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Archiv "Das Internationale Rote Kreuz: Diskret und unentbehrlich" (10.11.1988)

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Das Internationale Rote Kreuz

Diskret und

unentbehrlich

THEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

M

an muß schon lange su- chen, um ein derart kompliziertes Gebilde zu finden wie „das Ro- te Kreuz". Vielleicht wäre — die cal- vinistisch geprägten Genfer Grün- derväter mögen verzeihen — die ka- tholische Kirche ein passendes Pen- dant. Hier wie dort ungewöhnliche völkerrechtliche Konstruktionen, die auf Eigenständigkeit bedachten na- tionalen Organisationen, geeint frei- lich im Bekenntnis zu einer hohen Aufgabe und verbunden der weltweit operierenden Zentrale. Aber späte- stens hier hinkt der Vergleich.

Auf der internationalen Ebene gibt es beim Roten Kreuz nämlich zwei „Zentra-

len": das „In- ternationale Ko- mitee vom Ro- ten Kreuz"

(IKRK) und die

„Liga der Rot- Kreuz-Gesell- schaften". Bei- de sitzen in Genf, beide sind

durch lose Fäden miteinander ver- knüpft. Beide haben die Humanität auf ihre Fahnen geschrieben, und beide führen das Rote Kreuz — in manchen Ländern den roten Halb- mond — als Emblem. Die Internatio- nale der Humanität unterscheidet sich freilich bei näherem Hinsehen.

Kernzelle und nach wie vor be- deutendste Vereinigung ist das IKRK, 1863 gegründet — daher das in diesem Jahr begangene 125-Jah- res-Jubiläum. Mit einem eigenen Anlaß kann indes auch das Deutsche Rote Kreuz aufwarten: Im selben Jahre wurde nämlich der „Württem- bergische Sanitätsverein" gegrün- det, die erste und älteste Rotkreuz- gesellschaft außerhalb der Schweiz.

Geistiger Vater der gesamten Bewe- gung ist (bekanntlich) Henry Du- nant, ein Genfer Geschäftsmann, der bei der Schlacht von Solferino, einem Platz südlich des Gardasees, sein Paulus-Erlebnis hatte. Davon zeugt bis heute sein Buch „Un sou- venir de Solf6rino" (1862), die Bibel der Rot-Kreuz-Bewegung. Dunants Idee war einfach und großartig: Hil- fe für die Kriegsopfer beider Seiten, gewährleistet durch eine neutrale

Stelle, die sich um die Streitursache nicht kümmert, sondern sich auf die Hilfeleistung beschränkt

Dunant gehörte dem 1863 ge- gründeten, anfangs fünfköpfigen Genfer Komitee zwar an. Die ei- gentlichen Macher waren freilich an- dere, Vertreter bekannter Genfer Familien. In der guten Genfer Ge- sellschaft galt Dunant eher als schwarzes Schaf; er war zwar gleich- falls aus guter Familie, erlitt jedoch als Geschäftsmann Schiffbruch — ein Buddenbrook-Schicksal. 60 Jahre lang bestand das Komitee — es um- faßt zwischen 15 und 24 Mitglieder, zur Zeit 21 — aus Genfer Protestan- ten der Oberschicht. Inzwischen ist

das Komitee nicht mehr exklusiv genferisch, aber weiterhin „exclusiv suisse" , wie es ein Sprecher formu- liert; es ist auch gesellschaftlich, trotz einer vorsichtigen Öffnung, im- mer noch recht exklusiv. Die Sitze im Komitee werden nicht durch Wahl, sondern durch Kooptation vergeben. Formal handelt es sich beim IKRK um einen privaten Ver- ein: er ist zugleich Völkerrechtsub- jekt, abgesichert durch die vier Gen- fer Konventionen.

Rein schweizerisch und doch weltweit

Eine eigentümliche Konstruk- tion also, aber sie hat sich in 125 Jah- ren offensichtlich bewährt. Denn an der Kompetenz des IKRK auf sei- nem ungewöhnlichen Arbeitsgebiet zweifelt kaum jemand Es hat sich als neutrale Hilfs- und Vermittlungs- instanz bewährt und unentbehrlich gemacht. Das dürfte auch mit der sehr privaten und betont schweizeri- schen Organisationsform zusam- menhängen. Schweizerisch ist ja so- gar das Rote Kreuz auf weißem

Grund: die Umkehrung der eidge- nössischen Flagge.

„Wir sind schweizerisch und bleiben schweizerisch" betont denn auch der Sprecher des Komitees;

und das heißt in der Praxis, daß die

„Delegierten" des Komitees aus- nahmslos Schweizer sind. Unter

„Delegierten" verstehen die Genfer ihre Repräsentanten „im Feld", um diesen am Genfer Stammsitz immer wieder zitierten, auf die Genfer Konventionen gestützten Begriff zu nehmen. Die Delegierten werden freilich an Ort und Stelle von einhei- mischen Mitarbeitern „technisch"

unterstützt. Anfang dieses Jahres waren weltweit 43 „Delegationen"

mit insgesamt rund 500 Dele- gierten tätig; da- zu kamen 2500 lokale Helfer. In der Zentrale ar- beiten 600 Per- sonen.

Das IKRK kann sich über Mangel an Ar- beit nicht beklagen: „Die Präsenz hat sich im vergangenen Jahr welt- weit verstärkt, und in den meisten Ländern nahmen seine Tätigkeiten zu", heißt es in einem Bulletin der Genfer Zentrale. Das ist diploma- tisch ausgedrückt, wie überhaupt beim IKRK eine außerordentlich di- plomatische Sprache gepflegt wird.

Einzelheiten über die Einsätze der Delegierten fließen spärlich; morali- sche Urteile über die Politik jener Länder, in denen man tätig ist, sind verpönt. Ein Delegierter mag persön- lich empört sein, er behält das für sich, in seiner Arbeit ist er neutral. Manch einer hält diese Spannung nicht aus und quittiert den Dienst.

Der diskreten Neutralität ist der Erfolg des IKRK im wesentlichen zu verdanken. Ihr — und der in vielen Kämpfen seit einem Jahrhundert er- probten Organisationsgabe. Das al- les ist oft wichtiger als die formale Rechtsgrundlage. Die ist nicht selten unsicher, trotz der vier Genfer Kon- ventionen (zur Hilfe für Verwundete und Kranke im Felde, für Verwun- dete und Kranke zur See, für Kriegs- gefangene sowie für Zivilpersonen).

Die Konventionen sind von 165 A-3138 (26) Dt. Ärztebl. 85, Heft 45, 10. November 1988

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Staaten signiert worden. Die klar- sten Regeln gibt es für internationale Konflikte. Die kommen zwar nach wie vor häufig vor, existieren aber — eine Eigentümlichkeit der heutigen Kriegsführung — offiziell oft nicht.

Denn heute werden Kriege nicht mehr erklärt. Gleichwohl begibt sich das Rote Kreuz „ins Feld".

Rechtsbasis bei Bürgerkriegen. Laut Genfer Konvention sollen auch hier zumindest die Grundsätze der Menschlichkeit und der Nicht-Dis- krimination angewendet werden.

Kaum eine Regierung gibt indes zu, daß auf ihrem Staatsgebiet ein Bür- gerkrieg stattfindet. Dennoch ist das IKRK mit Delegationen auch in sol- chen Ländern vertreten. Dabei ist es freilich auf den good will der Macht- haber oder zumindest deren still- schweigende Duldung angewiesen.

Die Geduld kann schnell zu Ende sein, wie das Beispiel Äthiopien be- weist. Hier tobt ein Bürgerkrieg.

Das IKRK war — mit Erfolg — tätig, mußte aber in diesem Jahr den Rückzug antreten, Völkerrecht hin oder her. Die äthiopische Regierung war schlichtweg der Auffassung, im Lande gebe es keinen Bürgerkrieg!

Die Genfer Konventionen grei- fen überhaupt nicht in den ungezähl- ten Fällen, in denen Regierungen die eigenen Staatsbürger einsperren

— etwa in die NS-Konzentrationsla- ger. Das IKRK hat in diesem Zu- sammenhang und gerade jetzt auch im Jubiläumsjahr heftige Vorwürfe einstecken müssen. Viele Menschen können es einfach nicht verstehen, daß die humanitäre Hilfsorganisa- tion par excellence sich bei solch au- ßerordentlichen Verstößen gegen die Humanität zurückhält. Ist hier der Grundsatz der Diskretion zu lan- ge beibehalten worden? Hätte das IKRK nicht darauf drängen müssen, seine Delegierten in die Lager zu entsenden? Der Genfer Sprecher verweist auf die Rechtslage .. .

Neben dem IKRK gibt es als weitere internationale Rote-Kreuz- Organisation die Liga der Rot-

Kreuz-Gesellschaften. Sie wurde 1919 auf Anregung des amerikani- schen Präsidenten Wilson gegrün- det. Sie zählt via nationale Gesell- schaften über 250 Millionen Mitglie- der in 146 Ländern. „National dis- asters is our business", beschreibt der Sprecher der „Liga" den Aufga- benkreis, und mit Blick auf das IKRK: „their business is war". Mit anderen Worten, die Liga wird tätig bei solchen Groß-Katastrophen wie Erdbeben und Überschwemmun- gen. Sie ist oft aber zugleich mit dem IKRK im selben Land, etwa bei ei- ner Hungersnot im Gefolge eines Bürgerkriegs. Oft sind zugleich auch nationale Rot-Kreuz-Gesellschaften im selben Land und bei derselben Katastrophe dabei, denn den natio- nalen Gesellschaften ist es nicht ver- wehrt, international Hilfe zu leisten.

Doch in Genf wird unisono beteu- ert, bei Einsätzen stimme man sich ab, es gebe weder ein Gegeneinan- der noch ein Überschneiden; gerade in der Koordination bewähre sich der internationale Verbund.

Das „Geschäft"

der Liga

Seit den Zeiten des Völkerbun- des — auch einer Genfer Institution — stehen internationale Organisatio- nen im Ruf, zu viel Geld auszugeben und zu wenig Nutzen zu stiften. In der Tat haben zum Beispiel einige Unterorganisationen der UNO, man erinnere sich an die Auseinanderset- zungen über UNESCO und FAO, bis in jüngste Zeit zu diesem Ruf beigetragen. Wie steht es mit den in- ternationalen Rot-Kreuz-Organisa- tionen?

Der ordentliche Haushalt des Komitees beläuft sich auf rund 90 Millionen Schweizer Franken jähr- lich. Er wird zur Hälfte von der schweizerischen Bundesregierung aufgebracht, zur Hälfte durch Bei- träge der Signatarstaaten. Das or- dentliche Budget der Liga, die in Genf rund 140 Personen beschäftigt, liegt bei knapp 20 Millionen Schwei- zer Franken, die vollständig durch Beiträge der nationalen Organisatio- nen aufgebracht werden. Die außer- ordentlichen Haushalte, aus Spen-

den finanziert, machen beim Komi- tee zwischen 300 und 400 Millionen Schweizer Franken aus, bei der Liga zwischen 50 und 100 Millionen (oh- ne die sehr beträchtlichen Sachspen- den!). Die erheblichen Schwankun- gen in den außerordentlichen Haus- halten resultieren aus der wechseln- den „Katastrophenlage" und aus den unregelmäßigen Spendenein- gängen.

Die Spenden sind zweckgebun- den. Der Spender soll wissen, was mit seinem Geld geschieht. Die Kehrseite des löblichen Grundsat- zes: Für „populäre Katastrophen" — Erdbeben oder hungernde Kinder — fließt das Geld reichlich und über- reichlich. Unpopuläre — etwa eine Überschwemmung im boliviani- schen Hochland — dagegen sind in der Öffentlichkeit kaum zu „verkau- fen". Da das Prinzip der Zweckge- bundenheit strikt befolgt wird, kön- nen überschüssige Gelder einer „po- pulären Katastrophe" nicht zugun- sten einer unpopulären umgebucht werden.

Weder beim IKRK noch bei der Liga wird auffallender Repräsenta- tionsaufwand getrieben. Vergleicht man Aufgaben und Leistungen, mu- ten die Ausgaben der Genfer Orga- nisation gewiß nicht übertrieben hoch an. Die Leistungen, die „das Rote Kreuz" zuwege bringt, sind ohnehin betriebswirtschaftlich un- schätzbar. Das sollte über den kriti- schen Berichten, die passend zum Jubiläum erschienen sind und noch erscheinen dürften, nicht vergessen werden. Kritik ist wohlfeil. Lob sel- ten, obwohl die Rot-Kreuz-Organi- sationen es, alles in allem, wahrhaft verdient haben. Dank jedenfalls ge- bührt den Tausenden von Mitarbei- tern des Roten Kreuzes, national wie international, die sich im Dienst an den Hilfsbedürftigen verschlissen haben. Sie haben gefährliche und bedrückende Aufgaben übernom- men, Verwundete versorgt, Verlas- sene getröstet, Getrennte zusam- mengeführt, Gefangenen Mut zuge- sprochen, Hungernde genährt und Obdachlose beherbergt. Dunant hatte eine bewundernswerte Idee, noch bewundernswerter ist es, daß sie in die Tat umgesetzt wurde — und täglich neu umgesetzt wird. NJ Völkerrecht

und Realität

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Noch schwankender ist die

Dt. Ärztebl. 85, Heft 45, 10. November 1988 (27) A-3139

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