A-1436 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 21, 26. Mai 2000
P O L I T I K AKTUELL
gesetzgebung beschränken. Aller- dings sei es erforderlich, die Sozial- transfers zu überprüfen und die Finanzierungsgrundlagen neu zu re- geln. Gesamtgesellschaftliche Aufga- ben müssten dabei auch gesamtgesell- schaftlich, das heißt politisch gelöst werden. Alle Gestalter des Gesund- heitswesens müssten zur Kenntnis nehmen: Eine Rückkehr zur Vollbe- schäftigung, zur Selbstkostendeckung und zur Vollversorgung in der GKV ist kaum möglich. Deshalb und auch im Hinblick auf die Herausforderun- gen der Zukunft und die europäischen Rahmenvorgaben muss ein Neube- ginn gewagt werden. An eine Neuge- staltung der Gesetzlichen Kranken- versicherung knüpft der Marburger Bund vier Bedingungen:
– einmalige Umbuchung des Arbeitgeberbeitrages zur GKV zum Bruttogehalt und zum Bruttolohn, weil dieser Lohnbestandteil sei und nicht durch omnipotente Mächte über eine Umwegfinanzierung instrumen- talisiert werden dürfe.
– Umgestaltung der Kranken- kassen zu wettbewerbsfähigen Dienst- leistungsunternehmen. Diese müssten von Managern, nicht aber von Funk- tionären geleitet und weiterent- wickelt werden. Es sei erforderlich, Prämien zu kalkulieren, nicht aber ausschließlich arbeitsmarktorientier- te steuerähnliche Abgaben, die zu- dem die Lohnnebenkostendiskussion belasten. Dieser Vorstoß korrespon- diert mit den Empfehlungen von FDP-MdB Thomae, der für eine neue Finanzierungsbasis in der GKV und versicherungsadäquate Beiträge (mit Wahlfreiheit des Versicherungsträ- gers) plädiert.
– Kalkulation der demographi- schen Entwicklung, angemessene Be- rücksichtigung des medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritts, des Anspruchsniveaus der Versicher- ten und der Leistungs-, Vertrags- und Haftungsbedingungen bei den Lei- stungserbringern.
– Konvergenz der Krankenversi- cherungssysteme, Wettbewerb und Abgrenzung zwischen Gesetzlicher und privater Krankenversicherung.
Begrenzung des Staates auf die Rah- mengesetzgebung und Rechtsaufsicht;
Stärkung der Leistungsträger, der Be- troffenen. Dr. rer. pol. Harald Clade
ie im BDA Berufsverband der Allgemeinärzte Deutschlands – Hausärzteverband – e.V. or- ganisierten Ärztinnen und Ärzte sind mit der zu Jahresbeginn in Kraft ge- tretenen Gesundheitsreform nur teil- weise zufrieden. Die rigideren Re- gressandrohungen und das sektorale Budget werden einmütig mit der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung, der Bundesärztekammer und den ärztli- chen Berufsverbänden abgelehnt. Im Hinblick auf die von der KBV in An- griff genommene durchgreifende Re- form des Einheitlichen Bewertungs- maßstabes (EBM) hat der BDA Kor- rekturen und ausreichende Differen- zierungen verlangt, um insbesondere die Interessen der Allgemein- und Hausärzte zu berücksichtigen. Die Reform müsse, wie beabsichtigt, zum 1. Januar 2001 in Kraft treten. Die bereits beschlossene Aufteilung der Gesamtvergütung in einen hausärzt- lichen und einen fachärztlichen Honoraranteil in den Honorarver- teilungsmaßstäben der Kassenärztli- chen Vereinigungen müsse nach Maß- gabe des SGB V lupenrein umgesetzt werden.
Wesentlich kritischer beurteilt hingegen der BDA den Rahmenver- trag zur Richtgrößenvereinbarung.
BDA-Bundesvorsitzender Professor Dr. med. Klaus-Dietrich Kossow, All- gemeinarzt aus Achim (Niedersach- sen), wertet diese als zu allgemein und pauschalierend, den Interessen der Allgemeinärzte nicht Rechnung tragend. Wie bisher spricht sich der BDA für eine Altersstaffelung in Zehn-Jahres-Abschnitten aus, um so die Besonderheiten allgemeinärztli-
cher Praxen und die Unterschiede zwischen Stadt- und Landpraxen von Allgemeinärzten auch bei Wirtschaft- lichkeitskontrollen und Regressen angemessen zu berücksichtigen. Vor allem die regional begründeten Un- terschiede dürften Versorgungsfunk- tionen in dem primärärztlichen Sek- tor nicht unterminieren. Dies müsse bei der Festsetzung der Richtgrößen berücksichtigt werden, erklärte Kos- sow. Einverstanden ist der BDA da- gegen mit der Absicht, in den Ho- norarverteilungsmaßstäben Regellei- stungsvolumina für Arztpraxen fest- zusetzen (wie sie bereits vor zwei Jah- ren vom damaligen Bundesgesund- heitsminister Horst Seehofer in Übereinstimmung mit der KBV be- fürwortet wurden).
Anliegen der EBM-Reform ist es – und darin unterstützt der Hausärz- teverband BDA die Kassenärztliche Bundesvereinigung –, ein spezielles Hausarztkapitel einzurichten, das die Besonderheiten der hausärztlichen Tätigkeit und der Versorgungsfunkti- on der Hausärzte berücksichtigt. Der BDA spricht sich darüber hinaus dafür aus, den Bewertungsspiegel und in den Bewertungsrelationen die be- sonders arbeitsintensive Betreuung alter und multimorbider Patienten so- wie chronisch Kranker in Hausarzt- praxen zu berücksichtigen.
Korrektur im Detail
Die EBM-Reform, wie sie von der Vertreterversammlung der KBV unterstützt wird, sollte nach den For- derungen des BDA in einigen Punk-
Berufsverband der Allgemeinärzte
Plädoyer für größere Differenzierungen
Der Berufsverband der Allgemeinärzte Deutschlands – Hausärzteverband – e.V. (BDA) hat anlässlich seiner Dele- giertenversammlung am 6. Mai in Köln seine Forderungen im Hinblick auf die anstehende EBM-Reform bekräftigt.
D
ten korrigiert und verfeinert werden.
Die Forderungen:
❃ Die allgemeinen Bestimmun- gen zum EBM, in denen Mengen- steuerungen verankert werden und Regelleistungsvolumina analog zum Zuge kommen sollen, müssten so aus- gelegt werden, dass sie dem Versor- gungsauftrag der jeweiligen Arzt- gruppe entsprechen. Insbesondere werden schematische Fallzahlbegren- zungen im hausärztlichen Versor- gungssektor abgelehnt.
❃ Mengenbegrenzungen dürften nicht zu einer existenziellen Bela- stung der Hausarztpraxen führen.
❃ Das Tätigkeitsspektrum der Hausärzte müsse entsprechend der Patientenklientel differenziert blei- ben. Nivellierungstendenzen mithilfe der vertragsärztlichen Gebührenord- nung müsse Einhalt geboten werden.
Sowohl die Versorgungsstruktur von Hausarztpraxen als auch deren Ver- sorgungsschwerpunkte müssten in den Gebührenrelationen
und deren Bewertung berücksichtigt werden.
Der „EBM 2000 Plus“ und das Hausarzt- kapitel müssten so ange- legt werden, dass das Tätigkeitsspektrum in der Versorgungsstruktur angemessen berücksich- tigt wird.
Die KBV beabsich- tigt nach der derzeitigen Konzeption eine Diffe- renzierung der Honorar- höhe nach dem Schwe- regrad der Erkrankung – bei eindeutiger Zuord- nung zu der Diagnose.
Dies wird vom BDA abgelehnt. Begründung:
Der Schweregrad einer Erkrankung korrespon-
diert kaum mit dem erforderlichen differenzierten diagnostischen und therapeutischen Einsatz und Auf- wand des behandelnden Arztes.
Auch bei Befindlichkeitsstörungen und banalen Erkrankungen könne ein hoher persönlicher Aufwand des Arztes notwendig werden. Ein Schweregradfaktor, wie es das EBM- Konzept der KBV vorsieht, dürfe nicht die Honorarverteilung manipu- lieren und Umverteilungswirkungen
zulasten der hausärztlich tätigen Arztgruppen führen.
Ebenfalls kritisiert der BDA, dass auch die jeweilige Fort- und Wei- terbildungszeit des Arztes berück- sichtigt werden solle und sich danach die Bewertung der ärztlichen Leistun- gen ausrichte. Der BDA moniert:
Dies führe zu einer Festschreibung der ohnehin schieflastigen Einkom- mensverteilung. Zudem sei es kon- fliktreich durch den EBM, Ärzte er- ster und zweiter Klasse zu schaffen.
Der BDA mutmaßt, dass subspeziali- sierte Fachärzte, die ohnedies über die Gebührenordnungen begünstigt seien, infolge ihrer relativ langen Wei- terbildungszeit zusätzliche Vorteile erhielten. Dagegen müsse auch die Präsenz- und umfassende Versor- gungspflicht des Hausarztes angemes- sen honoriert werden.
Zu wenig differenziert erscheint dem BDA die Berechnung einer arztgruppenspezifischen Fallpunktzahl
für die hausärztliche Versorgung. Viel- mehr müsse bei mengensteuernden Maßnahmen, die auf den Fallwert be- zogen sind, im hausärztlichen Ver- sorgungssektor zwischen den Grund- leistungen und den qualifikationsge- bundenen, arztgruppenübergreifen- den Leistungen unterschieden wer- den. Hausärzte müssten ihrer gesetzli- chen Dokumentationspflicht gerecht werden (§ 73 SGB V). Dies gelte ins- besondere im Hinblick auf den vom
BDA scharf kritisierten „Chipkarten- Tourismus“.
Keine Meinungsunterschiede zwi- schen BDA und der KBV gibt es hinge- gen bei der Beurteilung des im SGB V verankerten kollektiven Arznei- und Heilmittelregresses bei Überschreitung der Limits (nach Angaben des Bundes- verbandes der Betriebskrankenkassen droht für 1999 ein Regressvolumen in Höhe von 250 Millionen DM, das bei der nächstjährigen Runde zur Er- höhung der vertragsärztlichen Vergü- tungen angerechnet werden soll).
Forderungen
zu den Richtgrößen
Die Forderungen des BDA in Hinblick auf die geplanten Richt- größenvereinbarungen:
❃ Festlegung der Richtgrößen je nach Versorgungstiefe und Ver- ordnungsbedarf der Arztpraxen ei- ner abgegrenzten Arzt- gruppe. Dabei müssten auch die regionalen Be- sonderheiten berücksich- tigt werden.
❃ Festsetzung der Richtgrößen nach Alters- klassen, die nach Zehn- Jahres-Stufen gestaffelt werden könnten. Unzurei- chend sei die herkömmli- che Differenzierung nach dem jeweiligen Status der Versicherten (Untertei- lung in Allgemeinversi- cherte und Rentner).
❃ Bei Wirtschaftlich- keits- und Auffälligkeits- prüfungen müssten die Praxisbesonderheiten der hausärztlich tätigen Arzt- gruppen berücksichtigt werden. Die Kassenärzt- lichen Vereinigungen seien hier ge- fordert. Intolerabel sei jedenfalls ei- ne Beweisumkehrung zulasten der Hausärzte.
❃ Arznei- und Heilmittel dürften bei Richtgrößenvereinbarungen inso- weit nicht berücksichtigt werden, als sie bei meist schwerwiegenden Er- krankungen in der Regel verordnet werden. Sie seien für Mengen- ausweitung im Allgemeinen nicht an- fällig. Dr. rer. pol. Harald Clade A-1437 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 21, 26. Mai 2000
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Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Kossow, Vorsitzender des BDA (rechts): mit der EBM-Reform nicht zufrieden. Links: Dieter Robert Adam (65), der langjährige Hauptgeschäftsführer des BDA, der Ende Mai in den Ruhestand tritt Foto: Johannes Aevermann