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Archiv "Krankenversicherung: Rückkehr zur Normalität" (19.07.1999)

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schen Störungen: „Der Alltag der Be- troffenen wird fortan bestimmt durch die ,Angst vor der Angst‘ – die Angst, daß die Katastrophe im Kopf unfrei- willig wiedererlebt, wieder durchlebt wird. Die Betroffenen fürchten diesen ,Flashback‘ und vermeiden möglichst alles, was an das Trauma erinnern könnte.“ Der Konstanzer Psycholo- gin, Margarete Schauer, ist dieses Ver- haltensmuster immer wieder begeg- net. Sie hat in Brazda/Mazedonien zahlreiche Patienten behandelt, die in völlig verwirrtem Zustand, schreiend und unfähig zu sprechen, auf einer Trage zu ihr gebracht wurden. Zwei Stunden später, so berichtet sie, konn- ten die Betroffenen geschwächt zwar und sehr müde, aber auf eigenen Bei- nen wieder zu ihren Angehörigen zurückgehen. „Wenn keine psycholo- gische Hilfe angeboten wird, besteht

die Gefahr, daß sich aus den akuten Belastungsstörungen eine chronische posttraumatische Belastungsstörung entwickelt, die jahrelanges Leiden für die Betroffenen bedeuten kann.

Ähnlich wie in Mazedonien und Albanien wird „Ärzte ohne Grenzen“

daher auch im Kosovo psychologische Projekte anbieten. Denn viele Rück- kehrer werden mit den traumatischen Erlebnissen allein nicht fertig werden.

Die unausgesprochene Furcht oder Trauer macht sie krank. Die Pillen der Ärzte aber können ihnen in solchen Fällen nicht helfen. Petra Meyer

A-1889 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 28–29, 19. Juli 1999 (29)

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND/AUFSÄTZE

Kosovarische Kinder finden bei der Rückkehr in ihr Dorf zerstörte Häuser und Tierkadaver vor.

ie wir’s zum Schluß so herr- lich weit gebracht“ könn- ten die Bürger unseres Landes nach 25 Jahren teils gemeinsa- mer, teils gegenläufiger politischer, ökonomischer und plebiszitärer Initia- tiven sagen, wenn sie die Veränderun- gen bewerten, die sich in der Kranken- versorgung und der gesundheitlichen Betreuung in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt haben. Es ist gelungen, einen primär an der Erfül- lung seines beruflichen Auftrages ori- entierten Ärztestand „im Dienste der Gesundheit des einzelnen Menschen und des ganzen Volkes“ in einem „sei- ner Natur nach freien Beruf“ so unter ökonomischen Druck zu setzen, daß seine Freiräume für Menschlichkeit, guten Willen und Verantwortung im- mer enger geworden sind.

Auch die organisierte Fassade dafür, eine aus Mitwirkung und Mitbe- stimmung organisierte Selbstverwal- tung, soll nun, geht es nach dem Willen der Bundesregierung, abgeschafft wer- den. Damit fällt auch der Rahmen, den nachdenkliche Politiker und Beamte sozialen und liberalen Geistes „ihrer“

sozialen Krankenversicherung und Krankenversorgung vor über hundert Jahren gegeben hatten. Unter dem Diktat ökonomischer Prioritäten spielt auch das keine Rolle mehr. Ist das nun die neue, die zukünftige Normalität für Handel und Wandel im sozial finan- zierten „Gesundheitswesen“ am Be- ginn seines zweiten Jahrhunderts?

Dieses „Gesundheitswesen“ war angedacht und angelegt, aus seinen ethischen und professionellen Quel- len heraus so zu funktionieren, als bedürfe es keiner nennenswerten Außensteuerung, jedenfalls keiner ökonomischen Priorisierung.

Von vornherein sehr niedrig an- gesetzte Arbeitsentgelte beziehungs- weise Honorare, gebunden an „Ar- mensätze“ der staatlichen Gebühren- ordnungen, Überwachungsmechanis- men gegen Mißbrauch und Ausnut- zung in den vertragschließenden Krankenkassen und Verbänden der

„Leistungserbringer“ sorgten dafür, daß niemand mit Erfolg „Gewinn- Maximierung“ betreiben konnte. So- lange die soziale Finanzierung über einkommensproportionale Beiträge den sozial Schutzbedürftigen vorbe- halten blieb, waren Ziel und System in sich stimmig. Erst als die Politik sich anschickte, damit eine weitere Ebene der Sozialpolitik mit allen möglichen Umverteilungs- und sozialen Aus- gleichsmechanismen zu verbinden, zerstörten Widersprüchlichkeiten und versicherungsfremde Intentionen das bisher schlüssige Konzept.

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Völlig aus dem Gleichgewicht ge- riet die nunmehr zu einer Volksversi- cherung ausgeweitete „gesetzliche Krankenversicherung“, als nach einer sozialpolitischen Überbeanspruchung der Rentenversicherungen in den Jah- ren von 1972 bis 1975 auch die Kran- kenkassen in den Strudel der Bei- tragsumschichtungen gerieten und ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Versicherten und Vertragspart- nern ohne Beitragssatzsteigerungen nicht mehr nachkommen konnten.

Das störte die Chancen der deutschen Wirtschaft im internationalen Wett- bewerb wegen der steigenden Ar- beitskosten, die sich auch auf die Ex- portpreise auswirkten.

Krankenversicherung

Rückkehr zur Normalität

Ökonomische Durchdringung hat die primäre Hilfsbereitschaft verdrängt. Doch auf der beruhte das Ordnungssystem der sozialen Krankenversicherung.

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Ernst-Eberhard Weinhold

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Seitem wird das „Gesundheits- wesen“ nicht mehr seinen eigentli- chen Zielen und professionellen Be- dingungen untergeordnet, sondern ökonomisch übersteuert – und zwar ohne Rücksicht auf Verluste an huma- ner und medizinisch-fachlicher Qua- lität. Darauf reagieren sowohl die im System verantwortlichen Organisatio- nen als auch die davon betroffenen handelnden Personen.

Das zu wissen und in diesem Wis- sen zu handeln, darin liegen Verant- wortung und Kunst der zuständigen Politiker, wenn auch deren Wechsel mit den jeweils regierenden Mehrhei- ten wechselnde Schuldzuwei- sungen geradezu provoziert.

Dennoch gibt es eine Konti- nuität nicht nur in Amt und Macht. Es gibt sie, jedenfalls wirkte sie sich so aus, in der Vernachlässigung dessen, was die Gesellschaft beispielsweise vom freien Arztberuf erwar- tet: Spielräume für Zuwen- dung und Zurücksetzung eige- ner Interessen gegenüber de- nen der Menschen, die im Ge- sundheitswesen Hilfe brau- chen. Spielräume, für die in ei- ner Welt, in der die ökonomi- schen Prinzipien die Werte bestim- men, kein Verständnis existiert.

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Jean Paul hat formuliert: „Wer an das Gute im Menschen glaubt, be- wirkt das Gute im Menschen.“ Über Jahrtausende hat die Freiberuflich- keit der Ärzte mit der vorchristlichen und christlichen Zuwendung zu den Schwachen und Hilfsbedürftigen den kulturellen Standard einer Gesell- schaft bestimmt. Die Geschichte vom Tanz um das Goldene Kalb erinnert an die Zeitlosigkeit der Aussagen des Alten Testaments. Und sie markiert gleichzeitig die Kluft zwischen den ethischen Normen einer Gesellschaft und ihrer Anfälligkeit für persönliche Vorteilsnahmen. Solange das nicht an- ders wird, kann die Normalität nicht zurückkehren, die sich aus der Ver- bindung von Vertrauen, Verantwor- tung und Verpflichtung zum Handeln ergibt. Diese Normalität setzt aber voraus, daß Einigkeit über die Werte-

Hierarchie besteht. An erster Stelle muß die Erhaltung und Wiederher- stellung der Gesundheit der Men- schen stehen. In der Gesundheitspoli- tik müssen diesem Ziel andere Ziele nachgeordnet werden, wenn sie den Prioritäten gerecht werden soll, die von den Menschen selbst gesetzt wer- den.

Wenn zur Entfaltung heilender Initiativen und Kräfte Freiräume ge- schützt oder sogar gefördert werden müssen, so muß die Politik das bewir- ken. Tut sie das nicht, trägt sie Verant- wortung für die dadurch entstehen- den Defizite und die mangelnde Effi-

zienz der unmittelbar beteiligten Or- ganisationen und Personen. Wissen und Gewissen sind wichtiger als Re- glementierungen und Kontrollen.

Werden sie durch andere Vorrangig- keiten verdrängt oder erstickt, taugt die Politik nicht für die bestimmenden Rahmenbedingungen.

Daß die Normalität, in der sich Humanität und ethische Berufsorien- tierung der Heilberufstätigen maß- geblich auswirken können, zugunsten ökonomischer Orientierungen verlo- rengegangen ist, haben Politiker und Gesetzgebung zu verantworten. Mit der Sensibilität für das Gedeihen ethi- scher Verhaltensweisen war es bei den Regierenden nie weit her. Zur Zeit werden alte Voreingenommenheiten durch Dickfelligkeit konserviert; die Hoffnungen auf eine neue Beweglich- keit im politischen Handeln waren vergebens.

Dabei wäre die Rückkehr zur Normalität in einem Gesundheitswe- sen, in dem sich kranke Menschen aufgehoben und sozial geschützt fühlen können, nicht besonders

schwierig: Seit drei Jahrzehnten ha- ben Deutsche Ärztetage für die Poli- tik und für sich selbst Konzepte und Anpassungskriterien formuliert. So- weit ihnen der Gesetzgeber dafür die Möglichkeiten eröffnet hat, haben sie diese auch vorangetrieben.

Leider ist die Politik den freiheit- lichen Rahmen dafür bisher schuldig geblieben. Nicht einmal das, was die Schöpfer der sozialen Krankenversi- cherung im Jahre 1883 vorgedacht hatten, ist erhalten geblieben. Der Politik waren andere Ziele wichtiger, so daß Mitbestimmung und Mitent- scheidung in demokratischen Selbst- verwaltungen jetzt im Wege waren. Ohne die staatliche Bevormundung mit einer La- wine von Gesetzen und Ver- ordnungen hätte im selbstver- walteten Gesundheitswesen auch die moderne und qualifi- zierte Medizin ihren Platz ge- funden und ihre Weiterent- wicklung vollziehen können.

Die Gemeinsamkeit der Ziele und der Grundhaltungen bei der Inanspruchnahme und bei der Zuwendung von Leistun- gen im Gesundheitswesen hät- te eine andere Normalität ge- schaffen, als sie die Politik bewirkt hat.

Für die „Insider“ im gesundheit- lichen Wirtschaftsbereich steht außer Zweifel, daß die ökonomische Durch- dringung des Gesundheitswesens in Deutschland mit der Verdrängung von primärer Hilfsbereitschaft und Zurücksetzung von Gewinnstreben bei Personen und Institutionen gera- de jene Normalität beseitigt hat, auf der einstmals die soziale Krankenver- sicherung ihr Ordnungssystem ge- gründet hat.

Die Suche nach einem staatsfer- nen, freiheitlichen Konzept für das Gesundheitswesen von morgen sollte deshalb von Grund auf neu beginnen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1889–1890 [Heft 28–29]

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med.

Ernst-Eberhard Weinhold Dorfstraße 140

27637 Nordholz

A-1890 (30) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 28–29, 19. Juli 1999

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Karikatur: Reinhold Löffler

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