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Der Blick auf den weiblichen Körper im Kontext des Kanons der westlichen Kunstgeschichte. Gibt es einen männlichen Blick in der Kunst?

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Der wilde Körper

Der Blick auf den weiblichen Körper im Kontext des Kanons der westlichen Kunstgeschichte. Gibt es einen männlichen Blick in der Kunst?

Kunst ist sowohl in der Motivation als auch in der Darstellung ohne Körperlichkeit, ohne Erotik grundsätzlich nicht vorstellbar. In der Antike bezeichnete man den Körper als Ganzes. Weshalb sollte man also in der Malerei beispielweise nur die Nase und nicht das Geschlecht zeigen dürfen? Mit dem Körper der Frau verbinden sich um 1900 große Hoffnungen. Von Zwängen befreit und mit der Natur verbunden, dient er als Projektionsfläche für alternative Lebensentwürfe, für eine neue Gesellschaft. Wie aber sollten diese modernen, selbstbewussten Frauen gemalt werden? Nackt!

Die Darstellung des neuen Frauentypus beruft sich auf bis dahin unbekannte Vorbilder, die sich in außereuropäischen Kulturen, wie etwa afrikanischen Plastiken, oder in den primitiv wirkenden Bildnissen Lucas Cranach finden. Nordische Renaissance und Bildwerke der afrikanischen Kultur propagieren ein neues, freies Körpergefühl, dass sich im Akt auf der Leinwand einfindet.

Emanzipiert von den Bezügen zu Mythologie oder Religion, wird aus Eva oder Venus eine Dodo, Marietta oder Lise, denn Frauen aus dem unmittelbaren Lebensumfeld stehen den Künstlern Modell. Dabei werden persönliche Visionen ausgelebt, formal neue Wege beschritten. Die psychische Dimension der Darstellung des nackt weiblichen Körpers verändert sich damit eindrucksvoll.

Die Geschichte der Avantgarden im frühen 20. Jahrhundert ist kaum zu verstehen, wenn man nicht zumindest einen Seitenblick auf die nachhaltige Rezeption jener Werke richtet, die zur sogenannten „primitiven“ Kunst gehören und von größtem Einfluss auf die ästhetischen Umbrüche dieser Jahre gewesen sind. Nicht nur in Deutschland und Frankreich waren die Künstler von den Artefakten fremder Kulturen und insbesondere von der Kunst Afrikas beeindruckt. Die Formensprache dieser skulpturalen Bilder diente der eigenen bildnerischen Arbeit der Maler der Gruppe des Blauen Reiters, ebenso der Entwicklung des Kubismus in Frankreich als Anregung. Auch einige Kunstliebhaber begannen schon vor dem Ersten Weltkrieg damit, afrikanische und ozeanische Skulpturen zu erwerben und in die Bestände ihrer Sammlung moderner Kunst einzugliedern. Händler machten sich daran, die gerade erst

„entdeckten“ Artefakte aus aller Welt zu vertreiben und sie gelegentlich sogar gemeinsam mit Werken zeitgenössischer Künstler auszustellen. Dieser Kunsttransfer nahm bis in die zwanziger Jahre hinein erhebliche Bedeutung für die avantgardistische Ästhetik, ohne dass es von der einschlägigen Forschung bis dahin gewürdigt worden wäre.

Auch in das Werk von Ernst Ludwig Kirchner hat die kunst- und kulturgeschichtliche Bewegung des Primitivismus tiefe Spuren gegraben. Nur wenige Jahre zurückblickend heißt es 1913 in der von ihm selbst verfassten Chronik der Brücke, dass Kirchner in der „Negerplastik“ und den

„Balkenschnitzereien der Südsee“ eine Wahlverwandtschaft zu seiner eigenen Kunst empfunden habe. Kirchner begegnete den Exponaten zuerst in den Sammlungen deutscher Museen, die vom deutschen Reich kolonialisierter Gebiete dorthin gelangten.

„Die Schönheit der Venus ist zugleich die Schönheit der Malerei; den Reizen weiblicher Akte zu huldigen, bedeutet somit zugleich, der Malerei zu dienen.“ (Anne M. Bonnet 1994).

Kunst LK │ Die Rolle der Frau in der Kunst

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Edouard Manet, Olympia, 1863, Musée d’Orsay, Paris

LucasCranach d. Ä., Liegende Quellnymphe, 1518, Öl auf Lindenholz, 91,5 x 59 cm, Museum der bildenden Künste Leipzig

Tizian, Venus von Orbino, 1534 - 38, Öl auf Leinwand, 165 x 119 cm, Uffizien, Florenz/Italien

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Lucas Cranach d. Ä. stellt in seinem Werk einen mythologischen Bezug her. Das sprudelnde Wasser einer Quelle galt vielen alten Kulturen als heilig. In der Mythologie entwickelte sich daraus die Vorstellung von anmutigen weiblichen Naturgottheiten, die über die Quellen wachen. Cranach zeigt derlei Quellnymphen stets als entspannt bei der Quelle ruhende, nackte Frauengestalten. Meist betont eine Beischrift die heilige Aufgabe und spricht das Motiv vom Vorwurf des Obszönen frei. Ein Bogen kennzeichnet die Dargestellte oft als Jägerin, zwei Perlhühner oder andere Tiere wohnen der Szene dann bei.

Edouard Manet liefert 1863 mit diesem Werk eine höchst umstrittene Komposition. Es zählt zugleich zu seinen bekanntesten Werken. Das zunächst heftig kritisierte Werk prägte später ganze Künstlergenerationen. Die Olympia ist an Tizians Venus angelehnt. Mit ungewohnt schnellen Pinselstrichen hält Manet in großen farbigen Flächen aber geringer Tiefe einen Gesamteindruck fest, der beinahe an fotografische Qualität erinnert. Das ikonische Werk Tizians Venus von Urbino war Manet dabei Vorbild. Die Arbeiten unterscheiden sich in der Gestik des Modells. Tizians Venus ist eine Abbildung eines göttlichen Wesens, das die eigene Intimität sanft bedeckt, während die Olympia von Manet sich verdeckt, um ihre sexuelle und wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mann zu unterstreichen. Sie ist eine Sexarbeiterin, die auf einen Kunden wartet. Damit stellt das Werk ein Genrebild dar. Die Katze am Fußende des Bettes sowie die roten Haare sind ein Verweis auf eine Hexe. Gleichzeitig steht die Katze für die Gedankenfreiheit in der Kunst. Die leicht vorgebeugte Magd im Bildhintergrund bringt einen Strauß Blumen, der vermutlich ein Geschenk eines Kunden darstellt, von Olympia aber ignoriert wird. Sie schaut beinahe wie in einem Porträt, richtet den Blick aber aus dem Bild, vermutlich auf eine Tür, durch die gerade ein unangemeldeter Kunde ankommt. Der teure Schmuck lässt auf ihre starke Wirtschaftlichkeit schließen. Der Betrachter wird voyeuristisch berührt.

Lovis Corinth wirft hier mit lockerem und für den deutschen Impressionismus typischen kräftigen Pinselstrich auf eine bereits bemalte Leinwand mit einer kleinen Farbpalette ein dichtes Ambiente. Das weiß schillernde Bettzeug hebt sich ab vom Dunklen, diffusen Hintergrund und bildet den Fond für den Körper. Dieser Körper ist das Gegenstück zu jener Art von Aktmalerei

„die freilich auch durch ihre Blutleere jeden sinnlichen Gedanken fernhielt.“, wie Corinth 1914 in seinem Aufsatz Über den Akt in der Bildenden Kunst rebellisch formulierte.

Ziel seiner Malerei, ist das Betrachten des Bildes ebenso wie das Malen zu einem runden sinnlichen Erlebnis werden zu lassen. Man meint die Wärme des Körpers spüren zu können.

Lovis Corinth, Liegender Akt, 1899, Öl auf Leinwand, 75,5 x 120,5 cm, Kunsthalle Bremen

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K o n t e x t u a l i s i e r u n g

Aufgabe 1a

Stellen sie den inhaltlichen und den formalästhetischen Unterschied der Abbildungen tabellarisch dar: Cranach, Manet, Corinth.

inhaltlich (Epoche) formalästhetisch

Aufgabe 1b

Beurteilen Sie, inwiefern der Körper in diesem Kontext als wild verstanden werden kann.

Aufgabe 1c

Erläutern Sie an diesen Beispielen, weshalb Werke deutscher Maler um 1900 aus heutiger Sicht in ihrer künstlerischen Auffassung und ihren gesellschaftlichen Betrachtungen überholt sind.

Meister der Chokwe, Angola, Figur einer Königsfrau, 19. J

ahrhundert

Holz, Glas und Haare, Höhe 35 cm, Staatliches Museum zu Berlin, Ethnologisches Museum

Ernst Ludwig Kirchner, Akt mit afrikanischem Hocker, um 1912, Kirchner Museum, Davos/Schweiz

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Lösungen zu Aufgabe 1a

inhaltlich (Epoche) formalästhetisch

Tizian: italienische Renaissance, religiöser und mythologischer Bezug

naturalistische Darstellung (Sfumato)

Cranach: mythologischer Bezug naturalistische Darstellung (Sfumato)

Manet: Genrebild, realistisch naturalistisch, allegorisch

Corot: Sinnliches Erlebnis von Betrachtung

und Malprozess zugleich gestisch, impressionistisch

Lösungen zu Aufgabe 1b:

In Europa stellt der weibliche Körper eine Projektionsfläche sinnlicher Empfindungen dar. Der weibliche Körper wird in allen Epochen als sinnlich begriffen. Bei Corot steht er für

Leidenschaft, die er in der Pose, dem zerwühlten Bett und durch die Strümpfe, die auf ein schnelles Entkleiden hindeuten könnten, darstellt. Die Darstellung von nackten Körpern in Malerei und Plastik, ob in der Form von Raubkunst aus den Kolonialgebieten oder als

gestalterisches Zitat dieser, verweisen auf eine abwertende Auffassung gegenüber fremden Kulturen, die als ungebändigt und damit als wild begriffen wurden.

Lösungen zu Aufgabe 1c:

Die heutige Gesellschaft ist aufgeklärter und bemüht sich um Gleichberechtigung und Toleranz. Rassismus und Sexismus sind inzwischen in sämtlichen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens als auch in der Kunst wichtige und prominente Themen.

Referenzen

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