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Zur Eskimogrammatik.
Von C. C. Uhlenbeck.
1. Di3 mit m und n anlautenden Kasussuffixe.
Bei der Deklination der nicht mit Possessivsuffixen versehenen
Nomina sind der Lokativ, Ablativ, Terminalis und Modalis des
Singulars von denen des Plurals nur dadurch vei-schieden, daß die
übrigens identischen Kasussuffixe im Singular mit m, im Plural
mit n anlauten. Der singularischen Reihe -me, -mit, -mut, -mik
steht also eine pluralische -ne, -nit, -nut, -nik gegenüber, wodurch
der Schein verursacht wird, daß die pluralische Bedentung gerade
mit dem n verbunden sei, und Fr. Müller (Grundr. der Sprach¬
wissenschaft II, Abt. I, 168) bat sicb dazu verleiten lassen die
n-Suffixe durch Verschmelzung des pluralischen t mit dem Anlaut
der m-Suffixe zu erklären. Das kann aber nicht ricbtig sein, denn
selbst abgesehen davon, daß die n-Suffixe auch bei den einfachen
Nomina im Dual auftreten, scheitert Fr. Müller's Vermutung an
dem Umstand, daß bei den mit Possessivsuffixen versehenen Nomina
auch im Singular -ne, -nit, -nut, -nik gebraucht werden. Diese
Verhältnisse findet man nicht nur in Grönland und Labrador, son¬
dern sie kehren unverändert im fernen Alaska wieder (s. Barnum,
Grammatical Fundamentals of the Innuit Language 10. 24 f.). Im
Mackenziedialekt ist der als Ureskimo zu erschließende Zustand
nicht ganz rein erhalten geblieben (s. Petitot, Vocabulaire frangais-
esquimau, XLIX). Wenn nun aber die n-Reihe sowohl im Singular,
wie im Dual und Plural auftritt, so fragt sich einerseits, warum
Formen wie nunane, nunanit, nunanut, nunanik ausschließlich
pluralisch verwendet werden, und andererseits, wie das m in den
singularischen Formen des einfachen Nomens aufzufassen sei. Be¬
denken wir, daß im Dual die w-Suffixe an das Dualzeichen k ge¬
hängt werden (das dann vor dem n in ng verwandelt wird), so
liegt es nahe, die pluralischen Formen nunane, nunanit, nunanut,
nunanik auf *nuna-t-ne, *nuna-t-nit, *nuna-t-nut, *nuna-t-nik
zurückzuführen und also nicht die Kasussuffixe , sondem das vor
denselben geschwundene Pluralzefichen t für die pluralische Funktion
Uhlenbeck, Zur EsMmogrammatik. 113
verantwortlich zu machen. Was nnn aber das m der singularischen
Suffixe -tne, -mit, -mut, -mik betrifl't, so glaube ich, daß wir es
mit einer Verschmelzung des p oder m des Transitivus mit dem an¬
lautenden n der betreffenden Kasussuffixe zu tun haben, denn auch
in der Pronominalflexion beruhen die obliquen Kasus des Singulars
nicht unmittelbar auf dem Stamme, sondem auf dem dnrch -tuma
oder -ssuma charakterisierten Transitivus. So ist es wenigstens in
den östlichen Sprachen, und wenn das Alaskische keinen Unterschied
zwischen nominaler und pronominaler Flexion aufweist (s. Barnum
a. a. 0. 9. 68 ff.), so haben wir darin offenbar nichts ursprüngliches,
sondem vielmehr das Ergebnis einzeldialektischer Ausgleichung zu
erblicken (der Anfang dieser Ausgleichung reicht wohl in das Ur¬
eskimo zurück, denn ki-na und su-na werden auch in Grönland und
Labrador hauptsächlich nominal flektiert). Wie matumane, matu-
manga u. s. w. nicbt von nm-, sondera von dem Casus transitivus
matuma abgeleitet sind, so ist nicht nuna, sondera nuna-p {nuna-m)
die Grandlage, worauf nuname, nunamit u. s. w. aufgebaut wurden,
welche Formen demnach auf *nuna-p-ne, *nuna-p-nit u. s. w.
(*-nuna-m-ne, *nuna-m-nit u. s. w.) zurückgeführt werden müssen.
Es steht vorläufig nichts im Wege, das Lokativsuffix -ne mit dem
gleichbedeutenden n-Suffix der ugro-finnischen Sprachen zusammen¬
zustellen , obwohl der Umstand , daß vier Kasussuffixe des Eskimo
mit n anlauten, immerhin eine einheitliche Erklärang zu erfordern
scheint. Dagegen darf an Zusammenhang des Modalsuffixes -mik,
das bei Petitot a. a. 0. XLII. XLIX infolge des eigentümlichen
Gebrauchs dieses Kasus als Akkusativsuffix betrachtet wird, mit
dem Akkusativzeichen -m des Ugro-Finnischen durchaus nicbt ge¬
dacht werden, denn das m von -mik ist nach den obigen Aus¬
führungen aus p + n entstanden.
2. Das Suffix -ka {-ga, -ra).
Im Grönländischen und Labradorischen ist -ga das Possessiv¬
suffix der ersten Person Sing, bei singularischen Nomina und nur
in den freilich überaus zahlreichen Fällen, wo der Stamm auf q
auslautet, finden wir nicht -ga, sondem -ra, dessen r aus der Ver¬
bindung von q mit g hervorgegangen ist. Wenn als Personalsuffix
im transitiven Indikativ nur -ra vorliegt, so werden wir dieses
kaum anders erklären können als durch die Annahme , daß toqu¬
para, toqupat, toqupä u. s. w. nicht auf *toqu-p-a- , sondem auf
*toqu-p-aq- berahen, auf welche Grundlage auch die dualischen
und pluralischen Pormen toquparpuk, toqupartik, toquparpvU, toqu¬
parse mit ihrem nur aus q zu erklärenden r hinweisen. Wir haben
also gewiß von -ga, nicht von -ra auszugehen, aber auch -ga ist
nicht die älteste erreichbare Form, denn das an pluralische Nomina
gehängte -ka wird wohl nicht nach t aus -ga geschärft, sondem
nach dem harten Konsonanten unverändert geblieben sein (in
Zeitachrift der D. M. O. Bd. LX. 8
114 Uhlenbeck, Zur Eskimogrammatik.
Labradol- stebt -ka auch nach dem Dualzeichen k). Darauf weist
das im Alaskischen alleinherrschende -ka, das sowohl grönl. -ga
und -ra wie grönl. -ka repräsentiert (s. Barnum a. a. 0. 19. 110 f.).
War es also durchaus unzulässig samoj. -ro heranzuziehen, so bietet
sich jetzt, da wir wissen, daß -ka als die ursprüngliche Form des
Eskimosuffixes zu betrachten ist (wie auch Thalbitzer, A Phonetical
Study of the Eskimo Language 267 mit Recht annimmt), viel¬
leicht das magy. -k der ersten Pers. Sing, in vdrok ,ich warte", szeretek ,ich liebe" u. s. w. zur Vergleichung.
3. Die Stellung des Aleutischen.
Obwohl das Aleutische sicher mit den Eskimosprachen ver¬
wandt ist, darf es doch kaum als eine derselben betrachtet werden,
denn dafür ist es zu sehr von ihnen verschieden. Während selbst
das Fischer - Tschuktschische und das Kadjakische sich sogleich als
mit den nordamerikanischen und grönländischen Eskimodialekten
als nahe verwandt kundtun (s. Pfizmaier, Die Abarten der grön¬
ländischen Sprache) , kann man bei dem ersten. Blick auf das von
Veniaminov (Opyt Grammatik! Aleutsko-Lisjevskago jazyka) und
nach ihm von Pfizmaier (Die Sprache der Aleuten und Fuchsinseln)
beschriebene Aleutische in Zweifel geraten und erst genaueres Zu¬
sehen lehrt uns, daß wir es mit einem entfernten Seitenzweige
desselben Stammes zu tun haben (vgl. Rink , The Eskimo Tribes
1, 4 f.). Will man das Aleutische und das Eskimo unter einem
gemeinschaftlichen Namen zusammenfassen , so kann man etwa von
einem eskimo - aleutischen Sprachstamm reden. Mit Ureskimo be¬
zeichne ich nur die schon vom Aleutischen getrennte Grundsprache, woraus sich Grönländisch, Labradorisch, Zentraleskimo, Mackenzie-
eskimo, Alaskisch, Kadjakisch und Fischer-Tschuktschisch differen¬
ziert baben (das Fischer-Tschuktschische ist also eine ganz andere
Sprache als das eigentliche Tschuktschische, das mit dem Kor¬
jakischen und Kamtschadalischen eine abgeschlossene Gruppe bildet).
Ob es einmal möglich sein wird auch ein üi-eskimo - Aleutisch zu
rekonstruieren? Erst dann wird es an der Zeit sein, eingehende
Untersuchungen über das Verhältnis zum üralischen anzustellen.
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Vedische Untersuchungen Von H. Oldenberg.
15. Der vediscbe Quantitätswechsel auslautender
Vokale und Verwandtes.
1. Nachdem Benfey's Abhandlungen über die Quantitäts¬
verschiedenheiten in den Samhitä- und Padate?cten der Veden den
Weg eröffnet, haben sich mit dem in der Überschrift bezeichneten
Problem zunächst ich „Hymnen des Rgveda' I, 393 lf. und ein¬
gehender als ich etwa von derselben Zeit an in einer Reihe von
Artikeln Zubaty WZKM. II—IV beschäftigt: ich raehr von den
verschiedenen Stellen des Metrums, Z. von den verschiedenen gram¬
matischen Formen ausgehend, natürlich so, daß jeder auch auf den
andern Gesichtspunkt hinzublicken nicht unterließ. Weiter hat
Waekernagel in seinem Programm „Das Dehnungsgesetz der
griecbiscben Composita" (1889) und in seiner Altindischen Gram¬
matik wertvollste Bemerkungen über das Problem gegeben.
Nun hat in neuester Zeit E. V. Arnold in seinem Buch
„Vedic Metre in its Historical Development", durch dessen Reichtum
an mühevollen und scharfsinnigen Untersuchungen er meines Er¬
achtens der Vedaforschung einen besonders wichtigen Dienst ge¬
leistet hat, die Frage wieder aufgenommen und sie durch eine in
seiner Weise höchst umfassend angelegte statistische Betrachtung
zu fördern versucht (S. 108 ff.). Er hat vieles um einen großen
Schritt weiter gebracht, freilich eben durch die Reichhaltigkeit seiner Statistik unsere Wünsche so gesteigert, daß wir seine Zahlen¬
reihen nunmehr gerne noch mancben weiteren Fragestellungen an¬
gepaßt gesehen hätten.
Die folgenden Bemerkungen werden sich überwiegend an Arnold
anlehnen und einerseits seine Gedankengänge weiterzuführen oder
zu befestigen versuchen, andererseits Bedenken zur Sprache bringen,
die mir durch seine Ausführungen herausgefordert erscheinen. Ich
darf dabei nicht unterlassen, den lebhaftesten Dank für die Liebens- 1) Fortsetzung zu Bd. 59, .355 ff. Inhaltsverzeichnis zu diesem Aufsatz s. am ScbluU.
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