DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
Heft 32 vom 6. August 1981
Elitenförderung und
Selbstfinanzierung des Studiums
Im Hochschulbereich kommt et- was in Bewegung. Innerhalb von nur wenigen Wochen legten der Wissenschaftsrat, die Studien- stiftung des deutschen Volkes, der Bund Freiheit der Wissen- schaft und die CDU Thesen und Vorschläge zum „Wachrütteln"
der akademischen Jugend, aber auch „ihrer" Lehrer, der Hoch- schullehrer, vor. Der Wissen- schaftsrat, der seit 1957 auf- grund eines Abkommens zwi- schen Bund und Ländern die
Maßnahmen zur Förderung der Wissenschaft in der Bundesre- publik aufeinander abstimmen soll, stellte in „Empfehlung zur Förderung besonders Befähig- ter" (das Wort „Elite" wird ver- mieden) fest, daß „Menschen, die bereit und fähig sind, Außer- ordentliches zu leisten", geför- dert werden sollten. Die CDU bekannte sich in einem Diskus- sionspapier für den im Novem- ber stattfindenden Hamburger Bundeskongreß „Zukunftschan- cen der Jugend" ausdrücklich zur Förderung von Eliten, denn ein Land wie die Bundesrepublik sei auf Eliten „angewiesen".
Der Wissenschaftsrat legt in seiner
„Empfehlung zur Förderung beson- ders Befähigter" vom 15. Mai dieses Jahres bei der zukünftigen Erzie- hung der akademischen Jugend Wert auf folgende Schwerpunkte:
Disziplin des Denkens, Gewissen- haftigkeit, Lernbereitschaft, Offen- heit, Fähigkeit zur Selbstkritik und Bereitschaft, sich der Kritik anderer zu stellen.
Dieses könne nur in der Pflege des der Wissenschaft eigenen Ethos, al- so der Verpflichtung auf Wahrheit und der Einübung der genannten Tugenden und Haltungen, erreicht werden. Große Bedeutung und da- mit eine unabänderliche Verpflich- tung sei aber auch den akademi- schen Lehrern auferlegt.
Die Studienstiftung des deutschen Volkes bemängelte überdies, daß die Professoren nicht mehr einer ih- rer originären Aufgaben nachkä- men, nämlich die besonders Begab- ten aus der Masse der Studenten hinauszufiltern. So wäre der Anteil derjenigen Bewerber — die für eine Förderung in Betracht kämen —, die von einem Hochschullehrer vorge- schlagen würden, seit dem Beginn der siebziger Jahre ziemlich stetig zurückgegangen: von 50 Prozent im Jahre 1969/70 auf 22,5 Prozent im Jahre 1979/80. Das Auswahlverfah-
ren habe sich wenig geändert, son- dern allein die erforderliche Aus- gangslage eines Bewußtseins der persönlichen Verantwortung erfah- rener akademischer Lehrer für ihre Schüler und die Möglichkeit, auf der Grundlage intensiver gemeinsamer Seminararbeit einen Studenten als
„ganze Person" und nicht als „intel-
lektuelle Potenz" für eine Förderung empfehlen zu können. Nach Auffas- sung des Wissenschaftsrates läßt sich die „wenig anregende Atmo- sphäre" des derzeitigen Universi- tätsbetriebes verändern, könnte und würde von der Persönlichkeit des Hochschullehrers eine „stimulieren- de Wirkung" ausgehen.
Der Wissenschaftsrat konzediert aber auch, daß durch die Belastung durch Prüfungen und eine große Verwaltungstätigkeit neben Ver- pflichtungen und Neigungen zu Tä- tigkeiten neben dem Hochschulbe- reich die Professoren vornehmlich von dieser selektierenden und för- dernden Tätigkeit abgehalten wür- den. Umgekehrt seien viele Studen- ten eher passiv, zu sehr auf rezepti- ves Lernen bedacht, um Möglichkei- ten des Kontaktes mit Hochschul- lehrern zu suchen und zu nutzen.
Der Wissenschaftsrat proklamiert ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um das Verhalten der „Lehrer" zu ändern, die Motivation der Studen- ten zu verbessern und die Förde- rung und Herausfilterung besonders Befähigter zu intensivieren. So sol- len erstens Veranstaltungen für Stu- dienanfänger, die in kleinen Grup- pen angeboten würden, den Profes- soren die Chance bieten, früh ihre
„Elite" unter den Studenten zu er- kennen. Weiterhin sollen Ferienaka- demien und Sommerschulen ver- stärkt angeboten werden. Besonde- re Veranstaltungen für die herausra- genden Studenten, wie Seminare,
Vorlesungen und Steilkurse, die rasch an den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Diskussion heranführen, müßten gepflegt wer- 1531
Spektrum der Woche Aufsätze · Notizen Elitenförderung
den. Auslandsaufenthalte, Auszeich- nungen von wissenschaftlichen Lei- stungen durch Preise oder Ehrenga- ben, auch für untere und mittlere Semester, müßten dem Studenten vermehrt die Chance eröffnen, schon während des Studiums nicht nur Erfolge zu erzielen, sondern auch zu erfahren, was ihm der "ge- genwärtige" Hochschulbetrieb häu- fig nicht genügend zuteil werden läßt: "ausdrückliche öffentliche An- erkennung seiner Leistung".
Der Bund Freiheit der Wissenschaft fordert zudem einen Abbau des BaföG in der Weise, daß alle Studen- ten die Kosten ihrer Ausbildung grundsätzlich selbst zu tragen hät- ten. Für die einzelnen Studienfächer an jeder Hochschule sollten Gebüh- ren eingeführt werden. Zur Deckung der entstehenden Gebühren könne dann der Student ein zinsfreies staatliches Darlehen erhalten. Damit würde die Ungerechtigkeit beseitigt, die sich nach dem bisherigen Förde- rungssystem für diejenigen Familien ergab, deren Einkommen in der Nä- he, aber oberhalb der Förderungs- grenze des BaföG lag. Diese Darle- hen könnten, so die Vorstellungen des Bundes, im Laufe eines Berufs- lebens zurückgezahlt werden. So würde ein Teil der staatlichen Bil- dungsausgaben auf die Benutzer umgelegt.
Unter dem Aspekt, daß in den Hörsä- len von heute sich das Schicksal des Wohlstandes von morgen, die Kon- kurrenzfähigkeit der Wirtschaft und die politische und moralische Exi- stenz der Nation entscheiden, müs- sen diese Vorschläge zur intensive- ren "Förderung besonders Befähig- ter" gesehen werden. Man darf heu- te wieder davon sprechen, daß die Förderung der Begabten eine wich- tige Sache ist. Das Wort "Elite" - seit vielen Jahren verpönt- darf wie- der in den Mund genommen werden (ohne dabei gleich einen bevorzug- ten Anspruch auf Führungspositio- nen anklingen zu lassen). Die Zeit der Nivellierungen, der Gleichma- cherei um jeden Preis, scheint sich selbst zu nivellieren, ohne die Chan- cengleichheit zu beeinträchtigen.
Wolfgang Lange
THEMEN DER ZEIT
Transfer-
Kommission:
Vorschläge zur Rentenreform
Den Vorwurf, das staatliche Trans- fersystem verteile nur das Geld von der linken in die rechte Tasche des Bürgers, hält die von der Bundesre- gierung einberufene "Transfer-En- quete-Kommission" für weit überzo- gen. Die Kommission befaßte sich seit Juli 1977 mit den Wirkungen, die von den staatlichen Einnahme- und Ausgabenaktivitäten "unter dem Strich" betrachtet ausgehen. ln dem jetzt erschienenen Bericht bringt die Kommission, unter Vorsitz von Pro- fessor Hans-Jürgen Krupp (Deut- sches Institut für Wirtschaftsfor- schung, Berlin), eine insgesamt po- sitive Einschätzung dieses Transfer- systems zum Ausdruck, wenn auch sie ihr Hauptaugenmerk auf die Schwachstellen der staatlichen Lei- stungen richtet und eine ganze Rei- he von Verbesserungsvorschlägen, Empfehlungen und Anregungen hervorbringt, darunter vor allem:
Sachverständigen- kommission berufen
Eine neue Sachverständigenkommis- sion , ,Aiterssicherungssysteme" ist beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung installiert worden. Vor- sitzender der Kommission ist Prof. Dr.
rer. pol. Helmut Meinhold, Ordinarius für Nationalökonomie an der Universität Frankfurt, der zugleich Vorsitzender des Sozialbeirats beim Arbeitsministerium ist. Darüber hinaus gehören weitere fünf namhafte Wissenschaftler dem neunzehnköpfigen Gremium an. Als sachverständiger Berater gehört der Kommission auch Rechtsanwalt Hans Hermann Reusch, Geschäftsführer der seit einem Jahr in Köln residierenden Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen, an. Dane-
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..,. "Modifizierte Rentenanpas- sung" - Da bei der absehbaren Ent- wicklung in der Altersstruktur die Beiträge zur Rentenversicherung in den nächsten Jahren stark steigen müssen, soll sich der Anstieg der Renten nicht mehr wie bisher nur an der Erhöhung der Bruttolöhne orientieren, sondern auch die Verän- derung der Beitragssätze zur Ren- tenversicherung soll als Korrektur- faktor Berücksichtigung finden.
..,. Rentenbesteuerung - Den Ex- perten erscheint es notwendig, die Renten stärker in die Einkommens- besteuerung einzubeziehen, entwe- der indem ein höherer Anteil als bis- her als Ertragsanteil gilt und so steu- erpflichtig wird, oder durch prinzi- pielle Besteuerung der Renten bei gleichzeitiger Gewährung von Al- tersfreibeträgen.
..,. Sicherung bei Pflegebedürftig- kelt- Pflegekosten sollen, soweit sie nicht von der gezahlten Rente ge- deckt sind, ab einem Mindestversi- cherungsniveau von der gesetzli- chen Rentenversicherung übernom- men werden; unterhalb des Mindest- niveaus soll die Sozialhilfe zustän- dig bleiben.
..,. Sozialhilfe - Die Kommission hält es für sinnvoll, die Sozialhilfe
ben sind auch der Verband der Renten- versicherungsträger, der Verband der landwirtschaftlichen Alterskassen, die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Al- tersversorgung, der Verband der Le- bensversicherungsunternehmen, die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder und die Vereinigung der kom- munalen Arbeitgeberverbände durch je einen Berater an der Arbeit der Kom- mission beteiligt.
Der Kommission ist u. a. aufgetragen worden, bis Mai 1983 die verschiede- nen Versicherungssysteme miteinander zu vergleichen und die Unterschiede darzustellen. Darüber hinaus soll venti- liert werden, ob und inwieweit die be- stehenden Systeme in ihren Einzelrege- lungen besser aufeinander abgestimmt
werden können. EB