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Archiv "Einreise nach Persien" (20.01.1984)

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evolutionäre scheinen eine unstillbare Liebe zu Kampf- anzügen und Mercedes-Li- mousinen zu haben. Nicht einmal die Kämpfer der islamischen Re- volution, die an sich auf Eigen- ständigkeit bedacht sind, mögen mit dieser internationalen Tradi- tion brechen. Vor dem Este- q1a1-(„Unabhängigkeit"-)Hotel in Teheran, dem ehemaligen Hilton, wimmelt es von beidem.

Den Limousinen mit den Panzer- glasfenstern entsteigen die neuen Staatsträger: Junge Technokraten und bärtige Mullahs im „besten Mannesalter" lang gewandet, be- turbant — schwarzer Turban für die Nachkommen des Propheten, weißer für die übrigen. In den grü- nen Kampfanzügen ohne Rangab- zeichen stecken tatsächlich Kämpfer: Für sie gibt es im Iran immer noch viel zu tun.

Im Zeichen Avicennas, des großen persischen Philoso- phen und Arztes (oben), und der islamischen Revolution dieser Tage stand ein inter- nationaler Medizinkongreß der iranischen Regierung.

Ein vielschichtiges Unterneh- men: Wissenschaft und Pro- paganda, vorsichtige Öffnung des Landes und Export der islamisch-iranischen Ideen.

Im Ex-Hilton, leicht ramponiert, aber doch repräsentativ, findet ein medizinischer Kongreß statt.

Die erste internationale wissen- schaftliche Großveranstaltung, die der neue Iran auszurichten wagt. Ja, wagt — denn das Land la- boriert an einem langwierigen

Krieg mit seinem Nachbarn Iraq;

und auch im Lande selbst ist die Revolution, obgleich mittlerweile drei Jahre alt, noch nicht zur Ruhe gekommen. Dazu kam für die Ver- anstalter ein psychologisches Hemmnis: Würde es überhaupt gelingen, eine ansehnliche Schar internationaler Gäste ins Land zu bekommen — wo doch der Iran weltweit unter einem schlechten Ruf zu leiden hat? Schließlich bla- miert sich niemand gern; ganz si- cher nicht frisch gebackene Revo- lutionäre, die alle Welt von sich und den Segnungen ihrer Revolu- tion überzeugen wollen.

Niemand hat sich blamiert. Die Or- ganisation war, wo nicht perfekt, dann doch getragen vom überwäl- tigend guten Willen. Keinem Gast wurde ein Haar gekrümmt. Dazu waren die Sicherheitsvorkehrun- gen auch zu streng: Body check 84 (20) Heft 3 vom 20. Januar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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mehrfach täglich, Wachen vor al- len Aufzugtüren, Hausverbot für Iraner nach 11 Uhr abends. Ein paar hundert Ausländer, dazu vie- le iranische Ärzte, die im Ausland leben, waren gekommen, ange- lockt durch eine großzügige Spe- senregelung, durch wissenschaft- liche und schlichte Neugier: was ist eigentlich los im islamischen Iran, dem lange verschlossenen Land?

„Was bei euch über Iran berichtet wird, ist doch alles falsch", klagen die Offiziellen, aber auch man- cher gutgläubige Mann von der Straße, der aus Propaganda sei- ner Führer weiß, wie der Westen informiert: eben falsch. „Darfst du denn überhaupt die Wahrheit schreiben, das, was du siehst?"

x-mal bin ich das gefragt worden.

Hinter der Frage steckte nicht nur der Wunsch, der Journalist aus

Aus offiziellem Propagandamaterial:

Feindbild Nr. 1, die USA (oben rechts).

Zerstörung von Zivileinrichtungen durch iraqische Bomben (unten rechts). Gefal- lene sind Märtyrer (oben)

Deutschland möge objektiv infor- mieren, sondern vielmehr noch die Sehnsucht verstanden zu wer- den. Verstehen fällt freilich nicht immer leicht.

Die allgegenwärtige Propaganda Das Flugzeug rollt auf Teherans internationalem Flughafen Mehra- bat aus. Mir fällt ein Schriftzug in die Augen, der einzige, den ich entziffern kann: „down with the U.S." ist auf einen Hangar gepin- selt. Vernichtungswünsche dieser Art sollten mich zehn Tage lang in Teheran begleiten. Ob im Fernse- hen, das bis in die Nacht von Re- volution, Kampf und islamischer Gesinnung handelt, ob auf den Straßen oder in Gesprächen: die Propaganda war allgegenwärtig.

Überall hängen die Poster mit den großen Führern, allen voran Kho- meini, von seinen Anhängern nur

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Einreise nach Persien

„der Imam" genannt. Hauswände sind bepflastert mit den Konter- feis von Revolutionären, Märty- rern und Heiligen — oder mit Paro- len gegen die „superpowers"; im- mer wieder die eine, die ganz gro- ße, die ganz böse, die USA. Auf manche Straßen sind statt Zebra- streifen US-Fahnen gepinselt, so daß Fußgänger die Flagge des Feindes buchstäblich mit Füßen treten können; und viele scheinen tatsächlich zu glauben, auf diese Weise ein gutes Werk und ihren Beitrag zum weltweiten Kampf gegen die Supermacht zu leisten.

Die USA gelten keineswegs als der einzige Feind. Im Laufe der re- volutionären Jahre ist die Zahl der Erzgegner des Iran größer gewor- den. Vor dem großen Basar im Stadtzentrum, auf einer langen Mauer sind sie alle aufgereiht — die Flaggen der USA, Israels, Frankreichs, Großbritanniens und der Sowjetunion. Ein Stück Mauer ist noch frei. Die Liste kann also noch verlängert werden. Ein wei- terer Beelzebub ist auf jeden Fall Saddam Hussein, der Chef des frag, der „dem Iran den Krieg auf- gezwungen" hat.

Als der iranische Staatspräsident, Khamenei, den Medizinerkongreß eröffnet, wird er mehrfach vom Publikum unterbrochen. Man skandiert einen Vers, dazu fliegt der rechte Arm rhythmisch in die Luft. Am eifrigsten sind junge, re- volutionäre Männer (Kennzeichen Stoppelbart) dabei; lau nur mehr dagegen die älteren Ärzte. Das Schauspiel wiederholt sich immer wieder: ob in einem wissenschaft- lichen Vortrag über Kriegschirur- gie oder einem Referat über die Ausmerzung gesellschaftlicher Übel. Auf ein Stichwort hin (etwa:

„unser Führer Khomeini") läuft das Ritual ab. In dem Vers ist das derzeitige revolutionäre Bekennt- nis zusammengefaßt. Es lautet:

Allah ist groß

(dreimal zu skandieren) Khomeini ist unser Führer Nieder mit den USA Nieder mit Israel Nieder mit Saddam.

Der Haß wird systematisch ge- schürt. Der Feind dämonisiert; die Mullahs sprechen von Teufeln.

Das ist nicht bloße Kriegspropa- ganda, wie sie in allen Kriegen üb- lich ist — ein bewährtes Mittel, um das Volk bei der Stange zu halten.

Da zeigt sich auch eine Lust am Verdammen. Eine Festungs- mentalität wird gepflegt und ge- nossen: umringt von Feinden, aber im Besitz der vollen Wahr- heit. Im Kontrast und gleichzeitig im Einklang mit dieser märtyrer- haften Gesinnung steht aber auch der Drang, den Besucher zu über- zeugen, für den islamischen Weg

Unermüdlich erklärt Hussein, der Dol- metscher für die Handvoll deutscher Gä- ste, was im Land vorgeht. Daneben:

Geld und Schmuck für den Krieg

zu gewinnen. Im privaten Ge- spräch kommt selbst bei einge- schworenen Khomeini-Gefolgs- leuten aber auch heraus, wie man unter der Isolation des Landes lei- det. Von den Feindbildern brök- kelt da so manches ab.

Einer Besuchergruppe wird bei der Stadtbesichtigung die Litanei der Feinde abgespult. „Nieder mit" etc. Auch nieder mit Frank- reich, wegen der Lieferung der Kampfflugzeuge an Iraq. Unter den Besuchern ist ein Franzose.

Der iranische host (Gastgeber), ein eifriger Student besten Wil- lens, merkt das. Natürlich seien nicht die Franzosen gemeint, son-

dern nur die Politik Frankreichs, entschuldigt er sich. Eigentlich wolle man Freund sein mit allen.

Die anderen, so habe ich mir spä- ter von ihm erläutern lassen (und das entspricht auch der offiziellen Linie), sollten Iran nur seinen ei- genen Weg gehen lassen: Ohne Abhängigkeit von den Großmäch- ten, weder Richtung Kapitalismus noch Kommunismus, sondern den dritten Weg, den zur Selbstbe- stimmung. Die Kraft dazu komme aus der Religion. „Weshalb will man das im Ausland eigentlich nicht erkennen". Auch diese Fra- ge habe ich an zehn Tage dut- zendfach gehört. „Weshalb be- hauptet ihr, wir wollten Hunderte von Jahren zurückgehen?" lautet die andere der Standardfragen. Is- lamisierung bedeute doch nicht Rückschritt ins 7. Jahrhundert, die Abkehr von Wissenschaft und Technik; der Imam habe vielmehr 86 (22) Heft 3 vom 20. Januar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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MAXIMS OF HUSSEIN

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gesagt: lernt vom Westen, lernt Sprachen, Wissenschaft und Technik — aber achtet eure islami- sche Identität.

Sinn für Wissenschaft, gedank- liche Tiefe und Lebensweisheit — das alles ist im Islam gewiß ver- sammelt. Im täglichen Leben des Iran äußert sich Islamisierung in- des weitaus platter, in einer oft- mals blinden Eiferei, die den All- tag erschwert, und in Bespitze- lung des privaten Tuns durch ei- fernde Nachbarn und in einer Überwachung des öffentlichen Lebens durch die Revolutionäre.

Die Tugendwächter in den Kampfanzügen

Eines Abends mache ich einen Stadtbummel auf eigene Faust.

Schon mehrfach sind mir diese Nissan Patrols, gleichsam Landro-

Teheran, eine äußerlich moderne, in ei- ne kahle Hochebene ausfransende Stadt. Mit dem himmelstürmenden Turm, vom verflossenen Schah als Wahr- zeichen gebaut, weiß man heute nichts rechtes anzufangen. Oben links ein Aus- spruch des Schiitenheiligen Hussein:

Der Tod ist nur eine Brücke, du schrei- test über sie von der Mühsal zum Him- mel und seinem Überfluß

ver japanischer Herkunft, aufge- fallen. Alle besetzt mit vier Pasda- ran, Mitglieder der iranischen Re- volutionsgarde, jener Schutztrup- pe, die Khomeini besonders erge- ben ist. Jetzt treffe ich einen Pat- rol gar auf einem Parkweg. Zwei Pasdaran sind ausgestiegen; sie kontrollieren ein Pärchen. Ich hal- te das für harmlos. Ein paar Tage später bin ich klüger. Die Pasda- ran prüften nämlich, ob die bei- den überhaupt zusammen sein durften. Nur Ehepaaren ist das er-

laubt. Jedes iranische Paar tut da- her gut daran, die Heiratsurkunde mitzuführen. Unverheiratet mit Frau/Mann zu flanieren ist straf- bar.

Die Pasdaran als Sittenwächter.

Im Hotel begrüße ich eine Irane- rin, indem ich ihr nichtsahnend die Hand gebe. Schon kommt ein Tugendbold auf uns zu und staucht die Frau zusammen. Sit- tenwächter kontrollieren auch, ob der Schleier richtig sitzt. Jede Frau hat nämlich korrekte islami- sche Kleidung zu tragen, am be- sten den Shador, den von Kopf bis Fuß reichenden Schleier, zumin- dest aber einen unförmigen Pope- linmantel, der jegliche weibliche Formen verhüllt, dazu ein Kopf- tuch, das nur das Gesicht — aber bitte nicht die Haare! — sehen läßt.

Und es ist schon ein Ausdruck stil- len Protestes, wenn sich Frauen in

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Einreise nach Persien

Teheran erlauben, das Kopftuch mal ein wenig lockerer zu tragen.

Der Sittenregeln gibt es noch vie- le mehr. Kein Alkohol! Kein Lip- penstift! Keine westliche Musik!

Und so weiter.

Die Pasdaran wachen nicht nur über die Sitten, sondern ganz all- gemein über die öffentliche Ord- nung. Sie haben praktisch die Po- lizei ersetzt, denn die, so heißt es, stamme noch aus Schah-Zeiten und sei folglich nicht ganz zuver- lässig. Über die Aufgaben der Re- volutionswächter ist freilich nir- gendwo Genaues zu erfahren.

Doch jeder Beobachter merkt, daß die Bevölkerung vor diesen meist jungen Leuten in den grü- nen Kampfanzügen höllischen Re- spekt hat. Denn sie können, wie ich mir aus vielerlei Bruchstücken zusammenreime, weitgehend

Freitagsgebet auf dem Campus der Uni- versität Teheran. Vorne die Honoratio- ren, dann die Männer und schließlich ne- benan, durch Sichtschutz getrennt, die Frauen. Fotos (6): Jachertz

schalten und walten, wie sie wol- len. Sie haben ihre Wachen in al- len Stadtvierteln, sie können Leu- te nach ihrem Ermessen in Ge- wahrsam nehmen und brauchen sich nicht einmal um den eigent- lich auch im Iran geltenden Grundsatz: keine Verhaftung oh- ne Haftbefehl, zu scheren. Die Pasdaran haben last not least die Gefängnisse in ihrer Gewalt.

Eines der berüchtigtsten dieser Gefängnisse ist das Ewin. Schon zu Schah-Zeiten war es gefürch- tet. Es ist etwa zehn Jahre alt, mo- dern und bestens in Schuß. Das

Ewin liegt allein am Fuß jener kah- len Bergkette, die Teheran nach Norden zu begrenzt, es ist umge- ben von einer kilometerweiten Si- cherheitszone. Die Kongreßlei- tung hat einen Besuch des Ge- fängnisses arrangiert. Ein Teil des Besichtigungsprogramms, so wie man den großen Basar, die Tehe- raner Krankenhäuser oder die ehemaligen Schahpaläste besu- chen kann. Der Andrang ist groß.

Während das übliche Sightseeing vorwiegend Ausländer interes- siert, haben sich diesmal vor al- lem Iraner angemeldet. Das Ewin ist für politische Gefangene be- stimmt. Die iranischen Besucher, die ich anspreche, wollen die gute Gelegenheit nutzen, um einen Blick auf einsitzende Angehörige zu werfen. In den besseren Krei- sen Teherans, dazu gehören auch die Ärzte, scheint es nicht unge- wöhnlich zu sein, seine Lieben im Gefängnis zu wissen.

In mehreren Busladungen werden wir hingefahren. In unserem Bus fährt ein revolutionärer Eiferer mit, der das große Wort führt. Es geht, etwas wirr, dafür um so lau- ter, um den Segen der Revolution für dieses Land, für alle islami- schen Länder und schließlich auch die Welt; der Eiferer stößt mit heiserer Stimme Verwün- schungen aus, gegen die „super- powers", gegen Israel und immer wieder gegen Israel. „Die Zioni- sten sind nur ein paar Millionen, wenn alle Mohammedaner zu- sammenstehen", brüllt er, ohne den Satz zu Ende zu führen. Aber das Ende kann sich jeder denken.

Die Begeisterung des jungen Re- volutionärs steckt die Businsas- sen, gesetzte Ärzte, Mohammeda- ner aus vielen Ländern der Welt, an. Mein italienischer Begleiter und ich, die einzigen „Fremden"

— wir kommen uns verloren vor.

Norbert Jachertz

• Im nächsten Heft:

Die Party im Ewin-Gefängnis 88 (24) Heft 3 vom 20. Januar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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