Das Applikativum in den Bantusprachen*
Von Ernst Dammann, Berlin
Unter den abgeleiteten Verben des Bantu haben die Pormen, die mit
B. -eia gebildet werden, eine besonders mannigfache Bezeichnung ge¬
funden. In den meisten Fällen begegnet man der Bezeichnung ,,appli-
kativ" oder ,, angewandt*", entsprechend im Englischen apphcative
oder applied^, in Afrikaans applikatief*, im Französischen applicatif^.
Iiäufig findet man auch die Bezeichnung ,, relativ", z. B. bei Roehl
für Schambala oder Suaheli*, besonders oft bei den Autoren, die seiner¬
zeit ihre Arbeiten vorzugsweise in den MSOS veröffentlichten, wie
Schumann', Pocken^, Brutzeb' oder Stern*", aber auch in der portu¬
giesischen Grammatik des Nyaneka**. In der angelsächsischen Welt er¬
scheint auch der Ausdruck ,, prepositional", z. B. bei Miß E. O. Ashton**
oder bei H. C. Lambert*^. Entsprechend gebraucht man im Italienischen
^ Erweiterte Fassung eines Vortrages auf dem 2,5. Internationalen Orien¬
talistenkongreß in Moskau am 11.8. 1960.
2 Z. B. Heremann, C, Kissuküma, MSOS I, 1898, 3. Abt., S. 186; ders.
Luslba, MSOS 7, 1904, 3. Abt., S. 187.
^ Z. B. Fortune, G., An analytical Grammar of Shona, London 1955,
S.208; Guthrie, M.,Lingiofc[<7rommar andZ)ic<ionar2/,L6opoldvilIe 1935, S. 12.
* Z. B. VAN Eeden, B. J . C, Zoeloe-Orammatika, Stellenbosch 1956,
S. 666/67.
^ Z. B. van der Bubot, J. M. M.. EUments d'une Grammaire Kirundi,
MSOS 5, 1902, 3. Abt., S. 55. Eigenartigerweise wird von G. van Bulck in
Les Langues du monde, Paris 1952, S. 873 der Terminus applioatif auf die
sogenannten doppelt-applikativen Verben beschränkt.
* Versuch einer systematischen Grammatik der ScJiambala-Sprache, Ham¬
bmg 1911, S. 182; ähnlich in Wegweiser in die Suaheli-Sprache, 4. Aufl.,
Rügenwalde 1940, S. 184.
' Orundriß einer Gram,matik der Konde-Sprache, MSOS 2, 1899, 3. Abt.,
S. 73.
8 Das Kisiha, MSOS 8, 1905, 3. Abt., S. 75.
' Handbuch der Kamhasprache, MSOS 9, 1906, 3. Abt., S. 84.
Eine Kinyamwezi-Orammatik, MSOS 9, 1906, 3. Abt., S. 257, ebenso
Krumm im Matumbi (MSOS 15, 1912, 3. Abt.. S. 43) und Lobenz im Ma¬
konde (MSOS 17, 1914, 3. Abt., S. 81).
** Breve Mitodo da Lingua Lunyanyeka pelos Missionaries da Huila,
Huila 1938, S. 52.
*2 Swahili Orammar, 2. Aufl., London 1947, S. 217.
*ä Chi-Chifundi, Makerere 1958, S. 65.
Das Applikativum in den Bantusprachen 161
die Bezeichnung forma preposizionale**. Seltener begegnen die Termini
„objektiv**" oder „direktiv**". Singulär sind die Benennungen „Form
des indirekten Objekts" von J. Raum für das Moschi*' oder „finales
Suffix" bei Wangee für das Zulu*^ oder die französische Bezeichnung
dependant bei van Bulck**. Mancher Autor fügt dem von ihm gewählten
Ausdruck einen andem in Klammern oder zur Auswahl bei*". Andere
Autoren verwenden promiscue verschiedene Bezeichnungen neben¬
einander. So finden wir bei Meinhof in seinen „Linguistischen Studien
aus Ostafrika" bei der Behandlung des Zigula den Ausdruck „relativ**", des Makua ,, objektiv**", des Yao „applikativ*^".
In ähnlieher Weise sind die Regeln für die Anwendung der Form
verschieden formuliert. Für den Elementarunterricht genügt zunächst
meistens die allgemeine Fassung, daß das Applikativum angewandt wird,
wenn eine Handlung oder ein Vorgang im Interesse einer Person oder
einer Sache erfolgt. So formuliert z. B. L. Doke, to indicate the aetion
when applied on behalf of or with regard to some object*^. Etwas aus¬
führhcher äußert sich van Ebden. Nach ihm ist die Handlung gerichtet
op of voortgaan in die rigting van 'n persoon, saak, piek, ens**; die Idee
des Zieles und der Richtung ist nach ihm das besondere Kennzeichen
dieser Form. Raum hat seine Beobachtungen im Dschagga dahingehend
zusammengefaßt, daß die Handlung für eine Person bzw. Sache ge¬
schieht (Dativobjekt) oder auf eine Sache hin bzw. in Richtung auf sie
(Verhältnisobjekt), und prägte von daher den Terminus ,,Form des in¬
direkten Objekts".
I* Pick, V. M., Grammatica della Lingua Suxihili, Torino 1953, S. 122.
*5 Velten, C, Kikami, die Sprache der Wakami in Deutsch-Ostafrika,
MSOS 3, 1900. 3. Abt., S. 21.
1^ Endemann, K., Versuch einer Orammatik des Sotho, Berlin 1876, S. 64;
McLaren, J., A Xhosa Grammar, 6. Aufl., London 1952, S. 109. Diese
direktive Form ist nicht identisch mit der direktiven Form des Duala.
*' Versuch einer Orammatik der Dschaggasprache ( Moschi-Dialekt) , Berhn 1909, S. 147.
** Konversations-Grammatik der Zulu-Sprache, Mariannhill 1917, S. 153.
*' In Les Langues du monde, S. 873; vgl. Anm. 5.
^ Z. B. ScHEBPEL, W., Abriß einer Orammatik der Kinyaturu-Sprache,
MSOS 16, 1913, 3. Abt., S. 89: relativ (objektiv, applikativ) oder die un¬
genannten Verfasser des Manuel de langue luganda, 3. Aufl., Maison-Carröe, 1914, S. 251: forme apphcative (determinative, prepositive, completive). Vgl.
auoh R. VAN EvERBROECK, Om Lingala te leren, Brüssel 1955, S. 93: betrek-
kelijk, applicatief.
" MSOS 9, 1906, 3. Abt. S. 291.
22 MSOS 11, 1908, 3. Abt., S. III.
23 MSOS 11, 1908, S.Abt., S. 166.
2^ Text-Book of Zulu Orammar, 2. Aufl., London 1931, S. 131.
25 Zoeloe-Orammatika, Stellenbosch 1956, S. 666.
11 ZDMG 111/1
162 Ernst Dammann
Es ist also nicht zu verkennen, daß in terminologischer Beziehrmg
ein Schwanken herrscht und daß auch die verschiedenen Regeln der
Anwendung nicht so eindeutig sind, daß man das Wesen des Appli-
kativen klar erkennen könnte. Es soll daher im folgenden versucht wer¬
den, auf den Befund in einigen Sprachen einzugehen.
Zunächst mögen einige Beispiele mit intransitiven Verben gegeben
werden. Wenn man im Suaheli sagen will ,,er ist im Hause gestorben",
so wird man übersetzen amekufa nyumbani, im Haya am Victoriasee
dagegen akafera omunju^^. Es hat also bei demselben Tatbestand das
Suaheli die Grundform des Verbums, das Haya dagegen das Appli¬
kativum angewandt. Ebenso konstruiert das Kwangali in Südwest¬
afrika den Satz unter Verwendung des Apphkativums : anafire monzugo.
Ähnliche Beobachtungen kann man bei dem Verbum ,, fallen" machen.
Im Haya muß die Entsprechung gwa bei Angabe einer örthchkeit im
Applikativum erscheinen. Im Suaheli machen wir dagegen in dieser Be¬
ziehung eine interessante Beobachtung. In der Übersetzung der Bibel
in diese Sprache, die seinerzeit von Roehl mit den besten sprachlichen
Experten in Ostafrika erarbeitet wurde, finden wir z. B. Matth. 13, 4
nyingine (sc. mbegu) zikaangukia njiani ,,ethches fiel an den Weg".
Matth. 17, 15 dagegen heißt es von dem Mondsüchtigen mara nyingi
huanguka motoni, tena mara nyingi hyunguka majini „ev fällt oft ins
Feuer und oft ins Wasser". Wenn es sich hier auch um Beispiele aus
der Übersetzungsliteratur handelt, so scheinen sie mir trotzdem als
für gutes Suaheli charakteristisch zu sein.
Wie erklärt sich der unterschiedliche Gebrauch in den Beispielen
sowohl innerhalb des Suaheli als auch zwischen Suaheli und Haya ? Ich
möchte hier den Satz anführen, den mir Frau A. Rascher über das
Haya schrieb: ,, Durch die applikative Form nimmt das Zeitwort Be¬
ziehimgen auf zu einem Objekt, zu dem es ursprünglich keine solchen
besitzt". Der Satz ,,er ist im Hause gestorben" dürfte für das Suaheli
aus zwei Gedankenlinien bestehen. 1. Er ist gestorben. 2. Dies Ereignis
fand im Hause statt. Für den Haya wie auch für den Kwangah sind
jedoch beide Gedanken eng miteinander verbunden. Für ihn handelt
es sich nicht um eine Addition von zwei Gedanken, die asjmdetisch an¬
einander gereiht werden, sondern das Prädikat bringt durch eine be¬
sondere, eben die applikative Form, die enge Beziehung der beiden Ge¬
danken zum Ausdruck. Man könnte auch sagen, daß das Prädikat die
Lokalvorstellung regiert. In einer — zwar unschönen — Form des
Deutschen würde diesem Tatbestand die Wiedergabe entsprechen : „Er
2' Die Belege für das Haya verdanke ich Mitteilungen von Frau A. Ra¬
scher in Bethel; vgl. aueh ihre Ruhaya-Grammatik (vervielfältigt), Bethel
1955, S. 84ff.
Das Applikativum in den Bantuspraehen 163
starb einen Haustod", etwa im Unterschied zu einem Unfalltod oder
einem Kriegstod. In ähnlicher Weise können die Beispiele aus Roehls
Übersetzung gedeutet werden. Von dem Mondsüchtigen wird zunächst
gesagt, daß er häufig fällt. Als Zweites kommt hinzu, daß dies Fallen
zuweilen ins Feuer, zuweilen ins Wasser erfolgt. Es wird dadiu-ch also
eine zusätzhche Aussage zu dem Bericht über das Fallen gegeben. Anders
verhält es sich mit der Aussage über das Fallen der Samenkörner. Hier
wird durch die Anwendung des Apphkativums von vornherein die Be¬
ziehung zum Weg hergestellt. In gekünstelter Weise könnten wir im
Deutschen sagen: ,,Sie Weg-fielen".
Zusammenfassend ergibt sieh bisher folgendes : Intransitiva, die ihrem
Wesen nach kein direktes Objekt haben, können zu einer Satzergänzung,
die an sich kein Objekt ist, in eine enge syntaktische Beziehung treten.
Man könnte diese Ergänzung als Quasiobjekt bezeichnen und sagen,
daß sie von dem Prädikat regiert wird. Für die Anwendung der appü-
kativcn Formen bei diesen Intransitiven lassen sich aber keine das ganze
Sprachgebiet des Bantu umfassende Regeln aufstellen. Der Sprach¬
gebrauch scheint zwischen den einzelnen Sprachen zu schwanken. Er
dürfte z. B. im Haya stärker ausgeprägt sein als im Suaheh. Sicherlich
spielt auch die Frage des Ermessens eirie Rolle, wie die beiden Sätze
aus Roehls Übersetzung gezeigt haben.
Anhangsweise sei hier darauf hingewiesen, daß in einigen Bantu¬
sprachen intransitive Verben ein Reflexivum zu sich nehmen und in
der applikativen Form erscheinen. Solche Formen begegnen nicht selten
in der Suahehpoesie, z. B. ifurahia ,,sich freuen", wörtlich „sich be¬
freuen", vgl. auch im Haya egendera ,, selbst gehen". Der Sinn ist, hervor¬
zuheben, daß Vorgang oder Tätigkeit im eigenen Interesse geschehen.
Es scheint dadurch eine besondere Verbindung mit dem Subjekt ge¬
geben zu sein. Diese Eigenbeziehung ist zuweilen so stark, daß diese
Bildungen an der Grenze des Pejorativen stehen können, etwa in dem
Sinne, etwas planlos und ohne Absicht tun. In ähnlicher Weise kann
yegendera im Haya heißen ,,er ist auf und davon gegangen*'".
Eine andere Gruppe bilden die transitiven Verben, die eine Objekt¬
ergänzung haben können und meistens auch aufweisen. Im Suaheli heißt
,,er bringt ein Buch" analeta kitabu, ,,er bringt dem Lehrer ein Buch"
anamktea mfunzi kitabu. Formal können wir sagen, daß das Prädikat
zwei Objekte regiert. Die Frage ist aber, ob man dadurch dem Denken
des Bantu gerecht wird. Kennt man hier die Vorstellung von zwei Ob¬
jekten ? Vielleicht kommen wir dem Denken des Bantu näher, wenn wir
davon ausgehen, daß es nur ein Objekt gibt. In einem Beispiel wie
" In ähnlicher Weise verwendet der Moschi-Dialekt des Dschagga das
reflexive Inflx -ku-, vgl. Baum, a. a. O. S. 154.
11»
164 Ebnst Dammann
anamletea mfunzi kitabu ist dann der Kunstgriif vollzogen worden, daß
eine Satzergänzung, die nicht Objekt war, zum Objekt gemacht wurde.
Das bisherige Objekt tritt demgegenüber zurück. Man könnte sagen,
daß es asyndetisch zu der neuen Konstruktion hinzutritt. Die Richtig¬
keit dieser Vorstellung scheint mir dadurch bestätigt zu werden, daß
das Passiv mit dem neuen Personalobjekt als Subjekt gebildet wird:
mfunzi analetewa kitabu ,,dem Lehrer wird ein Buch gebracht". Wir
könnten in nicht gutem Deutsch auch sagen ,,der Lehrer wird (mit
einem) Buch gebracht".
Ich würde also vorschlagen, nur von einem Objekt zu sprechen. Sollte
man Vorstellungen der deutschen und vielleicht auch der indogerma¬
nischen Grammatik übertragen wollen, müßte man sagen, daß unser
indirektes Objekt im Bantu zum direkten Objekt und unser direktes
Objekt zum indirekten wird.
Das angeführte Beispiel aus dem Suaheli zeigt gewissermaßen den
ModellfaU in der Anwendung des Applikativums. Aber auch hier gibt
es Differenzierungen. So heißt es z. B. im Suaheli ameutia rangi ukuta
,,er hat Farbe auf die Wand getan". Ebenso würde man meines Wissens
bei einem Menschen, etwa einem Schauspieler, sagen amemtia rangi mtu
„er hat den Menschen geschminkt". Es wird also nicht das Applikativum
angewandt. Der Grund dafür ist, daß tia rangi als ein Gesamtbegriflf
aufgefaßt wird. Formal handelt es sich noch um ein Verbum mit ab¬
hängigem Objekt, inhaltlich sind aber beide Vorstellungen bereits zu
einer Gesamtvorstellung geworden. Wir können von einer ähnlichen Ent¬
wicklung im Deutschen sprechen, wo für die Vorstellung von ,,Farbe
legen", ,, Farbe darauf tun" ein besonderes, beide Vorstellungen zu¬
sammenfassendes Wort ,, malen" gebraucht wird**.
Sodann scheiden für apphkative Bildungen die Verben aus, die schon
an sich eine applikative Bedeutimg haben. Dazu gehört in der Regel
das Verbum B. pa „geben", vgl. im Suaheli nipe chakula ,,gib mir
Speise", entsprechend im Haya mpa ebyakulya. Wir haben es hier viel¬
leicht mit sog. Objektverben zu tun, so daß man pa korrekterweise mit
,, jemand geben" übersetzen müßte. Ebenso würde dann im Haya ima
,, jemand (etwas) verweigern", hora ,, jemand leihen" bedeuten**.
Der oben angeführte Modellfall zeigte, daß das eigentliche Objekt des
Applikativums personalen Charakter trägt. Es kommen aber auch hier
Abweichungen vor. Es heißt z. B. im Haya omukazi achumba ebitoke,
abichumbira abanabe ,,die Frau kocht Bananen, sie kocht sie ihren Kin-
2* Vgl. im Dschagga von Moschi dilca mndu Kindo jemand etwas zur
Beförderung übergeben, jemand etwas zum Tragen auflegen.
2* Vgl. die sogenannten Objektverben, z. B. im Kunuzi-Dialekt des Nubi¬
schen tir „ihm (ihr) geben", tidir „ihnen geben".
Das Applikativum in den Bantusprachen 165
dem". Es fällt hier auf, daß das Sachobjekt bi, auf ebitoke bezogen, vor
dem Applikativum steht. Ins Suaheli transponiert würde man meines
Wissens nicht anazipikia wanawe, sondern anawapikia wanawe erwarten.
Für diese Erscheinung im Haya fehlt meines Erachtens bisher eine all¬
seitig befriedigende Erklärung. Vielleicht handelt es sich um eine Konta¬
mination zweier Konstruktionen, indem abichumba ebitoke und aba-
chumbira abanabe zusammen abichumbira abanabe ergeben. Eine andere
Denkmöglichkeit wäre, daß chumbira abana ,,für Kinder kochen" schon
zu einem GesamtbegriflF geworden ist, wie wir es oben im Suaheli bei
tia rangi gesehen haben. Für das Bewußtsein wäre dann die Vorstellimg
des Applikativen bereits in den Hintergrund getreten.
Schließlich sei an Verben erinnert, die in der heutigen Sprache nur
in der applikativen Form vorkommen, wie etwa im Suaheli sikia ,, hören".
Ein Gmndverbum *sika ist im jetzigen Suaheh nicht bekannt. Vielleicht
ist die zu postuherende Grundform intransitiv gewesen, und eine Satz¬
ergänzung konnte nur dadurch zum Objekt werden, daß das Verbum die
applikative Form annahm. Die auf diese Weise entstandene Verbindung
ist dann so vorherrschend geworden, daß dadurch die Gmndform außer
Gebrauch kam^". Natürhch muß bei Verben dieser Art im Einzelfall imter¬
sucht werden, ob es sich wirklich um Applikativa handelt. So könnte
chukia ,, hassen" im Suaheh eine denominale Bildung zu chuki sein.
Wenn man von Besonderheiten in der Anwendung des Applikativen
absieht, so liegt doch grandsätzhch sein Gebrauch klar vor uns. Am
nächsten in der richtigen Auffassung scheinen mir bisher J. Raum und
Frau A. Rascher dem Tatbestand gekommen zu sein. AUerdings ar¬
beiten beide, wie ihre oben angeführten Formulierungen beweisen^*,
noch mit dem BegriflF ,, Objekt". Wie schon dargelegt, müßte man min¬
destens die Frage stellen, ob man im Sinne des Bantu überhaupt von
mehreren Objekten sprechen kann. Schließhch kommt es hier auf die
Definition dessen an, was man unter Objekt versteht. Ist Objekt eine
Satzergänzung, die vom Prädikat abhängig ist, dann scheint mir stets
nur die Abhängigkeit einer Ergänzung möglich zu sein, wie es auch bei
den Sudansprachen meistens die Regel ist. Vielleicht können wir besser
^ Vgl. im Duala 6mea ,, zustimmen", ingea „eintreten", J. Ittmank,
Orammatik des Duala, Berlin 1939, S. 131.
Man könnte nooh Mlle. L. Hombubgeb hinzufügen, die in diesem Zu¬
sammenhang auch von einem indirekten Objekt spricht, The Negro-African
Langiuiges, London 1949, S. 128. Ähnlich ist die Definition bei A. Meillet
und M. Cohen, Les Langues du Monde, 2. Aufl., Paris 1952, S. 1277: Forme
verbale employee quand Fobject indirect marque ä l'avantage ou au de¬
triment de qui s'accomplit Taetion. Aueh Doke sagt, daß transitive Verben
durch das Applikativum zwei Objekte erhalten, Bantu Linguistic Termino¬
logy, London 1935, S. 52/53.
166 Ebnjt Dammann
folgendermaßen definieren: Das Applikativum macht ein Nichtobjekt
zum Objekt. Ein etwa vorhandenes bisheriges Objekt wird dadurch zum
Nichtobjekt und kann daher auch im Passiv nicht zum Subjekt werden.
Damit ist allerdings die Vorstellung vom Objekt, wie wir sie vom La¬
teinischen her gewohnt sind, erweitert. Adverben oder lokative Ver¬
bindungen können im Bantu als Objekt dienen, wie ja auch zuweilen
ein Passivum ein Objekt regieren kann. Mit der gegebenen Definition
lassen sich meines Erachtens die verschiedenen Arten der Anwendung
des Applikativums begreifen. Wie wir diese Objektbeziehung in unseren
Sprachen wiedergeben und terminologisch bezeichnen, ist eine andere
Sache. Für das Bantu dürfte der Inhalt des mit dem Applikativum ver¬
bundenen Objektes sehr komplex sein^*.
Im allgemeinen hebt sich das Applikativum in den Bantusprachen
in Form und Bedeutung deuthch von den anderen Verbalspezies ab.
Lediglich im Nordwesten haben morphologisch andere Formen Be¬
deutungen, die dem Applikativen nahe kommen. Zwar gibt es z. B. im
Duala regelmäßig gebildete Applikativa, z. B. sä ,, tanzen", sea ,,für
jemand tanzen^^". Daneben aber bildet man tilane ,,mit etwas schreiben"
zu tiia; ipane ,,in oder mit etwas kochen" zu ipe; pgne ,,zu jemand
kommen" zu pg^*. Hier liegt msprünglich die assoziative Spezies vor,
in der die Partikel na ,,und, mit" steckt, wobei die Bedeutimg ,,mit"
vom Komitativen zum Instrumentalen übergegangen ist^*. Ittmann
nennt diese Formen ,, direktiv". Man könnte auch das in Kamerun ge¬
sprochene Bg anführen. Auch hier gibt es ein eigentliches Applikativum, z. B. bwa ,, gebären", bwele ,, gebären für^*". Spellenbekg bringt aber
außerdem die „soziale Endung -a" und sagt, daß ihre Bedeutung sich
öfter mit der apphkativen berühre, z. B. so ,, waschen", sgwa ,, waschen mit", ton ,, wollen", tonu ,, etwas von jemand wollen^'". Eine nähere
Untersuchung würde wahrscheinlich ergeben, daß der Unterschied
zwischen dem Applikativen einerseits, dem Direktiven bzw. Sozialen
'2 Vgl. z. B. die ausführlichen Darlegungen Roehls über das Suaheli,
Wegweiser, S. 190 ff.
Ittmann, S. 132.
" Ittmann, S. 140.
'5 Auch im Bulu hat die reziproke Endung -an zuweilen applikative
Bedeutung. Wie eng applikative und reziproke (besser: assoziative) Vor¬
stellungen miteinander verbunden sein können, zeigt ein Beispiel wie titane
mvu „hinter einem Hund herjagen" (mündlieh von A. Klingenheben in
Hambmg). Man könnte bier allerdings fragen, ob nieht von dem Bulu die
Form nur assoziativ verstanden und ob das applikative Moment nicbt erst
durch die deutsche Übersetzung hineingetragen wird.
ä" Spellenbebg, f.. Die Sprache der Bo oder Banken in Kamerun, Berlin 1922, S. 58.
" A. a. O., S. 59.
Das ApplikativTun in den Bantusprachen 167
andererseits darin liegt, ob eine Objektbeziehiuig gegeben ist oder
nicht.
Über die Frage der Etymologie des Suffixes B. -eki haben sich bis¬
her wenige Forscher geäußert. Endemann, der die These vertritt, daß
alle Speziesendungen ursprünglich Verben gewesen sind^*, denkt beim
Applikativum an ein Verbum mit der Bedeutung „fiießen, strömen".
Dadurch bekommt naeh ihm das Grundverbum die ,, Richtung auf ein
terminatives Objekt". Daraus erklärt sich auch die von ihm gewählte
Bezeichnung ,, direktiv^*". Etwas phantastisch äußert sich F. Müllee
vor fast 100 Jahren über die ,, Relativ- oder Objectform": ,,das Zeichen
la ist wahrscheinhch der Pronominalstamm dritter Person la und soU
die Beschränkimg auf ein bestimmtes Object bezeichnen*"". Diese Theorie
ist aber nicht zu begründen, da es im Bantu gar keinen Pronominal¬
stamm la gibt**. Über den Bereich des Bantu hinaus führt Mlle Hom¬
buegee, wenn sie Beziehungen zu dem Stamm le für möglich hält, der
z. B. im Fon ,, zurückkehren" heißt; vgl. wa ,, kommen", lewa ,, zurück¬
kehren", bye ,, eintreten", lebye ,, wiedereintreten**". Wenn man schon
über das Bantu hinausgeht, könnte man eher an das von J. Geeenbeeg
angeführte Suffix -ir des Serer und des Ful erinnern, dessen Funktion er
angibt mit ,, perform an aetion together with or by means of*^".
Mir scheint, daß das letzte Wort über die Etymologie des Suffixes noch
nicht gesprochen ist. Ich halte wie Endbmann ein ursprünghches Ver¬
bum nicht für ausgeschlossen. Eine Stütze für die Möghchkeit solcher
Anschauung sehe ich darin, daß die Apphkativendung in südwest¬
afrikanischen Sprachen ebenso wie das Adjutivsuffix -eka der Vokal-
assimüation unterhegt. Dies deutet auf einstige verbale Eigenständigkeit,
wie sie beim Adjutivum sicher vorhegt**.
Zur Terminologie wäre zu sagen, daß das Wort ,,apphkativ" sehr
farblos ist. Entsprechend unserer oben gegebenen Definition wäre die
vereinzelt erscheinende Bezeichnung ,, objektiv" die Beste. Aber auch
dieser Ausdruck ist nicht eindeutig, zumal da wir im Nubischen in an¬
derer Beziehung von objektiven Verben sprechen**. So mag es bei der
38 Endemann, K., Versuch einer Orammatik des Sotho, Berlin 1876, S. 61.
Endemann, S. 64; vgl. Anm. 16.
Reise der österreichischen Fregatte Novara um die Erde in den Jahren 1857,
1858, 1859, Wien 1867. Linguistisoher Teil, S. 38.
*i Das Formans la dient nur als Präformativ bzw. als Suffix bei Demon¬
strativpronomina.
*2 A. a. O. S. 128.
*3 Gbeenbebg, J., Studies in African Linguistic Classification, New
Haven, 1955, S. 28.
Vgl. Dammann, E., Die sogenannten Kausativa auf -eka in Bantu-Sprachen,
Afrika und Übersee XLII, 1958, S. 176. " Vgl. Anm. 29.
168 Ebnst Dammann
Bezeichnung applikativ bleiben. Man sollte diese aber auf die Formen
beschränken, die mit der Endung B. -eh, gebildet werden. Die sich bei
Hbbrmann über das Sukuma findende Bemerkung, daß das Suffix -ga
eine Art ,, angewandte Form" bildet**, bedarf näherer Nachprüfung und
wird sich wahrscheinlich nicht bestätigen. Eher dürfte eine durative
Vorstellung zugrunde hegen*'.
Es würde reizvoU sein, der Bildung und Anwendung applikativer
Vorstellimgen in anderen Sprachstämmen nachzugehen. Das Kuschi¬
tische, z. B. Galla oder Somali kennt keine Bildungen dieser Art.*'».Im Nama existiert ein apphkatives Suffix -ba, z. B. mi ,, sagen", miba ,,zu
jemand sagen". Es scheint, daß dies Suffix die Bedeutung des Grund¬
verbums zunächst in lokativem Sinne variiert**. Im Semitischen benutzt
man die sog. 3. Form, z. B. qätala ,, bekämpfen", Icätaba ,,an jemand schreiben", läiana „sich gegen jemand milde zeigen**". Es ist bemerkens¬
wert, daß dieser Stamm im Hebräischen bis auf einige Rudimente nicht
mehr vorhanden ist. Im Südsemitischen speziahsiert sich die Bedeutung
auf die Richtung der Handlung auf ein Ziel, insofem diese ,,als auf einen
andern einwirkend und ihn zur Gegenhandlung herausfordernd dar¬
gestellt werden soll**".
Im Germanischen werden Applikativa mit der Vorsilbe be- gebildet.
Diese ist aus der ursprünghchen Form bi, heute ,,bei", entstanden und
hatte zunächst sinnlich-lokale Bedeutung**. Die Varüerung der Vor¬
stellung vollzieht sich also ähnhch wie im Nama. Später weist die Vor¬
silbe be- allgemeiner ,, auf die viel- oder allseitige Einwirkung, die ganze
und voUe Bewältigung des Gegenstandes hin**". Nach Erben erfaßt
die Handlung bei Anwendung der Partikel das Objekt in seiner Ge-
" Hebbmann, C, Kissuküma, MSOS 1, 1898, 3. Abt., S. 178.
" Es würde nicbt in der Thematik dieses Aufsatzes liegen, weitere Einzel¬
heiten zu bebandeln. Dazu würden z. B. die doppelt- oder dreifachapplika-
tiven Bildungen gehören, durch die zum Teil neue Spezies entstehen, vgl.
z. B. das Perfektivum des Zulu auf -elela, van Eedbn, S. 676. — Ebenso
mag die Frage naeh der Identität des Kausativsuffixes -s- mit dem gleieh-
lautenden Applikativsuffix im Bushong unerörtert bleiben, vgl. J. Van-
siNA, Esquisse de Grammaire Bu^shong, Tervuren 1959, S. 27.
Im Galla erfolgt Umschreibung durch die Postposition dura.
Dempwolff, O., Einführung in die Sprache der Nama-Hottentotten,
Zeitschrift für Eingeborenen-Sprachen XXV, 1934/35, S. 95.
*° Brockblmann, C, Orundriß der vergleichenden Grammatik der semi¬
tischen Sprachen, I.Band, Berlin 1908, S. 511.
5° Brockelmann, a. a. O. S. 512. Eigenartig ist, daß die 3. Form zu¬
weilen kausativen Sinn haben kann, z. B. bä'ada „entfernen"; vgl. die in
Anm. 47 erwähnte Beobachtung im Bushong.
" Henzen, W., Deutsche Wortbildung, 2. Aufl., Tübmgen 1957, S. 105.
52 Formuliert von Grimm, Deutsche Orammatik, zitiert bei Henzen, S. 105.
Das Applikativum in den Bantusprachen 169
samtheit und drückt ferner aus, daß ein — zunächst nicht objekt¬
bezogener — Vorgang auf ein Objekt übergreift*^. Diese letztere Funktion
berührt sich eng mit dem Gebrauch des Applikativums im Bantu.
Abschließend mag man fragen, ob das Applikativum des Bantu irgend¬
wie ein besonderes Gepräge trägt. Im Unterschied zu anderen Sprach¬
gruppen, vielleicht mit Ausnahme des Nama, ist festzustellen, daß es
sich um eine noch lebende Verbableitung handelt. Meines Wissens kann
in den Bantusprachen, wo es der Sinn gestattet, von jedem Verbum das
Applikativum gebildet werden**. Es tritt statistisch sehr häufig auf**.
Das heißt also, man ist im Bantu geneigt, sehr häufig Objektbezüge
herzustellen. Eine Eigenart des Bantu ist es dabei, daß dies auch mor¬
phologisch, eben durch den Gebrauch der applikativen Form, der häufig
der pronominale Objekthinweis hinzugefügt wird, zum Ausdruck
kommt. Hier scheint mir eine Eigenschaft des Bantu hervorzutreten.
Der logisch-psychologische Bezug wird morphologisch angedeutet. Im
Bereich des Nomens geschieht dies durch einen zuweilen pedantisch
anmutenden Gebrauch der Konkordanz. In einem bestimmten Sektor
des Objektverhältnisses geschieht es dm'ch das Apphkativum.
53 Ebben, J., Abriß der deutschen Grammatik, Berlin 1958, S. 21.
5* Daß im Dzing nach J. Mebtens, Les Ba Dzing de la KamtsJia, Brüssel
1938, S. 181 keine Applikativa vorhanden sind, dürfte, wie aueh der Ver¬
fasser selber bemerkt, ein singulärer Fall sein.
55 Auf diese Weise kann das Applikativum eines Grundverbmns eine Vor¬
stellung wiedergeben, für die das Deutsehe zwei verschiedene Wiedergaben hat, z. B. im Digo gorriba „streiten", gombera ,, helfen" (eigentlich: streiten für).
Aimara II
Von K. Bouda, Erlangen
Nach Aim.' möchte ich hier weitere Beobachtungen über das Aimara
vorlegen, das in Peru und Bohvien hauptsächhch in der Umgebung des
Titicacasees gesprochen wird. Sie werden die bisherigen Untersuchungen ergänzen und, wie ich hoffe, stützen.
Das Material stammt aus der genannten Quelle, Middendorf. Ob
sich der Wunsch, reicheres Material zu untersuchen, verwirkhchen lassen
wird, muß der Zukunft überlassen bleiben.
Transkription, bibhographische Abkürzungen und Anordnung ent¬
sprechen genau der in Aim. befolgten Praxis, so daß hier auf die Kenn¬
zeichnung der Artikulationsart und Stellung der Konsonanten durch
besondere Titel verzichtet werden kann.
A. Südkaukasische Entsprechungen
1. A. h-apa „eine Schuld tilgen", h-apha-l'a ,,leer": svan. *p' ,, leeren"
in p'-ari „leer" mit nominalem Suffix. Vokalisiert wie Aim. Nr. 44 usw.
Die vokalischen Affixe, die konsonantische bzw. mit Konsonanten an-
und auslautende Wurzeln umgeben oder abschließen, erinnern, des¬
kriptiv gesehen, lebhaft an ähnhche Elemente im Südkaukasischen und
Baskischen, obwohl sie, nicht nur a und i, sondern auch u, genetisch
anders zu beurteilen sind, vgl. hier. Aim., Tung, passim, insbesondere
Aim. Nr. 1. Diese Elemente, die klar sind, werden wie bisher im allge¬
meinen durch Bindestriche nicht abgetrennt.
2. A., k. marq'a ,, auf den Armen tragen" : svan. meqer „Arm" aus *meqr, abch. mayra ,, Ärmel". Zum Vokahsmus vgl. Nr. 18, Aim. Nr. 5 usw. Der so¬
nantische Laut ist metathetiert, da die Gruppe gVin a. und k. nicht existiert.
3. A., k. inti ,, Sonne" mit antekonsonantischem nasalem Püllaut, vgl.
Aim. Nr. 20, aus *i-"t-i, vokahsiert wie Nr. 20. 30, Aim. Nr. 62 usw. :
südkauk. *t in georg. na-t ,, anzünden, leuchten", na-t-eli, mingr. si-na-te, si-n-te, las. te „Licht, heU" usw., vgl. BKEt. 40 Nr. 2 mit Analyse und
Interpretation anderer Wörter dieser Sippe.
4. A. Vifu , .wegnehmen" : georg. fiPv-eli, mingr. fut'-eli „nackt,
bloß" mit nominalem Suffix. Semantisch etwa „wegnehmen, (Kleider)
ausziehen, entblößen".
1 Aimara und Tschimu, ZDMG Bd. 110, H. 2, S. 368—400