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Viskoelastizität und Anisotropie von Kunststoffen: Ultraschallbasierte Methoden zur Materialparameterbestimmung

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Fabian Bause*, Leander Claes, Manuel Webersen, Sarah Johannesmann und Bernd Henning

Viskoelastizität und Anisotropie von Kunststoffen:

Ultraschallbasierte Methoden zur Materialparameterbestimmung

Viscoelasticity and anisotropy of polymers: ultrasonic based method for material parameter determination

DOI 10.1515/teme-2016-0056

Eingang 14. November 2016; überarbeitet 14. Januar 2017;

angenommen 15. Januar 2017

Zusammenfassung:In diesem Beitrag werden verschiede- ne Aspekte der ultraschallbasierten Messtechnik hinsicht- lich der Materialparameterbestimmung an viskoelasti- schen Materialien behandelt. Zunächst wird ein viskoelas- tisches Materialmodell unter Berücksichtigung von Aniso- tropie und Kausalität erarbeitet. Nachfolgend werden zwei verschiedene Verfahren zur Charakterisierung von Materi- alparametern anhand von geführten Ultraschallwellen in zylindrischen und plattenförmigen Strukturen vorgestellt sowie Vor- und Nachteile diskutiert. Dabei wird ebenso auf die Betrachtung von Materialalterung eingegangen. Bei- spielhaft untersucht werden thermoplastische Materialien wie Polypropylen und Polyamid 6. Zur Charakterisierung starker Anisotropie wird auch auf glasfaserverstärkte Plat- tenstrukturen mit thermoplastischer Matrix eingegangen.

Schlüsselwörter:Polymere, Viskoelastizität, Ultraschall, Materialparameter, Alterung.

Abstract:In this paper, various aspects of ultrasonic mea- surement engineering are discussed with regard to vis- coelastic materials. First, a viscoelastic material model is developed, taking into account anisotropy and causal- ity. In the following, two different methods for the char- acterization of material parameters by means of guided ultrasonic waves in cylindrical and plate-like structures are presented, as well as advantages and disadvantages discussed. In this context, consideration is also given to material aging. Thermoplastics, such as polypropylene

*Korrespondenzautor: Fabian Bause, Elektrische Messtechnik, Universität Paderborn, Warburger Str. 100, 33098 Paderborn, E-Mail: bause@emt.uni-paderborn.de

Leander Claes, Manuel Webersen, Sarah Johannesmann, Bernd Henning: Elektrische Messtechnik, Universität Paderborn, Warburger Str. 100, 33098 Paderborn

and polyamide 6, are investigated. To characterize the anisotropy, reference is also made to glass fiber reinforced plate structures with a thermoplastic matrix.

Keywords:Polymers, viscoelasticity, ultrasonics, material parameters, aging.

1 Einleitung

Die Entwicklung neuer Werkstoffe wird zunehmend ge- prägt durch Materialien auf Polymer-Basis, deren Ener- gie-, Ressourcen- und Kosteneffizienz stetig zunimmt.

Treibende Faktoren dieser rasanten Entwicklung polyme- rer Werkstoffe sind unter anderem ökologische Zielsetzun- gen hinsichtlich der Emissionsziele. Ebenso ist die Preis- entwicklung verschiedener Metalle ein essenzieller wirt- schaftlicher Faktor bei der Entwicklung einer Vielzahl von Produkten. So haben sich die Rohstoffpreise von Kupfer und Zink zwischen 1999 und 2006 mehr als verdreifacht und Eisenerz (Feinerz) hat seinen Preis deutlich mehr als verdoppelt [4]. Hingegen zeigen Polymere einen stabileren Preis, wenn auch oft deutlich fluktuierend durch die Kopp- lung an den Ölpreis.

Polymere bestehen aus Makromolekülen, welche durch Moleküle mit einer großen Anzahl von chemisch gleichen Grundbausteinen charakterisiert sind. Polymere lassen sich in Thermoplaste, Elastomere und Duroplaste gliedern [20]. Hauptunterscheidungsmerkmal ist die Art der Vernetzung der Makromoleküle. Während bei Elastomeren und Duroplasten chemische Bindungen zwischen den Makromolekülen entstehen, basiert der Zusammenhalt bei Thermoplasten auf Verschlaufungen und sekundären Bindungen [20]. Daraus ergibt sich aus anwendungsorientierter Sicht ein wichtiger Vorteil von Thermoplasten. Sie sind beliebig oft erweich- bzw.

schmelzbar, während Duroplaste und Elastomere nach einmaliger Vernetzung nicht mehr formbar sind. Gera- de faserverstärkte Kunststoffen mit thermoplastischem

(2)

Matrixmaterial bieten dadurch entscheidende Vorteile in der Fertigung. Es können Halbzeuge als faserverstärktes Plattenmaterial, sogenannte Organobleche, effizient produziert und nachträglich warm geformt und hin- terspritzt werden¹. Der zunehmende Einsatz polymerer Werkstoffe führt im Bereich der ultraschallbasierten Mess- und Prüftechnik sowohl zu neuen Möglichkeiten als auch zu neuen Herausforderungen. So bieten Kunststoffe erheblich mehr Freiheitsgrade bei der synergetischen Gestaltung konstruktiver sowie akustisch funktionaler Elemente. Nachteilig sind ihre deutlich komplexeren akustischen Eigenschaften.

In diesem Beitrag werden daher drei verschiedene Aspekte polymerer Werkstoffe betrachtet, welche eine Her- ausforderung im Kontext der ultraschallbasierten Mess- technik darstellen: Die Viskoelastizität, die Alterung (De- polymerisation) sowie die Anisotropie. Alle drei Aspekte gilt es messtechnisch zu charakterisieren, wobei für die ersten beiden Betrachtungen hohlzylindrische homogene Polymerproben (Abschnitte3und4) und für letzteren Fall Organobleche (Abschnitt5) verwendet werden. Eingangs in den Beitrag (Abschnitt2) wird ein Ansatz zur genera- lisierten Modellierung von Viskoelastizität und Anisotro- pie unter Berücksichtigung von Kausalität für breitban- dige Wellenausbreitung vorgestellt. In den folgenden Ab- schnitten wird dieser allgemeine Ansatz hinsichtlich der messtechnischen Umsetzbarkeit präzisiert.

1.1 Aktuelle Literaturlage zu

ultraschallbasierten Messverfahren

Die ultraschallbasierten Messverfahren zur Charakteri- sierung polymerer/viskoelastischer Eigenschaften lassen sich im Allgemeinen gliedern in Ebene-Wellen- und Geführte-Wellen-Ansätze. Ein weit verbreiteter Ansatz zur Bestimmung der Materialparameter plattenförmiger, im Vergleich zur Wellenlänge großer, Probekörper mit ebenen Wellen ist die Immersionstechnik, bei welcher ein Prüf- körper unter verschiedenen Winkeln durchschallt und die Veränderung der transmittierten Welle modellbasiert auf die Eigenschaften des Objektes abgebildet wird [16, 57, 66, 67]. Sachse et al. stellten unter dem Namen Point-Source/Point-Receiver Methode eine ähnliche Tech- nik vor [18, 24]. Ein Laser erzeugt räumlich stark be- grenzt eine mechanische Welle, welche mit einem Emp- fänger schmaler Apertur auf der gegenüberliegenden Sei- te des Prüfobjekts unter verschiedenen Winkeln bezogen

1 lanxess.de/de/technologie/organobleche/

auf den direkten Weg vom Sender zum Empfänger abge- tastet wird. Durch die impulsförmige Anregung werden eine Quasi-Longitudinal- und zwei Quasi-Transversalwel- len angeregt, deren Eintreffzeitpunkte am Empfänger er- fasst werden müssen. Mit Hilfe eines inversen Ansat- zes kann das Materialmodell (hier reellwertige E-Moduln) identifiziert werden. Bei Geführte-Wellen-Ansätzen wird gezielt die räumliche Gestalt der Proben genutzt. Dadurch ist die geometrische Form der Proben für das hinterleg- te Modell von zentraler Bedeutung. Meist werden platten- förmige Probekörper eingesetzt, um das dispersive Ver- halten der symmetrischen und antisymmetrischen Lamb- Wellen auszuwerten. Im Wesentlichen unterscheiden sich Geführte-Wellen-Ansätze untereinander durch den instru- mentellen Einsatz zur Bestimmung der dispersiven Kenn- größen des Wellenleiters. Zum Einsatz kommen Laserquel- len [19, 37, 61] sowie Laser-Doppler-Vibrometer [37, 61], piezoelektrische Folienwandler [12], oder auch (einfache) piezokeramische Wandler [19,44]. Einen guten Überblick bietet hier die Arbeit von Chimenti [15].

Im Gegensatz zu plattenförmigen Wellenleiterstruktu- ren ist die Literaturlage der Materialcharakterisierung auf Basis zylindrischer Probekörper dünner besetzt. Dies liegt nicht zuletzt an zahlreichen Arbeiten hinsichtlich gewalz- ter Metallplatten und plattenförmigen Kompositstruktu- ren. Extrudierte Stäbe (und auch Platten) auf Thermoplast- Basis spielen wirtschaftlich ebenfalls eine bedeutende Rolle, wenn aus technischen oder wirtschaftlichen Grün- den kein Spritzgussverfahren eingesetzt wird. Die extru- dierten Halbzeuge können nach dem Abkühlen spanend bearbeitet oder auch warm umgeformt werden. Gera- de im Falle kleiner Stückzahlen, komplexer Geometri- en oder großer Wandstärken wird dieses Verfahren häu- fig angewendet. Einen ersten Ansatz zur Messung von Longitudinal- und Transversalwellengeschwindigkeit in einem zylindrischen Probekörper stellte Reynolds bereits im Jahr 1953 vor [58]. Der Durchmesser des Stabs wurde als groß gegenüber der betrachteten Wellenlänge beschrie- ben, sodass ein Strahlenansatz ohne Berücksichtigung von Wellenleitermoden angesetzt werden konnte. Identi- fiziert wurde in einem direkten Verfahren ein isotropes elastisches Modell von metallischen Proben. Rautenberg griff diesen Ansatz 2012 wieder auf, um stark absorbie- rende Kunststoffe im Bereich um1 MHzzu charakterisie- ren [55,56]. Die Probekörper wurden deutlich verkleinert, sodass auch stark absorbierende Proben vermessen wer- den konnten. Dadurch jedoch wurden wellentheoretische Ansätze zur Lösung des Wellenleiterproblems notwendig.

Identifiziert wurde in einem inversen Verfahren ein elasti- sches isotropes und ein transversal isotropes (mit quasi- isotroper Näherung) Materialmodell sowie zwei Dämp-

(3)

fungsparameter, welche zum Rayleigh-Dämpfungsmodell gehören.

2 Modellierung von Anisotropie und Viskoelastizität für

breitbandigen Ultraschall

In diesem Abschnitt wird, neben den Grundzügen visko- elastischen Materials, zunächst das Wellenausbreitungs- problem in viskoelastischen Medien beschrieben, wobei zunächst aus Gründen der Übersichtlichkeit auf eine ein- dimensionale Darstellung zurückgegriffen wird. Nachfol- gend wird diese Einschränkung aufgehoben und ein allge- meines viskoelastisches und anisotropes Materialmodell vorgestellt, welches der Forderung nach Kausalität und Gültigkeit über einen großen Frequenzbereich Rechnung trägt.

2.1 Viskoelastizität in einer Dimension

Grundlage der Viskoelastizität ist die Gedächtniseigen- schaft solcher Materialien, bekannt als Boltzmann’sches Superpositionsprinzip [35,43]

𝜎(𝑡) = 𝜀(𝑡 = 0+)𝐺(𝑡) +

𝑡

0

𝐺(𝑡 − 𝜏)𝜕𝜀(𝜏)

𝜕𝜏 d𝜏 , (1) wobei 𝜕𝜀(𝜏)𝜕𝜏 die Verzerrungsrate, 𝑡 = 0+ den rechtsseiti- gen Grenzwert𝑡 → 0und𝐺(𝑡)das Relaxationsmodul be- schreiben. Das Relaxationsmodul kann als Sprungant- wort des Materials auf einen Sprung der Verzerrung 𝜀 betrachtet werden. Durch Differentiation des Moduls nach der Zeit 𝑡 gelangt man zur Impulsantwort, deren Fourier-Transformierte wiederum systemtheoretisch den Frequenzgang beschreibt:

𝐺+(𝑡) = ̇𝐺(𝑡) ∘−∙ 𝐺+(i𝜔) = i𝜔 ̃𝐺(i𝜔) , (2) wobei 𝐺+(i𝜔) als komplexes Modul bezeichnet wird und demnach das Eingangs-Ausgangsverhalten zwischen Spannungen𝜎(𝜔)̃ und Verzerrungen ̃𝜀(𝜔)beschreibt. Es ergibt sich die Darstellung in Speichermodul𝐺󸀠(i𝜔)und Verlustmodul𝐺󸀠󸀠(i𝜔):

𝐺+(i𝜔) = i𝜔 ̃𝐺(i𝜔) = 𝐺󸀠(i𝜔) + i𝐺󸀠󸀠(i𝜔) . (3) In den obigen Betrachtungen ist bislang keine Annahme über die mathematische Beschreibung des Relexations- moduls getätigt worden. Das heißt bis zu diesem Punkt

sind die Betrachtungen allgemein für alle linearen Mate- rialmodelle gültig. Erst die Annahme eines spezifischen Materialmodells definiert das Kriech- und Relaxationsver- mögen (dynamisches Verhalten). Aufgrund der Vielzahl verschiedener Modelle, welche zu bestimmten Problemen und Materialien passend erscheinen, sei an dieser Stel- le für einen Überblick auf umfangreiche Literatur verwie- sen [14,38,43,47,65].

In zahlreichen Publikationen konnte gezeigt werden, dass sich das fraktionale Zener-Modell gut für die Be- schreibung von einer Vielzahl von Materialien auch über einen großen Frequenzbereich hinweg eignet [38,47,53, 54]. Neben der Signifikanz im Bereich der Materialwissen- schaften werden in aktuellen Publikationen auch Imple- mentierungen für FEM-Simulationen dargestellt [32, 42, 62]. Die Materialgleichung im Frequenzbereich lautet:

𝐺+(i𝜔) = 𝐸1 + (i𝜔𝜏𝜀)𝜈

1 + (i𝜔𝜏𝜎)𝜈 = 𝐸 + 𝐺󸀠 (i𝜔𝜏𝜎)𝜈 1 + (i𝜔𝜏𝜎)𝜈

= 𝐸1 + 𝑑E (i𝜔𝜏𝜎)𝜈

1 + (i𝜔𝜏𝜎)𝜈 . (4)

Aus thermodynamischer Sicht gelten einige Beschränkun- gen [11]

𝐸 ∈ ℝ ≥ 0 ; 𝜏𝜀 ∈ ℝ ≥ 𝜏𝜎∈ ℝ > 0 ; 𝜈 ∈ [0, 1] ⊂ ℝ . (5) In den Gleichungen beschreiben𝐸und𝐺󸀠das relaxierte und das unrelaxierte Modul,𝜏𝜎und𝜏𝜀sind die Relaxati- onskonstante sowie die Retardationskonstante. Der Para- meter𝜈bezeichnet die fraktionale Ableitungsordung (aus der Zeitdarstellung von Gleichung (4)), und beschreibt die Abweichung der Relaxations- und Kriechvorgänge von ei- nem reinen exponentiellen Zeitverhalten im Sinne der Mit- tag-Leffler-Funktion [10,40].

Die Kramers-Kronig-Beziehungen (auch Plemelj-Glei- chungen) beschreiben die Beziehung zwischen Real- und Imaginärteil eines Frequenzgangs eines beliebigen linea- ren und kausalen Systems über den Cauchy’schen Haupt- wert. Zur Überprüfung der Kausalität des fraktionalen Zener-Modells lassen sich die Kramers-Kronig-Beziehun- gen [29,49,71] auf das komplexe Modul anwenden. Die Kramers-Kronig-Beziehungen liefern dann

1 𝜋

+∞

−∞

− 𝐺󸀠󸀠(𝜔󸀠)

𝜔󸀠− 𝜔d𝜔󸀠= −𝐸 𝜏𝜀𝜈− 𝜏𝜎𝜈

𝜏𝜎𝜈(1 + (𝜔𝜏𝜎𝜈)2) = 𝐺󸀠(𝜔) − 𝐺󸀠 (6)

− 1 𝜋

+∞

−∞

− 𝐺󸀠(𝜔󸀠) − 𝐺󸀠

𝜔󸀠− 𝜔 d𝜔󸀠= 𝜔𝐸 (𝜏𝜀𝜈− 𝜏𝜎𝜈)

1 + (𝜔𝜏𝜎𝜈)2 = 𝐺󸀠󸀠(𝜔) (7)

(4)

und somit die Bestätigung, dass das Materialmodell kau- sales Verhalten zeigt.𝐺󸀠beschreibt dabei den Grenzwert des Speichermoduls für𝜔 → ∞.

Der Effekt von viskoelastischem Materialverhalten auf die Wellenausbreitung kann über die komplexwertige Aus- breitungsgeschwindigkeit ph̃𝑐 (i𝜔)und die Dispersionsbe- ziehung zur Darstellung der Wellenzahl𝑘(i𝜔)beschrieben werden

̃𝑐2

ph(i𝜔) = 𝐺+(i𝜔)𝜌−1 , 𝜌 ∈ ℝ (8) 𝑘(i𝜔) = 𝜔 ̃𝑐ph−1(i𝜔) = 𝜔𝑐ph−1(𝜔) − i𝛼(𝜔) (9) mit𝑐ph−1(𝜔) = Re{ ̃𝑐ph−1(i𝜔)}als reellwertige frequenzabhän- gige Phasengeschwindigkeit und𝛼(𝜔) = −Im{𝑘(i𝜔)} als reellwertige frequenzabhängige Absorption der Welle.

2.2 Ein allgemeines viskoelastisches und anisotropes Materialmodell

Für ein elastisches Material ist die elastische Steifigkeits- matrix definiert als𝐶∈ ℝ6×6, ihre Inverse, die elastische Nachgiebigkeitsmatrix𝑆, entsprechend mit𝑆=𝐶−1. Eine Eigenwertanalyse von𝑆liefert alle Eigenwerte𝜆𝑖∈ ℝ+und Eigenvektoren𝑝𝑖∈ ℝ6. Die Eigenvektoren werden zu einer Matrix𝑃= [𝑝1,𝑝2, . . .] ∈ ℝ6×6zusammengesetzt. Es gilt dann

diag(𝜆𝑖) =𝑃−1𝑆𝑃. (10) Das Hooke’sche Gesetz kann nun geschrieben werden zu

𝜀=𝑆𝜎=𝑃diag(𝜆𝑖)𝑃−1𝜎 (11)

= ∑

𝑖

𝜆𝑖𝑃diag(𝛿𝑖𝑖)𝑃−1𝜎 (12)

= ∑

𝑖

𝜆𝑖𝐷𝑖𝜎 (13)

= ∑

𝑖

𝜆𝑖𝜎𝑖, (14)

wobei 𝛿𝑖𝑖 das Kronecker-Delta beschreibt. Die orthogo- nalen und idempotenten Matrizen 𝐷𝑖 beschreiben ei- ne Projektion des Spannungsvektors 𝜎 auf die Eigen- Spannungsvektoren𝜎𝑖. Aus obiger Betrachtung folgt

𝑆= ∑

𝑖

𝜆𝑖𝐷𝑖 bzw. 𝐶= ∑

𝑖

𝜆−1𝑖 𝐷𝑖. (15)

Für den Übergang zu viskoelastischem Verhalten (hier nun direkt im Fourier-Bereich) werden nun die reellwertigen Eigenwerte in komplexe Funktionen in𝜔nach dem Vor- bild des fraktionalen Zener-Modells überführt. Dadurch wird jeder entkoppelten Eigenbewegung des Materials ein

individueller Verlustfaktor zugeschrieben. In Form der (viskoelastischen) Steifigkeit geschrieben, ergibt sich

̃𝐶(i𝜔) = ∑

𝑖

𝜆−1𝑖 1 + (i𝜔𝜏𝜀𝑖)𝜈𝑖 1 + (i𝜔𝜏𝜎

𝑖)𝜈𝑖𝐷𝑖. (16)

Eine Betrachtung der Zerlegung der im Material gespei- cherten potentiellen Energie𝐸poterleichtert die Interpre- tation des gewählten Ansatzes:

𝐸pot = 1

2𝜎T𝜀= 1 2∑

𝑖

𝜆𝑖𝜎T𝑖𝜎𝑖. (17) Gleichung (17) beschreibt eine Zerlegung der gesamten ge- speicherten potentiellen Energie in orthogonale Teil-Ener- giespeicher, welche mit den orthogonalen Eigen-Span- nungszuständen des Körpers korrespondieren. Jedem Teil-Energiespeicher werden durch den in Gleichung (16) beschriebenen Ansatz Verluste zugeordnet, sodass jede mögliche Form der Energiespeicherung individuell ver- lustbehaftet ist. Für eine ausführlichere Betrachtung sei auf [1,7] verwiesen.

3 Ultraschallbasierte Bestimmung von Materialparametern

zylindrischer Proben

Der im Folgenden beschriebene messtechnische An- satz beruht auf der Nutzung einer Vielzahl von Frei- heitsgraden des zu untersuchenden Materials. Im Sin- ne der Ultraschall-Wellenausbreitung werden diese Frei- heitsgrade durch Wellenleitermoden repräsentiert. Eine (Wellenleiter-)Mode ist charakterisiert durch eine Schwin- gungsform, welche ein Körper bei harmonischer Anregung ausführen kann. Für eine gegebene zeit-harmonische An- regung können in der Regel viele Moden existieren. Wel- che dieser Moden tatsächlich angeregt werden, entschei- det nicht nur der Frequenzbereich, sondern insbesonde- re auch die Geometrie der Anregung. An dieser Stelle wird nun ein Kompromiss zwischen der Anzahl ausbreitungs- fähiger Moden und der im Experiment reproduzierbar her- zustellenden räumlichen Anregung geschlossen. Ergebnis des Kompromisses ist die Anregung der geführten Wellen vollflächig von den Stirnseiten der Probekörper, was ei- ne Einschränkung auf die Gruppe der longitudinalen Wel- lenleitermoden bedeutet. Wie in [1] gezeigt, birgt dieser Ansatz eine Einschränkung bezüglich der Sensitivität des Messverfahrens auf Scherkomponenten, da keine azimu- tale Abhängigkeit der Feldanregung erreicht wird. Eben- falls wurde in [1,7] gezeigt, dass für extrudierte Thermo-

(5)

plaste ein quasi-isotropes Materialmodell genügt. Entspre- chend ist das zu identifizierende Materialmodell begrenzt auf ein quasi-isotropes elastisches Modell sowie eine ent- koppelte Betrachtung von viskoelastischen Effekten in Ei- gen-Kompressions- (Index𝐾) und Eigen-Scherbewegun- gen (Index𝐺).

̃𝐶(i𝜔) = [𝜇T𝐷1+ 𝜇L𝐷2+ 𝐸L

1 + 𝜈L𝐷3] 1 + (i𝜔𝜏𝜀,G)𝜈G 1 + (i𝜔𝜏𝜎,G)𝜈G + 𝐸L

1 − 2𝜈L𝐷41 + (i𝜔𝜏𝜀,K)𝜈K

1 + (i𝜔𝜏𝜎,K)𝜈K (18) 𝜇T= 𝐸T

2(1 + 𝜈T) (19)

1 − 𝜈L

𝐸L = 1 − 𝜈T

𝐸T (20)

Alle Parameter des Modells sind aus der reellen Zahlen- menge, wobei𝜇,𝜈und𝐸das Schermodul, die Poission- Zahl und das E-Modul beschreiben. Betrachtet werden die- se Größen mit den Indizes L und T entsprechend für die longitudinale (entlang der Symmetrieachse des Wellen- leiters) und transversale (orthogonale Ebene zur Symme- trieachse) Richtung. Die viskoelastischen Effekte werden entsprechend dem fraktionalen Zener-Modell modelliert.

Für die betrachteten Materialien kann das Schermodul𝜇L durch folgende Näherung geschätzt werden [1]:

𝐸L

2𝜇L = 2√2

1 + 2√2(1 + 𝜈L) [ [

1 +󵄨󵄨󵄨

󵄨󵄨󵄨󵄨󵄨󵄨

󵄨󵄨

1 2𝐸L1−𝜈2𝐸T

T

√2𝜈L𝐸−1T

󵄨󵄨󵄨󵄨󵄨󵄨

󵄨󵄨󵄨󵄨󵄨

] ]

. (21)

Der Zusammenhang von Gleichung (20) zur richtungsab- hängigen Schallgeschwindigkeit sowie Absorption gelingt über die komplexe Schallgeschwindigkeit sowie Anwen- dung von Gleichung (9). Im Folgenden betrachtet wer- den die Eigenschaften der Longitudinalwelle mit Ausbrei-

Abbildung 1: Versuchsaufbau zur Durchschallung hohlzylindrischer Proben. Abbildung nach [1].

tung entlang der Symmetrieachse des Probekörpers (33- Komponente)

̃𝑐L(i𝜔) := √ ̃𝐶33(i𝜔)/𝜌 ∈ ℂ (22) sowie die Eigenschaften der reinen Transversalwelle (66- Komponente)

̃𝑐T(i𝜔) := √ ̃𝐶66(i𝜔)/𝜌 ∈ ℂ (23) Für detaillierte Betrachtungen zum Materialmodell sei auf [1,7] verwiesen.

3.1 Messaufbau

Der Versuchsaufbau ist im Wesentlichen eine einfache Ul- traschall-Transmissionstrecke. Piezoelektrische 1-3-Kom- positwandler werden auf den parallelen Seiten einer zylin- drischen Polymerprobe aufgesetzt und der Probenkörper durchschallt, vgl. Abbildung1rechts. Um die Frequenzab- hängigkeit des Polymers bewerten zu können, sind fünf verschiedene Schallwandler-Paare mit einer aufsteigen- den Mittenfrequenz (750 kHz,1 MHz, 1,5 MHz,2 MHz und 2,5 MHz) im Einsatz. Bezogen auf den −12 dB- Grenzwert des Amplitudengangs der Schallwandler wird so ein Frequenzbereich von 200 kHz bis 3 MHz abge- deckt. Der Aufbau (Sender, Probe und Empfänger) wird in einer klimatisierten Kammer betrieben, sodass alle Mes- sungen unter identischer Temperatur erfolgen können.

3.2 Inverses Messverfahren

Die Versuchsanordnung wird genutzt, um durch Lösen ei- nes nichtlinearen inversen Problems die gesuchten Mate- rialparameter der Probe aus dem gemessenen Signal bei

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bekannter Anregung zu bestimmen. Abstrahiert formuliert gilt es, bei gegebenen Wirkungen 𝑦∈Y𝑀 die Ursachen 𝑝∈P𝑁 zu finden [59]. Dazu sei das nichtlineare Modell (Vorwärtsmodell)

𝑓(𝑝) =𝑦 mit 𝑓 :D(𝑓) ⊂P𝑁 →Y𝑀 (24) gegeben. Zur Lösung des Parameteridentifizierungspro- blems wird das Quadrat derℓ2-Norm der Differenz aus ge- messenen Beobachtungen𝑦und Modell-Beobachtungen bei gegeben Modell-Ursachen 𝑓(𝑝) als Kostenfunktion aufgestellt

𝜖(𝑝,𝑦) = ||𝑓(𝑝) −𝑦||22= (𝑓(𝑝) −𝑦)T(𝑓(𝑝) −𝑦) , (25) welche durch Variation der Modell-Ursachen minimiert wird. Als Lösung des inversen Problems erhält man

𝑝LS= argmin𝑝{𝜖(𝑝,𝑦)} ∈D(𝑓) . (26) Dies entspricht formal einer orthogonalen Projektion der Messdaten auf den Bildbereich des Vorwärtsmodells.

In der Praxis wird die Minimierung der Kostenfunkti- on über einen geeigneten Optimierungsalgorithmus rea- lisiert, welcher einen guten Startwert 𝑝(0) benötigt. In der Umgebung um diesen Startwert, bzw. in der Umge- bung um𝑝LS, muss die Abbildungsfunktion lokal eindeu- tig sein. Je besser der Startwert, desto wahrscheinlicher ist die Konvergenz in das gesuchte Minimum, welches mit den gesuchten Ursachen korrespondiert.

3.3 Das Vorwärtsmodell

Das Vorwärtsmodell zur Simulation von Empfangssigna- len bei gegebenen Materialparametern lässt sich gliedern in drei Bereiche:

– Modell des Sende- und Empfangsverstärkers, – Modell der Sende- und Empfangsschallwandler, – Modell der Schallausbreitung in der Materialprobe.

Die Eigenschaften der beiden Verstärker sind als IIR-Filter modelliert. Als Testsignal wird ein Rauschsignal (random binary noise signal: RBS-Signal) verwendet. Zur Identifi- kation der Filterkoeffizienten wurde der Steiglitz-McBride- Iterationsalgorithmus verwendet [63], wie er von MATLAB zur Verfügung gestellt wird. Aufgrund der unterschiedli- chen elektrischen Lasten bei Verwendung der 5 verschie- denen Schallwandler ist für jeden Last-Fall eine separate Identifikation notwendig.

Die verwendeten Schallwandler lassen sich aufgrund der Verwendung von 1–3 Kompositen gut mit einem eindi- mensionalen Mason-Modell beschreiben. Zur Identifikati-

on ihrer dynamischer Eigenschaften wird der Betrag der elektrischen Impedanz als Messgröße verwendet. Als An- regung wird entsprechend dem Messverfahren eine har- monische Anregung, also eine Analyse im Frequenzbe- reich angesetzt. Zur Identifikation der Schallwandler wird ein inverses Verfahren unter Einsatz eines Interior-point- Optimierungsalgorithmus verwendet. Die Jacobi-Matrix, berechnet durch algorithmisches Differenzieren mit ADi- Mat, wird dem Algorithmus direkt zur Verfügung gestellt.

Auf die exakte Berechnung der Hesse-Matrix wird hinge- gen verzichtet und die Update-Regel nach dem BFGS-Ver- fahren verwendet [3]. Weitere Details zur Auslegung und Identifikation der Schallwandler sind bspw. in [1,8,9] aus- geführt.

Das Modell der Schallausbreitung in der Probe besteht einerseits, aufgrund der einfachen Probengeometrie (rota- tionssymmetrischer Hohlzylinder) bei jedoch komplexem Materialmodell, aus der Scaled-Boundary-FEM [5, 7, 28, 30] zur Berechnung der Dispersionsdiagramme und ande- rerseits aus der Methode der modalen Expansion [52], um transiente Empfangssignale bei gegebener Anregung zu berechnen. In Kombination ergibt dieses hybride Modell aus numerischer harmonischer Simulation sowie analyti- scher Weiterverarbeitung ein effizientes Modell. Ein Funk- tionsaufruf des Vorwärsmodells benötigt ca.20 sbis30 s. Nachteilig bezüglich des Vorwärtsmodells ist das Feh- len von verlässlichen Ableitungsinformationen, wodurch die Auswahl geeigneter Optimierungsverfahren für die Lö- sung des inversen Problems deutlich eingeschränkt wird.

Als geeignet hat sich der BOBYQA-Algorithmus [51] her- ausgestellt, welcher ohne Ableitungsinformationen aus- kommt und seine Informationen über ein quadratisches Ersatzmodell gewinnt.

Zur Lösung des inversen Problems sind Startwerte𝑝(0) anzugeben. Dazu wird ein isotropes Materialmodell an- genommen, um den Parametersatz zunächst zu reduzie- ren. Ferner wird ein geometrischer Ansatz zur Schätzung der Longitudinal- und Transversalwellengeschwindigkeit nach Reynolds [58] verwendet. Die Absorption wird basie- rend auf der spektralen Schwerpunktverschiebung nach einem Verfahren nach Fink [27] geschätzt. Details zu den Schätzverfahren sind in [1] aufgeführt.

Die Messunsicherheit wurde basierend auf den Vor- gaben des Guide to the Expression of Uncertainty in Mea- surement (GUM) des Joint Committee for Guides in Me- trology (JCGM) realisiert. Das Vorwärtsmodell wird dazu linearisiert und so umgestellt, dass das GUM-Verfahren angewendet werden kann [26]. Berücksichtigt bei der Ana- lyse wurde die Unsicherheit der Probengeometrie, der Totzeit sowie das Messrauschen. Die Standardunsicher- heit der Probengeometrie (Innenradius, Außenradius und

(7)

Länge) wird durch Wiederholmessungen unter Berück- sichtigung der Typ-B-Unsicherheit des Messmittels zu

𝑢̄𝑟

i ≈ 2,29 μm; 𝑢̄𝑟

a ≈ 2,39 μm; 𝑢̄l≈ 5,06 μm (27) bestimmt. Die Totzeitunsicherheit wurde durch Lauf- zeitmessungen mit unterschiedlich langen Probekörpern 𝑢Tot= 0,0071 μszu bestimmt. Das Messrauchen wird über jeweils 50 Wiederholmessungen berücksichtigt.

3.4 Ergebnisse

Untersucht wird die PP-Formmasse PP-H (Homopolymer) mit dem Handelsnamen PP-DWST. Das zugehörige Ergeb- nis der Optimierung in Form der identifizierten Material- parameter sowie die zugehörigen relativen Standardunsi- cherheiten sind in Tabelle1aufgeführt.

Bezüglich der Unsicherheiten ist die erhöhte Stan- dardunsicherheit der Viskoelastizitätsparameter der Dilatationsbewegung (𝜏𝜀,K, 𝜏𝜎,K, 𝜈K) auffällig. Um eine anschaulichere Darstellung zu erhalten, werden die Eigen- schaften und Unsicherheiten der Longitudinalwellen- und Transversalwellenausbreitung berechnet, vgl. Abbil- dung2 (grün) und Abbildung 3. Dargestellt werden die absolute erweiterte Unsicherheit (95%-Konfidenzinter- vall) 𝑈𝑐,𝛼95%

L,T sowie die entsprechende relative erweiterte Unsicherheit (95%-Konfidenzintervall bezogen auf den Schätzwert) 𝑈̃𝑐,𝛼95%

L,T. Es zeigt sich insgesamt eine mit der Frequenz steigende absolute Unsicherheit der Wel- lenausbreitungseigenschaften. Für kleine Frequenzen (< 300 kHz) ist in den Ausbreitungsgeschwindigkeiten eine Erhöhung der Unsicherheit beobachtbar, welche auf die Unsicherheit in der Spannungsrelaxationszeit zurückzuführen ist.

Die erzielten Messergebnisse stehen bezüglich der sta- tischen Kenngrößen in guter Übereinstimmung mit dem Zugmodul des Datenblatts [60] sowie dem Bereich der

Tabelle 1: Identifizierte Materialparameter für PP.

𝐸L 𝐸T 𝜈T

Bester Schätzwert 1,412 GPa 1,413 GPa 0,419 Relative Standardunsicherheit/% 0,13 0,24 0,36

𝜏𝜀,G 𝜏𝜎,G 𝜈G

Bester Schätzwert 37,4 μs 2,57 μs 0,4618

Relative Standardunsicherheit/% 2,51 2,19 0,31

𝜏𝜀,K 𝜏𝜎,K 𝜈K

Bester Schätzwert 0,903 μs 2,25 ns 0,1266

Relative Standardunsicherheit/% 20,57 28,06 1,2

Abbildung 2: Darstellung des Ergebnisses der Optimierung für PP.

Ergebnis der ersten Schätzung𝑝(0)(rot), Ergebnis der Optimierung 𝑝LS(grün). Abbildung nach [1].

Poisson-Zahlen laut [17]. Bezüglich der Ausbreitungsge- schwindigkeit der Longitudinal- und Transversalwelle fin- den sich in der Literatur [36] Angaben für eine Frequenz von 600 kHz, jedoch ohne Angabe einer Messunsicher- heit. Während in diesem Beitrag bei dieser Frequenz𝑐L= 2574 ± 4 m s−1und𝑐T= 1264 ± 1,5 m s−1bestimmt wurde, sind in [36] die Werte𝑐L= 2650 m s−1und𝑐T= 1300 m s−1 aufgeführt. Der Vergleich mit Literaturwerten ist je- doch immer unter der Maßgabe zu betrachten, dass das

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Abbildung 3: Darstellung der erweiterten Unsicherheit bezogen auf ein95%-Konfidenzintervall der Messgrößen projiziert auf die Eigenschaften der Wellenausbreitung in PP. Abbildung nach [1].

Probenmaterial zwar chemisch gesehen als PP bezeich- net wird, sich jedoch von dem im hier betrachteten Ex- periment hinsichtlich des Grundmaterials (Zuschlagsstof- fe, Stabilisatoren, Kristallisationsgrad usw.) und auch der Weiterverarbeitung zum Probekörper deutlich unterschei- den kann.

4 Charakterisierung der Alterung von Thermoplasten

Während des Betriebs werden viele mechanische Bautei- le und Komponenten wechselnden Umgebungsbedingun-

gen ausgesetzt, die das Material beeinflussen. Dabei kann es sich beispielsweise um mechanische Belastungen, aber auch um witterungs- oder einsatzbedingte Einflüsse wie Wasser, Temperaturänderungen, Lösungsmittel oder UV- Bestrahlung handeln [2,23]. Die Folge derartiger Einflüsse sind irreversible Änderungen der Materialeigenschaften, die mit dem Begriff „Alterung“ zusammengefasst werden.

In diesem Abschnitt wird die Anwendung des zuvor beschriebenen Messverfahrens zur zerstörungsfreien Cha- rakterisierung der Materialalterung vorgestellt, wobei der Fokus auf der Betrachtung der Depolymerisation liegt.

4.1 Mechanismen der Polymeralterung

Der Alterungsprozess von Thermoplasten wird durch das Zusammenwirken verschiedener Mechanismen bestimmt, die sich in physikalische und chemische Alterungsme- chanismen unterteilen lassen [21]. Physikalische Alte- rung führt dabei zu Änderungen der morphologischen Struktur des Materials, beispielsweise durch Relaxati- onsvorgänge oder die Nachkristallisation teilkristalliner Werkstoffe. Demgegenüber führt chemische Alterung zu Änderungen auf molekularer Ebene, beispielsweise zur Aufspaltung oder dem Abbau der Molekülketten (Depoly- merisation) [46]. Ein Spezialfall der chemischen Alterung ist die Hydrolyse von Polykondensaten. Dabei wird durch die Anwesenheit von Wasser die Synthesereaktion des Po- lymers umgekehrt und so ein Molekülkettenabbau hervor- gerufen [23,46]. Neben der Temperatur wird die Hydroly- sereaktion maßgeblich durch den Kristallisationsgrad und die Menge verfügbaren Reagenzmediums beeinflusst [46].

Anzumerken ist, dass bei Thermoplasten zwar die Möglichkeit besteht, das Material erneut aufzuschmelzen und damit die Folgen physikalischer Alterung rückgän- gig zu machen. Für bereits im Einsatz befindliche Kom- ponenten kommt dies jedoch typischerweise einer Zerstö- rung gleich, sodass Alterungsvorgänge am fertigen Pro- dukt dennoch als irreversibel betrachtet werden können.

Da die Alterung üblicherweise eine Verschlechterung der Materialeigenschaften verursacht, ist ihre makrosko- pische Folge zumeist das mechanische Versagen des Bau- teils [23]. Beispielsweise begünstigt der Molekülkettenab- bau die Bildung und Ausbreitung von Mikrorissen [50].

Es besteht somit ein Interesse, den Alterungsvorgang von Thermoplasten über eine messtechnische Erfassung der betroffenen Materialeigenschaften zu charakterisie- ren. Stand der Technik sind hierbei überwiegend zerstö- rende Methoden, die lediglich eine stichprobenartige Ana- lyse einzelner Bauteile ermöglichen [31]. Eine dauerhafte Komponentenüberwachung, z. B. für sicherheitskritische

(9)

Systeme, kann damit nicht umgesetzt werden. Zwar kön- nen einige gängige Verfahren aus der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung (ZfP) auch bei Polymer-Komponenten eingesetzt werden, doch diese liefern zumeist nur Aus- sagen über makroskopische Defekte wie Risse oder Po- ren [31,46].

4.2 Experimentelle Untersuchung

Für die experimentelle Untersuchung werden hohlzy- lindrische Proben künstlich gealtert, konditioniert und schließlich mit dem in Abschnitt 3 beschriebenen Ver- suchsaufbau vermessen. Zusätzlich werden Messungen mit den etablierten, zerstörenden Methoden durchge- führt, um die Ergebnisse anschließend vergleichen zu können.

Als Probenmaterial kommt Polyamid 6 (PA6) zum Ein- satz, das zur Gruppe der teilkristallinen Thermoplasten ge- hört und mittels Polykondensation hergestellt wird. Auf- grund seiner hohen Fähigkeit zur Wasseraufnahme (bis zu 9 Masseprozent) ist dieses Material besonders anfällig für Hydrolyse und daher gut für eine Untersuchung der Einflüsse von hydrolysebedingter Depolymerisation geeig- net [22].

Für die künstliche Alterung werden die Proben in ei- nem auf60Ctemperierten Salzwasserbad gelagert (hy- drothermische Alterung). Dies schränkt die wirksamen Umgebungseinflüsse auf die Anwesenheit von Wasser ein, sodass die Wirkung der Hydrolyse nicht durch andere che- mische Alterungsmechanismen (z. B. durch UV-Strahlung) überlagert wird. Die gewählte Temperatur dient der Be- schleunigung der chemischen Reaktion, liegt aber gleich- zeitig im Bereich der Glasübergangstemperatur, sodass Nachkristallisation vermieden wird [46].

Zu Beginn der künstlichen Alterung werden alle Pro- ben gleichzeitig in das Wasserbad gegeben. Anschließend werden zu definierten Zeitpunkten (siehe Tabelle2) Pro- ben für die Analyse entnommen. Für die akustischen Un- tersuchungen werden dabei jeweils sechs Proben pro Alte- rungsstufe verwendet.

Im nächsten Schritt werden die Proben bei23Cund 50%Luftfeuchte für eine Woche bis zur Massekonstanz konditioniert, sodass definierte Ausgangsbedingungen für die folgenden Messungen vorliegen. Dabei geben die Pro- ben Teile des eingelagerten Wassers ab, werden aber nicht aktiv getrocknet.

Nach Abschluss der Konditionierung werden die Pro- ben unverzüglich vermessen, um den Einfluss von Aus- gleichsvorgängen mit der Umgebungsluft zu vermeiden.

Neben der Ultraschall-Transmissionsmessung wird insbe-

Tabelle 2: Zeiträume der künstlichen Materialalterung.

Alterungsdauer𝑇A

Alterungsstufe in Stunden in Wochen

1 0 0

2 168 1

3 336 2

4 672 4

5 1344 8

6 2016 12

sondere die Viskositätszahl 𝐽mittels Lösungsviskosime- trie nach DIN EN ISO 307 bestimmt. Sie gilt als Maß für die mittlere Molekülkettenlänge im Polymer und wird für alle Proben bestimmt [34]. Der Zusammenhang zwischen Viskositätszahl und Molekülkettenlänge wird zusätzlich durch Gelpermeationschromatographie (GPC) überprüft, wobei die gesamte Verteilung der Molekülkettenlängen aus der Molmassenverteilung bestimmt wird. Aufgrund des hohen Aufwandes für GPC-Messungen werden diese Messungen nur exemplarisch zur Bestätigung der Ergeb- nisse aus der Viskositätsmessung durchgeführt. Desweite- ren wird für jede Alterungsstufe der Kristallisationsgrad der Proben bestimmt, um ggf. überlagernde Auswirkun- gen der Nachkristallisation detektieren und interpretieren zu können.

4.3 Ergebnisse

Die Untersuchungsergebnisse zeigen zunächst einen kon- stanten Kristallisationsgrad über den gesamten Alterungs- zeitraum. Dies bedeutet nicht nur, dass unter den ge- wählten Bedingungen keine physikalische Alterung er- folgt, sondern auch, dass die Hydrolysebedingungen nicht durch Nachkristallisation beeinflusst werden [45]. Somit kann eine überlagerte Zeit- bzw. Alterungsabhängigkeit ausgeschlossen werden.

Darüber hinaus ist ein Abfall der Viskositätszahl 𝐽 über die Alterungszeit ersichtlich, also ein Abfall der mittleren Molekülkettenlänge. Mit zunehmender Einwirk- dauer der hydrothermischen Alterung werden die Mole- külketten demzufolge immer weiter abgebaut, wobei der Vorgang von Alterungswoche 4 bis 8 näherungsweise pau- siert. Für eine Alterungsdauer von 12 Wochen sinkt die Vis- kositätszahl um ca.7% gegenüber dem Anfangswert ab.

Dieser Zusammenhang wird durch die Ergebnisse der GPC- Messungen erneut bestätigt [45].

Ein nahezu identischer Verlauf kann aus den akusti- schen Untersuchungen durch Bestimmung der Longitudi- nalwellengeschwindigkeit𝑐Lgewonnen werden, wobei die

(10)

Abbildung 4: Gegenüberstellung des Verlaufes der Viskositätszahl𝐽 und der Longitudinalwellengeschwindigkeit𝑐Lüber die

Alterungsdauer, normiert auf den Anfangswert bei𝑇A= 0 h.

in Abschnitt 3sowie [1, 68] beschriebene modellbasier- te Kompensation der Einflüsse des Messsystems erfolgt.

In Abbildung4sind die Viskositätszahl und die Longitu- dinalwellengeschwindigkeit dargestellt, jeweils normiert auf den Anfangswert für eine Alterung von0 h(𝐽[𝑇A = 0 h] = 244cmg3, 𝑐L[𝑇A = 0 h] = 2474ms). Die normierten Messkurven zeigen eine hohe Übereinstimmung über die gesamte Alterungsdauer [69].

Die Ergebnisse zeigen, dass die mittels Lösungsvis- kosimetrie zerstörend gewonnene Information ebenfalls akustisch, und damit zerstörungsfrei, bestimmt werden kann. Es existiert somit eine Möglichkeit, die Materialalte- rung von Polymeren, hier charakterisiert durch hydrolyse- bedingte Depolymerisation, zerstörungsfrei mittels Ultra- schall zu charakterisieren. Dies ermöglicht einerseits Be- trachtungen des Alterungsfortschrittes und legt somit den Grundstein für eine akustische Überwachung der mole- kularen Materialeigenschaften von Thermoplasten. Ande- rerseits kann der beschriebene Zusammenhang als Basis für die Entwicklung eines neuartigen Messverfahrens zur Bestimmung der mittleren Molekülkettenlänge betrach- tet werden, das nicht nur zerstörungsfrei, sondern mit er- heblich geringerem Zeitaufwand und deutlich reduzierten Kosten verbunden ist.

Für die Ergebnisse aus weiteren Untersuchungen, bei- spielsweise der Zugprüfung an in gleicher Weise gealterten Proben, sei auf [69] und [45] verwiesen.

5 Ultraschallbasierte Bestimmung von Materialparametern

plattenförmiger Proben

Die auf zylindrischen Probenkörpern basierte Methode zur ultraschallbasierten Materialcharakterisierung eignet sich vor allem gut zur Untersuchung der dissipativen, visko- elastischen Eigenschaften eines Materials. Problematisch ist die Untersuchung von stark anisotropen oder inhomo- genen Materialien wie zum Beispiel von faserverstärkten Kunststoffen. Hier ist schon die Herstellung einer hohlzy- lindrischen Probe mit den vom Versuchsaufbau geforder- ten Abmessungen problematisch. Für die Untersuchung dieser Materialien wird im Folgenden ein Messverfahren für plattenförmige Probekörper beschrieben. Da dieses je- doch primär auf den harmonischen Eigenschaften eines Plattenwellenleiters basiert, ist es im Vergleich zum zuvor beschrieben Verfahren relativ unsensitiv gegenüber ab- sorptiven Materialeigenschaften. In der Realisierung die- ses inversen Messverfahrens wird dabei deshalb mit ver- lustfreien, jedoch bei Bedarf auch hoch anisotropen Mo- dellen gearbeitet.

5.1 Messaufbau

Zur Charakterisierung plattenförmiger Proben wird der in Abbildung5dargestellte Messaufbau verwendet. Gepuls- te Laserstrahlung (Pulshalbwertsbreite:3ns, Wellenlän- ge: 337 nm) wird mittels eines Spiegels und einer Zy- linderlinse linienförmig auf die Probenplatte fokussiert, um dort photoakustisch Lamb-Wellen [41] anzuregen. Auf- grund des kurzen Anregungspulses erfolgt die Anregung breitbandig. Detektiert wird die Welle mit einem breitban- digen Ultraschallwandler [19]. Die optischen Komponen- ten des Messaufbaus sind auf einer Linearachse befestigt, um in äquidistanten AbständenΔ𝑦zum Ultraschallwand-

Abbildung 5: Versuchsaufbau zur Charakterisierung plattenförmiger Proben [19].

(11)

Abbildung 6: Startwertschätzung der Longitudinal- und

Transversalwellengeschwindigkeit am Beispiel von Polypropylen.

ler anzuregen. Die aufgenommenen Signale lassen sich als Matrix mit Orts- und Zeitbereichsdarstellung abbilden (siehe Abbildung6). Bildung des Betrag der zweidimen- sionalen Fouriertransformation dieser Matrix ergibt eine Abbildung in Abhängigkeit der zeitlichen und örtlichen Frequenz (Dispersionsabbildung). Bei breitbandiger Anre- gung werden Moden in Form von Graten in dieser Abbil- dung sichtbar [1,13,19].

5.2 Inverses Messverfahren

5.2.1 Startwertschätzung

Zur Bestimmung der Materialparameter im inversen Ver- fahren müssen zunächst Startwerte aus den Messdaten ge- schätzt werden. Dazu wird die Ausbreitung der Welle in Orts- und Zeitdarstellung (Abbildung6) betrachtet. Hän- disch wird je eine Gerade an die jeweiligen Wellenfronten, die Longitudinal- und Transversalwellen charakterisieren, gelegt. Anhand der Steigung wird die jeweilige Ausbrei- tungsgeschwindigkeit geschätzt [70].

Diese ergeben sich für das abgebildete Beispiel zu

̂𝑐L= 𝜕𝑦L

𝜕𝑡 ≈ 2985m

s (28)

̂𝑐T= 𝜕𝑦T

𝜕𝑡 ≈ 1170m

s . (29)

5.2.2 Vorwärtsmodell basierend auf der SAFE-Methode Für das Vorwärtsmodell wird ein halbanalytischer FEM- Ansatz gewählt. Das Modell der Platte wird als Wellenlei- ter mit unendlicher Ausdehnung in die dritte Raumrich- tung (𝑧-Richtung) angenommen. Weiterhin werden Shear-

Horizontal-Wellen (SH-Wellen) vernachlässigt. Es muss dafür sichergestellt werden, dass die Orthotropieachsen des Materials der Probe mit den Raumachsen im Modell übereinstimmen, da sonst Lamb-Wellen in SH-Wellen kon- vertieren und umgekehrt. In𝑥-Richtung wird das Modell mittels finiter Elemente diskretisiert, während in Ausbrei- tungsrichtung (𝑦-Richtung) ein harmonischer Ansatz ge- wählt wird [6]. Für die Diskretisierung werden lineare An- satzfunktionen gewählt, sodass für die mechanischen Ver- formungen

𝜉el(𝑥, 𝑦, 𝑡) = (𝜉𝑥̂ (𝑥)

̂𝜉𝑦(𝑥)) ei(𝑘𝑦−𝜔𝑡) =𝐻(

̂𝜉1𝑥

̂𝜉1𝑦

̂𝜉2𝑥

̂𝜉2𝑦

) ei(𝑘𝑦−𝜔𝑡)

(30) gilt. Die Matrix𝐻enthält Informationen bezüglich der An- satzfunktionen in der Finiten-Elemente-Methode, um die mechanischen Verformungen der Einzelknoten auf die des gesamten Elements abzubilden. Durch Differentiation er- geben sich aus den mechanischen Verformungen die Deh- nungen. Die örtliche Differentiation wird durch die Diffe- rentialoperatormatrix𝐵ausgedrückt, die sich mit

𝐵 ̂𝜉ei(𝑘𝑦−𝜔𝑡) = ((

(

𝜕

𝜕𝑥 0

0 𝜕

𝜕𝑦

𝜕

𝜕𝑦

𝜕

𝜕𝑥 ))

) 𝐻(

̂𝜉1𝑥

̂𝜉1𝑦

̂𝜉2𝑥

̂𝜉2𝑦

) ei(𝑘𝑦−𝜔𝑡) (31)

ergibt, sodass hiermit die Dehnungen bestimmt werden können:

𝜀=𝐵𝜉ê i(𝑘𝑦−𝜔𝑡) = (𝐵1+ i𝑘𝐵2) ei(𝑘𝑦−𝜔𝑡) . (32) Aufgrund der analytischen Betrachtung in 𝑦-Richtung mittels Exponentialfunktion ergibt sich ein rein imagi- närer Anteil der Differentiationsmatrix𝐵, der sich in dem Termi𝑘𝐵2wiederfindet. Der Realteil der Differentiations- matrix, der die Ableitung in𝑥-Richtung repräsentiert, wird durch𝐵1beschreiben.

Zur Bestimmung der Eigenschwingungen wird das Ei- genwertproblem

(𝐾− 𝜔𝑀)𝜉=0 (33)

gelöst. Die Massematrix je Einheitsvolumen (finites Ele- ment) ergibt sich mit der Dichte𝜌aus

𝑀el = ∫

𝑉el

𝐻T𝜌𝐻d𝑉 , (34)

(12)

die Steifigkeitsmatrix𝐾eleines Elements wird mit 𝐾el = ∫

𝑉el

𝐵T𝐶𝐵d𝑉 (35)

bestimmt und kann aufgrund von Gleichung (32) nach ei- nigen Umformschritten in

𝐾1el = ∫

𝑉el

𝐵T1𝐶𝐵1d𝑉 ,

𝐾2el = ∫

𝑉el

(𝐵T1𝐶𝐵2𝐵T2𝐶𝐵1) d𝑉 ,

𝐾3el = ∫

𝑉el

𝐵T2𝐶𝐵2d𝑉 (36)

aufgeteilt werden. Dies entspricht einer Aufteilung der Steifigkeitsmatrix in eine Komponente in Ausbreitungs- richtung𝐾3, einer Komponente transversal zur Ausbrei- tungsrichtung𝐾1, sowie einer einer Komponente𝐾2, die die Kopplung dieser beschreibt Da nur eindimensionale fi- nite Elemente verwendet werden, genügt es, über die Ele- mentlänge in𝑥-Richtung zu integrieren. Assemblierung der Matrizen je Element zur jeweiligen Gesamtsystemma- trix ergibt das zu lösende Eigenwertproblem

(𝐾1+ i𝑘𝐾2+ 𝑘2𝐾3− 𝜔2𝑀)𝜉=0. (37) Zur Lösung in einem bestimmten Frequenzbereich muss das Eigenwertproblem zweiter Ordnung in ein Eigenwert- problem erster Ordnung durch Verdopplung der Dimensi- on umgewandelt werden. Somit ergibt sich das zu lösende Eigenwertproblem

(𝐴− 𝑘𝐵)𝑄=0 (38) mit

𝐴= ( 0 𝐾1− 𝜔2𝑀

𝐾1− 𝜔2𝑀 i𝐾2 ) (39) 𝐵= (𝐾1− 𝜔2𝑀 0

0𝐾3) (40) und dem Eigenvektor

𝑄= (𝜉

𝑘𝜉) . (41)

Da für die Lösung in einem bestimmten Frequenzbereich die Dimension des Gleichungssystems verdoppelt werden

muss, erfordert die Lösung mehr Rechenzeit als eine Be- rechnung der Frequenzen unter Vorgabe des Wellenzahl- bereichs [6,25,39,64].

Aufgrund der vorangegangenen Messung sind sowohl der Frequenz- als auch der Wellenzahlbereich bekannt, so- dass die Berechnung der Frequenzen𝜔(𝑘)aus den Kreis- wellenzahlen bevorzugt wird, was jedoch nur unter der Annahme frequenzunabhängiger Materialparameter mög- lich ist.

Entsprechend Gleichung (35) und (34) werden für das Modell die Material-Steifigketismatrix𝐶in Voigt’scher No- tation, Dichte sowie die Dicke der Probenplatte als Ein- gangparameter benötigt. Während Dichte und Plattendi- cke direkt messtechnisch bestimmt werden können, wer- den die Parameter der Voigt’schen Steifigkeitsmatrix im inversen Verfahren bestimmt.

5.2.3 Kostenfunktion und Optimierung

Der Abgleich des Dispersionsdiagramms der Simulation auf die Dispersionsabbildung geschieht automatisiert mit- tels eines Optimierungsalgorithmus, der folgende Kosten- funktion verwendet: Für jeden in der Simulation berechne- ten Wert𝑘(𝜔)im Dispersionsdiagramm wird der entspre- chende Index in der transformierten Bildmatrix gesucht und der Mittelwert der Bildwerte gebildet. Dies führt da- zu, dass höherwertige Bildpunkte, wie die der Grundmo- de, die letztlich größere modale Anteile in den gemesse- nen Signalen repräsentieren, automatisch höher gewich- tet werden. Der so ermittelte Wert wird invertiert und dient als Kostenfunktion für eine Optimierung mit dem Nelder- Mead-Simplex-Algorithmus [48].

5.3 Ergebnisse

5.3.1 Anwendung auf isotrope Materialproben

Abbildung7zeigt die aus den Messdaten einer Probe (Po- lypropylen (PP)) generierte Dispersionsabbildung und das simulativ erzeugte Dispersionsdiagramm nach der Opti- mierung. Verwendet wird hier ein isotropes Materialmo- dell. Die Plattendicke wird messtechnisch mit𝑑 = 5 mm, die Dichte mit𝜌 = 934 kg/m3bestimmt. Obwohl die Un- tersuchung zylinderförmiger Proben auf eine leichte Ani- sotropie von PP hindeutet (Tabelle1) kann bei Messung an plattenförmigen Proben auch mit einem isotropen Modell eine gute Übereinstimmung von Simulation und Messung gefunden werden.

(13)

Abbildung 7: Messergebnis (bunt) und Simulationsergebnis (weiß) für eine Probe PP (Plattendicke𝑑 = 5mm).

Mit den Startwerten aus Abschnitt5.2.1ergeben sich für die longitudinale und transversale Schallgeschwindig- keit

𝑐L= 2565m s 𝑐T= 1314m

s

als Ergebnis der Optimierung. Daraus lassen sich dann Elastizitätsmodul und Poissonzahl bestimmen:

𝐸 = 4,264 GPa (42)

𝜈 = 0,322 (43)

Die große Abweichung von den zuvor an zylindrischen Proben bestimmen Werten für die mechanischen Kenngrö- ßen hat mehrere Ursachen. Die wichtigste Ursache ist in den unterschiedlichen Materialmodellen zu finden, wo- durch die Materialmodellparameter kaum einen Bezug un- tereinander aufweisen. Dies ist z. B. an den bestimmten Schallgeschwindigkeiten zu sehen. Für den Frequenzbe- reich bis ca. 1 MHzliegen die an zylindrischen Proben und plattenförmigen Proben ermittelten Größen im Mittel (über der Frequenz) nah beieinander. Weitere Unterschie- de bezüglich der Materialeigenschaften lassen sich auch über die unterschiedlichen Herstellungsprozesse der Pro- ben erklären. Weitere Diskussionen zur Übertragbarkeit der Ergebnisse aus Abschnitt3sind in [1] zu finden.

5.3.2 Anwendung auf orthotrope Materialproben am Beispiel glasfaserverstärkter Kunststoffe

Neben isotropen Materialmodellen können unter anderem auch orthotrope Materialmodelle in der SAFE-Methode ge- nutzt werden. Im Folgenden soll eine Probe eines glas-

faserverstärkten Kunststoffes durch ein orthotropes Mo- dell charakterisiert werden. Die Probe besteht aus in 𝑥- und𝑧-Richtung orientierten Glasfasern in einer Polyamid 6 Matrix. Da die Faserverteilung hier 50:50 beträgt, kann das Modell vereinfacht auch als transversalisotrop ange- nommen werden, was die Anzahl der Optimierungspa- rameter reduziert. Die benötigte orthotrope 2D-Material- Steifigkeitsmatrix lautet

𝐶= (

𝐸1(𝜈23𝜈32− 1) 𝑃

−𝐸1(𝜈21+ 𝜈23𝜈31)

𝑃 0

−𝐸1(𝜈21+ 𝜈23𝜈31) 𝑃

𝐸2(𝜈13𝜈31− 1)

𝑃 0

0 0 𝐺12

)

(44) mit

𝑃 = 𝜈12(𝜈21+ 𝜈23𝜈31) + 𝜈13(𝜈31+ 𝜈21𝜈32) + 𝜈23𝜈32− 1 . (45) Die Symmetriebedingungen

𝜈21 = 𝜈12𝐸2

𝐸1 (46)

𝜈31 = 𝜈13𝐸3

𝐸1 (47)

𝜈32 = 𝜈23𝐸3

𝐸2 (48)

reduzieren die unabhängigen Parameter [33].

In der inversen Iteration werden die folgenden Para- meter der orthotropen 2D-Material-Steifigkeitsmatrix𝐶be- stimmt:

– Elastizitätsmodul in Dickenrichtung (𝐸1) – Elastizitätsmodul in Ausbreitungsrichtung (𝐸2) – Elastizitätsmodul senkrecht zu Wellenausbreitung

(𝐸3)

– Poissonzahl in Ausbreitungsrichtung bei Zug in Di- ckenrichtung (𝜈12)

– Poissonzahl senkrecht zur Ausbreitungsrichtung bei Zug in Dickenrichtung (𝜈13)

– Poissonzahl senkrecht zur Ausbreitungsrichtung bei Zug in Ausbreitungsrichtung (𝜈23)

– In-plane Schermodul (𝐺12)

Die Plattendicke𝑑der Probe und die (effektive) Dichte𝜌 werden messtechnisch zu

𝑑 = 3 mm (49)

𝜌 = 1,8 g

cm3 (50)

bestimmt und sind nicht Bestandteil des Optimierungs- prozesses.

(14)

Abbildung 8: Messergebnis (bunt) und Simulationsergebnis (weiß) für eine Probe glasfaserverstärktem Kunststoff.

Während die Startwerte der Poissonzahlen zunächst als gleich in jede Richtung angenommen und der Wert dem Datenblatt𝜈12 = 𝜈13= 𝜈23= 0,17entnommen wird, werden die Startwerte für die Elastizitätsmoduln ebenfalls isotrop angenommen und vereinfacht aus den Schallge- schwindigkeiten, die wie zuvor in Abschnitt5.2.1geschätzt werden, berechnet:

̂𝐸1 = ̂𝐸2 = ̂𝐸3 = 𝜌 ̂𝑐2T(3 ̂𝑐2𝐿− 4 ̂𝑐2𝑇)

̂𝑐2

𝐿− ̂𝑐𝑇2 ≈ 9,5 GPa. (51) Der Schermodul wird mit

𝐺12 = 𝐸1

2 (1 + 𝜈12) (52) berechnet und zur weiteren Parameterreduktion aus𝐸1 und𝜈12bestimmt. Für die Elastizitätsmoduln ergeben sich folgende effektive Materialparameter:

𝐸1= 7,4 GPa , (53)

𝐸2= 𝐸3= 50 GPa , (54) 𝜈12 = 𝜈13 = 𝜈23 = 0,17 . (55) Die Moden niedriger Ordnung des Simulationsergebnisses auf Basis der bestimmten Parameter stimmen gut mit de- nen der Messung überein (Abbildung8). Höhere Moden sind in der Messung stark gedämpft, sodass diese kaum bis gar nicht erkennbar sind [70].

6 Zusammenfassung

In diesem Beitrag wurden verschiedene Aspekte von Vis- koelastizität und Anisotropie behandelt. Zentrale Punkte bilden:

– die Modellierung von Viskoelastizität unter Anisotro- pie sowie ihre Einbindung in der Simulation von akus- tischer Wellenausbreitung;

– die Nutzung der Dispersion von transienten Signalen im Wellenleiter als Messeffekt zur Charakterisierung von Materialeigenschaften;

– die Realisierung der Materialparameterbestimmung durch Lösen eines nichtlinearen inversen Problems.

Zur konsistenten Bildung eines viskoelastischen Material- modells unter Anisotropie wurde eine orthogonale Zer- legung der Materialmatrix durchgeführt und jeder ortho- gonalen Eigenbewegung des Körpers ein frequenzab- hängiger Verlustfaktor zugeordnet. Die Verlustfaktoren wurden dabei in Anlehnung an die Formulierung des frak- tionalen Zener-Modells angesetzt, welches unter Einhal- tung der Kausalitätsforderung sowohl Spannungsrelaxati- on als auch Retardationsprozesse eines Körpers abbildet.

Zwei ultraschallbasierte Messverfahren wurden vorge- stellt, welche die messtechnische Erfassung von Materi- alparametern viskoelastischer Polymere ermöglichen. Die Messverfahren basieren auf der Überlagerung von geome- trischer und Materialdispersion im Wellenleiter (Material- probe), welche für eine bekannte Probengeometrie ein ma- terialspezifisches Dispersionsverhalten zeigen.

Die vorgestellten Messverfahren unterscheiden sich in der Wellenleitergeometrie (Probengeometrie). Zum einen wird eine Transmissionsmessung zwischen den paralle- len Seiten eines axialsymmetrischen Wellenleiters (Hohl- zylinder) betrachtet. Das zeitlich zerlaufene Empfangssi- gnal, welches die Informationen zur Rekonstruktion der Materialparameter der Probe trägt, wird durch Lösen eines nichtlinearen inversen Problems ausgewertet. Das Verfah- ren zeigt sich eingeschränkt geeignet bezüglich der Aus- wertung von starker Anisotropie, ist jedoch gut einsetzbar für die Auswertung von viskoelastischen Eigenschaften.

Zum anderen wird ein Laser-akustisches Verfahren für den Einsatz an plattenförmigen Wellenleitern beschrie- ben, welches für starke Anisotropien einsetzbar ist, jedoch aufgrund der langen Ausbreitungswege bei hoher akusti- scher Absorption nur eingeschränkt verlässliche Ergebnis- se liefert.

Im Kontext der rotationssymmetrischen Probekörper wird zusätzlich ein zerstörungsfreier Ansatz zur Charak- terisierung von hydrolysebedingter Depolymerisation be- schrieben. Es konnte gezeigt werden, dass eine deutliche Korrelation zwischen Viskositätszahl und Longitudinal- wellenausbreitung besteht und damit ein zerstörungsfrei- er Ansatz zur Charakterisierung der mittleren Molekülket- tenlänge erarbeitet wurde.

Danksagung: Die Autoren danken der Deutschen For- schungsgemeinschaft (DFG) für die Förderung der Projek- te HE 2897/6-1 (EHATUS) sowie HE 2897/3-1 (BeKAM).

Abbildung

Abbildung 1: Versuchsaufbau zur Durchschallung hohlzylindrischer Proben. Abbildung nach [1].
Abbildung 2: Darstellung des Ergebnisses der Optimierung für PP.
Abbildung 3: Darstellung der erweiterten Unsicherheit bezogen auf ein 95%-Konfidenzintervall der Messgrößen projiziert auf die Eigenschaften der Wellenausbreitung in PP
Tabelle 2: Zeiträume der künstlichen Materialalterung.
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