ent- scheidend ansehen müssen; geschmei- digere Charaktere wie Kretzschmar hat- ten es einfacher, Erfolge für sich zu ver- buchen. Auf ihrer Karriereleiter blieb der China-Aufenthalt für die Offiziere und Unteroffiziere eine Episode; er

(14)

berührte deren kulturelle Identität wie deren recht negatives Chinabild kaum.

Dazu waren wohl die Dauer des Auf- enthalts zu kurz und die kulturelle Überheblichkeit zu ausgeprägt. Einige der »Missionäre« blieben nach Ablauf ihres Vertrages China zwar indirekt ver- bunden, doch einzig Ernst Kretzschmar blieb mit Unterbrechung bis ins 20. Jahr- hundert hinein in chinesischen Diensten.

Basierend auf der Auswertung deut- scher und chinesischer Quellen, fertigt die Autorin ein anregendes, stimmiges und kritisches Porträt deutscher Mi- litärinstrukteure im China des späten 19. Jahrhunderts an und beleuchtet de- ren begrenzte Wirkungsmöglichkeiten in einer fremden, nicht immer leicht zu- gänglichen Umgebimg. Ein großes Ver- dienst dieser mikrohistorischen Analy- se, die aus einer Dissertation an der Ber- liner Humboldt-Universität resultiert, ist, daß sie mit sensiblem Gespür auf die , Problematik der Trias von Moder- nisierung, Kultur und Identität verwie- sen und wichtige Befunde aus Einzel- untersuchungen herauspräpariert hat, die nicht nur für die Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen Gül- tigkeit besitzen.

Rolf-Harald Wippich

Gerald D. Feldman, Hugo Stinnes.

Biographie eines Industriellen 1870—1924. Aus dem Engl, übersetzt von Karl Heinz Silber, München: Beck 1998, XI, 1062 S., EUR 29,90 [ISBN 3-406-43582-3]

In den vergangenen Jahren hat es in der deutschen Öffentlichkeit aufgrund ak- tueller Anlässe immer wieder intensi- ve Diskussionen über das Verhältnis von Politik und Wirtschaft gegeben. Der.

renommierte amerikanische Unterneh- menshistoriker Gerald D. Feldman hat mit dieser umfangreichen Biographie

über den Großunternehmer Hugo Stin- nes einen sehr interessanten, aber lei- der nur in Fachkreisen beachteten Bei- trag zu dieser Diskussion geleistet.

Hierfür ist es Feldman gelungen, erstmalig Zugang zu den Unterlagen der Familie Stinnes zu erhalten. Insbe- sondere das Tagebuch von Hugo Stin- nes' Ehefrau Ciaire erwies sich als wich- tiger. Baustein für das Verständnis der Persönlichkeit eines der bedeutendsten deutschen Unternehmer. Die Haupt- frage, die der Autor dabei verfolgt, lau- tet: Wie setzt sich ökonomische in poli- tische Macht um? Dabei lotet er die Brüche im Verhältnis von Politik und Ökonomie aus, um exemplarisch am Beispiel von Hugo Stinnes die Stärken und Schwächen der rheinisch-westfäli- schen Großindustriellen dieser Zeit auf- zuzeigen. Insbesondere die Verflech- tung seines Unternehmens mit anderen Wirtschaftsbereichen und der langsame Aufbau einer gemischtwirtschaftlichen Kartellstruktur verdeutlichen die radi- kalen und volkswirtschaftlich ruinösen Verwerfungen der ökonomischen Ent- wicklung im Deutschen Reich im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts.

Stinnes ist für Feldman das Beispiel für die Entwicklung des Deutschen Rei- ches in dieser Zeit, da sein fulminanter Aufstieg und der ebenso radikale Ab- sturz seines Konzerns dies geradezu idealtypisch versinnbildlichen. Sogar im Ersten Weltkrieg vollzieht Stinnes den Weg seiner Nation nach. Er begibt sich in den politischen Raum (wie vie- le Militärs auch) und glaubt, seine wirt- schaftlichen Rezepte auf die Politik an- wenden zu können. Bekanntermaßen war dieser Ansatz, dem auch andere große deutsche Unternehmer folgten (Krupp, Thyssen, Rathenau), ein Irrweg, der den Weg in die Katastrophe unter- stützte. Feldman entschuldigt dies, da Stinnes nur in ökonomischen Kategori- en denken konnte. Auf rund 170 Seiten beschäftigt sich Feldman mit der Ein-

(15)

flußnahme des Großindustriellen auf die Entwicklung des Ersten Weltkrie- ges und wirft am Ende die Frage auf, ob es überhaupt sinnvoll war, daß sich Stinnes so intensiv in die Steuerung des Krieges eingemischt hat? Eine Frage, die in Anbetracht des Kriegsergebnis- ses nur negiert werden kann.

Seine Ablehnung des Versailler Ver- trages teilte er mit den meisten Wirt- schaftsführern der Weimarer Republik.

Trotzdem nutzte er die Folgen dessel- ben intensiv zum Vorteil seines Kon- zerns aus. Kleinere, negativ betroffene Unternehmen, die in seine Konzern- struktur paßten, wurden günstig auf- gekauft und die Angebotspalette des Stinnes-Konzerns erheblich ausgewei- tet, da Stinnes während des Krieges sei- ne Kapitalbasis beachtlich erhöht hatte.

Der Autor sieht in ihm deshalb einer- seits den sogenannten »König der In- flation«, beklagt aber andererseits, daß er nicht in der Lage gewesen sei, in der besonderen Situation der Weimarer Re- publik, die politischen Handlungs- spielräume die sich ihm boten, ange- messen auszufüllen.

Dennoch zeichnet Feldmans Bio- graphie breit und farbig das Bild eines kreativen und dynamischen, weitsich- tigen und risikobereiten Unternehmers.

Dieses Buch schließt zweifelsohne eine große Lücke in der deutschen Ge- schichtsschreibung und wird über kurz oder lang zur Standardliteratur der deutschen Unternehmensgeschichte gehören. In seiner Liebe für das Detail schafft der Autor dem geneigten Leser einen sehr interessanten Einblick in die Welt der Großindustriellen im Deut- schen Reich vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg. Leider verfängt sich Feldman am Ende des Buches noch in Spekulationen, wie sich die Weima- rer Republik weiterentwickelt hätte, wenn Hugo Stinnes nicht schon im Al- ter von nur 54 Jahren im Jahre ,1924 ver- storben wäre. Diese Mutmaßungen er-

innern sehr an die Spekulationen, die immer wieder im Zusammenhang mit dem frühen Tod von Gustav Strese- mann und der weiteren Entwicklung der ersten deutschen Demokratie be- trieben werden.

Dieter H. Kollmer

Peter Abbott, Armies in East Africa 1914-1918. Illustrated by Raffaele Ruggeri, Oxford:

Osprey 2002, 48 S. (= Men-at- Arms, 379), £ 8,99 [ISBN 1-84176- 489-2]

Erstaunlicherweise ist der Kampf um Deutsch-Ostafrika während des Ersten Weltkriegs in den USA und Großbri- tannien populärer als in Deutschland.

Das hängt vor allem mit der Person Paul von Lettow-Vorbecks, dem Kom- mandeur der »Kaiserlichen Schutz- truppe« in der Kolonie, zusammen, der gerade in diesen Ländern oft in einem Atemzug mit dem legendären »Wü- stenfuchs« Erwin Rommel genannt wird. Besonders Lettow-Vorbecks Art der Kriegführung imponiert vielen bis heute. So ist es auch nicht verwunder- lich, daß im englischsprachigen Raum immer wieder Bücher zu diesem The- ma erscheinen, die allerdings selten ei- nen wissenschaftlichen Anspruch ha- ben, sondern sich eher an ein breites Pu- blikum richten. Auch das hier anzuzei- gende Werk ist da keiiie Ausnahme. Es befaßt sich schwerpunktmäßig mit der Uniformierung und der Ausrüstung der an den Kämpfen beteiligten Streitkräf- te aus Belgien, Deutschland, Großbri- tannien und Portugal.

Auf acht Seiten werden insgesamt 37 verschiedene Soldaten der unter- schiedlichsten Einheiten vorgestellt, die von dem Italiener Raffaele Ruggeri in Farbe und mit viel Liebe zum Detail ge- malt würden. Den britischen Kolonial-

(16)

streitkräften, die zwischen 1914 und 1918 zahlenmäßig auch das größte Kon- tingent stellten, werden dabei vier Sei- ten eingeräumt, den deutschen zwei, den belgischen und portugiesischen je- weils eine Seite. Jede Illustration wird ausführlich beschrieben und kommen- tiert, wobei auch auf Besonderheiten und Abweichungen von der vor- schriftsmäßigen Uniform hingewiesen wird. Ergänzt wird das alles durch den Abdruck zahlreicher Fotos vom ost- afrikanischen Kriegsschauplatz. Beson- ders interessant sind dabei die Abbil- dungen von der belgischen »Force Pu- blique« und der portugiesischen Kolo- nialarmee, von der Aufnahmen recht selten sind, während die der Schutz- truppe nicht viel Neues bieten und schon in vielen anderen Publikationen zu sehen waren.

Eingeleitet wird der schmale Band mit einer kurzen Einführung in den strategischen Hintergrund des Konflikts sowie einer Beschreibung der beteilig- ten Streitkräfte bei Kriegsausbruch: ih- rer Stärke, Bewaffnung, Gliederung, Uniformierung usw. Es folgt eine knap- pe, aber solide Darstellung der Kämp- fe in Ostafrika, die der Autor in drei Phasen unterteilt: die Phase des gegen- seitigen Abtastens 1914/1915, die alli- ierte Offensive 1916, die die Deutschen zur Aufgabe großer Teile der Kolonie zwang, sowie der Bewegungskrieg 1917/1918, in dem es Lettow-Vorbeck immer wieder gelang, sich den alliierten Truppen zu entziehen und dabei mit den Resten der Schutztruppe weit nach Portugiesisch-Ostafrika einzudringen.

Abgerundet wird der Textteil durch ei- ne Zeittafel mit den wichtigsten Ereig- nissen, wobei sich über die Auswahl der Daten natürlich trefflich streiten ließe, sowie einer kurzen Aufstellung der verwendeten, meist englischspra- chigen Literatur.

Leider ist das Buch nicht ganz frei von Fehlern, was die Darstellung der

Schutztruppe betrifft. 1914 gab es nicht zwei afrikanische Offiziere pro Kom- panie (S. 6), sondern zwei Effendi ins- gesamt. In Britisch-Südafrika sind nie afrikanische Söldner für die Schutz- truppe rekrutiert worden, diese An- werbung fand vielmehr in Portugie- sisch-Ostafrika statt (S. 6). Und die mei- sten weißen Angehörigen dienten nicht viel länger als eine Verpflichtungsperi- ode, wie der Autor behauptet (S. 6). Zu- mindest bei den Offizieren ist genau das Gegenteil der Fall. Nur 12 Prozent blie- ben drei bis vier Dienstzeiten in der Ko- lonie. Zu kritisieren ist auch die recht einseitige Beurteilung der Person Paul von Lettow-Vorbecks. Während seine militärischen Verdienste gebührend her- ausgestrichen werden, verharmlost der Autor seine unrühmliche Rolle in der Weimarer Republik. So erfährt man zwar, daß er für kurze Zeit ein Freikorps geführt hat, seine Beteiligung am Kapp- Putsch 1920 wird allerdings verschwie- gen. Uniformliebhaber wird das nicht stören. Sie werden von dem anspre- chend gestalteten Buch begeistert sein.

Thomas Morlang

Gefangen in Sibirien. Tagebuch ei- nes ostpreußischen Mädchens 1914-1920. Hrsg. von Karin Borck und Lothar Kölm, Osna- brück: fibre 2001, 273 S., EUR 25-.[ISBN 3-929759-67-5]

Mit der Veröffentlichung des Tagebu- ches von Elisabeth Sczuka lenken die beiden Herausgeber die Aufmerksam- keit auf eine Episode des Ersten Welt- kriegs, die bisher kaum Beachtung ge- funden hat. Infolge der Konzentration aller Kräfte im Westen konnten die Rus- sen im August 1914 Ostpreußen beset- zen. Bevor sie dann im Herbst das Ge- biet wieder räumten, deportierten sie ca. 11 000 Zivilisten - darunter auch

(17)

Kinder - als »Kriegsgefangene ohne mi- litärischen Rang« nach Rußland. Zu ih- nen gehörte auch die Familie Sczuka - ein verwitweter Vater, 2 Töchter im Kin- desalter, eine jugendliche Nichte und eine Haushälterin. Nach einer einmo- natigen Bahnfahrt über 5000 km trafen sie im Kriegsgefangenenlager Krasno- jarsk in Sibirien ein. Im Winter 1914/15 starben dort ca. 1300 der insgesamt 8000 Gefangenen vorwiegend an Seuchen.

Trotz des Friedens von Brest-Litovsk konnte die Familie wegen des russi- schen Bürgerkriegs nicht bereits 1918, sondern erst im Jahr 1920 heimkehren.

Immerhin hatten alle Familienan- gehörigen überlebt. Ihr persönlicher Be- sitz war bereits bei Kriegsbeginn ver- brannt, als die Russen das Schulhaus anzündeten, in dem die Familie lebte.

Statt mit offenen Armen empfangen zu werden, wurde der Vater nach seiner Rückkehr als »Russenfreund« denun- ziert. Erst nach längeren Untersuchun- gen konnte er - inzwischen rehabilitiert - seinem Beruf als Lehrer wieder nach- gehen.

Den wesentlichen Teil der Publika- tion macht das Tagebuch von Elisabeth Sczuka für die Zeit vom September 1914 bis August 1919 aus, gefolgt von einem Bericht des Vaters für den restlichen Zeitraum. Die Hauptautorin Elisabeth war 10 Jahre alt, als sie zu schreiben be- gann - veröffentlichte Tagebücher von Kindern sind sehr selten. Wer nun eine kindertypische Berichtsweise erwartet, wird enttäuscht. Der Vater, von Beruf Volksschullehrer, hatte allen Kindern gezielt als Bewältigungsstrategie für ih- re Erlebnisse das Tagebuchschreiben verordnet. Das scheint sich auch auf die Darstellungweise ausgewirkt zu haben;

Elisabeth beschreibt ihre Erlebnisse weitgehend emotionsfrei, quasi als Chronistin. Hierzu eine Leseprobe; un- ter dem Datum vom 3.6.1915 (S. 44) ist vermerkt: »Es starben am Tag zwanzig bis 30 Menschen [...] Es sind hier und

in der Stadt 1300 Menschen gestorben.«

Auf S. 82 heißt es dann unter dem 24.9.1915: »Letzteres ist nicht ganz rich- tig. Im Januar starben 40 Gefangene, im Februar 85, im März 239, im April 361 [...]« Die Fleckfieberepidemie war zwar

»furchtbar«, aber persönliche Empfin- dungen oder Erlebnisse werden nicht beschrieben. Dafür erfährt man ande- res, waren doch die Zivilgefangenen oft gemeinsam mit den gefangenen Solda- ten untergebracht. Interessant be- schreibt Sczuka das Leben in der Ge- fangenschaft, das sich von dem im westlichen Gewahrsam deutlich unter- schied. So fühlte sich die russische Re- gierung nicht verpflichtet, die Unter- künfte mit Möbeln auszustatten - mit der Konsequenz, daß die Gefangenen sie sich selbst beschaffen mußten. Wur- den sie dann von einem Lager zu einem anderen verlegt, traten sie an mit all ih- rer Habe, darunter eben auch Tisch und Stuhl. Ein anderer Aspekt, der in der Forschung bisher wenig beachtet, hier aber anschaulich beschrieben ist, waren die Hilfestellungen für die Gefangenen durch die Rotkreuz-Delegierten, unter denen Elsa Brändström die bekannte- ste war.

Eine profunde Einführung und ein umfangreicher Anmerkungsapparat runden die Berichte ab. Den Herausge- bern ist dafür zu danken, daß sie mit ihrem Band dazu beigetragen haben, das Schicksal der zivildeportierten Deutschen im Ersten Weltkrieg vor dem Vergessen zu bewahren.

Rüdiger Overmans

(18)

Documents Dvplomatiques Franqais 1915. Τ. 1:1 janvier-25 mai. Ed.:

Ministere des Affaires Etran- geres, Bruxelles, Bern, Berlin, Frankfurt a.M., New York, Wien:

Lang 2002, LXX, 988 S., EUR 38,50 [ISBN 90-5201-970-3]

Der zweite Band der 1999 begonnenen Serie, welche die französische Außen- politik im Ersten Weltkrieg dokumen- tieren soll (vgl. meine Rezension in: Mi- litärgeschichtliche Zeitschrift 61/2002, S. 279-282; mit Hinweisen zum Kon- zept der Reihe), behandelt das erste Halbjahr des zweiten Kriegsjahres. Das Herausgeberteam unter der Leitung von Claude Montant, Universitätspro- fessor und Direktor für Forschung und Lehre an der Militärhochschule von St.

Cyr-Coequidan, präsentiert neben ei- ner Einleitung und dem reihenüblichen ausgezeichneten über vierzigseitigen geographisch-thematisch gegliederten Verzeichnis 687 in chronologischer Rei- henfolge abgedruckte Dokumente. Der Band endet mit dem 25. Mai, dem Kriegseintritt Italiens und dem Ab- schluß des chinesisch-japanischen Ver- trages (Dok. 687), zwei Ereignisse, die von größter politisch-militärischer Be- deutung waren und die globale Aus- breitung des Konfliktes widerspiegeln.

Insbesondere die Frage der italieni- schen Neutralität bzw. deren Aufgabe stellt eines der großen Themen des Ban- des dar. Der diesbezügliche Verhand- lungsmarathon war für die französische Diplomatie eine außergewöhnliche Ner- venprobe. Frankreichs Botschafter Barrere hatte noch am 15. Mai nach dem Regierungswechsel in Rom ernste Zweifel hinsichtlich eines Kriegseintritts Italiens (Nr. 617: Telegramm an Außen- minister Delcasse). Insgesamt ist diese Frage zwar schon ausführlich in ein- schlägigen Studien aufgearbeitet, aber die Lektüre der amtlichen Akten ist dennoch aufschlußreich, weil sie aus

der Optik der Pariser Diplomatie eine Zusammeixschau der komplizierten Probleme der Kriegspolitik im ersten Jahr des Konfliktes erlaubt. Die Balkan- interessen der Ententemächte wurden durch Forderungen Roms tangiert. In- teressendivergenzen zwischen Rußland, Großbritannien und Frankreich zeich- neten sich ab. Serbische, von Rußland unterstützte Bestrebungen an der Adria- küste standen quer zu italienischen Interessen, denen London und Paris nachzugeben bereit waren.

Das Ganze wurde kompliziert durch das erkennbar unterschiedlich akzen- tuierte Bestreben der Alliierten, die Bal- kanstaaten aus ihrer Neutralität her- auszulocken. Dabei richtete Rußland sein Augenmerk auf Bulgarien, die Bri- ten auf Griechenland. Dessen von den Westmächten erwünschte Teilnahme an der Dardanellenoperation widerstreb- te wiederum den Russen. Gerade die Dardanellenoperation ließ nicht nur die machtpolitischen Interessendivergen- zen bei einer Neuordnung des Balkans in einer späteren Friedensregelung und der Aufteilung des Osmanischen Rei- ches zutage treten, sondern auch die Probleme einer Koalitionsführung auf der operativen Ebene. Die Frage eines einheitlichen Kommandos bei dieser Operation wie auch bei der Eroberung deutscher Kolonialgebiete in Afrika wurde schon früh zum Problem unter den Alüierten. Eine große Zahl von Do- kumenten verweist auf den gesamtge- sellschaftlichen Charakter des Krieges.

Dieser spiegelt sich in den, im Sachin- dex vorbildlich aufgeschlüsselten Pro- blemen um die Blockade (hier ist das Gewicht der USA als des mächtigsten Neutralen, der dezidiert für freien Welt- handel und uneingeschränkte Schiff- fahrt eintrat, bemerkenswert doku- mentiert), in der Munitions- und Le- bensmittelversorgung und in der Kriegspropaganda, bei deren ent- schlossener Anwendung manche Di-

(19)

plomaten noch einige Schwierigkeiten hatten.

Während der Krieg an der Westfront in jenen Monaten in die strategische Sackgasse eines verlustreichen Stel- lungskrieges, des »guerre des tranchees«, einzumünden begann, steigerten sich die Aktivität und der Aktionsradius der französischen Kriegsdiplomatie. Die Probleme, die der Konflikt aufwarf, wurden - wie dieser Band eindrucks- voll zeigt - komplexer, die Zahl der in ihn direkt oder indirekt einbezogenen Staaten größer. Mit Recht stellt der Her- ausgeber daher in der Einleitung fest:

»On s'achemine vers une reelle mon- dialisation du conflit.«

Klaus-Jürgen Müller

Klaus-Dieter Weber, Das Büro des Reichspräsidenten 1919-1934. Ei- ne politisch-administrative In- stitution in Kontinuität und Wandel, Frankfurt a.M., Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Ox- ford, Wien: Lang 2001, 516 S.

(= Europäische Hochschul- schriften: Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 891), EUR 75,- [ISBN 3-631- 36883-6]

Das »Oberste Notariat des Reiches«

ist Gegenstand der vorliegenden Stu- die. Das Büro des Reichspräsidenten, auch Reichspräsidialamt genannt, lag im Gravitationszentrum der Weimarer Republik. Nur hier konnte sich unge- stört von der parteipolitischen Dauer- krise der ersten deutschen Republik ein Kontinuum entwickeln, das in der politischen Struktur der Zeit fast uner- reicht blieb - vielleicht vom Auswärti- gen Amt abgesehen. Klaus-Dieter We- ber ist der erste, der sich dieser zentra- len Einrichtung grundlegend widmet.

Weber stellt das Amt in seiner Ent- stehungsphase ausführlich vor. Win- keladvokaten unter den Verfassungs- rechtlern und Parteipolitikern zogen an verschiedenen Stränge, und jede Partei versüchte bei der verfassunggebenden Nationalversammlung auch das Amt des Reichspräsidenten nach ihren Vor- stellungen zu prägen.

In der Phase der Konstitution der Weimarer Demokratie und ihrer Verfas- sung zeigte sich schnell, daß die Perso- nen im Amt den Geist des Amtes präg- ten: Rudolf Nadolny, Diplomat und er- ster Bürochef, war noch mit den Bana- litäten befaßt: Dienstsitz im Schloß oder Villa in der Wilhelmstraße? Sein erster enger Mitarbeiter und späterer Nachfol- ger Otto Meissner, der es schaffte allen Präsidenten und dem »Böhmischen Ge- freiten« Hitler zu dienen, kam erst 1920 dazu, sich seine Aufgaben zu geben. Der erste Mitarbeiter des Reichspräsidenten konnte sich selbst einen Aufgabenkata- log erstellten! (S. 147) Wo gab es das sonst in deutscher Bürpkratie?

Weber geht über die unterschiedli- chen Präsidenten und ihr Amtsver- ständnis schnell hinweg und erarbeitet die einzelnen Arbeitsgebiete nach sach- lichen Aspekten, so daß immer mehr Otto Meissner in den Mittelpunkt der Studie gerät und die Präsidenten ei- gentlich nur den Hintergrund für das liefern, was Meissner anstrebte und fak- tisch auch nach dem Tod Eberts er- reichte: Das Reichspräsidialamt war die Machtzentrale des deutschen Reiches.

Von ihm ging alle Macht aus. Und Ot- to Meissner bediente die Hebel (S. 157).

Das bedeutete, daß Meissner direkt mit den Ministern in Vertretung Hinden- burgs Verbindung hielt, und so immer einflußreicher wurde (S. 174 f.).

Als Hindenburg Reichspräsident wurde, verselbständigte sich der Ar- beitsstil des Büros. Ebert agierte, Hin- denburg reagierte. Wohl auch deswe- gen konnte sich die Kamarilla aus Ver-

(20)

tretern der Wirtschaft, des Militärs und des Landadels bei Hindenburg piazie- ren. Er war dafür empfänglich und Meissner bereitete ihnen den Zugang zum Feldmarschall-Reichspräsidenten.

Ausführliche Beschreibungen der Veränderungen des Protokolls und des Zeremoniells in den Amtszeiten der bei- den Präsidenten, ihrer Tätigkeit in Gna- densachen, ihrer Mitwirkung an offi- ziöser Geschichtsschreibung (S. 225-229) und ein verfassungsrechtlich üppiges, aber nicht einfach zu durchschauendes Kapitel zur Notverordnungspraxis der ausgehenden Republik (S. 336-412!) runden das Bild ab.

Das Büro des Reichspräsidenten war eine effizient arbeitende Dienststelle, die trotz nahezu ständiger Unterbeset- zung im Stillen am Räderwerk der Wei- marer Republik mitdrehte. Selbst im Übergang zu Hitler scherte Meissner nicht aus. Nicht nur dessen Inthroni- sierung, trotz früherer Vorbehalte, son- dern auch die »Niederschlagung der Röhm-Revolte« hat der todgeweihte Hindenburg dank der Zuarbeit seines Staatsekretärs geräuschlos abgenickt.

Als Folge verlor Meissner jedoch die machtpolitisch bedeutsamen Arbeits- gebiete (Gnadensachen, politische Kor- respondenz des »Führers«) an die Reichskanzlei und ihren Staatsekretär Heinrich Lammers.

Woran lag dies? Weber liefert fol- gende schlüssige Erklärung: »Der Per- fektionsdrang der Weimarer Verfassung mit ihrer Mischung aus präsidialen und parlamentarischen Elementen begün- stigte eine Entwicklung, die diejenigen Vertreter der Bürokratie, die zwischen Administration und Politik angesiedelt waren, aufgrund ihrer Fachkenntnis und der steigenden Akzeptanz bei vie- len Parteipolitikern immer mehr als die eigentlichen >Macher< erscheinen ließ, auch wenn sie selber nur selten ins Licht der Öffentlichkeit traten.« (S. 199) Und

»der Macher« war Otto Meissner. Hin-

ter ihm und der Fassade der Präsidial- bürokratie verschwand die wirkliche Macht des Reichspräsidenten und sei- nes »Büros« für den Historiker. Und Weber hat nun mit 500 Seiten Licht ins Dunkel gebracht. Er hätte einen re- nommierten Verlag verdient.

Heiner Möllers

Documents Diplomatiques Frangais 1939.3 septembre - 31 decembre.

Ed. par Ministere des Affaires Etrangeres, Bruxelles, Bern, Ber- lin, Frankfürt a.M., New York, Wien: Lang 2002, LX, 943 S., [ISBN 90-5201-968-1]

Nunmehr liegt der erste Band der fran- zösischen diplomatischen Aktenpubli- kation für die Zeit des Zweiten Welt- krieges vor. Diese Serie setzt die von Maurice Beaumont und Jean-Baptiste Duroselle publizierten Bände der Zeit von 1932 bis 1939 fort. Für die Publi- kation ist eine kleine Equipe unter der Leitung des bekannten Historikers und Amerikaspezialisten der Universite de Paris I Sorbonne-Pantheon Andre Kas- pi verantwortlich. Der vorliegende Band umfaßt die drei ersten Kriegs- monate vom Kriegseintritt Frankreichs am 3. September, um 17 Uhr, bis zum Ende des Jahres 1939. Da vor dem deut- schen Einmarsch in Paris im Juni 1940 wichtige Teile des Archivs des Quai d'Orsay vernichtet worden sind, muß- ten die diesen Zeitraum betreffende Dokumentation aus den Beständen der französischen Auslandsmissionen und anderer Behörden mühselig rekon- struiert werden. Allerdings konnte der diplomatische Telegrammwechsel nicht vollständig wiederhergestellt werden.

Auf einen Wiederabdruck der schon 1979 von Frangois Bedarida veröffent- lichten Protokolle des interalliierten Obersten Kriegsrates (La Strategie

(21)

secrete de la drole de guerre) wurde sinnvoller Weise verzichtet. Wohl hat Jean-Baptiste Duroselle in seiner großen Darstellung (L'Abime 1939- 1945, Paris 1982) bereits eine Analyse der französischen Diplomatie der Kriegszeit auf der Grundlage der er- reichbaren französischen Quellen vor- gelegt. Dennoch ist die vorliegende Do- kumentation mit ihren 439 Dokumen- ten unverzichtbar.

Die chronologisch abgedruckten, durch einen systematischen Index vor- züglich erschlossenen Dokumente zei- gen, wie schwierig es war, die Stand- punkte Londons und Paris' auf einen Nenner zu bringen, zeigen auch welche Probleme sich bei der Abstimmung von politischer, militärischer und wirt- schaftlicher Kriegführung unter den Al- liierten ergaben, ganz zu schweigen von der Kriegszieldebatte, die Paris im Ge- gensatz zu London sofort beginnen wollte. Die Briten erfaßten den Konflikt von Anfang an in seinen globalen Di- mensionen> die französische Seite be- trachtete ihn eher unter europäischen Aspekten und mit Blick auf die Siche- rung französischen Territoriums. Ge- fährlicher Konfliktstoff deutete sich da- mit schon für den Fall militärischer Rückschläge an.

Das Schicksal Polens bewegte Paris nicht allzu sehr. Die Sowjetunion stand im Mittelpunkt der Erwägungen der französischen Diplomatie. Die Doku- mente zeigen, wie schwierig es für die Westmächte nach dem Hitler-Stalin- Pakt war, die internationale Entwick- lung zutreffend einzuschätzen. Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Ostpolen hoffte mari in Paris, daß Ita- lien und Japan sich von Berlin distan- zieren würden. Ebenso rechnete man damit, daß Finnland dem sowjetischen Druck weichen würde. So kam der mit der sowjetische Offensive vom 30. No- vember beginnende finno-sowjetische Winterkrieg für die französische Diplo-

matie völlig überraschend. Im Gegen- satz zum Votum des französischen Bot- schafters in Moskau, der das stalinisti- sche Regime für genauso verwerflich hielt wie Hitler-Deutschland, setzten sich die Briten mit ihrem Bestreben durch, einen formellen Bruch mit der UdSSR zu vermeiden. Paris wiederum war intensiv bestrebt, Italiens und Spa- niens Neutralität auch um den Preis er- heblicher Konzessionen, nicht zuletzt auf dem Balkan, zu erhalten. Die Tür- kei im geostrategischen Schnittpunkt zwischen Nahost, Balkan und der So- wjetunion gewann für die französische Diplomatie außergewöhnliche Bedeu- tung.

In dieser Phase intensivierte Paris nicht nur wegen dör polnischen Tragö- die und der Sicherung der italienischen Neutralität auch seine Kontakte mit dem Heiligen Stuhl. Der Quai d'Orsay bemühte sich nachdrücklich, den Papst zu einer Stellungnahme gegen die deut- sche Aggression zu veranlassen. Die En- zyklika Summi Pontificatus (27. Okto- ber 1939) mit ihrer Verurteilung von Na- tionalismus, Staatsvergottung und To- talitarismus entsprach indessen nicht vollständig den alliierten Erwartungen, dennoch versuchten die Westmächte, sie publizistisch auszunutzen. Bemer- kenswert ist der in den Depeschen der französischen Vatikanbotschaft zum Ausdruck kommende Wandel der vati- kanischen Lagebeurteilung während dieser ersten Kriegsmonate.

Die Lektüre des Bandes bestätigt die zwei Schlußfolgerungen, welche die Be- arbeiter aus der Dokumentation für die ersten vier Monate des Krieges ziehen:

erstens daß die französische Diploma- tie in erheblichem Maße auf die Orien- tierung der politischen und militäri- schen Entscheidungsträger einzuwir- ken vermochte, und zweitens daß der Erste Weltkrieg noch im Denken der Di- plomaten präsent war.

Klaus-Jürgen Müller

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Ein erster Gedankengang widmet sich der Kurpfalz, wo die lutherische Kirchen- ordnung von 1556 im Jahr 1563 im Sinne der reformierten Lehre

Trotz der vorhergesagten etwas steigenden Temperaturen, aber immer noch kühlen Witterung ist der Ve- getationsbeginn und damit der optimale Zeitpunkt der ersten Düngegabe noch

Während das Düsseldorfer Muse- um Kunst Palast seine Arbeiten auf Papier, Aquarelle und Zeichnungen präsentiert, zeigt das Wilhelm Lehmbruck Museum in Duisburg das bildplastische

„Fürstin Gloria“, wie sie normalerweise genannt wird (und was eigentlich falsch ist, denn der Adelstitel ist seit 1919 nur noch Teil des Nachnamens) könnte nicht mal ein Auto auf

An den Vor- lesungen beteiligen sich Internisten, Chirurgen, Anästhesisten, Pädiater und Biochemiker Die DGEM be- müht sich, ähnliche Vorlesungen für das Wintersemester 1992/93 an

Gemeinsame Forderungen der Krankenkassenverbände zur Struk- turreform; Koalitionsvereinbarung) zeigte Professor Sewering auf, was sich wie ein „roter Faden&#34; durch al- le

So wurde in einer Studie gezeigt, dass, im Vergleich mit selbst- oder windbestäubten Früchten, durch Bienen bestäubte Erdbeeren schwerer sind, weniger

Aus den verschiedenen Quellen läßt sich deutlich erkennen, daß die patriotische Hingabe der Bevölkerung für den Krieg gegen Frankreich keineswegs so ge- schlossen auftrat, wie dies