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NOTAR MUSS NICHT AUF ERFORDERNIS DES VERTRAGSSTRAFENVORBEHALTS SCHON BEI BEURKUNDUNG HINWEISEN

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NOTAR MUSS NICHT AUF ERFORDERNIS DES VERTRAGSSTRAFENVORBEHALTS SCHON BEI BEURKUNDUNG HINWEISEN

Dr. Harald Scholz

Urteil OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2020, Az.: 18 U 133/19

Leitsatz:

Eine Klausel in einem Immobilienkaufvertrag, wonach ein Werklohnanteil von 1.

35.000,00 € nicht gezahlt werden muss, sofern der Verkäufer bestimmte Sanierungsleistungen nicht pünktlich fertigstellt, ist rechtlich eine

Vertragsstrafe für nicht gehörige Erfüllung. Die Geltendmachung erfordert den Vorbehalt der Vertragsstrafe im Zeitpunkt der Annahme der Leistung (§ 341 Abs. 3 BGB).

Der Notar, der eine solche Abrede beurkundet, muss auf diesen Umstand bei 2.

der Beurkundung nicht hinweisen.

Sachverhalt:

Der beklagte Notar beurkundete einen Immobilienkaufvertrag über ein

Mehrfamilienhaus. Die Parteien hatten sich darauf geeinigt, dass die Verkäuferin u.a. noch Maßnahmen zum Brandschutz durchführen sollen. Bis zu deren Erfüllung sollte ein Kaufpreisanteil von 35.000,00 € noch zurückbehalten werden dürfen. Es heißt dann:

(2)

„Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass, sofern der Verkäufer seine

vorgeschriebenen Leistungsverpflichtungen nicht fristgerecht mangelfrei erfüllt, der Käufer berechtigt ist, diese Leistungen selbst auf eigene Kosten auszuführen bzw. die Mängel beseitigen zu lassen. Der auf diese Leistungen entfallende Kaufpreisanteil in Höhe von 35.000,00 € ist in diesem Fall vom Käufer insgesamt nicht mehr zu leisten, es sei denn, es liegen nur unwesentliche Mängel vor oder es sind nur unwesentliche Teilleistungen nicht erbracht.“

Die Leistungen zur Beseitigung der brandschutztechnischen Mängel – und zwar vor allem die behördliche Abnahme und die TÜV-Besichtigung – wurden nicht

fristgerecht erledigt, sondern wurden noch einige Zeit danach komplettiert. Die Käufer, welche im Ergebnis keine Leistungen selbst ausführen lassen mussten, zahlten den restlichen Kaufpreis von 35.000,00 € nicht.

Im Vorprozess wurde rechtskräftig festgestellt, dass mangels eigener Leistungen zur Mängelbeseitigung durch die Käufer der Verfall der 35.000,00 € nicht

eingetreten sei. Der Vertrag sei dahin zu verstehen, dass der Verfall eigene Mangelbeseitigungsleistungen der Käufer nach Fristablauf erfordere.

Die Käufer verlangen nun vom beklagten Notar Schadensersatz. Man sei sich mit dem Käufer damals einig gewesen, dass die Verfallklausel allein für die

Zeitüberschreitung – ohne Rücksicht darauf, ob eine Ersatzvornahme durch die Käufer veranlasst werden musste – greifen sollte. Der Notar habe diese Abrede nicht zutreffend in die Urkunde umgesetzt.

Entscheidung:

Das OLG Düsseldorf – wie zuvor das Landgericht – weist die Klage ab.

Es kann offenbleiben, ob der beklagte Notar den übereinstimmenden Willen der Kaufvertragsparteien nicht zutreffend beurkundet hat, oder ob die Formulierung nur unklar war, so dass jede Seite ihr eigenes, voneinander abweichendes, Verständnis hineinlesen konnte.

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Jedenfalls fehle es an dem erforderlichen kausalen Schaden:

Bei der Verfallklausel handelt es sich um eine Vertragsstrafe für nicht

ordnungsgemäße Leistung. Diese verlangt nach § 341 Abs. 3 BGB einen Vorbehalt bei der Annahme der Leistung.

Die Käufer haben eine solche Vorbehaltserklärung bei Annahme der Leistung nicht abgegeben. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die

Kaufvertragsparteien stillschweigend auf eine solche Vorbehaltserklärung verzichtet hätten.

Demnach hätte auch die präziseste notarielle Formulierung nichts genutzt, weil die Käufer auch dann den erforderlichen Vorbehalt vergessen hätten.

Den beklagten Notar traf keine Amtspflicht, die Klägerin und ihren Ehemann über das Erfordernis des Vertragsstrafenvorbehalts bei der Beurkundung zu belehren.

Die Belehrungspflicht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Beurkundungsgesetz reicht nur so weit, wie eine Belehrung für das Zustandekommen einer Urkunde erforderlich ist, die den wahren Willen der Beteiligten vollständig und unzweideutig wiedergibt.

Der Notar ist dagegen nicht gehalten, ohne Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten sämtliche enthaltenen Klauseln eingehend zu erläutern.

Dies würde nicht nur die notarielle Verhandlung überfrachten, sondern die Aufmerksamkeit der Beteiligten von den wesentlichen Punkten ablenken. Eine Fallgestaltung, in der es zu einer Störung der vereinbarten geschuldeten

Leistungen gekommen ist und eine Erläuterung, was in einem solchen Fall genau zu tun sei, ist von dieser Belehrungspflicht nicht umfasst.

Anmerkung:

Die Entscheidung ist aus zwei Gründen interessant.

Sie lehrt zum einen, dass eine präzise Prüfung des kausalen Schadens zuweilen

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lange Beweisaufnahmen zur Frage erspart, was bei der Beurkundung Wille der Parteien war und mit welchen anderen Regelungen – unterstellt man einen noch fehlenden Konsens – beide Seiten einverstanden gewesen wären.

Zum anderen begrenzt das Urteil richtig die notariellen Pflichten. Man kann eine Verfallklausel vereinbaren. Wie diese später im Konfliktfall zu verwirklichen ist, liegt außerhalb der notariellen Belehrungspflicht. Dafür kann die betroffene Partei anwaltlichen Rat einholen. Es trifft zwar zu, dass der erforderliche Vorbehalt der Vertragsstrafe eine „Fußangel“ bei der Durchsetzung einer solchen Verfallklausel ist. Andererseits steht diese Hürde im Gesetz und wird vom Gesetzgeber den Parteien einer solchen Vertragsstrafenvereinbarung bewusst zugemutet. Ein

gesonderte Warn- oder Belehrungspflicht über eventuelle Klippen bei der späteren Abwicklung von Leistungsstörungen würde die Leistungsfähigkeit des Notariats überfrachten. Auf alle denkbaren Eventualitäten kann eben nicht hingewiesen werden.

Das Urteil überzeugt daher.

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BGH KONKRETISIERT DRITTSCHÜTZENDE WIRKUNG VON ANWALTSVERTRÄGEN

Stefan Krappel

BGH, Urteil vom 09.07.2020, Aktenzeichen: IX ZR 289/19

(5)

Leitsatz:

Auch im Anwaltsvertrag gilt: Wenn Dritte in die Schutzwirkung des

Anwaltsvertrages einbezogen werden sollen, müssen diese bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommen. Die erforderliche Leistungsnähe entsteht nicht bereits dann, wenn nahestehende Dritte aus demselben

Rechtsgrund und gegen denselben Anspruchsgegner Ansprüche haben könnten.

Sachverhalt:

Bei einem Unfall im Jahr 2006 wurde die Mutter der beiden Klägerinnen schwer verletzt. Sie wurde dauerhaft pflegebedürftig und war auf einen Rollstuhl angewiesen. Nach dem Unfall beauftragte die Mutter der Klägerin eine Rechtsanwältin mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, woraufhin die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers ihre volle

Einstandspflicht erklärte. Im Dezember 2007 beauftragt die Mutter der Klägerinnen den beklagten Rechtsanwalt mit der Weiterverfolgung der

Schadensersatzansprüchen. Das Mandat endete im Mai 2016.

Die Klägerinnen sind seit den Jahren 2013 und 2016 in psychotherapeutischer Behandlung. Sie behaupten, dass ihre Leiden ebenfalls auf den Unfall, bei dem sie auch in dem Fahrzeug der Mutter gesessen hätten und leicht verletzt worden seien, zurückzuführen sind. Sie meinen, der Beklagte hätte im Rahmen des Mandats auch über die ihm zustehenden Ansprüche aufklären und beraten müssen, dies sei fehlerhaft unterblieben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerinnen hatte keinen Erfolg.

Entscheidung:

Auch der BGH hat die Ansprüche der Klägerinnen und deren Revision zurückgewiesen.

Der BGH hat sich in seinem Urteil damit befasst, wie weit ein Anwaltsvertrag im Hinblick auf Pflichten gegenüber Dritten reicht und unter welchen Voraussetzungen diese in den Schutzbereich des Anwaltsvertrags mit einbezogen werden können.

Unstreitig ist kein eigenes Mandatsverhältnis zwischen den Klägerinnen und dem beklagten Rechtsanwalt zustande gekommen. Eine ausdrückliche Einbeziehung in den Anwaltsvertrag der Mutter hat ebenfalls nicht stattgefunden. Die Einbeziehung ergab sich – so der BGH – auch nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung.

Nach allgemeinen Kriterien ist eine Einbeziehung in einen Vertrag mit

Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, woran der BGH festhält, nachfolgenden Kriterien

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möglich:

Leistungsnähe

Gläubigernähe und schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Beratungsvertrages Einbeziehung des Dritten für den Schuldner erkennbar

keine inhaltsgleichen vertraglichen Ansprüche.

Im vorliegenden Fall scheiterte die Annahme eines drittschützenden Vertrages schon daran, weil es an der erforderlichen Leistungsnähe fehlte. Das erforderliche Näheverhältnis zur Hauptleistung liegt nach dem BGH nur vor, wenn die

Leistungen des Rechtsanwalts bestimmte Rechtsgüter eines Dritten nach der objektiven Interessenlage im Einzelfall mit Rücksicht auf den Vertragszweck bestimmungsgemäß, typischerweise beeinträchtigen kann. Entscheidend für eine Ersatzpflicht hinsichtlich von Vermögensschäden des Dritten ist, ob die vom Anwalt zu erbringende Leistung nach objektivem Empfängerhorizont auch dazu bestimmt ist, dem Dritten Schutz vor möglichen Vermögensschäden zu vermitteln. Der Auftraggeber muss ein entscheidendes Eigeninteresse an der Wahrung der Drittinteressen haben. Inwieweit dieses Näheverhältnis besteht, hängt

entscheidend von Ausprägungen im Inhalt des anwaltlichen Beratungsvertrages ab.

Im vorliegenden Fall hatte schon das Berufungsgericht festgestellt, dass

Gegenstand des Vertrages zwischen der Mutter und dem Beklagten (lediglich) war, unfallbedingte, zuvor von einer anderen Rechtsanwältin verfolgte

Schadensersatzansprüchen ausschließlich der Mutter der Klägerinnen gegenüber der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers zu verfolgen, wobei die Höhe zum Zeitpunkt der Mandatierung naturgemäß unklar war. Die Klägerinnen waren an diesem Rechtsverhältnis persönlich nicht beteiligt und hierdurch in ihren Rechtspositionen allenfalls mittelbar und gerade nicht unmittelbar betroffen.

Für die Annahme eines Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter entsteht nach dem Anwaltshaftungssenat eine Leistungsnähe nicht bereits dann, wenn sich für den Rechtsanwalt Anhaltspunkte für eigene Ansprüche Dritter aus demselben Rechtsgrund und gegen denselben Anspruchsgegner ergeben, selbst wenn diese Dritten dem eigenen Mandanten (zufällig) nahe stehen.

Vorsorglich hielt der BGH fest, dass für den vorliegenden Einzelfall etwaige Hinweispflichten auch daran gescheitert wären, dass die Gefährdung von

Vermögensinteressen der Klägerinnen als Dritten für den beklagten Rechtsanwalt nicht offenkundig war, da sich diesem nicht bei Übernahme des Mandates

aufdrängen musste, dass diese unfallbedingt sechs und zehn Jahre später

psychisch erkranken würden und ihnen aus diesem Grund möglicherweise eigene Schadensersatzansprüche aus dem Unfallereignis zustehen könnten. Die zum Unfallzeitpunkt im Auto befindlichen Klägerin hatte zunächst keine Schäden davongetragen. Deren Entwicklung verlief zunächst ohne offensichtliche äußere

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Probleme.

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ZUR HINWEISPFLICHT DES ZIVILRECHTLICH BEAUFTRAGTEN ALLGEMEINANWALTS AUF STEUERLICHE FRAGESTELLUNGEN

Simone Eiben

BGH, Urteil vom 9.1.2020 – Aktenzeichen: IX ZR 61/19 Leitsatz

1. Berät ein Rechtsanwalt eine Mandantin im Zusammenhang mit einer

Scheidungsfolgenvereinbarung, hat er sie auf die Notwendigkeit der Einschaltung eines Steuerberaters hinzuweisen, sofern sich bei sachgerechter Bearbeitung wegen der Übertragung von Grundeigentum eine steuerliche Belastung nach § 22 Nr. 2, § 23 EStG aufdrängen kann und er zu einer steuerrechtlichen Beratung nicht bereit oder imstande ist.

2. Der durch eine fehlerhafte steuerliche Beratung verursachte Schaden umfasst die Kosten eines von dem Mandanten eingeholten Wertgutachtens, mit dessen Hilfe ein geringerer Verkehrswert eines für die Steuerfestsetzung maßgeblichen Grundstücks nachgewiesen und die Steuerlast verringert werden kann.

3. Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens gilt nicht, wenn der

vernünftigerweise einzuschlagende Weg die Mitwirkung eines Dritten voraussetzt.

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Sachverhalt

Die Klägerin traf im November 2011 mit ihrem Ehemann eine notariell beurkundete Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung. Danach verpflichtete sich die Klägerin, an ihren Ehemann zur Abgeltung des Zugewinnausgleichs neben einer Zahlung von 40.000 € ein Mietshaus zu übereignen. Bei Abschluss der

Vereinbarung wurde die Klägerin, die Eigentümerin eines weiteren Mietshauses ist, von dem Beklagten anwaltlich beraten.

Nach Umsetzung der Vereinbarung wurde gegen die Klägerin wegen eines von ihr aus der Übertragung des Mietshauses erzielten Veräußerungsgewinns ca. 95.000 € von dem Finanzamt eine Steuer von ca. 40.000 € festgesetzt. Aufgrund eines von der Klägerin gegen eine Vergütung von 2.499 € eingeholten

Wertermittlungsgutachtens wurde im Einspruchsverfahren ein geringerer Verkehrswert des Grundstücks festgestellt und die Steuer auf ca. 19.000 €

ermäßigt. Die steuerliche Belastung wäre gemäß § 22 Nr. 2, § 23 EStG vermeidbar gewesen, wenn die Klägerin das andere ihr gehörende Mietshaus, für das die Spekulationsfrist bereits abgelaufen war, ihrem Ehemann übereignet hätte.

Die Klägerin verlangt von dem beklagten Anwalt Erstattung des Steuerbetrages sowie der Kosten des von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens. Nach Abweisung der Klage durch das Erstgericht hat das Berufungsgericht den

Beklagten zur Zahlung von 13.663 € verurteilt. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren

weiterverfolgt.

Entscheidung

Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

1. Der BGH hat ausgeführt, dem Beklagten sei eine Pflichtverletzung anzulasten, weil er es versäumt habe, die Klägerin im Rahmen des auf die zivilrechtliche Beratung beschränkten Mandats auf mögliche mit der Übertragung des Grundstücks verbundene steuerliche Unwägbarkeiten hinzuweisen.

Zwar sei das dem Beklagten als Allgemeinanwalt erteilte Mandat auf die zivilrechtliche Beratung der Klägerin bei Abschluss der

Scheidungsfolgenvereinbarung beschränkt gewesen. Eine steuerrechtliche

Beratung, die einen zugleich als Fachanwalt für Steuerrecht tätigen Rechtsanwalt treffen könne, habe dem Beklagten, dessen Auftrag sich auf Fragen des

Zugewinnausgleichs beschränkte, nicht oblegen. Die zivilrechtliche Beratung der Klägerin durch den Beklagten lasse keine Fehler erkennen.

Dem Beklagten sei jedoch als Pflichtverletzung vorzuwerfen, die Klägerin nicht über die Notwendigkeit der Beteiligung eines Steuerberaters bei Abschluss der

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Scheidungsfolgenvereinbarung unterrichtet zu haben. Bei einem gegenständlich beschränkten Mandat könne der Rechtsanwalt zu Hinweisen und Warnungen

außerhalb des eigentlichen Vertragsgegenstandes verpflichtet sein. Voraussetzung derartiger Pflichten sei, dass die dem Mandanten drohenden Gefahren dem Anwalt bekannt oder für ihn offenkundig seien oder sich ihm bei ordnungsgemäßer

Bearbeitung des Mandats aufdrängen. Voraussetzung sei weiter, dass der Anwalt Grund zu der Annahme habe, dass der Auftraggeber sich der Gefahren nicht bewusst sei. Der Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Klägerin bei der Beratung über die Scheidungsfolgenvereinbarung wegen der dort vorgesehenen

Grundstücksübertragung und der damit gemäß § 22 Nr. 2, § 23 EStG

möglicherweise verbundenen steuerlichen Belastungen auf die Notwendigkeit der Einschaltung eines Steuerberaters hinzuweisen. Die Gefahr einer der Klägerin nicht bewussten steuerlichen Belastung dränge sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats auf. Denn im familienrechtlichen Schrifttum sei geraume Zeit vor der hier erfolgten Eigentumsübertragung darauf hingewiesen worden, dass die

Leistung von Grundbesitz an Erfüllungs statt für Zugewinnausgleichsansprüche eine entgeltliche Veräußerung im Sinne des § 22 Nr. 2, § 23 EStG bilden könne.

Zusätzlich sei in der einschlägigen Kommentarliteratur zum Zeitpunkt der

Beratung ausdrücklich betont worden, dass die Übertragung eines Grundstücks an den Ehegatten unter Anrechnung auf den Zugewinnausgleich ein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft bilden könne.

2. Im Rahmen des Schadensersatzes seien, so der BGH, neben dem Steuerschaden auch die Gutachterkosten erstattungsfähig.

Es seien diejenigen adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Im Streitfall sei die

Beauftragung des Sachverständigen zweckmäßig gewesen, weil das von ihm erstellte Wertgutachten im Einspruchsverfahren zu einer Minderung der Steuerlast geführt habe und in einem angemessenen Verhältnis zu der erzielten

Steuerminderung stehe.

3. Der Auffassung des Berufungsgerichts, das einen Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und eingetretenem Schaden als erwiesen erachtet hat, hat der BGH jedoch eine Abfuhr erteilt.

Der BGH hat bemängelt, dass für die Klägerin zur Vermeidung des Steuernachteils die Alternative der Übertragung des anderen Mietshauses auf den Ehemann zwar nahegelegen habe, jedoch bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht geklärt war, ob der Ehemann bereit gewesen wäre, diese anstelle der tatsächlich übertragenen Immobilie zu übernehmen. Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens finde nach der ständigen Rechtsprechung des BGH in so einem Fall keine Anwendung.

Denn im Rahmen von Verträgen mit rechtlichen oder steuerlichen Beratern gelte die Vermutung, dass der Mandant beratungsgemäß gehandelt hätte, nur, wenn im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine bestimmte Entschließung des zutreffend unterrichteten Mandanten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre. Voraussetzung seien danach tatsächliche Feststellungen,

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die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den Berater aus der Sicht eines

vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegt hätten. Kommen mehrere objektiv gleich vernünftige Verhaltensweisen in Betracht, habe der Mandant grundsätzlich den Weg zu bezeichnen, für den er sich entschieden hätte. Sei für die behauptete Vorgehensweise notwendigerweise die Bereitschaft Dritter erforderlich, den beabsichtigten Weg mitzugehen, müsse der Mandant dessen Bereitschaft hierzu im damaligen maßgeblich Zeitpunkt darlegen und beweisen.

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BEA-PFLICHT BEI FAXPROBLEMEN: BGH ZWEIFELT

Michael Peus

BGH, Beschluss vom 28. April 2020 – X ZR 60/19 amtlicher Leitsatz:

Ein Patentanwalt, der kurz vor Ablauf der dafür maßgeblichen Frist feststellt, dass die Telefax-Übermittlung einer Berufungsbegründung in einem

Patentnichtigkeitsverfahren wegen nicht von ihm zu vertretender technischer Probleme voraussichtlich scheitern wird, ist nicht verpflichtet, nach einem

Rechtsanwalt zu suchen, der den Versand für ihn über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) vornehmen kann.

Sachverhalt:

Ein Patentanwalt (Anmerkung: der kein Postfach des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs hat) wollte am Tag des Fristablaufs eine Berufungsbegründung

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von 39 Seiten faxen. Er begann um 22:40 Uhr mit dem Anwählen. Der

Übermittlungsvorgang begann um 22:59 Uhr. Als um 23:30 Uhr der Versand noch nicht vollständig abgeschlossen war, suchte der Patentanwalt im Internet einen Faxanbieter, der ohne Registrierung ein Faxen ermöglichte. Hier begann er einen zweiten Faxversuch um 23:54 Uhr.

Im Ergebnis gingen nur 35 Seiten bei Gericht vor 0 Uhr des Folgetages ein. 4 Seiten fehlten, darunter wohl auch die letzte Seite mit der Unterschrift.

Das Berufungsgericht lehnte eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ab.

Entscheidung:

Der BGH gewährte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand.

Das begründet der BGH wie folgt:

Fristen dürfen vollständig ausgenutzt werden (z.B. auch BGH, Urteil vom 25.

1.

November

2004 – VII ZR 320/03).

Bei einer Übermittlung per Telefax hat der Versender mit der 2.

ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen hat, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss vor 0 Uhr zu rechnen gewesen ist. Das ist in der Regel der Fall, wenn eine Übermittlungszeit von dreißig Sekunden pro Seite angesetzt wird (BGH, Urteil vom 25. November 2004 -VII ZR 320/03, NJW 2005, 678, 679; Beschluss vom 27. September 2018 – IX ZB 67/17, NJW-RR 2018, 1398 Rn. 21) und der sich daraus ergebende Wert im Hinblick auf die Möglichkeit einer anderweitigen Belegung des

Empfangsgeräts sowie schwankende Übertragungsgeschwindigkeiten um einen Sicherheitszuschlag von etwa zwanzig Minuten erhöht wird (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2004 – II ZB 22/03, MMR 2004, 667; Beschluss vom 19. Dezember 2017 – XI ZB 14/17, FamRZ 2018, 610 Rn. 10).

Angezeigte Störungen dürfen den Versender nicht veranlassen, von weiteren 3.

Versuchen abzusehen. Er muss mindestens weitere Übermittlungsversuche unternehmen, um auszuschließen, dass die Ursache der

Übermittlungsschwierigkeiten in seiner Sphäre liegen.

Die Wahl eines zweiten Systems ist nicht zu beanstanden. Insbesondere konnte 4.

dem Patentanwalt nicht abverlangt werden, die laufende Faxverbindung zu trennen, um einen neuen Versuch zu starten. Denn das hätte das sichere Scheitern des Versuchs und dazu noch das Fehlen eines „Berichts des Scheiterns‟ bedeutet.

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Wenn unter üblichen Verhältnissen mit einem Übersenden bis 23:20 Uhr 5.

gerechnet werden darf, ist ohne konkrete Anhaltspunkte (z.B.

vorausgegangene Probleme mit dem Faxgerät) kein zweiter Übertragungsweg (z.B. ein zweites Faxgerät) vorzuhalten.

Wenn erst gegen 23:30 Uhr zu erkennen ist, dass die Übertragung 6.

problematisch ist, ist dem Patentanwalt eine Zeit zuzugestehen, die zweite Übertragung zu organisieren.

Da der Patentanwalt einerseits einen Mandanten auch in zweiter Instanz in 7.

einer Patentnichtigkeitsangelegenheit vertreten darf, er aber andererseits über kein beA-Postfach verfügt, ist dem Patentanwalt nicht zuzumuten, sich mit einem Rechtsanwalt zusammenzuschließen, damit dieser im Problemfall per beA etwas verschicken kann. Denn sonst wäre die eigenverantwortliche

Stellung des Patentanwaltes konterkariert. Das gilt sogar bei einer Sozietät von Rechtsanwälten und Patentanwälten.

Weiteres aus der Entscheidung:

Grundsätzlich ist mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung die Prozesshandlung 1.

vorzunehmen, in die Wiedereinsetzung begehrt wird. Das soll nicht gelten, wenn die Prozesshandlung bereits vor dem Wiedereinsetzungsantrag bei Gericht eingegangen ist, wenn auch „nach Fristablauf‟. Ein erneutes Übersenden sei dann nicht notwendig.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen die Gerichte die 2.

Anforderungen an die den Prozessbevollmächtigten im Rahmen des § 233 Satz 1 ZPO obliegende Sorgfalt nicht überspannen. Von einem

Prozessbevollmächtigten, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz per Telefax zu übermitteln, kann daher beim Scheitern der gewählten Übermittlungen infolge eines Defekts des Empfangsgeräts oder wegen Leitungsstörungen nicht verlangt werden, dass er unter Aufbietung aller nur denkbaren Anstrengungen innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte Zugangsart sicherstellt (BGH, Beschluss vom 27.

Juni 2017 – II ZB 22/16, NJW-RR 2017, 1084 Rn. 13 ff.).

Offen bleibt, ob ein Rechtsanwalt, der – verpflichtet – über ein beA-Postfach 3.

verfügt, sich dessen bedienen muss. Angesichts der hohen Fehlerzahl im System äußert der BGH Zweifel an einer solchen Verpflichtung, lässt es aber ausdrücklich offen.

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RECHTSSCHUTZVERSICHERUNG AN DECKUNGSZUSAGE GEBUNDEN

Stefan Krappel

Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 31.01.2020, Aktenzeichen: 9 U 845/18

Leitsatz:

Hat eine Rechtsschutzversicherung Deckungszusage für einen Prozess erteilt, ohne dass diese durch falsche Angaben erlangt worden ist, so greift ein

Anscheinsbeweis, dass der Versicherungsnehmer würde den Prozess nicht geführt haben, nicht ein.

Ein Rechtsschutzversicherer ist zu einer sorgfältigen Prüfung der Sach- und Rechtslage verpflichtet, bevor eine Deckungszusage erteilt. Kommt er dieser Prüfungspflicht nicht oder nur unzureichend nach, ist er an die Deckungszusage gebunden.

Sachverhalt:

Die Klägerin hat Ansprüche als Schadensabwicklungsgesellschaft einer Rechtsschutzversicherungs AG geltend (zusammengefasst im folgenden als Klägerin gegen Rechtsanwälte aus übergegangenem Recht gemäß § 86 VVG verfolgt. Die Beklagten waren im Jahr 2011 für den Versicherungsnehmer der Klägerin mit einer Schadensersatzklage gegen einen Lebensversicherungskonzern wegen fehlerhafter Kapitalanlageberatung mandatiert. Im Dezember verfassten diese einen Antrag auf außergerichtliche Streitschlichtung. Der Güteantrag entsprach 12.000 ähnlich formulierten Güteanträgen anderer Anleger. Erst gut

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zehn Monate nach Eingang wurden die Güteanträge an die Fondsgesellschaft versandt.

Nach Scheitern der Schlichtung wurde nach Einholung einer Deckungszusage Klage erhoben.

Mit Urteil vom 18.06.2015, Az.: III ZR 198/14, entschied der BGH in anderer Sache, welche formellen Anforderungen an einen Schlichtungsantrag zu stellen sind, damit er die Verjährung hemmt.

Die Klage des Versicherungsnehmers wurde wegen Verjährung mit Urteil vom 01.02.2016 abgewiesen.

Die Klägerin erteilte am 08.03.2016 Deckungsschutzzusage für das

Berufungsverfahren gegen das landgerichtliche Urteil. Das OLG Hamm wies die Berufung durch Beschluss vom 23.08.2016 ohne mündliche Verhandlung zurück.

Die Klägerin warf den beklagten Anwälten vor, zunächst keinen ausreichenden verjährungshemmenden Güteantrag gestellt und nachher nicht von einer Klage über den verjährten Anspruch abgeraten zu haben.

Nachdem schon das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, hatte auch die Berufung vor dem OLG Jena keinen Erfolg.

Entscheidung:

Zunächst hat das OLG Jena klargestellt, dass die erhöhten Anforderungen an eine Individualisierung des im Güteantrag geltend gemachten Anspruchs erst mit Veröffentlichung des Urteils des BGH vom 18.06.2015, AZ: III ZR 198/14 zu

beachten waren. Zwar wurde der Güteantrag vom 29.12.2011 den Anforderungen nicht gerecht. In dieser Phase bei Einreichung des Güteantrags musste die

entsprechende Rechtsprechung des BGH, den Rechtsanwälten aber noch nicht bekannt sein. Nach den Feststellungen des OLG Jena durften die Beklagten bei Klageeinreichung im Juni 2013 davon ausgehen, dass ihr Güteantrag den

Anforderungen an eine Individualisierung des Streitgegenstands genügt hatte (so auch OLG Köln vom 23.05.2019, AZ: 24 U 122/18 sowie OLG Stuttgart vom

24.10.2017, AZ: 12 U 29/17). Die Beklagten brauchten auch bei Klageerhebung nicht auf ein Risiko hinweisen, dass sich die Rechtsprechung des BGH zum Güteantrag ändern könnte, weil dies nicht vorhersehbar war.

Aus Sicht des OLG Jena hätte die Klage zu diesem Zeitpunkt, als das Urteil des BGH bekannt wurde, noch zurückgenommen werden können, um so den Kostenschaden zu reduzieren. Gleichwohl versagte es der Klägerin Schadensersatzansprüche auch im Übrigen – weder habe die Klage zurückgenommen werden müssen, noch von Einleitung des Berufungsverfahrens abgesehen werden müssen.

Das OLG Jena hat in diesem Zusammenhang zunächst offengelassen, ob die

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Beklagten den Versicherungsnehmer auf die nunmehr nach dem BGH-Urteil gestiegenen Risiken der Klage bzw. einer Berufung bzw. auf die Möglichkeit einer Kostenersparnis hätten hinweisen müssen, da die Schadenskausalität sich allein nach der Frage bemesse, ob der Mandant dem Rat des Anwalts auch gefolgt wäre.

Den Beweis, dass der Versicherungsnehmer sich bei anderer Art der Beratung gegen die Fortführung der Klage und ein Berufungsverfahren entschieden hätte, hat die Klägerin nicht geführt.

Auf einen Anscheinsbeweis bzw. die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens konnte die Klägerin sich nicht berufen. Das OLG Jena führte insoweit aus: Hat eine Rechtsschutzversicherung eine Deckungszusage für einen Prozess erteilt, ohne dass diese durch falsche Angaben erlangt worden ist, so greift ein

Anscheinsbeweis gerade der Gestalt, dass der Versicherungsnehmer den Prozess bei anderer Beratung und Kenntnis geringer Erfolgsaussichten nicht geführt haben würde, nicht ein; denn auch für einen vernünftig handelnden, kostenempfindlichen Mandanten würde bei Vorliegen einer Deckungsschutzzusage der

Rechtsschutzversicherung das Wagnis einer nur gering erfolgversprechenden Prozessführung als ergreifungswürdige Chance erscheinen (vgl. so auch OLG Hamm, NJW-RR 2005, 134; KG NJW 2014, 397). Das OLG Jena meint, dass etwas anderes nur dann gelten kann, wenn die Klägerin berechtigt gewesen wäre, ihre Deckungszusage zu widerrufen, was vorliegend aber nicht der Fall war. Hierfür müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, so insbesondere das nachträglich hervortreten eines Risikoausschlusses oder die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls.

Hinzukam, dass auch die Klägerin richtig informiert war. Bei Einholung der Deckungszusage durch die Beklagten wurde die Klägerin ausdrücklich auf die geänderte BGH-Rechtsprechung hingewiesen. Mit den darin enthaltenen Angaben war der Klägerin eine eigene Prüfung der Rechtslage und der Risiken möglich.

Nach Auffassung des OLG Jena war der Rechtsschutzversicherer dann zu einer sorgfältigen Prüfung bedingungsgemäß verpflichtet, bevor er eine Deckungszusage erteilt.

Da die Deckungszusage vom Versicherer bei sachgerechter Information nicht widerrufen werden konnte, war vielmehr zu erwarten, dass der

Versicherungsnehmer stets ein Berufungsmandat erteilt hätte. Nach Erteilung der Deckungszusage bestand für den Mandanten keinerlei Kostenrisiko mehr. Es war deshalb nicht pflichtwidrig, sondern – so das OLG – sogar gerade im Interesse der Mandanten liegend, dass die Beklagten zu einer Berufung geraten haben.

Anmerkung:

Das OLG Jena setzt sich ausdrücklich nicht in Widerspruch zu anderen OLG- Entscheidungen, die die Bindung eines Rechtsschutzversicherers im

Zusammenhang mit Anwaltshaftungsansprüchen an Deckungszusagen verneint haben, sondern sieht dies als reine Kausalitätsfrage an.

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RECHTSSCHUTZPFLICHT BEGRÜNDET KEINEN ANWALTSVERTRAG

Bernhard Gurges

BGH, Urteil vom 10. Januar 2019, Az. IX ZR 89/18 amtlicher Leitsatz:

Ob ein Rechtsanwalt einen haftpflichtigen Versicherten in dessen Auftrag oder im Auftrag des Haftpflichtversicherers vertritt, hängt von den Umständen des Falles ab. Allein die Befugnis und die Verpflichtung des Versicherers, dem Versicherten durch Bestellung eines Rechtsanwalts Rechtsschutz zu gewähren, macht ihn nicht zum Vertragspartner des Rechtsanwalts.

Tatbestand:

Streitig ist, ob ein Rechtsanwalt einen Vergütungsanspruch für durchgeführte Tätigkeit gegenüber einem Haftpflichtversicherer hat. Der Anwalt vertritt die Ansicht, diesen unmittelbar aus dem Anwaltsvertrag herleiten zu können, weil der Vertrag zwischen Versicherer und Anwalt zustande gekommen sei und nicht zwischen dem Anwalt und den Versicherten. Hilfsweise verfolgt er Ansprüche aus abgetretenem Recht.

Dem Rechtsanwalt wurde zunächst in einem baurechtlichen selbständigen Beweisverfahren ein Mandat für drei getrennte GbR erteilt, nachdem diesen der Streit von der Antragstellerin verkündet worden war. Die Antragstellerin führte das selbständige Beweisverfahren gegen die mit der Bauausführung beauftragte Firma.

Weil aber die drei Streitverkündeten wegen jeweils eigenständiger

Pflichtverletzungen den vermeintlichen Baumangel zu vertreten haben konnten, wurde ihnen der Streit verkündet.

(17)

Nachdem die Streitverkündeten den Anwalt beauftragt hatten und mit dem Anwalt eine Honorarvereinbarung geschlossen hatten, unterrichteten sie ihren

Versicherungsmakler, dass das Mandat zunächst ausgesetzt sei, und empfahlen über den Makler dem Versicherer, den Anwalt zu beauftragen.

In den Versicherungsbedingungen heißt es:

„Kommt es zum Prozess über den Haftpflichtanspruch, so hat der Versicherungsnehmer die Prozessführung den Versicherern zu überlassen, dem von den Versicherern bestellten oder bezeichneten Anwalt Vollmacht und alle von diesem oder den Versicherern für nötig erachteten Aufklärungen zu geben.‟

Sodann gab es ein Telefonat zwischen dem Anwalt und dem Versicherer sowie ein anschließendes Schreiben des Anwalts. Darin warb der Rachtsanwalt beim

Versicherer um die Wiederaufnahme des ausgesetzten Mandats. Der Versicherer erklärte über den Makler nach dem Erhalt des Schriebens des Anwalts:

„…bestätigen wir gern, dass wir im vertraglichen Umfang Rechtsschutz für das Beweisverfahren gewähren. Wie besprochen, sind wir auch damit einverstanden, dass sich die IB. und die … (IP. ) … vorsorglich durch Rechtsanwalt L. in dem Beweisverfahren vertreten lassen, wenn wir von Herrn Rechtsanwalt L. über den Fortgang des Verfahrens unterrichtet gehalten werden und das Vorgehen auch mit uns abgestimmt wird.‟

Der Anwalt stellte dem Versicherer eine Vorschussrechnung, die vollständig beglichen wurde. Später stellte der Anwalt eine weitere Rechnung, die teilweise von dem Versicherer bezahlt wurde.

Die Versicherten traten ihre Ansprüche gegen den Versicherer an den Anwalt ab.

Das selbständige Beweisverfahren endete. Der Anwalt rechnete gegenüber dem Versicherer weitere Gebühren ab. Der Versicherer lehnte eine weitere Leistung ab.

Die Klage des Anwaltes gegen den Versicherer auf Zahlung seiner Gebühren aus eigenem Recht, hilfsweise aus abgetretenem Recht, blieb in den Instanzen erfolglos.

Entscheidungsgründe:

Der BGH bestätigte die Entscheidungen. Der Anwalt konnte gegen den Versicherer keinen Honoraranspruch durchsetzen.

Kein Anspruch aus einem Anwaltsvertrag zwischen Anwalt und Versicherer 1.

Die Instanzgerichte haben die Ansicht vertreten, dass kein Anwaltsvertrag zwischen dem Anwalt und dem Versicherer geschlossen wurde.

Die Bewertung, ob und mit wem ein Vertrag geschlossen wurde, obliegt dem

(18)

Tatrichter. Die Revision kann nur überprüfen, ob bei der Erarbeitung des tatrichterlichen Ergebnisses Auslegungsfehler eingeflossen sind bzw.

maßgebliche Umstände unberücksichtigt gelassen wurden.

Der BGH konnte keine Auslegungsfehler der Instanzen erkennen. Denn diese hatten berücksichtigt, dass ein Anwaltsvertrag auch durch schlüssiges

Verhalten geschlossen werden kann, wobei an das Zustandekommen eines Anwaltsvertrages durch schlüssiges Verhalten aber zur Rechtssicherheit hohe Anforderungen zu stellen sind. Es sei nicht zu beanstanden, dass die

Instanzgerichte die Kostenzusage des Versicherers für das Beweisverfahren unter Berücksichtigung des Anwaltsschreibens und des Telefonats vom Vortag ausgelegt haben. In dem Schreiben habe der Anwalt für die Wiederaufnahme des ausgesetzten Mandats geworben, welches von den Versicherten an den Anwalt herangetragen worden war. Die Auslegung der Instanzen, dass der Versicherer Deckung für das Anwaltsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und den Versicherten bestätigte, sei revisionsrechtlich nicht angreifbar. Im Übrigen habe auch der Versicherungsmakler die Erklärung des Versicherers

augenscheinlich so verstanden.

Dem Ergebnis widerspricht insbesondere nicht, dass der Versicherer

Rechnungen des Anwalts beglich. Denn Zahlungen des Haftpflichtversicherers an den Rechtsanwalt, der die Interessen des Versicherungsnehmers gegenüber einem Geschädigten vertritt, stellen sich regelmäßig auch für den Rechtsanwalt als Leistungen auf der Grundlage der versicherungsvertraglichen Pflicht des Versicherers zur Tragung solcher Kosten dar. Denn die Abwehr unberechtigter Ansprüche ist eine Hauptleistungspflicht des Versicherers und umfasst die Führung des Haftpflichtprozesses auf seine Kosten einschließlich der Auswahl und Beauftragung des Anwalts.

Allein aus der versicherungsvertraglichen Hauptleisungspflicht zur Anwaltsbestellung könne jedoch nicht auf deren Einhaltung geschlossen

werden. Ob ein eigener Auftrag des Versicherers gegenüber dem Rechtsanwalt vorliegt, ist nach den allgemeinen Regeln zu beurteilen. Dabei habe das

Berufungsgericht mit Recht auch der Bestimmung in dem Versicherungsvertrag keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, wonach der Versicherer die Prozessführung überlassen bleibe. Diese Bestimmung beinhalte aber lediglich eine Obliegenheit der Versicherungsnehmer, lasse aber keinen Schluss darauf zu, dass der Versicherer Vertragspartner werden wolle.

Kein Anspruch aus § 150 VVG a.F. / § 101 VVG n.F.

2.

Die Pflicht des Versicherers, die Kosten der Rechtsverteidigung des Versicherungsnehmers zu tragen, begründet einen Anspruch des Versicherungsnehmers auf Freistellung oder Zahlung, aber keinen

unmittelbaren Direktanspruch des Rechtsanwalts gegen den Versicherer.

Kein Anspruch aus abgetretenem Recht 3.

Aus abgetretenem Recht der Versicherten stand dem Anwalt auch kein Anspruch gegen den Versicherer zu. Denn die Versicherten waren gegenüber

(19)

dem Anwalt nicht verpflichtet, so dass der Versicherer auch keine Freistellung schuldete. Die Versicherten konnten dem Anwalt also keine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag abtreten.

kein Anspruch der Versicherten auf Freistellung von 1.

Rechtsverfolgungskosten

Die Versicherten schuldeten dem Rechtsanwalt keine Bezahlung von Honorar für seine anwaltliche Tätigkeit. Denn der Anwaltsvertrag zwischen dem Anwalt und den Versicherten war nichtig. Denn der Anwalt hat gegen § 43a Abs. 4 BRAO verstoßen, indem er die drei Versicherten und damit widerstreitende Interessen vertrat.

§ 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) konkretisiert das Verbot aus § 43a Abs. 4 BRAO dahingehend, dass der Rechtsanwalt nicht tätig werden darf, wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 BRAO

beruflich befasst war. Die Regelung in § 43a Abs. 4 BRAO verbietet es dem Rechtsanwalt allerdings nicht schlechthin, in derselben Rechtssache

mehrere Mandanten zu vertreten. Zulässig ist die Vertretung mehrerer Mandanten, wenn das Mandat auf die Wahrnehmung gleichgerichteter Interessen der Mandanten begrenzt ist. Dies kann auch der Fall sein, wenn mehrere Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden und ihr

gemeinsames Interesse im konkreten Verfahren ausschließlich auf die Abwehr des Anspruchs gerichtet ist. Die bloße (latente) Möglichkeit, dass später bei einem Ausgleich unter den Gesamtschuldnern unterschiedliche Interessen zutage treten, steht dem nicht entgegen. Die Vertretung

mehrerer Mandanten ist dem Rechtsanwalt daher nur verboten, wenn dabei nach den konkreten Umständen des Falles ein Interessenkonflikt tatsächlich auftritt. Ein solcher Interessenkonflikt war im Streitfall, wie das

Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, bei Übernahme des Mandats durch den Anwalt gegeben. Gegenstand des selbständigen

Beweisverfahrens, in dem den Versicherten der Streit verkündet wurde, war ein vermeintlicher Baumangel. Der beauftragte Sachverständige sollte nicht nur das Schadensbild festhalten, sondern auch Feststellungen zu den

Ursachen des Schadensbildes treffen. Die Antragstellerin begründete die Streitverkündungen gegenüber den Planungsgemeinschaften damit, dass als Schadensursache neben Ausführungsfehlern der Antragsgegner auch Handlungen der Fachplaner und Ingenieure in Betracht kämen. Weil das Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens in einem späteren

Hauptsacheverfahren verwertet werden konnte, musste den

Streitverkündeten daran gelegen sein, möglichen Feststellungen zu eigenen Verursachungsbeiträgen bereits jetzt entgegenzuwirken. Die jeweiligen Interessen der Streitverkündeten waren dabei nicht gleichgerichtet. Im Interesse der mit der Entwurfsplanung und der Prüfung von

(20)

Sondervorschlägen der Bieter beauftragten streitverkündeten GbR lag es, dass der Schaden nicht durch Fehler aus ihrem Bereich verursacht wurde, sondern durch Fehler bei der Ausführungsplanung, die von den

Antragsgegnern zu erstellen und von der weiteren Streitverkündeten zu prüfen war, oder durch Fehler bei der Bauausführung durch die

Antragsgegner und damit möglicherweise auch durch Fehler der weiteren Streitverkündeten im Rahmen der von ihr geschuldeten Bauüberwachung.

Auch die anderen Streitverkündeten hatten konträre Interessen.

Ein Interessenwiderstreit wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Versicherten bei demselben Versicherer versichert sind. Denn ob

widerstreitende Interessen vertreten werden, hängt von den Interessen der Mandanten ab und nicht von dem Interesse des hinter ihnen stehenden Versicherers. Weil der Tatbestand der Verbotsnorm objektiv erfüllt ist und ein Verschulden des Rechtsanwalts nicht erforderlich ist, war der

Anwaltsvertrag nichtig, § 134 BGB. Auf die Nichtigkeit des Anwaltsvertrags durfte sich der Versicherer auch berufen. Zwar könne Rechtsausübung unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Aber der Versicherer hat die

gemeinsame Vertretung der Streitverkündeten nicht gewünscht oder gar bestimmt, sondern ihr lediglich zugestimmt.

kein Anspruch der Versicherten auf Freistellung von Vergütungsansprüchen 2.

aus GoA

Weil die Tätigkeit des Anwalts gesetzwidrig war und der Anwalt sie deshalb nicht den Umständen nach für erforderlich halten durfte, schuldeten die Versicherten dem Anwalt auch keine Vergütung nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag. Sie hatten deshalb auch diesbezüglich keinen Anspruch gegen den Versicherer, den sie hätten abtreten können.

kein Anspruch der Versicherten auf Freistellung von Verpflichtungen nach 3.

Bereicherungsrecht

Die Versicherten schuldeten dem Rechtsanwalt keinen Ausgleich nach Bereicherungsrecht. Zwar kommt ein Anspruch auf Wertersatz nach § 812 Abs. 1 Satz 1, § 818 Abs. 2 BGB bei Leistungen auf einen nach § 134 BGB nichtigen Anwaltsvertrag grundsätzlich in Betracht. Die Höhe des Anspruchs richtet sich nach der üblichen, vom Vertragspartner ersparten Vergütung.

Dem Wertersatzanspruch steht aber vorliegend die Regelung des § 817 Satz 2 BGB entgegen. Denn der Leistende (Anwalt) hat sich der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns leichtfertig verschlossen. Der Anwalt kannte das Verbot aus § 43a Abs. 4 BRAO sowie alle Umstände, die das Tätigkeitsverbot in diesem Fall begründeten. Aus diesen Feststellungen muss sich der Anwalt zumindest leichtfertig der Einsicht in das

Gesetzwidrige seiner Tätigkeit verschlossen haben. Die Anwendung von §

(21)

817 Satz 2 BGB ist nicht nach § 242 BGB ausgeschlossen. Denn das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, richtet sich an den Rechtsanwalt.

Es dient nicht nur dem Schutz des Mandanten, sondern auch Interessen der Rechtspflege. Der (auch) generalpräventive Schutzzweck wäre gefährdet, wenn ein Rechtsanwalt stets damit rechnen könnte, trotz seines Verstoßes gegen das Verbotsgesetz einen an den gesetzlichen Gebühren orientierten Wertausgleich zu erhalten.

Anmerkung:

Auch wenn der Anwaltsvertrag nichtig war, waren die Prozesshandlungen wirksam.

Denn die Nichtigkeit des Anwaltsvertrages schlägt nicht auf die Vollmacht durch, vgl. BGH im Urteil vom 14.05.2009, Az. IX ZR 60/08

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ANWALTSHAFTUNG: GESAMTSCHULDNERISCHE HAFTUNG INNERHALB EINER

PARTNERGESELLSCHAFT

Simone Eiben

BGH, Urteil vom 12.9.2019 — Aktenzeichen: IX ZR 190/18 Leitsatz

War ein Partner mit der Bearbeitung eines Auftrags befasst, endet seine Mithaftung nicht mit der Abgabe des Mandats innerhalb der

Partnerschaftsgesellschaft.

Sachverhalt

(22)

Die Klägerin ließ sich von einer Rechtsanwaltspartnerschaftsgesellschaft in einer Bausache bearbeiten. Zunächst wurde das Mandat von Rechtsanwalt A bearbeitet.

Dieser riet der Klägerin von einer Klage ab. Dann übernahm innerhalb der Kanzlei Rechtsanwalt B die Bearbeitung des Mandats. Nach unter Beweis gestellter

Darstellung der Klägerin hatte Anwalt A der Klägerin zuvor versichert, er werde die Arbeit des Anwalts B überwachen. Die im Juli 2011 erhobene Klage in der Bausache blieb in zwei Instanzen ohne Erfolg.

Die Klägerin hat beiden Beklagten eine unsachgemäße Prozessführung im Vorprozess vorgeworfen und Schadensersatz wegen der aufgewandten

Prozesskosten verlangt. Ihre Klage hatte vor dem Landgericht und OLG keinen Erfolg. Das OLG Koblenz hat allerdings die Revision hinsichtlich Anwalt A

zugelassen. Das OLG Koblenz hat insoweit ausgeführt, Anwalt A habe zutreffend von der Erhebung der Klage im Vorprozess abgeraten. Danach sei er nicht mehr mit der Angelegenheit befasst gewesen. Für etwaige Fehler bei der Bearbeitung des Mandats durch Anwalt B hafte er nicht. Dies folge unmittelbar aus § 8 Abs. 2 PartGG.

Entscheidung

Die Entscheidung hatte vor dem BGH keinen Bestand. Dieser hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an das OLG Koblenz

zurückverwiesen.

Der BGH sah die tatsächlichen Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes des § 8 Abs. 2 PartGG als nicht erfüllt an.

Sind nur einzelne Partner mit der Bearbeitung eines Auftrags befasst, so haften nur sie für berufliche Fehler neben der Partnerschaft; ausgenommen sind

Bearbeitungsbeiträge von untergeordneter Bedeutung (§ 8 Abs. 2 PartGG). Die Vorschrift des § 8 Abs. 2 PartGG begründet, so der BGH, nicht die Haftung des einzelnen Partners, sondern schränkt sie ein. Sie setzt die Bearbeitung des

Auftrags durch einen oder mehrere Partner voraus und besagt, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzung diejenigen Partner, die nicht oder nicht wesentlich mit dem Mandat befasst waren, nicht haften. Sinn der in § 8 Abs. 2 PartGG angeordneten Haftungsbeschränkung ist es, den betroffenen Angehörigen der freien Berufe Planungssicherheit zu vermitteln und ihre jeweiligen Haftungsrisiken kalkulierbar zu machen (BT-Drucks. 13/9820, S. 21). Das Haftungsrisiko der Partner, die mit der Sache nicht befasst waren, soll eingeschränkt werden.

Voraussetzung einer Haftungsbeschränkung gemäß § 8 Abs. 2 PartGG ist danach aber, dass der in Anspruch genommene Partner nicht mit der Bearbeitung des Auftrags befasst war oder nur einen Bearbeitungsbeitrag von untergeordneter Bedeutung geleistet hat. Diese Voraussetzung war im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Anwalt A hatte den von der Klägerin erteilten Auftrag selbst bearbeitet. Er hat die Erfolgsaussichten der von der Klägerin beabsichtigten Klage geprüft und von der Erhebung einer entsprechenden Klage abgeraten. Der BGH hat nunmehr

(23)

klargestellt, dass es unerheblich ist, ob sein Rat, keine Klage zu erheben, der Sach- und Rechtslage entsprach und ob er danach nicht mehr, auch nicht beratend oder überwachend, in der fraglichen Bausache tätig geworden ist. Ein Ende der Haftung eines Partners mit Abgabe des Mandats innerhalb der Partnerschaftsgesellschaft und eine gesonderte Prüfung ordnet § 8 Abs. 1 und Abs. 2 PartGG nämlich nicht an.

Für eine entsprechende teleologische Reduktion der Vorschrift sieht der BGH keinen Anlass. Der BGH hatte es mit Urteil vom 19. November 2009 bereits

abgelehnt, die Haftung gemäß § 8 Abs. 2 PartGG auf Berufsfehler zu beschränken, die sich zugetragen haben, während der in Anspruch genommene Partner der Partnerschaft angehörte. Nichts anderes gilt nun für Fehler, die nach Abgabe des Mandats innerhalb der Partnerschaft geschehen sind. Wer den Fehler intern

begangen hat, können schon die Partner oft nicht leicht erkennen. Umso mehr gilt dies für den geschädigten Mandanten. Da der Gesetzgeber eine einfache und unbürokratische gesetzliche Regelung der Handelndenhaftung schaffen wollte, darf der Mandant denjenigen Partner in Anspruch nehmen, der sich – für ihn erkennbar – mit seiner Sache befasst hat.

Darüber hinaus haftet Anwalt A nach dem Vortrag der Klägerin auch deshalb, da er ihr versichert habe, dass er die Arbeit von Anwalt B überwachen werde. Damit blieb er mit dem Fall befasst.

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ÜBERWACHUNGSPFLICHTEN DES RECHTSANWALTS BEI RECHTSMITTELEINLEGUNG ÜBER DAS

BESONDERE ELEKTRONISCHE ANWALTSPOSTFACH

Simone Eiben

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.08.2019 —

(24)

Aktenzeichen: 2 M 58/19 Leitsatz

Will ein Rechtsanwalt dem Gericht einen fristgebundenen Schriftsatz im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) übermitteln, muss das Ausbleiben einer automatisierten

Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO ihn zur Überprüfung und ggf.

zur erneuten Übermittlung des Schriftsatzes veranlassen.

Sachverhalt

Der Prozessbevollmächtige der Antragstellerin hatte am letzten Tag der Beschwerdefrist versucht, den Beschwerdeschriftsatz vom selben Tag an das Oberverwaltungsgericht auf elektronischem Weg zu übersenden. Die

Beschwerdeschrift ging jedoch nicht fristgemäß beim OVG Sachsen-Anhalt ein.

Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin macht geltend, er habe am 29.05.2019 den Beschwerdeschriftsatz vom selben Tag um 15.56 Uhr über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) gesendet. Unmittelbar danach habe er eine optische Bestätigung („Nachricht wurde erfolgreich versendet“) der beA-Schnittstelle der Kanzleisoftware erhalten. Darüber hinaus sei der

Beschwerdeschriftsatz auch nicht mehr im Postausgang der beA-Schnittstelle der Kanzleisoftware angezeigt worden, so dass er davon habe ausgehen können, dass der Beschwerdeschriftsatz erfolgreich versendet worden sei. Gleiches ergebe sich aus dem Prüfprotokoll vom 31.05.2019, welches ausweise, dass der

Beschwerdeschriftsatz am 29.05.2019 um 15.55 Uhr auf dem beA-Server

eingegangen sei. Am 07.06.2019 habe er beim Öffnen der elektronischen Akte zur Fertigung der Beschwerdebegründung festgestellt, dass von dem Server des beA der Beschwerdeschriftsatz nicht an die beA-Schnittstelle des

Oberverwaltungsgerichts weitergeleitet, sondern stattdessen am 07.06.2019 an seine beA-Schnittstelle der Kanzleisoftware zurückgesandt worden sei. Aus einer Störungs- und Ausfalldokumentation der Bundesrechtsanwaltskammer ergebe sich ferner, dass es am 29.05.2019 beim beA in der Zeit zwischen 15.45 Uhr und 19.20 Uhr Anmeldeprobleme und in der Zeit zwischen 23.00 Uhr bis 16.30 Uhr am

02.06.2019 Anmeldeprobleme und Sessionsabbrüche gegeben habe.

Der Rechtsanwalt hat einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.

Entscheidung

Das OVG hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt.

Ein fehlendes Verschulden sei nicht dargetan.

Das OVG hat ausgeführt, dass ein Rechtsanwalt durch organisatorische

Vorkehrungen sicherzustellen hat, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Zwar sei ein Rechtsanwalt, der regelmäßig in besonderem Maße eine hinreichend sichere Ausgangskontrolle gewährleisten müsse und diese Verpflichtung im konkreten Fall erfüllt habe, grundsätzlich nicht gehalten, den Eingang seiner Schriftsätze bei Gericht zu überwachen. Nur wenn ein konkreter Anlass vorliege, könne eine

(25)

Nachfragepflicht begründet sein. Ein solcher Anlass sei – um die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten nicht zu überspannen und den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus

Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren – regelmäßig noch nicht allein aus der Tatsache abzuleiten, dass vor Fristablauf keine

entsprechende Nachricht des Gerichts eingegangen ist. Bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze im elektronischen Rechtsverkehr müsse der Rechtsanwalt aber kontrollieren, ob er eine automatische Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO erhalten habe.

Für den erfolgreichen Abschluss des auf elektronischem Wege erfolgenden Schriftverkehrs seien Erhalt und ordnungsgemäße Kontrolle der

Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO unabdingbar. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von

fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprächen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier sei es unerlässlich, den Versandvorgang selbst zu überprüfen. Dies könne ohne weiteres durch eine Kontrolle der dem Telefax-Sendeprotokoll vergleichbaren automatisierten Eingangsbestätigung nach § 55 Abs. 5 Satz 2 VwGO erfolgen.

Sobald eine an das Gericht versendete Nachricht auf dem in dessen Auftrag

geführten Server eingegangen sei, schicke dieser automatisch dem Absender eine Bestätigung über den Eingang der Nachricht. Hieran habe sich mit Einführung des beA nichts geändert, die Eingangsbestätigung werde vom EGVP an das beA

versandt. Die Eingangsbestätigung solle dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (BT- Drs. 17/12634, S. 26 zum gleichlautenden § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO). Habe der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung erhalten, bestehe damit Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Ihr Ausbleiben müsse den Rechtsanwalt zur Überprüfung und ggf. zur erneuten Übermittlung veranlassen.

Da im zu entscheidenden Fall eine solche Kontrolle des Zugangs der

Eingangsbestätigung seitens des Rechtsanwalts nicht durchgeführt worden war, war dem Wiedereinsetzungsantrag nicht stattzugeben.

Hinweis

Im Zivilprozess gelten die gleichen Pflichten, vgl. § 130a Abs. 5 ZPO.

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(26)

BGH: ANFORDERUNGEN AN EINE UNTERSCHRIFT

Michael Peus

BGH, Beschluss vom 03.03.2015, Az. VI ZB 71/14 Sachverhalt

Im Berufungsverfahren rügt der Berufungsbeklagte die Unterschrift in der Berufungsbegründung. Sie sei keine Unterschrift und daher seien die

Formerfordernisse des Berufungsverfahrens nicht gewahrt. Das OLG hat sich dem angeschlossen und die Berufung sowie den Wiedereinsetzungsantrag verworfen.

Entscheidungsgründe

Der BGH befasste sich mit den Anforderungen an eine Unterschrift und entschied zu Gunsten der Wirksamkeit der Unterschrift.

Weil die auf der (unzutreffenden) Annahme einer nicht ordnungsgemäß 1.

unterzeichneten Berufungsschrift beruhende Verwerfung der Berufung als unzulässig den Berufungsführer in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzte, musste sich der BGH mit der Rechtsbeschwerde befassen.

Eine Unterschrift 2.

– muss eigenhändig erfolgen,

– soll die Identifizierung des Urhebers ermöglichen,

– lässt den unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen,

– soll sicherstellen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen

Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist.

(27)

Eine den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO genügende Unterschrift muss 3.

individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweisen, die die Nachahmung erschweren, die sich als Wiedergabe eines Namens darstellen und die die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lassen, selbst wenn sie nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess

gekennzeichnet sind. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein

vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt. Dabei ist in

Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, jedenfalls bei gesicherter Urheberschaft ein großzügiger Maßstab anzulegen. Für die Frage, ob eine formgültige Unterschrift vorliegt, ist nicht die Lesbarkeit oder die Ähnlichkeit des handschriftlichen Gebildes mit den Namensbuchstaben entscheidend ist, sondern ob der Name vollständig, wenn auch nicht unbedingt lesbar, wiedergegeben wird.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände genügte im Streitfall das „Zeichen‟

4.

den Anforderungen an eine Unterschrift, auch wenn es keinen lesbaren Namenszug erkennen ließ und nur noch aus zwei voneinander abgesetzten Strichbildern bestand (ein auf dem Kopf stehendes, stark zugespitztes Häkchen und davon abgesetzter Viertelkreis). Wegen der ungewöhnlichen Strichführung ließ diese Zeichenfolge keinen ernsthaften Zweifel daran aufkommen, dass es sich um eine von ihrem Urheber zum Zwecke der Individualisierung und

Legitimierung geleistete Unterschrift handelt, zumal der

Prozessbevollmächtigte auch in anderen Verfahren und langjährig so unterzeichnete.

Dem Sinn und Zweck des Unterschriftenerfordernisses aus § 519 Abs. 4, § 130 5.

Nr. 6 ZPO, die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung zu ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck zu bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen, war danach im Streitfall Genüge getan.

Weiteres

Überschießend wies der BGH darauf hin, dass das Berufungsgericht auch eine Wiedereinsetzung hätte gewähren müssen (, was aber objektiv nicht erforderlich war, weil die Unterschrift und damit die gesamte Berufung den Formerfordernissen entsprach). Denn ein Rechtsanwalt hat zunächst einen Anspruch auf faire

Verfahrensgestaltung, wonach eine Vorwarnung geboten ist, falls derselbe Spruchkörper die von ihm längere Zeit gebilligte Form einer Unterschrift nicht mehr hinnehmen will. Ferner kommt ihm ein verfassungsrechtlich gebotener Vertrauensschutz zu. Ist ein beanstandeter Schriftzug so oder geringfügig

abweichend bis dahin allgemein von den Gerichten über längere Zeit als geleistete Unterschrift unbeanstandet geblieben, durfte er darauf vertrauen, dass die

Unterschrift den in der Rechtsprechung anerkannten Anforderungen entspricht.

(28)

Dieses Vertrauen wird allein durch die Beanstandung des Gegners in der

Berufungserwiderung nicht erschüttert. Deshalb hätte das Berufungsgericht dem Wiedereinsetzungsantrag entsprechen müssen, hätte es – was ja gerade nicht – an einer wirksamen Unterschrift gefehlt.

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DIE POSTAUSGANGSKONTROLLE IM ANWALTSBÜRO

Michael Peus

BGH, Beschluss vom 15.07.2014, Az. VI ZB 15/14

(29)

Leitsatz

Da die Unterschriftenkontrolle, die der Rechtsanwalt zuverlässigen Bürokräften überlassen darf, gerade der Vermeidung eines erfahrungsgemäß nicht gänzlich ausschließbaren Anwaltsversehens bei der Unterschriftsleistung dient, kann auf ein zeitlich vor der unterbliebenen Unterschriftskontrolle liegendes Anwaltsversehen im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Berufungsschrift regelmäßig nicht zurückgegriffen werden.

Sachverhalt

Am 26.04.2013 wurde ein Urteil ordnungsgemäß zugestellt. Die Berufungsfrist endete am 27.05.2013. Am 24.05.2013 ist beim Oberlandesgericht eine

Berufungsschrift aus der Kanzlei der damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten ohne Unterschrift des Rechtsanwalts der Beklagten eingegangen. Am Dienstag, dem 28.05.2013, hat die Bedienstete der Geschäftsstelle das Fehlen der Unterschrift bei der Eintragung der Berufung festgestellt. Mit Verfügung vom 31.05.2013, dem anwaltlichen Vertreter der Beklagten zugestellt am 06.06.2013, hat der Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats auf den Mangel hingewiesen.

Am 18.06.2013 hat die Beklagte eine unterschriebene Berufungsschrift beim Oberlandesgericht eingereicht und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass ihr Prozessbevollmächtigter versäumt habe, die ihm vorgelegte Berufungsschrift zu unterschreiben und – wie geplant – persönlich zum Oberlandesgericht mitzunehmen. Zur Versäumung der Frist sei es gekommen, weil die Rechtsanwaltsfachangestellte B., die bereits seit 25 Jahren in der Kanzlei beschäftigt sei und sich bei der ihr obliegenden Fristenkontrolle stets als zuverlässig erwiesen habe, entgegen der bestehenden allgemeinen Anweisung den Schriftsatz, ohne zu kontrollieren, ob er unterschrieben sei, zur Post gegeben und an das Oberlandesgericht übermittelt habe. Hierbei handle es sich um einen einmaligen Fehler der Angestellten. Dazu hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten eidesstattlich versichert, dass Frau B. seit 25 Jahren in seiner Kanzlei beschäftigt sei und sich in dieser Zeit als kompetente und stets zuverlässige Fachkraft erwiesen habe. Frau B. hat die Angaben unter Versicherung an Eides statt bestätigt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den

Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und darauf

hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass das Versäumnis des

Prozessbevollmächtigten der Beklagten, den Schriftsatz zu unterschreiben und mitzunehmen, die Fristversäumung verursacht habe. Es sei weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass den Prozessbevollmächtigten daran kein

Verschulden treffe. Die organisatorische Anweisung, alle ausgehenden Schriftsätze auf eine vorhandene Unterschrift zu kontrollieren, habe für sich allein nicht

sichergestellt, dass trotz eines auf dem Schreibtisch vorhandenen, nicht

unterschriebenen Schriftsatzes zur Einlegung der Berufung die Berufungsfrist nicht versäumt werde. Zu sonstigen Anweisungen zur Sicherstellung der Einhaltung von

(30)

Berufungsfristen sei nichts weiter vorgetragen. Ob die Berufungsfrist bereits gestrichen worden sei, als der Schriftsatz durch die Kanzleimitarbeiterin aufgefunden worden sei, weil der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufungsschrift mitnehmen sollte, lasse sich dem Vortrag ebenfalls nicht entnehmen. Die allgemeine Anweisung im Rahmen der Büroorganisation, ausgehende Schriftsätze auf die Unterschrift hin zu kontrollieren, verfolge nicht den Zweck, einen vom Rechtsanwalt im Einzelfall vergessenen Schriftsatz auf den Postweg zu bringen.

Diesen Beschluss des Berufungsgerichts griff die Berufungsklägerin mit der Rechtsbeschwerde an.

Entscheidungsgründe

Der BGH gab der Rechtsbeschwerde statt, weil der Berufungsklägerin

(möglicherweise) Wiedereinsetzung zu gewähren war. Denn ein schuldhaftes Handeln ihres Prozessbevollmächtigten lag nach den vorgetragenen Tatsachen, sollte sie das Berufungsgericht für glaubhaft erachten, nicht vor. Dies musste das Berufungsgericht aber neu bescheiden, weil der Sachverhalt vom Berufungsgericht nicht ausreichend dargestellt war als dass der BGH hätte entscheiden können.

Die Frist zur Einlegung der Berufung war verstrichen, ohne dass ein formal 1.

ausreichender Schriftsatz bei den Berufungsgericht eingegangen war. Denn der am 24.05.2013 eingegangene Schriftsatz genügte den Anforderungen der § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO nicht, weil er nicht von einem – beim Berufungsgericht postulationsfähigen – Rechtsanwalt unterschrieben war. Nicht einmal die Beglaubigungsvermerke auf den beigefügten Abschriften waren

unterschrieben,

Den Prozessbevollmächtigten der Beklagten traf sogar ein Verschulden an der 2.

unterbliebenen Unterzeichnung der Berufungsschrift vom 22.05.2013, wenn er den Schriftsatz ohne Unterschrift auf dem Schreibtisch zurückgelassen hat, anstatt ihn zu unterzeichnen und beim Berufungsgericht einzureichen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten musste nach Vorlage der

Berufungsschrift Vorkehrungen dagegen treffen, dass diese vor Unterzeichnung irrtümlicherweise in den Postausgang geraten und ohne Unterschrift bei Gericht eingereicht würde.

Das Verschulden einer Partei oder ihres Vertreters ist jedoch, worauf die 3.

Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, dann nicht rechtlich erheblich, wenn die Partei oder ihr Vertreter alle erforderlichen Schritte unternommen hat, die bei normalem Ablauf der Dinge mit Sicherheit dazu führen würden, dass die Frist gewahrt werden kann. Wird die Frist dennoch versäumt, ist nicht mehr das Verschulden der Partei oder ihres Vertreters als ursächlich für die Versäumung der Frist anzusehen, sondern das von der Partei nicht verschuldete Hindernis, das sich der Fristwahrung entgegengestellt hat. Bei fehlender Unterzeichnung der bei Gericht fristgerecht eingereichten Rechtsmittel-(Begründungs-)schrift Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann, wenn der

(31)

Prozessbevollmächtigte sein Büropersonal allgemein angewiesen hatte,

sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift zu überprüfen.

Da die ausreichend organisierte Unterschriftenkontrolle – die der Rechtsanwalt 4.

zuverlässigen Bürokräften überlassen darf – gerade der Vermeidung eines erfahrungsgemäß nicht gänzlich ausschließbaren Anwaltsversehens bei der Unterschriftsleistung dient, ist bei einem Versagen dieser Kontrolle ein

Rückgriff auf ein Anwaltsversehen im Zusammenhang mit der Unterzeichnung ausgeschlossen.

Ausreichend ist die Ausgangskontrolle zumindest dann, wenn in der Kanzlei alle 5.

Angestellten angewiesen sind, einen Schriftsatz erst dann auf den Postweg zu geben, wenn er auf das Vorhandensein einer Unterschrift kontrolliert worden ist, und der Rechtsanwalt die Zuverlässigkeit seines Personals in der Befolgung von Anweisungen der eidesstattlichen Versicherung der Angestellten B. zufolge stichprobenartig überwacht. Eine darüber hinausgehende Überwachung ist nicht gefordert, wenn der Anwalt von der Zuverlässigkeit der Mitarbeiterin ausgehen durfte.

weiterführende Artikel Fristeingang

1.

Das Notieren von Fristen

Kontrolle der notierten Fristabläufe 2.

Fristenmanagement im laufenden Betrieb Der Schriftsatz

3.

Was ist eine Unterschrift?!

Der Postausgang 4.

Ordnungsgemäße Postausgangskontrollen können Wiedereinsetzung auch bei Anwaltsversehen sichern (s. diesen Artikel)

Sonderfälle 5.

Fristversäumnis wegen Erkrankung

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