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Zigeunerisches.
Von
A. Mordtmann und A. F. Pott.
Hr. Dr. Paspati, seit einer langen Reihe von Jahren praktischer
Arzt in Konstantinopel, hat sich neben der Ausübung seiner Fach¬
wissenschaft auch vielläch mit archäologischen uud linguistischen
Forschungen beschäftigt, wozu er in eineni hoben Grade befähigt
ist. Geboren in Griechenland verlebte er die ersten Jahre seiner
Kindheit unter deu Stürmen des griechischeu Unabhängigkeitskrieges ;
als sein Geburtsort eiust von den Türken erobert und sein väter¬
liches Haus von Feinden bedroht war, gelang es ihm aus dem
obern Stockwerk mit Hülfe amerikanischer Missionaire zu entkommen,
die ihn nach Amerika schickten und dort erziehen und ausbilden
liessen, wäbrend sein Bruder, der aus einem andern Fenster ent¬
sprang, den Türken in die Hände fiel und als Sklave verkauft
wurde, indessen später auch seiue Freiheit wieder erhielt.
Bei seiner Rückkehr uach dem Orient gelang es dem Dr. Paspati
sehr bald sich als Arzt einen segensreichen Wirkungskreis zu schaf¬
fen, uud iu seinen Mussestunden beschäftigte er sich damit die wis¬
senschaftlichen Hülfsquellen Konstantinopels nach Kräften auszubeuten.
So z. B. studirte er eifrig die topographischen und historischen
Alterthümer des Bosporus, worüber er in den Sitzungen des hiesigen
„Hellenischen wissenschaftlichen Vereins" mehrere sehr werthvolle
Vorträge hielt; dass er in seinen Resultaten mit dem Schreiber
dieser Zeilen nicht immer übereinstimmte, ist lur mich kein Grund
seinen Forschungseifer und sein reiches Talent herabzusetzen; im
Gegentheil, die Gerechtigkeit erfordert es seinem Eifer alle Aner¬
kennung wiederfahren zu lassen, da er meines Wissens zweimal
das Unglück hatte durch die leider hier so häufigen Feuersbrünste
eine kostbare Bibliothek und sehr werthvolle handschriftliche Samm¬
lungeu zu verlieren, was so manchen andern längst entmuthigt
haben würde.
Mit Zigeunern hat Hr. Dr. Paspali sich gleichlälls sehr eingehend beschäftigt, ihre Lebensweise, Wohnsitze und Sprache tüchtig studirt und die Resultate seiner Forschuugeu iu eiuem Werke uiedergelegt, welches
682 Mordtmann und Pott, Zigeunerisches.
den Titel führt : Etudes sur les Tchingianes ou Bohemiens de l'em¬
pire Ottoman. Par Alex. G. Paspait (Constantinople 1870. 652
SS. 30 fr.). Interessant ist es in der Einleitung zu leseu, mit wie
vielen Schwierigkeiten er, trotz seines ärztlichen Berufes, zu käm¬
pfen hatte, ehe es ihm gelang das tiefwurzelnde Misstrauen der
Zigeuner zu überwinden und sie zu Mittheilungen zu veranlassen;
nichtsdestoweniger musste er beständig eine scharfe Controle führen, denn theils die tiefe Unwissenheit, theils absichtliche Unwahrheiten
der Befragten nöthigten ihn zu einer unablässigen Kritik.
Die Zigeuner des türkischen Reiches zerfallen in zwei Haupt¬
klassen, nomadisirende und ansässige, erslere wieder in rumeliotische
und anatolische. Der Verf hat sie immer sorgfältig aus einander
gehalten, was seinen Mittheilungen einen um so grösseren Werth
giebt. Mit grossem Interesse wird man lesen, was er über die
physische Beschaffenheit, die Beschäftigungen, Lebensweise und re¬
ligiösen Anschauungen der Zigeuner berichtet, obgleich er sehr oft
mit andern Forschern, wie Grellmann, Graffunder, Pott, Ascoli,
Borrow, Campuzano u. s. w. im Widerspruch ist; indessen darf
mau nicbt vergessen, dass Paspati sich bloss mit den Zigeunern
der Türkei beschäftigt, und von ihren Landsleuten in Ungarn,
Deutschland, England, Spanien u. s. w. keine Notiz nimmt.
Der linguistische Theil des Werkes besteht aus einer Gramma¬
tik , einem Wörterbuche und einem französischen Register , welches
letztere die Stelle eines französisch - zigeunerischen Wörterbuches
vertritt. Der Verf vergleicht jedes Wort mit dem Sanskrit, Hin¬
dustani uud Neugriechischen, ohne jedoch das Afghanische, Persische,
Türkische und die siaviscben Dialekte zu vernachlässigen, aber die
Vergleichungen sind nicht immer glücklich ausgefalleu; der Verf
ist ein gründlicher Kenner des Alt- und Neugriechischen, da letzteres seine Muttersprache ist; ebenso spricht er englisch und französisch
mit der grössten Geläufigkeit, aber die arischen Spracben kennt er
nur aus den Wörterbüchern, und mit den Grundsätzen der Sprach¬
vergleichung nach Bopp'scher Methode scheint er nicht hinreichend
bekannt zu sein; auffallend ist es auch namentlich, dass er das
Türkische nur ganz nothdürftig kennt, und das Armenische lässt er
ganz bei Seite liegen , obgleich es gerade für die Sprache der tür¬
kischen Zigeuner und besonders der anatolischen Zigeuner von
grosser Wichtigkeit ist. Ich könnte das Gesagte mit einer Unzahl
von Beispielen belegen, da aber eine ausführliche Beurtheilung des
Werkes meinem Zwecke fern liegt, so begnüge ich mich mit zwei
Beispielen.
S. 267. „Kark hani f compos6 de Kar, pudendum virile,
et de khanö, corrup. de khalö, 1 change en n; lit. femme qui
•a mange (connu) le pud. vir. , prostituee". Diese Ableitung fällt gänzlich über den Haufen, sobald man weiss, dass ».jL=»^L^ kiarkhane,
welches im Persischen, so wie in ganz Syrien, Anatolien u. s. w.
eine „Fabrik" bedeutet, in Konstantinopel speciell die Bedeutung
Mordtmann und Pott, Zigeunerisches. 683
„Bordell" hat, wodurch sich eben das Zigeunerwort kar khani
sehr einfach erklärt.
S. 394. „Oghi, m. f Coeur, äme, courage; Gr. Mod. xagSid;
ongbi, Nom. ghi (Tchingh. Asiat.) Pott Vol. 2. p. 246 rattache
ce mot ä 1' Hind dji, life, soul, spirit, Skrt. ghiva. —
Ascoli, Zig. p. 18—19 est du meme avis. H est k observer pour¬
tant que les Tchingh. Roum. et Asiat, expriment l'idee de la vie par
djib6, dji(v)ib6, et vivre par dji väv a. Je pr6f6re Skr. aiiga,
n. a limb or member, the body, an expedient, a mean of success,
mind, understanding". — Die Sache ist viel einfacher, sobald man
weiss, dass im Armenischen hogi ganz dasselbe bedeutet, was
das zig. oghi, uämlich „Herz" „Seele" „Muth". Die germanischen
Sprachen haben bekanntlich dasselbe [?] Wort, „Behagen" plattd.
bögen, hug u. s. w.
Es soll damit durchaus nicht der Werth des Bucbes herabge¬
setzt werden; der Sprachforscher findet dort ein reiches Material,
und namentlich dürfte es eine sehr lohnende Untersuchung sein alle
irgendwie in kulturhistorischer Beziebung interessanten Wörter mit
den Sprachen des Orients und Europa's zu vergleichen, wodurch
sich manche Aufklärung über die ältere Geschichte dieses merkwür¬
digen Volkes nnd über seine Wanderungen ergeben würde.
Leider ist das Werk durch eine wahre Unmasse von Druck¬
fehlern entstellt, was aber einstweilen bei den typographischen An¬
stalten Konstantinopels noch gar nicht zu vermeiden ist, namentlich
bei einem Werke dieser Art; denu wahrscheinlich befindet sich in
keiner einzigen hiesigen Druckerei ein Setzer und ein Corrector,
der zugleich des lateinischen, griechischen und türkischen Alphabe¬
tes vollkommen mächtig ist, so dass die Inhaber der Druckereien
und die Schriftsteller, welche hier etwas drucken lassen, mit fast
unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben; kommt nun
liocb dazu, dass ein solches Schriftstück sich in mehreren Sprachen
bewegt, wie ehen das vorliegende Werk, so kann man sich eine
Vorstellung machen von den Ungeheuerlichkeiten, die dem Schrift¬
steller unter dem Namen „Correcturbogen", „Aushängebogen" oder
„Bürstendrucke" zugestellt werden.
Ich benutze diesen Anlass um ein anderes zigeunerisches Wort¬
verzeichniss bekannt zu machen ; es ist zwar schon gedruckt, aber
in einem Werke, wo nur wenige es suchen und nocb wenigere da¬
von Gebrauch machen können. Der Mechitaristenmönch P. Nersis
Sarkisian hat im J. 1864 in Venedig eine Reisebeschreibung unter
dem Titel Deghagrutiunk i Pokr jev i Medz Hajs „Topographisches
aus Klein- und Gross-Armenien" veröffentlicht, uud S. 82 giebt
er eine Liste von Wörtern aus der Sprache der Zigeuner um Erzerum,
wo sie Poscha genannt werden. Ich lasse bier eine Uebersetzung
dieses Verzeichnisses folgen.
684 Mordtmann und Pott, Zigeunerisches.
manus , Mensch A. 67 ,
gigorov, Krone [Kopf des Fürsten], orov, Fürst [etwa o rai der Herr,
mit Art. 264?],
gig , Kopf [sonst szero A. 33], wo¬
her giglthol, Kopfbedeckung,
aki, Augen (pl.) 46,
lank, Nase [nakh 320],
muh, Mund 435,
kondsch, Bart,
at, Hände [Hind. hath 86 A. 84],
bav, Füsse; pavgasch, Schuhe.
[Sonst cirach A. 75]. Päv,
Fuss 351, bery, Herz, mandsch, Nieren,
khari, pl. kharvavdik, Esel [kber A. 57.],
kori, pl. korvavdik, Pferd [A.
62. Vgl. mich 143.],
Leval, Gott [=devel S. 311.],
dressul, Kirche [anders A. 25;
aber trushul, Kreuz A. 62. et¬
wa Sskr. tri(;üla Dreizack? Bei mir H. 293.],
nahlav, Feuer (bei mir ack 47.),
tenav, Feld, Acker [kaum them,
Herrschaft, Gegend 295.], tuli, Thon, Erde,
var, Steiu (bar 409), gahr, Baum (Holz?),
pani, Wasser 343,
malav, Brot (= manro S. 440),
ankor, Nuss (akhor 46),
angev, Apfel (anders 378),
anlo, Ei = Sskr. an'd'a A. 38,
pantri *), Vogel,
arav , Mehl = arro 50,
kibu, Waizen [kaum geszü 143],
dschav, Gerste 214,
glar, Käse [keräl A. 75. 157.
mit Metath.], kyl, Fett,
khaliv,Fleisch [maasz bei mir 456], mantschav, Fisch (matscho 437), lavavisch, Zündhölzchen,
dschahri , Sieb,
dschuri, Messer 210,
kar, Haus (=kher 153),
par, Thür (st. duvar 314?), uagav , Dach ,
kharvav, Geld [etwa bäro Penny
Zig. 1. 52?], lerav, Dorf, kerav, Stadt,
gudaf , Schlaf [zu suto 234], les , Leben,
gam, Arbeit [S. karman?], gamel, gut,
ak, ein 48,
lui, zwei [1 St. d A. 76.], bamnisch, hundert [anders 223.], bev, dieser,
hevag, hier [anders Zig, II. 256.], havi, abermals,
gegbduk, so viel,
1) Ausland 1860. Nr. 29. S. 694. wird bemerkt: „Die Ungarn haben wenig unterscheidende Namen fiir Vögelarten ; noch ärmer ist darin der Zigeu¬
ner , bei welchem jeder Vogel tschirkulo |bei mir Zig. II. 199 cziriklo] heisst, nur durch bezeichnende Prädikate unterschieden , wio z. 1!. der kleine , der bunte, der langschnählige od. der langschwänzige Tschirkulo Die ganze Na¬
turanschauung geht bier mit Armutb der Sprache eines gesunkenen Volkes Hand in Hand." Hiezu möcbte ich indess meinerseits gelten niacben , dass, weil die Zigeuner vor ibrer Auswanderung aus Indien nur Namen fiir dort ein¬
heimische Vögelarten kannten , sie nachmals diese , weil auf die au.ssorindisclicn nicht anwendi)ar, vergassen, und nun ihrerseits freilich sicb mit Allgenieinlieitcn behalfen ohne Erfindung eigner neuer Namen fiir die Vögelgescblecliter derjenigen Länder, welche sie durchzogeu. Pantri ist interessant, als = Sskr. pattri, Nom.
von pattrin. Der an sich unberechtigten Nasalirung begegnen wir auch in lank (bei mir nakh Nase; niitbni 1 st. n, wahrsch. der Dissimilation halber
nach eingedrungenem Nasal; ; ankor, mantschav. P.
Mordtmann und Pott, Zigeuneriaches. 685
paschdan, durch, mit; zugleich 364?
gadel, Finsterniss [auders 284],
khatei, essen [zu khdva A. 16.
38.], woher khatelu , Speise, piel, trinken 342,
tschiel, gehen 412, gamligarel, bauen,
goligarel, sprechen, von gol Nach¬
richt [vrakerava A. 25.], panel, sagen (pchenav A. 54.), gynkel, denken,
lekel, sehen (dykhav 304 A. 29).
mangel, wollen (mangav, bitten, 445),
pharel, sich ankleiden [A. 17?];
parish, Kleid,
ngalel, entblössen (nango, nackt
vegel, sitzen [zu beszav 427?], nglel, weggehen (niglavava A. 14.),
avel, kommen 52,
naduhel, fliehen,
vtschalel, schicken (biczavav 401.
A. 45.),
tschutschel, kämpfeu,
parparudluil , widerstehen [aus
parpar, gegen, was reduplicirt sein muss, wie Sskr. paras- p a r a rait einander , gegen einander] ,
gurel, schlagen 113,
margarel, tödten I
raulil, sterben [ ^^^^
mandschuhil, bleiben, bantel, binden 387, uklel, öffnen, zerstören.
322),
Sämmtliche Zeitwörter scheinen die armenische Infinitivendung
auf 1 angenomraen zu haben, falls es nicht ein willkührlicher Zu¬
satz des Reisebeschreibers ist.
Herr Paspati hatte bereits ira Journ. of the American Orient.
Soc, VII. vol. 1862. p. 143 — 270. ein Memoir on the Language
of the Gypsies, as now used in the Turkish Empire veröffentlicht,
was in Ascoli's Zigeunerisches. Halle 1865. bearbeitet worden
ist. Man darf schon danach annehmen, es werde Paspati seine
frühere Abhaudiung in dem neuerschieneneu Werke vervollständigt
sowie auch mehrläch verbessert haben. Jedoch in Ermangelung
eigner Einsicht in dasselbe muss der Unterz. natürlich sein etwai¬
ges Urtheil auf spätere Zeiten verschieben. — Jedenfalls hat sich
llr. Mordtmann bei Allen, welche das seltsame Wandervolk der
Zigeuner interessirt, lebhaften Dank erworben dadurch, dass er uns
auf Paspati's Arbeit aufraerksam macht. Aber auch die Zugabe
von Wörtern aus der Sprache der Zigeuner um Erzerüm komrat
erwünscht. Ueber das Idiora der Zigeuner gerade in Asien haben,
oder hatten, wir bisher die ara wenigsten befriedigenden Nachricb¬
ten, ungeachtet doch zu vermutben steht, eben in grösserer Nähe
von ihrem Indischen Mutterlande habe sich die ibnen angeborne
Sprache ara reinsten und raindest verwahrlost erhalten. Ich habe
mir erlaubt, den Wörtern des Verz. entweder aus meinen Zig.
Th. II. die Seiteu beizusetzen, wo jene Wörter, von anderwärts her
bekannt, stehen, oder, wenn durch A. unterschieden, die in Ascoli's
„Zigeunerisches", wo das Gleiche der Fall ist. Es ist schade, dass
aus den Beispieleu so blutwenig für die Grammatik abfällt. Die
686 Mordlmann und Pott, Zigeunerisches.
Infinitiv-Endung auf —1 mag um so leichter bei den Zigeu¬
nern Armeniens Eingang gefunden haben, als sie in Wahrheit von
Hause aus keine Infinitiv-Form besitzen (meine Zig. I. 327).
Auch die Gitanos in Spanien erborgen, an sich wider den Geist der
eignen Sprache, gelegentlich den romanischen Inf. von den Spaniern,
dessen Endung sie zum Oefteren seltsam an ihre Verba anfügen.
Z. B. tasar, aber auch tasabar (To choak, suffocate) vom Präs.
tasavav. Guillabar (S. gai) To sing Zig. I. 207. 449., wozu
Diefenbach mit Glück vermuthet: „Spanische Inff. und Präss. mit
ah und d (auch l — l) wohl aus der zerfallenden, unverstandenen
Flexion erhalten ?" Schon Z i p p e 1 hat die richtige Bemerkung ge¬
macht : „Da die Zigeuner unter Europäeru so lange gewohnt haben:
so ist es kein Wunder, wenu sie nicht nur viele Worte aus Der¬
selben Sprache in die ihrige aufgenommen und darüber ihre
eigenthümlichen Wörter vergessen, sondern auch die Wortfügung
von den Europäern (deren Sprachen sie fertig reden) in ihre Spra¬
che gebracht habeu." Natürlich Letzteres bloss theilweise, hie
und dort. — In goligarel (wörtl. Nachricht machen) sprechen,
gamligarel bauen (gamel gut, kar Haus?) und marga¬
rel, tödten (wörtl. sterben machen) erkeunt man unschwer die
übliche Comp, mit kerav (ich mache) IL III. — Beachtenswerth
ist die Plural-Bildung kharvavdik Esel, korvavdik Pferde. Sie
scheinen eher, in mir sonst nicht vorgekommener Weise, Composita
Zig. I. 153. Acki (S. aksi, allein unstr. prakritisirend) soll aus¬
drücklich Plur. sein; bei mir lautet der Plur. (schwerlich Dual)
jaka, Sg. jak II. 46. Ungenau mag die Uebersetzung von at
Hände, bav Füsse als Plur. sein. Puchmaier S. 23. (bei mir I.
156.) giebt übrigens unter 6 Wörtern, dereu Nom. Plur. von dem
im Sg. nicht verschieden ist, ausdrücklich auch vast an, was um
so auffälliger wäre, dafern das v vor ihm mit dem Subst. (S. hasta) concrescirter Singular-Artikel (o oder u) sein sollte. Diefenbach
erklärt jenen Syncretismus so : „wohl nur phonetischer Abwurf eines
Vokals; bemerkenswertb die dualen Begriffe, vast, Hände; kan
(S. karria) Ohren; viell. auch Pferde von deren Zweizahl als üb¬
lichster Mehrzahl!" — Als nicht unwichtige phonologische Merk¬
würdigkeit darf man das l für d betrachten in level Gott, lui
zwei, lekel sehen. Es sind von solchem, ja auch aus dera Latein
(Ulysses, lacruma u. s. w.) bekannten Wechsel namentlich aus dem
Afghanischen nicht seltene Beispiele gebracht Etym. Forsch. I. 95.
Ausg. 1.
Es mag bei dieser Gelegenheit gestattet sein, noch einige wei¬
tere Notizen (zu deu Bd. VIL S. 389 — 399 gegebenen) anzuschlies¬
sen. In der Sitzung der philos.-hist. Cl. am 13. Jänner 1863. ist
eine Abh. „Beiträge zur Kenntniss der Bora (Zigeuner) Sprache"
von Prof. Friedr. Müller in Wien in Aussicht gestellt, welche,
1869 ersch., des Neuen und Interessanten viel enthält. — Zigeuner
(Tsiganen) im Kaukasus mit Abbildungen solcher aus Mosdok in
Mordtmann und Pott, Zigeunerisches. 687
Andree, Globus 1868. S. 131. — Ferner in: Allg. Familienzeituug
1869. Nr. 9. S. 143—144: Ein Abend in einem Zigeunerlager (von
Albert Umbacher). Dort -wird z. B. des uk jek 10 + 1 für
11 angegeben. Ferner : OmroDewloIo mein Gott ! Pcburo
manu sch, alter Mann [eig. Mensch], als ehrendster Titel, den
der Zigeuner überhaupt keunt. [Also wie z. B. Frz. Seigneur aus
Senior.] Aus einera Trauerliede :
Ganna hom froh
Da tu pasch Mande
Haies trin berseba Andr' o baro stillepenn!
was ich, freilich über den Anfang nicht recht sicher, nur zu über¬
setzen wüsste: Wenn (Kanna Zig. I. 307.) ich bin froh, dass (da
St. te?) du bei mir wärest drei Jabre (S. varsha) in dem grossen
Gefängniss. — Die Zigeuner, ein Aufsatz in Aug. Boltz, Beitr.
zur Völkerkunde aus Wort und Lied S. 70—98. Von deras. Leben
und Treiben der Zigeuner. Ihre Abstararaung und Sprache. Aufs.
11. in Andree's Globus 1865. S. 75—79. Legrenne, der Pariser
Zigeuner. Aufs, von Ludw. Kalisch in der Gartenlaube 1867.
Nr. 45. S. 712—714. — „Beiträge zum Leben der Zigeuner im
östlichen Europa" Ausland 1862. Nr. 25. S. 596—597. —
Die Zigeuner des s ie b eub ür gi s ch en Hochlandes. Ausland 1855.
Nr. 52. — Capt. Newbold, The Gipsies in Egypt iu Journ.
of the Royal As. Soc. of Great Brit. and Ireland 1856. p. 313.—
Zigeuner in Aegypten und Vorderasieu. In: Ztschr. f. Allg.
Erdk. N. F. 1857. H. S. 78—83. Siebe Jolowicz, Bibl. Aegyptiaca,
vgl. Nr. 467. Newbold. Zigeuner-Vocabular aus Aegypten in
Petermann's Mittheilungen 1862. — Vaillant: Les Romes. Hist.
vraie des vrais Bohemiens. Paris 1857. Vgl. auch schon über
Bohemiens Pougens Tr6sor des Origines p. 155 bis 182. Fer¬
ner: Vaillant, Gramm., Vocab., Dialogues de la langue des
Bohemiens ou Cigains. Paris 1868. 8. 2 s. 6 d. — „Die Nowar
[s. über diesen Naraen meiue Zig. 1. 48.] sind ächte Zigeuner,
welche zu der arabischen Sprache noch eiue eigne reden, die, wie
raan sagt, mit dem Sanskrit oder modernen indischeu Dialekten
verwandt ist. Man findet sie in kleinen Lagern über das ganze
Land (Syrien) zerstreut. In ihren Sitten, Beschäftigungen, be¬
sonders in Bezug auf ihr Vagabundenleben unterscheiden sie sich
nur wenig von ihren Brüdern in Europa und anderen Theilen der
Erde". Ausland 1863. Nr. 40. S. 957. — Walaehische Zigeu¬
ner. Aus Rieh. Ku nisch „Bucharest und Stambul" Modez. 1861.
Nr. 24. S. 187 fgg. — Poss art hat in seinem Buche; „Das
Fürstenth. Serbien" Darrast. 1837. S. 106—114. auch Mehreres
über die Sprache der Zigeuuer. — „Ueber Jütische Zigeuner"
spricht Kohl, Reisen iu Däneraark, und den Herzogth. Schleswig
imd Holstein I. Bd. S. 98—105. Nach v. Orlich's Reise in Indien
sollen die Zigeuner [wo?] auch Messerschleifer und Kesselflicker
688 Mordtmann rmd PoU, Zigeunerisches.
sein, wie iu Südrussland, England und Deutschland. — Sollte da¬
her es kommen, möchte ich fragen, dass die Scheerenschleil'er vor¬
mals zu den missachteteu unehrlichen Leuten gezählt wurden? Vgl.
auch „Kesselträgerpack". In Trübner's Fourth Linguistic Catalogue
S. 64. werden erwähnt: 1. Vocab. de la langue des Bohemiens ha¬
bitants les Pays Basques Frangais. Par A. B a u d r i m o n t. pp.
40. Bordeaux 1862. 2 s. 2. Origen, usos y costumbres de los Jita¬
no s, y Diccionario de su Dialecto, cou las voces equivalentes del
Castellano y sus Definiciones , por R. Campuzano. Seguuda
edicion. 16. pp. XXXII, 200. 5 shilling. — Auch giebt es von
Jimenez, Vocabulario del dialecto jitano cou cerca de 3000 pa¬
labras y una relacion esacta del caracter etc. Madrid 1854. pp.
158. 12. — Ein kleines Wortverz. der B a s k i s c h e n Zigeunersprache
von Fr.- Michel zuerst im 1. Bd. von le Moyen äge et la renais¬
sance, und dann vermehrt in seinem Pays basque. Zufolge Mit¬
tbeilung von Jos. Maria Wagner, der sich viel mit dem Rot¬
welsch abgegeben hat, das man sich hüten muss, mit der Sprache
der Zigeuuer zu verwechseln. — Biondelli Abh. Sull' apparizione
degli Zingari in Europa, accompagnato d' una illustrazione della
lingua zingarica, s. Ascoli, Studj critici T. L p. 1., in welchen
Studj p. 101—142. von gerghi die Rede ist. Das Werk von
Liebich 1863.
Noch immer giebt uns das Zigeuner-Volk der Räthsel genug
auf So steht namentlich, wie ausgemacht jetzt auch dessen Ur¬
sprung aus Vorderindien abseiten ihrer Sprache sei, weder über
die Zeit, oder die Zeiten, ihrer Auswanderung von dort noch über
deren Veranlassung etwas Sicheres fest ; und auch die Ankunft
in den verschiedenen Ländern Europas hat gleichfalls in den
wenigsten Fällen schou genau bestimmt werden können. Daran
trägt wohl die Vielnamigkeit dieser unsteten, selten sesshaften Land¬
streicher eiuen nicht geringen Theil der Schuld, indem es ja, wo
sprachliche Controle fehlt, oftmals mit grossen Schwierigkeiten
verknüpft ist, herauszufinden, ob unter diesem oder jeuem (zum
Theil, z. B Bohemiens, sehr willkürlichen) Namen wirklich
Zigeuner gemeint seien. So giebt Borrow II. 110. aus El Estu-
dioso Cortesduo von Lor. Palmireno um 1540. an: „Germany where
they call them Tartars or Gentiles [d. h. Heiden]; in Italy
they are termed Ciani. Some (in Spanien) understood the vulgar
Greek, others did not" etc. Mit Bezug auf die Lang, of the Gita¬
nos, welche eb. S. 103—126. zur Besprechung kommt, wird S. 109.
der Satz hingestellt, welchen ich meinerseits nur bestätigen kann:
This speech , wherever it is spoken , is , in all principal points, one
and the same, though more or less corrupted by foreign words,
picked up in tbe various countries to which those who use it have
penetrated. Au fremden Wörtern enthalte das Zigeuuer Idiom na¬
mentlich viel 1. Persische, 2. Slavische und 3. Neugrie¬
chische. Unter letzteren befremdlicher Weise (meiue Zig. I. 221.)
Mordtmann und Pott, Zigeunerisches. 689
z. B. die Zahlen 7—9. 6fta, ochto, önja, welche gar nicht
anders erklärlich wären. Es hat hier also eine irrige Verwechselung
mit den Tataren stattgefunden (Zig. 1. 30.), welche doch einem
völlig anderen Stamme angehören. Taoters, Zigeuner. Danneil,
Altmärkisches W.-B. S. 222. Ferner ist in Wöniger's Roman
(Zigeuner und Edelleute 1844.) I. 57. die Rede von „einer alten
Zigeunerin unter dem Namen Tater Stien [Christine, und dem¬
nach doch wohl getauft?], noch im 3. Jahrzehnt dieses Jahrhunderts
in der Umgegend vou Lübeck bekannt. Die Jungen schalten sie
oft „alter gelber Tater". — Mustlane für Zigeuner. Wie¬
demann, Werroehstnischer Dialekt S. 32. Desgl. in Wiedemann,
Ehstnisch-Deutsches W.B. S. 700. Esthn. Mustlane, G. Must-
laze Zigeuner-, Mustlaze naene (Weib) Zigeunerinn. Must-
laze wizi (nach eines Zigeuners Weise) pal uma, zudringlich
bitten. Es kommt von must 1. schwarz, brünett, 2. schmutzig-,
mus tu schwarzer Ochs; mustlik Tinte. Der Ausgang ist der
Gentilnamen, z.B. Sakslane, g. -laze Deutscher, Sachse, eigne.
Vgl. noch meine Zig. I. 28. Du Cange hat unter MavQog, Niger
(woher Mohr, Neger; Mavgiaxioq Mauriscus; ut Franciscus, pro
Francus, vel Francicus): Glossae Lat. Gr. Aeguptium, tpatov , und
wird dadurch die Erklärung von Ital. ghezzo (zz assim. aus pti,
wie nozze aus nuptiae), schwärzlich, Diez Et. WB. S. 407. Ausg.
1. unabweisbar gewiss; nur dass freilich nicht erhellet, soll sich
dies auf die alten ächten Aegyptii beziehen oder die erst nachmals,
obwohl fälschlich nach Aegypten benannten: Ngr. Fvcptos {tpr wie
öfters aus nr), Gypsey, Alban. Evgit (also vorn noch mit Vokal,
aber Gutt. und Lab. umgestellt) Leake, Res. in Greece p. 308;
Gipsies (Engl.); Gitanos (Span.); Egyptien für Zig. in Le
Roux Frz. WB. u. s. w. Die Formen Gipsen, Spenser und noch
deutlicher Gip tian, Whetstone in Halliwell, Diet, of Archaic and
Prov. Words I. 401. verrathen deutlich Ursprung aus Aegyptius
mit Verlängerung durch Suff. -auus. Auch uuterliegen Gipsy-
onions Wild garliek; und Gipsy-rose The corn-rose ebenda¬
selbst, als nach Gipsies benannt, schwerlich einem Zweifel. Von
Gipsey A wooden peg wüsste ich keinen Grund zu Benennung
nach den Zigeunern. Eher liesse sich ein solcher erratheu für'
gips eys (vgl. Ztschr. d. D.M.G. VU. 399): Sudden eruptions of
water that break out iu the downs in the East Riding of Yorkshire
after great rains, and jet up to a great height. They are men¬
tioned by William of Newbury under the name of vipse. See W.
Neubrig. de rebus Anglicis, ed. 1610. p. 97.
Sogar der vielleicht am weitesten, obwohl in mancherlei ge¬
änderter Lautgestalt verbreitete Name Zigeuner ist noch immer,
wenigstens für mich, ein Geheimniss. An die sachlich zutreffende,
allein doch zu naive Deutung aus Zieh-Gauner wird wohl nie¬
mand mehr glauben. Bei Justi, Hdb. der Zendspr. S. 118. (vgl.
ihn auch S. X.) finde ich Zigeuner aus Pers. zin-gar (Sattel-
Bd. XXIV. 4Ö
690 Mordtnumn nnd Pott, Zigeunerisches
macher; ephippiarius Vullers lex. II. 173.) erklärt. Unmöglich
wahr, so wenig als die gleichfalls zum öfteren versuchte Anknüpfung
an Zangi incola regionis Zang s. Zanguebar; Aethiops 2. met.
niger Vullers p. 155. Dem widerspricht schon allein der überall
entschieden barte Zischlaut im Namen der Zigeuner zu Anfange,
Zig. I. 44. Ueberdem scheint Zingaro, was der Italiener neben
Zing ano bat, blosse der Verunähnlichung zweier Nasale zu Ge¬
fallen entstandene Abänderung mit r. Portug. in Fonseca, Diet.
Cigano (mit Fortlassung des eineu n) Bohemien. Vagabond. Enjo¬
leur. Ciganice Cajolerie. Ciganaria Troupe de Bob.; (fig.)
Fourberie. Im Ofener Walaehischen WB. S. 499. pes'ce gigä-
nescu, Ung. tzigäuyhal (d. i. Zigeuner-Fisch), auch tzompö,
die Schleihe (Cyprinus tinea); — ich weiss nicht, aus welchem
Grunde. Ferner S. 206. Walacb. esca Zunder, Schwamm, aber
Ung. tzigäny taplö (etwa weil die Zigeuner ihu zubereiten?)
Feuerschwamm, Boletus iguiarius. Erklärlicher S. 318. mäsela-
ritzä (Hyoscyamus niger) unter den Deutschen Namen: Bilsen-,
Doli-, Schlafltraut, Teufelsaugen u. s. w. auch Zigeunerkraut,
weil man vermuthlich den Zigeunern schadenbringende Verwendung
dieser Giftpflanze zutraut. So wird auch angeuommen, deu ge¬
raeinen Stechapfel (Datura Straraoniura L.) haben erst die Zigeu¬
ner nach Europa gebracht. Schleiden, die Pflanze S. 345. (s. auch
Willdenow, Grundr. der Kräuterk. S. 554.) sagt hierüber Folgendes :
„Eius der auffallendsten Beispiele von Pflanzen-Einwanderung ist
die allraälige Verbreitung des Stechapfels durch ganz Europa, der
aus Asien her den Zügen der Zigeuner gefolgt ist, welche häufige
Anwendungen dieser giftigen Pflanze bei ihren polizeiwidrigen Ge¬
schäften raachten und die daher, vielfach von ihnen gebaut, auch
unaufgefordert auf ihren Wohnplätzen sich einfand". Vgl. Anderes
Zig. II. 198. Ueber ein Vergiftungsmittel, Dri od. Drei genannt,
dessen sich zuweilen Zigeuner bedienen sollen, liest man in einera
Art. aus Londou in der Ersten Beil. der Voss. Zeit. Mittw. 26. Febr.
(das Jahr habe ich aus Versehen anzuraerken vergessen), es bestehe
in einem braunen Pulver von eiuer Fungus-Art, das in einera
lauen Getränke verschluckt mittelst der in ihm enthalteneu Sporen
•sich an den Scbleimbäuteu festsetzt, keirat und Filamente zu Mil¬
lionen treibt, — was nach einigeu Wochen den Tod herbeiführt.
Es ist aber wenige Tage nach dem Tode das Vorhandensein jener
Filamente Vertrocknung wegen nicht mehr zu erkennen.
Wichtig sind auch die von Miklosicb, Lex. Palaeoslov. p.
9. und 1106. beigebrachten Stellen: Tzüganin' ra. Ciganus, -ne
liodi v'p ol "sj e, a priidosa ot'Njemetz'. Azbukovuik (Praef
p. VL). Tzigani. Gramoty 91. anni 1458. (Praef. p. X.). Tzi-
gan'ka f Vl";^voujot" s" Tzigan"kü nom. — mik. 24. (vgl.
p. 69. vl";|^vovati fiay^vtiv, fiavTEVsa&ai). Ausserdem mit
einem seltsaraen, schwerlich artikelartigen Vorschlage: Atziganin',
f Atzigan'ka, Zingarus, a. Etwa deu ' uiß-iyyavoi, Haeretici
Mordtmann und Pott , Zigeunerisches. 691
qni et Mdchesedeciani DC. vgl. Z. d. D. M. G. VII. 394. zu Liebe, mit
welcber Secte unsere Indiscben Einwanderer — der blossen Namens¬
äbnlichkeit wegen —, in Verbindung zu bringen allerdings auch der
Versuch gemacbt worden. In Weinhold, Beitr. zu einem Schies.
WB. S. 109: Ziganke, f. Zigeunerin; lüderliches Weibesbild;
poln. Cyganka. Soust gewöhnlich Zikaner, Zikane: „Man möchte
schier denken, dass dieser Name (Sigynae [welche natürlich nichts
damit zu thun haben]) sei unser Ziehegan, mit welchem Namen
unsere Vorfahren die Landfahrer, die für und für umbherzogen,
nenneten, zuvor ehe die egyptischen [falsch!] Umbläüfer bekand
worden" Cureus-Rätel Chronika (1607) S. 297. Vgl. Ungar. Tzy-
gan, Poln. Cygan. — Weiter Schröer, Deutsche Mundarten
des Ungrischen Berglandes S. 170: Zigän, Zigün, der Zigeuner,
im Ungr. Bergi. und bei den Sieb. Sachsen (in sächs. Regen Zigu,
in Schässburg Z e g ü n ) steht für Zig än gleicb Mhd. Polau (der
Pole), dem Russ. Poln. Sl. Cigan, Madj. Czigäny (spricb Zigänj'
zweisylbig; nj = Franz. gne). Sonst würde unser Zigeuner wohl
ein altes Zigiune vermuthen lassen. Die Zigeuuer kamen aber erst
1417 ins Land (erhielten auch 1423 ein Privilegium vom König
Sigmund. Fejer cod. dipi. X. VI, 432), als die Deutschen im Ungr.
Bergi. und in Siebenbg. schon da waren; wären sie später einge¬
wandert, so würden sie, wie die Oberdeutschen an der österr.
Grenze, die mit Deutschland stets in ungestörtem Zusammenhange
waren, oder die später eingewanderten Deutschen im Lande, Zigeu¬
ner sagen. So weit Schröer. — Aus Reim wörterb. des Erasmus
Alberus 1540 (s. Weimar. Jhb. für deutsche Spr. u. s. w. Fünfter
Bd. 1850. S. 114): Stotzenierer, Agyrites, circulator .i. men¬
dicus et decipiens, farend schüler, stotzenierer, münch, ziginer,
lotterbuben, widerteufer. In Benecke's WB. finde icb zwar stirn-
s toe zer eine Art Landstreicher (einherziehende Fechter ?) S. 667,
auch S. 645. sterzaere, der müssig umherf&hrt, Vagabund (geiler, ziphler, sterzer s t i r n e r und slozzer), allein nicht das Gesuchte. —
Grimm im WB. I. 565. erwähnt: Alberus, ein Wetterauer, sagt
Aegyptii [Zigeuner?] sunt reposcones (nach Ammian 22, 16.) ge¬
bars nemars. Merkwürdig genug lautet allerdings die Stelle
bei Ammianus (p. 254. ed. Lindenbr.) von den Aegyptern : Homines
autem Aegyptii plerique subfusculi sunt et atrati (s. ob. über Ital.
ghezzo) magisque moestiores, gracilenti et aridi, ad singulos mo¬
tus excandescentes , controversi, et reposcones acerrimi. Dass die
Zigeuner aber wenigstens flinke N e h m e r sind, wo sie es ungestraft
thun können, unterliegt keinem Zweifel. Desshalb sagt man in
Samland: Lied' nehmt de Hehner [Hühner] in Acht, deZe-
gahne käme scherzweise, wenu ein grösserer Besuch kommt.
Frischbier, Preuss. Sprichwörter u. s. w. Zweite Aufl. S. 121.
Offenbar : weil ein solcher Besuch viel Hühner kostet, um die Gäste
damit zu tractiren. Es ist die Furcht vor Zigeunern, welche gern
dera Federvieh nachstellen , hier in Spass verkehrt. Schon in
692 Mordtmann und PoU, Zigeunerisches.
einem Ambraser Liederbuche vom J. 1582. (s. meine Zig. II. 523.)
heisst es nacb der „Verlcebrten Welt": Gred, thu die Zige ine r(2)
ein, die Hüner(l) kommen dort auff her, das sie es nit hinweg
tragen. In: Die Presse. Wien Mittw. 29. Jänner 1862: „Eine
Zigeunerbande, beiläufig 40 Köpfe stark, kam kürzlich in die Nähe
von Langlebarn im TuUner Bezirke, und schlug daselbst auf einer
Wiese vier Zelte auf, in denen sie heiter uud guter Dinge campirte.
Da sich unter den Angehörigen der Bande aucb eiu hochschwangeres
junges Weib befand, holten zwei Zigeuner für diese die Hebamme
Anna Münz aus Langlebarn, welche der Gebärenden auch ihre bei
Z. meist unnöthige Hülfe angedeihen liess. Die Hebamme erntete
jedoch einen schlechten Dank, indem eine alte Zigeunerin ihr bei
ihrer Entfernung nachschlich uud ihr ein Umbängetuch und einen
Unterrock im Gesammtwerthe von 11 Fl. entriss". — 1378. in
Nürnberg: der Rath lässt streifen nach den „ungelaubigen lenten"
[Zigeunern ? fragt der Verf.] und mehrere derselben ins Loch legen.
Eine Frau wird verbrannt „Von irs Unglaubens wegen" Aufsess,
Anz. 1861. Oct. Nr. 10 S. 365. Die Vermuthung, dass unter diesen
ungläubigen Leuten Zigeuner verstanden sein möchten : bedürfte je¬
doch mehr gesicherter Zeugnisse. Nicht schlechthin unmöglich üb¬
rigens, dass der sonst sehr sorgfältige und gründliche Grellmann ')
Unrecht hat, wenn er vor dem J. J417. in „Europa" keine zu¬
verlässige Nachricht ihres Daseins anerkennt. Siebe meine Zig. I.
60. — Sancho de Moncado nimmt bei Hidalgo zum Motto:
„Vidi afflictionem eorum, qua ab Aegyptiis opprimuntur; et scient
Aegyptii quia Ego Dominus" Exod. cap. 3. et 7. — „Haec dicit
Dominus, dispergam Aegyptios iu nationes, et veutilabo eos in
terras". Ezecb. cap. 29. uud beginnt mit: Sefior, Siempre los
Gitanos afligieron al pueblo de Dios; pero el Supremo Rey le libro
de ellos cou muchos milagros que cuenta la sagrada Escritura, y
sin tantos , solo cou el milagroso taleuto [man denke !] que en ox-
pulsiones semejantes tiene V. Magestad, podrä librar su Reyno de
ellos , que es lo que suplica este Discurso etc. Es wird hieraus
ersichtlich, nicht nur aus welchen theologischen Gründen man die
Zigeuner zu Aegyptern zu machen versucht hat, welche (so hiess
es ferner: zur Strafe, weil sie vom Christenthum abgefallen) hätten
auf die Wanderschaft gehen müssen, sondern auch, wie die Religion
missbraucht worden , um den Köuig zu grausamer Austreibung des
wennauch lästigen, doch nicht von Grund aus schlechten Zigeuner-
Volkes aus Spanien zn bewegen. Vgl. Zig. II. 259. und die inter-
1) Anz. seines Bucbes in Jen. A. L. Z. 1788. Bd. I. S. 96. Ferner meine Zig. I. S. 14. Gr eil mann di.ss. on the Gipsies transl. by Rap er. I^ond.
1787. 4. — Hier mag auch der Bemerkungen üher Zigeuner und deren Sprache Erwähnung geschehen in Schlegel's Ind. Bibl. Bd I. S. 427^—430. — Wie schon .los. Just. Scaliger die ,, erste" veröffentlichte Sammlung zig. Wörter mit der Präsensflexion von plana trinken, verdankt wird; s. Benfey, Gesch.
S. 225. Vgl. meine Zig. I. S. 3.
♦ 7
Mordlmaim und Pott, Zigeunerische». 693
ebsanten Parallelen (z. B. Anknüpfung des Stammbaums der Zig.
an Cbam) bei Grünbaum Z. d. D.M.G. XVI, 413. Aebniicb
auch in Adelungs Glossar : Philistaei, errones , üdem qui A e -
gyptiaci. Capitul. 19. Leg. Polen, inscribitur apud Prilus. p.
351. De vagis ac Philistaeis.
Der neuere Versuch vou Paulus Cassel in Glaser's Jahrb.
für Staatsw. Octoberheft 1867. will mir gleichfalls nicht einleuchten.
Er glaubt nämlicb iu seinem dortigen Aufsätze: „Die älteste histo¬
rische Erwähnung der Zigeuner" dieses Volk schon in den Cana-
cheni beim Kirchenvater Arnobius adv. gentes VI. 23. wiederzuer¬
kennen. Die Stelle lautet: Infiniti operis res esset in toto orbe
describere, quae sint fana convulsa terrae motibus et tempestatibus, quae iucensa ab hostibus, quae ab regibus et tyrannis, quae antisti¬
tes et sacerdotes ipsi suspicione aversa nudaverint, quae ad ulti¬
mum fures et obserata pandentes remediorum obscu-
ritate Canacbeni, quae tuta utique permanerent et nnllis obnoxia
fortuitis, si adesscnt Dii praesides aut haberent aliquas templorum
quemadmodum dicitur, curas. Um jedoch zum Zwecke zu gelangen,
ist er genöthigt, Lesung mit r: Caraclieni vorzuschlagen. Das
sollen nun die Karachi sein; — eiu Name für Zigeuuer in Asien,
wofür cr sich auf meine Zigeuner I. 27. 49. beruft. Harriot aber
giebt an : Karachi lit. Swarthy ; a turkish word of Asei bidjan
(from kara black, with the participial termination chi as an affix.).
Qarä i,s niger (pers. dagegen sLa*») Vullers lex. II. 715. ist ein
Türkisches, uicht Indogermanisches, vielmehr dem Turanischen Stamme
angehörendes Wort, und auch ^s>. oder ^^ä. ebenfalls ein ächt
Türkisches Suffix. Ob dies aber (von Nomm. ag., z. B.
h'apoü-dji, un portier; ^jfv.i;Li3 idchtcld Davids, Turk. Gramm,
p. 92. steht das freilich fest) in Karachi enthalten, darüber mögen
des Türkischen Kundigere urtheilen. Keinesfalls dürfte man darin
Zig. chai pl. (Children, fellows, Gypsies) suchen, was, des passenden
Sinnes „schwarze Leute" ungeachtet, der Diphthong schwerlich zu¬
liesse. Können nun Ca räch cni, die Richtigkeit der Lesung ein¬
geräumt, mit den Qar ächi in Einverständniss gebracht werden?
Nein, durchaus nicht. Es durfte nämlich nicht übersehen werden,
was sogleich den geringen Sehein der Aehnlichkeit völlig auslöscht :
das ch iu ihm sowie desgleichen in chai (Deutscb tsehabo Knabe,
PI. die Kinder) ist Engl, (also tsch) zu sprechen, was weder im
Griech. noch Lat. durcb ^ odtir eh hätte wiedergegeben werden
könuen. Das -eni in dem räthselhaften Canacbeni ist natürlich
der bei Asiatiscben Völkern von den Griechen oft augewendete Aus¬
gang -7/i/ot, z. 1). ' Aßvd>]voi. Wer überdies kenut Türkische
Stämme und Türkische Sprache iu Vorderasieu zu Arnobius Zeit,
von denen doch Qarächi herrühren soll ? — Armstrong hat im Suppl.
zu dem Gaelic Diet. Gio bag, aig s. f. A gipsey (k.aum wohl
694 Mordtmann und Pott, Zigeunerisches.
dazu); a largess, a boon, was aber nicht im Highl. Soc. Diet. —
Bei Leo Africanus wird von den Goran gesagt, sie seien ein bar¬
barisches Volk mit gänzlich unverständlichem Idiom : una generazione
di Zingani. Barth, Sprachen Centraiafrikas Einl. S. LXVI. — Albr.
Weber macht in der Anz. vou Elliot's Races of the North western
Provinces of India (Lond. 1869.) im Centralbl. 1870. S. 851. auf
die D'om's dort Vol. I. p. 84. aufmerksam, „mit deren Beschrei¬
bung die der Zigeuner oder Rom sebr gut stimme". Hierauf hatte
uun schon längst Herm. Broekhaus (meine Zig. 1. 41. II. 528.)
aufmerksam gemacht, wie denn selbst bei der rhotakistischen Natur
des cerebralen Anlautes in D o m Aehnlichkeit mit Rom (eig. bloss :
Mann), welchen die Zigenner sich selber geben, zu Tage liegt.
Vgl. D'ama eine verachtete Mischlingskaste PWB. III. 182. 186.
Lassen, Alterth. I. 385. 456. Zus. S. LXXVI. vgl. Bataillard Nouv.
Recb. p. 33. — Entscheidung wäre erst möglich durch nähere Kunde
über die Sprache der D'oms. Bis dahin hat man alle Ursache,
sein Urtheil einzubehalten. Es tbeilt mir nämlich seit lange Die¬
fenbach mit: „Die Doms sprechen nach dem Missionär Lösch
(Ausl. 1844. Nr. 97.) einen canaresischen Dialekt, gehören
demnacb nicht zu der ersten, schwärzesten Schichte der vorhindui-
schen Inder, sondern zu der zweiten, dem grossen dekhanischen
Stamme". Das Idiom der Zigeuner aber wird man nicht als wirk¬
lich Arisch misskennen dürfeu. Es ist nicht Canaresisch. Von
Elliot wird z. B. berichtet: There are several Doms or Domras,
scattered over the Western districts of tbese Provinces, and in
Bundelkhand and Saugor, who are engaged in the menial occupations
of making ropes, fans, mats, aud such like articles. In Oudh the
term Dom is applied to sweepers, as Bhangi and Chuhra are
elsewhere. Von den Bhangi s. p. 31. — Es bemerkt aber T r u m p p
Z. d. D.M.G. XV. 694: „So viel ist mir zur Gewissheit geworden,
dass die Bhangls ursprünglich Sindbis sind; Sprache, Hautfarbe,
Kopf-Bildung, die allgemeine Physiognomie, alles spricht dafür; nur
sind sie im Durchschnitt kleiner und sehen etwas heruntergekommen
aus, was sich aber leicbt aus ihrer unzureichenden Lebensart er¬
klären lässt ; wie sie zu ihrer jetzigen degradirten Position gekommen
sind, wissen sie selbst nicht anzugeben. Mir hat sicb immer die
Ueberzeugung aufgedrungen, dass wir in diesen Bhangis unsere
Zigeuner zu suchen haben ; dass sie in Sindh heimisch sind , ist
unzweifelhaft; aber sie wandern auch tief nach Beluchistän und Persien hinein, wie icb selbst einmal Gelegenheit gehabt habe mich zu überzeu¬
gen". Beachtung verdient nun, dass Sinde (wie es scheint, nur im Plur.
gebräuchlich) einer der Namen ist, welchen die Zigeuner unter sich
füliren (Zig. I. 32.). In Betrelf von Bhangi (angebl. Bhang = Trin¬
ker, im Sskr. bbanga das aus der Hanfpflanze bereitete berau¬
schende Getränk) sei daran erinnert, wie das Zig. beng für Teufel
(Zig. II. 407.) noch keine sichere Aufklärung gefunden hat.
Die Zigeuner besitzen unleugbare Geschicklichkeiten.
Mordttnann und Pott, Zigeunerisches. 695
,"'o lese ich in der Zeit, für Norddeutschland 6. Sept. 1856. Abend-
».asgabe : „Eineu interessanten Beitrag zur modernen Zuuftgeschichte
hat die Mediascher Schmiedezuuft geliefert, welche sich bei der
Kronstädter Handelskammer bitterlich beklagt, dass die Zigeuner¬
schmiede nicht bloss mit Reparaturen sich befassen , sondern auch
allerlei neue Schmiedeartikel anfertigen. Die abscheulichen Zigeu¬
ner! Dass sie ohne Lehrzeit und Meisterbrief eben so gute Schmie¬
dearbeit liefern können, als die ehrbarsten festgesessenen Kunst¬
schmiede". — Weiter: Aus dem Osten der Oesterr. Monarchie.
Ein Lebensbild von Land und Leuten, von Edmund Freih. von
Berg. Dresd. 1860. S. 191: „Nora ist, wie viele der Banaler
Gebirgsflüsse Gold führend und das hatte die Gründung des Zigeuner-
Dorfes Slatizta [Ksl. zlato, aurum; wahrsch. mit dem Suff, isce
Dohr. Inst. p. 305. zur Bezeichnung des Ortes] zur Folge, wo sich
diese Nomaden ansiedelten' und Goldwäscherei betriebeu, im
Kleinen noch betreiben". Beschreibung des Dorfes. „Die Banaler
Zigeuner sind in ziemlicher Anzahl angesessen und treiben dann
vorzugsweise Schmiede- oder Hüttenmännische Arbeiten und
dgl., auch helfen sie deu Bauern in ihren Ackergeschäften. So
sah ich in Neu-Moldova in den Kupferhütten fast uur Zigeuner, auf
den Eisenwerken zu Russberg und dem zu Redschitza waren viele
beschäftigt. Man lobt sie als geschickte und willige Arbeiter, aber
klagt über ihre grosse Neigung zum Stehleu. Die wandernden
Zigeuner sind theils Rosshändler und Pferdeärzte, repariren alle
Kessel und Pfannen u. dgl., viele aber ernähren sich von der Musik,
worin sie besonders auf den Saiteninstrumenten eine grosse Fertig¬
keit besitzen. Bessere Tanzmusik als eine gut eingespielte Bande
Zigeuner kann man nicht hören, und der Ungar behauptet, dass
nur der Zigeuuer den Csardas mit dem gehörigen Schwünge zu spielen
vermöge. Ein Hauptnahrungsquell ist der Bettel, welchem alle,
vorzüglich aber Weiber uud Kinder obliegen. Alte Weiber treiben
Wahrsagerei i), verkaufen allerlei Mittelchen gegen Liebesschmerzen,
Amulete, Klappersteiue , könuen verborgene Diebstähle entdecken
und wissen den Bauern für die verschiedensten Dinge Rath zn
geben". — „Die Zigeuner, ausgezeichnet durch ihre braungelbe Haut,
lange krause rabenschwarze Haare und eben solche glühende Augen,
rothe Lippen uud glänzend weisse Zähne, sind im Allgemeinen
ein hübscher wohlgebildeter Menschenschlag, unter den jungen Wei¬
bern trifft man nicbt selten an Gesichtsbildung und Ausdruck, sowie
an Ebenmass der Formen wahre Schönheiten. Sie heirathen sehr
früh [s. auch Gobineau, l'inegalite des races hum. 1. 210. 212.],
ich sab bei einer wandernden Gesellschaft ein sehr hübsches junges
Weib von 14 Jabren mit einem kleinen Kinde". — S. 195: „Im
1) „Du gäbest einen bösen Zügeuner ( Du kannst nieht wahrsagen )", Schottel, Haubtspr. g. 1137.
4 7 *
696 Mordtmann und Pott, Zigeunerisches.
Banate haben die Z. ihre eigne Sprache, die meisten verstehen
Walachiseh, die Angesessenen alle".
„Die Zigeuner in Ungarn, welche die besten Musiker und
die schlechtesten Soldaten seien." Scbmellcr, Münchner Gel. Anz.
1844. S. 821. aus Kollar. — In der Weserzeitung 9. März 1854:
Bei Lord Palmerston war vorgestern Tafel zu Ehren der Herzogin
von Cambridge und ihrer Tochter, der Prinzessin Mary. Die hier
seit 2 Jahren gastirende ungarische Musikkapelle Kalozdy's, zumeist
aus Zigeunern bestehend, spielte bei und nach der Tafel, und
merkwürdig genug — der Ton der Zigeunergeige, von dessen Wir¬
kung auf den magyarischen Pussten die ungarischen Poeten so viel
zu erzählen wissen , übte diesmal seinen Zauber auf die fashiona-
bleste Gesellschaft Englands aus. Die Tauzlust wurde so mächtig,
dass obwohl früher durchaus keine Ballvorbereituugen getroffen wa¬
reu, bis tief in die Nacht hinein gewalzt wurde." — Zigeuner¬
lieder fiuden sich in v. Vinck, Hose und Distel. -— Feruer in
Prutz, Deutsches Museum. Juni 1861. Nr. 26. S. 955: „Diese
schmutzigen, schwarzhaarigen Gesellen (Zigeuner) mit seeleuvollen
Gluthaugen verstehen bekanntlich keine Noten , sondern spielen
nach dem Gehör. Der Kapellmeister spielt ihnen eiu Stück vor,
welches er sicb vorpfeifen liess, und dazu muss sich jedes Instru¬
ment eine Begleitung improvisircn. Trotzdem spielen sie mit un¬
geheurer Präcision, können aber eine gewisse Monotonie der Be¬
gleitung nicht vermeiden; auch fehlt ihnen das Verständniss der
deutschen Musik. Meisterhaft dagegeu tragen sie die melancholi¬
schen ungarischen Compositionen vor, welche sie mit allerhand
Schnörkeln verzieren. Zwar haben alle diese Compositionen iu
Tonart, Üebergängen, Ausweichungen und kecken Sprüngen eine
solche Armuth, dass man alle gehört hat, wenn man eiu halbes
Dutzend hörte , aber jede Zigeunerbande hat ihre eigenthümliche
Art des Vortrags und bringt dadurch Mannicbfaltigkeit in den Vor¬
trag. Besonders seelenvoll verstehen sie die tief melancholischen
Adagios vorzutragen, denen aber wie der gauzen Musik das abgeht,
was mau Melodie uennt. Daher behalten sich diese ungarischen
Weisen so sehr schwer, da diese Naturmusik ziemlich anarchisch
durcheinandergeht und sich um die Kunstregeln nicht kümmert." —
Wocheuchronik der „Europa" 1861. Nr. 21: „Franz Liszt's
Buch üher die Zigeuner und ihre Musik iu Ungarn [Liszt ist be¬
kanntlich selbst Ungar von Geburt] liegt uns jetzt in Deutscher
Bearbeituug von Peter Cornelius vor und nicht obne Interesse
haben wir dasselbe nochmals gelesen. Unbestreitbar bat Liszt iu
oft geistreicher Weise manehen interessanten und ebarakteristischen
Aufschluss über die Verhältnisse der Zigeuuer in Ungarn und ua¬
mentlich über ibre Beziebungen zu der mit ihnen so eng verwach¬
senen Musik gegebeu. Mau war gewöhnt, den Zigeuner nur als
einen Paria und seine Musik nur als den natürlichen Auswuchs
eines angebornen Triebs zu betrachten , dem es an jeder künstleri-
4 7 *
Mordtmann und Pott, Zigeunerisches. 697
sehen Ausbildung fehle. Liszt geht auf das Alles, wie auf der
Zigeuner ganze Lebensstellung in Ungarn ziemlich ausführlich ein.
Zu bedauern ist nur, dass die deutsche Bearbeituug oft äusserst
unbeholfen, schwerfällig und mit fremden, meist französischen Wör¬
tern durchflickt ist." — Siehe ausserdem: „Die Sprache der
Zigeuner. Nach eigner Erforschung. Von A. Leist" in Ausl.
1864. Nr. 37. S. 880—884. Leist, vereideter Translator der Un¬
garischen Sprache in Norddeutschland 1863 —4., kam mit vielen
Zigeunerischen Musikern in geschäftliche Berührung. Unter Anderem
bemerkt er: „Von den Ungarn werden die Zigeuner Zigany, lat.
Zingari genannt, welcher Name den Zigeunern selbst aber ganz un¬
bekannt ist. Denn sie nennen sich in ihrer Sprache Kom, PI.
Koma, d. h. Mann und Männer, welches wohl ihre ursprüngliche
Benennung kaum sein dürfte, da dieselben anderwärts noch andere
Nationalnamen führen. Die beliebte Selbstbenennung „More" ist
von mro, moro, mein, abgeleitet und bedeutet s. v. a. Einer der
Meinigen, sowie denn auch die Slavonier sich gewöhnlich Naschki,
d. h. die Unserigen nennen, und znate naschki? Sprichst Du
unserisch? bei denselben eine gewöhnliche Kedensart ist." In Tom
Jones Bd. IV. wird ein Begegniss rait Zigeunern geschildert. Sie
uennen sicb da ( in der Deutschen Uebers. ) „unsere Leute".
Ueber rora s. raeine Zig. 11. 275. Von Volksbenennungen mittelst
des allgeraeinen Ausdruckes für Menschen, die scbon Zig. L 39.
rait Beispielen belegt worden, mag hier noch ein neues beigebracht
werdeu aus Adelung's Mithr. III. 2. 557: „Die Chiquitos in Amerika
nennen sich selbst naquinoneis, d. i. Mensch, Mann". Entspringt
aber anders More, was zufolge Grellraann S. 17. Ausg. 1. kein
Volksnarae, sondern Zuruf ist, übrigens aber zu mancherlei wun¬
derlichen Deutungen Anlass gegeben hat, wirklich aus dera Pron.
Poss. (bei mir Zig. I. 237 fg. ): so wäre ich geneigt zu glauben,
Zigeunertrupps, die eiuander begegnen, begrüssen sich mit jeuem
Zuruf: Nostrates (Siehe da — welche von den Unseren). Ich kann
es überdem nur für deu Plural halten, uud zwar maare (nostri,
und nicht raire, raei) etwa unter Zudenken von romraa (Leute).
Doch werde ich wieder hieran irre durch : dza raore Geh Kamerad.
Ztschr. d. D. M. G. IIL 327.
Auch giebt es Nachrichteu von Zigeunern, die sich in anderen
Künsten ausser der Musik bervorgethan. So heisst cs in den Wei¬
marischen Jhb. Bd. V. S. 251: „Zollers kurze Naebricht (iu den
Bildern aus Schwaben) vou eiuer Darstellung des Faust durch
Zigeuuer kaun bier, so interessant sie soust ist, nicht iu Betracht kommen, da sie wesentlich in die Don Juan Sage hinüber spielt." —
Von dem Maler Zingaro, dessen Fresken Hettner beschrieben hat
und den raan etwa in die Zeit Glan Bellini's setzt (vgl. Stabr „Ein
Jahr in Italien" 1853. Bd. II. 202.), weiss ich freilich nicht, war
das blosser Spitznarae, oder jener wirkliche Zigeuner, welcher zu¬
folge Predari sich zu einera nicht ungewöhnlichen Maler empor-
698 Mordtmann und Pott, Zigeunerische».
schwang. — „Die Volksdichtung der Zigeuuer" ist ein Anfsatz von
Heinr. Simon in: Prutz, Deutsches Museum 1861. Nr. 5. über¬
schrieben. S. 164 sind ausser Zigeuner-Liedern aus Spanien, Russ¬
land und der Walachei auch einige , die in Ztschr. d. D. M. G. ÜL
331. aus Ungarn durch mich mitgetheilt worden, in Uebersetzung
beigebracht. — S. 161. „Sur [Sskr. sürya Sonne] uud Tschandi
[Sskr. Chandra Mond ; also wie Apollo und Artemis] sind Bruder
und Schwester; sie sind geboren in dem dunkeln Gefängniss
[also aus dera Dunkel, von der Nyx], in der Höhe des Hiraraels,
wo der Pol liegt. Von dort beginnt Sur seinen Lauf, dort ist
Tschandi 7 Tage lang [ein Viertel Monat = 1 Woche] eingeschlos¬
sen. Denn beide sind die Hände des Schöpfers ; die Zeugen seiner
Ewigkeit, sind sie die Leiter der Zeit für den Menschen. Wie
alle Frauen ist Tschandi launisch veränderlich. Bald erscheint sie
blass und niedergeschlagen, bald feurig und strahlend. Und wie
die Männer ist Sur heiss und glühend, wenn er strebt nach dem,
was er liebt; kalt und gleichgültig, wenn er seine Wünsche gesättigt
bat. So lieben Sur und Tschandi, so fliehen und suchen sie sich
an dem Gewölbe des Himmels, und fragt man Tschandi, wober sie
koramt, so antwortet sie: „Ich irre durch die Welt nach dem Wil¬
len des Schöpfers und suche meinen Geliebten, den ich verloren
habe." Diese Ueberlieferungen , welche offenbar Indischen i) Ur¬
sprungs sind, haben sich bei allen Stämraen der Zigeuner erhalten
und weisen unfehlbar auf ihre Abstammung aus diesem Lande hin.
So glauben sie auch an die Seelenwanderung, jene Lehre des
Buddha, nach welcher die Seelen der Gestorbenen in andere Körper
übergehen und nach 1000 Jahren wieder die raenscbliche Gestalt
annehmen. Merkwürdig scheint es allerdings, dass jede Erinnerung
an ihre Heimat bei den Zigeunern verlöscht zu sein scheint; sie
haben nur nocb eine dunkle und unbewusste Erkenntniss der Lehre
Buddba's, dessen Narae selbst ihnen fremd ist [vielleicbt nie be¬
kannt war], in dem Glauben, dass es nutzlos sie zu tödten, da sie
nicht sterben könnten. Sie selbst [d. h. wahrscheinlich auf, wie
oben gezeigt worden, christliche Speculationen hin, die man ihnen
1) Ich muss bekennen , dass es zwar damit seine Richtigkeit haben mag, dass diese, ich weiss nicht ob ein wenig europäisch zugestutzte Erzählung, Indischen Typus an sich trägt. Jedoch habe ieh von keinem einzigen, wirk¬
lich als Zigeuner ausser Frage gestellten Stamme sei es in Asien oder in Europa von obiger Erzählung vernommen. Im Sskr. ist Tschandra ein männlicher Mondgott, und chan dri als fem. bezeichnet laut PWB. II. 940 nur Serratula anthelminthica Roxb. Das i in Tschandi wiese allerdings auf Feminal-Charakter hin; und eine Luna wäre ja an sich nichts Unmögliches, wie wir Deutschen ja sogar die Sonne zum Weibe herabgesetzt haben. Vgl. auch Säurt als The wife
of the sun mein WWB. II. 733. Uebrigens kommt launisch wirklich von
luna her, s. Ben. I. lüue Mond (als Lehnwort); Mondphase; Veränderlichkeit, Laune des Glücks ; die wechselnde Gemüthsstimmung der Menschen. — Auch
von dem Glauben an Seeleuwanderung bei den Zig. ist mir anderweit
nichts bekannt.
Mordln: nnn und PoU . Zigeunerisches. 699
einpfropfte!] leiten noch immer ihre Abstammung aus Aegypten
her und manches ihrer Lieder spielt auf dieses Land an. In Un¬
garn singen die Zigeuner ein Pharao-Lied, in welcbem ihre
vergangene Grösse und Pracht gepriesen uud das ihnen selbst beim
Singen Thränen entlockt." Ueber dessen Inhalt s. S. 161.
Ich hatte einen gar lieben Freund, Es war ein Zigeunerkind;
Da führte ihn plötzlich fort von mir
Der eisig wehende Wind.
Doch hoff" icb znm ewig waltenden Gott, Er bringt ihn wieder zurück:
Dann nimmt er an meiner Seite Platz
Und küsst micb rait freundlichem Blick.
Gleich dem stürzenden Wasser
Wogt meiner Freundin Brust.
0 zürne mir nicht, Geliebte, Ich bin keiner Schuld mir bewusst.
Ich habe zwar nur den Einen Rock,
Doch bleibt mir der nur allein, So gehe ich in die nächste Stadt
Und kaufe dafür mir Wein.
Ich trat in eine Schenke, Und schlug die Krüge entzwei:
„0 Wirth, bezahl sie Dir selber.
Ich habe kein Geld meiner Treu."
„Ha, was machst Du da, Gefährte,
Ruhst Du von der Arbeit aus?"
„„Siehst Du nicht, ich schmied' 'ne Pfanne, Glaubst Du, dass ich lecke draus?""
Als Beispiel der Beredsamkeit, wenigstens ira Genre des
Verfluchens, diene ( Schwetschkische Zeitung Halle 1862. Jan.
Beil. zu Nr. 24): „Bei einer Gerichtsverhandlung in Wien stiess
ein Zigeunerweib folgenden Fluch in Ungarischer Sprache aus :
„„Der Wind möge Dir nachbrausen, wenn Du den Saal verlässt,
und soll jedes deiner Gebeine in eine andere Hölle tragen. Du
sollst mit Blindheit und Wahnsinn geschlagen sein. Du und Deine
Kindeskinder, damit Du sie anders siehst und hörst als sie sind,
weil Du heute anders ausgesagt, als Du wirklich gehört und ge¬
sehen."" — Ueber Zigeuner, die einen grossen Theil der Bevölke¬
rung von Triana (Trajana?) bei Sevilla ausmachen, rait einem Bilde
„Leichentrauer der Zigeuner in Triana" im Globus Bd. XI. 5. Lief.
700 Mordtmann und Pott, Zigeunerisches.
1867. S. 132, Daselbst S. 134: „Davillier tbeilt den Text eines
Fluches (Olajäi) im Cal 6 [eig. Schwarzer], der spanischen Zigeu¬
nersprache, mit: Panipen gresite terete tucue drupo (sonst mit t:
Körper)! Dein Körper möge ein schlechtes Ende nehmen. [Wohl
sehr frei übersetzt.] Camble ostebe sos te diqueles on as baes dor
buchil, yarjulipe sata as julistrabas. Gebe Gott, dass Du unter die
Hände des Schinders kommst und geschleift werdest wie Schlangen.
Sos de mereles de bocata y sos les galafros te jalij)een ! Möchtest
Du verhungern [Hungers sterben] und die Hunde dich auffressen !
Wissen die Zigeuner sich fremdeu Aberglauben zunutze zu
machen : so scheinen sie theilweise doch auch iu eignem befangen.
Man nehme: Verbrechen aus Aberglauben (Ausl. 1864.
Nr. 52. S. 960): „Aus Griecbenland erbalten wir von einem der
seheusslichsten Verbrechen Kunde, das dort kürzlich zur Untersu¬
chung uud Bestrafung gelaugte. Ein Muselman, der von Zigeunern
abstammte und vor 2 Jahren nach Griecbenland geflüchtet war,
um der Rekrutirung zu entgehen, hatte sicb auf der Insel Euböa
in einem Dorfe der Eparchie Chalkis niedergelassen und war zum
Christentbum übergetreten. [Aus Religionsvveebsel machen sich die
Zigeuner nichts; sie sind die ärgsten Indifferentisten !] Aber er
hatte damit den Aberglauben der Zigeuner nicht abgelegt, und er
hatte, weil cr glaubte, dass, wenn er Fett von einem lebenden Men¬
schen sich verschaffte und daraus Talglichter machte, er damit die
verborgenen Schätze auffinden könne, einen ihm zufällig begegnen¬
den Wanderer in einem abgelegeneu Walde überfallen und ihn an
einen Baum gebunden, ihm sodann den Leib aufgeschlitzt und die
Eingeweide [alle? und doch lebend?!] herausgenommen, ihn selbst
aber lebend am Baum hängen lassen. Eine vorübergehende Frau
hatte den Unglücklichen in diesem Zustande gefunden und Anzeige
davou gemacht, die Sache kam vor die Gerichte, der Thäter ward
entdeckt und obgleich er bis zum Ende der Untersuchung leugnete,
erklärten ihn die Geschworneu gleichwohl [und auf welche Indicien
hin?] für die That selbst schuldig und der Gerichtshof verurtbeilte
ihn zum Tode." — Dem Buche: Aus der Oberpfalz. Sitten und
Sagen. Vou Friedr. Schön werth. Dritter Th. 1859. entnehme
icb Folgendes: „Unter den Teufelsmenschen" begegnen wir zunächst
den Zigeunern. Sie waren früher sehr häufig iu der Oberpfalz,
einst bis zu 40,000 Seelen, sind aber jetzt uur selten anzutreffen,
an der böhmischen Grenze, aus welcher sie herüberstreifeu. Sie
sind gefürchtet, obschon sie als Feuerbanner gute Dienste thun,
denn ihre Verwünschungen werden alle wahr, weil sie das sechste
und siebente [!] Buch Mosis bei sich führen und daraus aller Zau¬
berei kundig sind. Die Oberpfälzer Sage berichtet aber auch, dass
sie den Gebrauch gehabt, ihre Leute, wenn sie alt uud gebrechlich
wurden, lebendig zu begraben. Alte Leute bei Tiefenbach
denken es noch, wie die Zigeuner eine Grube machten und eine
Alte hiueinstürzten mit den Worten: „Gieb Dich zur Ruhe, denn
Mordtmann und Pott, Zigeunerische». 701
Du kannst nicht mehr mit uns gehen !" Eine andere, die sie wegen
hohen Alters nicht mehr fortbringen konnten, gruben sie zwischen
Warnfels und Wassermungerau mit den Worten ein: „Duck Dich,
Alte, hast lang genug gelebt"; eine Dritte liegt auf der Boyawiese
bei Obernried. Sie legten ihr eine Schüssel auf den Kopf und ver¬
deckten sie in der Grube, indem sie ihr zuriefen: „Alte, gieb Dich
znr Ruhe, Du hast lange genug gelebt."
Ueber eiuen Zigeunerkönig s. Quickborn S. 299. und vgl.
177. Auch habe ich irgendwo die Angabe gefunden: Die schotti¬
schen Zigeuner habeu sich einen neuen Souverän gewählt, und zwar
diesmal eine Königin. Sie heisst Esther Foa Blytbe, und
wurde am 26. Nov. 1861. rait den entsprechenden Feierlichkeiten
gekrönt. Wie der Name wahrscheinlich macht, ein Ereigniss, das
nicht ausser Zusamraenbang steht rait Will Faa, dem 96 J. alt
verstorbenen König der Zigeuuer in Schottland, und Prinz Blyth,
worüber Zeitschr. d. D. M. G. III. S. 324. Ueber deu Zigeuner-
König Joseph Lee s. Zig. II. 265. unter rai, Herr u. s. w.
Ehemals ist vorgekommen, dass man auf die Zigeuner förmlich
Jagd machte uud sie wie gehetztes Wild unbarraberzig niederschoss.
Aucb jetzt noch gerathen sie wegen Unfügsamkeit in sesshafte bür¬
gerliche Verhältnisse begreiflicher Weise vielfach mit der Policei in
Conflicte ; und hat man oft nichts Eiligeres zu thun , als dass sie
ein Staat, wo möglich, dera anderen zuschiebt. Vgl. raeine Zig.
IL 522. und Ungleichheit der Rassen S. III. Hiervon ein Beispiel
aus der Nationalzeit. Dienst. 13. Juli [Jahr habe ich leider versäumt
rair anzumerken] unter: Verschiedenes: Hannover, 6. Juli: „Im
verflosseneu Sommer berichteten süddeutsche Blätter von einer 20
bis 30 Köpfe starken Zigeunertruppe, welche am Rheine hin¬
unter, nacb Westfalen zu Vagire, Nachts im Freien ihr Lager nehme
und vou deu Behörden bislang unangetastet geblieben sei , weil an¬
scheinend Niemand mit diesem, meist heiraatloseu Gesindel sich
befassen wolle. Hieraus erklärt es sich denn, dass diese Truppe
ungestört bis in das hiesige Königreich gelangen konnte, wo die¬
selbe ira verflosseneu Herbste in drei verschiedenen Haufen von
6—12 Köpfen an den Weserplätzen Grohnde, Haraeln und Stolzenau
in Haft genoramen wurde, und zwar der stärkste in Stolzenau, dem
es bereits längere Zeit hindurch gelungen war, zwischeu der Uuter-
weser und Unterelbe zu vagiren. Naeh vielfachen Bemühungen der
betreffenden Behörden ist es gelungen, für die säramtlichen Zigenner
bis auf fünf der iu Stolzenau Angehaltenen Angehörige, eine Heimat
in den deutschen Nachbarstaaten, zum Theil auf Grund der Be¬
stimmungen des s. g. Gotbaer Vertrages, ausfindig zu raachen. Ein
Theil gehört der von Friedrich H. zu Friedrichslohra, Kreis
Nordhausen, gegründeten Zigeunercolonie an, deren Bevölkerung in
den dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts in Folge der Anwendung
strengerer Zucht zum Theil entwich und bisher nicht zurückkehrte.
Ein andrer Theil gehört uach den Elbherzogthümern, dem sog.
702 Mordtmann und Pott, Zigeunerische».
Paradiese der Zigeuner. Das Haupt der ganzen Truppe erhenkte
sich im Polizeigeftlngnisse in Hannover. — Den fünf übriggebliebenen
Mitgliedern sollen von der hiesigen Regierung die Mittel zur Aus¬
wanderung nach den nordamerikanischen Freistaaten gewährt sein". —
Hall. Tagebl. Freit, den 4. Aug. 1865: „Am Mittw. gegen Abend
zogen eine Menge Wagen — man will 20 gezählt haben — mit
Zigeunern besetzt durch die Stadt. Sie kamen ins Steinthor und
richteten ihren Zug nach dem Klausthore zu. Bekanntlich giebt es
in der Nähe von Nordhausen einige Dörfer, die ihnen schon von
Friedrich dem Gr. zum Aufenthalt angewiesen sind, in denen sie
aber bei weitem nicbt immer wohnen. Vielleicht dass sie das Ziel
ihrer Reise sind". In der Leipz. A. Z. 1845. Nr. 7. befiudet sich
ein aus der Moldau vom 26. Dec. datirter Artikel, worin Folgendes
vorkommt: „Das Zartgefühl der Frauen der Moldau mag es be¬
zeichnen, dass sie sich oft das Vergnügen machen, ihre halbnackten
Dienstleute, besonders die Köche, die aus Zigeunern besteben, ohne
Unterschied des Geschlechts durch den Vataven (Aufseher) geisselu
zu lassen und sodann sie zum Schlüsse mit eigner Hand durchzu¬
prügeln, wobei diese Opfer oft, wenn nicht aus Mitleid gleich ganz
todt, doch zu Krüppeln geschlagen werden". — Das wird sicb frei¬
lich seitdem gebessert haben. Wenigstens gemäss dem, was die
Schwetschke'sche Hall. Zeit. Mittw. 19. März 1856. berichtet: „Das
Amtsblatt der walaehischen Regierung vom S.März 1856. ver¬
öffentlicht das Gesetz über die Emancipation der Zigeuner.
Es finden sicb darin folgende Bestimmungen: Die Sklaverei hört
auf. Jeder Zigeuner, der sich noch in dieser Kategorie befindet,
ist frei und wird sogleich in die Listen der dem Staat Steuer zah¬
lenden Individuen eingetragen. Die Entschädigung, die den Eigen¬
tbümern derselben bewilligt wird, beträgt 10 Dukaten für jeden
Kopf Zur Abtragung dieser Summe fliessen alle Steuerzahlungen
der Zigeuuer in den Fonds, der seit 1847. für deren Befreiung
creirt ist, und dem bereits 931,050 Piaster jährlich zugehen; auch
andere disponible Fonds werden zu dem gleichen Zwecke verwendet
werden. Jeder Eigenthümer, der dem Staate durch unentgeltliche
Freilassung der Zigeuner ein Opfer bringt, wird in ein eignes Buch
mit goldnen Buchstaben eingetragen, welches in vier Exemplaren
aufgelegt wird, wovon eins in der Metropole, die anderen drei
aber in der Rimniker, Argischer und Buzemer bischöflichen Kirche
niedergelegt werden. Diejenigen Zigeuner, weicbe in Dörfern, in
Häusern oder Erdhütten wohnen, bleiben daselbst und werden in
das Dorfregister unter die Steuerpflichtigen eingetragen. Jene aber,
die ohne festen Wohnort herumwandern, werden in Städte oder
Dörfer je nach ibrem eigenen Wunsche ansässig gemacht und dürfen
während der Dauer von zwei Conscriptionsperioden (20 J.) nicht an
einen anderen Ort übersiedeln. Ein Tag wird bestimmt werden, in
welchem in jedem Jahre das Andenken an das Aufhören der Skla¬
verei in dem Fürstenthum feierlich begangen wird. An diesem Tage
Mordtmann und Pott, Zigeunerisches. 703
wird in allen Kirchen ein grosser Gottesdienst gehalten, und es
werden die Namen derjenigen Wohlthäter verlesen werden, welche
ihre Leibeigenen unentgeltlich freigelassen haben, indem für die¬
selben der Segen des himmlischen Vaters erfleht wird. Die Regierung
wird einem jeden dieser grossmüthigen Eigenthümer ein Diplom
ausstellen, iu welcbem sie ihren Dank öffentlich ausspricht, damit
sich in deren Familien von Generation zu Generation das Andenken
an die edlen Gefühle dieser ächten Patrioten erhalte. Ausserdem
wird die Regierung solche Schenkungen von Leibeigenen, sei es
von wem immer, mit Dankbarkeit auerkennen und für grössere
Gaben auch Belohnungen ertheilen, nacb dem Maassstabe der auf
dem Altar der Humanität dargebrachten Opfer". Man sieht, die
walaehische Regierung hat es nicht an gutem Willen fehlen lassen.
Schon aus der Ersten Beilage zur Schwetscbkischeu Zeit. Nr. 48.
1856. erfahren wir: „Nach Wiener Nachrichteu hat am 7. Febr.
die walaehische Generalversammlung sich mit 11 gegen 10 Stimmen
[also mit nur 1 Stimme Mehrheit!] für die Emancipation der Zi¬
geuner entschieden; es befinden sich deren 70,000 in der Walachei.
Die Regierung entschädigt die gegenwärtigen Besitzer durch all-
mäliche Abzahlungen". — Auch Oesterreich zählt der Zigeuner
keine geringe Menge. In der Wiener Zeit. Oct. 1857. finden sich
folgende Angaben: Von den asiatischen Stämmen sind in Oester¬
reich 4,866,556 od. ^^j^^ Proc. Magyaren, 15,996 od. 0,04 Proc.
Armenier, 83,796 od. 0,24 Proc. Zigeuner [vgl. Z. d. D.M.G.
HL S. 322.], und 706,657 od. 1,94 Proc. Juden. — 14,802,751 od.
*o/(;7 Proc. Slaven, 7,870,719 od. ^Vea Proc- der Gesammtzahl
Deutsche, 8,051,906 od. ^^^ig Proc. Romaneu, und 5,672,978 od.
15,59 Proc. asiatischer Sprachstämme, zusammen 36,398,354 Einw.
Vielleicht sind diese unzusammenhängendeu Bemerkungen an
sich nicht ganz ohne Interesse. Sie möchten aber auch demjenigen
zur Erleichterung seiner Arbeit dienen, welcher inskünftige mit den
neuen, aber weithin verstreueten Hülfsmitteln eine erneuete Unter¬
suchung über die Zigeuner unternimmt.
704
Notizen und Correspondenzen.
Notiz liber n;^ m?i2.
Seit Hottinger (Thes. phil. 1659 p. 95) aus Ephodi (Wien
1865 p. 11) und Galatinus den Ausdruck n^ianpu (sic) als eineu
der gebräuchlichen Gesammtnamen des A. T. aufgeführt hatte, ist
diese Angabe durch die meisten Einleitungswerke bis auf Schrader's
Bearbeitung des de Wette'scben Lehrbuchs herab fortgepflanzt wor¬
den. Bei Besprechung des letzteren Buches in der Revue eritique
1870 p. 114 wird Einspruch gegen die Vorstellungen erhoben, dass
das Wort je als Bibeltitel gedient habe, und vermutbet, es sei
bloss eine individuell einmal zu erbaulichem Zweck gewählte Be¬
zeichnung. Für die erstere Meinung liesse sich schon aus Ephodi
selbst geltend machen, dass er einen Grund zu finden sucht, wess¬
halb nicht das Tetragrammaton, sondern die Form rf dabei auge¬
wendet ist, und also voraussetzt, mit einem feststehenden Ausdruck
zu thun zu haben. In der That aber fiuden sich auch in der von
Neubauer (Archives des missions scientifiques 1868 p. 426) abge¬
druckten Unterschrift eines 1847 in Tarragona (njionü) geschrie¬
benen Bibelmanuscriptes die Worte : nifflip?: Nipsn ison nt (auch
hier ohne Trennung des !T'), die offenbar für eiuen allgemeineren
Gebrauch des Titels beweisend siud. Sebastian Münster gab seinen
Bibelausgaben vou 1534 uud 1546 die Ueberschrift, "i'np??;
Ephodi kannte er nicht; sollte er bloss durch Galatinus dazu ver¬
anlasst worden sein? B.
Ans einem Rrief« des Freiherrn von Maltzan.
Dresden d. 10. Mai 1870.
1) — jfr^»?, d. h. ^'u ,Vogelvater" , bedeutet im Sudan
und in der Regentschaft Tripolis den dort allgemein gangbaren
1) Diese Zugabe zu den von Consnl Dr. Wetzutein Kd. XVII (1863)
S. 390 u. 391 angeführten arabischen Benennungen europäischer Münzsorten wird Manchem vielleicht ebenso willkommen sein, wie sie mir war, da Herr von Maltzan mir dureb seine gefällige Mittheilung eine nordafrikanische Zu¬
schrift an Gerhard Ruhlfs vollständig verstehen half. Fleischer.