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Bundesverfassungsgericht stärkt die Einheit von Forschung, Lehre und Krankenversorgung

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Bundesverfassungsgericht stärkt die Einheit von Forschung, Lehre und Krankenversorgung

Zusammenfassung

Strukturelle Änderungen in Universitätsklinika nur unter engen Voraussetzungen zulässig

Mit seinem jetzt veröffentlichten Beschluss vom 27. 11. 2007 hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) der Verfassungsbeschwerde eines

A. Wienke

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1 Wienke & Becker - Köln

medizinischen Hochschullehrers und Klinikdirektors stattgegeben, mit der dieser sich gegen die Schließung einer von ihm geleiteten Betten- station an einem nordrhein-westfälischen Universitätsklinikum gewandt hatte.

Text

Der Vorstand des Universitätsklinikums hatte nach Anhö- rung des betroffenen Klinikdirektors gegen seinen Willen die Schließung einer Bettenstation der Klinik beschlossen, da diese seit längerer Zeit angeblich defizitär sei. Diese Maßnahme sei nur ein Teil des gesamten Umstrukturie- rungsprozesses im Universitätsklinikum, da man ange- sichts der bestehenden Finanznöte und der damit erfor- derlichen Anpassungsprozesse die Wirtschaftlichkeit des Universitätsklinikums auf Dauer gewährleisten müsse.

Einsparungen seien daher zur Erhaltung einer optimalen Patientenversorgung einerseits und einer nachhaltigen wirtschaftlichen Gesundung des Unternehmens anderer- seits zwingend notwendig. Bei der Beschlussfassung über die Schließung der Bettenstation war der Dekan der Me- dizinischen Fakultät als Mitglied des Vorstands des Uni- versitätsklinikums anwesend und hatte dem Beschluss zugestimmt. Ungeklärt blieb, ob die nach den Regelungen der Klinikumsverordnung erforderliche Zustimmung des Fachbereichs Medizin eingeholt worden war.

Der Klinikdirektor hatte gegen die Schließung der Betten- station u. a. vorgebracht, dass er durch diese organisato- rische Maßnahme in seinem Grundrecht auf Wissen- schaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes verletzt werde. Es sei zu erwarten, dass langjährige Stu- dien abgebrochen werden müssten, sich die Forschungs- tätigkeit nicht mehr auf die gesamte Breite des von ihm vertretenen Faches erstrecken könne und die Möglichkeit entfalle, interdisziplinäre Therapieansätze gemeinsam mit anderen, am Campus vertretenen Fachgebieten zu erforschen. Schließlich sei auch die vom Vorstand unter- stellte Annahme einer Unwirtschaftlichkeit der Bettensta- tion nicht korrekt.

Nachdem noch die Vorinstanzen die organisatorische Maßnahme des Vorstands des Universitätsklinikums im Verhältnis zum betroffenen Klinikdirektor nicht als rechtswidrig eingestuft hatten, entschied das BVG in seinem Beschluss vom 27. 11. 2007 nun zugunsten des

Hochschullehrers. Die vorangegangene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) verletze die Rechte des Hochschullehrers aus Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes und sei daher aufzuheben. Das OVG sei verpflichtet, im Rahmen der Fortführung des gerichtlichen Verfahren zu prüfen, ob der Fachbereichsrat der Medizinischen Fakul- tät der Universität mit der Frage der Schließung der Bet- tenstation befasst gewesen sei und dieser zugestimmt habe. Außerdem müsse das OVG die rechtlich maßgebli- che und in tatsächlicher Hinsicht komplexe Frage entschei- den, ob und ggf. inwieweit die Schließung der Bettensta- tion die Bereiche von Forschung und Lehre betreffe.

In seiner Begründung stellt das BVG insbesondere darauf ab, dass die Universitätskliniken wegen ihrer spezifischen Funktion und ihres gesetzlichen Auftrages der Erfüllung der wissenschaftlichen Aufgaben der medizinischen Fachbereiche an den Universitäten dienten. Zwar seien die nordrhein-westfälischen Universitätskliniken zwischen- zeitlich rechtlich verselbständigt worden; wegen der un- trennbaren Verknüpfung von Forschung, Lehre und Krankenversorgung an den Universitätskliniken dürfe je- doch das Grundrecht des medizinischen Hochschullehrers auf Wissenschaftsfreiheit auch bei seiner Tätigkeit in der Krankenversorgung nicht unberücksichtigt bleiben. Dem sei auch bei einer organisatorischen Trennung von Uni- versität (Medizinischem Fachbereich) und Universitätskli- nikum Rechnung zu tragen.

Das Hochschulgesetz und die hier maßgebliche Klinikums- verordnung normierten ein Einvernehmenserfordernis zwischen Universität und Universitätsklinikum bei Ent- scheidungen des Universitätsklinikums, soweit der Be- reich von Forschung und Lehre betroffen sei. Da dieses Einvernehmenserfordernis eine Sicherungsfunktion gera- de für die individualgrundrechtliche Wissenschaftsfreiheit des medizinischen Hochschullehrers habe, komme die- sem Verfahrensrecht schützende Wirkung zugunsten des einzelnen medizinischen Hochschullehrers zu. Dieser habe daher einen Anspruch darauf, dass Organisations- maßnahmen des Universitätsklinikums im Bereich der Krankenversorgung, soweit diese Forschung und Lehre betreffen, nicht ohne Einvernehmen des Fachbereichs

1/3 GMS Mitteilungen aus der AWMF 2008, Vol. 5, ISSN 1860-4269

Mitteilung

OPEN ACCESS

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Medizin und damit unter Wahrung seiner insoweit beste- henden Einflussmöglichkeiten auf den organisierten Wissenschaftsbetrieb erfolgten. Denn die Mittelausstat- tung für Forschung und Lehre, die der Hochschullehrer wegen der organisatorischen Verselbständigung des Universitätsklinikums in seinem Verhältnis zur Universität und deren Fachbereich Medizin geltend machen müsse, würde gegenüber dem Universitätsklinikum gerade durch das Einvernehmenserfordernis sichergestellt. Für die Verwirklichung des individualgrundrechtlichen Schutzes der Wissenschaftsfreiheit sei die Wahrung des erforderli- chen Einvernehmens von zentraler Bedeutung.

Vorliegend habe zwar der Dekan als Mitglied des Vor- stands des Universitätsklinikums an der Entscheidungs- findung und der Beschlussfassung über die Schließung der Bettenstation mitgewirkt; ob diese Verfahrensweise der gesetzlich erforderlichen Herstellung des Einverneh- mens mit dem Fachbereich entspreche, sei jedoch vom OVG nicht ausreichend geklärt worden. Im Übrigen sei auch im Hinblick auf die Erforderlichkeit des Einverneh- mens und der damit einhergehenden Zuständigkeiten im weiteren Verfahren zu klären, ob überhaupt mit der beschlossenen Schließung der Bettenstation eine Ange- legenheit von Forschung und Lehre betroffen sei. Auch hierzu werde das OVG weitere Ermittlungen anzustellen haben.

Der Beschluss des BVG macht deutlich, dass auch nach der rechtlichen Verselbständigung der Universitätsklinika die Einheit von Forschung, Lehre und Krankenversorgung bei strukturellen Veränderungen und organisatorischen Maßnahmen im Betrieb eines Universitätsklinikums ge- wahrt bleiben muss und mit verfahrenssichernden Rege- lungen die Teilbereiche einer universitären medizinischen Einrichtung zur Geltung kommen müssen. Vielerorts werden an den Universitätsklinika derzeit aus in erster Linie wirtschaftlichen Gründen zum Teil drastische Um- strukturierungen im organisatorischen Bereich der Krankenversorgung vorgenommen, bei denen nach den bisherigen Erfahrungen nur wenig Rücksicht auf die Be- reiche Forschung und Lehre genommen wird. Modulares Großkrankenhaus, Medizinische Versorgungszentren (MVZ), integrierte Kooperationsstrukturen zwischen am- bulanten und stationären Behandlungseinheiten, opera- tive Facharztkliniken, fachgebietsübergreifende Dienste, Behandlungspfade, Scoresysteme und die Zentralisierung von Behandlungseinheiten sind Beispiele neuer Struktu- ren und Organisationsformen an deutschen Universitäts- kliniken. Die Aufgabenwahrnehmung in Forschung und Lehre fristet mancherorts bereits ein trauriges Dasein.

Auch die Einrichtung fakultätsübergreifender Forschungs- schwerpunkte und die zuletzt von politischer Seite ausge- rufenen Projekte der Forschungsförderung können über diese seit einigen Jahren zu beobachtende Entwicklung nicht hinwegtäuschen. Mehr und mehr wird über demoti- vierte, schikanierte, frustrierte und in der Krankenversor- gung verschlissene Mediziner an Hochschulkliniken be- richtet, die in den Strom der in das Ausland abwandern- den Kollegen eintauchen.

Der Beschluss des BVG gibt zu der Hoffnung Anlass, dass sich an den deutschen Universitätskliniken ein Umden- kungsprozess einstellt. Auch das Bundesverwaltungsge- richt hatte zuvor in seinem Urteil vom 25. 10. 2007 - 2 C 30.07 - bereits unmissverständlich darauf hingewiesen, dass bei der Umbildung oder Neuorganisation einer Kör- perschaft einem Beamten ein amtsangemessener Tätig- keitsbereich verbleiben muss. Der VGH Baden-Württem- berg hat in seinem Beschluss vom 18.05.2004 – 4 S 760/04 – festgestellt, dass ein Universitätsklinikum nicht befugt sei, einen Universitätsprofessor von der Wahrneh- mung seiner Aufgaben in der Krankenversorgung zu entbinden, wenn dieser Aufgabenbereich Bestandteil des dem Universitätsprofessor übertragenen Amtes sei. Die Krankenversorgung zähle zum essentiellen Aufgabenbe- reich des Hochschullehrers im Fachbereich Medizin.

Medizinische Forschung, Lehre und Krankenversorgung seien in den Einrichtungen der Universitätsklinika in vielfältiger Weise miteinander verflochten, größtenteils sogar untrennbar miteinander verknüpft. Das Bundesver- fassungsgericht hatte in seinem Beschluss vom 11.11.2002 - 1 BvR 2145/01 - zur Besetzung des Auf- sichtsrats nordrhein-westfälischer Universitätsklinika hervorgehoben, dass es sich bei der Krankenversorgung um eine Zusatzaufgabe der Hochschullehrer handele, die – nicht hinter, sondern selbständig – neben Forschung und Lehre trete.

Soweit sich verbeamtete Hochschullehrer demnach auf strukturelle Änderungen im Medizinbetrieb der von ihnen geleiteten Kliniken und Abteilung einrichten sollen, darf dabei die Grenze der amtsangemessenen Beschäftigung nicht unterschritten werden. Für medizinische Hochschul- lehrer und Klinikdirektoren, jedenfalls soweit diese verbe- amtet sind, ergibt sich daraus ein unmittelbarer Anspruch auf Erhalt einer den Erfordernissen von Forschung und Lehre des jeweils vertretenen Fachgebiets entsprechen- den personellen und sächlichen Ausstattung der von ih- nen geleiteten Klinik. Umstrukturierungen, die in erster Linie mit wirtschaftlichen Aspekten begründet werden, müssen auf diese hochschulspezifischen Aspekte Rück- sicht nehmen. Universitätsklinika sind Einrichtungen der Hochleistungsmedizin, die dem Fachbereich Medizin der Universität zur Erfüllung seiner Aufgaben in Forschung und Lehredienen.

Diese dienende Funktion der Universitätsklinika muss sich auch in personifizierter Form gegenüber den einzel- nen medizinischen Hochschullehrern erweisen, indem sichergestellt wird, dass die Mitglieder der Hochschule die ihnen durch Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetztes und durch das jeweilige Hochschulgesetz verbürgten Rechte in Forschung und Lehre wahrnehmen können. Gleicher- maßen dienen die Universitätsklinika entsprechend der Hochschulgesetze und Errichtungsverordnungen regelmä- ßig auch der ärztlichen Fort- und Weiterbildung und der Aus-, Fort- und Weiterbildung des Personals und haben die Verbindung der Krankenversorgung mit Forschung und Lehre zu gewährleisten.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27. 11. 2007 - 1 BvR 1736/07 - ; online abrufbar unter:

2/3 GMS Mitteilungen aus der AWMF 2008, Vol. 5, ISSN 1860-4269

Wienke.: Bundesverfassungsgericht stärkt die Einheit von Forschung, ...

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http:// www.bundesverfassungsgericht.de/

entscheidungen/ rk20071127_1bvr173607.html

Korrespondenzadresse:

Dr. iur. A. Wienke

Wienke & Becker - Köln, Bonner Straße 323, 50968 Köln awienke@kanzlei-wbk.de

Bitte zitieren als

Wienke A. Bundesverfassungsgericht stärkt die Einheit von Forschung, Lehre und Krankenversorgung. GMS Mitt AWMF. 2008;5:Doc7.

Artikel online frei zugänglich unter

http://www.egms.de/en/journals/awmf/2008-5/awmf000150.shtml

Eingereicht:14.02.2008 Veröffentlicht:14.02.2008

Copyright

©2008 Wienke. Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen

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3/3 GMS Mitteilungen aus der AWMF 2008, Vol. 5, ISSN 1860-4269

Wienke.: Bundesverfassungsgericht stärkt die Einheit von Forschung, ...

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