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Bericht aus der Forschung

Hans-Erich Volkmann

Z u r nationalsozialistischen Aufrüstung u n d Kriegswirtschaft

Politik und Ö k o n o m i e im Nationalsozialismus

Die Wirtschaft im NS-Staat ist zunehmend Gegenstand wissenschaftlichen Interesses ge- worden1. Die viel gestellte und vielfach beantwortete Frage nach der Interdependenz von Wirtschaft und Krieg im Dritten Reich schließt die nach dem Verhältnis deutscher wirt- schaftlicher Eliten und Interessengruppen zum Nationalsozialismus und nach deren schuld- hafter Partizipation an »Machtergreifung« und militärischem Expansionsstreben ein. Sie bildet immer noch einen aktuellen historischen Forschungsgegenstand. Im G r u n d e handelt es sich um die Fortführung der in den 60er Jahren begonnenen Diskussion um den Primat der Politik oder der Wirtschaft im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Fischer hat in diesem Zusammenhang f ü r die sogenannte bürgerliche Geschichtswissenschaft zwei vor- herrschende interpretatorische Grundmuster ausgemacht: Politisch orientierte Wirtschafts- historiker neigten in zunehmendem M a ß e dazu, in wirtschaftlichen Gegebenheiten und in Wirtschaftsorganisationen die bedeutendsten gestalterischen Kräfte der Geschichte zu se- hen. »Ihnen hätten sich die Staatsmänner oft zu beugen, mit ihnen seien sie jedenfalls eng verflochten, von ihnen wissentlich oder unwissentlich abhängig, so lange zumindest, bis an- dere wirtschaftliche Gegebenheiten zu neuen Strukturen, der Formierung neuer organisier- ter Interessen und damit zur Bildung von politischen Gegengewichten führten.«2 Umge- kehrt sähen ökonomisch ausgerichtete Wirtschaftshistoriker geschichtliche Abläufe nicht selten innen- und außenpolitisch präformiert: »Ökonomen kehren die Kausalbeziehungen im historischen Handlungsablauf also um und weisen den politischen Komponenten einen höheren Zwangscharakter zu als den ökonomischen.«3

Auffälligerweise wird in kurzgefaßten oder großvolumigen Kompendien den Nationalso- zialisten jede wirtschaftstheoretische und auch ordnungspolitische Eigenleistung im ö k o n o - mischen Bereich abgesprochen. Wirtschafts- und Sozialpolitik hätten sich — so Hentschel beispielhaft f ü r die zweite These Fischers — ihren ideologischen und machtpolitischen Zie- len unterordnen müssen, und das in Form eines mixtum compositum aus zentralem Dirigis- mus und freier Marktwirtschaft. D e r Autor konstatiert eine Instrumentalisierung der Wirt- schaft im Sinne nationalsozialistischer Kriegs- und Eroberungspläne, allerdings in einer Art und Weise — und diese Feststellung steht im Einklang mit anderen neueren Forschungser- gebnissen —, »die erhebliche privatwirtschaftliche Handlungs- und Entscheidungsräume ließen«. Diese Aussagen können insbesondere für die Zeit bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges Gültigkeit beanspruchen4. In einem rüstungs- und kriegswirtschaftlichem Zwang unterworfenen ökonomischen System blieb nach Hentschels Interpretationsansatz kein Raum für wirtschaftspolitische Mitverantwortlichkeit deutscher industrieller Unter- nehmer an der Herrschaftsausübung des NS-Regimes. Über das Problem möglicher Inter- essenkonformität von Nationalsozialismus und Privatwirtschaft erfährt der Leser ebenso- wenig wie bei Borchardt5. Hier wird das dirigistische Instrumentarium nationalsozialisti- scher Wirtschaftslenkung in seiner Bedeutung noch hervorgehoben, der Beziehung von Nationalsozialismus und privatwirtschaftlichem Establishment hingegen keine A u f m e r k -

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samkeit gewidmet, auch nicht dem nachfolgend erörterten Problem möglicher — partieller — Interessenidentität, die die Machtübernahme Hitlers und seiner Partei begünstigt haben könnte.

In einem Sammelwerk über die nationalsozialistische »Machtergreifung« läßt Bernecker den Streit um das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Nationalsozialismus am Ende der Weimarer Republik aufleben. N o c h einmal werden bekannte Bewertungskriterien an das historische Sujet angelegt, wie Finanzierung der N S D A P durch die Wirtschaft, wie Primat der Politik oder Primat der Ökonomie. Als Ursache des Nationalsozialismus wird schließ- lich das Scheitern der Weimarer Republik in Verbindung mit der Weltwirtschaftskrise aus- gemacht, wobei der Großwirtschaft wie den Agrariern und dem Mittelstand eine Mitver- antwortung am A u f k o m m e n des Nationalsozialismus insofern attestiert wird, als sie als schlechte Demokraten auf ein autoritäres System hingewirkt hätten. Die Existenz wie auch immer gearteter gemeinsamer ökonomischer Zielprojektionen zwischen den Trägern der Wirtschaft und der N S D A P wird entschieden in Abrede gestellt, insbesondere bezüglich der Großindustrie. »Die Herausbildung der nationalsozialistischen Diktatur aus der angeb- lichen Interessenidentität zwischen Kapitalismus und Faschismus und den zielgerichteten Aktivitäten großindustrieller Kreise erklären zu wollen, wird dem sehr viel komplexeren empirischen Befund der historischen Realität nicht gerecht.« 6

In der DDR-Historiographie ist die genannte Problematik eingebettet in die Faschismusdis- kussion und vornehmlich ideologisch prädisponiert. Immer noch gilt die These vom »klas- s e n m ä ß i g e ^ ] Ursprung und Charakter des deutschen Faschismus«7. Gossweiler ζ. B. sieht im Nationalsozialismus den Versuch der herrschenden Klasse, den Parlamentarismus zwecks Weiterverfolgung ihrer im Ersten Weltkrieg gescheiterten Expansionsziele »auszu- merzen«. »Ohne Unterstützung durch die Kapitalistenklasse und wohlwollende D u l d u n g durch den kapitalistischen Staat kann eine faschistische Partei nicht einmal zu einer gesamt- nationalen Partei, geschweige denn zu einer Massenpartei werden.«8 Schon seit 1919 sei der deutschen faschistischen Partei durch Monopolkapitalisten, Großgrundbesitz, Armee usw. massiv unter die Arme gegriffen worden. An dieser Behauptung ist zumindest so viel richtig, als das Reichswehr-Gruppenkommando München versucht hat, die Deutsche Ar- beiterpartei/NSDAP als eine rechte Organisation, die sich damals noch besonders um das Votum der Arbeiter bemühte, als antidemokratisches Element zu festigen und in die restau- rative Front einzureihen. Als Beweis f ü r die Bemühungen der Großindustrie, Hitler und sei- ne Partei an die M a c h t zu bringen, wird auf die der Partei ab 1922 zugeflossenen finanziel- len Mittel hingewiesen. Hitlers Herrschaft wird demzufolge weder als Resultat seines Wil- lens zur Macht, noch auf die Stimmen der kleinbürgerlichen Wähler zurückgeführt, son- dern, viel zu kurz gegriffen, allein auf das gelungene Bemühen der sogenannten M o n o p o l - bourgeoisie, dem Führer der N S D A P zwecks Beseitigung der Demokratie und der Ge- werkschaften und zwecks Verwirklichung ihrer ökonomischen Ziele in den politischen Sat- tel zu helfen. In diesem Zusammenhang muß festgestellt werden, d a ß die Spenden an die N S D A P nicht aufgrund einer koordinierten Sammlungsaktion der Industrie zustande ka- men, sondern in der Regel durch individuellen Entschluß großindustrieller Repräsentanten, die das Weimarer System ablehnten und alles was rechts stand protegierten.

In der Faschismus-Diskussion der DDR-Historiographie besitzt die »Agententheorie« im- mer noch namhafte Verfechter. Wie anders will man eine unlängst erschienene Sammlung von Abhandlungen zu diesem T h e m a verstehen, in dçr zahlreiche Aufsätze aus den 60er und 70er Jahren ihre Neuauflage erleben? Die westdeutsche »bürgerliche« Forschung ten- diert inzwischen dahin, in Großagrariertum und Großkapital mit ihren imperialen u n d revi- 134 sionistischen Ambitionen zwar nicht die eigentlichen Miturheber des Zweiten Weltkrieges,

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so doch diejenigen zu sehen, die die Ziele hitlerscher Konfliktstrategie weitgehend billigten.

Wenn es in einem der gesammelten Beiträge heißt, die ostelbischen Junker seien »zu den ständigen Kriegstreibern« zu rechnen, und ihnen sei »gemeinsam mit den Industrie- und Fi- nanzkapitalisten« eine »Hauptschuld am Kriege und an den Kriegsverbrechen« zuzuschrei- ben9, mag man dies noch f ü r eine diskussionsfähige These halten.

Aber selbst die modifizierte »Agententheorie«, wie sie Wolfgang Ruge noch 1978 entwik- kelt hat, kann nicht mehr gelten. Ihr zufolge war Hitler der bestmögliche »Agent« des M o - nopolkapitals, auch wenn » N S D A P - F ü h r u n g und Hitler [. . .] einen gewissen Handlungs- spielraum gegenüber einzelnen ihrer Förderer erlangten« und die Monopolherren umge- kehrt »in mancher Beziehung an ihren Staragenten gebunden« w a r e nl c.

D a ß es auch in der D D R Denkansätze zur Revision der »Agententheorie« gibt, erhellt aus dem V o r w o r t des hier angeführten Sammelwerkes, w o es heißt, es liege »in der Absicht der Herausgeber und Autoren, zur Belebung des Meinungsstreites unter den marxistischen Wissenschaftlern beizutragen«1 1. In einem Standardwerk zur Wirtschaftsgeschichte von Lotte Zumpe wird denn auch von der Identität von Monopolkapital und Faschismus abge- rückt. Faschismus wird nicht mehr als letzte Stufe im Entwicklungsprozeß des kapitalisti- schen Systems bezeichnet, sondern als Reaktion auf bestimmte ökonomische und politische Erscheinungen, wie zum Beispiel die Weltwirtschaftskrise. D a ß diese nicht zwangsläufig den Faschismus zur Folge haben mußte, dafür führt die Verfasserin beispielhaft die Verei- nigten Staaten und Großbritannien an. Stand allerdings »eine sich zuspitzende Krise der bürgerlichen Herrschaft [. . .] in engem Bezug [ . . .] mit schweren Erschütterungen in der ökonomischen Basis«, dann war der Boden f ü r den Faschismus bereitet. Entscheidend f ü r die nationalsozialistische Machtübernahme erscheint der D D R - A u t o r i n , d a ß es 1932/33 nicht nur die »Monopolkapitalisten«, sondern auch breite Schichten des Klein- und Mittel- bürgertums waren, »die die Gefolgschaft der Nazipartei ganz wesentlich ausmachten«12. Das in der Weltwirtschaftskrise fragwürdig gewordene arbeitsteilige weltwirtschaftliche Freihandelsprinzip machte in den Augen vieler Großindustrieller und Bankiers, in denen des Großgrundbesitzes ohnehin, dessen Modifizierung oder Ablösung im Sinne einer stär- keren staatlichen Interventionspolitik erforderlich. Das nationalsozialistische Revisions-, Lebensraum- und europäische Hegemonialprogramm schien hierfür die Rahmenbedingun- gen zu bieten. »Das deutsche Monopolkapital nützte die Notwendigkeit umfassender staat- licher Eingriffe in die Wirtschaft aus f ü r die Vorbereitung eines neuen Krieges. D a f ü r schob es Hitler an die Macht, dessen Regierungsprogramm dieser Zielsetzung entsprach. Es ist nicht zufällig so, daß diese Aktion insbesondere von maßgebenden Vertretern der M o n t a n - industrie, des Bankkapitals, des Überseehandels und schließlich der Junker gefördert, mani- puliert und bewerkstelligt wurde. Es waren Wirtschaftsbereiche bzw. Unternehmen, die stark von staatlichen Subventionen abhängig waren oder w o große Aktienpakete in staatli- chen Tresoren lagen.«13 Hier kommt dann doch wieder eine — wenngleich reichlich ver- fremdete — Agententheorie ins Spiel.

Politisch gesehen wird der Faschismus als Gegenreaktion des sog. Monopolkapitals auf ihm gefährlich erscheinende Kräfte und Tendenzen wie Sozialismus/Bolschewismus und Ge- werkschaften bezeichnet. »Faschismus an der Macht, das ist faschistische Diktatur, mit de- ren Hilfe das Monopolkapital seine Interessen gegen den D r u c k vielfältiger Gegenkräfte zu sichern sucht. Deshalb ist der Übergang zur faschistischen Diktatur auch keine unabwend- bare Entwicklung, sondern Ausdruck eines politischen Kräfteverhältnisses.«1 4

Auch im »bürgerlichen Lager« der Historiographie ist seit langem eine Auseinandersetzung über das Beziehungsgeflecht von Großindustrie und Nationalsozialismus in bezug auf die 135 sogenannte Machtergreifung im Gange, die durch Neebe1 5 und T u r n e r1 6 neu belebt wurde.

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Beide Autoren liegen vom methodischen Ansatz her nicht weit voneinander: Beide wählten die additive M e t h o d e : Industrielle Führungspersönlichkeiten und Institutionen, die Affini- täten zum Nationalsozialismus aufwiesen (ζ. B. Kreise der Schwerindustrie) werden gegen solche aufgerechnet, die dagegen waren (ζ. B. Kreise der Leichtindustrie). T u r n e r zählt zu den wenigen Begünstigten, denen Z u g a n g zu wichtigen Firmenarchiven gewährt wurde.

Leider beschränkt er sich nahezu gänzlich auf deren Auswertung und läßt wichtige Akten anderer Provenienz weitgehend außer acht, ebenso die Fülle der wirtschaftstheoretischen wie -politischen Publikationen der Endphase der Weimarer Zeit. Die Schwäche seiner volu- minösen und detaillierten Arbeit liegt in der bewußten T r e n n u n g von politischer u n d öko- nomischer Sphäre; politisches und wirtschaftliches Interesse und Verhalten des G r o ß u n t e r - nehmertums werden nicht in Wechselbeziehung zueinander gesehen und gesetzt. D a T u r - ner das Verhältnis von Großwirtschaft und N S D A P auf den rein finanziellen Bereich redu- ziert, k o m m t das wenig überzeugende Fazit seiner Untersuchung zustande, die Industrie- führer — mit Ausnahme von Fritz Thyssen — seien nicht zu den Helfershelfern Hitlers auf dem W e g zur M a c h t zu rechnen. Sie brauchten in diesem Zusammenhang »kaum oder überhaupt nicht erwähnt zu werden«1 7. Seiner Auffassung nach verdankte Hitler dem gülti- gen Primat der Politik — mithin Politikern, Militärs und Wählern — seine Macht, keines- wegs aber großindustriellem ökonomischem Interesse. Dabei übersieht der Autor, daß großindustrielle Kreise die N S D A P als politische K r a f t zumindest innerhalb eines Rechts- kartells gewünscht und deshalb finanziell unterstützt haben. Ende 1932/Anfang 1933 vor die vermeintliche W a h l zwischen Sozialismus/Kommunismus und Nationalsozialismus ge- stellt, hat die Großindustrie sich allemal f ü r den letzteren entschieden.

Neebes Urteil fällt modifiziert aus : Als Hitler Reichskanzler wurde, so meint er, sei dies

»bei gespaltener Industriefront«1 8 erfolgt — ein Sieg der Thyssen-Gruppe, der sich die ge- mäßigtere Schwer- und die Exportindustrie unter dem Zwang der Verhältnisse angeschlos- sen hätten. D e r Autor glaubt, zwischen diesen beiden letztgenannten industriellen Gruppen und der N S D A P tiefgreifende wirtschaftspolitische Meinungsunterschiede konstatieren zu können. So hätten der nationalsozialistische Interventionalismus und seine Autarkiebestre- bungen massive Interessengegensätze hervorgerufen. Dies trifft nur teilweise u n d temporär zu. Es ist richtig, daß die exportorientierten Industriezweige einer — allerdings als Selbstge- nügsamkeit falsch verstandenen — Autarkiepolitik bis zum Beginn des Jahres 1933 noch skeptisch gegenüberstanden. Bis zum Frühjahr 1933 ließen sich aber ihre Führungseliten von der territorial-expansiven, europäisch-hegemonialen Dimension des Autarkiegedan- kens überzeugen, der zudem auf weitverbreiteten Revisionsforderungen basierte u n d sich mit dem Willen zu massiver Aufrüstung verband. So ist denn der Reichsverband der Deut- schen Industrie auch nicht, wie Neebe behauptet, auf dem W e g e einer »terroristischen Kon- sensbildung« auf die Seite der Nationalsozialisten gebracht worden, sondern er hat sich im Zuge der mit dem Wahlergebnis vom M ä r z 1933 verbundenen politischen Euphorie und Dynamik selbst in ein nationalsozialistisch geführtes Gremium verwandelt, wobei er aller- dings wenig an Selbstbestimmung einbüßte. D e r Staat steckte zwar fernerhin die ökonomi- schen Ziele, ohne daß jedoch alle marktwirtschaftlichen Regeln und das Profitstreben aus- geschaltet worden wären. So lenkt denn Neebe zum Schluß seiner Abhandlung auch im Sinne eines Kompromisses ein: »Die Einschränkung der Unternehmerkompetenz u n d die Neuorientierung vor allem in der Handelspolitik konnten allerdings durch die Ankündi- gung forcierter Rüstungsprogramme in Verbindung mit einer am Unternehmerinteresse orientierten Lohn- und Sozialpolitik beinahe reibungslos kompensiert werden.«1 9

V o n dem Wirtschaftshistoriker Kellenbenz liegen bezüglich des Verhältnisses der Wirt- schaftsverbände zum Nationalsozialismus nach 1933 nicht ganz deckungsgleiche Äußerun-

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gen vor. So spricht er einmal davon, die Wirtschaft sei »durch Gleichschaltung ihrer Spit- zenverbände gelenkt und seit 1936 im Rahmen des Vierjahresplans der Aufrüstung und den Autarkiebestrebungen dienstbar gemacht« worden. Für die nach außen hin ständisch struk- turierte Reichswirtschaftschaftskammer sei in Wahrheit »die straffe Organisation im Dien- ste des obersten Machtwillens« charakteristisch gewesen2 0. An anderer Stelle betont er, Hit- ler habe um die Abhängigkeit seiner Politik von dem guten Willen der Großunternehmer und ihrer Apparate gewußt und sei »mit der Gleichschaltung auch viel vorsichtiger [. . .]

als bei den Bauern und beim Mittelstand» vorgegangen. »Der Einfluß, den einzelne Vertre- ter der Unternehmerschaft, z. B. Krupp von Bohlen und Halbach sowie Thyssen, bei Hitler selbst und bei Göring genossen, half die Dinge abzumildern.»2 1

Autarkie im Großwirtschaftsraum

Neebe und T u r n e r fallen mit ihren Studien hinter Untersuchungsergebnisse zurück, die z. B. Barkai bereits 1977 vorgelegt hat. D e r israelische Autor ist, wie vor ihm schon ande- re2 2, der Frage nachgegangen, warum es nach dem Januar 1933 zum im großen und ganzen gesehen friktionslosen Zusammenwirken von politischer und privatwirtschaftlicher Füh- rung insbesondere im Bereich der Aufrüstung kam. Dabei fand er den Tatbestand bestätigt, daß sich ab 1930 N S D A P und Wirtschaftsrepräsentanten programmatisch und damit poli- tisch aufeinander zubewegten. Das nimmt, betrachtet man die Wirtschaft, nicht w u n d e r in Anbetracht des Umstandes, daß die N S D A P durch Wählervotum und Selbstzerstörung der Weimarer parlamentarischen Kräfte zum führenden parteipolitischen Element geworden war, mit dem man rechnen, eventuell auch leben mußte, die aber über kein substantielles Wirtschaftsprogramm verfügte. Dies war umgekehrt auch den nationalsozialistischen Funktionären bewußt, die sich ihrerseits bereitwillig wirtschaftstheoretischen und -politi- schen Nachhilfeunterricht erteilen ließen. Lebensraumtheorie und sich in Wirtschaftskrei- sen ausbreitende europazentrische merkantil-hegemoniale Bestrebungen ließen sich offen- kundig miteinander verbinden, zumal die Weltwirtschaftskrise bei nicht wenigen Ö k o n o - men und Wirtschaftsvertretern Zweifel an der ferneren Gültigkeit des Prinzips der liberalen Weltwirtschaft aufkommen ließ. Ab 1931 arbeiteten im Braunen H a u s in München erfahre- ne Wirtschaftler und Wirtschaftswissenschaftler zusammen mit Parteifunktionären an ei- nem Wirtschaftsprogramm f ü r die N S D A P , in das vielfältiges, nicht zuletzt nationales, raumgebundenes und staatsinterventionistisches Denken, das seit dem 19. J a h r h u n d e r t ne- ben dem ökonomischen Liberalismus latent vorhanden war, einfloß. Es darf nämlich nicht übersehen werden, »daß in Deutschland eine maßgebliche Schicht von Wirtschaftswissen- schaftlern, Ministerialbeamten und Unternehmern während ihrer Jugend- und Studenten- zeit in einer Tradition aufgewachsen war, die sie f ü r die neuen Theorien empfänglich mach- te« 23. Als programmatisch bestimmende Idee ist der Gedanke der Autarkie in einem euro- päischen Großraum, wie er u. a. von Vertretern des »Tat-Kreises« und in Person des Publi- zisten Friedländer-Prechtl vertreten wurde, in die nationalsozialistische Wirtschaftstheorie und -politik eingegangen. »Vorrang der Landwirtschaft und autarke Selbstversorgung wa- ren gleich >Großraumwirtschaft< und monetäre >Finanzhoheit des Staates< auch die hervor- tretenden Bestandteile der nationalsozialistischen Wirtschaftsauffassung.« 24

Das T h e o r e m Autarkie im Großwirtschaftsraum war außer von einem ökonomischen auch von einem machtpolitischen M o m e n t bestimmt, nämlich von geopolitisch-strategischem 137 Denken, wie es sich in der Weimarer Zeit in Wissenschaft, Publizistik, Wirtschaft und Poli-

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tik ausgebreitet hatte. Autarkiepolitik besaß mithin eine nicht zu unterschätzende militä- risch-kriegerische Komponente. Sie war der Ausdruck des Verbundes raumorientierter, ex- pansiver, konservativ-reaktionärer Vorstellungen. Die Autarkiepolitik w u r d e zu einem be- stimmenden Faktor nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik. Dies wird durch die u m f ä n g - liche, von Bernd-Jürgen W e n d t angeregte H a m b u r g e r Dissertation Teicherts überzeugend dokumentiert. Schon vor der nationalsozialistischen H e r r s c h a f t legte man im Auswärtigen Amt die Grundlagen einer Revisionspolitik in der vordergründigen Absicht, ein gewisses M a ß an Autarkie unter versorgungswirtschaftlichen Aspekten, nämlich zwecks außenwirt- schaftlich pressionsfreier Aufrüstung zu erreichen, wobei dieses K o n z e p t durchaus schon eine hegemonialpolitische T e n d e n z aufwies. »Seit 1930 arbeitete das AA an der Entwick- lung eines handelspolitischen Konzepts großraumwirtschaftlicher E r g ä n z u n g auf der Basis von arbeitsteiligen, von Deutschland bestimmten, wehrsicheren und komplementären Wirt- schaftsbeziehungen mit. Diesem Ziel diente der 1931 noch vorsichtige, auf internationale Abstimmung bedachte und sich seit Ende 1933 radikalisierende Einsatz von Instrumenten der bilateralen Außenwirtschaftspolitik, mit dem eine Isolierung und Differenzierung der

»Handelspartner angestrebt wurde.«2 5

Im Reichswirtschaftsministerium verfolgte Schacht mit seinem »Neuen Plan« ab 1934 eine unter revisionistischen Aspekten zu bewertende rüstungsorientierte Autarkiepolitik2 6. Die- ser lag dann konkret ein Zweistufenplan zugrunde, der in einem ersten Schritt die blocka- desichere Rüstung zur Vorbereitung des zweiten Schrittes, der militärischen Expansion in Richtung Revision und darüber hinaus europäischer Lebensraumgestaltung vorsah.

An dieser Stelle erscheint es angebracht, sich kurz der Persönlichkeit z u z u w e n d e n , die die N S D A P bereits vor 1933 wirtschaftsprogrammatisch beeinflußt und dann die nationalso- zialistische Wirtschaftspolitik selbst bis 1937 richtungweisend bestimmt hat: H j a l m a r Schacht. Schachts selbstrechtfertigender Autobiographie2 7 hat sich nun eine in apologeti- scher Absicht verfaßte biographische Würdigung aus der Feder von Pentzlin hinzugesellt2 8. D e r Verfasser betont die distanzierte H a l t u n g Schachts zum Nationalsozialismus von An- fang an, erklärt das Eintreten des ehemaligen Reichsbankpräsidenten E n d e der Weimarer Republik f ü r eine nationale Koalition unter Einschluß der N S D A P als Versuch der Z ä h - mung der Hitlerpartei, die es von der alleinigen Machtausübung fernzuhalten galt. Bleibt die Frage, warum sich Schacht als Reichsbankpräsident und amtierender Reichswirtschafts- minister gerade in dem M o m e n t zur Verfügung stellte, als Hitler seinen deutschnationalen Koalitionspartner aus der Regierung warf und den »Stahlhelm« politisch aufsog. Immerhin wird nicht bestritten, daß es zwischen Schacht und Hitler keine Differenzen über den Pri- mat der Rüstung gab. Was Schacht störte, war einzig die Tatsache, daß die Behandlung der Juden und der Kirchen in Deutschland das Ansehen des Reiches im Ausland schmälerte und damit das Reich außenpolitisch und außenwirtschaftspolitisch zum Nachteil der Rüstung diskreditierte2 9. D a ß Schacht mit der Umlagerung des Außenhandels insbesondere nach Südosteuropa und mit seiner Umstellung von Devisenverkehr auf Verrechnungsabkommen andere als rein ökonomische Absichten verfolgt haben könnte, streitet Pentzlin entschieden ab, obgleich er nicht leugnet, daß der Gedanke eines europäischen Großraumes unter deut- scher Ägide in den 30er Jahren weite Verbreitung fand. W e n n Schacht an Expansion ge- dacht habe, dann immer nur im Hinblick auf Kolonien. D a ß Schacht kein Verfechter des reinen Autarkiegedankens aus Überzeugung gewesen ist, d a f ü r gibt es Belege, daß er aber die Autarkie im Großwirtschaftsraum aus rüstungsökonomischer Notwendigkeit heraus und auch unter hegemonial-großmachtpolitischen Aspekten befürwortete, dies läßt sein

»Neuer Plan« zweifelsfrei erkennen. Allerdings wollte Schacht einen von Deutschland öko-

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nomisch beherrschten mittel- und südostosteuropäischen Raum als verbreiterte welthan- delspolitische Ausgangsbasis.

Im Rahmen einer allgemeinen Wirtschaftsgeschichte befaßt sich Kellenbenz auch kurso- risch mit der Wirtschaft während des Dritten Reiches. Seine Betrachtung erfolgt, bei Ver- nachlässigung politisch-ideologischer Implikationen, unter primär volks- u n d betriebswirt- schaftlichen Gesichtspunkten. Immerhin werden die Endziele nationalsozialistischer Wirt- schaftspolitik als von Hitler frühzeitig definiert und in die Erweiterung des Lebensraumes mündend erkannt. Die Abkehr vom Welthandel zur Autarkie wird als Triebfeder national- sozialistischer Wirtschaftspolitik verstanden3 0. Folgerichtig intendierte Schachts »Neuer Plan« für Kellenbenz auch die Verlagerung des Außenhandels vor allen Dingen nach dem Balkan zwecks Verbesserung der Rüstungslage: »Die kriegswichtigen Rohstoffe konnten bevorzugt werden. Außerdem wurden die Handelspartner nach strategischen und politi- schen Gesichtspunkten ausgewählt.«3 1 Allerdings vermag Kellenbenz über diese rüstungs- ökonomische Bestimmung hinaus in dieser Außenhandelspolitik keinen machtpolitisch im- perialen Ausgriff zu sehen.

Auf einen Widerspruch in der Abhandlung von Kellenbenz ist noch hinzuweisen: W ä h r e n d er im »Neuen Plan« von 1934 den Ausfluß rüstungsökonomischer Bestrebungen erkennt, setzt er die Periode der Aufrüstung und der Autarkiebestrebungen an anderer Stelle erst mit dem Vierjahresplan 1936 an.

Teichert zeigt auf, daß sich führende Wirtschaftsinstitutionen wie Deutscher Industrie- und Handelstag und Reichsverband der Deutschen Industrie angesichts der Weltwirtschaftskri- se ebenfalls auf überkommene Mitteleuropa-Modelle, also auf eine Abwendung vom Welt- markt und eine H i n w e n d u n g zu Europa besannen. Anstelle unsicherer, stets neu zu umwer- bender Handelspartner in Ubersee w a r die wirtschaftspolitische D o m i n a n z über rohstoff- reiche, industriell unterentwickelte und damit ab s atz trächtige Länder auf dem Kontinent gefragt. »Die durch den D I H T und den R D I organisatorisch vertretene Wirtschaft w a r endgültig 1933 (Sommer/Herbst) unter dem von der Regierung propagierten Schlagwort von der >gesunden Nationalwirtschaft bereit, sei es letztlich gezwungenermaßen, sei es aufgrund spezifischer Brancheninteressen im Rahmen der Rüstungspolitik, das Prinzip der regionalen Außenwirtschaftspolitik als Ordnungselement einer künftigen Weltwirtschaft und als Wirtschaftsordnung eines von Deutschland politisch dominierten Europa wie auch als Voraussetzung f ü r den konjunkturellen und politischen Wiederaufstieg des >Dritten Reichs< zu akzeptieren.«3 2

Bekanntlich hat — vom Autor bestätigt — die Wehrmacht Hitlers Rüstungskurs mitgesteu- ert, ja versucht, das gesamtvolkswirtschaftliche Geschehen unter dem Stichwort »Wehr- wirtschaft« dem Primat der Rüstung unterzuordnen. Gleichwohl hat sie spezifische und konkrete außenhandelspolitische Überlegungen relativ spät angestellt. Erst 1935 rückte der Außenwirtschaftsbereich ins Blickfeld, und erst 1938 begann eine lebhafte interne und pu- blizistische Diskussion um Aufgaben und Richtung der Außenwirtschaftspolitik. Heraus kam, daß die Wehrmacht die frühe Umorientierung — sprich in Friedenszeiten — von der Welt- zur Kontinentalwirtschaft nur teilweise billigte. Sie wollte einerseits eine möglichst optimale Vorratshaltung durch umfänglichen Außenhandel, andererseits ungestörte Rü- stung durch blockadesichere Z u f u h r garantiert wissen. Ungeachtet des außenwirtschaftli- chen Kurses weg vom Weltmarkt und hin zum Kontinent hat dann das Dritte Reich bis 1939 auch versucht, ein Optimum an rüstungswirtschaftlichen Gütern zu importieren. Auf welcher Beweisgrundlage Pentzlin seine These aufbaut, Reichswehrminister v. Blomberg und Schacht seien sich einig in dem Bemühen gewesen, die Rüstungsanstrengungen nicht 139 besonders voranzutreiben, bleibt sein wissenschaftliches Geheimnis3 3. In den Wehrwirt-

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schaftsakten des Bundesarchiv-Militärarchivs befinden sich vielmehr Klagen von Reichs- wehr- bzw. W e h r m a c h t f ü h r u n g über den schleppenden G a n g der Aufrüstung.

Immerhin hat die straffe Regulierung des Außenhandels seit 1934 d a f ü r gesorgt, daß größe- re Mengen an kriegswichtigen W a r e n und Rohstoffen eingelagert werden konnten, so daß eine Blockade bei Kriegsbeginn nicht die unmittelbaren Folgen zeitigte wie 1914. W e n n im September 1939 die Importausfallquote im Vergleich zum Beginn des Ersten Weltkrieges nur 50 Prozent betrug, bedeutete dies eine relativ verbesserte kriegsökonomische Aus- gangssituation. Zum einen muß dies als Ergebnis der Umlagerung des Außenhandels von Ubersee auf Europa gewertet werden: W a r es doch bis 1939 gelungen, einen Großteil der europäischen Staaten, insbesondere die Neutralen, zumindest partiell auf Deutschland aus- zurichten und in einem noch lockeren Clearingverbund unter deutscher Steuerung in einen engeren Konnex zueinander zu bringen. Auf diese Weise konnte deutsches rüstungswirt- schaftliches Interesse in hohem M a ß e befriedigt werden. Zum anderen w a r es Resultat des Umstandes, daß bei Kriegsbeginn durch die zunächst unterbliebene Besetzung der Nieder- lande und Belgiens das T o r zum Weltmarkt einen größeren Spalt breit offen blieb34. Im übrigen hat es Berlin verstanden, die Handelsbeziehungen auch zu Frankreich bis zum Beginn des Krieges in einer Weise zu pflegen, die ihm ein hohes M a ß an rüstungswirtschaft- lichen Rohstoffimporten garantierte. Schröder weist darauf hin, daß es 1937 mit dem Erz- Koks-Abkommen gelang, die deutsche Stahl- und Eisenproduktion durch französische Lie- ferungen auf hohem Niveau und gleichzeitig preisstabil zu halten, da Deutschland im Ge- genzug fast den Gesamtbedarf der französischen Industrie an Koks deckte und dergestalt ein bedeutsames Abhängigkeitsverhältnis zugunsten des Reiches schuf3 5. Positiv schlug f ü r die deutsche Rüstungswirtschaft die Intensivierung des Außenhandels mit Südosteuropa zu Buche, w o sie in starker K o n k u r r e n z zu Frankreich stand. Paris versuchte lange, Berlin zu einem gemeinsamen wirtschaftlichen Engagement in Drittländern zu bewegen, w o r a n die NS-Machthaber aber dort nicht interessiert waren, w o sie — wie in den Balkanstaaten — ih- re ökonomischen Interessen ohne Hilfe eines Partners wahrzunehmen vermochten. Doch trotz bedeutsamer Importsteigerungen hatten sich die bei Kriegsbeginn unerreichbaren Ab- satzmärkte und Bezugsquellen nicht halbwegs substituieren lassen. Obwohl der Außenhan- delsanteil der USA, Großbritanniens und Frankreichs konsequent gesenkt worden war, be- trug er 1938 am deutschen Import immer noch das Eineinhalbfache der Einfuhren aus ganz Südosteuropa. Schließlich hat die W e h r m a c h t f ü h r u n g aber einer Politik der ökonomischen Konzentration auf Europa schon während der Aufrüstungsphase keinen nachhaltigen Wi- derstand entgegengesetzt. Im Krieg ließ sie sich dann nicht nur zum Zweck ökonomisch motivierter Intervention instrumentalisieren. Sie hat das Ziel der deutschen D o m i n a n z über Europa nicht weniger als die politischen und wirtschaftlichen Eliten fest anvisiert.

Begrenztheit der Ressourcen und Produktionskapazitäten haben zu einer sukzessiven Ex- pansion zwecks Erweiterung der ökonomischen Basis des deutschen wirtschaftlichen und politischen Hegemonialraumes gezwungen. Stichworte: Österreich, Tschechoslowakei, Polen3 6.

Natürlich war der Anschluß Österreichs integraler Bestandteil nationalsozialistischer ex- pansiver Volkstumspolitik. Allerdings dürften wirtschaftliche Überlegungen den Zeitplan der Annexion bestimmend beeinflußt haben. »Seit mit dem Inkrafttreten des Vierjahrespla- nes die deutsche Wirtschaftspolitik deutlich auf Rüstung und damit Autarkie ausgerichtet worden war, gewannen in den politischen Überlegungen zu Österreich die wirtschaftlichen Aspekte immer mehr an Gewicht«, heißt es in einer von Butschek im Österreichischen Insti- tut f ü r Wirtschaftsforschung erarbeiteten Untersuchung3 7. Die durch den Vierjahresplan überlastete deutsche Wirtschaft konnte die hochgesteckten rüstungsökonomischen Ziele

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nur durch die territoriale Erweiterung der Wirtschaftsbasis erreichen. W a s lag also näher, als sich mit den vorhandenen militärischen Kräften Österreichs zu bemächtigen, das über bedeutsame Rohstoffvorkommen, unausgelastete Produktionskapazitäten, Energie- und Devisenreserven, letztlich über personelle Ressourcen verfügte. Nichts verdeutlicht den ökonomischen Stellenwert Österreichs beispielhafter als die — wenn auch nur kurzzeitige — Ernennung von Hitlers ehemaligem persönlichen Wirtschaftsberater Keppler zum »Reichs- beauftragten für Österreich«. Butschek hat die wirtschaftspolitischen Intentionen des D e u t - schen Reiches gegenüber dem angeschlossenen Österreich treffend formuliert. Ziel deut- scher Wirtschaftpolitik sei es gewesen, »die Arbeitslosigkeit rasch zu beseitigen und gleich- zeitig die österreichischen Produktionskapazitäten f ü r die Kriegsvorbereitung zu nutzen.

[. . .] 1933 mußte die Aufrüstung erst in G a n g gesetzt werden, 1938 lief sie auf vollen T o u - ren und benötigte die österreichischen Kapazitäten.«3 8 In der sehr sorgfältigen Untersu- chung werden die — zumeist positiven — industriewirtschaftlichen Auswirkungen des »An- schlusses« f ü r Österreich herausgearbeitet, die mehrheitlich schon bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges deutlich in Erscheinung traten. Ebenfalls sollte die agrarische Erzeu- gung ausgeweitet werden, denn »die Kriegsvorbereitung erforderte die Autarkie auch auf dem Gebiet der Ernährung« Doch ungeachtet aller Unterstützungsmaßnahmen f ü r die Landwirtschaft blieben die Erfolge mit Ausnahme der Jahre 1941 und 1943 aus. Wie im Alt- reich so führte auch in Österreich vor allem die rüstungsindustriell bedingte Landflucht zu Produktionseinbußen. Insgesamt zeigten sich im Verlauf des Krieges parallele Entwicklun- gen zum deutschen Kernland : zum einen steigende Einkommen, Qualitätseinbußen und ei- ne Reduzierung der Vielfalt der Angebote, zum anderen ein Wachstum der Grundstoff- und Investitionsgüterindustrie, ein Schrumpfungsprozeß in der Konsumgüterwirtschaft.

Insgesamt gesehen hat sich nach der vorliegenden Studie der Anschluß f ü r Österreich öko- nomisch nicht negativ ausgewirkt, es sei denn, man zieht die Kriegseinwirkungen in die Be- trachtung mit ein. D a n n allerdings bleibt die Feststellung, daß die alliierten Angriffe, die ab Mitte 1944 begannen, zur Vernichtung eines Großteils der Produktionsanlagen führten.

W ä h r e n d des Krieges brachte man insbesondere die Staaten Südosteuropas unter politisch- ökonomische Botmäßigkeit. Ein beredtes Beispiel ist Kroatien, über dessen ökonomische Integration und Ausbeutung innerhalb des NS-Großwirtschaftsraumes eine beispielhaft in- formative Habilitationsschrift vorliegt. Sundhaussen verfolgt die deutschen privatwirt- schaftlichen und staatlichen M a ß n a h m e n vom Beginn der 30er Jahre an, die konsequent auf die Schaffung eines südosteuropäischen Ergänzungsraumes ausgerichtet waren, Bemühun- gen, die mit Schachts »Neuem Plan« 1934 intensiviert, ab 1940 forciert wurden4 0. D e r jugo- slawische Teilstaat Kroatien war eines der prominentesten O p f e r nationalsozialistischer Ausbeutungsstrategie in Form von Kapitalbeteiligungen, Produktionssteuerung, Ausrich- tung des Außenhandels auf Deutschland. Wie der Verfasser nachweist, blieb eine langfristi- ge Planung eines auf Arbeitsteilung angelegten Großraumes durch das von der Notwendig- keit des Krieges diktierte außenwirtschaftliche Verhalten Deutschlands aus. Unter kurzfri- stigen kriegsökonomischen Aspekten ließ sich auf der deutschen Habenseite einiges verbu- chen: Deutschland hatte alle ausländischen konkurrierenden Kapitalanleger verdrängt und sich auf den ersten Platz vorgeschoben. Deutschland wie Kroatien profitierten von der Pro- duktionsverlagerung nach dem Balkan, doch das niedrigere technologische und P r o d u k - tionsniveau in Kroatien bewirkte eine starke Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklich- keit. Anders sah es bei den Arbeitskräften aus : R u n d eine viertel Million kroatischer Bürger arbeitete Ende des Krieges im Dritten Reich. Das wirkte sich allerdings negativ für die H e i - mat aus : Hier herrschte nun ein Mangel an Facharbeitern, was auf die Exporterzeugung f ü r Deutschland durchschlug. Die Lohnauszahlungen f ü r kroatische Fremdarbeiter heizten die

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Inflation an. Letztlich entwickelte sich Kroatien im Verlauf des Krieges gesamtwirtschaft- lich gesehen sogar zu einem Zuschußgebiet, dessen vielfältige Bedürfnisse aus Deutschland, bzw. aus den von diesem beherrschten Großraum befriedigt werden mußten.

Der Illustration der Wirtschaftspolitik gegenüber Südosteuropa mag eine aufschlußreiche Mainzer Fallstudie Riemenschneiders über Ungarn dienen4 1. An der Gestaltung des Ver- hältnisses des Madjaren-Staates zum Dritten Reich läßt sich beispielhaft ablesen, wie man in Berlin politisch und ökonomisch mit Freunden umging. Ungarn nahm insofern eine Son- derstellung auf dem Balkan ein, als sich seine nichtslawische Bevölkerung als dominante Rasse der Donauregion verstand, die mit Hilfe der N S - M a c h t h a b e r — neben territorialer Arrondierung, Revision von T r i a n o n — zu einer Führungsrolle in Südosteuropa gelangen wollte. Ökonomisch beanspruchte man einen eigenen kleinen Großwirtschaftsraum im grö- ßeren europäischen Ganzen, und Budapest war bereit, dafür den Preis treuer Vasallenschaft bis in den Krieg zu zahlen. In Berlin nahm man ein solches Anerbieten gerne entgegen, ohne dem ungarischen Anspruchsdenken das entsprechende Verständnis entgegenzubringen. Es erfolgte zunächst einmal eine mit territorialen Versprechungen erzielte feste Integration des Donaustaates in den »Neuen Plan«, später in den Vierjahresplan. Reisen Schachts und Gö- rings im Verlauf des Jahres 1936 ließen keinen Zweifel daran aufkommen, daß man auf deutscher Seite nicht an eine infrastrukturelle Verbesserung der ökonomischen Grundla- gen, sondern an eine strukturelle Anpassung an rüstungs- und vor allem ernährungswirt- schaftliche Bedürfnisse des Reiches dachte. Ungarn legte solchem Bemühen in der Erwar- tung territorial-machtpolitischer Kompensation keine besonderen Erschwernisse in den Weg. Es ließ sich einen Wechsel auf die Z u k u n f t ausstellen, den Berlin tatsächlich in einer ersten Rate mit dem im Ersten Wiener Schiedsspruch erfolgten Zuschlag des südlichen Teils der Tschechoslowakei an U n g a r n einlöste. D e r Zweite Wiener Schiedsspruch, neben weite- ren wirtschaftlichen Zugeständnissen mit der endgültigen Aufgabe der Neutralität schwer bezahlt, brachte in Form der Zuerkennung rumänischen Territoriums lediglich eine Teilbe- friedigung ungarischer Revisionswünsche. Die Rückgliederung der Batschka an U n g a r n er- folgte unter dem Vorbehalt rücksichtsloser wirtschaftlicher Ausbeutung, insbesondere der Erdölvorkommen, durch Deutschland. Schließlich bestimmte man von Berlin aus nahezu das gesamte wirtschaftliche Geschehen in Ungarn, und das Reich w a r in einer Weise gegen- über dem Donaustaat verschuldet, daß im Zuge der militärischen Niederlage des Dritten Reiches oppositionelle Kräfte immer stärker wurden, die den Ausbruch aus der Hitlerkoali- tion betrieben. Z w a r ist bei der Besetzung Ungarns im M ä r z 1944 das mit dem Budapester Versuch, aus der Phalanx der deutschen Kriegsverbündeten auszuscheren, verbundene po- litische und militärische M o m e n t von Bedeutung gewesen. Doch waren ökonomische Uber- legungen besonders maßgeblich. M a n wollte und konnte auf den wirtschaftlichen Ergän- zungsraum nicht verzichten, meint der Autor.

Arbeits-, Lohn-, Sozialpolitik

In Anbetracht der Tatsache, daß es der N S D A P auch noch in den Märzwahlen 1933 nicht gelungen war, einen nennenswerten Einbruch in das Wählerpotential der traditionellen Ar- beiterparteien SPD und K P D zu erzielen, hing das Schicksal des Nationalsozialismus als Regierungsmacht auch von dem Vermögen ab, die Sympathien der sogenannten werktäti- gen Bevölkerung zu gewinnen. Mit dem Verbot der genannten Parteien und der Zerschla- 142 gung der Gewerkschaften hatte man die Arbeiterschaft zwar ihres politisch-organisatori-

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sehen Instrumentariums beraubt, gleichzeitig aber H a ß und Skepsis gegenüber dem NS- Regime noch verstärkt. Zwei Wege beschritt die NS-Führung, um sich der Arbeiterschaft zu nähern. Auf dem einen verfolgte sie das Ziel der sozialen und materiellen Besserstellung, insbesondere durch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Davon wird noch zu sprechen sein. Den anderen beschritt sie in Richtung einer ideologischen Integration. Wie sie dies an- gestellt hat und wie erfolgreich sie damit war, beschreibt Heuel in einer Dissertation, die in gekürzter Form in Druckfassung erschienen ist42. Selbst bei reduziertem U m f a n g werden dem Leser f ü r den Betrachtungszeitraum von nur zwei Jahren rund 670 Seiten als Lektüre zugemutet. Erschwert wird das Lesen nicht nur durch die Detailfülle, sondern auch durch einen Schwall von Fremdworten und durch substantive Ungetüme. D a lesen wir von »un- verbindlicher Gesinnungsmaxime«, von einer »imaginären Erfüllungsform aller antikapita- listischen Protestation«, von »gesellschaftlichen Deprivationserfahrungen« und von Be- standteilen »praxisinstruierender Gesellschaftsbilder«43. D e r Autor zwingt den Leser bis- weilen, über den einfachen Aussagewert komplizierter Sätze lange nachdenken zu müssen, so über den folgenden : »Doch braucht diese Transformationsoperation, in der der marxisti- sche Antikapitalismus ununterscheidbar wird vom prokapitalistischen Interesse und die ra- dikale Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft in ihr Gegenteil verkehrt wird, offenbar eines diskursiven Verankerungspunktes, der ihr ein höheres M a ß an Glaubwürdigkeit verleiht und sie vernetzt mit anderen, gefestigten Bedeutungselementen der ideologischen Gemen- gelage.«44 W e r sich nicht davon abbringen läßt, auch ein Kapitel über »Betriebsverfassung als Derivat des globalen ideologischen Inventars« 45 zu studieren, erfährt, mit welch nach- haltigem Bemühen auf unterschiedlichen Ebenen die Nationalsozialisten versucht haben, mit politischer Uberzeugungsarbeit, mit dem Aufbau der Deutschen Arbeitsfront und durch Pflege überkommener kultureller und politischer Traditionen der Arbeiterbewegung diese für sich einzunehmen. Das begann mit der Aufwertung des 1. Mai vom sozialistischen zum nationalsozialistischen Feiertag, der nun die Attribute des Gedenktages der lebendigen Ar- beit, eines Frühlingsfestes und eines Nationalfeiertages trug. Eingehend wird die Arbeiter- ideologie und -propaganda untersucht, wobei offenkundig wird, mit welch raffiniertem Einfühlungsvermögen und mit welch demagogischer Akribie eine regelrecht neue Arbeiter- sprache formuliert wurde. Dies und die Konsolidierung der materiellen Lage bewirkten schließlich, daß ein höherer Grad ideologischer Konsensbildung zwischen Arbeiterschaft und Nationalsozialismus erreicht wurde, als dies bisherige Forschungsergebnisse vermuten lassen. Flankiert von terrorisierenden M a ß n a h m e n haben die NS-Machthaber es jedenfalls verstanden, eine für die Rüstungs- und spätere Kriegswirtschaft unabdingbar notwendige bewußtseinsmäßige und gewaltsame Disziplinierung zu erreichen, derzufolge größere, das System gefährdende Widerstandshandlungen bis zum Kriegsende unterblieben. Allen sprachlichen Eskapaden zum T r o t z handelt es sich also um ein wichtiges Buch.

Wolffsohn ist in seiner sehr umfänglichen Berliner Dissertation der Frage nach den Priori- täten innerhalb nationalsozialistischer Arbeitsbeschaffungspolitik und ihrer Effizienz nach- gegangen. Schließlich interessierte ihn die Reaktion von Industrie und H a n d w e r k zwischen

1933 und 1934 auf diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. D e r Materialreichtum, der hier ausgebreitet wird, steht in einem seltsamen Gegensatz zur mangelnden politischen Proble- matisierung. D e r Autor tut sich daher schwer, neben dem materiellen Stellenwert auch den politischen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des NS-Regimes proportional richtig zu bemessen. Das läßt sich rasch erläutern: Zitiert wird Innenminister Frick auf der Kabinetts- sitzung vom 8. Februar 1933 mit der Anregung, »im Hinblick auf die Wahlen vom 5. M ä r z zu prüfen, ob nicht tunlichst sofort einige Dinge auf sozialpolitischem Gebiet gemacht wer- den könnten«4 6. Hier wird als wahltaktisches Manöver stilisiert, was Hitler auf derselben

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Sitzung einige Sätze weiter ganz anders formulierte: »Jede öffentlich geförderte Arbeitsbe- schaffungsmaßnahme müsse unter dem Gesichtspunkt beurteilt werden, ob sie notwendig sei f ü r die Wiederwehrhaftmachung des deutschen Volkes. Dieser G e d a n k e müsse immer und überall im V o r d e r g r u n d stehen.« Aufrüstung w a r das M o t t o , unter dem die Arbeitsbe- schaffung betrieben wurde, und zwar die zunächst schlecht durchschaubare indirekte, rela- tiv schnell auch die direkte Aufrüstung. Die Änderung des Kraftfahrsteuergesetzes zugun- sten der Autobesitzer wird als wichtiger Anreiz zum Autokauf und damit zur A u t o p r o d u k - tion und zum Ausbau der gesamten Verkehrswirtschaft bewertet und als reine k o n j u n k t u r - politische M a ß n a h m e erachtet. In einen politischen Zusammenhang gestellt, ergibt sich das, was der Reichsverkehrsminister auf eben dieser Kabinettssitzung ausgeführt hatte: W e n n man den Krieg in das politische Kalkül mit einbeziehe, müsse »im Ernstfalle [. . .] das ge- samte deutsche Verkehrsnetz in O r d n u n g sein». Insbesondere lag dann »der Ausbau der deutschen Wasserstraßen im wehrpolitischen Interesse«. Selbst nach Schachts Memoiren spielte »bei der Arbeitsbeschaffung [. . .] die Aufrüstung eine nicht unbeträchtliche Rolle» 47. Eine bescheidene rüstungswirtschaftliche Bedeutung mißt auch W o l f f s o h n der Arbeitsbe- schaffung bei. Er klopft zudem die industriellen Interessenvertretungen auf ihre H a l t u n g zur staatlichen Arbeitsbeschaffung ab und kommt hier zu der wohl richtigen Beurteilung, daß unterschiedliche Repräsentanten solcher Einrichtungen auch von einander abweichen- de Meinungen vertraten. Immerhin haben Industrie und Straßenbaugewerbe und damit in Verbindung stehende Branchen sich nicht beklagen müssen. O t t o Wolff schrieb den raschen konjunkturellen Aufschwung Rüstung und Straßenbau zu. Insgesamt beurteilt Wolffsohn das Verhältnis zwischen Industrie und der von Hitler geführten Regierung in den Jahren 1933/34 als zu distanziert. Er beachtet überhaupt nicht, daß es zunächst noch eine Koaliti- tonsregierung mit der D N V P gegeben hat, einer Partei, der die Sympathie eines gut Teils der Großwirtschaft gehörte. Auch die H a l t u n g des Handwerks gegenüber den Arbeitsbe- schaffungsmaßnahmen erscheint zu indifferent.

Was die Untersuchung in ihrem Ergebnis so fragwürdig macht, ist die Tatsache, daß ihr Verfasser nahezu alle politischen Fragen aus der Betrachtung ausgeblendet hat. So weist er ausdrücklich darauf hin, d a ß das Problem Aufrüstung nicht thematisiert, d a ß die Frage des Verhältnisses von Mittelstand und Nationalsozialismus bereits anderenorts von anderen Autoren beantwortet worden sei. Es handelt sich also um eine rein faktographische Studie, die dennoch suggeriert, zwischen nationalsozialistischer Regierung u n d Industrie- bzw.

H a n d w e r k s f ü h r u n g habe es gravierende generelle wirtschaftspolitische Differenzen gege- ben, was sich in der ausschließlichen Diskussion um die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht beweisen läßt.

Sagen wir es noch einmal deutlich : Wie alle wirtschaftlichen Bereiche — darüber gibt es in der ernsthaften wissenschaftlichen Diskussion keinen Zweifel mehr — stand auch die natio- nalsozialistische Arbeitspolitik im Dienst von Aufrüstung und Krieg. Allerdings hat das N S - Regime den Arbeitern — wie den Industriellen — gegenüber Zugeständnisse machen müs- sen. Waren sie doch bis zum Mai 1933 weitgehend gewerkschaftlich organisiert und daher während der NS-Zeit ein latentes politisches Unruhepotential. Die mittels indirekter u n d direkter Aufrüstung relativ rasch beseitigte Arbeitslosigkeit verfehlte ihre politisch-psycho- logische W i r k u n g zunächst nicht und wirkte systemstabilisierend. D a r ü b e r hinaus mußte al- lerdings auch der Lohn stimmen, wollte man die Arbeiterschaft politisch bei der Stange hal- ten.

Einblick in die Lohnverhältnisse gewährt ein von Petzina und Abelshauser vorgelegtes T a - bellarium, das Vergleichsmöglichkeiten im Zeitraum zwischen 1913/14 und 1943/44 bietet.

Demzufolge ist festzustellen, daß Nominal- wie Reallöhne je Stunde zwischen 1933 und

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1944 deutlich über denen von 1913/14 lagen, daß aber die Spitzen von 1928 nicht erreicht wurden. Das trifft auch für Tariflöhne von Fach- und Hilfsarbeitern zu, die sich mühsam dem Lohnniveau auf dem H ö h e p u n k t der Weltwirtschaftskrise 1932 zu nähern vermochten.

Lediglich die Reallöhne je W o c h e übertrafen seit 1938 diejenigen während der H o c h k o n - junktur der Weimarer Zeit, dies aber nur aufgrund einer wesentlich höheren W o c h e n a r - beitszeit48. Die Lebenshaltungskosten waren 1913/14 zwar wesentlich niedriger als zwi- schen 1933 und 1944, doch blieben sie während der ganzen NS-Zeit zum Teil deutlich un- ter denen der Jahre 1928/294 9. Die effektiven Bruttomonatsgehälter der Angestellten über- stiegen 1941 die Spitzengehälter des Jahres 192950. Diese Statistik gilt es allerdings zu über- prüfen.

Nachdem in den 60er und 70er Jahren eine Reihe von Arbeiten über die soziale Lage der deutschen Arbeiterschaft erschienen ist51, die relativ allgemeinen Charakter tragen und sich auf die Vorkriegs- und frühe Kriegsphase beziehen, liegt nun von W e r n e r eine Studie vor, die sich als zeitliche und spezialisierte Fortsetzung versteht. D e r Verfasser der Bochumer Dissertation untersucht die Lohnsituation und kommt zu Modifizierungen gegenüber dem Tabellarium von Petzina, Abelshauser und Faust. Zumindest bis in die Phase des »totalen Krieges« hinein gestaltete sich seiner Auffassung nach die materielle Lage der Arbeiter bes- ser, als in der Forschung bislang angenommen. D e r Grund : D e r W e r t der W a r e Arbeit w a r mit ihrer Verknappung durch eine überlastete Rüstungsproduktion und durch den M e n - schenbedarf der W e h r m a c h t in einer Weise gestiegen, daß sich die anfänglichen restriktiven M a ß n a h m e n des NS-Regimes nur in bescheidenem Umfange durchführen ließen. In der Untersuchung wird besonders deutlich, daß alle vom Krieg diktierten arbeitspolitischen M a ß n a h m e n dort ihre Grenze fanden, w o die NS-Machthaber um politische Gunst und Motivation des Arbeiters fürchten mußten. So ließen sich die von der Industrie insbesondere seit Beginn des Vierjahresplanes eigenmächtig gezahlten Locklöhne und unterschiedlichen Zuschläge auf die Tariflöhne bei Kriegsbeginn nicht mehr zurücknehmen. Staatlicherseits geforderte Leistungssteigerungen wurden zum großen Teil durch Ausfälle wegen Krankfei- erns, durch willkürliche Fehlschichten und hohe Abwesenheitsraten der Arbeiter paraly- siert. Lohnerhöhungen stand allerdings eine Steigerung der Lebenshaltungskosten gegen- über. Materiell im wesentlichen befriedigt, blieb die Arbeiterschaft daher politisch bei der Stange, zumindest bis zum sogenannten Ernährungsschock von 1942, der die Versorgungs- situation verschlechterte. Aber das mangelnde Kaufangebot und auch das Abschöpfen der Kaufkraft durch spezielle Sparsysteme ließ die Arbeiterschaft nicht zu einem unzufriedenen Protestpotential werden. Lethargie war die Reaktion, aus der sich ein Teil der Arbeiter- schaft allerdings aufrütteln ließ, als versucht wurde, Frauen und Kinder aus den luftan- griffsgefährdeten Regionen zu evakuieren. Jetzt gab es Arbeitsverweigerungen und nicht zu unterbindende Demonstrationen. Relativiert werden auch die verbreiteten Ansichten über den Krankenstand, weil er sich nicht so sehr aus politischer Motivation erklären läßt, wohl aber aus Arbeitsüberlastung. Auch hier ist zu sagen, daß sich der Krankenstand in Grenzen hielt, seit 1944 durch Kontrollen praktisch jeder krankfeiernde Arbeiter erfaßt wurde. Erst in der Schlußphase des Krieges w a r die Arbeiterschaft schier unerträglichen Belastungen ausgesetzt, zumal sie durch Einberufungen zur Wehrmacht rapide überalterte. Jetzt machte sich eine schlechte Versorgung kräftezehrend geltend. »Trotz aller Belastungen gingen die meisten noch vorhandenen Arbeitskräfte ihrer Tätigkeit im Betrieb nach, der ihnen wenig- stens einen Abglanz von Normalität bot und die H o f f n u n g , im Schatten der W e r k b a n k der Einberufung und den Wirren des Krieges zu entgehen.«5 2

U m den Faktor Arbeit in die rüstungswirtschaftliche und politische Kalkulation einbeziehen zu können, versuchte das NS-Regime, umfängliche arbeitsrechtliche N o r m e n zu setzen. In

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welcher Form und mit welchem Erfolg dies geschah, hat die Dissertation von Kranig aufzu- zeigen versucht. Die dreigliedrige Arbeit beschäftigt sich in ihrem ersten Teil mit den ar- beitsrechtlichen M a ß n a h m e n bis zum Jahre 1936. Mit der Zerschlagung der Gewerkschaf- ten Anfang Mai 1933 wurde das kollektive Arbeitsrecht beseitigt. Die Ersatzorganisation

»Deutsche Arbeitsfront« (DAF) nahm bis gegen Ende des Jahres 1933 die Zwitterstellung zwischen einer nationalsozialistischen Einheitsgewerkschaft und einem Arbeitnehmer und Arbeitgeber umfassenden Verband ein, der Interessengegensätze ausgleichen sollte. Ende November 1933 verlor die DAF bereits ihre materiell gestalterische Aufgabe. W e g e n unkla- rer Kompetenzabgrenzungen zwischen der Parteiorganisation D A F und zuständigen Staatsstellen hat die DAF stets versucht, über die ihr zugedachten sozialen Aufgaben hinaus Einfluß auf das gesamte Arbeitsleben zu nehmen. Für die ersten Jahre des Dritten Reiches blieb allerdings das Reichswirtschaftsministerium die arbeitsrechtlich entscheidende Institu- tion, die durch das Gesetz zur O r d n u n g der nationalen Arbeit vom J a n u a r 1934 eine ent- scheidende arbeitsrechtliche Weichenstellung vornahm. Es legte analog zur Volksgemein- schaft die Betriebsgemeinschaft fest und wies der Arbeit den Stellenwert der Gemeinnützig- keit, sprich eine rüstungswirtschaftliche Funktion zu. Konsequenterweise enthielt das Ge- setz eindeutige Präferenzen zugunsten der Arbeitgeber, die in der Betriebsordnung nahezu alle Arbeitsbedingungen einschließlich der Lohnhöhe regeln konnten, soweit dem keine maßgeblichen staatlichen Direktiven entgegenstanden. Eingeengt w u r d e der lohn- und so- zialpolitische Spielraum der Unternehmer durch die T r e u h ä n d e r der Arbeit als die eigentli- chen Tarifpartner, deren Durchsetzungsfähigkeit im Laufe der Zeit ständig nachließ.

Einen entscheidenden arbeitsrechtlichen Einschnitt bildeten der Vierjahresplan von 1936 und die Bestallung Sauckels als Generalbevollmächtigter f ü r den Arbeitseinsatz im Jahre

1942. Die Entmachtung des Reichsarbeitsministeriums brachte zum Ausdruck, wie Kranigs Untersuchung nachweist, »daß seit 1936 die Gestaltung des Arbeitsrechts mehr und mehr rüstungs- und kriegswirtschaftlichen Zielsetzungen untergeordnet wurde«5 3. Die arbeits- rechtliche Normsetzung, so das Ergebnis der Dissertation, blieb — nach 1939 kriegsbedingt

— vielfach im Provisorischen stecken, trug durch die rüstungswirtschaftliche Priorität im ökonomischen P r o z e ß nicht selten den Charakter des Vorläufigen und des aktuell N o t w e n - digen. W ä h r e n d der Einfluß der Arbeitgeber insbesondere seit dem Inkraftsetzen des Vier- jahresplanes und der Einnahme bedeutsamer administrativer Positionen durch private Wirt- schaftsführer erhalten blieb, ja wuchs, auch die N S D A P und der Staat vorzugsweise auf Ar- beitsmarkt, Löhne und Arbeitsbedingungen Einfluß auszuüben vermochten, ist eine fort- schreitende Entrechtung der Arbeitnehmer zu konstatieren. »Die Peitsche des staatlichen Terrors wurde gegen diejenigen eingesetzt, die sich trotz der Kompensation, trotz des Zuk- kerbrots der materiellen Sicherung, nicht mit ihrer Entrechtung abfinden wollten.«5 4 Im- merhin aber gelang es der Arbeitnehmerschaft im Bewußtsein ihres hohen Stellenwertes im rüstungsökonomischen System, die als kriegsnotwendig begründeten Versuche der Ver- schlechterung der Arbeitsbedingungen und des Sozialgefüges weitgehend abzuwenden. Die staatliche Nachgiebigkeit in diesem Bereich trug Früchte: Sie gewährleistete relativ kon- stante Arbeitsbedingungen während der gesamten N S - H e r r s c h a f t und wirkte sich, zusam- men mit der kriegswirtschaftlich bedingten Sicherheit der Arbeitsplätze, letztlich ö k o n o - misch und politisch stabilisierend aus. Dies ist sicherlich ein bedeutsames Ergebnis von Kra- nigs Studie, das mit erklärt, warum laut Umfragen in der Frühphase der Bundesrepublik selbst Arbeiter der Meinung waren, ihnen sei es auch im Vergleich z u r Weimarer Zeit im Dritten Reich am besten gegangen.

N o c h einige Sätze zur Arbeitsgerichtsbarkeit, die eine gewisse strukturelle Kontinuität zur 146 Weimarer Republik beibehielt, personell allerdings »gleichgeschaltet wurde«. H i n z u kam,

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daß für die erste arbeitsgerichtliche Instanz die DAF die Prozeßvertretung der Arbeitneh- mer übernahm, wodurch sie einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Rechtssprechung ebenso ausübte wie durch die Aufstellung der Listen, aufgrund derer die Laienbeisitzer aus- gewählt wurden. Zudem wurde der Tätigkeitsbereich der Arbeitsgerichte zunehmend zu- gunsten innerbetrieblicher Regulierungsmechanismen in Streitfällen eingeengt. Insgesamt war unter den rüstungs- und kriegswirtschaftlichen Bedingungen des Dritten Reiches der Arbeitsanfall der Arbeitsgerichte rückläufig55, wohl auch aufgrund von Terror und Ein- schüchterung. Hinzuweisen ist noch auf die soziale Ehrengerichtsbarkeit, die als Diszipli- nierungsinstrumentarium gedacht war, das insbesondere gegenüber Arbeitgebern ange- wandt wurde, die gegen Tarifrecht und Arbeitsordnung verstoßen hatten — ein aus poli- tisch-psychologischen Erwägungen erwachsenes Entgegenkommen gegenüber den Arbei- tern.

Eine bei Dietmar Petzina entstandene Dissertation von Hisashi Yano untersucht als Fallstu- die die Arbeits- und Betriebsverhältnisse sowie die soziale Situation der Hüttenarbeiter zweier deutscher Unternehmen56. Der Verfasser geht der Frage nach, ob es am Vorabend des Zweiten Weltkrieges eine Systemkrise im sozialen Bereich gegeben hat, und er will dies an den »sozialen Realitäten in einem Industriezweig«57 verifizieren. Der Zeitraum zwischen 1936 und 1939 ist gekennzeichnet durch den Wandel von der Arbeitslosigkeit zum Arbei- termangel im Zeichen hoher kriegsvorbereitender rüstungswirtschaftlicher Anstrengungen.

Wie hat sich dies nun auf die soziale Lage der Arbeiterschaft in den genannten Unterneh- men ausgewirkt? Gekennzeichnet war die Lage in der Hüttenindustrie durch das sich zwi- schen 1936 und 1939 verschärfende Problem gewünschter Erzeugungssteigerung, bei unge- nügender Zuweisung von Eisen und Stahl zwecks notwendiger Investitionen zur Produk- tionssteigerung. Gekennzeichnet war die Situation ferner durch den quantitativen und qua- litativen Mangel an Arbeitskräften. Angesichts dieses Zustandes spielte die Arbeitszeit eine entscheidende Rolle. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß die Produktionsan- forderungen einerseits zu Arbeitszeitverlängerungen andererseits dort zu kürzeren Arbeits- zeiten führten, wo auf den Dreischichtbetrieb umgestellt wurde. In den genannten Betrie- ben lief diese Entwicklung mit einer Verlängerung des Urlaubs einher. In der Studie wird auch auf den Gesundheitszustand der Arbeiterschaft eingegangen, wobei ein interessantes Phänomen auftaucht: Nicht etwa das Alter des Arbeiters war für den Gesundheitszustand maßgebend, sondern die Dauer der Zugehörigkeit zur Belegschaft. So erwies sich der Ge- sundheitszustand der Stammarbeiter wesentlich stabiler als der der Neueinstellungen, also der zum Teil durch lange Arbeitslosigkeit der Arbeit entwöhnten Belegschaftsmitglieder.

Die Länge der Betriebszugehörigkeit dürfte auch ein psychologisch nicht zu unterschätzen- des Moment in sich geborgen haben, nämlich ein intensives Gefühl der Verbundenheit mit dem Unternehmen. Auch die Produktionsweise war ein bestimmender Faktor für Krank- heits- und Betriebsunfallhäufigkeit. Interessant ist, daß in den in Frage stehenden Betrieben zwar Arbeitszeitverlängerung und Intensivierung der Arbeit sowie das forcierte Arbeitstem- po den Anstieg der Krankheits- und Unfallrate mitbestimmten, daß allerdings als wesentlich ursächlicher die mit der Rohstoffknappheit verbundenen Produktionsveränderungen und die Veränderungen des Schichtsystems anzusehen sind. Die Spezialstudie bestätigt auch ge- neralisierende Ergebnisse bezüglich des Lohnes: In der eisen- und stahlerzeugenden Indu- strie stiegen die Löhne zwischen 1936 und 1939 überdurchschnittlich hoch, wobei qualifi- kationsspezifische Unterschiede festzustellen sind. 1938/39 wirkte sich die Produktionssta- gnation entsprechend auf die Löhne aus. Als Fazit wird allerdings festgehalten: »Bis zum Kriegsausbruch verbesserte sich [.. .] die Lohnsituation der Arbeiter in den Hüttenwerken 147 der G H H und in der Gußstahlfabrik durchgreifend. Dies gilt ebenso für die Kaufkraft der

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Löhne.«5 8 Die sozialen Einrichtungen der genannten Betriebe verdienen durchaus Beach- tung. Angesichts des mit wachsender Aufrüstung reduzierten Wohnungsbaus der öffentli- chen H a n d gewann der betriebliche besondere Bedeutung, auch wenn er fast ausschließlich dem alten Stammpersonal zugute kam. Dies und individuellen Forderungen der Arbeiter- schaft entsprechendes soziales Entgegenkommen der Unternehmer führten letztlich dazu, d a ß bis 1939 willkürliche Feierschichten und umfänglichere Protestaktionen der Arbeiter nahezu ausblieben. Das soziale Verhalten der Arbeiterschaft im Betrieb w a r eher durch Pas- sivität als durch Opposition gekennzeichnet, wobei die letztere in mehr oder minder indivi- dualisierter Form praktiziert wurde. Insgesamt handelt es sich bei der hier vorgestellten Dis- sertation um eine sehr solide, um Differenzierung bemühte Untersuchung.

Besondere Einblicke in die Industriearbeit gewährt die an der Freien Universität Berlin ent- standene Dissertation von Hachtmann5 9. Die Eisen- und Stahlindustrie, aber auch die me- tallverarbeitende und die Textilindustrie stehen im Mittelpunkt der Untersuchung, doch bleibt auch der gesamtindustrielle Komplex im Blick, wobei schwerpunktmäßig die V o r - kriegszeit beobachtet worden ist. Neben den sogenannten klassischen arbeitspolitischen Feldern wie Beschäftigung, Arbeitszeit, Löhne und Gesundheitsverhältnisse behandelt der Autor auch den Sektor von Rationalisierung und Modernisierung. Hier hat sich ein P r o z e ß vollzogen, über den noch verhältnismäßig wenig bekannt ist. Generell verfolgte die Arbeits- politik folgendes Ziel: »Betriebliche Fertigungstechniken, Arbeitsorganisation und Entloh- nungssysteme sollten so modernisiert werden, daß Arbeitsleistung und Produktionsvolu- men im Hinblick auf den geplanten Krieg optimal gesteigert werden konnten, ohne d a ß die

>Arbeitsfreude< nachließ. Gleichzeitig war beabsichtigt, die Effektiwerdienste über die Ver- tiefung der Lohnunterschiede auf einem so niedrigen Niveau zu halten, daß die ökonomi- schen Kriegsanstrengungen nicht gefährdet wurden.« 60 Wie ging dies vonstatten und hat sich dies erreichen lassen?

N a c h kurzem Eingehen auf die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen beschäftigt sich H a c h t m a n n mit der Entwicklung der Arbeitszeit, wobei ihm das Verdienst z u k o m m t , in ei- ner gruppenspezifischen Analyse herauszufiltern, welchem Arbeiter bei welcher Qualifika- tion und bei welcher Beschäftigungsart welche Mehrarbeit zugemutet w u r d e , auch im Ver- gleich zur Endphase der Weimarer Republik. Wie zu vermuten, stieg die Arbeitszeit in den rüstungsrelevanten Branchen, insbesondere beim Fahrzeugbau, sehr rasch an, während sie bis 1939 im Nahrungs- und Genußmittelsektor niemals den wöchentlichen Durchschnitt des Jahres 1929 erreichte. Generell gesehen kam erst 1936 die wöchentliche Durchschnitts- arbeitszeit in Stunden an die H ö h e des Jahres 1929 heran, in der Gesamtindustrie lag sie 1941 in Vorbereitung und D u r c h f ü h r u n g des Überfalls auf die Sowjetunion vier Stunden über der von 1929, um dann langsam abzusinken, wobei der ermittelte Durchschnittswert bei den männlichen Arbeitskräften in etwa gleich blieb, bei den Arbeiterinnen hingegen ra- pide absank, so daß sich hieraus auch die verminderte wöchentliche Durchschnittsarbeits- zeit zu erklären scheint. Hervorzuheben ist, daß der Industriearbeiter zwischen 1941 und 1944 durchschnittlich etwa 51,3 Stunden zu arbeiten hatte. Zwar wurde Ende August 1944 die 60-Stundenwoche als Mindestarbeitszeit f ü r männliche deutsche Arbeitskräfte einge- f ü h r t ; dennoch sank die Arbeitszeit ab. Tatsächlich gab es Arbeitsausfälle durch Energie- und Rohstoffknappheit, durch den Wechsel von Produktionsschwerpunkten und nicht zu- letzt durch Bombenalarm. Ein Teil der produktiven Arbeitszeit mußte bisweilen auch f ü r Aufräumarbeiten, Werkschutz oder Einsatz bei der Heimatflak verwandt werden.

In einzelnen Industriezweigen differierend, hat es insgesamt eine beachtliche Produktions- steigerung während des Dritten Reiches gegeben, die nur zu einem geringen Teil auf die vermehrte Wochenarbeitszeit zurückgeführt werden kann. Sicherlich ist, wie H a c h t m a n n

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erläutert, die Einführung des Akkordlohnsystems mitbestimmend dafür gewesen, und die- ses wiederum w a r nur möglich vor dem Hintergrund einer Rationalisierung und Moderni- sierung. Dieser in der Weltwirtschaftskrise ins Stocken geratene Prozeß ist in der national- sozialistischen Rüstungs- und Kriegswirtschaft forciert wieder in G a n g gesetzt worden.

Standardisierung, Normierung und die Einführung des Fließbandes, gekoppelt mit dem Refa-System der Angleichung von Lohn und Leistung, machten die Produktionssteigerun- gen möglich. D e r fertigungstechnische und arbeitsorganisatorische Rationalisierungsschub konnte erst ausgelöst werden, und dies sollte bei der Bewertung des Verhältnisses von priva- ter Industriewirtschaft und Nationalsozialismus mit berücksichtigt werden, nachdem das NS-Regime die Interessenvertretungen der Arbeitnehmerschaft, die möglicherweise hätten bremsend wirken können, eliminiert und den Unternehmern freie H a n d zur Modernisie- rung der Produktionsanlagen und zur leistungsspezifischen Entlohnung, bei entsprechen- der Leistungskategorisierung und -katalogisierung mit entsprechender Überwachung, ge- geben hatte. Hier ist eine Interessenkongruenz zwischen Staat und Privatindustrie festzu- stellen, die es den NS-Machthabern erlaubte, »der Industrie gegenüber weitgehend >die Zü- gel schleifen< [zu] lassen und der Unternehmerschaft Freiräume zu[zu]gestehen, wie sie an- dere gesellschaftliche Gruppen nicht besaßen« 61. Dies ist sicher ein bedeutsames Ergebnis der hier vorgestellten Studie.

D e r Rationalisierungs- und Modernisierungsprozeß war noch auf eine andere Weise an die nationalsozialistische Kriegspolitik gebunden: Erst rüstungsbedingt volle Auftragsbücher über Jahre hinaus erlaubten unter dem Gesichtspunkt der Amortisation umfängliche Inve- stitionen. »Erst durch den kontinuierlichen Absatz, den Kriegsvorbereitung und Rüstungs- politik des NS-Regimes garantierten, und durch die staatlicherseits systematisch vorange- triebene Standardisierung und Typisierung wurden Massenproduktion und Rationalisie- rungsbewegung überhaupt auf breiter Basis möglich.«62

Bemerkenswert ist auch, daß die rüstungs- und kriegswirtschaftliche Situation mit der sich zunehmend verknappenden Facharbeiterschaft bisher nicht vorhandene Aufstiegschancen innerhalb der Arbeiterschaft bot. Gleichzeitig vollzog sich eine detaillierte Lohndifferenzie- rung, die zu einer fortschreitenden Heterogenisierung der Arbeiterschaft führte. Ungeach- tet aller zum Teil gegen den staatlichen Willen erbrachten sozialen Sonderleistungen der Unternehmer und der Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Arbeiterhierarchie vertiefte sich die Distanz der Arbeiterschaft zu sozial höheren Schichten deutlich. Die Arbeitneh- merschaft partizipierte im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen am wenigsten am rüstungskonjunkturellen Boom und an dem mit ihm verbundenen Wohlstand. W e r sich zu- künftig über die Verhältnisse, unter denen die Industriearbeiterschaft während des Dritten Reiches lebte, sachkundig machen will, wird an der Abhandlung von H a c h t m a n n nicht vor- beikommen.

Die Niederlage vor Moskau bildete f ü r die gesamte Wirtschaftspolitik während des Zwei- ten Weltkrieges die entscheidende Zäsur, so auch in der Arbeitspolitik. Wie der D D R - H i - storiker Eichholtz konstatiert, galt es jetzt, Abschied zu nehmen von der ökonomischen Blitzkriegskonzeption. Sie war von rüstungswirtschaftlichen Anstrengungen gekennzeich- net, die auf rasche militärische Erfolge ausgerichtete! waren und nach der W e n d e von Sta- lingrad 1943 noch einmal intensiviert wurden6 3. Die Ernennung des Gauleiters und Reichs- statthalters von Thüringen, Fritz Sauckel, zum »Generalbevollmächtigten f ü r den Arbeits- einsatz« im M ä r z 1942 steht insbesondere f ü r Massendeportationen von Ausländern aus den okkuppierten Gebieten und für deren Zwangsarbeit. Sauckel war sowohl Göring als dem Chef der Vierjahresplanorganisation unterstellt als auch Speers Munitionsministerium.

149 Eichholtz schildert die menschenunwürdige Lage der Zwangsarbeiter und beschreibt ein-

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dringlich deren unter Terror sich vollziehenden Einsatz wie — in einem Exkurs — ihren Wi- derstand.

Die Studie von Eichholtz ist noch stark der traditionellen historisch-materialistischen Ideo- logie der SED verhaftet, wenngleich sie durch ihre sachlichen Aussagen ein Standardwerk ist und wohl auf längere Sicht bleiben wird. Eichholtz betont stärker als die vorwegbespro- chenen Untersuchungen den zunehmenden Ausbeutungscharakter der NS-Arbeitspolitik während des Zweiten Weltkrieges und bezieht dies nicht nur auf die materielle und physi- sche Situation, sondern insbesondere auf die politisch-ideologische : den Arbeitseinsatz für den Krieg gegen die Sowjetunion bewertet er auch als »gegen die Bastion des Sozialismus [.. .] zur Zerstörung ihrer der Arbeiterschaft eigenen revolutionären Zukunft«64 gerichtet.

Adolf Hitler hielt sich stets zugute, als Teilnehmer aus dem Ersten Weltkrieg Lehren gezo- gen zu haben, insbesondere volkswirtschaftliche. Eine Lehre hieß, zivile Zwangsarbeit ist ineffektiv, zumal bei angemessenem Entgelt. Sie lohnt sich nur bei totalem Einsatz großen Stils. Wog man hingegen bei der Beschäftigung von Kriegsgefangenen Aufwand und Ertrag gegeneinander ab, dann versprach sie durchaus Gewinn. Folglich gab es, wie Herbert in sei- nem Standardwerk über Fremdarbeiter feststellt, keine langfristigen Planungen für den Zwangseinsatz nichtdeutscher ziviler Arbeitskräfte, wohl aber für Kriegsgefangene, insbe- sondere in der Landwirtschaft. Die Anwerbung von Arbeitskräften im Ausland in der Vor- kriegszeit hatte sich als eine zu große Devisenbelastung erwiesen, Grund genug, durch par- tielle Expansion die ökonomische Basis des Dritten Reiches auch auf diesem Sektor zu ver- bessern. Später sollten Kriegsgefangene die zur Wehrmacht eingezogenen Arbeitskräfte substituieren, aber auch dem generellen Arbeitskräftemangel abhelfen. Die angespannte Ar- beitsmarktsituation zwang allerdings die NS-Machthaber dazu, ungeachtet aller rassen- ideologischen Bedenken, in den eroberten osteuropäischen Gebieten, beginnend mit Polen, eine durchorganisierte Aushebung von Zwangsarbeitern durchzuführen. Die Furcht vor rassischer Überfremdung trat hinter ökonomische Sachzwänge zurück. Wie gesagt, volks- wirtschaftlich sinnvoll war dies nur, wenn der Zwangsarbeitseinsatz nach dem Ausbeu- tungsprinzip stattfand, was dann auch geschah. Herbert hat die administrative Zwangsar- beitsmaschinerie in Funktion genauestens beobachtet und die Arbeitsbedingungen aufge- zeigt, zum Teil auch Fallbeispiele anhand einzelner Firmen und Regionen angeführt. In An- betracht der hohen Verluste an der Ostfront und nach der Niederlage von Stalingrad wur- den ab Ende 1942 verstärkt Zivilarbeiter aus den europäischen Westgebieten verpflichtet.

Herbert kommt in Beurteilung des Ergebnisses des Zwangseinsatzes ziviler Fremdarbeiter zu einem Befund, der den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges widerspricht. »Die Arbeits- leistungen der ausländischen Arbeiter haben sich seit 1943 in der Gesamttendenz stark er- höht, während sich die Lebensbedingungen im gleichen Zeitraum erheblich verschlechter- ten.«65 Die Erklärungen hierfür sind vielfältig; Herbert hat einige wichtige zusammenge- stellt: Die Koppelung von Leistung und Lebensmittelzuteilung, indem viele Firmen in der sich verschärfenden ernährungswirtschaftlichen Mangelsituation dazu übergingen, ihre Fremdarbeiter unmittelbar zu versorgen. Hinzu kam wohl, daß die Arbeitsstelle für viele Fremdarbeiter, insbesondere dort, wo sie sinnvoll eingesetzt wurden, ein Platz der Selbst- verwirklichung war, während sie außerhalb, insbesondere in den Lagern, als Menschen minderer Klasse drangsaliert wurden. Letztlich darf aber auch das mit perfektionistischer Akribie stets weiter ausgebaute innerbetriebliche Kontroll- und Strafsystem, das für Ar- beitsdisziplin und Leistung sorgte, in seiner Wirkung nicht unterschätzt werden. Dennoch blieb die materielle und psychische Lage, blieben die allgemeinen Lebensumstände bedau- ernswert, wenngleich Diskriminierung seitens der deutschen Bevölkerung, der Kollegen 150 oder der Bauernfamilien am Arbeitsplatz nicht generell und prinzipiell erfolgten, wohl aber

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