• Keine Ergebnisse gefunden

Ein neuer Gesellschaftsvertrag für die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Ein neuer Gesellschaftsvertrag für die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Ein neuer Gesellschaftsvertrag für die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA)

Von M. Loewe, A. El-Haddad, M.

Furness, A. Houdret, B. Trautner, T.

Zintl,

Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

vom 05.12.2016

(2)

Ein neuer Gesellschaftsvertrag für die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA)

Bonn, 05.12.2016. Die Aufstände des ‚Arabischen Früh- lings‘ von 2011 haben gezeigt, dass die MENA-Länder viel fragiler waren, als viele Beobachter erwartet hatten. Selbst westliche Regierungen, die den Mangel an Demokratie in den MENA-Ländern kritisierten, hoben hervor, dass sie zumindest politisch stabil seien. Ein wesentliches Ziel ihrer Entwicklungszusammenarbeit war es, ebendiese Stabilität zu bewahren. Doch viele ihrer Politiken zielten dabei eher auf kurzfristige Stabilität ab, denn sie halfen den MENA- Ländern den ‚alten Gesellschaftsvertrag‘ aufrechtzuerhal- ten anstatt einen ‚neuen Gesellschaftsvertrag‘ mit umfas- senderen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Re- formen zu unterstützen. Ein solcher könnte z.B. größere sozioökonomische Gerechtigkeit und Transparenz beim Regierungshandeln schaffen und dadurch langfristige politische Stabilität erzeugen.

Was sind Gesellschaftsverträge? Im Grunde sind es Ver- einbarungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und der Regierung, in denen ihre jeweiligen Rechte, Erwartungen und Pflichten festgelegt werden. Solche Vereinbarungen bestehen in allen Ländern der Welt. Sie werden von allen Parteien respektiert, bestehen aber bisweilen auch nur deshalb fort, weil Menschen eine Verschlechterung ihrer Situation befürchten. Manchmal brechen Regierungen oder Gesellschaften einen Gesellschaftsvertrag einseitig durch Aufstand, Staatsstreich, repressive Handlungen oder Maßnahmen, die die Lebensgrundlagen unterminie- ren.

Der alte Gesellschaftsvertrag der MENA-Länder basierte auf Renteneinnahmen aus Erdöl-, Gas-, Gold- und Phos- phat-Exporten, geostrategischen Renten (wie die Nut- zungsgebühren für den Suezkanal in Ägypten), Rück- überweisungen von Migranten und Einnahmen aus der Entwicklungszusammenarbeit. Die Verträge bestimmten die Verteilung der Einkommen auf die Bürger mittels Arbeitsplätzen im Staatsdienst, Subventionen, Transfers, freier Gesundheitsfürsorge und Bildung, Wohnraum und Privilegien. Dies galt als Ausgleich für mangelnde politi- sche Partizipation und Transparenz in Politik, Verwaltung und Justiz. Aber mit wachsenden Bevölkerungen und sinkenden Staatseinnahmen waren die Regierungen im- mer weniger in der Lage, ihre vertraglichen Verpflichtun- gen zu erfüllen. Sie konzentrierten sich zunehmend auf strategisch wichtige soziale Gruppen. Die Bürger litten unter schlechteren soziökonomischen Bedingungen und hatten weiterhin keinen spürbaren Einfluss auf die Politik, was sie 2011 schließlich auf die Straßen trieb und „Brot!

Freiheit! Soziale Gerechtigkeit!“ fordern ließ.

Seither hat nur Tunesien ernsthaft die Suche nach einem neuen, nachhaltigeren Gesellschaftsvertrag begonnen.

Syrien, der Jemen und Libyen sind in Bürgerkriege versun- ken, die erst enden werden, wenn sich alle relevanten Konfliktparteien auf einen neuen Gesellschaftsvertrag

einigen. Schlimmer noch, durch Flüchtlingsströme und konfessionelle Spaltungen beeinträchtigen diese Konflikte auch die Nachbarländer. Die meisten MENA-Länder bauen weiterhin auf den ‚alten Gesellschaftsvertrag‘: Sie werden noch immer von den autoritären Regimen alten Stils regiert. Kurzfristig mögen diese Staaten stabil sein - längerfristig laufen sie jedoch Gefahr zu implodieren, weil ihre grundlegenden Probleme ungelöst bleiben. Politische Repression hat zugenommen– und dies mit der still- schweigenden Zustimmung einiger westlicher Regierun- gen. . Wenn es den MENA-Regierungen nicht gelingt, bald menschliche Entwicklung anzustoßen und einen neuen Gesellschaftsvertrag anzubieten, ist eine neue Welle von Revolten und Bürgerkriegen wahrscheinlich.

Gleichzeitig müssen die MENA-Gesellschaften in einen Aushandlungsprozess treten. Die Abkehr vom ‚System‘

alleine hat seit dem sog. Arabischen Frühling nicht ausge- reicht, Wandel herbeizuführen.

Tragisch ist, dass auch viele Geberländer weiterhin die alten Gesellschaftsverträge unterstützen. Sie geben ME- NA-Regierungen großzügige Kredite und Transfers, statt ihnen Unterstützung bei der Gestaltung und Umsetzung neuer Gesellschaftsverträge anzubieten. Langfristig haben jedoch MENA- und westliche Regierungen ein gemeinsa- mes Interesse an neuen Gesellschaftsverträgen. Wenn die MENA-Regierungen sich weiter Transparenz und politi- scher Partizipation widersetzen und zugleich nicht in der Lage sind, stärkeres Wirtschaftswachstum und sozialen Ausgleich zu schaffen, dürften die Bürger wieder rebellie- ren. Millionen Menschen könnten versuchen, aus implo- dierenden Ländern zu fliehen.

Es ist natürlich unrealistisch zu hoffen, dass die autoritä- ren Regime und die sich modernisierenden Gesellschaften der MENA-Region ihre tief verwurzelten Probleme über Nacht lösen werden. Auch ein ‚Regimewechsel‘ von au- ßen funktioniert nicht. Aber arabische Regime können viel mehr tun, um Korruption zu bekämpfen, die Rechen- schaftspflicht der öffentlichen Verwaltung und der Justiz zu verbessern, die Qualität öffentlicher Dienstleistungen (insbesondere bei Bildung und Gesundheit) zu stärken sowie Effizienz und Gerechtigkeit bei Steuern und öffent- lichen Ausgaben zu erhöhen.

Westliche Länder, die der liberalen Demokratie verpflich- tet bleiben, sollten sich nicht länger darum sorgen, wie die bestehende politische Ordnung in der MENA-Region

‚stabilisiert‘ werden kann – sie wird, wenn keine Reformen stattfinden, früher oder später unter dem Druck gesell- schaftlichen Wandels kollabieren. Stattdessen sollten Entwicklungspartner, die dies im Wortsinn sind, fragen, wie sie MENA-Ländern helfen können, neue, nachhaltige- re Gesellschaftsverträge zu gestalten, die sowohl für Bür- ger als auch Regierungen besser funktionieren.

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, 05.12.2016

www.die-gdi.de | twitter.com/DIE_GDI | www.facebook.com/DIE.Bonn | www.youtube.com/DIEnewsflash

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

With a view to the prospect of Iran acquiring military nuclear capacity, the Saudi authorities seem for the moment to have abandoned the idea of purchasing a number of nuclear

Testing is tracked by two indicators: the number of tests per capita and the test positivity rate (number of positive cases over total tests) which tends to

Während die Hauptfunktion von Gesellschaftsver- trägen eben darin besteht, die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft berechenbarer zu machen, können sie von Zeit zu Zeit

In den acht Jahren seit dem „Arabi- schen Frühling“ im Jahr 2011 haben die europäischen Regierungen die Entwicklung und Stabilität in Nordaf- rika durch mehr Entwicklungshilfe

The principal aim of the edited volume is to understand the internal yet globally connected dynamics in the cultural heritage landscape in the MENA region by examining

These variables and their relationships are the population of home country (positive and significant), the population of partner country (positive and

This paper investigates the comparative advantage pattern of the countries in the Middle East and North Africa (MENA) region for the period 2000 and 2010..

According to the United Nations High Commis- sioner for Refugees (UNHCR), at the end of August 2012, the number of IDPs remained somewhere between 65,000 and 80,000