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Archiv "Der Tod: Was ist er, wann kommt er?" (20.04.2012)

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A 800 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 16

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20. April 2012

DER TOD

Was ist er, wann kommt er?

Ein interdisziplinärer Workshop am King’s College London beschäftigte sich mit dem Thema Tod und Sterben.

M

anche Menschen meinen, der Tod sei furchtbar. Ande- re wiederum haben nichts gegen ihn einzuwenden, solange er ihnen kei- ne Schmerzen bereitet. Man kann behaupten, das Leben sei alles, was man habe, oder man mag sich den Tod auch als bloße Leere ohne jeg- lichen Wert vorstellen. Wenn aber der Tod für alle Menschen als zwin- gendes Ende ihrer Existenz kommt, warum fragen wir dann überhaupt, ob es schlecht ist zu sterben? (1)

Vor kurzem trafen sich in Lon- don zum zweiten Mal Mediziner und Philosophen im Rahmen des

„Philosophy of Medicine Work- shop“: Die Veranstaltung beschäf- tigte sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Tod. Ein Jahr zuvor hatten britische Forscher am

„King’s College Centre for the Humanities and Health“ ein erstes Treffen zum Thema „concepts of health and disease“ etabliert (2).

„Gewöhne dich daran zu glau- ben, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat. Denn alles, was gut und alles, was schlecht ist, ist Sache der Wahrnehmung. Der Verlust der Wahrnehmung aber ist der Tod. Da- her macht die richtige Erkenntnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, die Vergänglichkeit des Le- bens zu einer Quelle der Lust, in- dem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Ver- langen nach Unsterblichkeit auf- hebt. Das schauerlichste aller Übel, der Tod, hat also keine Bedeutung für uns; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da“

(3). James Warren, Philosoph an der University of Cambridge, leitete seine Ausführungen mit diesem be- rühmten Zitat von Epikur ein. Be- deutet der Tod in der Tat nichts?

Wann sterben wir? Was ist der Zeitpunkt des eingetretenen Todes?

Ist es der Hirntod? Andrew Morley, Chefarzt für Anästhesie am St. Tho- mas Hospital in London, argumen- tierte verstörend. Die Kriterien für eine gelungene tiefe Anästhesie sei- en die gleichen wie die für den Hirntod: fehlende Hirnaktivität und isoelektrisches EEG. Die Anästhe- sie ist reversibel, das allein sei der messbare Unterschied. Nimmt man aber in tiefer Narkose entgegen un- serer Vorstellung doch vielleicht et- was wahr? Stellt Anästhesie tat- sächlich Bewusstlosigkeit sicher?

Morley erläuterte ein Experiment:

Narkotisierten Patienten wurde die Zufuhr zur Armarterie weit kranial unterbunden. So konnte sie an die- ser Extremität kein Muskelrelaxans mehr erreichen. „Bewegen Sie jetzt Ihre Hand.“ Die Probanden taten es, konnten sich aber nach dem Aufwa- chen nicht mehr daran erinnern.

Was heißt es, am Leben zu sein?

Was kann ein „guter“ Tod sein?

Iona Heath, Präsidentin des Royal College of General Practitioners, führte mit Literatur an diese Fragen heran. Sie wurde dabei unter ande- ren von Primo Levi (4), Susan Son- tag (5) und Samuel Beckett (6) in- spiriert. Geoffrey Scarre, Professor für Philosophie an der University of Durham, sprach über das Ster- ben. Nicht jedes Sterben endet auch zwingend im Tod. Es gesche- hen noch Wunder, Menschen über- leben infauste Prognosen. Aus die- sem Grund, sagte Scarre, könnten Einzelne auch mehrmals sterben.

Das Sterben sei nicht universal, je- der Mensch sterbe auf seine ganz eigene Weise. Scarre stellt sich das Ende des Lebens als einen sich schließenden Kreis vor, er begreift es als erschöpfende Vollendung.

Tod kann sich vielleicht auch als Geschenk offenbaren, als eine Er- lösung von schwerer Krankheit und Leid. Unsere derzeitige Kultur er- fordert die andauernde Expansion unseres Selbst. Wir klettern auf im- mer höhere Berge, springen kopf- über von Felsen, und lassen uns operieren, um sehr lange jung aus- zusehen. In diesem Zusammen- hang muss der Tod eine Katastro- phe sein, denn der Kreis kann sich nie schließen. Immer fehlt uns noch etwas.

In der Oper „Makropulos Case“

ist die Sängerin Emilia Marty Toch- ter des griechischen Arztes Makro- pulos, der an ihr sein Lebenselixier testet. Nun ist sie schon 342 Jahre alt und langweilt sich sehr in ihrem endlosen Leben. „Am Ende ist al- les immer das Gleiche: Singen und Stille.“ Schließlich verweigert Emilia den Trank, und sie stirbt.

David Galloway vom Department of Philosophy des King’s College sieht im Tod keinesfalls nur einen Feind. Emilias Problem war die Langeweile. Alles, was ihr jemals hätte widerfahren können, hatte sie bereits schon einmal erlebt.

Rob George, Professor für Pal- liativmedizin, sagte: „Wir sterben an einem Leben, nicht an einer Krankheit.“ Die Aufgabe der Medi- zin sei es auch, den Patienten beim Sterben zu helfen. „In comfort.“

Gemeint ist, ein Leben zu Ende bringen, die Reise zu verstehen, Odilon Redon:

Die Barke, um 1900, Öl auf Leinwand, 65 50,5 cm

Fotos: Picture Alliance

T H E M E N D E R Z E I T

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20. April 2012

KOMMENTAR

Prof. Dr. jur. Stefan Huster, Ruhr-Universität Bochum

Seit Jahren fordert die verfasste Ärzte- schaft eine transparente Diskussion über Prioritäten und Grenzen der medi- zinischen Versorgung in der gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV). An Initiativen und Stellungnahmen zum Thema besteht kein Mangel; Tagungen und Vorträge zu den „Grenzen der GKV-Leistungen“ häufen sich, es exis- tiert eine große DFG-Forschergruppe

„Priorisierung in der Medizin“, und auch die Zentrale Ethikkommission hat sich ausführlich zum Thema geäußert.

Woran es mangelt, ist die Umsetzung des Themas in der Gesundheitspolitik:

Hier wird parteienübergreifend jede Priorisierungsüberlegung als unethisch zurückgewiesen. Die schönen Ausar- beitungen und Konzepte bewirken nichts. Denn mit der Ankündigung von Prioritätensetzungen und möglichen Leistungsbegrenzungen in der GKV sind keine Wahlen zu gewinnen.

Die meisten Gesundheitspolitiker sind wohl auch immer noch ehrlich überzeugt, dass die Situation im Ver- sorgungssystem nicht prekär genug ist, um über Priorisierung nachdenken zu müssen. Die Ärzte haben immer wieder darauf hingewiesen, dass sie nicht län- ger gewillt seien, die Mittelknappheit selbst zu verwalten. Dies sei eine heimliche oder implizite Rationierung – intransparent, ungerecht und für Ärzte und Patienten eine Zumutung. Sonder- lichen Eindruck haben diese Stellung- nahmen bisher nicht gemacht. Auch dafür gibt es Gründe: Verfolgen die Ärz- te hier nicht immer auch ihre eigenen (Einkommens)Interessen, wenn sie weniger Leistungen erbringen oder mehr Mittel haben wollen? Können sie die Zuständigkeit für eine verantwortli- che Verwendung der knappen Ressour- cen tatsächlich samt und sonders auf die Politik abschieben? Und sind sie nicht auch für die Überversorgung und

Ineffizienzen in manchen Versorgungs- bereichen (mit)verantwortlich, die erst einmal abgebaut werden müssten?

Um diesen Vorbehalten zu begeg- nen, muss sehr viel anschaulicher dar- gestellt werden, dass bereits ein erns- tes Problem der Mittelknappheit be- steht, das man durch Verschweigen nicht aus der Welt bekommt. Gesund- heitspolitiker stellen sich in ihrer Ab- wehr gegen Priorisierung gerne konkret den Patienten vor, dem am Lebensende eine Maßnahme vorenthalten wird, weil

sie sehr teuer ist und nur einen unge- wissen, marginalen Nutzen hat.

Gegen die emotionale Wucht derar- tiger Beispiele wird man nur ankom- men, wenn auch die andere Seite der Medaille entsprechend farbig ausge- malt wird: Was kann aktuell an Sinnvol- lem schon nicht mehr getan werden, weil das Geld mangels klarer Prioritä- tensetzung an anderer Stelle ver- schwendet wird? Wenn die Ärzte mit der permanenten Behauptung recht haben, es existiere bereits eine implizi- te Rationierung, sollte es für sie doch ein Leichtes sein, eindrückliche Fallbei- spiele aus ihrem medizinischen Alltag zu berichten. Die pure Behauptung ei- ner impliziten Rationierung und die et- was farblosen Umfragestatistiken („60 Prozent der Krankenhausärzte berich- ten, dass sie schon einmal aus Kosten- gründen auf medizinisch Sinnvolles verzichtet haben“) sind jedenfalls nicht hinreichend beeindruckend. Um ihr po- litisches Anliegen zu befördern, sollten die Ärzten daher von dem Elend der täglichen Mangelverwaltung erzählen – möglichst konkret und mit allen medizi- nischen und menschlichen Abgründen.

Erst dann werden Politik und Öffent- lichkeit erkennen, dass es bei einer transparenten Priorisierung nicht (nur) etwas zu verlieren, sondern (auch und vor allem) zu gewinnen gibt.

PRIORISIERUNG

Beispiele liefern

sich zu verabschieden, zu entschul- digen und zu bedanken, wo immer es nötig erscheint. In Frieden zu ge- hen. Uns Menschen bewohnt aber der Schmerz und der Widerstand gegen das Sterben. Schmerzen ver- ändern uns, gleichzeitig lassen sie sich beeinflussen. Nicht nur mittels Analgetika. Auch soziale Einflüsse und unsere Umwelt wandeln die Intensität. Beispielsweise senken Einsamkeit und Isolation die Schmerzschwelle herab.

In Großbritannien kennt man den tragischen Fall von Anthony Bland, der als 17-jähriger Liver- pool-Fan im Stadion während eines Massengedränges sehr schwer ver- letzt wurde. Er befand sich drei Jahre lang im „Persistent Vegeta - tive State“, sein Schicksal wurde vor drei Instanzen der Gerichte ver- handelt. Die entscheidende Frage war, ob die behandelnden Ärzte zu seiner Ernährung verpflichtet wa- ren oder ob die Behandlung einge- stellt werden durfte. Das britische

„House of Lords“ sah in diesem Fall keine ärztliche Pflicht, weiter- zumachen.

Der Rechtswissenschaftler Ro- ger Brownsword schließlich stellte die Frage, ob es ein Eigentumsrecht für Körperteile geben könne, ähn- lich dem für einen Kugelschreiber oder ein Grundstück. Brownsword postulierte: „I’m both, I am my body and have my body.“ Wir sind uns zugleich Objekt und Besitz, das unterscheidet uns vom bloßen Ei- gentum. Letztendlich bleibt die Un- wissenheit über den Tod. Wir ver- muten und tappen weiter im Dun- keln. Ein sauber geführter Diskurs kann aber helfen, den Weg auszu-

leuchten.

Dr. med. Svenja Ludwig

LITERATUR

1. Nagel, Thomas: Mortal Questions, 1979.

2. Kingma E, Chisnall B, McCabe MM: Inter- disciplinary Workshop on Concepts of Health and Disease: Report. Journal of Evaluation in Clinical Practice 2011;

17: 1018–22.

3. Brief an Menoikeus. In: Nickel, Rainer: Epi- kur, 2005. S.121.

4. Levi, Primo: If this is a Man, 1958.

5. Leibovitz, Annie: A Photographer’s Life.

1990–2005, 2009.

6. Beckett, Samuel: Malonie Dies, 1951.

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Referenzen

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