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Das Kunstwerk als Modell für Gott. Die Umkehrung der Analogie von Gott und Künstler bei Leon Battista Alberti, Anton Francesco Doni und Giorgio Vasari

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G E R D B L U M / DAS K U N S T W E R K A L S M O D E L L F Ü R G O T T

D I E U M K E H R U N G D E R A N A L O G I E V O N G O T T U N D K Ü N S T L E R B E I

L E O N B A T T I S T A A L B E R T I , A N T O N F R A N C E S C O D O N I U N D G I O R G I O V A S A R I

Die Natur wird in der Antike h äufig als Künstlerin cha­

rakterisiert, als ­ wie es der Stoiker Baibus in Ciceros De natura deorum ausdrückt ­ »ordnende Kraft, deren Ge­

schicklichkeit keine Kunst, keine H a n d u n d kein Werk­

meister n a c h a h m e n u n d erreichen kann [...].«' Die überle­

gene Kunstfertigkeit der »natura artificiosa«

2

wird bereits zuvor bei Plato auf den D e m i u r g e n ü b e r t r a g e n , einem gottgleichen Weltbaumeister zugeschrieben. Die Kirchen­

väter b e g r ü n d e n die christliche Konzeption des Deus arti- fex.

3

Für die Kunst­ u n d Architekturtheorie des Quattro­

u n d Cinquecento ist die d u r c h das Mittelalter tradierte Vorstellung einer kunstvoll produzierenden, teleologisch

auf Zweckmässigkeit h i n abzielenden Natur ebenfalls von b e s t i m m e n d e r Bedeutung. Piatons Dialog Timaios, in d e m die Welt als ein von h a r m o n i s c h e n Zahlenverhältnis­

sen d u r c h d r u n g e n e s , vollkommenes Werk des Demiurgen beschrieben wird, spielt hier eine ebenso wichtige Rolle wie die aristotelische Konzeption einer Strukturanalogie von physis u n d techne.

4

Letztere besitzt etwa in Daniele Barbaros Vitruv­Kommentar einen h o h e n Stellenwert.

5

Grundsätzlich ist die O r d n u n g der Welt, u n d i m Bereich der Architektur insbesondere der kunstvoll angeordnete Kosmos das Vorbild der Struktur u n d A n o r d n u n g des Ar­

tefakts. Die unerreichbare Kunstfertigkeit der physis/na- tura wird als Vorbild des Artefaktes menschlicher techne/

ars begriffen. Nachhaltig war n a m e n t l i c h die W i r k u n g der >physikotheologischen< N a t u r p h i l o s o p h i e der Stoa u n d insbesondere von Ciceros De natura deorum m i t ihren Analogien zwischen den Gebäuden menschlicher Archi­

tektur u n d der Architektur des Kosmos.

6

Der platonische Demiurg beziehungsweise die stoische Providentia wird, wie Ernst Robert Curtius b e t o n t hat, in der christlichen

Tradition schon f r ü h m i t Gott als d e m architectus mundi gleichgesetzt, der die Welt »in m e n s u r a et n u m e r o et pon­

dere«

7

(also in Maß, Zahl u n d Gewicht) geordnet hat.

8

Die einzigen kosmologischen u n d n a t u r p h i l o s o p h i s c h e n Tra­

ditionen der Antike, die nicht d e m Modell der »nature as craftsman« folgen u n d die keine Analogie von supraluna­

r e m Kosmos oder auch sublunarer Welt u n d Artefakt auf­

stellen, der antike A t o m i s m u s u n d Epikureismus, werden seit Alberti in der Kunsttheorie ebenfalls rezipiert, nach­

d e m sie zuvor marginalisiert wurden; dies kann hier aller­

dings nicht näher a u s g e f ü h r t werden.

9

W e n n etwa in der Nachfolge des j ü n g e r e n Plinius eine ganze Reihe von Auftraggebern u n d Architekten der Renaissance die Hügel u m ihre Landhäuser als »Amphi­

theater« oder »Theater« aus A n h ö h e n beschreiben, »wie es n u r die Natur selbst schaffen konnte«,

1 0

so ist dies vor d e m H i n t e r g r u n d paganer u n d christlicher Topoi der na­

tura artificiosa u n d des Deus artifex zu verstehen. Eine planvoll u n d teleologisch vorgehende natura rerum, eine Baumeisterin gewissermaßen," habe diese n a t ü r l i c h e n Theater u n d A m p h i t h e a t e r aus A n h ö h e n geschaffen.

1 2

Leon Battista Alberti

Eine U m k e h r u n g u n d zugleich eine bemerkenswerte Um­

d e u t u n g des Topos idealer Topographie, ein natürliches Theater aus A n h ö h e n als m i k r o k o s m i s c h e s Inbild der O r d n u n g der Welt zu begreifen, ist in Leon Battista Alber­

tis Roman Momus zu finden; jenes Juristen, H u m a n i s t e n u n d Nebenberufs­Architekten, der erstmals je ein Trak­

tat zu allen drei Schwesterkünsten der später von Vasari

so g e n a n n t e n Arti del disegno vorgelegt hat. Gegen Ende

Originalveröffentlichung in: Bertsch, Christoph ; Vahrson, Viola (Hrsgg.): Gegenwelten [Ausstellungskatalog], Innsbruck ; Wien 2014, S. 304-315 (Universität Innsbruck. Institut für Kunstgeschichte: Ausstellungskatalog ; 27)

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von Albertis Momus, einer literarischen Schrift außerhalb der eigentlichen Kunstliteratur, wird - meines Wissens erstmals bei einem der klassischen Autoren der neuzeit­

lichen Kunsttheorie ­ eine U m k e h r u n g der klassischen Analogie von Welt u n d Werk, von Gottes Weltschöpfung

u n d m e n s c h l i c h e n Artefakten greifbar. Alberti erklärt in bewusster U m k e h r u n g der antiken u n d insbesondere der stoischen Analogie von Welt u n d Werk, Kosmos u n d Kunstwerk n u n m e h r das Kunstwerk z u m Vorbild einer neuen Weltschöpfung.

Bezüglich dieses Romans u n d verwandter literari­

scher Texte Albertis ist seit Eugenio Garin

13

in der For­

s c h u n g die innere W i d e r s p r ü c h l i c h k e i t von Albertis Weltbild hervorgehoben worden, die nicht allein auf die unterschiedlichen Textgattungen z u r ü c k g e f ü h r t werden kann, d e m seine Schriften zugehören, sondern auf wider­

streitende Tendenzen seines Denkens. Alberti hat über einen längeren Zeitraum parallel zwei Bücher verfasst, in denen sich diese w i d e r s t r e i t e n d e n Weltsichten hin­

sichtlich des T h e m a s der Architektur artikulieren. Ers­

tens seinen Roman Momus seu de Principe'" (entstanden 1444­50), den Alberti selbst im Prolog als Ergebnis sei­

ner Nachtwachen bezeichnet hat, nach Wolfgang Krohn eine »zynisch­satirische Darstellung menschlicher u n d göttlicher D u m m h e i t , Leichtgläubigkeit, Hinterlist u n d Zerstörungslust«.

1 5

Zweitens den Architekturtraktat De re aedificatoria, der »über die Grundsätze, den A u f b a u u n d die A n w e n d u n g s b e d i n g u n g e n der gesamten Baukunst«

1 6

handelt u n d wohl 1452 fertiggestellt w u r d e (in einer Fas­

sung, die später möglicherweise überarbeitet wurde).

17

W ä h r e n d De re aedificatoria auf d e m Glauben an eine von Natur aus gut geordnete u n d gleichzeitig durch den Menschen verbesserungsfähige Welt aufbaut oder doch aufzubauen scheint,

18

entfaltet Alberti in seinem Momus, s e i n e m Roman über den Gott des Spotts M o m u s als

»schwarzen Prometheus«,

1 9

ein Gegenbild ­ das Pano­

rama eines gefallenen, d u r c h u n d d u r c h v e r k o m m e n e n Planeten. Bei dessen Anblick beschließen die olympi­

schen Götter, eine bessere, neue Welt zu erbauen. Jupiter

zieht das finale Fazit: »Die Welt, die sie [die Menschen]

zur Verfügung haben, gefällt ihnen nicht: Dieser Zustand, diese Situation ist s c h l i m m u n d unerträglich: >Wir m ü s ­ sen eine [...] völlig andere Welt erbauen<.«

20

Zunächst wendet sich der Weltenherrscher an die Philosophen, doch die konfligierenden L e h r m e i n u n g e n der diversen Philosophenschulen vermögen die olympi­

schen Götter nicht zu überzeugen. Jupiter beschließt, n u n selbst die bereits zur radikalen Erneuerung b e s t i m m t e Welt a u f z u s u c h e n , u n d betritt bei seiner Visite ein anti­

kes Theater. Er betrachtet n u n voller Bewunderung »die zahllosen, mächtigen Säulen aus parischem Marmor, ein gigantisches Werk, das aus den Felsblöcken der höchsten Berge geschaffen war. Jupiter [...] sagte sich, obwohl sie u n m i t t e l b a r vor seinen Augen standen, dass ein solches Werk ein Ding der Unmöglichkeit sei; er konnte vor lau­

ter Begeisterung die Augen nicht von ihnen wenden u n d lobte sie über die Maßen; im Stillen klagte er sich über die eigene Unfähigkeit u n d D u m m h e i t an, weil er sich, an­

statt an die Baumeister eines so außerordentlichen Wer­

kes, an die Philosophen gewandt hatte, u m mit ihrer Hilfe den Plan f ü r eine neue Welt zu entwerfen.«

2 1

Wolfgang Krohn hat daraufhingewiesen, dass Alberti hier die Architektur z u m »Vorbild der göttlichen Schöp­

f u n g «

2 2

erklärt. Der Architekt wird in einem zugespitz­

ten Sinn z u m »alter deus« (so Albertis b e r ü h m t e Formu­

lierung aus De pictura), zu einem zweiten u n d anderen Gott, der eine bessere Welt hervorbringen kann als die­

jenige, die der architectus mundi kraft göttlichen Willens erschuf.

2 3

Obwohl Albertis G ö t t e r d ä m m e r u n g im The­

ater <, wie sie a m Ende des Momus erzählt wird, in einer p a g a n e n Welt spielt, gewinnt sie doch sowohl vor d e m H i n t e r g r u n d stoischer als auch christlicher Konzepte über die >Architektur der Welt< blasphemische Brisanz.

Deren Grund liegt in Albertis kühner Umkehrung der klas­

sischen Analogie von Welt u n d Werk u n d des klassischen

Primats des g o t t g e s c h a f f e n e n Kosmos über das Werk

menschlicher >Kunst<. W ä h r e n d in Ciceros De natura de-

orum die Architektur des Kosmos d u r c h den Vergleich

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m i t menschlichen Bauten erläutert wird u n d w ä h r e n d in der christlichen Tradition der personalisierte Gott das Gebäude der Welt als eine erste Architektur u n d als Mo­

dell der menschlichen Architektur gebaut hat, stellt n u n Alberti die Architektur menschlicher Architekten d e m

olympischen Zeus als Modell einer neuen Welt vor Augen.

Beibehalten wird zwar die Analogie von göttlicher u n d m e n s c h l i c h e r ars. Aber das Primat der göttlichen S c h ö p f u n g ü b e r die m e n s c h l i c h e N a c h a h m u n g , das die­

ser Analogie traditionell eingeschrieben war, wird ab­

gelöst d u r c h eine ironische U m k e h r u n g : n u n soll die m e n s c h l i c h e Architektur u n d genauer gesagt ein Thea­

tergebäude z u m Modell u n d Muster des ganzen Weltthe­

aters bzw. eines neuen Weltgebäudes werden. Alberti f ü h r t diese gerade vor d e m H i n t e r g r u n d des christlichen Deus artifex d u r c h a u s blasphemische Inversion j e d o c h u n m i t ­ telbar darauf ad a b s u r d u m : I n d e m er das m o n u m e n t a l e antike Theater s a m t seiner Götterstatuen nach Jupiters Besuch z u m Opfer entfesselter Naturgewalten wird, lässt Alberti die traditionelle Hierarchie von Welt u n d Werk,

göttlicher u n d menschlicher S c h ö p f u n g , zu i h r e m alten Recht k o m m e n , u m zugleich die menschliche Hybris der N a t u r ü b e r w i n d u n g d u r c h Technik zu verspotten.

2 4

Man k ö n n t e diese U m k e h r u n g der U m k e h r u n g ­ die Welt zer­

stört das Werk ­ aber auch anders deuten: die Natura ist sowohl den Fiktionen menschlicher als auch »göttlicher«

artifices ü b e r l e g e n . . .

In der a n g e f ü h r t e n Szene des Momus rekurriert Al­

berti auf die alte Topik des »Theatre of Nature«

2 5

u n d des >Hügeltheaters<, u m sie zugleich ihrer alten kosmo­

logischen F u n d i e r u n g zu berauben. Vor allem aber be­

hält er die traditionelle Analogie von Welt u n d Werk zwar bei, aber kehrt die ebenso altvertraute u n d kano­

nische Hierarchie von Schöpfergott u n d zoon mimeti- con Mensch u m . Eine Geschichte dieser U m k e h r u n g , f ü r die etwa Goethes Prometheus­Gedicht oder Rilkes Pa­

rabel vom Gott i m Stein, der d u r c h Michelangelos Mei­

ß e l erlöst werden m ö c h t e , spätere Wegmarken sind, ist noch nicht geschrieben. Ein spektakuläres Fallbeispiel

hat, k a u m beachtet, der bereits zu Lebzeiten u m s t r i t ­ tene Literat A n t o n Franceso Doni in den vierziger Jahren des 16. J a h r h u n d e r t s vorgelegt ­ im Hinblick auf Miche­

langelo. Donis hyperbolische, von den Zeitgenossen si­

cherlich nicht wörtlich g e n o m m e n e U m k e h r u n g der Hi­

erarchie von Welt u n d Werk, von Kunstgeschichte u n d Heilsgeschichte wird bereits kurze Zeit später von Vasari u n d seine Koautoren fortgeschrieben werden.

Anton Francesco Doni

Michelangelos Fresko des Jüngsten Gerichts, 1541 enthüllt, ist n a c h Vasaris Vita des Michelangelo E n d p u n k t u n d Telos der Kunstgeschichte u n d d a m i t ein Gericht auch über die Kunst aller Zeiten u n d Völker, die sich angesichts dieses Meisterwerks geschlagen geben müssten.

2 6

Das zeitgenössische Lob des Freskos n a h m teils gro­

teske Züge an. H ö h e p u n k t der Vergöttlichung Michelan­

gelos als Maler des J ü n g s t e n Gerichts ist ein an i h n ge­

richteter Brief von A n t o n Francesco Doni aus d e m Jahr 1543. Dieser >offene Brief< war bereits in vier Auflagen von Donis Lettere Familiari gedruckt worden, bevor die erste Auflage von Vasaris Viten 1550 veröffentlicht wurde. Das Schreiben Donis endet m i t den Worten:

»Mir klingt der R u h m des Jüngsten Gerichtes i m Ohr, von d e m ich denke, es verdiene wegen seiner Schönheit, daß Christus an j e n e m Tag, an d e m Er in seiner göttlichen Gestalt k o m m e n wird, gebiete, daß alle [Auferstehenden]

jene Körperhaltungen e i n n e h m e n u n d jene Schönheit zeigen sollen u n d die Hölle jene Finsternis aufweisen soll, die Ihr gemalt habt, weil sie n i c h t besser g e m a c h t wer­

den können. [... ] Und w e n n ich vor diesem Gericht stehen werde, b e f ü r c h t e ich zu erstarren u n d aus lauter Seligkeit m e i n e n letzten A t e m auszuhauchen, u n d , z u m H i m m e l fliegend (wenn Gott will), auszurufen: m e i n göttlicher Michelangelo!«

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»Suonami nell'orecchie la fama del Giudicio, il quäle

penso che, per la bellezza sua, in quel di che Christo verrä

in divinitä meritarä che egli i m p o n g a che tutti facciano

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quelle attitudini, m o s t r i n o quella bellezza et l ' i n f e r n o tenga quelle tenebre che voi havete clipinte, per n o n si po- tere migliorare [...]. Dubito ancho, nell'apparir dinanzi al quel Giudicio, di f a r m i immobile et per dolcezza m a n d a r e f u o r i il fiato, volando al cielo (merce di Dio) et gridando:

>Michelagnolo mio divino!<«

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Doni greift m i t seinem Lob der Figuren Michelan­

gelos einen Topos hyperbolischen Lobes auf, den Ariosts Orlando furioso (erst in der letzten Version von 1532, nicht bereits in der editio princeps von 1516) in die Michelan­

gelo­Panegyrik e i n g e f ü h r t hatte: der Künstler ist nicht n u r N a c h a h m e r vergangener u n d gegenwärtiger Ereig­

nisse u n d Dinge; er ist >Vorahmer< gewissermaßen des Zukünftigen:

»Doch alt' u n d neue [Künstler] ­ N i m m e r ward erfahren,

Daß sie gemalt, was in die Z u k u n f t fällt.

Und doch hat m a n Geschichten schon gesehen, Die m a n gemalt, bevor sie noch geschehen.«

2 9

»Non perö udiste antiqui, ne novelli vedeste mai dipingere il f u t u r o : e p u r si sono istorie anco trovate, che son dipinte inanzi che sian State.«

30

In diesen Versen des Rasenden Roland wird das antike T h e m a des künstlerischen Darstellens z u k ü n f t i g e r Er­

eignisse (»dipingere il f u t u r o « ) , wie es zeitgenössischen Lesern, häufig bereits aus der Lateinschule, aus Vergils Schildbeschreibung im achten Buch der Aeneis vertraut war, als H ö c h s t s t u f e künstlerischer Leistungsfähigkeit b e n a n n t . (Die literarische u n d bildnerische Darstellung des Z u k ü n f t i g e n w u r d e in der Antike etwa auch bei Aris­

toteles u n d Quintilian thematisiert

3 1

). Michelangelos Fresko der in vollkommener Gestalt auferstehenden Fi­

g u r e n des Jüngsten Gerichtes konnte als m o n u m e n t a l e Er­

f ü l l u n g der literarischen Verheißung Ariosts erscheinen, die selbst bereits als Anspielung auf christliche Bilder des Jüngsten Gerichts verstanden werden konnte.

Ohne Zweifel sind die Überbietungs­Topoi bei Aretino, Doni u n d kurze Zeit später in Vasaris Viten rhetorische, hyperbolische Kunstmittel

3 2

, die als solche von den Zeit­

genossen an ihrem »laudatorischen Ton«

3 3

erkannt u n d daher nicht u n m i t t e l b a r wörtlich g e n o m m e n w u r d e n . Dennoch sind die Lobeserhebungen des »göttlichen Mi­

chelangelo« zu seiner Zeit nicht ausschließlich als selbst­

referentielle Epideiktik

3 4

gedeutet worden, die m i t d e m einzigen Zweck des »mostrare Farte«

3 5

(sowohl der Kunst Michelangelos als auch seines Lobredners) aufgesetzt wurde. Dies zeigt die von Stephen C. Campbell vorge­

legte Analyse der kritischen Reaktionen, welche die lite­

rarische >Vergöttlichung< Michelangelos schon in der ers­

ten Hälfte des Cinquecento hervorrief. Zeitgenössische Künstler u n d Literaten sahen die Erhebung Michelange­

los z u m artifex divinus bzw. divino artista als durchaus problematisch an: der bekannte >offene Brief< Pietro Are­

tinos an Michelangelo, der das Jüngste Gericht als blasphe­

m i s c h kritisiert, ist n u r das bekannteste Beispiel. Außer Kritik steht bei Aretino das künstlerische Vermögen Mi­

chelangelos. Aretino kritisiert vielmehr, dass Michelan­

gelo d e m christlichen Gehalt des Themas keine Rechnung trage, sondern das Thema als Vorwand künstlerischer Ge­

staltung missbrauche.

3 6

Giorgio Vasari

Vasari strukturierte die gesamtgeschichtliche Erzählung der Kunstgeschichte seiner Viten sowohl nach den Mus­

tern paganer biologistischer Modelle als auch nach Mus­

tern der Bibel u n d der patristischen Geschichtstheologie sowie der frühneuzeitlichen Universalchroniken ah orhe condito.

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Vasaris Vite t r u g e n maßgeblich dazu bei, die drei Schwesterkünste der »arti del disegno« zu einem au­

t o n o m e m Feld menschlicher Kultur m i t eigener Theorie u n d Geschichte ­ u m Habermas' u n d L u h m a n n s Begriff zu zitieren ­ auszudifferenzieren.

38

Vasari u n d seine Koau­

toren konstruieren eine weitgehend als a u t o n o m e n Pro­

zess erzählte Geschichte der Bildenden Künste, wie ich in

(5)

f rü h e r e n Beiträgen dargestellt habe, in Analogie zur ge­

samtgeschichtlichen Erzählung der Bibel: Die Torrenti­

niana ü b e r n i m m t deren eschatologischen R a h m e n von der Genesis bis z u m »Jüngsten Gericht« (Michelangelos) u n d charakterisiert die drei Stufen der rinascita nach d e m heilsgeschichtlichen Muster von Natur, Gesetz, Gnade.

Zugleich aber werden an zentralen Stellen seiner Vite die

»Wertnormen des [...] Religiösen in ihrer Gültigkeit zu­

g u n s t e n des Ästhetischen« zwar nicht »ignoriert«

3 9

, aber d u r c h a u s relativiert. An e n t s c h e i d e n d e n Stellen seiner großen Erzählung der Geschichte der »arti del disegno«

wird die traditionelle Analogie von Dens artifex u n d m e n s c h l i c h e m Künstler zwar prinzipiell aufrechterhal­

ten ­ aber u n t e r theologischem Gesichtspunkt in höchst problematischer Weise u m g e d e u t e t . Laut d e m Proemio delle vite hat Gott den Menschen geschaffen, nicht ­ wie in traditioneller Lesart ­ u m ihn zu seinem Ebenbilde zu ma­

chen, ihn zur Gottesschau zu befähigen u n d ihn an seinem Heilsplan zu beteiligen, s o n d e r n u m den M e n s c h e n zu zeigen, wie sie d u r c h W e g n e h m e n u n d H i n z u f ü g e n ihre Plastiken s c h a f f e n können. Das Fresko der Sixtinischen Decke, auf d e m Gott Licht u n d Finsternis scheidet, ist ge­

malt, » u m die Vollkommenheit der Kunst u n d die Größe Gottes« zu zeigen ­ m a n beachte die Reihenfolge.

Auch a m Ende der »großen Erzählung« der Erstaus­

gabe der Viten Vasaris von 1550, gegen Ende der Vita Mi­

chelangelos also, finden sich charakterische U m k e h r u n ­ gen traditioneller Topoi: Papst Clemens v n . habe das J ü n g s t e Gericht in A u f t r a g gegeben, » d a m i t Michelan­

gelo in diesem Bild zeigen könnte, was alles der Kunst der Malerei möglich sei« ­ u n d nicht vordringlich, u m zu ver­

bildlichen, was Gott am Ende der Tage möglich sein wird.

Und Moses ist nach Vasari bereits mittels der Hände Michelangelos in verklärter Leiblichkeit a u f e r s t a n d e n , noch bevor Gott ihn a m Jüngsten Tag wird dereinst auf­

erstehen lassen. Vasari bezieht sich hier wohl auf den an­

g e f ü h r t e n Brief Donis, der in den vierziger Jahren m e h r ­ fach aufgelegt w u r d e u n d in d e m Michelangelos Jüngstes Gericht m i t den Worten gelobt wird, dass auch Gott das

dereinstige, das >wirkliche< J ü n g s t e Gericht n i c h t wird anders ins Werk setzen können als in eben jener Anord­

n u n g , die Michelangelo bereits hier u n d heute f ü r seine Figuren u n d Farben g e f u n d e n hat.

Zu den g e n a n n t e n Stellen bei Vasari i m Einzelnen:

Am Anfang der Vorrede des historischen Teils, also jenes Proemio delle vite, das die drei Serien von Lebensbeschrei­

b u n g e n einleitet, b e r u f t sich Vasari auf das Buch Genesis:

Der Schöpfer habe den Menschen aus Ton modelliert u n d i h m den Geist eingehaucht, habe aus einem Erdklumpen das lebendige, »erste Bild des M e n s c h e n «

4 0

geschaffen, u m den Bildhauern zu zeigen, wie sie eine gute Figur her­

stellen könnten:

»[...] der göttliche Architekt der Zeit u n d der Natur wollte als Allvollkommener in der U n v o l l k o m m e n h e i t der Materie das Verfahren des W e g n e h m e n s u n d Hinzu­

f ü g e n s veranschaulichen, genau so wie gute Bildhauer u n d Maler es m i t ihren Modellen zu t u n pflegen, deren u n v o l l k o m m e n e Entwürfe sie d u r c h H i n z u f ü g e n u n d W e g n e h m e n zu jener Vollendung u n d Perfektion bringen, die sie erreichen wollen.«

41

»[...] il divino Architetto del t e m p o e della n a t u r a , come perfettissimo, volle mostrare nella imperfezzione della materia la via del levare e dell'aggiugnere, nel me­

desimo m o d o che sogliono fare i buoni scultori e pittori, i quali, ne' lor modelli, a g g i u n g e n d o e levando riducono le imperfette bozze a quel fine e perfezzione ch'e' vogliono.«

4 2

Vasari deutet hier, in der Vorrede der Lebensbeschrei­

bungen, die topische Analogie zwischen Gott u n d Künst­

ler in einer Weise u m , in der die »Wertnormen des [...] Re­

ligiösen in ihrer Gültigkeit z u g u n s t e n des Ästhetischen«

zwar n i c h t ­ wie Michelsen schreibt ­ »ignoriert wer­

den«, aber doch eingeschränkt werden.

4 3

Vasaris bibli­

sche Vorlage: Der Weltschöpfer belebte nach d e m zweiten S c h ö p f u n g s b e r i c h t der Genesis eine von i h m zuvor aus Erde modellierte Plastik, u m den Menschen zu erschaf­

fen: Gott »formte [...] den Menschen aus Staub aus d e m Acker, u n d er blies i h m den Odem des Lebens in die Nase;

so w u r d e der Mensch ein lebendiges Wesen« (Gen. 2, 7).

(6)

Zwei Reliefs Andrea Pisanos f ü r den Zyklus a m Florenti­

ner Domcampanile, der die menschlichen artes, die me­

chanischen u n d die freien Künste darstellt

4 4

, veranschau­

lichen den Primat des deus artifex vor den N a c h a h m e r n seiner göttlichen Kunst u n d Schöpferkraft: Der mensch­

liche Bildhauer, welcher die Skulptur einer menschlichen Figur meißelt, wird m i t der Darstellung Gottes, welcher die von i h m zuvor modellierte Gestalt des A d a m beseelt, d u r c h Körperhaltung u n d Kompositionsschema in eine augenfällige Analogie gesetzt [ABB.I u n d 2]; die Hand­

lung u n d Haltung des menschlichen Bildhauers a h m t den Deus artifex nach. Vasari schreibt den Entwurf dieser Re­

liefs Giotto zu.

Traditionell war gerade die Erschaffung eines leben­

digen Menschen aus Ton als ein besonderer Erweis der schöpferischen Allmacht u n d der Überlegenheit Gottes gedeutet worden. Gott schuf den Kosmos, schuf Men­

schen u n d Tiere ­ der Mensch kann diese n u r n a c h a h m e n : H o m o n o n potest creare, so lautet der b e r ü h m t e Lehrsatz des Hl. T h o m a s von Aquino.

4 5

Bereits Pico della Miran­

dola, ein den Medici eng verbundener H u m a n i s t , den Va­

sari im Palazzo Vecchio malen sollte, hatte die Berichte der Genesis über die Erschaffung des Menschen u m g e d e u t e t i m Hinblick auf eine g e n u i n menschliche S c h ö p f u n g s ­ kraft. Pico hat bekanntlich das neuzeitliche Paradigma der S e l b s t e r s c h a f f u n g des Menschen zu Beginn seiner Schrift De dignitate hominis folgenreich formuliert, als er den Schöpfergott der Hebräischen Bibel den eben n e u er­

schaffenen Adam als »tui ipsius arbitrarius plastes et fic­

tor«

4 8

, als Bildhauer u n d Erfinder seiner selbst anreden läßt.

47

Pico lässt den Schöpfergott sein Geschöpf Adam als Bildhauer u n d Erfinder reiner selbst m i t Worten anreden, die es i m Gelehrtenlatein des 15. J a h r h u n d e r t s u n d auch i m klassischen Latein noch nicht gegeben hatte. Adam wird z u m »plastes et fictor« seiner selbst erklärt. Der grie­

chische Neologismus >plastes< spielt auf die Tätigkeit je­

ner Bildhauer an, die nicht im wörtlichen Sinne in Stein hauen, sondern aus Ton modellieren. >Fictor< hingegen ist eine Variation des lateinischen Wortes >pictor< f ü r Maler

u n d zugleich ein neuartiges Substantiv zu d e m Verb >fin­

gere<, das wir in der Form >fingieren< heute noch benutzen, wenn es u m eine Erfindung aus d e m Material des Mögli­

chen geht. Picos 1496 veröffentlichte Rede gab der alten Analogie zwischen d e m schöpferischen Weltkünstler Gott, d e m Deus artifex, u n d d e m irdischen Künstler eine neue Wendung. Sie sollte zu j e n e m Konzept des göttlichen Künstlers (divino artista) f ü h r e n , das Vasari später sei­

n e m Lob Raffaels u n d besonders Michelangelos z u g r u n d e legte u n d d e m er klassische Formulierungen verlieh.

Der Künstler wird in Neuzeit u n d Moderne als »sui ipsius plastes et fictor«, als selbst erschaffenden Bildner u n d »fictor«/»pictor« seiner selbst schließlich i m 18. Jahr­

h u n d e r t z u m »Genie«, das Regeln nicht folgt, sondern Regeln setzt.

W ä h r e n d in der Genesis der Schöpfergott den ers­

ten Menschen Adam schafft, u m an i h m seinen Heilsplan u n d damit die Heilsgeschichte zu beginnen, schafft er bei Vasari den Adam als die erste Skulptur (»prima Scol­

tura«), u m die Kunstgeschichte zu beginnen. Göttliche Kunst ist die >Vorahmung< menschlicher Kunst, insoweit ist Vasari traditionell, auch wenn er hier den Beginn der Heilsgeschichte z u m Beginn der Kunstgeschichte u m ­ stilisiert. Michelangelo, den er folgenreich z u m divino artista stilisierte, schuf nach Vasari vermöge seiner gott­

gegebenen Gestaltungskraft auch in der Darstellung der menschlichen Figur m e h r als eine perfekte Mimesis des v o m Deus artifex geschaffenen Modells, sondern schuf den ersten Menschen in seiner Erschaffung Adams der Six­

tinischen Decke von neuem. Deren Adam sei »[...] von ei­

ner Schönheit, Haltung u n d Umrissen, so daß m a n glau­

ben möchte, er sei von Neuem von seinem höchsten u n d ersten Schöpfer gemacht, nicht aber durch Pinsel u n d Zeichnung eines eben solchen Menschen.«

4 8

»[...] di bellezza, di attitudine e di dintorni ­ di qualitä che e' par fatto di nuovo dal s o m m o e p r i m o suo Creatore piü tosto che dal pennello e disegno d'uno u o m o tale.«

49

In seiner Beschreibung der Sixtinischen Decke

n i m m t Vasari das Motiv einer S c h ö p f u n g nicht u m des

(7)

Heilsplans u n d der Heilsgeschichte wegen, s o n d e r n u m der Kunst u n d der Kunstgeschichte wegen n o c h m a l s auf:

Jenes Fresko der Sixtinischen Decke, auf d e m Gott Licht u n d Finsternis scheidet, ist n a c h Vasari gemalt,

» u m die Vollkommenheit der Kunst u n d die Größe Got­

tes«

5 0

zu zeigen ­ m a n beachte nochmals die Reihenfolge dieser Aussagen. Papst Clemens v n . w i e d e r u m gibt laut Vasari das Jüngste Gericht an der Altarwand der Cappella Sistina in A u f t r a g , » d a m i t er [Michelangelo] in diesem Bild zeigen könnte, was alles der Kunst der Malerei mög­

lich sei«

5 1

­ u n d n i c h t etwa, u m zu zeigen, was Gott a m Ende der Tage möglich sei.

Eine folgenreiche, später von S i g m u n d Freud aufge­

g r i f f e n e U m k e h r u n g der traditionellen Hierarchie von Gottes­ u n d Menschenwerk bringt Vasari gegen Ende der ersten Auflage der Künstlerviten u n d also gegen Ende sei­

ner Vita des Michelangelo, welche die Torrentiniana ab­

schließt. Nach Vasari hat Michelangelo seine Statue des Moses »[...] so köstlich vollendet, daß m a n jetzt m e h r wie je Moses einen Liebling Gottes n e n n e n kann, da Gott d e m Moses vor allen a n d e r n den Leib durch die H a n d des herr­

lichen Michelangelo zu seiner A u f e r s t e h u n g hat bereiten wollen.«

5 2

» [...] et e finito talmente ogni lavoro suo, che Moise p u ö p i ü oggi che m a i chiamarsi amico di Dio, poi che t a n t o inanzi agli altri ha voluto m e t t e r e insieme e pre­

parargli il corpo per la sua ressurrezione per le m a n i di Michelagnolo.«

5 3

Vasari lobt hier die Fähigkeit Michelangelos, die S c h ö p f u n g zu » ü b e r t r e f f e n « u n d zu »besiegen«,

5 4

m i t t h e o l o g i s c h e m Vokabular u n d zugleich auf theologisch h ö c h s t p r o b l e m a t i s c h e Weise. Es wird aus Vasaris Text n ä m l i c h n i c h t deutlich, ob m i t »la sua ressurrezione«

(sie!) lediglich in poetischer Sprache von einer Auferste­

h u n g des Mose i m Stein als Metapher f ü r die besondere Lebendigkeit u n d Lebenswahrscheinlichkeit der Skulp­

t u r gesprochen wird, in einer m e t a p h o r i s c h e n Redeweise, derer sich Vasari ähnlich bedient, w e n n er schreibt, dass Michelangelo m i t der E r s c h a f f u n g seines David einen

schon verhauenen Steinblock » z u m Leben aufzuerwe­

cken« v e r m o c h t e ­ oder aber, ob m i t der F o r m u l i e r u n g

»[Dio] ha voluto m e t t e r e insieme e preparargli il corpo per la sua ressurrezione per le m a n i di Michelangelo«

5 5

nicht auch ausgedrückt werden soll, dass Michelangelo in gottgleicher künstlerischer Potenz den Leib des Mose in verklärter, in vollkommen­idealer Leiblichkeit hier u n d heute schon in solcher Vollkommenheit habe aufer­

stehen lassen, wie es aus christlicher Sicht erst Gott a m Ende der Tage vermag. Dann hätte Michelangelo seinem Moses einen ästhetischen Leib geschaffen, der den histo­

rischen Leib des Mose des Alten Testamentes überbietet.

Michelangelos Moses stellt ­ in dieser Lesart der Ekphrase Vasaris ­ dessen erst am J ü n g s t e n Tag in vollkommen er­

neuerter Gestalt auferstehenden Leib antizipatorisch dar.

Michelangelo hätte somit ­ in einer U m k e h r u n g der Hie­

rarchie von Gott u n d Geschöpf, von Deus artifex u n d arti- fex divinus ­ m i t seinem Moses Gott das Vorbild, das Mo­

dell des dereinst auferstehenden Leibes des Mose in einer Vollkommenheit schon vor Augen gestellt, die auch Gott nicht m e h r wird ü b e r t r e f f e n können.

Die vertrauten Epochenschemata der christlichen Geschichtstheologie, die Vasari u n d seine Koautoren den Künstlerviten z u g r u n d e legten, ließen die Geschichte der Kunst als Abglanz u n d Analogon der Heilsgeschichte er­

scheinen. Und sie bot zugleich ein klares S t r u k t u r p r i n ­ zip zur A n o r d n u n g des u m f a n g r e i c h e n Stoffes. Dass die u n t e r d e m Namen Vasaris veröffentlichten Vite u n d be­

sonders die Vita Michelangelos i m 18. u n d 19. J a h r h u n d e r t als G r ü n d u n g s t e x t e einer Kunstreligion verstanden wer­

den sollten,

5 6

die den artifex divinus ­ als >Genie< ­ an die Stelle des Deus artifex setzte, lag wohl weitgehend, aber nicht gänzlich, außerhalb des Horizonts Vasaris u n d sei­

nes wichtigsten Koautors Giambullari.

5 7

Für die m o d e r n e A u f w e r t u n g der Geschichte der Kunst zu einem Heils­

geschehen innerweltlicher Erlösung bot die Darstellung der Kunstgeschichte nach d e m Modell der christlichen Heilsgeschichte, wie sie 1550 in den Vite Vasaris u n d sei­

ner Koautoren erstmals vorgelegt wurde, die besten Vor­

(8)

aussetzungen, gerade auch mittels der Umkehrungen tra­

ditioneller Analogien von Gott und Künstler, Welt und Werk, mit denen Vasari und seine Koautoren ihre »große Erzählung« der Kunstgeschichte zum hyperbolischen Lob der Künstler erweiterten, aber auch deren biblische Muster subversiv unterliefen.

Zugleich beginnt hier eine Tradition, Kunstwerke zu Modellen für die Erfindung besserer Welten zu erklä­

ren. Dieses Kernkonzept des utopischen Modernismus des 20. Jahrhunderts hat eine Vorgeschichte, die hier nur fragmentarisch zugänglich gemacht werden konnte. Be­

reits ein Brief von Pietro Aretino vom 16. September 1537 an Michelangelo artikuliert den Gedanken einer Neu­

schöpfung der Welt durch Kunst: »[...] ne le man vostre vive occulta l'idea d'una nuova natura«

58

­ »In Ihren Hän­

den lebt verborgen die Idee einer neuen Natur«.

(9)

1 C i c e r o : De n a t u r a d e o r u m , r i , 81 (Ü b e r s e t z u n g z i t i e r t n a c h : M a r c u s T u l l i u s C i c e r o : V o m W e s e n d e r G ö t t e r , n a c h d e r Ü b e r s e t z u n g v o n R. K ü h n e r h r s g . v. O t t o G ü t h l i n g , L e i p z i g 1928, S. 117).

2 Vgl. E u g e n i o B a t t i s t i : N a t u r a a r t i f i c i o s a t o n a t u r a a r t i f i c i a l i s , i n : D a v i d R. C o f f i n ( H g . ) : T h e I t a l i a n G a r d e n . F i r s t D u m b a r t o n O a k s C o l l o q u i u m o n t h e H i s t o r y of L a n d s c a p e A r c h i t e c t u r e , W a s h i n g t o n , D.C. 1972, S. 1 ­ 3 6 .

3 Vgl. e i n f ü h r e n d s. v. G o t t / K ü n s t l e r ( S t e f f e n B o g e n ) in: M e t z l e r L e x i k o n K u n s t w i s s e n s c h a f t , S t u t t g a r t u . W e i m a r 2003, S. 129­132;

D i e t e r G r o h , S c h ö p f u n g i m W i d e r s p r u c h . D e u t u n g e n d e r N a t u r u n d d e s M e n s c h e n v o n d e r G e n e s i s b i s z u r R e f o r m a t i o n , F r a n k f u r t / M.

2003.

4 A r i s t o t e l e s v e r d e u t l i c h t i n s e i n e r Physik d i e v o n i h m p o s t u l i e r t e , h e u t e s c h w e r n a c h v o l l z i e h b a r e S t r u k t u r g l e i c h h e i t d e s N a t u r ­ s c h a f f e n s m i t d e r H e r s t e l l u n g v o n A r t e f a k t e n d u r c h d e n M e n s c h e n a m B e i s p i e l e i n e s H a u s e s : » W ä r e z u m B e i s p i e l e i n H a u s e i n N a t u r ­ p r o d u k t , es k ä m e d a n n g e n a u s o a u f d e m s e l b e n W e g z u s t a n d e , w i e es f a k t i s c h d u r c h d i e m e n s c h l i c h e A r b e i t h e r g e s t e l l t ist. W ü r d e n u m g e k e h r t d i e N a t u r g e b i l d e a u c h d u r c h M e n s c h e n a r b e i t z u s t a n d e k o m m e n k ö n n e n , sie w ü r d e n i n d e r s e l b e n W e i s e z u s t a n d e k o m m e n , w i e sie i n d e r N a t u r s i c h b i l d e n « ( A r i s t o t e l e s : P h y s i c a 11,8. Z i t i e r t n a c h : A r i s t o t e l e s : P h y s i k v o r l e s u n g , ü b e r s e t z t v o n H a n s W a g n e r , B e r l i n , v i e r t e A u f l a g e 1983, S . 5 2 f . ) .

5 H a n n o ­ W a l t e r K r u f t : G e s c h i c h t e d e r A r c h i t e k t u r t h e o r i e . Von d e r A n t i k e b i s z u r G e g e n w a r t , M ü n c h e n , d r i t t e e r w e i t e r t e A u f l a g e 1991, S . 9 5 ­ 1 0 0 .

6 Z u d e r e n W i r k u n g s g e s c h i c h t e b i s i n s 18. J a h r h u n d e r t : R u t h G r o h u. D i e t e r G r o h : W e l t b i l d u n d N a t u r a n e i g n u n g . Z u r K u l t u r g e s c h i c h t e d e r N a t u r 1, F r a n k f u r t / M . 1991, S. 11­71; C l a r e n c e J. G l a c k e n : T r a c e s o n t h e R h o d i a n S h o r e , N a t u r e a n d C u l t u r e i n W e s t e r n T h o u g h t f r o m A n c i e n t T i m e s to t h e E n d of t h e E i g h t e e n t h C e n t u r y , Berkeley, Los A n g e l e s 1967 ( R e p r i n t ) ; D i e t e r G r o h : S c h ö p f u n g i m W i d e r s p r u c h . D e u t u n g e n d e r N a t u r u n d d e s M e n s c h e n v o n d e r G e n e s i s b i s z u r Re­

f o r m a t i o n , F r a n k f u r t / M. 2003.

7 W e i s h 11, 21.

8 Vgl. E r n s t R o b e r t C u r t i u s : E u r o p ä i s c h e L i t e r a t u r u n d l a t e i n i s c h e s M i t t e l a l t e r , Bern 194.8, S. 5 2 7 ­ 5 2 9 .

9 G e r d B l u m : E p i k u r e i s c h e A u f m e r k s a m k e i t u n d e u k l i d i s c h e A b s ­ t r a k t i o n . A l b e r t i , L u k r e z u n d d a s F e n s t e r als b i l d g e b e n d e s Dis­

p o s i t i v d e r N e u z e i t , in: H o r s t B r e d e k a m p , C h r i s t i a n e K r u s e u . P a b l o S c h n e i d e r ( H g . ) : I m a g i n a t i o n u n d R e p r ä s e n t a t i o n . Zwei B i l d s p h ä r e n d e r f r ü h e n N e u z e i t , M ü n c h e n 2010, S. 79­118; d e r s . : F e n e s t r a

p r o s p e c t i v a . A r c h i t e k t o n i s c h i n s z e n i e r t e A u s b l i c k e : A l b e r t i , P a l l a d i o , A g u c c h i ( z u g l . H a b i l . ­ S c h r i f t U n i v e r s i t ä t Basel 2010), Berlin:

A k a d e m i e Verlag ( S t u d i e n a u s d e m W a r b u r g ­ H a u s , Bd. 8), D r u c k i n V o r b e r e i t u n g .

10 Vgl. G e r d B l u m : P a l l a d i o s Villa R o t o n d a u n d d i e T r a d i t i o n d e s

>idealen Ortes«. L i t e r a r i s c h e T o p o i u n d d i e l a n d s c h a f t l i c h e S i t u ­ i e r u n g v o n Villen d e r i t a l i e n i s c h e n R e n a i s s a n c e , in: Z e i t s c h r i f t f ü r K u n s t g e s c h i c h t e 70 ( 2 0 0 7 ) , S. 1 5 9 ­ 2 0 0 .

11 Vgl. F r i e d r i c h S o l m s e n ; N a t u r e a s C r a f t s m a n i n G r e e k T h o u g h t , in: J o u r n a l of t h e H i s t o r y of I d e a s 2 4 , 1 9 6 3 ( O c t . ­ D e c ) , S. 4 7 3 ­ 9 6 . 12 In C i c e r o s De natura deorum v e r g l e i c h t B a i b u s als E x p o n e n t d e r S t o a N a t u r u n d A r c h i t e k t u r v o r d e m H i n t e r g r u n d d e r b e i d e n B e r e i c h e n e i g e n e n R e g e l h a f t i g k e i t u n d P r o p o r t i o n a l i t ä t : W i e j e m a n d , d e r distinctio, u t i l i t a s , pulchritudo u n d ordo d e r G e s t i r n e u n d i h r e r B a h n e n b e t r a c h t e , v o n d e r v o r a u s b e s t i m m t e n O r d n u n g d e r S c h ö p ­ f u n g ü b e r z e u g t s e i n m ü s s e , so w e r d e d e r , w e l c h e r » [ . . . ] i n e i n H a u s o d e r e i n G y m n a s i u m o d e r e i n e n M a r k t p l a t z k ä m e u n d da i n a l l e n D i n g e n P l a n m ä ß i g k e i t , M a ß h a l t u n g u n d A n o r d n u n g [ r a t i o , m o d u s , d i s c i p l i n a ] s ä h e [...], e i n s e h e n , es sei j e m a n d d a , d e r d i e s e D i n g e l e i t e [...]. S o m u ß er n o c h w e i t m e h r b e i so g r o ß e n B e w e g u n g e n u n d b e i s o g r o ß e n A b w e c h s l u n g e n [ d e r G e s t i r n e , G. B.], b e i d e m g e ­ o r d n e t e n G a n g so v i e l e r u n d g r o ß e r D i n g e [...] n o t w e n d i g e r w e i s e a n n e h m e n , d a ß e i n v e r n ü n f t i g e r G e i s t d i e s o g r o ß e n B e w e g u n g e n d e r N a t u r l e n k e [...]« ( C i c e r o , D e n a t u r a d e o r u m , I I , 15, z i t i e r t n a c h : C i c e r o , De n a t u r a d e o r u m , e d . G ü t h l i n g 1928, S. 162 f.).

13 Vgl. E u g e n i o G a r i n , »Ii p e n s i e r o di L e o n B a t t i s t a A l b e r t i . C a r a t t e r i e c o n t r a s t i « , in: R i n a s c i m e n t o , N. F. 12 (1972), S . 3 ­ 2 0 . 14 Vgl. d i e E i n l e i t u n g v o n M i c h a e l a B o e n k e z u L e o n B a t t i s t a A l b e r t i : M o m u s s e u d e p r i n c i p e / M o m u s o d e r v o m F ü r s t e n , l a t e i n i s c h ­ d e u t s c h e A u s g a b e , ü b e r s e t z t , k o m m e n t i e r t u. e i n g e l e i t e t v o n M i c h a e l a B o e n k e , M ü n c h e n 1993, S. I X ­ X X X V I . ( I m F o l g e n d e n z i t i e r t als A l b e r t i : M o m u s , e d . B o e n k e 1993 [Text d e s M o m u s ] bzw. B o e n k e , E i n l e i t u n g , 1993). A u ß e r d e m z u m Momus u n d z u r N a c h t s e i t e A l b e r t i s : P a o l o M a r o i d a : C r i s i e c o n f l i t t o i n L e o n B a t t i s t a A l b e r t i , R o m 1988;

M a r k J a r z o m b e k : O n L e o n B a p t i s t a A l b e r t i : h i s l i t e r a r y a n d

a e s t h e t i c t h e o r i e s , C a m b r i d g e , M a s s a c h u s e t t s u. L o n d o n 1989; H o r s t B r e d e k a m p : D e r K ü n s t l e r als F l u g a u g e u n d S e i l t ä n z e r d e r S e l b s t e r ­ s c h a f f u n g ( R e z e n s i o n v o n A n t h o n y G r a f t o n : L e o n B a t t i s t a A l b e r t i , B a u m e i s t e r d e r R e n a i s s a n c e , B e r l i n 2 0 0 2 [ e n g l . O r i g i n a l a u s g a b e N e w York 2 0 0 0 ] ) , in: S ü d d e u t s c h e Z e i t u n g , Nr. 139,19. J u n i 2002, S. 18.

15 W o l f g a n g K r o h n : T e c h n i k , K u n s t u n d W i s s e n s c h a f t . Die I d e e e i n e r k o n s t r u k t i v e n N a t u r w i s s e n s c h a f t d e s S c h ö n e n b e i L e o n B a t t i s t a A l b e r t i , in: F r a n k F e h r e n b a c h ( H g . ) : L e o n a r d o da V i n c i : N a t u r i m Ü b e r g a n g ­ B e i t r ä g e z u W i s s e n s c h a f t , K u n s t u n d T e c h n i k , M ü n c h e n 2 0 0 2 , S. 3 7 ­ 5 6 , 45.

16 Ebd.

17 Z u r n e u e r e n D e b a t t e u m d i e D a t i e r u n g d e s M o m u s u n d d e s A r c h i ­ t e k t u r t r a k t a t e s vgl. d i e H i n w e i s e b e i L u c a B o s c h e t t o : L e o n B a t t i s t a A l b e r t i e F i r e n z e . B i o g r a f i a , S t o r i a , L e t t e r a t u r a , F l o r e n z 2 0 0 0 , S. 147 f., A n m . 1.

(10)

18 W i e sich die helle u n d die N a c h t s e i t e v o n Albertis D e n k e n u n d b e s o n d e r s die A u s s a g e n v o n A r c h i t e k t u r t r a k t a t u n d M o m u s z u e i n­ a n d e r v e r h a l t e n , ist eine z e n t r a l e Frage der A l b e r t i ­ F o r s c h u n g . Man b e a c h t e f o l g e n d e Sätze aus d e m M o m u s Albertis: »Da f r a g t e C h a r o n , w o b e i er auf diese u n d j e n e G ö t t e r s t a t u e zeigte: >Sag, Gelastus, h ä l t s t d u a u c h n i c h t s v o n d i e s e n , e i n z e l n g e n o m m e n , u n d v e r e h r s t sie, w e n n sie alle z u s a m m e n s t e h e n ? < G e l a s t u s a n t w o r t e t e l ä c h e l n d :

>Wenn ich allein w ä r e , w ü r d e ich vielleicht l a c h e n , a b e r i m Beisein vieler a n d e r e r P e r s o n e n w ü r d e ich sie anbeten.<« (Alberti: M o m u s , ed. Boenke 1993, S.363).

19 J o a n Gadol: Leon Battista Alberti. Universal M a n of t h e Renais­

s a n c e , C h i c a g o 1969, S. 223.

2 0 Alberti: M o m u s , ed. Boenke 1993, S. 213. Vgl. K r o h n 2002 ( A n m . 1 5 ) , S . 3 7 ­ 5 6 .

21 Alberti: M o m u s , ed. Boenke 1993, S.323.

2 2 K r o h n 2002 ( A n m . 15), S. 47.

2 3 Vgl. zu dieser Stelle aus d e m M o m u s Albertis: M a r t i n Kemp:

T h e M e a n a n d M e a s u r e of All T h i n g s , in: >Circa 1492«. Art in t h e Age of E x p l o r a t i o n ( A u s s t e l l u n g s k a t a l o g N a t i o n a l Gallery of Art, W a s h i n g t o n D.C., 1991­1992), h r s g . v. Jay A. L e v e n s o n , N e w H ä v e n , C o n n . 1991, S. 95­112, 96 f. Vgl. z u m p h i l o s o p h i s c h e n Kontext:

H a n s B l u m e n b e r g : > N a c h a h m u n g der Natur«. Zur V o r g e s c h i c h t e des s c h ö p f e r i s c h e n M e n s c h e n , in: ders.: W i r k l i c h k e i t e n in d e n e n w i r l e b e n , S t u t t g a r t 1981, S. 55­103, bes. S. 5 5 ­ 5 9 . Bereits u m 1450 h a t t e N i k o l a u s v o n Kues a r g u m e n t i e r t , dass die m e n s c h l i c h e ars i m Falle d e s H a n d w e r k s u n d der T e c h n i k keine N a c h a h m u n g , s o n d e r n ( w e n n a u c h a n der ars infinita G o t t e s a u s g e r i c h t e t e ) N e u s c h ö p f u n g sei, w o b e i er d i e s a m Beispiel eines Löffels a u f z e i g t e , der sola humana arte e n t s t a n d e n sei (vgl. B l u m e n b e r g , 1981, S. 55). ­ Die O r d n u n g des K u n s t w e r k s als N a c h v o l l z u g g ö t t l i c h e r W e l t o r d n u n g e i n e r s e i t s o d e r a n d e r e r s e i t s e i n e v o m K ü n s t l e r g e s t i f t e t e O r d n u n g als Vorbild e i n e r n e u e n b e s s e r e n W e l t o r d n u n g : A l b e r t i s A u s s a g e n zu d i e s e m T h e m a c h a n g i e r e n , w e n n m a n sie z u r G ä n z e ü b e r b l i c k t , z w i s c h e n d i e s e n b e i d e n R i c h t u n g e n e i n e s A n a l o g i e v e r h ä l t n i s s e s . Vgl. K r o h n 2002 ( A n m . 15).

2 4 Z u m p h i l o s o p h i s c h e n Kontext s i e h e H a n s B l u m e n b e r g 1981 ( A n m . 23), S. 55­103, bes. S. 5 5 ­ 5 9 . Vgl. z u m F o r t w i r k e n dieser Um­

k e h r u n g b e r e i t s Gerd Blum: M i c h e l a n g e l o als Moses: Vasari, N i e t z s c h e , F r e u d , T h o m a s M a n n , in: Josef F r ü c h t l (Hg): S c h ö n e r N e u e r M e n s c h n (= Z e i t s c h r i f t f ü r Ä s t h e t i k u n d A l l g e m e i n e K u n s t ­ w i s s e n s c h a f t 53,1 [2008]), S . 7 3 ­ 1 0 6 .

2 5 Vgl. A n n Blair: T h e T h e a t r e of N a t u r e . Jean Bodin a n d Renais­

s a n c e Science, P r i n c e t o n 1997, u. B r e d e k a m p 2004, S. 3 4 ­ 3 9 . 2 6 Vgl. Gerd Blum, Giorgio Vasari. Der E r f i n d e r der Renaissance.

Eine B i o g r a p h i e , M ü n c h e n 2011, S. 144­164.

2 7 Für H i n w e i s e z u r Ü b e r s e t z u n g d a n k e ich Ilda M u t t i , M ü n s t e r .

2 8 Text der 1. A u f l a g e , Venedig: S c o t t o 1544. Hier w i e d e r g e g e b e n n a c h : Ii c a r t e g g i o di M i c h e l a n g e l o . E d i z i o n e p o s t u m a di G i o v a n n i Poggi (1888), a cura di Paola Barocchi e Renzo Ristori, 4 Bde., Florenz 1965­1983, h i e r Bd. 4 (1979), S. 160­63. Die f ü n f t e Auflage Venedig 1552 b r i n g t sogar einen d r e i f a c h e n A n r u f Donis a n Michelangelo: »[...]

et g r i d a n d o : M i c h e l a g n o l o divino, M i c h e l a g n o l o divino, M i c h e l a g ­ n o l o >divino!<« (ebd., S. 163, A n m . 7). Laut Paul F. Grendler, Critics of the Italian World, S. 240 f., e r s c h i e n e n die Lettere D o n i s b e r e i t s 1545 in 2. A u f l a g e , e b e n f a l l s bei S c o t t o in Venedig, u n d 1546 u n d 1547 i n D o n i s e i g e n e m Verlag in Florenz in d r i t t e r u n d vierter Auflage.

2 9 L u d o v i c o Ariosto: O r l a n d o f u r i o s o , x x x m , S.3, 5 ­ 8 . Zitiert n a c h : L u d o v i c o A r i o s t o : Der r a s e n d e Roland, In der Ü b e r t r a g u n g v o n D i e t r i c h Gries, 2 Bde., M ü n c h e n 1980, h i e r Bd. 2, S. 208.

3 0 L u d o v i c o Ariosto: O r l a n d o f u r i o s o , a c u r a di R e m o Ceserani, 2 Bde., T u r i n 1962 ( R e p r i n t 1973), h i e r Bd. 2,1280. Z u d i e s e r Stelle Clark Hülse: The Rule of Art ­ L i t e r a t u r e a n d P a i n t i n g in t h e R e n a i s s a n c e , C h i c a g o / L o n d o n 1990, S. 4f.

31 A r i s t o t e l e s , R h e t o r i k 1410b S. 33 f. Siehe a u c h Q u i n t i l i a n : , Insti­

t u t i o o r a t o r i a S. 9, 2, 41: » n o n s o l u m q u a e facta s u n t a u t fiant, sed e t i a m q u a e f u t u r a sint aut f u t u r a f u e r i n t , i m a g i m a m u r « . Vgl.

Rüdiger C a m p e : Vor A u g e n Stellen. Über d e n R a h m e n r h e t o r i s c h e r B i l d g e b u n g , in: G e r h a r d N e u m a n n (Hg.): P o s t s t r u k t u r a l i s m u s . Eine H e r a u s f o r d e r u n g f ü r die L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t , S t u t t g a r t u.

W e i m a r 1997, S. 2 0 8 ­ 2 2 5 .

3 2 S. G u i d o N a s c h e r t : » H y p e r b e l « , in: H i s t o r i s c h e s W ö r t e r b u c h der R h e t o r i k , hg. v o n Gert U e d i n g , Bd. 4, S t u t t g a r t 1998, Sp. 115­122;

Rubin: Patricia Lee R u b i n , Giorgio Vasari ­ Art a n d History,

N e w H ä v e n / L o n d o n 1995, S 280 f. Vgl. a. ebd. S. 183: »The d e s c r i p t i o n d i v i n o h a d already b e e n g r a n t e d to M i c h e l a n g e l o bei Varchi a n d o t h e r s . Ariosto, f o r e x a m p l e , h a d w r i t t e n in O r l a n d o f u r i o s o (1532) of »Michel, p i ü che m o r t a l e , A n g e l divino< ( C a n t o x x x m , 2). W h a t was a h y p e r b o l i c f i g u r e or p o e t i c p u n for t h e p h i l o s o p h e r a n d t h e p o e t b e c a m e a S t a t e m e n t of f a c t f o r Vasari.«

3 3 Peter M i c h e l s e n : Der K ü n s t l e r als H e l d u n d C h a r a k t e r ­ ü b e r die b i o g r a p h i s c h e D a r s t e l l u n g s w e i s e in d e n »Vite« des Giorgio Vasari, in: A r c h i v f ü r K u l t u r g e s c h i c h t e 84, 2001, S. 293­312, h i e r S., 303; vgl.

Patricia Lee R u b i n , Giorgio Vasari ­ Art a n d History, N e w H ä v e n / L o n d o n 1995, S. 148.

3 4 S. Q u i n t i l i a n , Institutio oratoria I I I , v n , 3 ­ 4 u n d J o h n W.

O'Malley: The New R h e t o r i c ­ Ars L a u d a n d i et V i t u p e r a n d i , in: ders.:

P r a i s e a n d Blame in R e n a i s s a n c e R o m e , D u r h a m 1979.

3 5 Vgl. z u m K o n z e p t des s e l b s t r e f e r e n t i e l l e n » m o s t r a r e l'arte«:

Rudolf P r e i m e s b e r g e r : Rilievo u n d M i c h e l a n g e l o : »... b e n c h e i g n o r a n t e m e n t e « , in: Ulrich Pfisterer u n d Max Seidel (Hg.): Visuelle T o p o i ­ E r f i n d u n g u n d t r a d i e r t e s W i s s e n in d e n K ü n s t e n der italieni­

s c h e n Renaissance, Berlin u n d M ü n c h e n 2003, S. 303­316, h i e r 209.

(11)

36 Stephen Campbell: Fare una cosa morta parer viva - Michelangelo, Rosso, and the (Un)Divinity of Art, in: The Art Bulletin 84 (2002), S. 596-620. Hingegen schreibt Eric Cochrane in seinem Standard­

werk zur Historiographie der Renaissance mit Bezug auf die Einleitung der Michelangelo­Vita, an deren Beginn Michelangelo als gottgesandter Himmelsbote beschrieben wird: »That such explana­

tions bordered on the blasphemous [...] bothered no one. For neither Vasari nor any readers took them at all seriously.« Eric Cochrane:

Historians and Historiography in the Italian Renaissance, Chicago / London 1981, S. 400­404, hier S. 402. Zur kritischen Rezeption des Jüngsten Gerichts u.a. durch Pietro Aretino: Melinda Schlitt, Painting, Criticism, and Michelangelo's »Last Judgment« in the Age of the Counter Reformation, in: Marcia B. Hall (Hg.), Michelangelo's »Last Judgement«, Cambridge 2005, S. 113­149.

37 Gerd Blum: Prowidenza e progresso: La teologia della storia

nelle >Vite< vasariane; con alcune considerazioni su periodizzazione e paginatura nell Torrentiniana, in: Katja Burzer / Charles Davis / Sabine Feser / Alessandro Nova (Hg.), Die Vite Vasaris: Genesis, Topoi, Rezeption / Le Vite del Vasari: Genesi, topoi, ricezione, Venedig 2010, S. 131­152; ders.: Zur Geschichtstheologie von Vasaris >Vite< (1550):

Kunstgeschichte als >große Erzählung< und Bildsystem, in; David Ganz / Felix Thürlemann (Hg.): Das Bild im Plural. Mehrteilige Bild­

formen zwischen Mittelalter und Gegenwart, Berlin 2010, S. 271­288;

ders.: Vasari on the Jews: Christian Canon, Conversion, and the Moses of Michelangelo, in: The Art Bulletin, Vol. x c v, No. 4, December 2013, S­557­577­

38 Blum 2011 (Anm. 26), Kap. VII.

39 Michelsen 2001 (Anm. 33), S. 293­312.

40 Giorgio Vasari: Kunsttheorie und Kunstgeschichte. Eine Ein­

führung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler anhand der Proemien, neu übersetzt von Viktoria Lorini, hg. v. Matteo Burioni und Sabine Feser, Berlin 2004, S. 47.

41 Vasari: Vorrede der Lebensbeschreibungen, in: ders.: Proömien,

ed. Burioni / Feser / Lorini 2004, S.47f.

42 Giorgio Vasari: Le vite de' piü eccellenti pittori, scultori e

architettori nelle redazioni del 1550 e 1568, Testo a cura di Rosanna Bettarini, Commento secolare a cura di Paola Barocchi, 6 Bde., Florenz 1966­1988, Bd. 11 (Testo), S. 4.

43 Michelsen 2001 (Anm.33), S. 310f.

44 Das untere Register des Andrea Pisano und seinem Umfeld zu­

geschriebenen Zyklus' ist den artes mechanicae und ihren bibli­

schen Erfindern im Rahmen des »Heilsplans der christlichen Welt­

auslegung« gewidmet; s. dazu Tanja Michalsky: Der Reliefzyklus des Florentiner Domcampanile oder die Kunst der Bildhauer, sich an Heilsgeschichte zu beteiligen, in: Ursula Schaefer (Hg.): Artes im Mittelalter, Berlin 1999, S. 324­343, hier S. 324. Über die Paralleli­

sierung beider Szenen siehe ebd., S. 234 f. Zur topischen Analogie deus artifex ­ artifex divinus s. zusammenfassend Bogen 2003 (wie Anm. 2).

45 Vgl. Erwin Panofsky: Artist, Scientist, Genius ­ Notes on the

»Renaissance­Dämmerung«, in: ders.: The Renaissance ­ Six Essays, New York 1962 (1953), S. 121­182.

46 »Nec te celestem neque terrenum, neque mortalem neque

immortalem fecimus, ut tui ipsius quasi arbitrarius honoraviusque plastes et fictor, in quam malueris tute formam effingas.« (Pico della Mirandola: Oratio de hominis dignitate, in: ders.: De hominis dignitate, Heptaplus, De ente et uno e scritti vari, hg. von Eugenio Garin, Florenz 1942, S. 106. ­ »[...] als dein eigener freier und ehren­

hafter Bildner und Gestalter gleichsam sollst Du Dich in jene Form bilden, die Du wünscht.« Eine Aufwertung der vita activa ver­

bindet auch Gianozzo Manetti in seiner Schrift über die Würde des Menschen mit seinem Adam, vgl. Kurt Bayertz, Der aufrechte Gang.

Eine Geschichte des anthropologischen Denkens, München 2013 S. 145­151.

47 Vgl. Stephen Greenblatt: Renaissance Self­Fashioning from More

to Shakespeare, Chicago 1980 und Joanna Woods­Marsden: Renais­

sance Self­Portraiture ­ The Visual Construction of Identity and the Social Status of the Artist, New Häven / London 1998.

48 Giorgio Vasari: Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer

und Baumeister, von Cimabue bis zum Jahre 1567, übersetzt von Ludwig Schorn und Ernst Förster, neu hg. und eingeleitet von Julian Kliemann, 6 Bde., hier Bd. 5, Worms 1983 (Stuttgart und Tübingen 11849), v, S.309.

49 Vasari: Le vite, ed. Barocchi / Bettarini 1966­1988,

v i , 41 (Anm. 42).

50 Vasari: Leben, ed. Schorn / Förster / Kliemann 1983 (Anm. 48), v,

S. 308; Vasari: Le vite, ed. Barocchi / Bettarini 1866­1988 (Anm. 42), v i , S.40.

51 Vasari: Leben, ed. Schorn / Förster / Kliemann 1983 (Anm. 48), v,

338; Vasari: Le vite, ed. Barocchi / Bettarini 1966­1988 (Anm. 42), v i , S. 65.

52 Vasari: Leben, ed. Schorn / Förster / Kliemann 1983 (Anm. 48), v,

S.292.

53 Vasari: Le vite, ed. Barocchi / Bettarini 1966­1988 (Anm. 42), v i ,

S.29.

54 Vasari: Vorrede des Dritten Teils [der Vite], in: Burioni / Feser /

Lorini 2004, S. 102f.

55 Vasari / Barocchi: Le Vite, ed. Barocchi / Bettarini 1966­1988

(Anm.42), v i , S.29.

56 Mit ausführlichen bibliographischen Angaben: Blum 2008

(Anm. 23), S. 73­106. Vgl. auch Catherine M. Soussloff: The Absolute

Artist. The Historiography of a Concept, Minneapolis 1997.

(12)

57 Vgl. allerdings Stephen Campbell: >Fare una cosa morta parer viva.< Michelangelo, Rosso, and the (Un)Divinity of Art, in: The Art Bulletin 84 (2002), S. 596-620, und Blum 2008 (Anm. 24).

58 Pietro Aretino, Lettere, Libro Iii, hrsg. v. Paolo Procaccioli [Edizione Nazionale delle Opere di Pietro Aretino; Bd. i v , 3], Rom 1999, No. 191; Hervorhebung von G.B.

Nachbemerkung:

Inzwischen bemerke ich, dass die neue, ausgezeichnete Studie von Ulrich Pfisterer, Die sixtinische Kapelle, München 2013, aufschluss­

reiche Quellen zur beginnenden Umkehrung der traditionellen Analogie von Deus artifex und Künstler im Italien der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts enthält. Vgl. ebd. S. 7: Anonymus (Erasmus von Rotterdam?), Julius, Erstauflage 1517, Ratschlag des Petrus an den verstorbenen Papst Julius 11. an der Paradiesespforte: »Baue Dir irgendwo selbst ein neues Paradies«; ebd. S. 42f.: Andrea Guarna, Simia, Mailand 1517: Bramante plant, in der Paraphrase Pfisterers,

»das ganze Paradies radikal abzureißen und von den Fundamenten an neu, großartiger und bequemer zu erbauen« und er droht »in die Hölle zu wechseln, wo nach Jahrtausenden des zerstörerischen Feuers seine Neubaupläne sicher hochwillkommen seien«; ebd. S. 98:

kurz nach der Enthüllung des Freskos schreibt Niccolö Martelli über das Jüngste Gericht Michelangelos:

»Er (Michelangelo) hat (...) im heiligen Tempel des Vatikans aus Eurer (ob Gottes oder Michelangelos wird bewußt offen gelassen) hochmögenden Phantasie (»alta fantasia«) einen großen und er­

schütternden Gott geschaffen.« Für die genauen bibliographischen

Angaben sei der Kürze halber auf Pfisterers Buch verwiesen. Der hier

in der Übersetzung und mit den Anmerkungen Pfisterers zitierte

hyperbolische Satz Martellis, der auf Dantes Wort über die letztlich

vor Gottes Anblick versagende »alta fantasia« des Dichters aus der

Göttlichen Komödie anspielt, stellt sicher einen frühen Höhepunkt

der in meinem vorliegenden Aufsatz erörterten Umkehrung des

Primats von Gott und Künstler dar.

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