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Wido Mosen

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Gaston Bouthoul, Rene Carrere: Le defi de la guerre (1740-1974). Deux siecles de guer- res et de revolutions. Collaboration: Jean- Louis Annequin. Paris: Presses Universitai- res de France 1976. 223 S. ( = L'historien.

26.) ( = Collection Sup.)

Founder of the Institut Francis de Polemologie (IFP), publisher of the Etudes polemologiques and author of 25 books since 1930, Gaston Bouthoul is perhaps the doyen of contemporary war studies.

He, Carrere and a half dozen collaborators at the IFP have now produced a masterful combination of imaginative conceptualization, insightful ques- tions, exhaustive research, and clear but concise prose which deserves a place next to Wright, Ri- chardson, Singer-Small and North among the 20th century analyses of war. Accepting the »challenge of war« to comprehend and thereby dispense with it as the arbiter of human problems, the authors as- sume that war can be understood through its histo- ry-

Their first task was therefore to isolate 366 major conflicts since 1740 and then to codify them in terms of issue, motivation, race, cause, mental atti- tudes, adversaries, locale, termination, consequen- ces, losses and violence. Causes are sub-divided into accident, confluence of problems and struc- tural elements (demography, economics, history, etc.), specific motivations into sport-glory, specu- lation on gain, defense or consolidation of power, change of power or social structure, and genocide.

Wars are then classified according to levels of vio- lence as infra-conflicts (no violence), micro-con- flicts (limited violence), macro-conflicts (extensive but known violence), and ultra-conflicts (unpre- dictable violence, e. g. nuclear war); according to participants as pre-state (primitive), intra-state (ex- clusively internal), super-state (internal becomes external), inter-state (exclusively external), intra- state (external becomes internal), and supra-state (international organization involved); and as pre- colonial (colonization) and intra-colonial (decolo- nization).

Wars both express and transform societies: three major turning points in the form of conflict occur at 1775 (ideological and mass war), 1914 (total and mechanized war), and 1945 (nuclear war). They in- vestigate the roles of terror, decolonization and new bases of power in the post-1945 world, the sa- lient features of which appear to be atomic equilib- rium, super power coexistence and internal stabil- ity, sufficient technology and resources, relaxation of tension (relative to pre-1945), third world emer- 233 gence (thus multiplication of states and demogra- M G M 2/77 phic predominance) and terrorism. They hazard

the tentative prediction that future conflict will re- semble recent conflict if these features persist but will be different if basic elements change. The most likely sources of transformation are the »four horsemen of the modern apocalypse«, namely nu- clear war, demographic increases, pollution and re- source shortages. The threat of war is great but the possibility of peace exists and makes »moral and political creativity more necessary than ever«.

Lancelot L. Farrar jr.

Glossaire. Burgenfachwörterbuch des mit- telalterlichen Wehrbaus in deutscher, engli- scher, französischer, italienischer, spani- scher Sprache, herausgegeben vom Interna- tionalen Burgen-Institut, IBI. Leonardo Villena unter Mitarbeit von Luigi Crespi u.a. Red.: Werner Meyer. Frankfurt a.M.:

Weidlich 1975. 198 S.

DE.S Bemühen um eine eindeutige und allgemein anerkannte Fachterminologie gehört unzweifelhaft zu den Aufgaben eines jeden Forschungsgebiets, das wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden will. Diesem Ziel soll offenbar auch das vorliegende Glossar dienen, das von führenden Mitarbeitern des Internationalen Burgen-Instituts - einer seit 1948 bestehenden Organisation mit derzeit rund einem Dutzend nationalen Burgenvereinen als Mi tgliedern - unter der redaktionellen Leitung von W:rner Meyer herausgegeben wurde. Anhand von mehr als 70 schematisierten Zeichnungen, die Luigi Crespi und Werner Meyer angefertigt haben, sowie ergänzt durch einige Photographien werden in die- sem Band einige typisierte Fortifikationsanlagen in der Gesamtschau und in ihren wichtigen Elemen- ten für die Zeit vom 9./10. Jahrhundert bis zum Beginn der bastionären Befestigungsweise vorge- stellt und schlagwortartig erläutert, so daß damit ein erster Ansatz zur Begriffsklärung und zur Fi- xierung der Nomenklatur gegeben ist. Bedauerli- cherweise sind indes der mittelosteuropäische Raum und der lateinische und griechische Osten ausgespart worden, was zwar die Fertigstellung des Glossars erleichtert haben dürfte, jedoch zugleich eine ungerechtfertigte Einschränkung auf einen Teil Europas bedeutet. Immerhin bietet das Werk aber jenem Benutzer, der sich über die Bedeutung spezieller architektonischer und fortifikatorischer Begriffe unterrichten will, eine handliche und ver- läßliche Hilfe; darüber hinaus kann das Buch ein- führende Kenntnisse über das mittelalterliche Befe-

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stigungswesen vermitteln, denn mit seiner klaren Gliederung in einen einleitenden Abschnitt, der die wichtigen Typen des Wehrbaus im Oberblick vor- stellt, und einen zweiten Abschnitt, der einzelne Fortifikationselemente behandelt, wird gleichzei- tig eine Art Kompendium geboten, das zumindest für Teilbereiche verteidigungstechnische Zusam- menhänge erahnen läßt.

Andererseits darf nicht verschwiegen werden, daß mit diesem Buch allenfalls Vorarbeiten geleistet wurden, wie im übrigen auch die Bearbeiter ein- räumen. Zum einen hat man sich nämlich auf einige Grundbegriffe beschränkt, und zum anderen ist man bewußt jeder Erörterung dogmatischer Fragen ausgewichen; zum dritten sind den heute gebräuch- lichen Begriffen weder aufzählend die zeitgenössi- schen Bezeichnungen zur Seite gestellt worden, noch hat man weiterführende Entwicklungen und Erfindungen auch nur andeutungsweise berück- sichtigt. Mehr als die Analyse eines idealisierten Wehrbaus hoch- oder spätmittelalterlicher Prove- nienz findet der Leser also nicht. Demnach bleibt letztlich offen, ob mit diesem Buch Sachkenner oder Laien angesprochen werden sollen. Augen- scheinlich kann das Glossar aber dem Fachmann nichts bieten - so sucht man beispielsweise Litera- turnachweise vergeblich - , hingegen fehlt für den interessierten Nichtfachmann fast jeder Hinweis auf die technische, wirtschaftlich-soziale, gesell- schaftliche, politische und kulturelle Bedeutung mittelalterlicher Burgen und vergleichbarer Vertei- digungsanlagen; zudem sind viele der stichwortar- tigen Erläuterungen allzu kurz und stellenweise ge- radezu nichtssagend. Obendrein lassen das sprach- lich und inhaltlich unzulängliche Vorwort sowie die Einleitung eine klare Zielvorstellung vermissen, und dadurch wird der Eindruck verstärkt, daß hier Arbeitsunterlagen vorschnell veröffentlicht wur- den, die eigentlich noch der Ergänzung und Über- arbeitung bedurft hätten. Bernhard Sicken

Friedrich-Wilhelm Henning: Das vorindu- strielle Deutschland 800 bis 1800. Pader- born: Schöningh 1974. 319 S. ( = Henning:

Wirtschafts- und Sozialgeschichte. 1.) ( = Uni-Taschenbücher. 398.)

Der vorliegende Band bildet den ersten Teil eines insgesamt dreibändigen Werkes, dessen übrige Bände bereits vorliegen (UTB 145 und 337) und die deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis in die Gegenwart fortführen. Er behandelt die wirt-

schaftliche und gesellschaftliche Entwicklung vom frühen Mittelalter bis an die Schwelle der Industria- lisierung in der Art eines Repetitoriums, gedrängt, oft stichwortartig und in ziemlich schematischer Gliederung, d. h. auch ohne allzu enge Verbindung zur Ereignisgeschichte, die ältere Darstellungen oft bestimmt; selbst der deutsche Bauernkrieg von 1524-26 ist dem zum Opfer gefallen.

Die Einteilung in fünf etwa gleich lange Kapitel (die Entstehung der feudalistischen Gesellschaft, die Periode der Städtegründung und der Ostkolonisa- tion, die Blütezeit der städtischen Wirtschaft, das Zeitalter der Preisrevolution, die Blütezeit des Ka- meralismus) geht offenbar auf den Aufbau einer Vorlesung zurück und erscheint gelegentlich - auch in den Unterabschnitten - ein wenig mechanisch.

Im übrigen legt die Darstellung selbst nicht nahe, die Zeit von 1618 bis 1800 in Deutschland als »Blü- tezeit« des Kameralismus zu bezeichnen, auch wenn gerade der Dreißigjährige Krieg mit seinen Folgen relativ knapp abgehandelt wird. Insgesamt erhält die wirtschaftliche Entwicklung weit mehr Raum als die Sozialgeschichte.

Literaturverzeichnis, Personen- und Sachregister sind willkommene Hilfen, bieten aber auch An- sätze für kritische Bemerkungen. Da neben der Darstellung auch Abbildungen und Tabellen ohne Beleg bleiben, hätte eine detailliertere und mehr ge- fächerte Bibliographie gerade den Studienanfänger (dem die Reihe ja gilt) weiterführen können. Daß demographische Literatur gar nicht genannt wird, ist bedauerlich, zumal Hennings demographische Angaben für die Frühzeit (einschließlich der Schaubilder) die sehr ungünstige Quellenlage über- gehen, die erst später (S. 70) beiläufig berührt wird;

ähnliches gilt auch für andere Bezifferungen (Löh- ne, Handelsvolumina u. a.). Ein Ortsregister fehlt.

Es hätte möglicherweise gezeigt, daß N o r d - deutschland (wie in vielen Gesamtdarstellungen) etwas »unterrepräsentiert« ist. So wäre etwa Ham- burgs Bierproduktion (auch für den hansischen Handel) zu berücksichtigen gewesen, ebenso spä- ter die Gründung der Hamburger Börse (1558);

Hamburgs Reichsstandschaft (S.100: 1510) war bis 1768 strittig. Angaben über jüdische Stadtbewoh- ner im Spätmittelalter (S. 176) sind auf N o r d - deutschland nicht übertragbar. Im Sachregister fehlen nicht nur »Bier« und »Juden« (Hofjuden werden nicht behandelt), sondern u. a. auch »Erz«,

»Salz«, »Stiftungen«, »Technik«. Ganz ausgespart wird das Versicherungs- (bzw. Assekuranz-)we- sen, das doch nicht nur für die Handelsgeschichte Beachtung verdient hätte.

Die Vorzüge der Schilderung liegen zunächst in der Verbindung von Vielseitigkeit und Ubersichtlich-

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keit, in dem durchgängigen Bemühen um regionale Differenzierung und in dem trotz einzelner Miß- griffe (»Da sich das Bodenreservoir langsam seinem verfügbaren Ende zuneigte . . .«, S. 111) flüssigen Vortrag. Henning zeigt auch Kontroversen auf und setzt sich wiederholt mit marxistischen Positionen auseinander. Mit Abbildungen (bäuerliche Lei- stungen, S. 256 f.) und aktuellen Bezügen gelingt es ihm, auch komplizierte Sachverhalte anschaulich zu machen. Dabei findet Henning auch Raum für die Diskussion problematischer Begriffe (Mono- pol, S. 163 f.; Inflation, S. 184). So kann neben dem Anfänger auch der fortgeschrittene Historiker Nutzen und Gewinn aus dem Buch ziehen.

Rainer Postel

Sven Ekdahl: Die »Banderia Prutenorum«

des Jan Dhigosz - eine Quelle zur Schlacht bei Tannenberg 1410. Untersuchungen zu Aufbau, Entstehung und Quellenwert der Handschrift. Mit einem Anhang: Farbige Abbildungen der 56 Banner, Transkription und Erläuterungen des Textes. Göttingen:

Vandenhoeck & Ruprecht 1976. 315 S. ( = Abhandlungen der Akademie der Wissen- schaften in Göttingen. Phil.-Hist. Kl. F. 3, Nr. 104.)

Den schwedischen Mediävisten befähigen langjäh- rige Quellenstudien zum Kriegswesen des spätmit- telalterlichen Ordensstaates, vernachlässigte Wis- senschaftsprobleme aus über einem Jahrhundert Tannenberg-Forschung kenntnisreich zu durch- dringen. Die Fachhistorie und auch Ekdahl beein- drucken vor allem die ernüchternden Ergebnisse einer systematischen Quellenkritik am militärge- schichtlichen Informationswert der Banderia Pru- tenorum, die die Feldzeichenbeute des polnischen Königs bei Tannenberg und aus zwei weiteren Schlachten der Jahre 1410-31 gegen Ordensheere zeigen.

Danach müssen sie jetzt vorzüglich als Arbeits- handschrift und primäre Quelle des Geschichts- schreibers Diugosz für sein Hauptwerk, die Chro- nik »Annales«, gelten. Als der Künstler Durink am 29. März 1448 seinen ersten Malauftrag abschloß, befanden sich 46 Banner in der Kathedrale auf der Königsburg Wawel in Krakau, 39 davon hingen schon 1422 dort, und nur sie dürften bei Tannen- berg erbeutet worden sein. Die spätere Ergänzung durch 10 Banner nach Skizzen oder Beschreibun- gen und die jüngsten Kommentare der sogenannten

Hand II nach ursprünglich mündlichen Traditio- nen aus dem Kulmerland stehen in engem Zusam- menhang mit Diugosz' historiographischer Ten- denz in der Chronik und sind für quellenkritische Darstellungen wenig wertvoll.

Somit sind zwei der wichtigsten Grundlagen für die bisherigen Berechnungsmethoden der Heeresstär- ken bzw. für die Einschätzung der Rolle der west- europäischen Ritterschaft bei Tannenberg un- brauchbar, ist die Forschung auf gleichzeitiges Quellenmaterial angewiesen. Ekdahl fand ergiebi- geres und sicheres Material für so wichtige Fragen wie die nach der taktischen Einteilung und der per- sonellen Zusammensetzung der Heere in erzählen- den Quellen und dem älteren Brief- und Abrech- nungsmaterial des Ordens, das er in seinen ange- kündigten Studien über die Schlacht bei Tannen- berg vorlegen wird. Ekdahl hat unübersehbar eine gründliche Revision der traditionellen Tannen- berg-Forschung eingeleitet, die seine weiteren Vor- stöße auf neuen Wegen kritisch verfolgen wird.

Marwitz

Volker Press: Kaiser Karl V., König Ferdi- nand und die Entstehung der Reichsritter- schaft. Wiesbaden: Steiner 1976. 68 S. ( = Institut für europäische Geschichte, Mainz.

Vorträge. 60.)

Press' Vortrag - etwas erweitert und mit Anmer- kungen versehen - ist das Nebenprodukt einer grö- ßeren Untersuchung über die Reichsritterschaft und behandelt ein wichtiges Problem frühneuzeit- licher Sozial- und Verfassungsgeschichte: die Stel- lung der Reichsritterschaft gegenüber dem sich ver- festigenden Territorialstaat. In gängigen Darstel- lungen findet die Reichsritterschaft - »der ster- bende Stand« - mit der Sickingenschen Fehde

»praktisch ihr Ende« (W. P. Fuchs in Gebhardt, 9.

Aufl., Bd 2, S. 446) und rückt aus dem Blickfeld.

Press widerlegt das historische Klischee, verweist vielmehr auf die Sicherung dieses Standes durch kaiserliche Garantien seit etwa 1540 und widmet seine Aufmerksamkeit vor allem der dazwischen- liegenden Entwicklung, die er als Überwindung ei- ner politischen und sozialen Krise des Adels be- greift. Letztere erscheint auch bewußtseinsbe- diigt, da die Einschränkungen der traditionellen Rolle durch Fehdeverbot, Steuerpolitik u.a., wie auch die Überschätzung der eigenen Stärke und das mehr regionale Interesse der Ritterschaft längere Zeit die Einsicht verstellte, daß ihre politische Zu-

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kunft auf der Seite des Kaisers lag. Zumal auf den schwäbischen Adel übten die Habsburger - auch als Landesherren Vorderösterreichs - traditionell großen Einfluß aus, der im Schwäbischen Bund seinen Ausdruck fand. Press beschreibt dessen O r - ganisation und die Domestizierung des schwäbi- schen Adels als modellhaft für die gesamte Ritter- schaft. Auf der anderen Seite löste sie sich nur all- mählich von den Territorialfürsten, für die sie auch militärisch an Bedeutung verlor. Vorrangig wurde allerdings die Politik des Adels wie die der Territo- rien und Habsburgs von aktuellen Problemen be- stimmt (Reformation, Bauernkrieg, Furcht vor weiteren Aufständen) und war keineswegs einheit- lich. So führte die Abwehr des gemeinen Mannes auch Adel und Fürsten noch einmal zusammen.

Die Trennung der Reichsgrafen, die zur Seite der Territorien neigten, von den Rittern nach dem Ende des Schwäbischen Bundes ließ dann jedoch die kritische Situation des Reichsadels erkennen, die der Schwäche des Reiches selbst entsprach. Zu- nehmende politische Isolierung versetzte zunächst den schwäbischen Adel, besonders die Ritter, in Unruhe, die ähnlich bald auch Franken erfaßte.

Ihre Konsolidierung verdankte die Reichsritter- schaft der Türkengefahr und dem 1542 darum be- willigten Gemeinen Pfennig. Sie wurde nicht nur als reichsunmittelbar anerkannt, sondern auch mit der Einziehung der Steuer in den Ritterorten be- traut, was bei der allgemeinen Zahlungspflicht ihre Organisation als Zwangsverband aller Mitglieder beträchtlich aufwertete. Daneben zielte die Politik König Ferdinands schon früh darauf ab, die Ritter dem Reich zu entziehen und unmittelbar dem Kö- nig zu unterstellen. Diese erkannten die für sie gün- stige Situation und entwickelten politisch und or- ganisatorisch neues Selbstbewußtsein. Press sieht darum 1542 als »das Geburtsjahr der neuzeitlichen Reichsritterschaft« an (S. 49). Zu dieser Zeit nahm Karl V. auch die Adelspolitik wieder in eigene Hand und fand besonders gegen den Schmalkaldi- schen Bund in der Ritterschaft eine wichtige Stütze.

Für seinen Plan der Eingliederung in einen neuen Reichsbund mit Spitze gegen die Fürsten konnte er sie jedoch nicht gewinnen. Er setzte aber durch, daß sie als dem Kaiser persönlich unterworfen galt und auf Reichstagen ohne Sitz und Stimme blieb, womit diese Entwicklung ihren Abschluß fand.

Die Festigung und politische Einbindung der Reichsritterschaft läßt sich mit Press durchaus als ein Erfolg der kaiserlichen Adelspolitik werten.

In souveräner und bei aller Kompliziertheit des Problems übersichtlicher Behandlung hat der Ver- fasser eine historiographische Lücke aufgezeigt und geschlossen. Seinen angekündigten Untersu-

chungen, darunter auch einer Studie über den Ge- meinen Pfennig, darf mit großen Erwartungen ent- gegengesehen werden. Rainer Postel

Ludwig Hüttl: Max Emanuel. Der Blaue Kurfürst. 1679-1726. Eine politische Bio- graphie. München: Süddeutscher Verl.

1976. 806 S.

Gedenkjahre pflegen historischen Persönlichkeiten die Aktualität zu verleihen, die Biographen zur Fe- der greifen läßt. Zur 250. Wiederkehr des Todes- jahres des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel ist so die bei aller Verbundenheit der Bayern mit ihrer Geschichte bisher noch immer fehlende, wissen- schaftlich ernstzunehmende Biographie1 für einen ihrer bekanntesten Söhne erschienen.

Das Bemühen des Autors gilt dem Versuch, das Land Bayern, seine Menschen und seinen Fürsten aus ihrer Zeit heraus zu verstehen, »ohne über sie zu urteilen und ohne sich vom äußeren Glanz blen- den zu lassen« (S. 560). Der Kurfürst und das baye- rische Volk in all seinen Schichten sollen »gleich- rangig« den Mittelpunkt seiner »historisch-politi- schen Biographie« bilden (S. 11). Was die N o t und Bedrückung des Volkes in einer in Legende und Geschichtsschreibung bisher vorwiegend als glän- zend und prunkvoll empfundenen Epoche angeht, glaubt der Autor, einen »Teilverlust des Ge- schichtsbewußtseins« ausgleichen zu müssen (S. 560).

Den roten Faden der Darstellung bildet das stete Bemühen Max Emanuels, sein Land als Einsatz für seine persönlichen, dynastischen Interessen zu be- nutzen (S. 17). Sein Interesse stand in Einklang mit traditioneller bayerischer Politik und mit dem Streben der Zeit nach gesellschaftlichem und politi- schem Aufstieg (S. 281).

Ziel war die Wiederherstellung des bayerischen Königtums, wie es in grauer Vorzeit bestanden hatte (S. 537). Dieses Ziel wurde nicht nur nicht er- reicht, sondern die 45jährige Regierungszeit Max Emanuels verwandelte ein blühendes, schulden- freies Land in einen heruntergewirtschafteten Ter- ritorialstaat (S. 535). So ist das Buch Hüttls der Be- richt über das Scheitern des Menschen und Politi- kers Max Emanuel auf Kosten seines Volkes.

Bei allem Detailreichtum, den der Autor auf den verschiedensten Gebieten, wie Erziehung am Für- stenhof, oder Leben, Krankheit und Tod des baye- rischen Erbprinzen beweist, verläßt ihn diese Akribie etwas, wenn es um die Gründe des Schei- terns kurfürstlicher Politik geht. Wohl sind die

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Hauptursachen, die zu schmale Machtbasis, und das Desinteresse sowohl Österreichs wie auch Frankreichs an einer Vergrößerung und Standeser- höhung Bayerns, wiederholt genannt, aber das ei- gentliche Dilemma des Kurfürsten, im Reich und im europäischen Mächtekonzert auf zwei fast un- vereinbaren Ebenen handeln zu müssen, ver- schwindet unter den Fakten der ausführlich ge- schilderten bayerischen Verhandlungen an allen Orten Europas2.

Ähnlich verhält es sich mit der Beurteilung des Kurfürsten als Feldherrn. Es findet sich an ver- schiedenen Stellen der Hinweis auf seinen unge- stümen Angriffsgeist, mit dem er alle Probleme ei- ner an vielfältige Rücksichtnahmen gebundenen Kriegführung gewaltsam lösen wollte, auch wird genauso häufig vergleichsweise auf das überlegene Können des Prinzen Eugen, des Markgrafen von Baden und des Herzogs von Marlborough verwie- sen, aber differenzierter wird diese Problematik nicht betrachtet3.

So geben die 560 Seiten Text ein großes, farbiges und detailreiches Zeitgemälde, dem es aber in den Kernbereichen fürstlicher Tätigkeit, der Politik und der Kriegführung, etwas an analytischer Schärfe fehlt. Das verbleibende knappe Drittel des Gesamtumfangs füllen ein großer Anmerkungsap- parat, ein Nachweis aller ungedruckten Quellen zur Zeit Max Emanuels mit kurzer Inhaltsangabe in fast allen wichtigen europäischen und deutschen Archiven, ein Literaturverzeichnis, eine Zeittafel und zwei umfangreiche Register. Dieser wissen- schaftliche Apparat wird bestimmt weiteren For- schungsvorhaben zu dieser Thematik sehr hilfreich

sein. Greiner

1 H. Schmidt: Max Emanuels Bild in der Geschichts- schreibung. In: Kurfürst Max Emanuel. Bayern und Europa um 1700. 1: Zur Geschichte und Kulturge- schichte der Max-Emanuel-Zeit. Hrsg. vonH. Glaser.

München 1976, S. 459.

1 K. O. Frhr. v. Aretin: Die Politik des Kurfürsten Max Emanuel und die europäischen Mächte. Ebd., S.

35-50, bes. S. 40-^5.

3 J. Kunisch: Kurfürst Max Emanuel als Feldherr. Ebd., S. 321-329.

Marthe de Fels: Quatre messieurs de France.

(Preface de Francois Nourrissier.) Paris:

Flammarion 1976. 158 S.

Die Verfasserin vermittelt uns in sachkundigen wie elegant geschriebenen biographischen Essays eine

Vorstellung von Persönlichkeit und historischer Leistung von vier namhaften Franzosen des späten 16. und des 17. Jahrhunderts: Olivier de Serres, ein auf konfessionellen Ausgleich bedachter Hugenot- te, der zu seiner Zeit neben Sully den bedeutsam- sten Beitrag zur Modernisierung der französischen Landwirtschaft geleistet hat, Vincent de Paul, Be- gründer der neuzeitlichen französischen Caritas- Bewegung, Nicolas Poussin, dessen Gemälde, zu- mal die Landschaften der reifen Zeit als »vollende- ter Ausdruck klassischer Gesinnung« gelten kön- nen und schließlich Vauban. Gemeinsam ist ihnen, weshalb die Verfasserin glaubt, sie nebeneinander stellen zu können, die Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen, die lebenslange Verbindung zu ihrer engeren Heimat sowie das Engagement für soziale Reformen und das Los der niederen Stände. Nun zu Vauban (S. 13-51)!

Marthe de Fels gibt ein lebendiges Bild vom Le- bensweg und den Leistungen dieses großen Fran- zosen, berühmt als Festungsbaumeister Ludwigs XIV., zu seiner Zeit zudem unübertroffen als Theoretiker und Praktiker des Festungskrieges, anerkannt als Ökonom, Statistiker und Sozialre- foi'mer, bekannt vor allem durch seine Reform- schrift »Dixme Royale«. Sie nennt ihn einen Mann von »grandeur antique« und rühmt seine Fähigkeit, Menschen für sich zu gewinnen und zu führen - nach einem Wort Saint-Simons »de menager les hommes« - , sein Verständnis für die Nöte, Emp- findungen, Wünsche und Hoffnungen der breiten Masse des französischen Volkes, seinen Respekt für die Menschenwürde der seinem Kommando unterstellten gemeinen Soldaten, seinen nüchter- nen Sinn für Realitäten, seine Leidenschaft für die Wahrheit sowie seine Aversion gegen die leeren Förmlichkeiten des höfischen Lebens. Sie sieht in ihm »une force de la nature, un caractere«, einen Mann, der sich im Dienst für den Staat den Franzo- sen aller Provinzen und Stände verbunden und ver- pflichtet wußte, ungewöhnlich in einer Epoche, in der man den König und seinen Hof mit Frankreich einfach identifizierte, in der ein Leben in der Pro- vinz, wie Vauban es meist führen mußte, von den Männern der hohen Aristokratie als ein lebendiges Begräbnis angesehen wurde. Vauban konnte in sei- ner Zeit als Repräsentant und Sprecher des »menü peuple« gelten, seine Lebensgeschichte, nach ei- nem von der Verfasserin angeführten Wort von Fontenelle, als »une partie de l'histoire de la Fran- ce«. Mit seinem mutigen Einsatz für den Staat und die Interessen aller Franzosen gegen dynastische Sonderinteressen und Privilegien der Aristokratie ha: er bewiesen, »qu'il pouvait y avoir des citoyens sous un gouvernement absolu« (Voltaire).

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Die Leistungen Vaubans als Soldat werden in an- gemessener Breite und mit viel Sachkenntnis ge- würdigt. Darüber hinaus kann die Verfasserin zei- gen, daß an erster Stelle das Bemühen um ein gründliches und vertieftes Verständnis der militäri- schen Berufspflichten Vauban veranlaßt hat, über den militärischen Bereich im engeren Sinne hinaus- zugehen und sich mit politischen, ökonomischen und sozialen Fragen zu befassen. Er ist also ein großer Ökonom und Sozialreformer geworden, weil er, im Wissen um die Interdependenz politi- scher, sozialer, ökonomischer und militärischer Gegebenheiten und Probleme, sich nicht damit be- gnügen konnte, nur die technischen Fertigkeiten seines Berufes zu beherrschen.

Die Verfasserin hat auf Quellen- und Literaturan- gaben verzichtet. Doch zeigt ihre Darstellung, daß sie mit den Schriften Vaubans und der einschlägi- gen Sekundärliteratur vorzüglich vertraut ist. Ihre mit viel Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen für Zeit und Persönlichkeit Vaubans geschriebene biographische Skizze verdient nicht zuletzt auch deshalb Beachtung, weil sie gewiß manchen veran- lassen kann, sich eingehender mit Persönlichkeit und Werk dieses großen Soldaten zu befassen.

W. Gembruch

Andre Corvisier: Ministere de la defense.

Etat Major de l'armee de terre. Service histo- rique. Les F r a ^ a i s et l'armee sous Louis XIV. D'apres memoires des intendants.

1697-1698. Vincennes 1975. 301 S.

Ausgehend von einer gründlichen Interpretation der von den Intendanten nach dem Frieden von Ryswick (1697) entsprechend einer Forderung des Erziehers des Herzogs von Burgund, des Herzogs von Beauvillier, verfaßten, doch zugleich an dem Fragekatalog der von Colbert 1664 veranlaßten sta- tistischen Erhebung orientierten Denkschriften über die sozialen und ökonomischen Verhältnisse in ihrem Amtsbereich, Denkschriften, die einer- seits zur Belehrung des künftigen Thronfolgers dienen, vor allem aber den zentralen Regierungs- behörden in Paris solide Daten und sonstige Unter- lagen für die in der erwarteten langen Friedenspe- riode zu verfolgende Wirtschafts- und Sozialpolitik vermitteln sollten, fragt Professor Corvisier, ein durch zahlreiche sachkundige und brillant ge- schriebene Untersuchungen zur Militär- und So- zialgeschichte Frankreichs in der Zeit des Ancien Regime vorzüglich ausgewiesener Mitarbeiter des

unter der Direktion von Roland Mousnier stehen- den Institut de Recherches sur la civilisation de l'Occident moderne der Sorbonne, nach der fakti- schen Bedeutung der bewaffneten Macht, Armee und Marine, für Staat, Gesellschaft und Wirtschaft in Frankreich gegen Ende des 17. Jahrhunderts.

Darüber hinaus will Corvisier zeigen, welchen Platz damals die Streitkräfte im Bewußtsein der Nation bzw. der verschiedenen sozialen Gruppen einnahmen, nämlich zunächst bei den Intendanten selbst, deren Auffassungen ihm im ganzen reprä- sentativ für die alte wie auch für die neue weitge- hend aus dem Dritten Stand sich rekrutierende und vom Geist der Hauptstadt geprägte Führungs- schicht zu sein scheinen, ferner bei der Einwohner- schaft der Provinzstädte, die, zumal gilt das für die Grenzprovinzen, in einem beständigen engen Kon- takt mit der Armee lebte, und schließlich bei der Masse der Landbevölkerung.

Nach dem begründeten Urteil von Corvisier war Frankreich am Ende des 17. Jahrhunderts ein

»royaume militaire«, und zwar nicht nur wegen der formidablen Stärke und Allgegenwart des stehen- den Heeres, sondern nicht weniger auch wegen der von der öffentlichen Meinung hingenommenen bzw. gebilligten und begrüßten »militarisation«

des Landes, die nach Corvisier zwar nicht die In- tensität erreichte wie im Preußen Friedrich Wil- helms I., doch unter anderen Formen gewiß so durchgreifend und nachhaltig war wie »dans la France napoleonienne ou celle d'avant 1914«. Ar- mee. und Krieg wurden, das bestätigen die Denk- schriften der Intendanten, nicht mehr verstanden als »un jeu de prince«, sondern als eine nationale Aufgabe, in den Grenzprovinzen mehr noch als in

»la France de l'interieur«, wo man nach langen Jah- ren innerer und äußerer Ruhe und Sicherheit kaum Gefahren für Leben und Eigentum zu sehen glaubte und daher für die Forderungen des Staates zum Unterhalt der Streitkräfte weniger Verständ- nis zeigte. Wichtig ist in diesem Kontext freilich auch die in den Denkschriften vielfach bezeugte Tatsache, daß Landwirtschaft, Gewerbe und Han- del in den Grenzprovinzen von der Stationierung der Truppen oft beträchtlich profitierten.

Abschließend meint Corvisier, die Armee habe dank ihrer permanenten Präsenz in allen Provinzen nicht nur zur Stabilisierung der Macht der Obrig- keit und der Staatseinheit beigetragen, sondern darüber hinaus auch ganz wesentlich zur Begrün- dung und Festigung eines nationalen Bewußtseins und der nationalen Einheit. Erwähnt sei noch, daß die vom Verfasser mit viel Sachkunde ausgewählten und interpretierten Auszüge aus den Denkschriften der Intendanten eine Fülle von Fakten und kriti-

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sehen Wertungen zu Fragen der militärischen Or- ganisation, der Militärgerichtsbarkeit, des Versor- gungswesens, des Festungsbaus, der Rüstungsin- dustrie, der Rekrutierung sowie der Einquartie- rung und Kasernierung von Truppen vermitteln.

Ihre vergleichende Würdigung läßt erkennen, wie sehr damals, trotz mancher bedeutsamer Gemein- samkeiten, Verhältnisse, Interessen und Denkwei- sen von Provinz zu Provinz noch variierten, wie weit auch im Frankreich Ludwigs XIV. die Kluft zwischen Idee und Wirklichkeit des absoluten Staa- tes war. W. Gembruch

Swords and covenants. Essays in honour of the centennial of the Royal College of Ca- nada 1876-1976. Ed. by Adrian Preston and Peter Dennis. London: Croom Helm; To- to wa, Ν. Y.: Rowman & Littlefield 1976.

254 S.

Der vorliegende Band hat seinen Schwerpunkt zwar deutlich auf Themen der kanadischen Militär- geschichte von der amerikanischen Revolution bis hinein ins 20. Jahrhundert, versucht aber gleichzei- tig, ein breiteres Spektrum zu erfassen. Zentrales Thema bei allen hier vorhandenen Aufsätzen ist das Verhältnis von Militär und Gesellschaft, wobei die Arbeiten zur kanadischen Geschichte besonders auf die Rolle des Militärs bei der Nationwerdung Kanadas abheben.

Von herausragendem Interesse scheint der Aufsatz von C. F. G. Stanley über die amerikanische Inva- sion Kanadas 1775/76, wenn auch die am Schluß behauptete Beziehung dieser Operationen zur Ent- stehung des totalen Krieges reichlich überzogen ist.

Weitere Beiträge erörtern die Besiedlungspolitik der Engländer in Kanada im frühen 19. Jahrhun- dert, als durch Landzuweisungen an Marineoffi- ziere Sicherungspolitik gegenüber den USA und Landerschließung miteinander verschmolzen (W.

Α. B. Douglas), und den Einfluß der Milizlobby im kanadischen Unterhaus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (D. Morton). G. W. Hines undP.

Dennis behandeln die Geschichte des Royal Naval College of Canada 1911 bis 1922 bzw. die Reform des Territorialheeres in England am Ende des Err sten Weltkrieges. A. Preston und W. M. Hogben steuern Fallstudien zur Militärgeschichte Indiens im 19. und 20. Jahrhundert bei. N. F. Dreisziger untersucht in seinem abschließenden Beitrag am Beispiel Ungarns zu Beginn des Zweiten Weltkrie- ges die donigen Beziehungen von Militär und Ge-

sellschaft im Schatten Hitler-Deutschlands, die durch offensichtlich unüberbrückbares Mißtrauen zwischen ziviler und militärischer Elite bestimmt waren. In diesem Phänomen sieht Dreisziger ein bezeichnendes Exempel für die fehlende innere Kohärenz der osteuropäischen Nationen, welche neben den Fragen und Versäumnissen der interna- tionalen Diplomatie mit herangezogen werden müsse, wolle man die rasche Unterwerfung dieser Völker unter die Naziherrschaft erklären.

Alle diese Beiträge beleuchten so, was A. Preston in seiner Einleitung zum Anliegen der Festschrift macht: das Problem der Einbettung des Militärs in die Gesellschaft mit dem Ziel einer Harmonisie- rung dieser Beziehung. Möglich werde dies durch unbedingte Loyalität des Soldaten zu seinem Staat.

Die Schaffung dieses Klimas und dessen Erhaltung sei die wesentlichste Aufgabe des kanadischen Mili- tär college, dessen Forschungsinteressen daher be- wußt nicht nur auf militärtechnischen Themen lä- gen, sondern den Geisteswissenschaften einen be- sonderen Rang einräumten, um sozusagen das nö- tige Gegengewicht der Humanität zu schaffen, ohne welches der militärische Apparat in gefühllo- ser und damit letztlich unmenschlicher Technik er- starre. Hans-Christoph Junge

Barbara Jelavich: St. Petersburg and Mos- cow. Tsarist and Soviet foreign policy, 1814-1974. Bloomington, London: Indiana University Press 1974. XII, 479 S.

Die anzuzeigende Studie von Barbara Jelavich, die vor allem durch ihre Studien über die Rolle der Habsburger Monarchie in der europäischen Politik des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sowie durch Arbeiten über den Balkanraum im Kräftefeld russischer und österreichischer Interessen bekannt geworden ist, beschäftigt sich mit der Außenpolitik des: Zarenreiches unter den fünf Zaren von Alexan- der I. bis zu Nikolaus II. und der Sowjetunion un- ter Lenin, Stalin, Chruschtschow und Breschnew.

Nach einer Einführung zu den außenpolitischen Zielen russischer Politik von Peter d. Gr., Katha- rina d. Gr. bis zur Französischen Revolution und dem Aufstieg Napoleons geht die Verfasserin in den nachfolgenden Kapiteln personenbezogen vor.

Mit dem Regierungsantritt des Zaren Alexander I.

beginnt auch ein neues Kapitel russischer Politik.

Nach einem Jahrhundert kriegerischer Verwick- lungen und Expansion hatte die russische Westex-

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pansion ihren Endpunkt erreicht. Als Ergebnis der napoleonischen Kriege kamen lediglich noch Finn- land, Bessarabien und das Königreich Polen hinzu.

Rußland war zur europäischen Großmacht gewor- den, besaß die Zugänge zur Ostsee und zum Schwarzen Meer und hatte eine Kriegsmarine auf- gebaut. Die Wurzeln für die Probleme der rus- sisch-türkischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, geläufig unter dem Namen »Orientalische Frage«, liegen ebenfalls bereits im 18. Jahrhundert.

Beleuchtet man die zaristische Außenpolitik nicht vom Ergebnis des Jahres 1917, so war sie den Um- ständen entsprechend recht erfolgreich. Die Gren- zen des 18. Jahrhunderts wurden noch erweitert.

Gebietserwerbungen traten vor allen Dingen in Asien ein. Im Konzert der europäischen Groß- mächte spielte Rußland in der ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts und in den letzten Jahrzehnten vor dem Weltkrieg eine bedeutende Rolle. Die Verfas- serin untersucht vor allem den ideologischen Aspekt und den des nationalen Interesses. Hierbei muß zwangsläufig der militärpolitische und öko- nomische weniger berücksichtigt erscheinen. Im- merhin verweist sie an entsprechenden Stellen auf diese Komponenten im außenpolitischen Ent- scheidungsprozeß. Hauptinteressenfeld Rußlands und auch der Sowjetunion bis zum Ende des Zwei- ten Weltkrieges blieb Mitteleuropa, obwohl durch die Expansion nach Südosten und Osten zuneh- mend asiatische Interessen mit zu berücksichtigen waren (China). Vor allem nach der Entstehung ei- nes eigengewichtigen internationalen Großraumes im Fernen Osten ergaben sich hier zunehmend Reibungspunkte mit Japan, Großbritannien und dem britischen Empire sowie den Vereinigten Staa- ten. Im Zeichen der Entstehung eines bipolaren Sy- stems nach dem Zweiten Weltkrieg trafen die Inter- essen der beiden Supermächte zunehmend in allen Teilen der Welt aufeinander.

Abschließend stellt die Verfasserin einen Vergleich zwischen dem zaristischen Rußland und dem kommunistischen an und hebt vor allem zwei Fak- toren hervor:

1. Im Gegensatz zum Zarenreich besitzt die Sowjetunion eine revolutionäre Ideologie, die »ex- portiert« werden kann und die die Möglichkeit bie- tet, über Parteiorganisationen einen größeren Be- völkerungsteil zu beeinflussen. Die Sowjetunion selbst opferte jedoch nahezu in keinem Fall das Staatsinteresse der Ideologie.

2. Dem zaristischen Rußland fehlte für sein Militär- system die notwendige wirtschaftliche Basis, um mit den Westmächten konkurrieren zu können (Krimkrieg!). Zu Beginn des Ersten Weltkrieges war es stark gegenüber Frankreich verschuldet und

auf dessen Finanz- und Rüstungshilfe angewiesen.

Im Gegensatz hierzu legte das Sowjetsystem und das Industrialisierungsprogramm die Grundlage für die Ausrüstung großer Armeen und die Ent- wicklung moderner Waffensysteme.

Insgesamt ein Buch, das für die erste Information über die Grundzüge russischer Außenpolitik sehr nützlich ist und dem Leser auch den Einstieg in Spezialprobleme gut ermöglicht. Wolf D. Gruner

Deutsche Sozialgeschichte. Dokumente und Skizzen. Bd 1. 2. München: Beck 1973 - 74.

1. 1815-1870. Hrsg. von Werner Pols. 1973.

XVII, 398 S.

2. 1870-1914. Hrsg. von Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka. 1974. X, 458 S.

Nach der neolithischen Revolution bildet die indu- strielle Revolution, die in Deutschland im 19. Jahr- hundert zum vollen Durchbruch gelangt, die zweite große wirtschaftlich-soziale Umwälzung der Menschheitsgeschichte.

Die daraus resultierenden gewaltigen Umbrüche in allen Lebensbereichen präformieren das Themen- gerüst der beiden Bände weit mehr als die politi- schen Marksteine dieses Zeitraums - das Ende der napoleonischen Herrschaft, die Revolution 1848/49 oder die Reichsgründung. Eine chronolo- gisch vorgehende Ereignisgeschichte gerät ganz in den Hintergrund, im Vordergrund stehen zum Bei- spiel die Entwicklung und Bedeutung der Eisen- bahn, die Konsequenzen der Verstädterung, die Auswirkungen der Kinderarbeit auf die familiale Sozialisation, die Aspirationen bürgerlicher und unterprivilegierter Schichten.

Band 1 erweckt anhand von literarischen und pu- blizistischen Schriften, Autobiographien, Tagebü- chern, Briefen, Erlebnisberichten und »Lebenshil- fe«-Ratgebern nostalgische Reminiszenzen an Zei- ten, als unter weiblicher Emanzipation verstanden wurde, daß in der gesellschaftlichen Hierarchie die Äbtissinnen adeliger Klöster Generalmajorsrang hatten; als auf »Ehre und Anstand« noch so viel ge- geben wurde, daß sich sonst mental-gesunde Bür- ger schon bei der geringsten Insultation verpflichtet fühlten, sich unter pseudo-rituellem Getue gegen- seitig Kugeln in den Kopf zu schießen; als noch all das »zum gewöhnlichen Hausgebrauch« benutzt wurde, was heute für teueres Geld auf dem Trö- delmarkt erstanden werden muß, um im Wohn- zimmer an einem Ehrenplatz als Renommierobjekt

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»Gemütlichkeit« zu vermitteln; selbst der banale Alltag fasziniert in der Retrospektive.

Der Bereich »Militär« ist in den Abschnitten »Offi- ziersstand«, »Orden« und »Duell« vertreten, doch zeigt dies die den eigentlichen Intentionen einer Sozialgeschichte zuwiderlaufende Beschränkung auf die oberen Gesellschaftsschichten; hier hätte man gerne auch einige Quellen über Leben und Bewußtseinsstand der einfachen Soldaten und Un- teroffiziere gefunden - das einseitige Bild einer mi- litaristischen Gesellschaft satisfaktionsfähiger Re- serveoffiziere ist aus anderen Quelleneditionen hinreichend bekannt. Zudem scheint hier auch der Komplex »Duell« mit 18 Seiten überrepräsentiert- zum Bereich »Technik« gibt es 11 Seiten, zum Thema »Stellung der Frau« nur 1 Seite.

Bei Ritter und Kocka, um es gleich zu sagen, er- scheint die Quellenauswahl ausgewogener; die Edition unterscheidet sich grundlegend von Band 1.

Jedem der 13 Kapitel (u.a. Bevölkerungsentwick- lung und Verstädterung, Bürgerliche Gesellschaft und Grenzen der Bürgerlichkeit, Industrielle Ar- beitsverhältnisse, Emanzipation und Abwehr, Mi- litär) ist eine ausführlich kommentierende Einlei- tung vorangestellt; jede Quelle hat eine charakteri- sierende Überschrift und ist darunter im Inhalts- verzeichnis aufgeführt; ein Sachregister und die Angabe weiterführender Literatur bilden einen wichtigen Anhang.

Durch die sorgfältige Einbettung der Quellen in diesen Rahmen gerät der Band zu einer gelungenen Synthese aus einem Arbeitsbuch und Nachschla- gewerk und einem Kompendium spannender Er- zählungen und informativer Berichte.

Der Eskapismus der bürgerlichen »Neureichen« in die scheinbar heile Welt feudaler Reservate, deren Orden und Titel, Luxus und Mode ebenso als Inte- grationselemente dienten wie die Antiideologien gegen Demokratie, Sozialismus und Judentum, entlarvt sich hier selbst ebenso wie die Präferenzen des Offiziersstandes für ein hohes Sozialprestige anstelle gesicherter wirtschaftlicher Verhältnisse.

Die fragwürdige Romantik der Handwerksbur- schen in ihrem Wandervogeldasein fern allem heu- tigen Sekuritätsdenken, die Illusion individueller Freiheit der Heimarbeiter gegenüber den Fabrikar- beitern stimmt tragisch vor dem Hintergrund der Faktizität einer rationalisierten, bürokratisierten und enthumanisierten Arbeitswelt - die sozialpsy- chologische Kehrseite von Industrialisierung und Reichsgründung wird durch die »Dokumente und Skizzen« unmittelbar nacherlebbar.

Die Intention der Herausgeber, »intelligente Un- 241 terhaltung« zu bieten, wirkt als Understatement:

Für Schule und Universität bilden beide Bände ein längst notwendiges Korrektiv zum Quellenange- bot der traditionellen Lehrbücher.

Burkhard Schäfer

Christopher Howard: Britain and the casus belli. 1822-1902. Α study of Britain's inter- national position from Canning to Salisbu- ry. London: The Athlone Press 1974. XIV, 204 S.

Es gibt viele Untersuchungen zur englischen Au- ßenpolitik im 19. Jahrhundert. Unter ihnen sind nicht wenige, die die Frage interessiert, die Chri- stopher Howard, Reader in History an der Univer- sität London, zu Beginn seines Buches stellt (S. 1):

»Is it possible to formulate a general principle that governs, or ought to govern, the conduct of a coun- try's foreign policy?« Auf der Basis weitverstreuten Quellenmaterials aus zahlreichen englischen Ar- chiven versucht der Verfasser, eine eigenständige Antwort auf seine Frage zu gewinnen. Ohne streng dem chronologischen Ablauf der Ereignisse zu fol- gen, unternimmt er einen Gang durch das 19. Jahr- hundert, analysiert die Verträge, die Großbritan- nien in den 80 Jahren von Canning bis Salisbury einging, analysiert auch die Interpretationen, die D iplomaten und führende Politiker, vor allem der Regierung, zu diesen Verträgen lieferten, und ge- langt schließlich zu dem Ergebnis, daß England le- diglich dreimal prospective engagements auf sich genommen und sich damit lediglich dreimal zu Maßnahmen verpflichtet habe, die ausdrücklich auch für den casus belli gelten sollten: im Stock- holmer Vertrag von 1855, im Triple Vertrag von 1856 und in einer Instruktion Salisburys vom März 1899 an den britischen Botschafter in Madrid, daß England bereit sei, die spanische Küste an der Bucht von Algeciras gegen feindliche Angriffe (Landeversuche) zu schützen (S. 20f.). Howard ist sich der Problematik seines Vorgehens bewußt.

Die Konzentration auf die Frage, wann England Verpflichtungen eingegangen sei, die auch den ca- sus belli einschlossen, muß zwangsläufig andere, weniger offenkundige, weniger dramatisch-weit- gehende Formen der Verpflichtung unberücksich- tigt lassen (vgl. S. 20). Diese Kritik ließe sich rasch und vielfältig belegen, etwa an der Erörterung der englischen Nahostpolitik durch Howard. Bereits lange vor dem erwähnten Triple Vertrag vom 15.

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April 1856 gab es eine Fülle von »Verpflichtungen«

der englischen Politik im östlichen Mittelmeerraum und auf dem Balkan, die freilich nur dann in den Blick kommen kann, wenn man, anders als Ho- ward, der Vorgeschichte dieses Vertrages nachgeht und die politischen wie ökonomischen Interessen aufdeckt, die überhaupt erst zu »Verpflichtungen«

führen konnten. Eine Analyse der Interessen im Kontext der Ereignisse, der oft und wortreich be- haupteten wie der tatsächlichen Interessen - eine derartige Analyse findet indessen nur gelegentlich statt1.

In jenen 80 Jahren zwischen Canning und Salisbury haben Parlament und öffendiche Meinung Eng- lands die englische Außenpolitik immer wieder und mit Beharrlichkeit diskutiert. Mit Leidenschaft wurde darum gestritten, welches die wahren Inter- essen des Landes seien und wie weit sein Engage- ment auf dem Kontinent, im Mittelmeerraum und auf dem Balkan gehen dürfe2. Howard bezieht diese Debatten nicht in die Interpretation ein.

Mancher Widerstreit von Anspruch und Wirklich- keit englischer Außenpolitik wäre in helleres Licht getreten und die Begründungen für die Bereitschaft zum Engagement bis hin zum casus belli wie auch die Begründungen für die Verweigerung des Enga- gements wären weniger verschwommen geblieben.

Howard entgeht nicht ganz der Versuchung des Historikers, der sich auf eine Fülle von Archivalien stützt, als historisch relevant allein das anzusehen, was in seinem Material aufscheint. Seine Studie ist glänzend geschrieben und stellt auf begrenztem Arbeitsfeld ein zentrales Problem englischer Au- ßenpolitik im 19. Jahrhundert scharf heraus. Die Begrenzung des Arbeitsfeldes hat jedoch Schwä- chen zur Folge, die unübersehbar sind und die die Antwort Howards auf die Frage nach den leitenden Prinzipien dieser Politik nicht in jeder Hinsicht stringent erscheinen lassen. Bernhard Unckel

1 Hier wie auch sonst hätte Howard die Auseinander- setzung mit der bisherigen Forschung intensiver füh- ren müssen. Wichtige Arbeiten werden überhaupt nicht genannt, ein Literaturverzeichnis fehlt. - Wir verweisen für den angesprochenen Zusammenhang nur auf die noch immer wertvolle Arbeit von F. E.

Bailey: British policy and the Turkish reform move- ment. Α study in Anglo-Turkish relations, 1826-1853. Cambridge 1942 ( = Harvard historical studies. 51.). Wichtig neuerdings J. L. Herkless:

Stratford, the Cabinet and the outbreak of the Cri- mean War. In: Historical journal. 18 (1975) 495-523.

2 Vgl. J. H. Gleason: The genesis of russophobia in Great Britain. A study of the interaction of policy and opinion. Cambridge 1950 ( = Harvard historical stu- dies. 57.) und das geistreiche Buch von A. J. P. Tay- lor: The trouble makers. Dissent over foreign policy, 2 4 2 1792-1939. London 1957.

W. O. Henderson: The rise of German in- dustrial power. 1834-1914. London: Tem- ple Smith 1975. 264 S.

Hendersons Untersuchung über Deutschlands Aufstieg zur industriellen Führungsmacht des eu- ropäischen Kontinents zwischen 1834 und 1914 steht ganz in der Tradition der älteren - wäre der Autor nicht Engländer, wäre man sofort versucht, zu sagen spezifisch deutschen - Wirtschaftsge- schichtsschreibung. Der Autor, der mit Standard- werken zur Geschichte des deutschen Zollvereins und der deutschen Kolonien sowie zahlreichen Bei- trägen zur europäischen Wirtschaftsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts hervorgetreten ist, hält offensichtlich nur sehr wenig von der in den letzten beiden Jahrzehnten sehr intensiv geführten De- batte über die allgemeinen wie die je spezifischen ökonomischen Voraussetzungen des Industrialisie- rungsprozesses in den einzelnen Ländern und hat sich ebenso offensichtlich auch nicht mit den von der modernen Sozialgeschichtsschreibung entwik- kelten Theorien und Methoden - merkwürdiger- weise auch nicht mit quantifizierenden Methoden - anfreunden können. Vielmehr beschränkt er sich auf eine theoretisch unreflektierte Beschreibung einzelner Faktoren des industriellen Expansions- prozesses; die Relevanz der von ihm beschriebenen Phänomene, das Gewicht, das sie in seiner Darstel- lung erhalten, bleibt dabei genauso ohne jede Be- gründung wie die Vernachlässigung von ganzen Bereichen der sozialen und ökonomischen Ent- wicklung. Und während sich Henderson in der äl- teren Forschung ganz vorzüglich auskennt und die wirklich wesentlichen Beiträge auch vollständig heranzieht, bleiben viele Ergebnisse der neueren Forschung - dies gilt insbesondere für die Zeit des Deutschen Kaiserreiches - ganz unberücksichtigt.

Das Ergebnis ist ein höchst problematisches, übri- gens auch sehr ungleichgewichtiges Buch, was sich äußerlich schon darin niederschlägt, daß Hender- son dem Zeitabschnitt von der Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 bis zur Gründerkrise 1873 doppelt soviel Seiten widmet wie der Zeit des Kaiserreiches.

Bei der Beurteilung von Hendersons Buch sollte freilich nicht übersehen werden, daß er mit ihm weniger einen originären Forschungsbeitrag als vielmehr eine für Studenten geeignete Uberblicks- darstellung vorlegen wollte. Wenn man diese In- tentionen in Rechnung stellt, läßt sich auch gar nicht leugnen, daß Henderson zumindest über ein- zelne Fragen - so ζ. B. die Geschichte des Zollver- eins, die Rolle des Staates bei der Industrialisierung und die Entwicklung der Produktion in einigen In- dustriezweigen - durchaus zuverlässig informiert,

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wobei allerdings eine Einschränkung notwendig ist: die Informationsdichte in dem Abschnitt über das Kaiserreich ist sehr viel geringer als für die vor- hergehende Epoche. Freilich können diese Ver- dienste nicht die großen Schwächen des Buches überdecken, die es auch als erste Einführung in die Probleme der deutschen Industrialisierung nur we- nig geeignet erscheinen lassen. Einmal orientiert sich dieses Buch viel zu stark an Institutionen - sei es am Zollverein oder auch an einzelnen Firmen;

zum zweiten wird eine Aufzählung des Wachstums der Produktion in einzelnen Industriezweigen - dies geschieht in epischer Breite und enthält zahl- reiche ermüdende Wiederholungen in den einzel- nen Kapiteln - mit einer Analyse der ökonomi- schen Voraussetzungen und Wirkungen des Indu- strialisierungsprozesses verwechselt; ein Buch, das nicht wenigstens in Ansätzen die Probleme der Ka- pitalbildung (nicht nur der Kapitalvermittlung, wie Henderson es in seinem Kapitel über Banken tut), das Investitionsverhalten und die sektorale Auf- bringung des Sozialprodukts erörtert und sich auf eine ganz oberflächliche Behandlung der Konjunk- turschwankungen beschränkt, läßt einfach elemen- tare Anforderungen unerfüllt. Drittens blendet Henderson praktisch den ganzen Bereich der sozia- len Konsequenzen aus; wohl äußert er sich zur Re- volution von 1848, erwähnt auch die Sozialgesetz- gebung, aber dies bleibt alles so lange höchst un- verbindlich, als nicht präzise der Zusammenhang zwischen Industrialisierung und sozialer Lage der Industriearbeiterschaft und des gesellschaftlichen Antagonismus in Deutschland analysiert wird, wie kennzeichnenderweise die Gewerkschaftsbewe- gung überhaupt unerwähnt bleibt. Gleichermaßen überraschend ist-es, daß Henderson dem anderen großen politisch-sozialen Problem Deutschlands im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, dem Wi- derspruch zwischen ökonomischem Fortschritt und dem Beharren auf gesellschaftlich-politischen Zuständen, die einem reinen Agrarstaat angemes- sen sein mochten, nur einige ganz- oberflächliche Bemerkungen widmet. Peter-Christian Witt

Germany and the Middle East 1835-1939.

International symposium April 1975. Je- huda L. Wallach, ed. Tel-Aviv: Nateev- Printing and Publishing Enterprises Ltd.

1975. 211 S. ( = Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte. Beih. 1.)

Politik und Geschichtsschreibung lagen bei dem er- sten Symposion des Instituts für deutsche Ge- schichte an der Universität Tel-Aviv, das mit einem Festakt und Reden von Verteidigungsminister Pe- res und des deutschen Botschafters P. Fischer er- öffnet wurde, zunächst sehr nahe beieinander. Als dis Wissenschaftler dann unter sich waren, wand- ten sie sich aber - ob man das nun begrüßen oder bedauern will - sehr schnell der »reinen« Ge- schichte zu.

Deutschland und der Mittlere Osten war das breit- gesteckte Rahmenthema dieses Symposions, des- sen zweite Session sich mit der Außen- und Mili- tärpolitik des deutschen Reiches gegenüber dem Ottomanischen Reich zwischen 1870-1914 be- schäftigte. J. Wallach untersuchte Bismarcks En- gagement in dieser Frage und kam zu dem Schluß, da.ß angesichts der intensiven Beschäftigung Bis- marcks mit den deutsch-türkischen Problemen, die bis in die Einzelheiten der Entsendung deutscher Offiziere reichte, die bisherige Vorstellung eines Desinteresses Bismarcks an der Hohen Pforte - ge- rade auch was die militärische Seite anlangt - revi- diert werden muß. U.Trumpener untersucht den sozialen und professionellen Hintergrund, die Funktionen und Karrieren aller deutschen Offizie- re, die zur türkischen Armee abkommandiert wur- den. Sein Aufsatz ist vor allem als Datenzusam- menstellung wertvoll.

Wenn die anderen Sessionen sich auch nicht aus- drücklich mit militärpolitischen und militärischen Themen beschäftigten, so sind doch immer wieder interessante Einzelbeobachtungen zu verzeichnen.

So berichtet P. Pick über die Konstruktion und strategische Bedeutung der Hejaz-Bahn (Damas- kus - Medina). U. Gehrke geht auf die militäri- schen Pläne deutscher Berater in und mit Persien im Ersten Weltkrieg ein. Y. Hirschfeld erwähnt einige wichtige Einzelheiten über den Waffenhandel und die Luftfahrtpolitik mit Persien in der Zwischen- kriegszeit. Schließlich beschäftigen sich H . Shamit und L. Hirszowicz mit der Idee und Realität der nationalsozialistischen Politik im Mittleren Osten.

Dieser Aufsatzband enthält viele aufschlußreiche Details und Bemerkungen. Die große Linie und übergreifende Einsichten in die Entwicklung der deutschen Politik gegenüber dem Mittleren Osten m a ß man jedoch vermissen. Michael Geyer

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Jehuda L. 'Wallach: Anatomie einer Militär- hilfe. Die preußisch-deutschen Militärmis- sionen in der Türkei 1835-1919. Düssel- dorf: Droste 1976. 284 S. (= Schriftenreihe des Instituts für deutsche Geschichte, Uni- versität Tel Aviv. 1.)

Verfasser, Oberst d. R. und Professor am Institut für Deutsche Geschichte in Tel Aviv, ist schon mit mehreren militärhistorischen Untersuchungen hervorgetreten. Im vorliegenden Band befaßt er sich mit den verschiedenen Gruppen und Grüpp- chen deutscher (meistens preußischer) Offiziere, die seit dem frühen 19. Jahrhundert privat, halb- amtlich oder amtlich im Osmanischen Reich als In- strukteure, Berater und zuweilen auch Truppen- führer tätig waren. Dabei widmet er dem Zeitraum vor 1914 ungefähr zwei Drittel des Buches; die vier Weltkriegsjahre werden dann, dem gewaltigen An- stieg des deutschen Personals in der Türkei ent- sprechend, noch etwas eingehender behandelt.

Dazu kommen zwei Dokumente im Anhang.

Wallachs Ausführungen über Herkunft, Ambitio- nen, Funktionen und allgemeinen Einfluß der deutschen Militärs in der Türkei und über die di- plomatischen und wirtschaftlichen Folgen ihres Dortseins sind im allgemeinen gut fundiert und ausgewogen im Urteil. N u r ganz selten finden sich kleine Sachfehler oder Ungenauigkeiten. So erhält man auf S. 16 den Eindruck, daß ein Offizier »na- mens Laue« gewissen Abenteurern zuzurechnen ist, die im vorigen Jahrhundert ganz in die Dienste des Sultans traten und schließlich die osmanische Staatsangehörigkeit und den islamischen Glauben annahmen. In Wirklichkeit durchlief Friedrich Wilhelm Laue nach 1841 eine Generalstabskarriere in Preußen, war lange Kommandant von Saarlouis und wurde schließlich auch noch geadelt. Ebenfalls etwas irreführend sind Angaben, die sich auf die Tätigkeit des deutschen Militärattaches in Kon- stantinopel, Major Karl August v. Laffert, nach Kriegsausbruch 1914 beziehen (man vergleiche S.

147 und 173).

Im Hinblick auf einige Sachfragen wäre eine etwas weitergehende Verarbeitung der einschlägigen Se- kundärliteratur wünschenswert gewesen. Zum Beispiel, wie die Reichsregierung und die verschie- denen deutschen Stellen in der Türkei auf die dorti- gen Armenierverfolgungen während des Weltkrie- ges reagierten, ist letzthin mehrfach wissenschaft- lich untersucht worden und hätte deshalb gewiß präziser beschrieben werden können, als dies auf S.

207 geschieht. Gleichfalls die Umstände, unter de- nen General Mustafa Kemal (der spätere Atatürk) 1917 seinen Oberbefehl über die 7. Armee aufgab,

sollte man vielleicht nicht nur den Memoiren des Herrn v. Papen entnehmen (S. 216).

Abschließend ist zu betonen, daß Wallachs Buch ein wertvoller Beitrag zur deutschen Militärge- schichte ist. Es enthält darüber hinaus einen wirk- lichkeitsnahen und wohldurchdachten Kommentar zum Phänomen der »Militärhilfe« im allgemeinen.

Ulrich Trumpener

Revolution and, reaction. 1848 and the Sec- ond French Republic. Ed. by Roger Price.

London: Croom Helm; New York: Barnes

& Noble 1975. 333 S.

In dieser Publikation zur Geschichte der Zweiten französischen Republik sind Beiträge von briti- schen und amerikanischen Historikern zusammen- getragen. Price, der die Sammlung mit einem länge- ren Aufsatz selbst eröffnet, in dem er den Stand der historischen Forschung wiedergibt, spricht die H o f f n u n g aus: »It is hoped that they will contrib- ute something to the development of ideas about the methodology of historical studies as well as to knowledge of the 1848 Revolution and its conse- quences.«

Prices Arbeit ist mit zahlreichen wertvollen biblio- graphischen Angaben ausgestattet. Ihr folgen Bei- träge u. a. von Bernard H . Moss (Parisian Produc- ers Associations (1830-51). The socialism of skilled workers), Christopher H . Johnson (Economic change and artisan discontent. The tailors' history, 1800-1848), Peter Amman (The Paris club move- ment in 1848), Patricia O'Brien (The Revolution- ary Party), Charles Tilly and Lynn H . Lees (The people of June, 1848), John Merriman (Radicalisa- tion and repression. A study of the demobilization of the >Democ-Socs< during the Second French Re- public), Robert J. Bezucha (Mask of revolution. A study of popular culture during the Second French Republic), Ted Maragadant (Modernization and insurgency in December 1861. A case study of the Drome), Howard Machin (The prefects and politi- cal repression. February 1848 to December 1851) und Vincent Wright (The coup d'Etat of December 1851. Repression and the limits to repression).

Obwohl es natürlich grundsätzlich unmöglich ist, die militärische Geschichte aus dem Bereich des all- gemeinen historischen Geschehens herauszuhal- ten, beschränkt sich die Besprechung hier an dieser Stelle auf den militärischen Aspekt.

In seiner Einleitung behauptet Price, daß die be- vorzugte Klasse (Elite), die, sozial gesichert und

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besser ausgebildet, das Wahlrecht besaß, dadurch die Möglichkeit hatte, durch Gestellung eines Stell- vertreters sich der Dienstpflicht zu entziehen.

Er vertritt auch die Auffassung, daß das aufkei- mende Verlangen nach sozialen Reformen und dem allgemeinen Stimmrecht eng mit der Forderung nach persönlicher Ausübung der Dienstpflicht ver- bunden gewesen sei.

Das ist die gleiche Erscheinung, die im Laufe des 19. Jahrhunderts auch in den Niederlanden zutage tritt.

Wegen der UnZuverlässigkeit der Nationalgarde und wegen der geringen Mannschaftsstärke der Gendarmerie fiel der Armee die undankbare Rolle zu, für die innere Ordnung im Lande zu sorgen.

In seinem Essay über civil-military relations (S.

150-169) setzt sich Jonathan M. House mit der Rolle des Heeres während der öffentlichen Unru- hen in Paris 1848 auseinander. Das Heer war eine völlig unpolitische Berufsarmee, während die Gu- arde Nationale politisch wohl engagiert war. Laut House bemühten sich die militärischen Autoritä- ten, ohne Blutvergießen Herr der Situation zu wer- den. Uneinigkeit unter den Generalen, schlechte Pläne und politische Erwägungen waren Hinder- nisse, Herr der wachsenden Unruhe zu werden.

Das Heer besaß auch gar nicht die Möglichkeit und war auch nicht dazu ausgebildet, eine aufständische Masse auf gewaltlose Weise auseinanderzutreiben.

Außerdem neigten die Offiziere dem neuen Regime zu.

Dieses reichhaltig nuancierte Buch bietet eine aus- gezeichnete Gelegenheit, tiefer in die Geschichte der Zweiten Republik einzudringen.

C. M. Schulten

Jözsef Borus: Dembinski fövezersege es a käpolnai csata. Az ellentamadas problemäja 1849 februär jäban. Budapest: Zrinyi Kato- nai Kiado 1975. 375 S.

[Das Oberkommando Dembinskis und die Schlacht bei Käpolna. Das Problem der Ge- genoffensive im Februar 1849.]

Das Buch des ungarischen Historikers beschäftigt sich mit dem Freiheitskampf der Magyaren gegen Habsburg im Jahre 1848/49. Es wird hier unter an- derem eine nicht uninteressante militärpolitische Frage behandelt, die in ihrer Problematik auch heute noch aktuell ist.

Nachdem im Oktober 1848 offener Krieg zwischen dem Königreich Ungarn und Habsburg ausgebro-

chen war, vermochte die von Lajos Kossuth neu aufgestellte ungarische Honved-Armee die kaiser- lichen Truppen des Fürsten Windisch-Grätz weder ir. Transdanubien noch vor der Hauptstadt Buda- pest aufzuhalten. Um die Jahreswende 1848/49 war die Festung Buda in österreichischen Händen, und die revolutionäre ungarische Regierung zog sich nach Ostungarn, in die Stadt Debreczen, zurück.

E'ie junge Honved-Armee, zwar nirgends ent- scheidend geschlagen, war in verschiedene Korps- gruppen im ganzen noch nicht besetzten Land zer- streut: Kleinmut erfaßte einen Teil des Offizier- korps, politische Debatten schwächten die Wehr- kraft. Die jungen Heerführer Kossuths waren sich selbst nicht einig und die Regierung hatte sogar Angst vor General Arthur Görgei, einem 30jähri- gen begabten Armeeführer, der ausgeprägte politi- sche Meinung besaß. Kossuth organisierte in den Wintermonaten 1849 die Gegenoffensive. Wer sollte die vereinten ungarischen Kräfte führen? Es wäre auf der Hand gelegen, Görgei oder Klapka, einen anderen ungarischen General, mit dieser Aufgabe zu betrauen. Statt auf die eigenen begab- ten Heerführer zurückzugreifen, gab Kossuth, von politischen Erwägungen beeinflußt, die Führung über die vereinte ungarische Armee einem aus Paris herbeigerufenen alten polnischen General, Henryk E>embinski, der schon Napoleons Rußlandfeldzug mitgemacht und 1831 die polnischen Aufständi- schen gegen des Zaren Armee geführt hatte. Dieser versagte in Ungarn jedoch völlig. Die zweitägige S:hlacht bei Kapolna am 26. und 27. Februar 1849 endete mit einem Rückzug der Honved und rief eine politisch-militärische Krise im ungarischen Lager hervor. Dembinski mußte das Armeekom- mando abgeben, zum neuen Oberkommandieren- den der Honved wurde Görgei ernannt. Er führte in den folgenden Monaten sein Heer in mehreren siegreichen Schlachten nach Westen.

E'er Autor, der zu seinem Buch alle verfügbaren E'okumente der Zeit von beiden Lagern einsehen und studieren konnte und über das Thema bestens Bescheid weiß, hat sein Werk unter den Aspekten der marxistischen Geschichtsauffassung verfaßt.

Weil Marx bzw. Engels seinerzeit Görgei ver- dammt hatten und weil der begabte ungarische Ge- neral im heutigen Ungarn offiziell als »Unperson«

gilt, Dembinski dagegen gerne als »internationaler Revolutionär« gesehen wird, wurde dieses Schema auch im Buch übernommen. Davon abgesehen ist die Arbeit Dr. Borus* jedoch beachtenswert und kann als Grundlage für weitere Forschungen die- nen - wenn damit auch noch nicht das letzte Wort über dieses Kapitel ungarischer Kriegsgeschichte gesprochen ist. Peter Gosztony

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Rudolf von Albertini, Albert 'Wirz: Euro- päische Kolonialherrschaft 1880-1940. Zü- rich, Freiburg i. Br.: Atlantis 1976. 528 S.

( = Beiträge zur Kolonial- und Überseege- schichte. 14.)

Nachdem sich Albertini bereits 1966 durch ein grundlegendes Werk über die/>05i koloniale Phase als einer der bedeutendsten Kenner der Kolonialge- schichte ausgewiesen hatte1, legt er nunmehr ein imponierendes, ungemein kenntnisreiches und vorzüglich geschriebenes Bild der »situation coloniale« in der »klassischen« Zeit des Kolonia- lismus von 1880 bis 1940 vor. Er gliedert sein Buch, dem man ohne Zweifel den Rang eines Standard- werkes wird zubilligen müssen, nach Kontinenten und Ländern (wobei sein Schüler Wirz die Kapitel über die deutschen und portugiesischen Afri- ka-Kolonien übernimmt) und behandelt in den einzelnen Kapiteln mit durchgängiger Konsequenz die Schwerpunkte Administration, wirtschaftliche Erschließung und Widerstand (einschließlich der Anfänge der Emanzipationsbewegung).

Sowohl im Hinblick auf die geographisch-politi- sche Auswahl - man erfährt z.B. nichts über den italienischen Kolonialismus und daß Deutschland auch Kolonien in der Südsee besaß; und der russi- sche Imperialismus fällt ebenfalls völlig heraus - als auch hinsichtlich des eindeutigen Ubergewichts der ökonomisch bestimmten Betrachtungsweise - die ihn etwa die wichtige Rolle der Missionen nur am Rande in den Blick geraten läßt - , könnten kritische Bemerkungen angebracht werden. Aber abgesehen davon, daß Albertini diese Lücken selbst bedauert und er zunächst einmal an seinem eigenen An- spruch zu messen ist, versetzt ihn gerade das öko- nomische Material in die Lage, vereinfachenden Theorien zumeist neomarxistischer Provenienz mit schwerwiegenden »facts« entgegenzutreten. Al- bertini leugnet keineswegs, daß Kolonialherrschaft auch Ausbeutung und »Identitätsverweigerung«

bedeutete, aber dies ist für ihn noch nicht die ganze Wahrheit. So kann er mit plausiblen Gründen die pauschale These ablehnen, daß die Integration der Kolonialgebiete in den Weltwirtschaftsprozeß per se Unterentwicklung induziert habe (warum sind dann eine ganze Reihe von nichtkolonisierten Län- dern Afrikas und Asiens noch unterentwickelter?) und daß es - wie die Anhänger der »Dependenz«- Theorie (Baran, Frank) und des strukturellen Im- perialismus (z.B. Galtung) behaupten - zwar Wachstum, aber keine Entwicklung (growth with- out development) gegeben habe. Am jeweiligen Einzelfall - und dieser interessiert ihn primär - vermag Albertini aufzuzeigen, daß nicht nur Wachstum, sondern auch Entwicklung stattfand,

und daß koloniale Herrschaft nicht nur sozial kon- servativ bzw. repressiv und ökonomisch expropri- ierend war, sondern auch einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Modernisierungsprozeß aus- gelöst hat.

Für die Erklärung des Faktors Abhängigkeit hält Albertini ältere Konzepte wie »Dual Economy«

(das Nebeneinander eines Subsistenzsektors und eines kapitalintensiven marktorientierten Sektors),

»Enklaven-Sektoren« (z.B. Plantagen und Berg- werke mit ihren geringen multiplikatorischen Ef- fekten für die Gesamtwirtschaft der Kolonie) oder

»lopsided economic growth« (sektorales wirt- schaftliches Wachstum ohne Übergang zu einer au- tonomen industriellen Entwicklung) sowie die Be- rücksichtigung des sozio-kulturellen Kontextes (westlich-bürgerlicher Wertkodex) für tragfähiger als eine überstrapazierte »Drain of Wealth«-These.

U n d schließlich übergeht Albertini auch nicht den

»primären« und »postprimären« kolonialen Wi- derstand, der die Europäer zu teils grausamen Ver- geltungsschlägen führte. Aber er weist zugleich - im Anschluß an Ronald Robinsons Ansatz zu einer differenzierteren Imperialismustheorie, die auch die Voraussetzungen kolonialer Expansion und Herrschaft an der Peripherie einbezieht2 - auf die entscheidende Rolle hin, welche die Kollaboration in der Phase der Etablierung der Herrschaft wie im System der Herrschaftssicherung gespielt hat.

Horst Gründer

1 R. v. Albertini: Dekolonisation. Die Diskussion über Verwaltung und Zukunft der Kolonien 1919-1960.

Köln, Opladen 1966.

2 R. Robinson: Non-European foundations of Euro- pean Imperialism. Sketch for a theory of collabora- tion. In: Studies in the theory of imperialism. E d . : R.

O w e n and B. Sutcliffe. London 1972.

Marian Kent: Oil and empire. British policy and Mesopotamian oil. 1900-1920. Lon- don, Basingstoke: Macmillan 1976. XXIII, 273 S.

ölgeschäft und ölpolitik gelten gemeinhin als be- sonders gute Beispiele, um politisch-ökonomische Verflechtungen im 20. Jahrhundert zu demonstrie- ren. Einerseits sei - so lautet die These - im Falle des ölgeschäfts besonders gut die für den organi- sierten Kapitalismus typische Verzahnung von pri- vatem und staatlichem Interesse zu beobachten.

Andererseits sei gerade dieser Machtkomplex eines

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