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Uwe Timms narrative Ästhe- tik

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Academic year: 2022

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Germer, Kerstin: (Ent-)Mythologisierung deutscher Geschichte 225

Rezensionen Info DaF 2/3 · 2014

Ad+Clarissimum+Virum+Dn. Und dazu fertigte Konrad (oder Conrad) Buno, ein Kupferstecher und Zeitgenosse des Schottelius (17. Jh.!), diesen Kupferstich, der die aufgezählten Details veranschaulicht und wohl auf seiner persönlichen Kenntnis des Dargestellten beruht, vgl. zu den Personen um Johann Rist: http://www.wedel.de/

fileadmin/user_upload/media/pdf/Kultur_und-Bildung/Johann_Rist/Personen_um_

Johann_Rist.pdf (abgerufen jeweils 21.8.2013).

 Germer, Kerstin:

(Ent-)Mythologisierung deutscher Geschichte. Uwe Timms narrative Ästhe- tik. Göttingen: V&R unipress, 2012 (Deutschsprachige Gegenwartsliteratur und Medien 12). – ISBN 978-3-8471-0042-3. 311 Seiten, € 46,90

(Lutz Köster, Bielefeld)

Uwe Timm, einer der erfolgreichsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur, wurde gerade erst wieder als zeitgenössischer Erzähler für den muttersprachlichen Deutschunterricht entdeckt (vgl. Kammler 2010). Aber auch im DaF-Bereich kann das Werk Uwe Timms gewinnbringend eingesetzt werden: Die BRD und ihre un- mittelbare Vorgeschichte, Krieg und Nachkriegszeit, 1968 und die Folgen, die

»Wende« von 1989/1990, der Mythos Berlin sind seine Themen, erweitert um den postkolonialen Blick besonders in Morenga (1978). Insofern können Timms Texte als narrative – und autobiographisch gesättigte – Verarbeitung deutscher Geschichte verstanden werden, die Rezension zu Freitisch (2011) in der ZEIT (12/2011) spricht folgerichtig vom weiteren »Stückchen Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik«.

In ihrer Dissertation will Kerstin Germer nun gedächtnistheoretische Kategorien mit erzähltheoretischen verknüpfen (13), unter Berücksichtigung der von Timm entwickelten Ästhetik des Alltags1 und ausgehend von der Beobachtung, dass seine Texte wichtige Themen der deutschen Geschichte ansprechen, in einer »bezeich- nenden Mischung von Fakten und Fiktion« (11), sie sich aber gleichwohl diese Themen narrativ aneignen: »Die narrativen Bedingungen der Geschichtsmythen und Familienlegenden werden […] selbst thematisch und dadurch immer schon hinterfragt und problematisiert.« (286)

Dieses Resümee findet sich im Fazit, dem letzten Kapitel des Buches; nach der Einleitung (Kap. 1) geht Kerstin Germer auf die Beziehungen von Mythos, Literatur und kollektivem Gedächtnis ein (Kap. 2), ausgehend von folgendem frühen Zitat von Jan Assmann (1992):

»Im kulturellen Gedächtnis [wird] faktische Geschichte in erinnerte und damit in Mythos transformiert […]. Mythos ist eine fundierende Geschichte, eine Geschichte, die erzählt wird, um eine Gegenwart vom Ursprung her zu erhellen. […] Durch Erinnerung wird Geschichte zum Mythos. Dadurch wird sie nicht unwirklich, sondern im Gegenteil erst Wirklichkeit im Sinne einer fortdauernden normativen und formativen Kraft.« (20)

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226 Germer, Kerstin: (Ent-)Mythologisierung deutscher Geschichte

Info DaF 2/3 · 2014 Rezensionen

Die Anschlussfähigkeit an aktuelle Diskussionen in der DaF-Landeskunde/

Kulturwissenschaft ist gegeben, zumal Kerstin Germer im Folgenden auf Prozesse von De- und Remythisierung eingeht und die Narrativität sowohl des kommuni- kativen als auch des kulturellen Gedächtnisses, relativ knapp, aber unterstützt durch treffende Fußnoten, diskutiert. Auf das Werk Uwe Timms übertragen, mündet dies in die starke These von der Wirksamkeit von Literatur: »Durch die Inszenierung der Mythisierung wie Entmythisierung der deutschen Vergangenheit (Hervorhebung L. K.) ist Timms Gesamtwerk in nicht unerheblichem Maße an der gesellschaftlichen Herausbildung, Modifikation und Reflexion von kollektiven Gedächtnisprozessen beteiligt.« (40)

Anhand von vier Themenkomplexen werden für die kollektive Identitätsbildung der Bundesrepublik relevante Mythen und ihre Timmsche Einbettung in Biogra- phien und sich in seinem Werk stark verändernde Schreibweisen – kontinuierli- cher Erzählfluss und Dekonstruktion durch Einmontieren von Dokumenten – analysiert: Umgang mit Holocaust und Nachkriegszeit (Kap. 3), Mythos ’68 (Kap.

4), der postkoloniale Blick (Kap. 5) und der ›Mythos Berlin‹ (Kap. 6).

Das 7. Kapitel beschäftigt sich mit »Strategien autobiographischen Schreibens«

(231), einem auffälligen Merkmal Timmscher Ästhetik, die für Studierende im Semi- nar vorschnell eine Verbindung von Erzähltext und Lebensgeschichte Uwe Timms herstellen lässt, da die Ausgangssituation oft durch einen sich erinnernden Erzähler gebildet wird; Am Beispiel meines Bruders (2003) ist ein solcher Text, der die Leerstel- len innerhalb der Familienkommunikation und die »Leerstellen der Geschichte«

(Braun 2007; zit. auf S. 73) zeigt. Mit einem solchen Modell von Autofiktion hinge- gen soll verdeutlicht werden, »dass jeder narrative Identitätsentwurf letztlich nichts anderes als das Ergebnis einer (mythischen) Erzählstrategie ist« (241).

Erinnern, Erzählen, Literatur, Gedächtnis, (deutsche) Geschichte, Mythos – wer sich für deren Beziehungen interessiert, am treffenden Beispiel der wunderbaren Texte von Uwe Timm, greife zu diesem Buch von Kerstin Germer und nehme sich die Zeit zur genauen Lektüre. Dann stößt man auch auf folgendes Zitat aus Halbschatten (2010: 171; zit. auf S. 217), das ein schönes Bild literarischen Schrei- bens darstellt: »Wir können ein wenig auswählen, vielleicht ein wenig Licht bringen, einen Halbschatten, ein Zwielicht. Nichts ist ganz klar, kaum beugen wir uns über das Geschehene, werfen wir unseren Schatten darauf. Sie wissen, wie verzerrt der sein kann.«

Anmerkung

1 So der Untertitel seines ersten Beitrags zu einer Poetologie von 1993, deren Texte für die Poetikvorlesung an der Universität Paderborn 1991/92 entstanden. Über die Lesbarkeit der Welt ist der sprechende Untertitel zu seiner Frankfurter Poetikvorlesung von 2009, veröffentlicht im gleichen Jahr.

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Girgensohn, Kathrin u. a.: Schreiben lehren, Schreiben lernen 227

Rezensionen Info DaF 2/3 · 2014

Literatur

Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: Beck, 1992.

Braun, Michael: »Die Leerstellen der Geschichte. Uwe Timms Am Beispiel meines Bruders.«

In: Marx, Friedhelm (Hrsg.): Erinnern, Vergessen, Erzählen. Beiträge zum Werk Uwe Timms.

Göttingen: Wallstein, 2007, 53–67.

Kammler, Clemens: »Uwe Timm – ein Archäologe des Alltags«, Praxis Deutsch 222 (2010), 4–11.

Timm, Uwe: Morenga. Roman. München: AutorenEdition, 1978.

Timm, Uwe: Erzählen und kein Ende. Versuche zu einer Ästhetik des Alltags. Köln: Kiepenheuer

& Witsch, 1993.

Timm, Uwe: Am Beispiel meines Bruders. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2003.

Timm, Uwe: Von Anfang und Ende. Über die Lesbarkeit der Welt. Frankfurter Poetikvorlesung.

Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2009.

Timm, Uwe: Halbschatten. Roman. München: dtv, 2010 (2008).

Timm, Uwe: Freitisch. Novelle. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2011.

 Girgensohn, Kathrin; Sennewald, Nadja:

Schreiben lehren, Schreiben lernen. Eine Einführung. Darmstadt: Wissen- schaftliche Buchgesellschaft, 2012. – ISBN 978-3-534-23979-5. 135 Seiten, € 14,90 (Karl-Walter Florin, Waltrop)

Dass Klagen über mangelhafte Schreibkompetenzen von Studierenden das Problem nicht lösen, sondern dass viele Hochschulen inzwischen aktiv die Schreibfertigkeiten unterstützen, verdeutlicht den Stellenwert, den das Schrei- ben im wissenschaftlichen Kontext hat. Insofern ist es auch nicht verwunder- lich, dass jetzt im Rahmen von Einführungen in die Germanistik auch das Thema »Schreiben lehren, Schreiben lernen« zum Gegenstand wird. Dabei geht es den Autorinnen K. Girgensohn und N. Sennewald nicht um den traditionel- len Aufsatzunterricht, wie wir ihn aus der Schule kennen, sondern um die Erforschung und die Förderung des Schreibens im akademischen Zusammen- hang.

Ausgangspunkt der Darstellung ist ein kurzer Überblick über die Geschichte der Schreibprozessforschung (Kap. II), die sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in Nordamerika entwickelte, aber erst mit dem Paradigmenwechsel in den 1960er Jahren in den Sprach- und Sozialwissenschaften ihren Fokus auf die Schreibenden richtete. In Deutschland begann die Beschäftigung mit der Schreibforschung erst in den 1980er Jahren.

Die Fokussierung auf die Schreibenden führt dazu, dass sich die Schreibfor- schung mit drei Schwerpunkten beschäftigt: mit der Schreibprozess-, Schreib- entwicklungs- und Schreibkompetenzforschung (Kap. III). In diesen Bereichen wurden über die Jahre tragbare Modelle und Theorien erarbeitet. Grundlegend

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