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Liebe Leserin, lieber Leser

Am kommenden 27. Januar wird im Rahmen eines Gedenktages vielerorts an den Holocaust erinnert. Warum das Gedenken an dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch für die Schule wichtig ist, ist Thema unseres aktuellen Schwerpunkts.

«‹Bildung›», so ein altes Bonmot, «kommt von ‹Bild›, nicht von ‹Buch› – sonst würde es ‹Buchung› heissen». In der Realität unseres visuellen Zeitalters ist es um die Bild-Bildung aber nicht immer besonders gut bestellt. Kommt dazu, dass Bilder ihrer Offenheit wegen unterschiedlich gedeutet werden können. So war der Redaktion bewusst, dass es nicht einfach sein würde, einen Schwerpunkt wie den vorliegenden zu illustrieren. Warum er ohne Illustrationen erscheint, lesen Sie auf Seite 27, alles andere zum Thema ab Seite 2.

Bilder gibt es dafür in der Rubrik «aktuell». Maja Burkhard hat in Indien tibeti- sche Klosterschulen besucht. Sie hat miterlebt, wie Studierende im Rahmen des Bildungsentwicklungsprojektes «Science meets Dharma» mit westlich-naturwis- senschaftlichem Wissen konfrontiert und vertraut gemacht werden.

Fiona Hefti ist zurück an der Pädagogischen Hochschule Zürich und nimmt ihr letztes Studienjahr in Angriff. Thomas Merz heisst die ehemalige Miss Schweiz willkommen und zeigt anhand eines Fotos ihrer Nachfolgerin, wie das aussieht, wenn man plötzlich im Rampenlicht steht.

Neben Wörtern und Bildern wollen wir aber die Zahlen nicht vergessen. Daniel Ammann weiss alles über die bevorstehende Reform des Zahlensystems und ver- rät es Ihnen im «mediensplitter». Der Abkehr vom überholten Dezimal- und der Einführung des Zwölfersystems steht somit nichts mehr im Weg – weg mit den überschüssigen Nullen!

Damit wünschen wir Ihnen alles Gute zum Jahresschluss und freuen uns, wenn wir Sie im neuen Jahr wieder ins Bild setzen können.

Thomas Hermann

4/2005

2 schwerpunkt

2 Einführung in den Schwerpunkt: Holocaust in der Schule

3 Nach dem grossen Krieg: Erinnern an Ereignisse, die man selbst nie erlebt hat

5 Wissen und Handeln: Geschichtslernen und Gedenken mit Jugendlichen

9 Viele Ideen und kein Zwang: Luzerner Schulen gedenken des Holocaust

13 Nachrichten aus Buchenwald: Ein Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers und der Gedenkstätte

16 Nach der Befreiung aus dem KZ Buchenwald:

Ein psychologisch-pädagogisches Konzept für die überlebenden Kinder

19 Du sollst dir (k)ein Bildnis machen: Filmische Darstellung der Shoah im Wandel

22 Vom Umgang mit Schrecklichem im Unterricht:

Erwägungen und Empfehlungen

25 27. Januar 2006: Der Tag des Gedenkens an den Holocaust an der Pädagogischen Hochschule Zürich

27 Ausschreibung: Nationale Tagung zum Thema

«Unterrichten in der Schweiz zur Erinnerung an den Holocaust»

28 standpunkt

Ist das noch normal? Oder einfach besonders pädagogisch?

30 aktuell

30 «Science meets Dharma»: Naturwissenschafts- unterricht in tibetischen Exilklöstern

34 Fiona Heftis Jahr als Miss Schweiz: Rückblick, Ausblick und ein Blick hinter die Medienkulisse

38 rezensionen 42 bildungsforschung

44 phzh

44 Manès Sperber – Ein treuer Ketzer. Überlegungen und Hintergründe zum Dokumentarfilm

47 Kein Grund, viel zu ändern. Primarlehrer/

innenausbildung im Wandel?

51 Die Droge Verwöhnung. Beispiele, Fragen, Alternativen

52 Auf dem Weg zu «Religion und Kultur» in der Schule

55 NDK «Genderkompetenz»

56 mediensplitter

Jetzt schlägt’s dreizehn

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«‹Und dein Vater hat dir nichts erzählt?› fragte ich wieder wie ein Tor. ‹Fast gar nichts.› ... Da sass ich vor dem Sohn meines Freundes T., überflutet von Gedanken. Die alte Angst, dass die Geschichte unseres Lebens, meines und seines Lebens, und die unserer Eltern und deren Vorfah- ren verschwinden würden und keine Erinnerung an sie mehr übrig bliebe, diese Angst hat mich in mancher Nacht gepackt.»1 Aharon Appelfeld, in Czernowitz in einer jüdischen Mittelstandsfamilie geboren, ist bei Ausbruch des Krieges sieben Jahre alt. Nachdem er von seinem Va- ter getrennt wird, gelingt ihm die Flucht aus dem Ghetto.

Er überlebt in den Wäldern Polens, kommt als Vierzehn- jähriger nach Israel, wird Schriftsteller. Appelfelds Angst entspricht dem Bedenken vieler Betroffener. Der Diskurs zwischen den Generationen ist notwendig, damit Wissen und Erinnerung lebendig bleiben. Nie vergessen! Nie wie- der! Die Zeit vergeht, der Abstand zu den Gräueln der Na- zizeit wächst. Bald gibt es keine Überlebenden mehr, die Zeugnis ablegen, uns erzählen können, wie es damals war. Erinnerung muss sich wandeln.

Im Jahr 2000 trafen sich in Stockholm über 2000 Vertreter aus 40 Staaten zu einer internationalen Holocaustkonfe- renz. Die gemeinsame Wertediskussion, die Bekämpfung des Neo-Nazismus, die Vermeidung eines neuen Holocaust wurde zur Basis eines (offiziellen) europäischen Gedächt- nisses2. Die Tagung zeigte auch, wie sich subjektive Erin- nerung in kollektives Gedächtnis wandelt, und wie dabei nationale Grenzen überwunden werden. Kann Erinne- rung zukunftsweisend sein?

Warum hat Gott nicht geholfen? Die siebenjährige Rachel steht mit ihrer Mutter im Gedenkraum des jüdischen Mu- seums in Berlin. Ihr Grossvater kam 1938 als neunjähri- ger Knabe in die Schweiz. Rachel weiss, dass ihr Grossva- ter in die Schweiz geflohen ist, obwohl er selber nie über diese Zeit spricht. Schritt für Schritt begibt sie sich auf die Entdeckung der Geschichte ihrer Familie. Die dritte Gene- ration: Jede Generation muss ihren Blick auf Geschichte neu definieren, soll ihre eigenen Fragen stellen können.

Die Rolle der Schweiz

Das Land blieb als einziges in Europa verschont, eine In- sel im Krieg. War es ein glückliches Zusammentreffen von Umständen, wirtschaftlichen Interessen, strategischem Geschick, gar Bauernschläue? Die Aktivdienstgeneration weiss von harten Zeiten zu berichten, von Ungewissheit und Angst. Es gab Leute mit Zivilcourage, Solidarität, aber auch Duckmäuser, Antisemiten, Profiteure ... Und es gibt die Scham, nicht mehr Flüchtlinge aufgenommen zu ha- ben. Kein Mahnmal, keine Gedenktafel erinnert an die Abgewiesenen. Die unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, 1996 vom Bundesrat einge- setzt, hat die dunkle Seite der Schweiz aufgearbeitet und legte im sogenannten Bergier-Bericht Zeugnis ab von den

Verwicklungen in das Kriegsgeschehen. Dass die Schweiz neutral bleiben konnte, enthebt uns «Unbeteiligte» («By- standers» wurde dafür als treffender Begriff geprägt) nicht der Verantwortung.

Der Zürcher Christian O., 24 Jahre alt, hat sich nie über- legt, warum seine Verwandten nicht in die Datenbank der ermordeten Juden von Yad Vashem aufgenommen wurden: Sein Urgrossvater, Verleger in Frankfurt, wurde in Dachau vergast, sein Onkel tauchte unter und kam ir- gendwo, irgendwie zu Tode. Die Überlebenden der Fami- lie hätten ausweisen müssen, dass die Toten jüdisch wa- ren und entsprechende Dokumente vorlegen sollen. Eine Auseinandersetzung um die Frage, ob sie nun jüdisch, aber christlich assimiliert seien oder dem traditionellen Begriff des Judentums entsprechen, schien dem Geden- ken der Ermordeten unwürdig. Christians Grossvater wur- de dank der Bürgschaft einer Zürcherin mit 17 Jahren als Flüchtling in der Schweiz aufgenommen, hat studiert und geheiratet, ein ruhiges Leben führen können. Die Familie erwartete keine Wiedergutmachung aus Deutschland, hat sie nie verlangt ...

Der Holocaust als Thema in der Schule

Der Europarat erklärte im Jahr 2003 den 27. Januar, an dem 1945 das Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit wurde, zum «Tag des Gedenkens». Die Schweizerische Konferenz der Kantonalen Erziehungsdi- rektoren unterstützte dieses Anliegen und rief zur akti- ven Begehung des Gedenktags auf. So wurde 60 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz in verschiedenen Schweizer Schulen der «Tag des Gedenkens an den Holo- caust und der Verhütung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit» begangen. Die Schule kann ein Ort des Gedenkens und der politischen Bildung sein; sie kann ein Forum schaffen für die Meinungsbildung und einen Akzent setzen gegen rechtsradikale Strömungen. Sie soll Jugendliche ernst nehmen als zukünftige Bürger/innen des Landes. Wir «Nachgeborenen» sind verantwortlich für die Stabsübergabe an die dritte Generation, das heisst auch, dass Vergangenheit nicht vergessen wird.

Die Autorin und Autoren Michael Guggenheimer, Stephan Hediger, Hans Moos, Rudolf Isler, Sabina Brändli, Peter Gautschi und der Interviewpartner Volkhard Knigge set- zen sich in ihren Beiträgen engagiert für dieses Anliegen ein.

Renate Amuat, Kulturbeauftrage der Pädagogischen Hoch- schule Zürich

1 Appelfeld, Aharon. «Geschichte eines Lebens». Berlin: Rowohlt 2005, S. 187.

2 Levy Daniel, Sznaider Natan. «Erinnerung im globalen Zeital- ter: Der Holocaust.» Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001, S. 210.

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E i n f ü h r u n g i n d e n S c hw e r p u n k t H o l o c a u s t i n d e r S c h u l e

p hIa k z e n t e 4 / 2 0 0 5

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Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wird zu einer indirekten Erinnerung, weil die Zeit- zeugen sterben. Weshalb noch an den Krieg und an die systematische Ermordung der Juden erinnern? Erinnern, um die Verfolgung Anders- denkender in der Zukunft abzuwenden.

«Nicht schon wieder.» «Ich mag dieses Wort nicht mehr hören.» «Ach, das ist schon so lange vorbei, bitte nicht nochmals». Es sind deutsche Freunde, die das sagen. Sie sind um die sechzig und etwas darüber. Und sie meinen den Zweiten Weltkrieg. Oder noch genauer: Holocaust und Shoah. Sie sind in der jungen Bundesrepublik aufgewach- sen, ihre Väter waren in den Jahren des Dritten Reichs Soldaten, die an der Ostfront oder am Westwall gedient haben. Die nach dem Krieg gross Gewordenen kennen alle die Schlüsselbegriffe wie Auschwitz und Zyklon B, Juden- stern und Reichskristallnacht. Jetzt ist genug, finden sie, sie sind des Erinnertwerdens überdrüssig, denn es wird da nicht ihrer Zeit gedacht, sondern einer Zeit, die nicht ihre war. Den grossen Krieg und die Vernichtung des deutschen und europäischen Judentums in den vom Dritten Reich besetzten Gebieten kennen sie vom Unterricht her, vom Fernsehen, von zahlreichen Ausstellungen, von Büchern und von vielen Zeitungsartikeln. Ihre Kinder sind zwi- schen 25 und 40. Diese mittlerweile erwachsenen Kinder wurden zwanzig und vierzig Jahre nach dem Kriegsende geboren. Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg und Vietnamkrieg:

Für die dritte Generation sind das bereits historische Be- griffe. Sie sind in einer Republik aufgewachsen, in der Shoah und Holocaust nicht stattgefunden haben. Noch ei- ne Generation später ist mancherorts in Deutschland aller- dings eine Trendwende zu beobachten: Junge Menschen in Augsburg wollen wissen, was dem Apotheker passiert ist, der nach 1940 verschleppt wurde, oder jenem Rechtsan- walt, der irgendwann zwischen 1933 und 1939 aus Deutschland verschwunden ist. Geschichte beginnt zu in- teressieren. Sie erstellen kommentierte Ortspläne, denen zu entnehmen ist, wo einst ein Geschäft stand, das einem Juden gehörte, der vertrieben worden ist. Schulklassen am Gymnasium in Görlitz gehen während Monaten in den Ar- chiven der Geschichte jüdischer Schülerinnen nach, die vor 1935 ihre Schule besuchten, von denen heute keine Spuren mehr zu finden sind. In kleineren Ortschaften un-

weit der Schweizer Grenze in Deutschland werden jüdi- sche Friedhöfe, in denen seit Jahrzehnten kein Jude mehr begraben wurde, inventarisiert. Und der alljährlich statt- findende «Europäische Tag der jüdischen Kultur» findet im süddeutschen Raum ein reges Interesse: In so kleinen Ort- schaften wie Buttenwiesen, Hainsfarth oder Ichenhausen finden Führungen statt, bei denen der jüdischen Präsenz vor der grossen Vernichtung nachgegangen wird.

Verschonte Schweiz

Und in der Schweiz? Ein Begriff wie «Aktivdienst», ein Satz wie «Das Boot ist voll», eine Persönlichkeit wie Haupt- mann Paul Grüninger? Sind sie noch vertraut? Der Zweite Weltkrieg und das Los der Flüchtlinge, welche die Schweiz abgewiesen oder aufgenommen hat, sind in der umfang- reichen Publikationsreihe der Bergier-Historikerkommissi- on verpackt. Unter Druck aus den Vereinigten Staaten war jene Zeit Mitte der 90er Jahre nochmals in der öffentlichen Diskussion aufgeflackert, vorübergehend ein Medien- und Politikthema. Doch diese Zeit der Auseinandersetzung und der Debatten ist vorbei. Und wo gibt es im schweizeri- schen Alltag Hinweise auf jenen Krieg, auf jene Zeit der Wegweisungen, in der die Schweiz vom Kriegsgeschehen betroffen war? Keine Denkmäler wie an jedem Dorfplatz in Frankreich, wo die Namen der Gefallenen aufgelistet sind.

Kein Stelenfeld wie in Berlin, kein grosses Monument für die Geächteten und Ermordeten wie mitten in Wien, keine Gedenktafel an einer Hauswand für einen hingerichteten Gegner des Faschismus, kein KZ-Tourismus wie in Maut- hausen, Gross Rosen oder Auschwitz. Der Krieg hat in der Schweiz nicht stattgefunden. Auschwitz lag eben wirklich nicht in der Schweiz. Die Vernichtung des europäischen Judentums muss in der Schweiz kein Thema sein. Die Schweiz habe mit der schrecklichsten Manifestation des Judenhasses nichts zu tun, könnte man meinen.

Dennoch ist die Geschichte des europäischen Juden- tums auch ein Schweizer Thema. Forschungsarbeiten, Bü- cher und Filme über zahlreiche Menschen, die an der Schweizer Grenze abgewiesen und in den sicheren Tod zu- rückgeschickt wurden, zeigen es. Gleichzeitig weisen Erhe- bungen darauf hin, dass heute nicht wenige Schweizer die Juden nicht mögen. Sie mögen sie nicht, obschon es kaum Juden in diesem Land gibt. Sie mögen sie nicht, auch wenn sie keine Juden persönlich kennen. Sie unterschie- ben Juden Eigenschaften, die sie bei sich nicht mögen.

Und sie überschätzen die Zahl und den Einfluss der Juden.

N a c h d e m g ro s s e n K r i eg

E r i n n e r n a n E r e i g n i s s e , d i e m a n s e l b s t n i e e r l e b t h a t

Von Michael Guggenheimer

Publizist, Autor und Fotograf in Zürich, Leiter von Medienkursen. Er hat Zeit- geschichte und Sozialpsychologie studiert und war während dreizehn Jahren Leiter der Abteilung Kommunikation bei der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.

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Wenn in Lugano ein jüdisches Gotteshaus angezündet oder das Geschäft eines Juden zerstört wird, wenn im jüdischen Friedhof von Baden Gräber umgeworfen werden, gilt dies als eine Randerscheinung, sprechen die Medien beschwich- tigend von einem Einzelphänomen, auch wenn diese ein- zelnen Übergriffe gehäuft auftreten. Erst wenn die 1.-Au- gustfeier auf dem Rütli von Hunderten von Neonazis ge- stört wird, die mit nationalsozialistischen Symbolen und Hitlergruss auftreten, kommt Besorgnis auf. Über Vorurtei- le gegen Juden spricht man nicht. Man hat sie, man äus- sert sie hinter vorgehaltener Hand. Selten ist in der Schweiz von jener Zeit die Rede, in der Juden in den Nachbarlän- dern aufgegriffen, deportiert und ermordet wurden. Dieje- nigen, die sich erinnern können, Verfolgte, die sich in die Schweiz haben retten können, die Überlebenden der Kon- zentrationslager, sterben langsam aus. Heute kann kaum jemand mehr aus eigener Erfahrung von damals erzählen.

Die Kraft der Erinnerung

Geht uns die systematische Vernichtung eines Grossteils des jüdischen Volks in Europa heute noch etwas an? Die mit Akribie erfolgte Vernichtung von 6 Millionen Juden in Europa, die grösste systematische Vernichtung einer Men- schengruppe in der Geschichte der Menschheit, kann kaum mehr nachvollzogen werden. Augenzeugenberichte, Erin- nerungen an jene Jahre, die literarisch verarbeitet wur- den, zeugen vom Unvorstellbaren. Primo Levi, ein italieni- scher Chemiker, der im KZ Auschwitz als Sklave eingesetzt wurde, hat in seinen Erinnerungen, die unter dem Titel Ist das ein Mensch? erschienen sind, Zeugnis von jener schrecklichen Zeit abgelegt. Anne Frank, das jüdische Mädchen aus Amsterdam, das in einem KZ ermordet wur- de, hat in ihrem Tagebuch jene Welt geschildert, in wel- cher der Lebensraum einer Bevölkerungsgruppe immer enger wird, bis nur noch die Vernichtung auf sie wartet.

Claudine Vegh hat in ihren Gesprächsprotokollen in ihrem Buch Ich habe ihnen nicht auf Wiedersehen gesagt aufge- zeigt, wie tief die psychischen Wunden jener Kinder sind, deren Eltern deportiert wurden und die den Krieg überlebt haben. Der Holländer Jeroen Brouwers hat in seinem Buch Versunkenes Rot aufgezeigt, dass Aussonderung und Er- niedrigung Jahrzehnte später bei Überlebenden, bei deren Kindern und Kindeskindern, psychische Folgen hinterlas- sen.

Die Erinnerung daran hochhalten, dass Menschen des Menschen ärgster Feind werden können, ist wichtig.

Die Schweiz ist zwar vor Verfolgungen verschont geblie- ben. In der Schweiz, dem mehrsprachigen Land, in dem die Konfessionsgrenzen nicht mit den Sprachgrenzen über- einstimmen, herrscht wohl eine Balance, die Vorkommnis- se, wie es sie im ehemaligen Jugoslawien gab, nicht ein- mal denkbar machen. Und trotzdem kommt es immer wie- der zu Übergriffen. Wohnstätten von Asylsuchenden wer-

den angezündet, Menschen anderer Hautfarbe werden auf offener Strasse von Gruppen Jugendlicher gehetzt und tät- lich angegriffen, politische Abstimmungspropaganda be- dient sich in den letzten Jahren immer häufiger und im- mer ungehemmter übler Vorurteile. Ausländerhetze, Ras- senhass und Diskriminierung Andersgläubiger haben in einem Land, in dem mehrere Kulturen gelebt werden, nichts zu suchen. Die Erinnerung an die Verfolgung von Juden, Jenischen und Homosexuellen in Europa muss wach gehalten werden, damit Verfolgung und Diskrimi- nierung zu keinem Zeitpunkt eine Chance haben, salonfä- hig zu werden. Das Unvorstellbare hat nämlich nach dem Zweiten Weltkrieg seine Fortsetzungen erlebt. Kein Land, keine Bevölkerungsgruppe ist gefeit vor Hass.

In der Synagoge von La Chaux-de-Fonds sind in einer Glasvitrine verrostete Löffel und andere Gegenstände zu sehen, die Jugendliche aus dem Kanton Neuenburg bei ei- nem Besuch eines ehemaligen Vernichtungslagers in Polen mitgebracht haben: In Chelmno, heisst es, kann man an gewissen Stellen mit blosser Hand die Erde umgraben und findet letzte Gegenstände jener Menschen, die nach einer langen Reise in Viehwaggons an einem Ort ausgestiegen sind, um dort systematisch getötet zu werden. Ihre weni- gen Habseligkeiten haben sie liegenlassen müssen: letzte Spuren ihres Lebens. Die Löffel sollen daran erinnern, dass es in der Geschichte der Menschheit immer wieder zur Ver- folgung Anderer gekommen ist und kommen kann.

Sechzig Jahre nach Kriegsende sind der Überdruss und die Erinnerungsmüdigkeit sowie die Forderung, doch endlich die Shoah Shoah sein zu lassen, nicht angebracht.

Aufgrund der Tatsache, dass sich die Schweiz in Europa nie unter Naziherrschaft befand, ist die Erinnerung in den Nachfolgegenerationen in diesem Land eine noch indirek- tere als anderswo. Erinnern in der dritten und vierten Ge- neration? Erinnern an Dinge, an Ereignisse, die man selbst nie erlebt hat? Ist das möglich? Erinnern kann Bedingung für ein wacheres Bewusstsein sein. Kommende Generatio- nen sollen Toleranz und Mitgefühl an den Tag legen, sollen eine bessere Welt aufbauen, sollen Verfolgungen nicht zu- lassen. Wer ein Plädoyer für das Erinnern sechzig Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges hält, will etwas bewirken.

Der Gedenktag an die Shoah soll mit dem geschichtlichen Wissen in eine humane und tolerante Zukunft weisen.

Literaturhinweise

Brouwers, Jeroen: Versunkenes Rot. München-Zürich: Nagel &

Kimche 1984, Serie Piper, 1988 (Originaltitel: Bezonken rood, Amsterdam, 1981).

Levi, Primo: Ist das ein Mensch? München: Hanser, 2002 (Original- titel: Se questo è un uomo, 1947).

Vegh, Claudine: Ich habe ihnen nicht auf Wiedersehen gesagt.

Gespräche mit Kindern von Deportierten. Köln: Kiepenheuer &

Witsch, 1981 (Originaltitel: Je ne lui ai pas dit au revoir. Des enfants de déportés parlent, 1979).

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Im folgenden Beitrag wird die Ansicht vertre- ten, dass ein Holocaust-Gedenkanlass im schu- lischen Rahmen nur dann Sinn macht, wenn er Ausgangspunkt, Zwischenstation oder Höhe- punkt einer längerfristigen intensiven Beschäf- tigung mit dem zu Erinnernden ist und von den Schülerinnen und Schülern mitgetragen und mitgestaltet wird.

Erinnern, Gedenken, Geschichtslernen

Die Pflege der kollektiven Erinnerungskultur mit Gedenk- anlässen und schulisches Geschichtslernen sind zwei ver- schiedene Formen der Beschäftigung mit Vergangenheit, die im Grunde genommen mit der gleichen Hoffnung ver- knüpft sind: Dass sie der Orientierung in Gegenwart und Zukunft dienlich seien. Ansonsten unterscheiden sich Ge- denken und Geschichtslernen aber in mancherlei Hinsicht deutlich voneinander, und das eine folgt auch nicht zwin- gend aus dem andern. Gedenken ist eine feierliche, stille und stilvolle Erinnerung, je nach Anlass und Sichtweise verbunden mit Dankbarkeit, Trauer, Scham oder Stolz. Es bedeutet Innehalten, Ruhe und Besinnung. Gedenken be- ruht auf Gewissheiten, auf derjenigen vor allem, dass das zu Erinnernde des Gedenkens würdig sei. Lernen hingegen ist ein von Alltagslärm begleiteter Aneignungs- und Verar- beitungsprozess mit offenem Ausgang. Lernen ist Unruhe und Bewegung, ist ein Fragen, Suchen, Finden, Zweifeln, Kritisieren, Diskutieren, Annehmen und Verwerfen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob sich in der Schule, die Ort des Lernens und nicht des Gedenkens ist, Gedenken und Geschichtslernen überhaupt ohne weiteres in Einklang bringen lassen:

• Darf das Gedenken für schulisches Lernen instrumentali- siert werden? Hat die Pädagogisierung des Gedenkens nicht etwas Unzulässiges?

• Ist Gedenken geeignet, um bei den Jugendlichen die be- absichtigten Lernprozesse zu initiieren? Besteht nicht die Gefahr, dass die vorgefertigten Botschaften der Erwach- senenwelt, die mit dem Gedenken einhergehen, an den Jugendlichen abprallen oder Widerstände auslösen?

• Ist Gedenken im schulischen Rahmen – also verordnetes Gedenken – nicht widersinnig?

• Bedarf das Gedenken nicht eines speziellen Ortes, eines authentischen Gedenkobjekts oder eines kraftvollen Symbols, alles Dinge, die in der Schule normalerweise nicht gegeben sind?

• Führen Gedenktage nicht dazu, dass die mit ihnen ein- hergehenden Botschaften mit der Zeit versteinern und letztlich bedeutungslos werden?

So wichtig es ist, sich diese Fragen zu stellen, so schwierig wird es sein, abschliessende Antworten zu finden. Das wird im Folgenden auch gar nicht angestrebt. Eines deu- ten die Fragen indes doch an: Die sinnstiftende Verbin- dung von historischem Lernen und Gedenken im schuli- schen Rahmen stellt sich nicht von alleine ein, sondern will bewusst arrangiert sein. Ein Gedenktag an einer Schu- le kann und darf sich deshalb nicht im Gedenken erschöp- fen, sondern muss Beginn, Zwischenstation oder Höhe- punkt einer vertieften Auseinandersetzung mit dem zu Erinnernden im Sinne historischen Lernens sein. Denn ob- wohl sich Gedenktage auf Vergangenes beziehen, besteht die Gefahr, dass ihnen das eigentlich Historische abhan- den kommt – wozu etwa die Einordnung des zu Erinnern- den in den historischen Kontext gehören würde – und dass sie zu moralischen Appellen schrumpfen. Diese mö- gen von der Intention her zwar angebracht sein – bil- dungswirksam aber sind sie kaum. Tiefere Einsichten und Überzeugungen lassen sich bei Jugendlichen nicht durch den Mahnfinger erzwingen. Erfolg versprechender sind langfristig angelegte, mehrdimensional verlaufende Lern- prozesse.

Der Nationalsozialismus und seine Verbrechen als Unterrichtsthema

Dass eine intensive Beschäftigung mit dem Nationalsozia- lismus und seinen Verbrechen dringend geboten ist, ist in Pädagogik, Geschichtswissenschaft und darüber hinaus unbestritten. Dahinter steht die Hoffnung, dass die Ausei- nandersetzung mit diesem dunklen Kapitel der jüngeren Geschichte Wissen, Fähigkeiten und Haltungen aufbauen helfe, welche die Grundwerte unseres Zusammenlebens stärken und demokratiefeindliche und menschenverach- tende Kräfte schwächen. Wieweit diese Hoffnungen be- rechtigt sind, ist schwer zu sagen. Was die Wirkung des obligatorischen schulischen Geschichtsunterrichts anbe- langt, so ist beim gegenwärtigen Stand der Dinge allzu grosser Optimismus wohl verfehlt (von Borries 2005, S.

W i s s e n u n d H a n d e l n

G e s c h i c h t s l e r n e n u n d G e d e n k e n m i t J u g e n d l i c h e n

Von Stephan Hediger

Dozent im Fachbereich Mensch und Umwelt an der Pädagogischen Hochschule Zürich

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44). In der Fachliteratur zur Lage in Deutschland jeden- falls, dem Land also, wo die Frage nach dem angemesse- nen Umgang mit dem Nationalsozialismus am intensivs- ten diskutiert wird, mangelt es nicht an ernüchternden Befunden. Unter anderem hat es sich gezeigt, dass die Ju- gendlichen sich für den Nationalsozialismus zwar zu- nächst stark interessieren, dass es für die Lehrkräfte aber schwierig ist, das Interesse der Schülerinnen und Schüler über längere Zeit wach zu halten und eine vertiefte Ausei- nandersetzung anzubahnen. Thomas Schlag und Michael Scherrmann stellen in einer neueren Publikation fest, dass

«breite pädagogische Thematisierung nicht selbstverständ- lich zu einer intensiveren individuellen Auseinanderset- zung zu führen, sondern heutzutage bei nicht wenigen Jugendlichen die Reaktion hervorzurufen [scheint], dass man ‹das Thema nicht mehr hören könne›» (Schlag, Scherr- mann 2005, S. 5). Nun kann jede Lehrkraft ein Lied davon singen, dass die Schwierigkeit, die Jugendlichen zu einer intensiven Auseinandersetzung anstatt zur lediglich ober- flächlichen Betrachtung anzuhalten, sich bei praktisch je- dem Thema stellt und dass immer mit einer Kluft zwi- schen intendierten Lerneffekten einerseits und tatsächlich erzielter Wirkung anderseits gerechnet werden muss. Inso- fern liegt nichts Aussergewöhnliches vor. Das Besondere besteht vielmehr darin, dass das Scheitern pädagogischer Bemühungen im Zusammenhang mit der Behandlung des Nationalsozialismus schmerzlicher empfunden wird, als dies bei vielen anderen Themen der Fall ist. Wenn weite Teile der Bevölkerung mit der Rechtschreibung Mühe be- kunden, kann dies eher hingenommen werden, als wenn die nachwachsende Generation das Alphabet der Demo- kratie nicht beherrscht. Die dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen zugrunde liegenden und auch heute immer wieder zu beobachtenden Denk- und Verhaltens- muster wie Demokratiefeindlichkeit, Rassismus, Fremden- feindlichkeit und Gewaltverherrlichung können angesichts der historischen Erfahrung unmöglich bagatellisiert wer- den, sondern machen Angst. Anlässlich der diesjährigen, skandalumrankten Bundesfeier auf dem Rütli waren die Störungen von Seiten der Rechtsextremen unter anderem dann besonders heftig, als Bundespräsident Samuel Schmid mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg, auf Extremis- mus, Antisemitismus und Rassismus sagte: «Diese dunk- len Kapitel dürfen sich nie mehr wiederholen! Nie mehr!»

(NZZ vom 2. August 2005, S. 11). Das erschüttert jeden Menschen, der diese Vergangenheit kennt und sich Men- schenrechten und Demokratie verpflichtet fühlt, besonders aber Lehrkräfte, die im Auftrag einer demokratisch verfass- ten Gesellschaft in Menschenrechtserziehung, Geschichts- unterricht und politischer Bildung tätig sind. Hinzu kom- men spezifische Merkmale des Themas Holocaust, speziell die ungezügelte Gewalt und das millionenfache unsägli- che Leiden, und da wiederum die Tatsache, dass beides

nicht nur abschrecken, sondern auch faszinieren kann.

Susan Sontag schrieb in ihrem Essay Das Leiden anderer betrachten: «Anscheinend ist der Appetit auf Bilder, die Schmerzen leidende Leiber zeigen, fast so stark wie das Verlangen nach Bildern, auf denen nackte Leiber zu sehen sind» (Sontag 2003, S. 50). Die Vorstellung, dass die Be- handlung des Leidens im Unterricht nicht nur Abschre- ckung, Mitgefühl und das «Nie-wieder» hervorrufen, son- dern auch voyeuristische Neigungen befriedigen und das

«Vergnügen des Zurückschauderns» auslösen kann, ist schwer zu ertragen. Doch die Schwierigkeiten des Themas dürfen nicht dazu führen, dass es gemieden wird. Im Üb- rigen geben die spezifischen Eigenheiten der Thematik auch kaum Anlass, den Nationalsozialismus im Geschichts- unterricht grundlegend anders zu behandeln als andere historische Stoffe. Wie in allem Geschichtsunterricht geht es um den Versuch einer rationalen und methodisch re- flektierten Annäherung an die Vergangenheit unter der Perspektive gegenwärtiger und (vermuteter) zukünftiger Orientierungsbedürfnisse. Wie bei allem Geschichtsunter- richt sollte die Moralkeule aus dem Spiel gelassen werden.

Und selbstverständlich bleiben auch die didaktischen Fra- gestellungen, mit denen der Nationalsozialismus und sei- ne Verbrechen im Hinblick auf den Unterricht erschlossen werden müssen, im Wesentlichen dieselben wie bei allen Themen. Dazu gehören:

1. Warum sollen sich die Jugendlichen mit dem Gegen- stand beschäftigen, was sollen sie dabei lernen?

2. Wie soll der Lernprozess initiiert und begleitet werden?

Auf die erste Frage könnte man mit den Worten des Frank- furter Philosophen und Sozialwissenschafters Theodor W.

Adorno zusammenfassend vielleicht wie folgt antworten:

Anzustreben ist «allgemeine Aufklärung, die ein geistiges, kulturelles und gesellschaftliches Klima schafft, das eine Wiederholung nicht zulässt, ein Klima also, in dem die Motive, die zu dem Grauen geführt haben, einigermassen bewusst werden» (Adorno 1977, S. 677). Gewiss ist dieses Ziel mit historischem Lernen alleine, auch wenn es noch so ausgeklügelt und interessant inszeniert wird, nicht zu erreichen. Die oben erwähnten eher ernüchternden Befun- de zur Wirkung von Geschichtsunterricht mahnen bezüg- lich der Zielsetzungen ja geradezu zu Bescheidenheit (und sind gleichzeitig Ansporn, um über Lehrpläne und Lern- wege nachzudenken). Doch zweifellos ist die Vergangen- heit, also das konkrete historische Beispiel, von grösserer Evidenz und Anschaulichkeit als eine ahistorische Be- trachtung von Demokratiefeindlichkeit, Rassismus, Frem- denfeindlichkeit und Gewaltverherrlichung. Und immer- hin wird man davon ausgehen dürfen, dass die ernsthafte Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und seiner Verbrechen zumindest der grossen Mehrheit der Jugendli-

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chen, welche menschenverachtenden und undemokrati- schen Denk- und Verhaltensmustern von Haus aus abhold ist, Fakten, Einsichten und Argumente liefert, die sie in ihrer Haltung festigt. Damit ist schon viel erreicht.

Bleibt die Frage nach geeigneten Lernwegen, die Fra- ge also, wie Wissen aufgebaut und im gewünschten Sinne handlungswirksam gemacht werden kann.

Fragen an die Vergangenheit als Ausgangs- punkt historischen Lernens

Sich der Vergangenheit annähern heisst zunächst Fragen stellen. Das ist in der Geschichtswissenschaft eine Selbst- verständlichkeit und sollte es auch im Geschichtsunter- richt auf der Volksschulstufe werden. Sinn machen Fragen im Unterricht allerdings nur, wenn sie innerhalb des Inte- ressenhorizonts der Jugendlichen liegen oder sich darin einnisten, wenn sie also das Orientierungsbedürfnis der Jugendlichen im Hier und Jetzt berühren, wenn die Ju- gendlichen begreifen, dass die Vergangenheit etwas mit ihnen zu tun hat und sich die Beschäftigung mit dieser Vergangenheit lohnt. Aus diesem Grund sollten sich Lehr- personen einerseits sehr genau überlegen, welche Fragen die Jugendlichen interessieren könnten, anderseits den Ju- gendlichen aber auch Gelegenheit geben und sie dazu an- halten, selber Fragen zu stellen. Und sie sollten mit den Jugendlichen über die Notwendigkeit des Fragens und For- schens sprechen. Schülerinteresse, Motivation und sinn- stiftende Kommunikation sind bekanntlich wichtige Ein- flussgrössen im Lernprozess.

Was für Fragen sind im Zusammenhang mit dem Na- tionalsozialismus und seinen Verbrechen von Interesse?

• Die Frage nach den Erscheinungsformen und dem Aus- mass der nationalsozialistischen Verbrechen.

• Die Frage nach den Tätern und den Täterinnen: Wer wa- ren sie, welches waren ihre Motive, welches ihre Denk- muster? Wie haben sie ihre Opfer wahrgenommen, wie ihre Taten eingeschätzt? Wieweit haben sie freiwillig ge- handelt, wieweit unter Zwang? Wichtig ist, dass neben den Hauptverantwortlichen auch die willigen Helfer zur Sprache kommen, neben den eigentlichen Mördern auch die Schreibtischtäter, ferner die Denunzianten und die Profiteure aus der Mitte der Gesellschaft.

• Die Frage nach den Opfern: Wer waren sie, woher kamen sie, was haben sie erlebt, was gedacht und gefühlt?

Wichtig ist, dass die Opfer nicht bloss als amorphe Masse (in Bildern und Zahlenkolonnen) aufscheinen, sondern dass auch eine Auseinandersetzung mit Einzelschicksa- len stattfindet. Das heisst auch, dass die Opfer nicht nur am Ende ihres Leidenswegs als Erschöpfte, Gedemütigte und Getötete gezeigt werden sollen, sondern dass auch ihr Leben davor thematisiert wird: das Leben von Durch- schnittsmenschen.

• Die Frage nach den Zu- und Wegschauenden: Wie hat die

grosse Masse der Bevölkerung auf die in aller Öffentlich- keit stattfindende Diffamierung, Entrechtung, Ausplün- derung und Deportation der Opfer reagiert? Warum so und nicht anders?

• Die Frage nach dem Widerstand und nach Rettern und Retterinnen: In welchen Formen und in welchem Um- fang gab es Widerstand? Wer leistete Widerstand, aus welchen Motiven und unter welchen Bedingungen? Gab es Retter und Retterinnen? Welches war dabei die Rolle der Schweiz?

• Die Frage nach den geistesgeschichtlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ursachen des National- sozialismus: Wie konnte es so weit kommen? War die Entwicklung in die Katastrophe unvermeidlich? Hätte es Handlungsalternativen gegeben? Welche?

• Die Frage nach dem Fortwirken von menschenverachten- den Denk- und Verhaltensmustern in die Gegenwart hin- ein: Wo gibt es Kontinuitäten, wo Brüche?

• Die Frage nach anderen Genoziden: Gibt es andere Geno- zide? Gibt es hinsichtlich des Verlaufs von Genoziden Muster, deren Kenntnis den Blick für gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen schärfen könnte?

Und schlussendlich: Welche wichtigen Einsichten für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft haben wir aus der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und seiner Verbrechen gewonnen? Warum ist es wichtig, dieser schrecklichen Zeit in der Erinnerung einen Platz einzuräu- men? Und: Wie könnte gegen das Vergessen angekämpft werden?

Die Gestaltung eines Holocaust-Gedenktages als Produkt eines handlungsorientierten Unterrichts

Wie könnte ein Unterricht aussehen, der die Schülerinnen und Schüler zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen hinführt und der gleichzeitig den Holocaust-Gedenktag ins Kalkül einbezieht? Eine mögliche – lapidare – Antwort lautet: In- dem das eine mit dem anderen in plausibler Weise ver- schränkt wird. Aber wie? Und was heisst plausibel?

Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass Lern- prozesse dann besonders effektiv sind, wenn es gelingt, Denken, Fühlen und Handeln miteinander zu verbinden.

Lernen in diesem umfassenden Sinne wird oft als hand- lungsorientierter Unterricht bezeichnet, wobei der Begriff

«Handlungsorientierung» im Einzelnen allerdings recht unterschiedlich verstanden und verwendet wird. Hier wird er begriffen als Unterricht, welcher die folgenden Merkmale umfasst:

• Lernen mit Kopf, Herz und Hand (denkendes Tun statt Action)

• Anknüpfung an die Interessen der Beteiligten

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• Anknüpfung an die Erfahrungswelt der Beteiligten

• Raum für selbstorganisiertes und selbstverantwortetes Lernen

• Produktorientierung

• Reflexion des Lernprozesses und des Lernertrags

Mit Blick auf den Holocaust-Gedenktag drängt sich eine handlungsorientierte Auseinandersetzung mit dem Natio- nalsozialismus und seinen Verbrechen geradezu auf. Eine oder mehrere Klassen eines Schulhauses könnten es sich zum Ziel machen, einen Holocaust-Gedenkanlass zu ge- stalten. Am Ende des Lernprozesses könnten Produkte ste- hen, welche die Schülerinnen und Schüler am Gedenktag selbst präsentieren, in der Klasse, im Schulhaus oder in der Gemeinde. Denkbare Produkte wären:

• Präsentation und Kommentierung von Bildern von Tä- tern, Opfern, Zuschauern

• Präsentation und Kommentierung von Filmausschnitten

• Einführungen in Texte, Lesungen

• Kurzreferate

• Plakatwand

• Informationsdossier

• Interview mit ausserschulischen Experten, allenfalls Zeitzeugen

• Website

Der Lernweg könnte wie folgt aussehen:

• Einstieg in die Thematik mit erarbeitendem Geschichts- unterricht im Klassenverband; Erarbeitung von Fragen an die Vergangenheit

• Vertiefung einzelner Fragen in Gruppen im Rahmen ei- nes projektförmigen, handlungsorientierten Unterrichts;

Erarbeitung von Produkten

• Präsentation der Produkte am Holocaust-Gedenktag

• Nachbearbeitung im Klassenverband

Es versteht sich von selbst, dass ein solches Unterrichtsar- rangement von langer Hand geplant werden muss und dass zum Gelingen der lange Atem aller Beteiligten vonnö- ten ist. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass das Vorha- ben von den Schülerinnen und Schülern von Anfang an mitgetragen und mitgestaltet wird. Das wiederum setzt demokratische Aushandlungsprozesse voraus, welche ih- rerseits notwendiger Teil einer zeitgemässen politischen Bildung sind.

Fazit

Am Anfang dieses Beitrags wurde die Ansicht vertreten, dass sich Gedenken und Geschichtslernen in mancherlei Hinsicht deutlich voneinander unterscheiden und dass das eine auch nicht zwingend aus dem andern folgt. Ge- denken hat wenig mit Geschichtslernen zu tun und ist eher moralischer Appell. Geschichtslernen anderseits

bleibt häufig im Dort und Damals stecken, ohne die Be- deutung historischer Erfahrung für das Hier und Jetzt zu reflektieren und ohne die Frage nach Konsequenzen für gegenwärtiges und zukünftiges Handeln zu stellen. Die Verschränkung einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen einerseits und der Gestaltung eines Holocaust-Gedenkanlasses durch Schülerinnen und Schüler anderseits wäre ein Versuch, die häufig zu beobachtende und oft beklagte Diskrepanz zwi- schen Wissen und Handeln ein Stück weit aufzuheben.

Literatur

Adorno, Theodor W: Erziehung nach Auschwitz. In: Gesammelte Schriften / Theodor W. Adorno, Band 10,2. Suhrkamp, 1977.

Borries, Bodo v.: Aus der Geschichte lernen im Just-in-time-Zeit- alter? – Zu erhofften Zukunfts-Leistungen des Fachs Geschich- te. In: Schlag, Thomas und Scherrmann, Michael (Hrsg.): Bevor Vergangenheit vergeht. Für einen zeitgemässen Politik- und Geschichtsunterricht über Nationalsozialismus und Rechtsex- tremismus. Wochenschau Verlag, 2005. S. 43 – 63.

Schlag, Thomas und Scherrmann, Michael (Hrsg.): Bevor Vergan- genheit vergeht. Für einen zeitgemässen Politik- und Ge- schichtsunterricht über Nationalsozialismus und Rechtsextre- mismus. Wochenschau Verlag, 2005.

Sontag, Susan: Das Leiden anderer betrachten. Hanser, 2003.

Weiterführende Links

www.auschwitzprozess.hr-online.de www.fritz-bauer-institut.de www.lernen-aus-der-geschichte.de www.shoa.de

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«Eindrücklich vielgestaltig und intensiv» ist, gemäss offizieller Verlautbarung, der Holocaust- Gedenktag 2005 an den Luzerner Schulen be- gangen worden. Neun Monate später fällt die Bilanz vielleicht etwas nüchterner, jedoch nach wie vor positiv aus. Dass der Versuch glückte, ist primär dem Sondereinsatz vieler Lehrperso- nen zu verdanken. Das einfache Gesamtkon- zept, die fachliche Unterstützung und der Ver- zicht auf amtlichen Zwang dürften zum Gelin- gen beigetragen haben.

Ein Appell mit Folgen

Den Wink der Erziehungsdirektorenkonferenz, den 27. Ja- nuar jeweils als Holocaust-Gedenktag zu gestalten und da- mit einem Appell des Europarates zu folgen, verstand man in Luzern für einmal als sinnvolle Einladung. Das Bil- dungs- und Kulturdepartement (BKD) erkannte aber schon bald, dass es nicht genügen würde, die Aufforderung ein- fach an die Schulen weiterzureichen, ohne selber ein Mi- nimum an Konzeptarbeit zu leisten. Es setzte deshalb im Frühjahr 2004 eine kleine Arbeitsgruppe ein, in welcher die verschiedenen Schulstufen – Volksschulen (mit Schwer- gewicht auf der Sekundarstufe I), Gymnasien, Berufsschu- len, Hochschulen – und gleichzeitig das Fach Geschichte angemessen vertreten waren. Zwei Monate später lag ein Konzept vor, und noch rechtzeitig vor den Sommerferien ging ein persönlicher Einladebrief von Bildungsdirektor Anton Schwingruber an sämtliche öffentliche und private Schulen im Kanton Luzern. Damit war der Holocaust-Ge- denktag 2005 lanciert. Es gab kein Zurück mehr, und man konnte nur noch gespannt sein, was der Appell, verbun- den mit einem Beratungs- und Dokumentationsangebot, in den einzelnen Schulen bewirken würde. Finanzielle Zü- ckerchen wurden keine in Aussicht gestellt: Was immer die einzelne Schule unternehmen würde, sollte auch aus ihren eigenen Quellen berappt werden.

Erinnern und handeln

Der breit gefassten Übungsanlage entsprechend war es nach dem 27. Januar nicht ganz einfach, sich einen Über- blick über das Geschehen (siehe Zusammenfassung im Kasten) zu verschaffen. Im Folgenden werden ein paar

Ausschnitte und Beispiele aus der Vorbereitungs- und aus der Durchführungsphase näher beleuchtet.

Das von der Arbeitsgruppe erarbeitete Konzept um- reisst auf knapp zwei Seiten den geschichtlichen Kontext, das Ziel der Aktion, die Elemente der Durchführung, Zu- ständigkeiten und Finanzierung. Mit dem Motto «Erinnern statt vergessen – Handeln statt schweigen» zielte das BKD bewusst auf eine Verbindung von Wissen und Handeln:

Die vertiefte Auseinandersetzung mit den Genoziden des 20. Jahrhunderts sollte Folgen im Alltag haben. Eine ge- wisse Fokussierung auf den Holocaust ergab sich bei dieser erstmaligen Durchführung aus dem besonderen Termin:

Am 27. Januar 2005 jährte sich die Befreiung des Konzen- trationslagers Auschwitz zum sechzigsten Mal. Klar zum Ausdruck kam im Konzept auch der Grundsatz der Freiwil- ligkeit: «Die Durchführung wird den Schulen vom BKD nicht verordnet, sondern empfohlen und durch Dienstleis- tungen unterstützt».

Gefragte Dokumentation

Unterstützung bei den Vorbereitungsarbeiten bot den Schu- len vor allem eine Dokumentation im Umfang von 64 Sei- ten. Sie war ebenfalls ein Produkt der Arbeitsgruppe, Regie führte dabei der erfahrene Geschichtsdidaktiker Kurt Mess- mer, Dozent an der Pädagogischen Hochschule Zen- tralschweiz in Luzern. Die Broschüre lag Ende Oktober vor und wurde an alle Schulen versandt, eine digitale Fassung war auf der eigens eingerichteten Webseite abrufbar. Sie enthielt unter anderem ein Résumé des historischen und pädagogischen Hintergrunds, eine fachwissenschaftliche Bibliografie, detaillierte didaktische Hinweise und Impul- se für die konkrete Gestaltung von Unterrichtssequenzen und Aktionen. Die Nachfrage nach der Dokumentation ent- wickelte sich lebhaft. Anfragen kamen auch aus andern Kantonen und dem Ausland. Die Auflage von 1000 Exem- plaren ist inzwischen aufgebraucht. Es ist vorgesehen, ei- nen Teil der Informationen noch für längere Zeit zumin- dest digital zur Verfügung zu stellen. Ergänzt wurde die Dokumentation durch eine Ausstellung von Lernmedien, die das Pädagogische Medienzentrum Luzern betreute. Zu- dem leisteten die Fachleute der Arbeitsgruppe direkte Be- ratungs- und Unterstützungsarbeit für Lehrpersonen.

Eigene Webseite

Die Webseite www.holocaust.edulu.ch, ab Ende Oktober 2004 aufgeschaltet, wurde zur viel genutzten Plattform.

V i e l e I d e e n u n d ke i n Zw a n g

L u z e r n e r S c h u l e n g e d e n k e n d e s H o l o c a u s t

Von Hans Moos

Persönlicher Mitarbeiter des Bildungs- und Kulturdirektors des Kantons Luzern. Er leitete die Arbeitsgruppe Holocaust- Gedenktag 2005.

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Neben der Dokumentation und weiteren didaktischen Hilfsmitteln bot sie Informationen über Termine, Adres- sen, Medientexte und einzelne Projekte. Den Kontakt zu den regionalen Medien stellte die Arbeitsgruppe im Vorfeld des Gedenktages mit zeitlich gestaffelten Medienmittei- lungen sicher. Die einzelnen Schulen waren aber aufgefor- dert worden, ihre Projekte und Veranstaltungen selber den Medien bekannt zu geben. Insgesamt stiess der Gedenktag auf ein vergleichsweise starkes, wenn auch regional und lokal begrenztes Medieninteresse.

Stufengerechte Vielfalt

Was am 27. Januar 2005 in den Luzerner Schulen tatsäch- lich geschah, lässt sich hier nur bruchstückhaft wiederge- ben. Quantitative Aussagen sind heikel, da keine Melde- oder Rapportpflicht bestand. Dies gilt vor allem für die Luzerner Volksschulen, wo gemäss Ausschreibung primär die Sekundarstufe I angesprochen war. Projekte auf der Primarstufe seien nicht ausgeschlossen, aber sie benötig- ten, so das BKD, eine speziell sorgfältige Vorbereitung und Einbettung in den Unterricht. Aus Gesprächen, freiwilligen Rückmeldungen, persönlichen Beobachtungen und Medi- enberichten kann man schliessen, dass sich vereinzelte Primarklassen, zahlreiche Sekundarklassen, sämtliche Mittelschulen (Gymnasien), fast alle Berufsschulen, ein- zelne Teilschulen der Fachhochschule Zentralschweiz, die Pädagogische Hochschule und die Universität Luzern in ir- gend einer Form am Holocaust-Gedenktag beteiligt haben.

Die Vorbereitung und Durchführung an den einzelnen Schulen und Klassen zeichneten sich, dem Konzept ent- sprechend, durch stufengerechte Vielfalt aus – von der schlichten Lektion über Ausstellungen, Aktionen, Theater bis zum akademischen Vortrag. Die folgenden Beispiele il- lustrieren diese Vielfalt der Gestaltung:

• Primarschule Hildisrieden: Die Lehrerin Rita Pfänder führt mit ihrer Primarklasse 6A nach aufwändiger Vorbe- reitung die tschechische Kinderoper Brundibar (1938) öffentlich auf. Die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieses Werks steht in engem Zusammenhang mit der Ho- locaust-Thematik.

• Kantonsschule Luzern: Schülerinnen und Schüler der 4.

Klassen präsentieren den 1. bis 3. Klassen Projekte zum Thema Genozid, die sie in den vorangegangenen Mona- ten erarbeitet haben. Zudem werden Installationen einer 4. Klasse ausgestellt. Vor der Mittagspause findet ein

«Moment der Besinnung» mit Gedanken und Musik statt.

• Kantonale Mittelschule Seetal in Hochdorf: Für die ganze Schule steht der 27. Januar im Zeichen des Holocaust- Gedenkens. Nach den Leitmotiven Erinnern, Erleben, Handeln werden Informationen vermittelt, Filme prä- sentiert und offene Fragen diskutiert. Zudem findet eine Begegnung mit einer Zeitzeugin statt. Im Verlauf des Ta-

ges werden klassenweise aus Papier Figurengirlanden hergestellt, die an die Wände der Schule geklebt werden.

Die mehr als zehntausend Figuren symbolisieren die Mil- lionen von Holocaust-Opfern.

• Berufsbildungszentrum Sursee: Lehrpersonen richten mit ihren Klassen eine umfangreiche Ausstellung zum Thema Holocaust ein, die im Verlaufe der letzten Januarwoche von allen Klassen besucht und diskutiert wird. Ein Kino, Bildschirm-Informationen und Lesungen ergänzen das Angebot. Das Projekt wird in einem Ordner vorbildlich dokumentiert.

• Pädagogische Hochschule Zentralschweiz (PHZ) Luzern:

An zwei Tagen werden kommentierte Filmvorführungen angeboten, es finden Begegnungen mit dem Auschwitz- Häftling Thomas Geve statt. Während mehreren Wochen wird die Ausstellung «Es gibt hier keine Kinder: Ausch- witz – Gross-Rosen – Buchenwald» mit Zeichnungen von Thomas Geve gezeigt.

• Universität Luzern: Am Abend des 27. Januar veranstal- tet die Universität eine Gedenkveranstaltung. Joachim Perels aus Hannover spricht über den «Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main 1963-1965», Nationalrätin Cécile Bühlmann über «Moderne Gesellschaften und ihre Feind- bilder – was wir von der Erinnerung an den Holocaust lernen können».

Bescheidener finanzieller und bürokratischer Aufwand

Über den pädagogischen Erfolg der Projekte und Aktionen der beteiligten Schulen lässt sich aus der Warte des Ge- samtprojekts nur mutmassen. Doch es gibt viele Anzei- chen, die eine positive Beurteilung rechtfertigen. Das Ge- samtprojekt liess sich mit relativ bescheidenem Aufwand an Bürokratie und Staatsmitteln realisieren – dies nicht zuletzt dank dem «Fonds Projekte gegen Rassismus und für Menschenrechte». Wir sind im Verlauf der Vorbereitun- gen auf diese wertvolle Quelle gestossen und konnten mit Hilfe ihres Beitrags die Dokumentation, die zum entschei- denden Förderinstrument wurde, und einige zusätzliche Aufwendungen finanzieren. Zu den positiven Erfahrungen zählt zudem die stufenübergreifende Zusammenarbeit, die in dieser konsequenten Form – von der Primarstufe bis zur Universität – wohl zum ersten Mal praktiziert wurde.

Volksschulen im Blickfeld

Die eher geringe Zahl an Rückmeldungen aus der Sekun- darstufe I ist nicht zwingend als Desinteresse zu deuten, sie erschwert aber eine schlüssige Einschätzung der Pro- jektwirksamkeit auf dieser wichtigen Stufe. Am Prinzip der freiwilligen Beteiligung ist nicht zu rütteln, weil sich verordnete Pflichtübungen mit der sensiblen Thematik und vor allem mit innerer Teilnahme schlecht vertragen.

Doch bei einer nächsten Durchführung sollte trotz Freiwil-

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000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000 000000

ligkeit der Austausch vor allem zwischen den Volksschu- len und der Projektleitung verstärkt werden. Dabei wäre allenfalls auf den Einbezug der Primarstufe ganz zu ver- zichten und dafür die Unterstützung der Sekundarstufe I zu verstärken.

Routine vermeiden

Die positiven Erfahrungen mit dem ersten Holocaust-Ge- denktag rufen nach einer nächsten Auflage. Diese wird aber mit Sicherheit nicht schon im kommenden Jahr statt- finden. Das BKD hat über die Fortsetzung noch nicht ent- schieden. Die Arbeitsgruppe schlägt einen Turnus von drei Jahren vor. Damit könnten alle Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Schulzeit mindestens ein- bis zweimal ei- nen Holocaust-Gedenktag erleben. Die thematischen Schwerpunkte müssten allerdings variieren. Von einem starren Konzept ist ohnehin abzuraten, denn Gedenken darf nie zum Automatismus und zur Routine verkommen.

Informationen:

www.holocaust.edulu.ch (bis Ende 2005 aufgeschaltet) oder hans.moos@lu.ch. Die Teilnehmer der Arbeitsgruppe

«Holocaust-Gedenktag 2005 an den Luzerner Schulen» wa- ren: Dr. phil. Paul Bernet, Kantonale Mittelschule Seetal;

Prof. Dr. Aram Mattioli, Universität Luzern; Dr. phil. Kurt Messmer, PHZ Luzern; Dr. phil. Richard Schmid, Berufsbil- dungszentrum Sursee; lic.iur. Hans Moos, Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern.

Der Holocaust-Gedenktag 2005 an den Luzerner Schulen

Viele Luzerner Schulen haben sich am 27. Januar 2005 im Rahmen des Unterrichts oder in eigens vorbereiteten Schulveranstaltungen mit dem Thema Holocaust ausei- nandergesetzt. Sie gedachten damit, genau 60 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, der vielen Millionen von Opfern des Nazismus und wei- terer Völkermorde des 20. Jahrhunderts. Sämtliche Stu- fen, von der Volksschule bis zur Universität, beteiligten sich an der Durchführung. Ebenso vielfältig waren die Veranstaltungen – das Spektrum reichte von der Kinder- oper über Lesungen, Begegnungen mit Zeitzeugen oder Ausstellungen von Bildern aus dem KZ bis zum wissen- schaftlichen Gastvortrag.

Viel Freiraum

Zum ersten Holocaust-Gedenktag der Luzerner Schulen unter dem Motto «Erinnern statt vergessen – Handeln statt schweigen» hatte der Bildungs- und Kulturdirektor in einem Brief an sämtliche Schulen eingeladen. Die Be- teiligung war freiwillig, und die Gestaltung blieb den Vorstellungen und Möglichkeiten der einzelnen Schulen überlassen. Eine Arbeitsgruppe des Bildungs- und Kul- turdepartements verfasste im Herbst 2004 eine umfang- reiche geschichtsdidaktische Dokumentation, die den Schulen als Broschüre und via Internet zur Verfügung gestellt wurde.

Lebhaftes Medienecho

Das Pädagogische Medienzentrum Luzern präsentierte in den Wochen vor dem Gedenktag in einer Ausstellung Medien und Lehrmittel zum Thema Holocaust. Auf der Webseite www.holocaust.edulu.ch, vom BKD eingerich- tet, konnten ab November 2004 laufend neue Informa- tionen abgerufen werden. Mehrere regionale Medien haben vor und nach dem 27. Januar dem Thema und speziell den Schulveranstaltungen viel Aufmerksamkeit geschenkt.

Stufenübergreifendes Projekt

Auf eine Berichterstattung der Schulen über ihre freiwil- ligen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Holocaust- Gedenktag hat das BKD bewusst verzichtet. Aus den vie- len Anfragen, Rückmeldungen und Medienberichten ist jedoch zu entnehmen, dass sich eine grosse Zahl von Schulen aller Stufen auf eindrückliche und oft auch auf- rüttelnde Art und Weise an diesem stufenübergreifenden Projekt beteiligt haben.

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N a c h r i c h t e n a u s B u c h e nw a l d

Ein Besuch des ehemaligen Konzentrations- lagers u n d d e r G e d e n k s t ä t t e

Von Renate Amuat

Kulturbeauftragte der Pädagogischen Hochschule Zürich

Prof. Dr. Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Gedenkstät- ten Buchenwald und Mittelbau-Dora, und Dr. Helmut Rook, Leiter der Jugendbegegnungsstätte, begleiteten die Autorin und ihre 16-jährige Tochter bei ihrem Besuch.

«Menschen haben Menschen dies Schicksal bereitet.»

Zofia Nalkowska (Barlog, 1994, S. 7)

Im Konzentrationslager Buchenwald wurden von 1937 bis zum 11. April 1945, dem Tag der Befreiung, 250'000 Men- schen aus politischen, sozialen, religiösen und geschlechts- spezifischen Gründen inhaftiert. Über 50'000 wurden um- gebracht, unzählige in die Vernichtungslager weitertrans- portiert. 1958 eröffnete die damalige DDR Buchenwald als Nationale Mahn- und Gedenkstätte, als Nationaldenkmal für den antifaschistischen Widerstand. Alljährlich besuch- ten Tausende von Schulklassen das ehemalige Konzentra- tionslager. Nach der Wende 1989 mussten Ausrichtung, Zielsetzung und Vermittlungskonzept grundlegend neu de- finiert werden. Heute gilt Buchenwald als vorbildlich im hellsichtigen Umgang mit Gedenken und in der klugen Präsentation von Geschichte und Leid.

«Auch im Lager gibt es Sonnenaufgang und Sonnenunter- gang. Manche Tage verbleichen müde und farblos wie ein weggeworfener Strauss Narzissen. Aber es gibt die lodernden Abende. Und Morgen gibt es, wo die Sonne blutig heraufkommt, wie aus einer Schlacht.» (Wander, 2005, S. 60)

Ankunft in Weimar

«Nie, nie, nie wieder! Deutschland! Nie, nie, nie wieder!

Deutschland!» schallt es uns beim Aussteigen im Bahnhof Weimar entgegen. Junge Leute, die meisten in schwarz, viele mit Sonnenbrillen, haben sich in der Halle versam- melt. Stiefel, Protestabzeichen, Tattoos auf den nackten Armen. Einer schwingt eine israelische, ein anderer eine rote Fahne. Sie verteilen Flugblätter «Deutsche Bahn AG verweigert sich der Mitverantwortung für den Holocaust», halten Tafeln mit Abbildungen von Kindern hoch. Die Ju- gendlichen, die einer Antifa-Gruppe angehören, protestie- ren gegen die Weigerung der Deutschen Bahn, eine franzö- sische Wanderausstellung, die die Deportation von jüdi- schen Kindern im 2. Weltkrieg thematisiert, in deutschen Bahnhöfen zu zeigen. «Demokratisches Recht, das ist gar nicht so einfach», sagt eine Frau beim Sandwichstand zur

Verkäuferin. Der Ordnungsdienst ist auch schon da.

Dann empfängt uns die Stadt Weimar mit Gemütlichkeit, Strassenrestaurants und schmucken Häusern. Die Ideale der deutschen Klassik gehören zu dieser Stadt: Goethe und Ginkgo hier, Schiller und Locken da.

Goethes Ettersberg heisst auch Buchenwald

Mit dem Bus fahren wir den Berg hoch durch grünen Wald am massigen Denkmal für den antifaschistischen Wider- standskampf vorbei zur Gedenkstätte.

Wir werden durch Helmut Rook empfangen, seit 20 Jahren arbeitet er als Vermittler in Buchenwald. Genau hinhörend fragt er nach unseren Beweggründen und führt uns dann durch das Lager. Wir beginnen am Carachoweg, da wo die Menschen aus den Zugabteilen herausgeprügelt und auf das Lager zugetrieben wurden. Sachlich erzählt er, wie sich hier das weitere Schicksal der Menschen ent- schied, wie die politischen Häftlinge ins so genannte Gros- se Lager, die jüdischen in Baracken ins Kleine Lager einge- teilt wurden, wo die Lebensbedingungen noch katastro- phaler waren. «Wie halten Sie das aus, tagtäglich mit die- ser Realität konfrontiert zu sein, immer wieder dieses grauenhaft Geschehene zu erzählen?» wird ihn meine Tochter später fragen.

V. Knigge: «In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich in Deutschland ein neuer Erinnerungstypus heraus- kristallisiert. Ich nenne ihn negative Erinnerung, dem In- halt und nicht dem Ziel nach. Dieser Erinnerungstypus ist historisch völlig neu. Verbrechen erinnern, um sozusagen den negativen Horizont eigener Geschichte und was ihn möglich gemacht hat, nicht zu vergessen, und sich nach- denklich, historisch informiert, politisch hellsichtig und gesellschaftlich sensibilisiert immer wieder von diesem negativen Horizont abzustossen; abzustossen auch in der Reflektion des Zustands der eigenen Gegenwartsgesell- schaft. Gibt es da etwas Ähnliches oder nicht?

Dieser Typus negativer Erinnerung, der Entscheiden- des geleistet hat für die substantielle Demokratisierung der Bundesrepublik, das haben wir auf der Habenseite, auch wenn er allerdings immer wieder gegen zahlreiche Widerstände durchgesetzt werden muss. Er ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und gehört heute zum nor- mativen Grundgehalt Deutschlands, auch Europas. In Deutschland ist dies bekräftigt worden – und so etwas hat es historisch noch nicht gegeben – durch den Bundestags-

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beschluss, das Denkmal für die ermordeten Juden zu bau- en.

Negative Erinnerung, negativer Reichtum, heisst aus der Geschichte sehr genau, präzise, empirisch gehaltvoll, handfest an Beispielen lernen zu können, wie man es nicht machen soll, nicht in der Politik, nicht in der Kultur, nicht in der Bildung, nicht in der Justiz und nicht in der Wirtschaft. Das ist eigentlich die einzige Form von histori- schem Lernen, die uns bleibt.»

Historische Spuren und Authentizität

Wir gehen vorbei an dem Gebäude, wo die Häftlinge regis- triert, mit Winkeln versehen – schwarz für asozial, rot für politisch, rosa für homosexuell, gelb für jüdisch – klassifi- ziert, gebrandmarkt wurden. Gehen durch das Lagertor, stehen vor einem weiten Trümmerfeld, dem Appellplatz mit den eingeebneten Baracken des Grossen Lagers. Hinter uns fällt das Gittertor laut ins Schloss. Wir drehen uns um, sehen die Inschrift, die erst jetzt lesbar wird: «Jedem das Seine.» Meine Tochter schluckt leer. Hier standen auch die Gefangenen, stundenlang, in der Kälte, in der Hitze, mit Blick auf das Tor.

Wir sehen, eingelassen im Boden, die Blocksteine vor den eingeebneten Baracken. Was würden diese Steine er- zählen, wenn sie sprechen könnten?

V. Knigge: «Die Kraft dieser Orte ist eingeschränkt: Sie sind echt, in dem Sinne, dass es hier geschehen ist. Sie sind echt, authentisch in dem Sinne, dass es wenigstens noch ein paar Relikte und Überreste gibt, Fundamente und Ge- bäude, die man anfassen kann, Originaldokumente, Zeich- nungen ...

Wir stellen fest, dass der grosse Hunger nach dem Rituellen vorbei ist und der Hunger nach Authentizität wächst, nach echten Erfahrungen, auch mit sich selbst.

Das ist die Stärke des Ortes. Doch je weniger man weiss, je weniger sieht man. Schöne Natur, seltsame Gebäude, auch einen Stacheldraht. Je mehr ich weiss, was hier zwischen 1937 und 1945 passiert ist, und in Weimar schon vorher, je mehr Berührung kann entstehen, je mehr Gesicht be- kommt der Ort. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, den Ort lesbar zu machen.

Die alte west- und ostdeutsche Praxis im Umgang mit diesen Orten folgte dem Konzept «Minimierung der Mittel zur Maximierung historischer Sinnbildung. Interpretation der Orte durch Abriss.» Da jeder historische Überrest eine Art von Eigensinn bewahrt, sich Geschichtsdeutungen auch entgegenstellt, reisst man ab. Hier in Buchenwald wurde systematisch umfunktioniert, abgerissen und de- montiert. Wir haben gegen diese fatale Haltung das Gegen- teil gesetzt: So viele der authentischen originalen histori- schen Spuren wie möglich zu sichern und verstehbar zu machen.»

Gedenken und Wissen

Helmut Rook kennt die Menschen und ist Pädagoge aus Überzeugung. Behutsam nimmt er alle unsere Fragen auf, schöpft aus einem reichen Fundus an Wissen, Geschich- ten, Schicksalen. Meine Tochter möchte am liebsten den ganzen Tag mit ihm durch dieses Gelände gehen, sich ein- lassen auf diesen Dialog, der neue Horizonte öffnet. Mehr wissen, alles wissen, von den Jugendlichen, die hier schufteten und starben, von diesem Kind, diesem dreijäh- rigen Stefan Jerzy, der überlebte (Thüringer Institut, 2000, S.30). Volkhard Knigge, Historiker, Kulturwissenschafter, ist der messerscharfe, schonungslose Analytiker, der uns teilnehmen lässt an seinen Gedankengängen und uns da- mit auch überfordert. «Die erste halbe Stunde habe ich gar nichts verstanden», wird meine Tochter nach dem Inter- view sagen und ist beeindruckt von dieser intellektuellen Dichte und Prägnanz. Volkhard Knigge verabschiedet sich mit einer seltsam altmodischen Geste, indem er sich kurz tief über die Hand der Sechzehnjährigen beugt.

V. Knigge: «Wir wollen Menschen, erst recht Jugendliche, nicht davon entlasten, ihre eigene historische Vorstel- lungskraft zu entwickeln und zu gebrauchen. Es geht nicht ohne kognitive Fähigkeiten: Wer sich selber etwas vor- stellt, nimmt Anteil, lässt sich berühren, kommt auch um Trauer nicht herum – und entwickelt dabei vielleicht so etwas wie Herzensbildung, um es etwas pathetisch auszu- drücken. Und so ist auch die Vermittlung hier gedacht. Es gibt keine Nachbauten, keine medialen Inszenierungen, wo es faucht und kracht, schäumt und kichert, blitzt und donnert. Wir wollen so viele Anhaltspunkte liefern wie möglich, in Form von historischen Spuren, in Form von Ausstellungen und Dokumenten, von Fotos und Filmen.

Dann gibt es einen Rest, den muss jeder für sich selbst zusammenfügen, das hat auch mit Freiheit zu tun. Es ist ein leiser und stiller Weg.

Wir sehen, wie heute Gedenken und Wissen immer mehr auseinanderdriften. Sehr zugespitzt gesagt: Augen- blicksbetroffenheit bildet nicht. Ein paar Tränen vergies- sen, um zu sagen, um Gottes Willen, der Mensch ist schlecht und Geschichte war immer grausam, das genügt nicht. Und deswegen ist es ganz wichtig zu sehen, wie sich Gedenken und Wissen zueinander verhalten. Und wenn Gedenken mit Wissen nichts mehr zu tun hat, dann hat es auch keine eigene Entscheidung sein können. Ich weiss, was passiert ist, ich weiss, wie ich mich heute dazu stelle, ich weiss, warum ich z. B. an diesem Staatsakt teil- nehme. Wenn dieses «ich weiss» nicht gefördert wird, dann ist das Gedenken leer, oder rituell oder eben auch durchaus Überfunktion. Menschen hier nur zum Weinen zu bringen, wäre nicht schwer. »

Abbildung

Abb. 4. Studenten mit technischen Instrumenten — der Science- Science-Unterricht prägt neue Bilder von handelndem Lernen (Foto:  An-dré Imboden)
Abb. 1: Stundendotation für die Ausbildung der Primarlehrpersonen im Kanton Luzern, 1868

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