P- It O tt
P 90 - 007
I ndustrieforschung ohne I ndustrie ?
Situation und Entwicklungspfade der Industrieforschung
in den neuen deutschen Bundesländern
Reinhard Bobach / Klaus Meier
Berlin, November 1990
Mit dem vorliegenden Paper wird eine Studie zugänglich gemacht, die nicht am WZB entstanden is t . Es handelt sich um eine A rbe it, die mit erstmals veröffentlichten empirischen Befunden die Lage der in d u s trie lle n Forschung in der ehemaligen DDR analysiert und auf aktuelle Probleme in der Entwick
lung des Wissenschaftssystems und des Forschungspotentials aufmerksam macht.
Die Autoren sind wissenschaftliche M itarb eite r des In s titu ts fü r Theorie, Geschichte und Organisation der Wissenschaft, einer Einrichtung der
früheren Akademie der Wissenschaften der DDR. Sie haben sich s e it einigen Monaten mit mehreren Kollegen zu einer soziologischen Arbeitsgruppe
zusammengetan, die sich mit wissenschaftspolitischen und wissenschafts
organisatorischen Fragestellungen befaßt.
Das WZB hat s e it Ende 1989 die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus den ostdeutschen Ländern in te n s iv ie rt. In einer Reihe gemeinsamer wissenschaft
lic h e r Konferenzen sind der Stand und die Entwicklungsperspektiven so zia l
wissenschaftlicher Forschung auf verschiedenen Gebieten zur Diskussion ge
s t e llt worden. Eine Vielzahl von Kollegen, insbesondere aus der Soziologie, hat in mehrmonatigen Gastaufenthalten am WZB Verbindungen zu Wissenschaft
lern in Westdeutschland und im westlichen Ausland knüpfen können. Mit der Herausgabe dieses Papers w ill das WZB die Chancen zur zügigen Verbreitung von Forschungsergebnissen verbessern helfen und Interessenten sowohl in der Forschung als auch in der "Praxis" die Möglichkeit zur direkten
Kontaktaufnahme bieten.
E d ito ria l Note
This paper presents the re su lt of research th a t has not been carried out at WZB. The study, based on o rig in a l empirical data, analyses the situ a tio n of in d u stria l research in the former German Democratic Republic and directs the attention to problems in the development in the science system and the research p o te n tia l.
The authors are fellow s of the In s titu te fo r Theory, H istory, and
Organization of Science, which belonged to the former Academy of Sciences of the GDR. Together with a number of colleagues, they have in the past months formed a sociological working group concentrating on issues of science policy and research organization.
Since the end of 1989, the WZB has in te n s ifie d it s cooperation with researchers from East Germany. The state and the perspectives of social science research in d iffe re n t areas have become discussed in a number of jo in t conferences. Many East German colleagues, p a rtic u la rly sociologists, have meanwhile been v is itin g fellows at WZB, working fo r a few months at our in s titu te and establishing contact with researchers in West Germany and in foreign countries. With the publication of th is paper, WZB hopes to improve the chances fo r a quick dissemination of research results and the opportunities fo r closer contacts with other researchers as well as with
"p ra ctitio n e rs" in industry and policy-making.
I ndustrieforschung ohne I ndustrie ?
Situation und Entwicklungspfade der Industrieforschung
IN DEN NEUEN DEUTSCHEN BUNDESLÄNDERN
von
Dr.phil. Reinhard Robaeh Dr.sc.oec. Klaus Meier
Berlin, November 1990
Arbeitsgruppe Wissenschaftspolitische Studien am
Institut für Theorie, Geschichte und Organisation der Wissenschaft
Nach der Zersetzung der zentralistischen W irtschafts- und W issenschaftspolitik in der ehemaligen D D R vollzieht sich gegenwärtig im Osten Deutschlands ein um fassender Auflösungsprozeß im Bereich von Forschung & Entwicklung. Das betrifft besonders den großen, jedoch politisch bisher wenig beachteten Sektor der Industrieforschung.
In Auswertung einer Befragung zu Stand, Existenzproblemen und Perspektiven industrieller Forschung und ihres Um feldes wendet sich die vorliegende Studie m it erstmals veröffentlichten empirischen Befunden und Hintergrundinformationen an Interessierte, Betroffene und Verantwortliche gleichermaßen.
Die Ergebnisse der Studie signalisieren einen akuten forschungs- und strukturpoliti
schen Handlungsbedarf. Neben einem "geplanten" Personalabbau von rund einem Drittel droht bereits in der ersten Hälfte 1991 der größte Teil des noch verbliebenen Forschungspotentials in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Talsohle zu versickern. Die Sicherung einer leistungsfähigen personellen Substanz für eine innovationsfähige Industrieforschung im Osten Deutschlands wird dam it zu einer strategisch bedeut
samen Aufgabe wirtschaftlichen Aufschwungs, für die kurzfristig Entscheidungen getroffen werden müssen. Erste Ansätze sowie bestehende Barrieren werden sowohl aus der Perspektive der betroffenen Forschungseinrichtungen als auch in Bezug auf die Entwicklung und rasche Umsetzung entsprechender politischer Konzepte diskutiert.
0. Einleitung
1. Zur Lage der Forschung in der DDR vor 1989
2. Forschung im Umbruch - die Entwicklung seit Oktober 1989
3. Forschung in Auflösung - von der W ährungsunion zu den neuen Bundesländern
4. Reaktionen der FuE-Einrichtungen
5. Politische W ahrnehmungen und Konzepte
Das Schicksal der W issenschaft ist im zwanzigsten Jahrhundert auf besondere Weise mit dem der W irtschaft verbunden. Durch die industrielle Entwicklung wurden für die akademische Forschung nicht nur materielle Grundlagen in bis dahin ungekanntem Ausmaß geschaffen. M it den modernen science-based-industries entstand zugleich auch ein neuer Typ wissenschaftlicher Forschung. In ihm wird die Verbindung von technologischer Entwicklung und naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung zur Quelle grandlegender Innovationen. Spätestens seit der Gründerwelle industrieller Forschungseinrichtungen in den 20er Jahren ist diese W echselbeziehung ein aus
gezeichnetes Fundament und Stimulus der Entwicklung der deutschen Forschungsland
schaft.
Zu Beginn der 90er Jahre muß dieses Verhältnis nach dem Zusammenbruch plan
wirtschaftlicher Strukturen im Osten Deutschlands neu aufgebaut und entworfen werden. Dem geht derzeit ein umfassender Auflösungsprozeß industrieller Forschungs
einrichtungen voraus. Mindestens ein Drittel des Personals in Forschung und Entwick
lung (FuE) wird allein durch den beabsichtigten Strukturwandel in den nächsten Monaten seine Anstellung verlieren. Das könnte durchaus zur Vitalisierang eines beschäftigungspolitisch erstarrten Forschungsgefüges führen. Vorläufige Schätzungen besagen jedoch, daß der tatsächliche Personalabbau insgesamt weit über 50 Prozent liegen dürfte. Die übergroße M ehrheit der Einrichtungen der Industrieforschung sieht aber selbst unter der Bedingung eines oft drastischen Personalabbaus keine realistischen Überlebenschancen.
Die Zukunft einer innovationsfähigen Industrieforschung im Osten Deutschlands hängt allerdings nicht allein und nicht einmal in erster Linie von der Rettung bestehender Forschungseinrichtungen ab. Entscheidend ist zunächst der Erhalt und die Qualifika
tion des leistungswilligen und -fähigen Forschungspersonals. Diese Substanz für den notwendigen Aufbau einer intelligenzintensiven Industriestruktur d arf nicht in der ge
genwärtigen Talsohle versickern. Die Gefahr solcher Austrocknung ist umso größer, da alte Strukturen teilweise im m er noch binden. Nach der Zersetzung der zentralistischen DDR-Forschungspolitik bedarf es nun generell aktiver Gestaltungskon
zepte für länderspezifische Forschungslandschaften. D er Erhalt und die Anpassung leistungsfähiger FuE-Potentiale der Industrie stehen dabei unter hohem Zeitdruck. Die
gerade einsetzende Verantwortungsübemahme der neuen Länderregierungen kann offensichtlich erst mittel- oder langfristig eine Trendwende wirtschaftlichen Auf
schwungs einleiten. In dieser Situation sind öffentliche W ahrnehmung und D iskus
sion über Stand und Entwicklungsmöglichkeiten d er Forschung als Basis zukünftiger industrieller Innovationen dringend erforderlich. M it diesem Ziel wendet sich vor
liegende Studie an Interessierte, Betroffene und Verantwortliche gleichermaßen.
Die Analyse stützt sich auf eine Reihe von wissenschaftspolitischen Studien zur Umbruchsituation in der Forschungslandschaft der ehemaligen D D R sowie fachliche Beratungstätigkeit auf parlamentarischer Ebene und für Forschungseinrichtungen selbst. Empirische Grundlage war insbesondere die Auswertung von 120 Antworten aus FuE-Einrichtungen der W irtschaft auf einen Fragebogen der SPD-Fraktion der Volkskamm er der DDR. Sie spiegeln im wesentlichen die Situation industrieller Forschung und ihres Umfeldes vom August/September 1990 sowie die für 1991 absehbaren Probleme und Perspektiven wider. Statistisch auswertbar waren Angaben zu etwa 38 Tausend Beschäftigten in FuE-Bereichen. Die in der Analyse berücksich
tigten Einrichtungen umfassen dam it in personeller H insicht rund die Hälfte des FuE- Potentials des W irtschaftsgebietes der neuen deutschen Bundesländer.
%
1. Z u r L a se der F orschung in der D D R vor 1989
In den 40 Jahren der Existenz der DDR hat die W issenschaft in diesem Teil D eutsch
lands Phasen besonderer Förderung ebenso wie verstärkter Einengung und politischer Bevormundung erle b t In den 50er und 60er Jahren gehörte die W issenschaft durchaus zu den Hätschelkindem und Hoffnungsträgem in der Konkurrenz zur prosperierenden Bundesrepublik. Trotz schlechterer wirtschaftlicher Ausgangs- und Rahmenbedingun
gen flössen nicht geringe Aufwendungen in den W issenschaftssektor. Bis in die 7Oer Jahre hatte das Wissenschaftspotential der DDR im internationalen Vergleich über
durchschnittliche W achstumsraten aufzuweisen. Das betraf insbesondere die Zahl der in Forschung und Entwicklung Beschäftigten. Allein von 1965 bis 1975 erhöhte sie sich von 83000 auf 162000. Wenn diese statistischen Angaben, wie man inzwischen weiß, deutlich überhöht ausgewiesen wurden und nicht den international üblichen Erfassungsstandards entsprachen, so bleibt doch die Tatsache der Verdopplung der Beschäftigtenzahl in einem Jahrzehnt.
M it der 1971 beginnenden Ära Honecker setzte jedoch alsbald eine Trendwende ein.
Die Erben Ulbrichts hatten auch in der W issenschaft zunächst durchaus einen Ver
trauensvorschuß. Das betraf die Verbesserung m aterieller Standards ebenso wie Hof
fungen auf eine schrittweise Liberalisierung und beginnende Intemationalisierung. Im Konsumtionsbereich wurde Aufschwung diktiert, die D D R begann über ihre Verhält
nisse zu leben. Das ging zu Lasten einer tendenziell abnehmenden Investitionsrate.
Das Denken in "Hauptaufgaben” - vor allem die Einheit von W irtschafts-und Sozial
politik - führte zur politisch motivierten Ausblendung der Innovationsproblematik.
Und das zu einem Zeitpunkt, da die Westeuropäische Industrie aufgrund der Ressour
cenverknappung insgesamt stark gefordert war und in Kembereichen der heute tragenden Technologiefelder (Mikroelektronik und Biotechnologie) neue Tatsachen und Abstände geschaffen wurden. Nach einigen inhaltlichen "Korrekturen" an der Entwick
lung bestimmter Forschungsrichtungen blieben ab M itte der 70er Jahre auch deut
liche Abstriche im Bereich der materiellen Zuwendungen für Forschung und Ent
wicklung nicht aus. Wiesen z.B. im Zeitraum 1971-1975 die Gesamtaufwendungen für W issenschaft und Technik noch eine leicht steigende Tendenz auf, so zeigte sich jedoch - bezogen auf die noch wachsende Beschäftigtenzahl - bereits ein absoluter Rückgang in den verfügbaren materiellen Ressourcen. D er Bildungsboom Ende der
60er Jahre führte auch in der DDR zu einer akademischen Massenausbildung. For
schungseinrichtungen, Instanzen und Betriebe mußten durch eine staatlich verordnete Einstellungspolitik drohende Akademikerarbeitslosigkeit abfangen. Die auch aus einer bestimmten M ischung von Scheu und Respekt gegenüber W issenschaft sowie von Abwanderungsbefürchtungen resultierende Privilegierung der sozialen Gruppe der W is
senschaftler ging spätestens in diesen "Kader"-W ellen Mitte der 70er Jahre unter. Die in den Forschungsprozeß eintretenden Absolventen sahen sich mit zunehmend restrik
tiven Arbeitsbedingungen konfrontiert
Die Sparmaßnahmen konnten in den 70er Jahren durch Konzentrations- und Profilie
rungsprozesse in den Forschungseinrichtungen sowie durch den hohen Personaleinsatz noch weitgehend kom pensiert werden. D och allmählich begannen die auftretenden Ineffizienzen, verschiedene Disproportionen und M otivationsprobleme kumulativen Charakter anzunehmen. Die im Statistischen Jahrbuch der DDR für die 80er Jahre veröffentlichten Angaben zur Entwicklung der Aufwendungen und Beschäftigungs
zahlen suggerierten zwar noch ein gedrosseltes W achstum, tatsächlich wurden W is
senschaft und Forschung jedoch immer m ehr Einengungen und Beschränkungen aufgebürdet. Hinzu kam en die Auswirkungen der mangelnden Reaktionsfähigkeit auf die veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen. Nicht zu vergessen sind die Konsequenzen der Embargopolitik im Hightech-Sektor gegenüber den Ländern des Ostblocks, die auf Forschung und Entwicklung sowohl durch den M angel an moder
ner Forschungstechnologie als auch durch den Zwang zu Nachentwicklungen bremsend und deformierend wirkte.
Die 80er Jahre waren unter diesen Voraussetzungen für weite Bereiche der W is
senschaft ein verlorenes Jahrzehnt. M ehr noch, mit der Verringerung der Forschungs
fähigkeit - gemessen am internationalen Niveau und Tempo - setzte sich nun auch in der W issenschaft ein "hausgemachtes" Bewertungssystem durch. Im m er häufiger reichte allein die Tatsache, daß im DDR-Maßstab etwas Neues hervorgebracht wurde, für Erfolg und Anerkennung. Das führte zu einer irreversiblen Provinzialisierung in entscheidenden Gebieten von Forschung und Entwicklung. Das Scheitern wirtschaft
licher und wissenschaftlich-technischer Autarkiepolitik w ar M itte der 80er Jahre schon offensichtlich. Doch das herrschende Regime war zu keiner grundlegenden Kurskor
rektur m ehr in der Lage. So konnte Günter M ittag seine zentralistische und prinzipiell
wissenschaftsfeindliche W irtschaftspolitik nicht nur weiter fortsetzen. M it der "For
schungsverordnung" vom Januar 1986 wurden auch die Einrichtungen der Grund
lagenforschung durch den Zwang zur vertraglichen Bindung den an sich schon in
novationsunfähigen W irtschaftsstrukturen untergeordnet Bereits nach wenigen M ona
ten mußte durchschnittlich die Hälfte der FuE-M ittel der universitären und außeruni
versitären akademischen Forschung über direkte vertragliche Beziehungen mit der Industrie oder entsprechende staatliche Auflagen aquiriert werden. Für einzelne wissenschafüiche Einrichtungen und Universitätsbereiche konnte diese vertragliche Festlegung wesentlich höher liegen. Die von einem der Autoren 1987/88 angefertigte umfangreiche Fallstudie zur Entwicklung der Laserphysik in der D D R erbrachte beispielsweise an der Sektion Physik der Friedrich-Schiller-Universität Jena eine Industriebindung von über 90%. Nur wenige Forschungseinrichtungen konnten unter diesem Druck ihre Positionen in der Vorlaufforschung behaupten. Disziplinierung und mangelnde internationale Referenz machten sie gefügig gegenüber den Forderungen weniger großer Wirtschaftskonglomerate. Kreative Potenzen und W irtschaftskapazi
täten in Größenordnungen wurden dem technologischen N achlauf geopfert, während die noch verbleibende materielle und geistig-moralische Substanz der Gesellschaft im m er mehr Schaden nahm.
Die 80er Jahre führten somit letztlich zu einem systematischen Abbau von For
schungsfähigkeit, zu einer folgenschweren Dequalifizierung und Demotivation des Forschungs- und Entwicklungspersonals. Die wissenschaftlich-technische Intelligenz verhielt sich in politischer Hinsicht bekanntlich überwiegend loyal bis resignativ.
Doch auch auf der fachlichen Ebene gab es wenig substanziellen W iderstand gegen eine ruinierend wirkende Wissenschaftspolitik und kaum Ansätze zu alternativen Konzeptionen. Diese Anpassung und spürbare Ineffizienz haben die Tendenzen der Gleichgültigkeit gegenüber der W issenschaftskultur in diesem Lande noch verstärkt Das ist eine der in Zahlen nicht aufrechenbaren Altlasten, die die gegenwärtige Entwicklung nachhaltig behindern.
So findet sich schließlich auf der einen Seite das Bild relativ hoch ausgewiesener Beschäftigungszahlen in Forschung und Entwicklung. Zugleich ist jedoch eine deut
liche Stagnation des FuE-Bereichs seit Anfang der 80er Jahre festzustellen. Unge
achtet einiger großer Forschungszentren betrifft dies noch einmal in besonderem Maße
FuE-Personal
Anteil des Wirtschaftssektors
Anteil des W irtschaftsektors in %
□ DDR M BRD
AG WISSENSCHAPTSPOLITISCHE STUÖIEN
die Entwicklung des FuE-Personals in der W irtschaft, dessen Anteil am gesamten FuE-Potential schon seit Beginn der 70er Jahre von 72,2% auf 64,8% im Jahr 1989 sank. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil dieses Sektors in der Bundesrepublik etwa umgekehrt proportional auf schließlich über 70% (vgl. A bb.l). Gerade zu Beginn der 80er Jahre, als in der Bundesrepublik vom Bereich der Industrieforschung die entscheidende Dynamik der quantitativen W achstumsprozesse im Bereich von FuE insgesamt ausging, setzte in der DDR ein allmählicher Rückgang der FuE-Be- schäftigtenzahlen im W irtschaftssektor ein. In absoluten Zahlen stand in der Bundes
republik hinter dieser Entwicklung ein Zuwachs von etwa 100 000 Beschäftigten (vgl.
Abb.2). Dies bedeutete eine Potentialsteigerung um 50% bei einer zusätzlichen Ver
stärkung des Anteils des eigentlichen wissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Personals. Dagegen ist selbst von den 20 000 für die DDR im Zeitraum von 1971 bis 1981 als Zugang ausgewiesenen Vollbeschäftigten (vgl. Abb.2) nachweislich ein großer Teil für den Ausbau peripherer Dienstleistungen eingestellt worden. Dies ergab sich als Folge der fortschreitenden Auflösung arbeitsteiliger Innovationsstrukturen und der deshalb auch im Inneren der DDR-W irtschaft umsichgreifenden Selbstversor
gungsstrategien.
A uf der anderen Seite bewirkte die teilweise Umfunktionierung der universitären und außeruniversitären Grundlagenforschung in Außenstellen industrieller FuE-Zentren eine strukturelle Untergrabung der Industrieforschung selbst. Vereinseitigung und Reduktion von Forschungsaufgaben in den FuE-Abteilungen waren die Folge, verbunden mit einer unterentwickelten Flexibilität im Aufbau von Kooperationsbeziehungen. Wis
senschaftlich anspruchsvolle Aufgaben wurden zunehmend an andere Einrichtungen delegiert und inhaltlich den Vorgaben der W irtschaftsadministration untergeordnet.
Vielerorts herrschte zudem Flickschusterei zur Auffechterhaltung und Teilmodernisie
rung der Fertigung auf der Grundlage hoffnungslos veralteter technologischer Prozes
se. Damit ging auch die notwendige Courage für grundlegende Neuerungen und al
ternative Forschungsprojekte verloren. Die inhaltliche Struktur der Forschungs
landschaft der DDR war weder innovativ noch entsprach sie den wirklichen Bedürf
nissen der Menschen. Im Raum Bitterfeld gab es keine offizielle ökologische For
schung. Ökologisch motivierte Forschungsprojekte spielten nach Darstellung der Ein
richtungen selbst bis 1989 in der Industrieforschung - von wenigen Ausnahmen abgesehen - keine nennenswerte Rolle. Von all diesen Deformationen und Hemmnis
sen industrieller Forschung, die zur Verdeutlichung der aktuellen Situation und
zukünftiger Entwicklungspfade berücksichtigt werden müssen, wirkt gegenwärtig jedoch am massivsten der über Jahrzehnte schleichende Verfall des tragenden in
dustriellen Umfeldes.
Das hier gezeichnete Bild der Lage der Forschung soll die heutigen Realitäten erklären und Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen erschließen. D er dam it eventuell zugleich entstehende Eindruck von der W issenschaft als politischem Opfer wäre je doch einseitig und würde die Situation im FuE-Bereich eher verdunkeln. Forschungs
politik kann generell verstanden werden als ein von ressortbezogenen administrativen Strukturen ebenso wie von wissenschaftlichen Expertenkulturen getragener inter
aktiver Prozeß. Auch unter den Bedingungen des "realen Sozialismus" fand eine Forschungsplanung statt, in der sich unterschiedliche Interessen überschnitten und zumindest äußerlich Konsens hergestellt wurde. Ablehnung und stillschweigendes Unterlaufen einzelner Seiten und Entscheidungen der Forschungspolitik durch W is
senschaftler und Techniker hat es im ancien regim e durchaus gegeben. A ber ins
gesamt haben die verantwortlichen Spitzen in Naturwissenschaft und Technik die M ittag’sehe W irtschaftspolitik mit ihren verheerenden Folgen ebenso mitgetragen, wie die Geistes- und Sozialwissenschaften zur Legitim ation bestehender Verhältnisse und zur ideologischen Verklärung beitrugen. Es gab darüber hinaus auch das Verhal
tensm uster des vorauseilenden Gehorsams, m it dem w ider besseren W issens der Prozeß der Forschung von W issenschaftlern selbst beschädigt und persönlichen Vorteilen geopfert wurde. Gerade unter den gegenwärtigen Bedingungen starken äußeren Drucks auf die Forschungseinrichtungen prägt dieses traditionelle Verhaltens
muster nicht unwesentlich den Charakter der neuen Anpassungsprozesse.
2. F orschung im U m bruch - die E ntw icklung seit O ktober 1989
Gegenüber den Veränderungen in der W issenschaft insgesamt hat die Entwicklung der Industrieforschung in den Monaten nach der W ende aufgrund ihrer doppelten Einbindung in Wissenschaft und W irtschaft mehrere Besonderheiten. D er Prozeß basisdemokratischen Aufbegehrens und anschließender Neukonstituierung w ar in vielen universitären und außeruniversitären akademischen Forschungseinrichtungen zunächst zögerlich begonnen, dann frühzeitig abgebrochen und schließlich teilweise
zurückgenommen worden. Aber er erreichte zumindest Öffenüichkeit und wurde über die kritische Anfangsschwelle von der Parallelität traditioneller (z.T. idealisierter) Standards der W issenschaftskultur einerseits m it den neuen demokratischen Forderun
gen andererseits getragen.
Demgegenüber waren die Prozesse in der Industrieforschung naturgemäß stärker geprägt durch das, was den Wirtschaftsbereich insgesamt bestimmte. Das betraf vor allem die zögerliche Umstellung auf marktwirtschaftliche Bedingungen und die heute noch spürbare, auf der Basis einer starken Qualifikations- und Kompetenzhierar- chisierung auffechterhaltbare personelle Kontinuität in den Spitzen der W irtschaft.
Demokratische Infragestellung und Neuaufbau von institutioneilen Strukturen hatten unter diesen Bedingungen nur begrenzte Chancen. Im Gegensatz zur akademischen Forschung fehlte zudem in der Industrie ein gleichermaßen motivierendes westliches Vorbild ausgeprägter Selbstverwaltungsdemokratie.
D er industrielle Rahmen für FuE auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist nicht erst mit der W ährungsunion unter starken ökonomischen D ruck geraten. Wie in dieser Situation mit dem vorhanden FuE-Personal verfahren wurde und wird, hängt offen- sichüich sowohl von finanziellen, strukturellen als auch von psychologischen Faktoren ab. Psychologisch spielt hier die Repräsentation m angelnder technologischer Konkur
renzfähigkeit eine große Rolle. Forscher und Techniker stehen in ihren Betrieben oft stellvertretend für "selbstgeschneiderte" Technik, uneffektive Produktion und den daraus resultierenden Verlust von Märkten. Strukturell w ar m it d er Konzentration und Spezialisierung von FuE-Potentialen im Rahmen der Kombinate eine international für Großunternehmen nicht unübliche institutionelle, z.T. auch territoriale Verselbständi
gung der industriellen FuE-Einrichtungen verbunden. Bei den sich jetzt vollziehenden Ausgliederungen der W irtschaftskonglomerate befördert die strukturelle Verselbständi
gung der Forschung ein übereiltes Abkoppeln der FuE-Einrichtungen von ihrer indu
striellen Basis.
Als ausschlaggebend für den starken Personalabbau und das Ende ganzer Forschungs
institute werden allerdings von den meisten in der Untersuchung erfaßten Einrichtun
gen Finanzierungsprobleme angegeben. Die Trägerbetriebe sind mit erheblichen Alt
lasten konfrontiert und dies nicht nur hinsichtlich desolater Produktionstechnik,
verfallener Bausubstanz und der oft gravierenden ökologischen Schäden. Vielfach sind sie zudem so hoch verschuldet, daß sie nur bei mittelfristigem Zahlungsaufschub oder Schuldenerlaß wirtschaftlich existenzfähig werden können. Hinzu kom m en Vertrags
verpflichtungen gegenüber osteuropäischen Partnern, die die Herstellungskosten nicht m ehr tragen, und gravierende Einbrüche auf den traditionellen Absatzmärkten.
Für Forschung und Entwicklung in der Industrie bedeutet das beispielsweise, daß nur eine von 120 befragten Einrichtungen ihre Finanzierung für 1991 als weitgehend gesichert angab. Lediglich ein Sechstel der Einrichtungen verfügt über eine teilweise finanzielle Deckung. Diese Lage ist nach Industriebranchen und nach der Größe der Forschungsstellen differenziert (vgl. Abschnitt 3). Das bewirkte insgesam t zunächst einen raschen Anstieg von Kurzarbeit in FuE, die de facto zum eist Arbeitslosigkeit bedeutet. Nach bisherigen Erkennmissen liegt die Rate der Entlassungen im Bereich von Forschung und Entwicklung deutlich über der für die Industrie insgesamt. Ein Personalabbau von durchschittlich 30% ist von den FuE-Einrichtungen im Rahmen von Anpassungsmaßnahmen und Ausgliederungen vorgesehen.
Zu diesen geplanten Reduzierungen kommen die nicht voraussehbaren Entlassungen, die sich aus der Auflösung ganzer Forschungseinrichtungen ergeben, so gab die Pentacon Dreden GmbH beispielsweise im August d.J. eine anstehende Reduktion des Forschungspersonals von 290 auf 50-60 M itam eiter an. Anfang O ktober wurde von der Treuhand bekanntlich die Entscheidung getroffen, die Pentacon Dresden GmbH mit der Begründung nicht mehr herstellbarer internationaler Konkurrenzfähigkeit zu schließen. Die Chancen einer tragfähigen Ausgründung sind bei der gegebenen hohen Spezialisierung auf bestimmte angewandte Forschung im Kontext veralteter techni
scher Erzeugnisse wahrscheinlich gering.
A uf der anderen Seite standen die politischen Handlungsträger im zurückliegenden Jahr unter einem außergewöhnlichen Zeit- und Erwartungsdruck. D er schnelle W andel politischer Orientierungen, insbesondere in Bezug au f die deutsche Einheit, veränderte das Vorzeichen vieler Programme und getroffener Entscheidungen. A uf dem Gebiet der Forschungs-und Technologiepolitik w ar der zunächst amtierende M inister Budig angetreten, ein nationales Fördersystem für die Forschung mit modernen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen aufzubauen. Die Schaffung eines funktionierenden nationales
Forschungs- und Innovationssystems war noch eine der Hauptforderungen von en
gagierten Wissenschaftlern und W irtschaftsmanagem vor 1989 gewesen. In einer selbst für westliche Verhältnisse kurzen Zeit wurden dafür mit den 13 "nationalen Projekten für Forschung und Entwicklung" von vielen Seiten weitgehend akzeptierte inhaltliche und organisatorische Ausgangspunkte gesetzt. Das Ergebnis wäre vielleicht eine Art M iniatur der bundesrepublikanischen Forschungslandschaft geworden. Genau hier lag aber die Grenze und Perspektivlosigkeit des Programms im Ganzen. Letztlich lief es auf eine Fortschreibung der schon problematisch gewordenen Strategie einer autonomen Entwicklung der ehemaligen D D R hinaus. Deutlich w ird dies etwa darin, daß auch hier zunächst der Komplex der Ökologie keinen eigenen Schwerpunkt bildete, während das Mikroelektronik-Programm der DDR - wenn auch in veränder
ter Form und Rangfolge - als Förderschwerpunkt fortgesetzt wurde. Beides wurde allerdings bereits nach wenigen W ochen korrigiert. Dennoch nährte diese forschungs
politische Gesamtkonzeption alte und neue Illusionen. Die aus heutiger Sicht dring
lichste Aufgabe, konsequent Voraussetzungen für eine Kompatibilität m it den W irt
schafts- und Wissenschaftsstrukturen der Bundesrepublik zu schaffen, wurde nicht g elö st Für viele Forschungseinrichtungen verstellte das den Blick auf die m it der W ährungsunion kommenden marktwirtschaftlichen Realitäten. Anstelle von Maßnahmen zur Einordnung in die Forschungsprofile und -Strukturen der Bundes
republik, suggerierten die Antragsprozeduren entsprechend diesem Program m eine gewisse ZukunftsSicherung.
3. F orschung in A u flö su n g - von der W ährungsunion zu den neu en B u n d es
ländern
M it der W ährungsunion setzte im Som m er des Jahres eine neue Phase ein. In den Forschungseinrichtungen der Industrie gab es au f der einen Seite eine große Ernüch
terung, was die äußeren Bedingungen des gesellschaftlichen Umfeldes angeht. Die beantragten Fördermittel ließen zu einem großen Teil auf sich warten. Selbst die einfache Fortsetzung laufender Forschungsvorhaben ist bis Ende 1990 nur teilweise gesichert Neben dem Ausfall von zentral vergebenen Mitteln wurde auch der unauf
haltbare Zusammenbruch großer Teile der Trägerindustrie offenbar. So schreibt z.B.
der Geschäftsführer eines FuT-Untemehmens in Sachsen-Anhalt:
"Rechtzeitige Vorschläge an das M inisterium für Forschung und Technologie zur Aufnahme eines Themas in die zentrale Finanzierung führten vor dem 30.6.90 zur Bestätigung, zwischenzeitlich erfolgte bereits wieder eine Streichung der Mittel. D ar
aus von uns vorgesehene Stützungsbeiträge für eine erste m it einem BRD-Untemeh- men gebundene Forschungsaufgabe entfielen dam it, so daß w ir gleich mit der Ein
stiegsaufgabe in die roten Zahlen geraten. Einen weiteren Grund für die Notwendig
keit einer großzügigeren Finanzierung aus dem Staatshaushalt stellt die Tatsache dar, daß w ir in dieser Zeit nicht nur eine völlige Um profilierung des wissenschaftlich
technischen Potentials organsieren müssen, sondern auch noch einen lebensfähigen Betrieb ohne Anfangskapital und unter sehr schwierigen Umständen ... überhaupt erst einmal aufbauen müssen. ... Ich möchte Sie deshalb bitten, Ihren Einfluß geltend zu machen, daß für die Bearbeitung eines von uns bereits im 1. Halbjahr eröffneten Grundsatzthemas ... die für 1990 noch offenen ... und für 1991 wie bereits vor
geschlagen ... TDM; bestätigt werden."
Wie in diesem Beispiel, so richtete sich bei gleichzeitig wegbrechenden Finanzie
rungsgrundlagen der Blick vieler Forschungseinrichtungen insbesondere au f die westdeutsche Forschungs- und Innovationslandschaft. Die in einer Aufbruchstimmung seit H erbst des Vorjahres von den meisten der Einrichtungen aufgenommenen Kon
takte und Sondierungsgespräche mit westlichen Firmen ließen sich jedoch nur in den seltensten Fällen zu forschungswirksamen Kooperationsbeziehungen verknüpfen. Bei weniger als einem Drittel der Forschungsstellen kam es zu einer direkten Auftragsver
gabe bzw. zu vertraglich vereinbarten Kooperationsleistungen. Lediglich bei 10% der FuE-Stellen ist damit eine anteilige Finanzierung verbunden.
Die Gründe dafür sind sicher vielfältig. Vor der W ährungsunion bestand für westliche Firmen prinzipiell die Möglichkeit einer kostengünstigen Auslagerung von angepaßten Teilprojekten in FuE-Einrichtungen der DDR. In für die DDR schon gewohnter W ei
se hätte durch das Währungsgefälle vielleicht eine 1:5-Dumping-Forschung für einige Zeit das Ü berleben weniger FuE-Institutionen sichern können. Offensichtlich gab es aber eine Reihe von gegenwirkenden Faktoren. Bei einer Vielzahl von Einrichtungen wird die schon im Vorfeld der Vereinigung entstehende Konkurrenzsituation ähnlich gelagerter Forschungsinstitutionen - und das waren gleichzeitig auch die ersten Ansprechpartner für Kooperationsangebote - deutlich. Altlasten, ungeklärte Eigen
tumsverhältnisse, das Fehlen staatlicher Grund- und Anschubfinanzierung und die permanente organisatorische Umschichtung jeweils verantwortlicher Stellen werden als weitere Faktoren genannt.
Hinzu kommen jedoch Probleme, die sich aus der mangelnden M anagementbefähi
gung alter und neuer Leitungen, der ungenügend kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen wissenschaftlich-technischen Leistungsvermögen und -profil ergeben.
Eine bestimmte Kommunikationskultur ist maßgeblich für den Erfolg oder M ißerfolg des W issenschaftstransfers. Die hier deutlichen Defizite sind offensichtlich auch eine Spätwirkung der M ittag’schen Subsumtion der akademischen Forschung unter die Belange der Industrie. Die damit zusammenhängende "Berg- und Propheten"-Ver- kehrung schrieb vielfach unffuchtabre arbeitsteilige Beziehungen fest. Eigeninitiative und wirksame Formen, sowohl im Transfer von Grundlagenwissen als auch in der Vermarktung neuer technologischer Lösungen, brauchten und konnten sich so kaum entfalten.
Das macht insgesamt die zögerliche Haltung westlicher Forschungs- und Industriepart
ner verständlich. Aber selbst wenn die anvisierten Kooperationsprojekte in erhofftem Umfang eingebracht worden wären, so hätte dies in den meisten Fällen lediglich einen Zeitgewinn bewirkt. Aus heutiger Sicht erscheint der perspektivische Nutzen eines solchen Problemaufschubs fraglich.
Die allgemeine Situation von Forschung und Entwicklung in der W irtschaft ist regional, nach Branchen sowie in Abhängigkeit von der personellen Größe der Einrichtungen differenziert. D er beabsichtigte Personalabbau in den Industriezweigen beispielsweise bewegt sich zwischen 15% im M aschinenbau und 45% im Bereich der Leichtindustrie (vgl. Abb.3). Deutlich über dem Durchschnitt von 32% liegen außer
dem die Bereiche von Elektrotechnik/Elektronik und Glas/Keramik. Günstiger werden scheinbar die Zukunftschancen in den Forschungsstellen der Bauwirtschaft/kommu- naler Bereich sowie im Energie- und Rohstoffsektor gesehen. Insgesamt wird nach den vorliegenden Ergebnissen etwa die Hälfte des absehbaren FuE-Personalabbaus der W irtschaft auf den Bereich von Elektrotechnik/Elektronik entfallen. H ier sind offen
sichtlich die internationale Konkurrenzsituation, gesättigte M ärkte und frühere Fehl
orientierungen auf bestimmte Prestigeprojekte bei einem branchentypischen tech
nologischen Rückstand die Hauptursachen. Stellvertretend dafür steht u.a. das ehema
lige Zentrum für Mikroelektronik Dresden, das M itte des Jahres noch 3200 Be
schäftigte hatte. Bis 1991 wird man sich von 2000 M itarbeitern trennen. Die berufli
che Perspektive der verbleibenden Mitarbeiter soll durch Ausgründung mittelständi-
AG WISSENSCHAFTPOLITISCHE STUDIEN
scher Unternehmen in Zusammenarbeit m it westlichen Firmen gesichert werden. Nur für 120 M itarbeiter - die als "Kembereich" bezeichnet werden - sieht man eine Zukunft in der Verlagerung des Schwerpunkts auf die M ikroelektronikanwendung für mittelständische Unternehmen. Die Verwirklichung dieses Konzepts für nur knapp 4%
der alten Belegschaft hängt davon ab, ob es gelingt, sich in den M ikroelektronikver
bund der Fraunhofer-Gesellschaft einzubringen.
Im Bereich der Chemieindustrie scheint die Konzeptbildung in der Einheit von wissenschaftlicher und institutioneller Reorganisation gegenwärtig besonders schwierig zu sein. Als Teil von Großunternehmen, wie etwa der Chemie AG Bitterfeld-W olfen oder der Buna AG, befindet sich die Forschung wie diese Betriebe selbst in einem Schwebezustand bei der Entwicklung tragfähiger Untemehm enskonzepte. W enn dabei in einer großen FuE-Einrichtung ein Personalabbau von 44% ohne klar erkennbare Neukonzeptualisierung der restlichen Forschungskapazitäten erfolgt, ist das wahr
scheinlich Ausdruck einer eher defensiven Überlebensstrategie.
In der chemischen Industrie spielt, ebenso wie in der Elektrotechnik/Elektronik, auch die Parallelität forschungsintensiver W irtschaftszweige in West- und Ostdeutschland
Abb. 4 FuE-Personal
nach Wirtschaftszweigen DDR/BRD
Anteil am FuE-Personal in %
□ DDR M l BRD AG WISSENSCHAFTSPOLITISCHE STUDIEN
eine bestimmte Rolle. In der Abbildung 4 wird deutlich, daß gerade in den drei industriellen Schwerpunkten Maschinenbau, Elektrotechnik und Chemie den östlichen Bundesländern eine noch höhere Konzentration von westlichem Forschungspotential gegenübersteht. Der Bereich Chemie der ehemaligen Bundesrepublik z.B. vereint auf sich einen Anteil am gesamten FuE-Personal der Wirtschaft, der fast doppelt so hoch ist, wie in den neuen Bundesländern. Bei den sich jetzt vollziehenden Fusionen und Übernahmen muß das zwangsläufig zum Abbau der an sich schon hochkonzentrier
ten parallelen Forschungslinien fuhren. Ohne politische Gegensteuerung wird das in der Regel zu Lasten der östlichen FuE-Einrichtungen erfolgen. Neue Entwick
lungsmöglichkeiten für einen kleineren Teil des FuE-Potentials aus dem Bereich Che
mie bietet die Umorientierung auf die Erkundung und Lösung der gerade in diesen Gebieten dringenden ökologischen Probleme. Nach Auffasung des IG-Chemie-Vor- sitzenden H. Rappe müssen in der chemischen Industrie der ehemaligen DDR 30%
bis 40% aller Arbeitsplätze abgebaut werden. In der Berliner Zeitung vom 14.
November wird Rappe zitiert: "Da muß man durch ... Dazu Nein zu sagen, hat für mich keinen Sinn". W eiter heißt es: "In einigen Großbetrieben sei sogar eine Redu
zierung der Belegschaft um m ehr als die Hälfte erforderlich. Für die enüassenen
Beschäftigten müsse man Arbeitsprogramme vor allem auf dem Gebiet der U m weltsanierung organisieren."
Diese Umprofilierung erfordert neben dem Neuaufbau eines daran interessierten, ins
besondere mittelständischen Gewerbes in einer längeren Anschubphase jedoch einen außergewöhnlich hohen Anteil öffentlicher Finanzierung, auch für die sich neu orientierenden Forschungskapazitäten. Dabei muß, sowohl hinsichtlich der Quantität staatlicher Fördermittel als auch in Bezug auf strukturpolitisch abzustimmende inhalt
liche Vorgaben, über einfache Subsidaritätsmodelle in der Forschungspolitik hinausge
gangen werden.
Für die forschungsintensiven Zweige ist zugleich eine Konzentration des FuE-Per- sonals in wenigen großen Einrichtungen charakteristisch. Ü ber 60% des insgesamt erfaßten Personals arbeitet in Forschungseinrichtungen m it über 500 Beschäftigten.
Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Institute/Abteilungen aus den drei genannten Branchen (Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik/Elektronik). Lediglich knapp 7% des ausgewiesenen FuE-Personals ist in Einrichtungen m it einer Per
sonalstärke bis zu 1 3 0 Beschäftigten tätig. Ein Zusammenhang zwischen der Größe der Einrichtungen und ihrer selbst gesehenen Zukunftschancen, wie sie sich u.a. in der Höhe des beabsichtigten Personalabbaus ausdrücken müßten, ist nicht eindeutig erkennbar. Allerdings fällt auf, daß sowohl bei den sehr großen Instituten (mit über 1000 Beschäftigten) als auch bei den kleinen Forschungsstellen (bis 30 M itarbeiter) die vorgesehene Entlassungsrate überdurchschnittlich hoch ist (vgl. Abb.5). In den großen Forschungszentren besteht die Möglichkeit und die Gefahr, daß sich das stark reduzierte Restpersonal au f Kosten der Substanz (Lohnmittel, Grundfonds, Im
mobilien) ohne innovative Forschungsorientierungen zu erhalten versucht. D ie klei
nen und an sich beweglicheren Einrichtungen sowie die neu aufzubauenden For- schungsuntemehmen haben diese Substanz für eine "Schonphase" bis zur wirtschaftli
chen Selbständigkeit nicht und bedürfen deshalb besonderer Unterstützung. Entspre
chend ist der akute Finanzbedarf gerade der kleinen Forschungsstellen m it durch
schnittlich 140 TDM /VbE besonders hoch ausgewiesen.
Auch regional ist die Situation der Industrieforschung bekanntlich differenziert. Die in den neuen Bundesländern vorhandene Konzentration der Forschungs- und Entwick-
Abb. 5
Personalabbau nach Größenklassen
Größe der FuE-Einrichtungen
1-30 VbE 31-70 71-130 131-200 201-300 301-500 501-750 751-1000 über 1000
40 35 30 25 20 15 10 5 0 10 20 30 40 50 ISM Anteil an FuE Gesamt .... 3 Personalabbau in %
AQ WISSENSCHAFTSPOLITISCHE STUDIEN
lungseinrichtungen folgt - sieht man von den Resultaten des "Hauptstadt-Zentrismus’"
ab - weitgehend der herausgebildeten Standortverteilung d er W irtschaftszweige. Das generelle Süd-Nord-Gefälle in der Forschungskonzentration spiegelt sich auch in der industriellen F/E-Verteilung wider. Dabei treten deutliche Abweichungen im Ver
hältnis zur regionalen Verteilung der Bevölkerung auf. So ist besonders in Sachsen aufgrund der industriellen Ballungszentren auch die Industrieforschung überproportional vertreten (vgl. Abb.6). Allein aus der in Relation zur Bevölkerungs
zahl scheinbaren Überrepräsentanz von Industrieforschung, etwa in Sachsen, Thüringen oder Berlin, läßt sich deshalb noch kein Forschungsüberhang ableiten. Umgekehrt signalisiert der geringe Anteil von Industrieforschung in den durch Land- und Forst
wirtschaft geprägten Bundesländern (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern) nicht die Notwendigkeit einer zusätzlichen Ansiedlung industrieller FuE. Denn diese ist in der Regel an ein industrielles Umfeld gebunden, daß schon aus ökologischen Gründen für bestimmte Regionen nur in begrenztem Umfang wünschenswert ist.
W ährend es in der Industrieforschung nach Branchen deutliche Unterschiede hin
sichtlich Existenzdruck und Überlebenschancen gibt, scheint die Situation im Ver-
Abb.
6 Vergleich Bevölkerungsanteil mit Anteil an der Industrieforschung nach Ländern
L ., I Bevölkerungsanteil %
B l
Anteil an ind. FuE %AG WISSENSCHAFTSPOLITISCHE STUDIEN
gleich der Bundesländer eher ausgeglichen. Nach den Erhebungen liegt der beabsich
tigte Personalabbau beispielsweise in allen erfaßten Bundesländern etwa bei einem Drittel des gegenwärtigen FuE-Personals. Dies beinhaltet in absoluten Größen aller
dings schon erhebliche Unterschiede. Berechnet auf die Gesamtzahl ergibt sich für Sachsen z.B. ein Personalabbau in der Höhe dessen, was Berlin (Ost) an industriellem FuE-Personal überhaupt besitzt. Zu diesem "geplanten" Abbau kommen die nicht vor
aussehbaren und regional entsprechend der unterschiedlichen W irtschaftsstruktur diffe
rierenden Entlassungen, die sich z.B. aus der zwangsweisen Auflösung ganzer For
schungseinrichtungen und -profile (bestimmten Branchen folgend) ergeben. Sehr stark differiert naturgemäß auch der angegebene finanzielle B edarf der Industrieforschung in den neuen Bundesländern und Ostberlin (vgl. Abb.7).
Berlin spielt im Forschungsgefüge der östlichen Bundesländer notwendig eine be
sondere Rolle. Etwa 20% des Forschungspotentials der ehemaligen DDR waren allein in Ostberlin konzentriert. Davon entfallen 43% auf industrielle FuE. In Berlin ist die universitäre und außeruniversitäre akademische Forschung gegenüber der Industrie- FuE besonders stark vertreten. Von den ehemaligen Akademieinstitute (die m it rd.
50% ihres Personals in Berlin ansässig sind) ist ein Teil von der staatlichen Fi
nanzierungsgarantie bis 1991 ausgeschlossen und dringt jetzt durch anwendungsorien
tierte Ausgründungen m it zusätzlichen Kapazitäten a u f den M arkt der Industriefor
schung. So strebt das frühere Zentrum für wissenschaftlichen Gerätebau der Akade
m ie der Wissenschaften m it 1600 Beschäftigten - gegenwärtig GmbH im Aufbau - für die Zukunft die Rolle eines Technologie- und Innovationszentrums an, in dessen Rahm en sich eine Vielzahl ausgegründeter Unternehmen mit industrieorientierter Forschung entwickeln können. Dabei ist sowohl die Spannbreite der bearbeiteten The
m en als auch die des Charakters der Forschung (von Grundlagenforschung bis zur Er
zeugnis- und Technologieentwicklung) im Vergleich zu herkömmlichen Industriefor
schungsabteilungen außerordentlich groß. Bei zumeist stornierten Forschungsaufträgen verschärft das zusätzlich die Konkurrenzsituation.
Auch im Westteil der Stadt hat die BerlinfÖrdernng unter anderem ein besonderes W achstum öffentlich finanzierter Forschung bewirkt Augenfällig wird dies heute vor allem bei dem Problem der Entwicklung der drei großen Berliner Universitäten. Die für Ost- und Westberlin gleichermaßen charakteristischen Ungleichgewichte in der
Forschungslandschaft werden durch die Vereinigung noch verstärkt Zu dem Über
gewicht von universitärer und akademischer Forschung kom m t die Disproportion zwi
schen dem insgesamt hohen und vielfältigen wissenschaftlich-technischen Leistungsan
gebot und der demgegenüber verhältnismäßig geringen industriellen Nachfrage nach Forschungsleistungen. Das für die Erfolge der Berliner W issenschaft zu Beginn dieses Jahrhunderts typische Zusammenspiel von innovativer Industrie, Grundlagenforschung und angewandter Forschung ist spätestens seit 1945 vor allem durch die Erosion des industriellen Umfeldes gestört. In Berlin-W est gab es einen durch die Insellage und den politischen Status bedingten sukzessiven Rückzug der Industrie, der auch durch die gegensteuemde Förderung nicht vollständig kom pensierbar war. U nd im Ostteil der Stadt - durchaus ein bevorzugter Industriestandort der ehemaligen D D R - können sich die großenteils heruntergewirtschafteten Betriebe weder Spitzenforschung leisten, noch ist eine besondere Nachfrage in der gegenwärtigen Situation erkennbar.
Gerade in Berlin müssen deshalb modellhaft politische Konzepte der W issenschafts
förderung m it der Förderung intelligenzintensiver Industrieen verbunden werden. Das m acht ein ressortübergreifendes integratives Gesam tkonzept für die Hauptstadt und das z.T. neu erschließbare Umland erforderlich. Dieses Konzept m uß Spielraum für die Diskussion und Verwirklichung von alternativen Möglichkeiten lassen. Inhaltliche Präm issen könnten u.a. in der Orientierung auf den wissenschaftsintensiven Charakter der W irtschaft bei ökologischer Dominanz und im A u ftau Berlins als D ienstlei
stungsmetropole liegen. Aus dem scheinbaren Überangebots an K reativität und der vorhandenen M ultifunktionalität des W issenschaftspotentials ließen sich derart spe
zifische Standortvorteile entwickeln. Allerdings kann dies nur m it einer deutlichen Dezentralisierung, die auch über den Berliner Großraum hinausgreift, verbunden werden. Dabei ist einmal an die Schaffung von Innovationszentien im kulturge
schichtlich reichen und aufnahmefähigen weiteren Um feld d er Stadt gedacht. Zum anderen kann eine teilweise Entflechtung auch durch besondere materielle und berufliche Anreize für die gezielte Auslagerung von Forschung in bisher ver
nachlässigte Regionen der neuen Bundesländer gefördert werden.
Die noch über lange Zeit bestehen bleibenden regionalen Disproportionen deuten auf eines der Hauptprobleme des Umgangs mit dem Industrieforschungspotential. Nach der Zersetzung der DDR-zentralisierten Forschungspolitik bedarf es nun generell
moderner Gestaltungskonzepte für länderspezifische Forschungslandschaften. Auf dieser Ebene kann vor allem in einer Übergangsphase geholfen werden, mögliche
"Heimvorteile" für die eigene Industrie und deren Forschung zu sichern. D ie früheren Kooperations- und Auftrags Strukturen sind bei nahezu allen FuE-Einrichtungen massiv reduziert, gestört oder völlig zusammengebrochen. U nd das Bemühen um neue Partner im bisherigen Bundesgebiet bzw. im westlichen A usland kann aufgrund der noch geringen Erfolgsrate nur minimale Potentiale retten. D er W iederaufbau regionaler Kooperationsbeziehungen, wie er von vielen FuE-Einrichtungen z.B. m it neuen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) angestrebt wird, setzt jedoch deutliche strukturpolitische Entscheidungen voraus. Im Antwortschreiben eines großen Chem
nitzer Unternehmens der Maschinenbaubranche wird hierzu bemerkt:
"Für neue Forschungsrichtungen mit aussichtsreichen M arktchancen wurden bereits projektbezogene Fördermittel beantragt. N eu sind Vorstellungen zu Projekten im Umweltschutz und zur Unterstützung neugegründeter kleiner und m ittelerer U nterneh
men des Territoriums, die bisher nicht zum Kreis der Auftraggeber zählten. Dazu wird die Zusammenarbeit mit den Kommunen intensiviert
Darüber hinaus sehen w ir es als notwendig an, schnellstens die Landesregierungen zu formieren und insbesondere das W irtschaftsressort auf das Gebiet der Forschungs- und Investitionsförderung vorrangig zu konzentrieren. N u r so kann die W ettbewerbsfähig
keit der Unternehmen in den sächsischen Industrieballungsgebieten schnell gesteigert werden."
Die derzeit einsetzende Revitalisierung verschütteter regionaler Traditionen w ird den Ländern ihren besonderen Charakter wiedergeben. Daran anknüpfend hat staatliche Strukturpolitik Leitlinien und Rahmenbedingungen auch für zukunftsorientierte Tech
nologieentwicklung zu entwerfen. Die bislang überwiegend ausstehenden Forschungs
orientierungen der FuE-Einrichtungen selbst sind tatsächlich erst in der W echsel
wirkung m it solchen regionalen Gesamtvorstellungen entwickelbar.
H ier besteht u.E. gegenwärtig der dringlichste Handlungsbedarf. D er Erhalt und die Anpassung leistungsfähiger F/E-Potentiale ist durch das aktuelle "Verantwortungsloch"
erst mittelfristig arbeitsfähig werdender Landesregierungen besonders gefährdet.
Öffentlichkeitswirksame Hinweise auf die für die Industrieforschung bedrohliche Lage und die absehbaren Folgen ihrer flächendeckenden Erosion sind auch deshalb not
wendig, damit bei der in diesem Jahr beginnenden Ausarbeitung regionaler Entwick
lungsprogrammatik durch die neuen Landesregierungen eigene Industrieforschung und
Technologiekonzepte rechtzeitig eine gewisse Priorität erhalten bzw. überhaupt in strukturpolitische Entwicklungskonzeptionen aufgenommen werden.
4. Reaktionen der FuE-Einrichtungen
Die Fähigkeit zur Durchsetzung innovativer Konzepte war bekanntlich in der Industrie der ehemaligen D D R wenig entwickelt. U nter den sich rasch verändernden und teilweise wegbrechenden Produktionsbedingungen hat es bisher allerdings kaum M öglichkeiten zur erfolgreichen Verwirklichung neuer unternehm erischer Ansätze gegeben. Im Bereich der industriellen FuE stellt sich das Bild zunächst etwas anders dar. D a Forschung in der Regel nicht an Auflagen zur Aufrechterhaltung der laufen
den Produktion gebunden ist, könnten Bewegungsspielräume und Flexibilität hier stärker als in der Industrie insgesamt ausgeprägt sein. Verbunden m it dem durch
schnittlich höheren Qualifikationsniveau des Forschungspersonals bietet das eigentlich eine Chance für besseres Zurechtkommen in den sich neu herausbildenden wirtschaft
lichen und gesellschaftlichen Strukturen. A uf der anderen Seite ist auch die industrielle Forschung, wie W issenschaft überhaupt, überwiegend nicht in der Lage, ihre Finanzierungsgrundlagen vollständig marktwirtschaftlich zu erarbeiten. Sie bedarf einer finanzstarken Trägerindustrie und - wie in allen entwickelten Industriestaaten -
eines bestimmten Anteils öffentlicher Förderung.
So ergibt sich als Befund der Selbstdarstellungen der befragten FuE-Einrichtungen ein zwiespältiger Eindruck. Zum eist werden zwar "aussichtsreiche und tragfähige"
Forschungsvorhaben offeriert, jedoch steht in der M ehrzahl der Fälle eine Klärung der künftigen finanziellen Basis und institutioneilen Zukunft aus. Aus dieser unsicheren Situation heraus erwachsen bestimmte Reaktionsmuster. Ausgehend vom vorliegenden Überblick über 120 Forschungseinrichtungen lassen sich vielleicht drei Gruppen unterscheiden.
An erster Stelle stehen dabei Spielarten eines eher defensiven Personalabbaus ohne erkennbare Neukonzeptualisierung der Forschungsprofile. Dabei handelt es sich m itunter um Einrichtungen, die m it dem sukzessiven Personalabbau einen letztlich aussichtslosen Überlebenskam pf alter Strukturen und "Seilschaften" führen. In den
Antwortschreiben und Selbstdarstellungen solcher Einrichtungen werden kaum Ansätze zur inhaltlichen, strukturellen, produkt- und marktbezogenen Neuorientierung sichtbar.
Die sich solchermaßen schrittweise verkleinernden Restbestände von FuE-Einrichtun- gen finanzieren sich - soweit sie das schon selbständig tun - offensichtlich weitgehend
"artfremd" (durch Umprofilierung auf direkte Produktion, die Übernahm e von Dienst
leistungen, das Vermieten von Räumen u.ä.).
Ein Beispiel dafür scheint uns etwa die Antwort des bekannten Zentralinstituts für Schweißtechnik (Z3S) Halle zu sein, in der zunächst lapidar festgestellt wird, daß ein Personalabbau von 200 Arbeitskräften (von 245!) notwendig erscheint, jedoch durch Tarifvertrag bis Juni 1991 behindert ist. A uf die Frage welche neuen Anregungen oder Vorstellungen für Forschungsarbeiten im Institut entwickelt wurden und welche Unterstützung dafür benötigt werde, gibt es lediglich folgende Antwort: "Es werden verschiedene Vorstellungen weiter entwickelt und geprüft. Hauptvoraussetzung ist das Überleben 1990/91 - und damit die Bereitstellung der staatlichen Mittel."
Ein größerer Teil dieser Einrichtungen und des dort beschäftigten Personals wird mit dem Auslaufen der Kurzarbeiterregelungen im V erlauf des Jahres 1991 dann endgültig aus dem Bereich der Industrieforschung ausscheiden. FuT-politisch besteht hier kein spezifischer Handlungsbedarf, etw a zum Erhalt bzw. zur Um profilierung nicht geeig
neter Forschungskapazitäten. Erforderlich sind allerdings eine sozial- und wirtschafts
politische Abfederung und die weitgehende Integration des Personals in andere Bereiche der W irtschaft. Umschulung und berufliche Verm ittlung können und sollten dabei an die besonderen Qualifikationsprofile und Arbeitsfähigkeiten anknüpfen.
Eine zweite Gruppe von FuE-Stellen bzw. FuE-Abteilungen ist ernsthaft um eine z.T.
radikale inhaltliche Neuorientierung in der Forschung sowie um neue Finanzierungs
quellen und Nutzerkreise ihrer Ergebnisse bemüht. Im Kontrast zu der sich neu ent
wickelnden wissenschaftlichen Flexibilität steht jedoch ein vom Stil des "Altmanage
ment" und der DDR-Versorgungsmentalität geprägtes institutionelles Beharrungsver
mögen. Kennzeichnend dafür ist u.a. eine Abwartehaltung, wonach von potentiellen Kooperationspartnern, neuen Eigentümern oder privaten und öffentlichen Geldgebern wie selbstverständlich eine Absicherung der Forschungsbedingungen erwartet wird.
Volle Eigenverantwortlichkeit und Fähigkeit zur Selbstaktivierung haben sich bei
diesen Einrichtungen bisher nicht entwickeln können.
FuT-politisch besteht hier ein akuter Handlungsbedarf. Dabei genügt es offensichtlich nicht, die noch weitgehend ausstehenden finanziellen Rahm enbedingungen zu schaffen.
Das müßte kombiniert werden m it einer M anagement- und U ntem ehm enshilfe vor Ort, eingeschlossen eine personelle Unterstützung. Die Vergabe von beantragten Mitteln sollte auch an die Vorlage von innovativen Untem ehm enskonzepten gebunden werden. Dabei könnten vorhandene konstruktive Ansätze, wie z.B. in der Antwort aus dem FuE-Bereich von M eßelektronik Dresden, gefördert und ausgebaut werden:
"Zur Gewährleistung einer maximalen Flexibilität bei der Reaktion auf M arktan
forderungen und der schnellen Umsetzung neuer Erzeugnisse mit hohem Innova
tionsgehalt ist der Aufbau juristisch und ökonomisch selbständiger Geschäftsbereiche erforderlich. Eine Zusammenarbeit und finanzielle Beteiligung durch westeuropäische Unternehmen unter Nutzung dort vorhandener Vertriebsstrukturen scheint unabdingbar für das rasche Greifen dieser Maßnahme. Derzeitig werden diesbezügliche Fortschritte behindert durch die abwartende Haltung potentieller Investoren, was in erster Linie auf die derzeitig ungeklärten gesetzlichen Bestimmungen im H inblick auf die Eigen
verantwortlichkeit der Betriebe, die Entflechtung, die Rolle der Treuhand usw.
zurückzuführen ist. Es ist aus m einer Sicht erforderlich, umgehend Voraussetzungen zu schaffen, dam it aus den festgefahrenen Strukturen alter Betriebe m it neuen Namen kleine, hochflexible Einheiten mit hohem Verantwortungsbewußtsein entstehen."
Schließlich gibt es eine dritte Gruppe, die nach den vorliegenden Erhebungen immer
hin etwa 35% bis 40% der Einrichtungen umfaßt. Diese FuE-Stellen haben bereits aus ihrer Sicht tragfähige Konzepte entwickelt, bei denen nicht nur die wissenschaftliche, sondern auch die unternehmerische Seite, Bedarf und mögliche Finanzierungsquellen für die angebotenen Forschungsleistungen schon weitgehend abgeklärt sind. So verfügte beispielsweise die Electronic-GmbH Dresden-Neustadt bereits im Frühsom m er des Jahres über ein ausgearbeitetes Untemehmenskonzept, das deutlich die Abkehr von der "zentralistisch orientierten Entwicklungsstelle" eines großen Kombinates, "hin zu einem marktwirtschaftlich ausgerichteten Forschungs-, Entwicklungs- und Produk- tionsuntemenmen" vollzog.
Aber selbst diese Einrichtungen stehen insgesamt vor der Existenzfrage. D a sind zum einen verschiedene Altlasten, z.B. von Krediten aus dem K auf von Grundmitteln vor der W ährungsunion, sanierungsbedürftige Bausubstanz u .a .m , die einen Neuanfang erschweren. Dabei geraten eigentümlicherweise - entgegen den Erwartungen - gerade
auch schon traditionell anwendungs- und marktorientiert arbeitende Institute in den Sog der allgemeinen wirtschaftlichen Erosion. Selbst das erfolgreiche und international renommierte Privatinstitut des M anfred v.Ardenne ist nach Ardennes Aussagen in seinem Fortbestand aufgrund der Zersetzung des wirtschaftlichen Kontextes gefähr
det:
"Wie schmerzlich der Anpassungsprozeß an die M arktwirtschaft ist, sehe ich be
sonders an unserem Institut. Es ist eine absolute Katastrophe, gerade durch die sehr hohe Effizienz unseres privaten Forschungsinstitutes sind w ir durch die W ährungs
union besonders hart betroffen. W ir hatten Aufträge bis 1994 über etw a 100 M il
lionen Mark. Nach der Währungsunion sind sie auf etwa 8 M illionen geschrumpft, auf etwa ein Zehntel. Die Kunden sind zu 80 Prozent in Konkurs gegangen, sie können nicht m ehr zahlen. Hinzu kommt, daß es jene DDR-Ministerien, die unsere Grundlagenforschung unterstützten, nicht m ehr g ib t W ir waren gezwungen, etwa die H älfte unserer 500 M itarbeiter zu entlassen. Das w ar ein sehr schmerzlicher S chritt denn zum Teil handelt es sich um Mitarbeiter, die dem Institut seit 20 und mehr Jahren verbunden sind. ... Als Erbe aus der SED-Dr.-M ittag-Zeit haben w ir Altlasten und Zinsen in solcher Höhe zu tragen, daß die Existenz meines traditionsreichen Instituts gefährdet ist, wenn uns nicht geholfen wird. ... Für Ausnahmesituationen müssen auch Ausnahmeregelungen getroffen werden. Das wäre konkret die Streichung der Altschulden, für die wir jährlich allein 700 000 D M an Zinsen zu zahlen hätten, sowie die Hilfe bei den sozialen Leistungen für die Kündigungen." (Neues Deutsch
land v. 1. Nov. 1990)
Neben der z.T erdrückenden Schuldenlast für bestehende Forschungseinrichtungen sind auch die äußeren Startbedingungen für neu gegründete Unternehmen nicht mit denen in den westlichen Bundesländern zu vergleichen. Die derzeitigen Rahm enbedin
gungen - vom industriellen Umfeld bis zu öffentlichen Fördermöglichkeiten - entspre
chen in keiner W eise dem entwickelten Standard der sog. Alt-Bundesländer. Das erschwert für die sich neu formierenden Forschungsuntemehmen die ohnehin schon ungünstige Wettbewerbssituation. Hier spielt auch die unvermeidliche Parallelität von Forschungskapazitäten bzw. Firmen-Dopplungen (z.B. die Carl-Zeiss-Stiftungen in Jena und Heidenheim) in den zwei ehemals weitgehend gegeneinander abgeschlos
senen W irtschaftssystemen eine Rolle. Die fachspezifisch gebundenen "Plätze" inner
halb der auf die alte Bundesrepublik zugeschnittenen Fördersysteme sind offensicht
lich durch etablierte Einrichtungen bereits b esetzt Diese Erfahrung wird z.B. auch in der Zuschrift des Instituts für Zellstoff und Papier Heidenau widergespiegelt:
'Kooperationsbemühungen zu diesen (Unternehmen der Zellstoff- und Papierindustrie)
sowie zu Instituten der Industrie, der Fraunhofer-Gesellschaft und zu Universitäten und Hochschulen erbrachten bisher keine konkreten Ergebnisse. ... Die Aufnahme in Fraunhofer-Gesellschaft wurde abgelehnt (da Einordnung als Brancheninstitut). A uf
nahme in Arbeitsgemeinschaft Industrieller Forschungsvereinigungen (AIF) wurde ebenfalls abgelehnt, da bereits das BRD-Institut "Papiertechnische Stiftung (PIS) München" und das "Kuratorium f. Forschung, Technik... der Zellstoff- und Papier
industrie" M itglied sind. Kooperation und Arbeitsteilung mit diesen Institutionen wird angestrebt"
5. Politische Wahrnehmungen und Konzepte
Politische Reaktionen auf die Probleme der Industrieforschung blieben vor der W ährungsunion im wesentlichen aus. Im Zentrum der forschungspolitischen Aus
einandersetzungen standen vor allem die Akadem ien der DDR und die Perspektive ihrer Forschungseinrichtungen. Das änderte sich etw a im Juni des Jahres, als sich Signale über Kurzarbeit, Entlassungen und bevorstehende Auflösung von industriellen Forschungseinrichtungen verstärkten. D er Volkskammerausschuß für Forschung und Technologie, und insbesondere die Fraktion der SPD (Ost), begannen m it der Ausar
beitung einer interfraktionellen Initiative zur "Förderung der Industrieforschung in der DDR". Im Kern ging es dabei um die Bildung eines Darlehensfonds zur Über
gangsfinanzierung des leistungsfähigen Teils der Industrieforschung. M it diesem Fond sollte nach dem W egfall der zentralen staatlichen Finanzierung und der Zah
lungsunfähigkeit des größten Teils der Industrie der Erhalt und die Umstrukturierung der Forschung im Prozeß des Übergangs zur M arktwirtschaft durch die M obilisierung von Mitteln aus der ehemaligen DDR (Treuhandanstalt) erreicht werden. Im einzelnen waren die Ziele der Einrichtung des Fonds:
- die finanzielle Unterstützung der Industrieforschungseinrichtungen und neu zu bildender Forschungskapazitäten auf dem Territorium der DDR w ährend der Übergangsphase zur Marktwirtschaft,
- der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätze im Bereich der Forschung und Technologie, besonders im mittelständischen Bereich,
- der Aufbau einer neuen Infrastruktur im Bereich der Industrieforschung (Technologie-, Transferzentren u.a.) unter Beachtung regionaler und branchen
spezifischer Entwicklungskonzepte.
Der beabsichtige finanzielle Umfang des Fonds von 1 Mrd. D M pro Jahr hätte nach