I. Grundlagen der Analysis
§1 Mengenlehre und Logik
(1) Die mathematische Logik behandelt logische Aussagen, Wahrheitswertfunktionen und deren Zusammensetzungen. Eine Aussage ist ein sprachliches Gebilde, dem genau einer der Wahrheitswerte W oder F zukommt. Z.B. (3 teilt 6) = W oder (5 teilt 6) = F . Eine Aussageform ist ein Ausdruck mit einer freien Variablen x, aus dem bei Belegung der Variablen x mit Objekten eines Grundbereiches X eine Aussage entsteht. Eine Aus- sageform ist z.B. ”x teilt 60”. Dies ist weder wahr noch falsch. Belegt man x aber mit nat¨ urlichen Zahlen, so ergeben sich Aussagen:
(F¨ ur x = 3 gilt x teilt 60) = W und (F¨ ur x = 7 gilt x teilt 60) = F .
Uber die G¨ ¨ ultigkeit einer Aussage (Elementaraussage) entscheidet die jeweilige Wis- senschaft. Die Logik untersucht dagegen den Wahrheitsgehalt von Zusammensetzungen von Aussagen.
Die Wahrheitswertvariablen p, q, ... stehen f¨ ur Aussagen. Wichtig ist in der Logik nur, dass sie die Wahrheitswerte W oder F annehmen k¨ onnen.
(2) F¨ ur die Bildung zusammengesetzter logischer Ausdr¨ ucke sind die folgenden klassischen Wahrheitswertfunktionen besonders wichtig:
Name Sprachliche Bedeutung Bezeichnung
Konjunktion p und q p ∧ q
Alternative
(nicht ausschlie”sendes ”’oder”’) p oder q p ∨ q
Negation nicht p ¬p
Implikation
(Pr¨ amisse ⇒ Conclusio) wenn p dann q p ⇒ q
Aquivalenz ¨ p gdw q p ⇔ q
Diese Wahrheitswertfunktionen sind durch ihre Wertetabellen, die man in diesem Fall Wahrheitswerttabellen nennt, definiert (Tabellen verstehen und lernen!):
p q p ∧ q p ∨ q p ⇒ q p ⇔ q ¬p
W W W W W W F
W F F W F F -
F W F W W F W
F F F F W W -
Besonders hingewiesen werden sollte auf die Definition der Wertetafel f¨ ur die Implikation.
Der Ansatz (F ⇒ W ) = W ist von vornherein nicht unbedingt klar. Sicher sollte man aber (F ⇒ W ) 6= F
setzen, die Zweiwertigkeit der Logik erfordert dann aber (F ⇒ W ) = W .
(3) Zwei Aussageverbindungen heißen logisch ¨ aquivalent , wenn ihre Wahrheitswert- tabellen wertverlaufsgleich sind. ¨ Aquivalente Aussagen k¨ onnen logisch als v¨ ollig gleich- wertig betrachtet werden. Der Ersatz einer Aussage durch eine logisch ¨ aquivalente Aus- sage ist eine wesentliche Grundtechnik beim F¨ uhren von Beweisen. Besonders wichtig sind die folgenden ¨ Aquivalenzen:
¬¬p ¨ aquivalent zu p (Doppelte Negation)
¬(p ∨ q) ¨ aquivalent zu ¬p ∧ ¬q (Negation der Alternative)
¬(p ∧ q) ¨ aquivalent zu ¬p ∨ ¬q (Negation der Konjunktion)
(Begr¨ undung?) F¨ ur den Nachweis der G¨ ultigkeit von Implikationen werden folgende ¨ Aquivalenzen sehr oft benutzt:
p ⇒ q ¨ aquivalent zu ¬p ∨ q und ¨ aquivalent zu ¬q ⇒ ¬p (Kontraposition)
¬(p ⇒ q) ¨ aquivalent zu p ∧ ¬q (Indirekter Beweis)
(Beweis ebenfalls durch Vergleich der Wahrheitswerttabellen).
(4) Die Mengenlehre wurde als sprachliches Instrument der Mathematik um 1880 von Georg Cantor bei der Untersuchung komplizierter analytischer Sachverhalte (Kon- vergenzpunkte von Fourier–Reihen) in naiver Form geschaffen. Nach Georg Cantor entsteht eine Menge durch Anwendung des sogenannten
Mengenbildungsaxioms: Ist H(x) eine beliebige Aussageform ¨ uber einem Grundbe- reich X, so kann die Menge M aller Elemente x aus X, f¨ ur die H(x) wahr wird, gebildet werden. In Zeichen schreibt man:
M = {x : H(x) = W} oder einfach M = {x : H(x)}.
Geh¨ ort ein Element x aus X zu M , so schreibt man x ∈ M . Bertrand Russell zeigte mit seiner ber¨ uhmten Antinomie, dass die naive Mengenlehre bei zu großz¨ ugiger Interpretation der Mengenbildung zu Widerspr¨ uchen f¨ uhrt. Nach Cantor m¨ usste es n¨ amlich m¨ oglich sein, die Menge
M = {A : A ist Menge und A 6∈ A}
zu bilden. Da aber sowohl die Annahme M 6∈ M als auch die Annahme M ∈ M zum Widerspruch f¨ uhrt, kann M nicht existieren. Im Grunde ist diese Antinomie bereits aus der Antike bekannt: Ein Kreter behauptet, dass alle Kreter l¨ ugen.
Der Antinomie kann dadurch ausgewichen werden, dass man der Enthaltenseins–Relation
∈ die Restriktion auferlegt, dass eine Menge sich nicht selbst als Element enthalten kann.
Damit wird die Existenz einer Menge aller Mengen ausgeschlossen, und die Russellsche
Menge kann nicht mehr gebildet werden. Die exakte Ausf¨ uhrung dieses Ansatzes wurde
in der Form eines Stufenaufbaus von Russell und in der Form eines Klassenkalk¨ uls von
v.Neumann/Bernays/G¨ odel in den vierziger Jahren des 20. Jh. durchgef¨ uhrt. In
Details dieser axiomatischen Mengenlehre soll hier jedoch nicht eingedrungen werden.
(5) Die Wahrheitswertfunktionen erlauben ein Operieren mit Mengen. Die wichtigsten Mengenoperationen sind die folgenden: Es seien A und B irgendwelche Teilmengen eines Grundbereiches X. Man bildet:
A ∪ B = {x : x ∈ A ∧ x ∈ B} Durchschnitt von A und B A ∩ B = {x : x ∈ A ∨ x ∈ B} Vereinigung von A und B
A \ B = {x : x ∈ A ∧ x 6∈ B} Differenz von A und B A = {x ∈ X : x 6∈ A} Komplement¨ armenge von A.
Vereinigung und Durchschnitt k¨ onnen auch f¨ ur Systeme (A
j)
j∈Jvon Mengen statt nur f¨ ur zwei Mengen definiert werden.
(6) Unter den vielen Rechenregeln f¨ ur Mengen sind die folgenden besonders wichtig:
A ∩ B = A ∪ B A ∪ B = A ∩ B
o
de Morgansche Formeln A = A
(Beweis der Formeln?)
(6) Weitere Mengen werden auf folgende Weise konstruiert. Es seien X, Y beliebige Mengen.
Potenzmenge: P (X) = {M : M ⊆ X} = Menge aller Teilmengen von X Kreuzmenge: X × Y = {(x, y) : x ∈ X ∧ y ∈ Y }
Die Kreuzmenge wird z.B. zur Definition des n–dimensionalen reellen Raumes ben¨ otigt:
R
n:= R × . . . × R = {(x
1, . . . , x
n) : x
i∈ R }.
Schließlich f¨ uhren wir die folgende Menge ein:
Y
X= {f : f ist Funktion von X in Y }.
(7) Endliche Mengen sind solche Mengen, deren Elemente sich mit einem Abschnitt [1, . . . , n] von nat¨ urlichen Zahlen durchnumerieren lassen. Endliche Mengen lassen sich daher durch Aufz¨ ahlung ihrer Elemente, z.B. in der Form M = {x
1, . . . , x
n} angeben. Die eindeutig bestimmte Zahl n heißt dabei die Anzahl der Elemente von M oder auch die Kardinalzahl von M , bezeichnet durch card(M ). Sind X und Y endliche Mengen, so gelten (Beweis?):
card(P (X)) = 2
card(X), card(Y
X) = card(Y )
card(X).
Die letzte Gleichung zeigt insbesondere, dass die Bezeichnung Y
Xf¨ ur die Menge aller
Funktionen von X in Y sehr geschickt gew¨ ahlt ist. Man mache sich klar, dass auch die
Bezeichnung R
noder genauer R
{1,...,n}als Spezialfall dieser Symbolik aufgefasst werden
kann.
§2 Der K¨ orper der reellen Zahlen
(1) Zur Bezeichnung der uns bekannten Zahlbereiche benutzen wir folgende Symbolik:
Nat¨ urliche Zahlen: N = {0, 1, 2, . . .}; N
∗= N \ {0}
Ganze Zahlen: Z = {0, ±1, ±2, . . .}
Rationale Zahlen: Q Reelle Zahlen: R Komplexe Zahlen: C
Zahlen haben sich als ein sehr geeignetes Instrument zur quantitativen Analysis von Sachverhalten in Theorie und Praxis erwiesen. Die Mindestanforderung an eine quan- titative Methode besteht n¨ amlich darin, dass man die Daten vergleichen und mittels der vier Grundrechenoperationen verarbeiten kann. Die kleinste mathematische Struktur mit diesen Eigenschaften ist der K¨ orper Q der rationalen Zahlen. F¨ ur h¨ ohere Rechenoperatio- nen, etwa das Wurzelziehen, ist dieser Zahlenbereich jedoch noch zu klein. Wir erinnern hierzu an den Euklidischen Beweis f¨ ur die Unl¨ osbarkeit der Gleichung x
2= 2 in Q : G¨ abe es n¨ amlich eine rationale L¨ osung x =
mn, so w¨ aren m = x · n und m
2= x
2· n
2= 2 · n
2. Betrachtet man nun die Zerlegung in Primzahlpotenzen, so wird die Zahl 2 in m
2in ger- ader Potenz, in 2 · n
2jedoch in ungerader Potenz vorkommen. Widerspruch!
Als Grundlage f¨ ur die Analysis dient daher der gr¨ oßere K¨ orper R der reellen Zahlen.
Die Existenz und die Eigenschaften dieser Struktur postulieren wir in den folgenden Ax- iomen. Den diffizilen Nachweis, dass es eine solche Struktur ¨ uberhaupt gibt, m¨ ussen wir hier ¨ ubergehen.
Die Axiome des geordneten K¨ orpers der reellen Zahlen:
Axiom 1: Addition und Multiplikation in R sind wohldefiniert und es gelten:
(a + b) + c = a + (b + c) und (a · b) · c = a · (b · c). (Assoziativgesetze) Axiom 2: Stets gelten a + b = b + a und a · b = b · a. (Kommutativgesetze)
Axiom 3: Die Addition ist umkehrbar, die Multiplikation ist bedingt umkehrbar, d.h.:
Jede Gleichung der Form a+x = b besitzt genau eine L¨ osung x, die mit x = b−a bezeichnet wird, und jede Gleichung a ·y = b besitzt im Fall a 6= 0 genau eine L¨ osung y = b : a = b/a.
Axiom 4: Stets gilt (a + b) · c = a · c + b · c. (Distributivgesetz)
Axiom 5: F¨ ur alle x ∈ R gilt x ≤ x. (Reflexivit¨ at)
Axiom 6: Aus x ≤ y und y ≤ x folgt stets x = y. (Antisymmetrie)
Axiom 7: Aus x ≤ y und y ≤ z folgt stets x ≤ z. (Transitivit¨ at)
Axiom 8: F¨ ur alle Paare x, y ∈ R gilt einer der F¨ alle x ≤ y oder x ≥ y. (Linearit¨ at) Axiom 9: Aus a < b folgt a + c < b + c f¨ ur alle c ∈ R . (Monotoniegesetz der Addition) Axiom 10: Aus a < b und c > 0 folgt a · c < b · c. (Monotoniegesetz der Multiplikation) Axiom 11 Das Vollst¨ andigkeitsaxiom (s. sp¨ ater).
Aus diesen wenigen Axiomen lassen sich nun weitere wichtige Formeln ableiten. Von besonderer Bedeutung f¨ ur den Aufbau der Analysis sind dabei die nachfolgenden Sachver- halte. Wir beginnen mit einer Erg¨ anzung zu Axiom 10:
Satz 1.1.1: Aus a < b und c < 0 folgt a · c > b · c.
Beweis: Aus c < 0 folgt durch Addition von −c aus Axiom 9 die Ungleichung 0 < −c.
Die Multiplikation der Ungleichung a < b mit der positiven (!) Zahl −c ergibt nach Axiom 10 die Aussage −a · c < −b · c, und durch Umstellen mit Axiom 9 folgt die Behauptung b · c < a · c.
Heimlich haben wir bei diesem Beweis noch von der Gleichung a · (−c) = −(a · c) Ge- brauch gemacht. Die G¨ ultigkeit dieser Formel folgt mit Axiom 4 aber aus der Gleichung a · c + a · (−c) = a · (c − c) = a · 0 = 0, denn dann muss das Produkt a · (−c) nach Axiom 3 das eindeutig bestimmte Entgegengesetzte zu a · c sein.
Satz 1.1.2: F¨ ur alle x ∈ R gilt x
2≥ 0.
Beweis: Ungleichungen beweist man h¨ aufig durch Fallunterscheidungen, die auf Axiom 8 beruhen: Aus x = 0 folgt x
2= 0. Ist x > 0, so folgt x · x > x · 0 nach Multiplikation mit x wegen Axiom 10. Ist x < 0, so folgt auch x·x > x·0 = 0, diesmal wegen Satz 1.1.1.
Satz 1.1.3: (Bernoullische
1Ungleichungen): F¨ ur alle h ≥ −1 und alle n ∈ N gilt 1 + nh ≤ (1 + h)
n.
Beweis: Aussagen mit nat¨ urlichzahligen Parametern werden h¨ aufig mittels vollst¨ andiger Induktion bewiesen. F¨ ur den Induktionsanfang n = 0 ist die Ungleichung trivial g¨ ultig.
Sie gelte nun f¨ ur festes n ∈ N . Durch Multiplikation von (1 + h)
n≥ 1 + nh mit der nichtnegativen (!) Zahl 1 + h ergibt sich die Absch¨ atzung
(1+ h)
n+1= (1+h)(1+h)
n≥ (1+ h)(1+nh) = 1+h +nh+nh
2≥ 1+h +nh = 1+(n +1)h.
Damit ist die Bernoullische Ungleichung f¨ ur alle n ∈ N bewiesen.
1
Jakob Bernoulli (1654-1705). Zum Bernoullischen Stammbaum geh¨ oren ferner die Mathematiker:
Johann B. (1667-1748, j¨ ungster Bruder Jakobs); Niklaus B. (1687-1759), Neffe und Sch¨ uler von Jakob
und Johann); Daniel B. (1700-1782, Sohn von Johann).
An dieser Stelle eine Bemerkung zur Bedeutung von Ungleichungen. Durch die Vorsilbe
”un” ist dieses Wort im Deutschen negativ belegt und betont die Ungleichheit. Daraus resultiert beim Anf¨ anger h¨ aufig eine Untersch¨ atzung des Wertes von Ungleichungen. Man muss sich aber klar machen, dass eine Ungleichung bereits eine ”halbe” Gleichung ist und dass in den F¨ allen, in denen ein ¨ aquivalentes Umformen von Ausdr¨ ucken zu schwierig oder gar nicht mehr m¨ oglich ist, mit einer Absch¨ atzung wenigstens noch eine Teilaussage erhalten werden kann. Die Bernoullische Ungleichung l¨ asst auch eine geometrische Inter- pretation zu: Der Graph der linearen Funktion g(h) = 1 + nh liegt unterhalb des Graphen von f(h) = (1 + h)
nund wegen g(0) = f(0) = 1 ist g(h) = 1 + nh die Gleichung der Tangente im Punkt (0, 1).
§3 Summenzeichen und binomische Formeln
(1) Das Summenzeichen: F¨ ur jedes System a
0, a
1, . . . , a
nvon reellen Zahlen definieren wir:
n
X
i=m
a
i=
a
m+ . . . + a
nf¨ ur m < n, a
mf¨ ur m = n,
0 f¨ ur m > n. (leere Summe)
(2) Rechenregeln: (Beweis?) (a)
n
P
i=0
a
i+
n
P
i=0
b
i=
n
P
i=0
(a
i+ b
i), (Additivit¨ at)
(b)
n
P
i=0
a
i=
m
P
i=0
a
i+
n
P
i=m+1
a
if¨ ur 0 ≤ m ≤ n, (Zerlegungsformel) (c)
n
P
i=m
a
i=
n+k
P
i=m+k
a
i−kf¨ ur alle k ∈ N . (Indexverschiebung)
(3) Aufgabe: Beweisen Sie die arithmetische Summenformel:
n
P
i=1
i =
n(n+1)2. Wir wollen nun die bekannten binomischen Formeln
(x ± y)
2= x
2± 2xy + y
2und x
2− y
2= (x − y)(y + x)
auf h¨ ohere Potenzen als 2 verallgemeinern. Wir beginnen mit der letzten dieser Formeln:
(4) Drei Varianten der geometrischen Summenformel: F¨ ur x, y ∈ R und n ∈ N gelten:
x
n+1− y
n+1= (x − y) ·
n
X
k=0
x
n−ky
k(1)
1 − y
n+1= (1 − y)
n
X
k=0
y
k= (1 − y)(1 + y + . . . + y
n) (2)
n
X
k=0
y
k= 1 − y
n+11 − y (3)
Der Beweis kann durch Polynomdivision oder durch vollst¨ andige Induktion gef¨ uhrt wer- den. (Ausf¨ uhren!) Die zweite Formel ist ein Spezialfall der ersten (x = 1).
Die Verallgemeinerung der ersten binomischen Formel erfordert eine Vorbereitung:
(5) Der Binomialkoeffizient: F¨ ur n, p ∈ N setzen wir n
p
= n(n − 1) · . . . · (n − p + 1)
1 · 2 · . . . · p (gelesen: n ¨ uber p)
F¨ ur p > n ist
np= 0, f¨ ur n ≥ p gibt
npdie Anzahl der Auswahlm¨ oglichkeiten von p Objekten aus einem Vorrat von n Objekten an. Durch Nachrechnen (ausf¨ uhren!) beweist man f¨ ur n ≥ p die Formel:
n p
+
n p + 1
=
n + 1 p + 1
(Additionstheorem f¨ ur Binomialkoeffizienten) Auf dieser Formel beruht das Pascalsche Dreieck zur Berechnung der Zahlen
np. (6) Binomischer Lehrsatz:
(x + y)
n=
n
X
j=0
n j
x
n−jy
jf¨ ur alle x, y ∈ R und n ∈ N .
Beweis: Induktiv unter Verwendung des Additionstheorems oder alternativ durch kombi- natorische ¨ Uberlegungen, wie oft der Term x
n−jy
jbeim Ausmultiplizieren entsteht.
§4 Suprema und Infima, Vollst¨ andigkeitsaxiom
Die Axiome 1 - 10 sind auch im Zahlbereich Q erf¨ ullt, aber die besondere Qualit¨ at von R gegen¨ uber Q besteht in dem nun zu er¨ orternden Axiom 11, dem Vollst¨ andigkeitsaxiom.
Wir schaffen uns zun¨ achst das notwendige Instrumentarium:
(1) Definition: Es sei A eine beliebige Teilmenge von R .
1. A heißt nach oben beschr¨ ankt, wenn es eine Zahl x ∈ R mit a ≤ x f¨ ur alle a ∈ A gibt. Jedes x mit dieser Eigenschaft heißt eine obere Schranke von A.
2. Falls A eine kleinste obere Schranke hat, so heißt diese das Supremum von A. Es
gilt also
x = sup A ⇔ a) x ist eine obere Schranke von A und
b) ist x
0eine weitere obere Schranke von A, so gilt x ≤ x
0oder ¨ aquivalent:
b
∗) f¨ ur jedes ε > 0 ist x − ε keine obere Schranke von A mehr.
Untere Schranken und Infima (gr¨ oßte unter Schranken) werden analog definiert.
Axiom 11 (Vollst¨ andigkeitsaxiom in R ): Jede nach oben beschr¨ ankte, nichtleere Menge A ⊆ R hat in R ein Supremum.
Diese Axiom bildet die Grundlage f¨ ur die gesamte Analysis, wir werden es sehr bald in Aktion erleben! Vorerst leiten wir einige Konsequenzen ab.
(2) Satz: Sind ∅ 6= A, B ⊆ R nach oben beschr¨ ankte Mengen, so gilt sup A + sup B = sup(A + B).
Ist zus¨ atzlich ∅ 6= A, B ⊆ R
+, so ist
sup A · sup B = sup(A · B)
Hierbei bedeuten A + B = {a + b : a ∈ A, b ∈ B } und A · B = {a · b : a ∈ A, b ∈ B}.
Beweis: Wir begn¨ ugen uns mit dem Beweis der additiven Formel: Es seien x = sup A und y = sup B. Dann gilt a + b ≤ x + y f¨ ur alle a ∈ A und alle b ∈ B nach dem Mono- toniegesetz. Insbesondere existiert s = sup(A + B), und es gilt s ≤ x + y. W¨ are aber s < x + y, so w¨ are g = x + y − s > 0. Wegen x = sup A und y = sup B existieren nach 1.2.1.2)b
∗) Zahlen a ∈ A und b ∈ B mit x −
g2< a und y −
g2< b, und hieraus w¨ urde s = x + y − g < a + b ≤ s folgen. Widerspruch.
(3) Satz: (Archimedisches
2Axiom oder Axiom des Messens): Zu beliebigen reellen Zahlen a, b > 0 existiert eine nat¨ urliche Zahl n ∈ N mit b < na.
Beweis: W¨ are na ≤ b f¨ ur alle n ∈ N , so w¨ are die Menge A = {na : n ∈ N } nach oben durch b beschr¨ ankt. Wegen Axiom 11 existiert s = sup A, und nach (2) f¨ uhrt das auf den Widerspruch s < s + a = sup{0, a, 2a, . . .} + sup{a} = sup{a, 2a, 3a, · · ·} ≤ s.
Aufgaben zu Suprema, Infima, Maxima und Minima
Die Begriffe Supremum und Infimum bereiten Anf¨ angern immer Schwierigkeiten. Das liegt in der Natur der Sache, denn hiermit wird man erstmals in voller Sch¨ arfe mit dem Un- endlichen konfrontiert! Bei der ¨ Ubertragung der Erfahrungen im Umgang mit endlichen Mengen auf unendlichen Mengen muss h¨ ochste Vorsicht geboten sein. So gibt es in jeder endlichen Menge A von Zahlen nat¨ urlich eine kleinste Zahl, die das Minimum von A genannt wird. Unendliche Mengen m¨ ussen aber kein Minimum haben, beispielsweise gibt
2
Archimedes (287?-212 v.Chr.), Syrakus, ”Integralrechnung”, Hebelgesetz, Archimedisches Prinzip.
es keine kleinste positive reelle Zahl! Supremum und Infimum dienen in gewisser Weise als Ersatz f¨ ur Maxima und Minima.
(4) Aufgabe: Man berechne: a) sup
nn+1
: n ∈ N , b) sup
n+1n