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er Politik zeigten junge Menschen (jedenfalls bis zum Ausbruch des Irak-Kriegs) die kalte Schulter.Für die aktuelle Shell-Studie „Jugend 2002“ wurden 2 500 Jugendliche im Al- ter von 12 bis 25 Jahren befragt. Von ih- nen würden 35 Prozent „ganz sicher an Wahlen teilnehmen“. 34 Prozent der jungen Leute gaben an, sich überhaupt für Politik zu interessieren, berichtete Dr.Axel Zander, Issue-Advicer im Res- sort Öffentlichkeitsarbeit der Deut- schen Shell in Hamburg, auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes.
Politikverdrossenheit – ein Grund für sieben Studierende des Fachbe- reichs Gesellschafts- und Wirtschafts- kommunikation der Universität der Künste in Berlin, dies zum politischen Thema ihrer Diplomabschlussarbeit zu machen. Das Parlament solle für sich werben, befanden die Studenten. Sie entwickelten deshalb eine Jugendkam- pagne; Auftraggeber ihrer Aktion war das Referat Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestags. Die Botschaft, die durch die Kampagne transportiert werden sollte, wurde vom Bundestag vorgegeben. „Die Jugendlichen sollen den Bundestag als eine für ihr Leben wichtige Institution wahrnehmen und eine Vorstellung davon bekommen, was der Bundestag konkret tut“, erklärte Erwin Ludwig, Mitarbeiter des Refera- tes Öffentlichkeit beim Bundestag. Die Kampagne lief vom 6. Juni bis zum 22.
September vergangenen Jahres.
Zur Umsetzung des Konzeptes wur- den als Kommunikations- und Werbe- mittel Großflächenplakate gewählt.
Anzeigen wurden in viel gelesenen Ju-
gendzeitschriften und in einigen Spe- cial-Interest-Magazinen geschaltet so- wie ein Internetauftritt unter www.mit mischen.de angeboten. Der Internet- auftritt soll jungen Menschen den Aus- tausch mit Abgeordneten ermöglichen.
„Etwa 30 000 Plakate wurden in Deutschland aufgehängt“, berichtete Goldbach. Darauf waren Jugendliche in vertrauten Alltagssituationen zu sehen:
beim Telefonieren, beim Fußballspielen oder beim Tanzen. „Eines der Plakate zeigt eine junge telefonierende Frau, die lächelt. Der Text dazu lautet : „Flir- ten, Lästern, Tratschen – und niemand hört mit.“
Das Plakat verwies auf das Telekom- munikationsgesetz, das vom Bundestag beschlossen wurde. Gesetzestexte auf Plakaten sollten deutlich machen, dass der Bundestag die Rah-
menbedingungen für die Freiheit jedes einzelnen schaffe, heißt es aus dem Referat Öffentlichkeits- arbeit des Bundestages.
Man wolle klar machen, dass die Existenz dieses Gesetzes der Gesetzge- bung im Bundestag zu verdanken sei, sagte Goldbach. „Panorama“
und „Spiegel-Online“
kritisierten, dass der Bundestag mit Selbstver- ständlichem werbe, näm- lich dass keiner beim Flirten und Tratschen am
Telefon abgehört werde. Panorama wi- dersprach der Aussage des Plakates, dass der Staat nicht abhöre.
Goldbach und seine Mitstreiter rea- gierten enttäuscht darüber, dass sich Panorama und Spiegel-Online nur an einem Plakat orientiertet hätten, jedoch die anderen beiden mit den Themen
„Konvention zum Schutz der Men- schenrechte“ und „Waffengesetz“ igno- rierten. Die Medienkritik bewog zum Recherchieren: Wie viele Abhörverfah- ren gibt es bundesweit? Der wissen-
schaftliche Dienst des Bundestages übernahm die Nachforschungen. Er- gebnis: Etwa 3 300 Abhörverfahren mit 6 000 betroffenen Personen aufgrund richterlichen Beschlusses und 46 Ab- hörmaßnahmen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz mit etwa 250 Per- sonen in den Bereichen Spionageab- wehr, politischer Extremismus und Ter- rorismus laufen derzeit bundesweit.
„Gemessen an der Gesamtbevölkerung erschien uns die Zahl als eher niedrig“, urteilten die Studierenden.
Das Internetangebot umfasste zwei Diskussionsformate: ein Expertenfo- rum und eine Fragestunde. In dem Kampagnenzeitraum wurden jeweils ein Expertenforum und eine Fragestun- de in Form eines Chats veranstaltet. Die Themen waren: „Erfurt und die Folgen
– Gewalt an Schulen“, „Zuhause ist überall – über das Für und Wider der Globalisierung“, „Was wird aus mir? – Bildung in Deutschland“, „Woran wir glauben – die Wertediskussion“ und
„Warum wählen gehen? – Die Bundes- tagswahl 2002“. Während des gesamten Aktionszeitraumes erreichten die On- line-Redaktion etwa – positive und ne- gative – 500 E-Mails. Die Internetseite wurde inzwischen wieder aktiviert, und die Chats und Foren zu aktuellen The- men wurden ausgeweitet. Susanne Lenze T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1511. April 2003 AA975
Jugendkampagne
Das Parlament wirbt um junge Menschen
Studierende in Berlin haben für den Deutschen Bundestag eine Jugendkampagne ge- startet mit dem Ziel, ihnen den Nutzen der Demokratie zu verdeutlichen.
www.mitmischen.de