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Kallnach – Bergweg. Das frühmittelalterliche Gräberfeld und das spätrömische Gebäude. Bericht über die Grabungen von 1988–1989

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Kallnach-Bergweg

Christiane Kissling Susi Ulrich-Bochsler

Kallnach -Ber gwe g Christiane Kissling

Das frühmittelalterliche Gräberfeld und das spätrömische Gebäude

Bericht über die Grabungen von 1988–1989

CD-ROM

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Kallnach – Bergweg

Das frühmittelalterliche Gräberfeld

und das spätrömische Gebäude

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Christiane Kissling Susi Ulrich-Bochsler

Kallnach – Bergweg

Das frühmittelalterliche Gräberfeld und

das spätrömische Gebäude

Bericht über die Grabungen von 1988–1989

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Schriftenreihe der Erziehungsdirektion des Kantons Bern herausgegeben vom

Archäologischen Dienst des Kantons Bern

Publications périodiques de la Direction de l’instruction publique du canton de Berne réalisées par le Service archéologique du canton de Berne

Redaktion/Rédaction:

Regula Glatz, Daniel Gutscher, Andreas Heege Layout, Titelblatt/Layout, Page de titre:

Max Stöckli, Eliane Schranz

Bezugsort/Disponible chez:

Rub Media Verlag Postfach, CH-3001 Bern

buch@rubmedia.ch

Kallnach – Bergweg

Das frühmittelalterliche Gräberfeld und das spätrömische Gebäude Christiane Kissling/Susi Ulrich-Bochsler

ISBN 978-3-907663-09-7

© Archäologischer Dienst des Kantons Bern Herstellung: Druckerei Rub Graf-Lehmann AG, CH-3001 Bern

2006

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . 7

Danksagungen . . . 9

Teil A: Die archäologischen Forschungen 1. Einleitung . . . 12

1.1 Lage . . . 12

1.2 Grabungsanlass . . . 13

1.3 Die Befunde im Überblick . . . 13

1.4 Geologie und Stratigraphie . . . 15

2. Forschungsgeschichte . . . 16

2.1 Ältere Untersuchungen . . . 16

2.2 Ablauf und Methode der Grabung 1988/89 . . . 16

3. Historischer Rahmen . . . 19

4. Das spätrömische Gebäude . . . 22

4.1 Der Grundriss . . . 22

4.1.1 Die Mauern . . . 22

4.1.2 Die Räume . . . 23

4.2 Deutung und Datierung der Befunde . . . 25

5. Das frühmittelalterliche Gräberfeld . . . 27

5.1 Lage und Ausdehnung . . . 27

5.2 Die Grabkammer oder memoria . . . 29

5.3 Erhaltungszustand der Grabstrukturen . . . 30

5.4 Grabtypen . . . 31

5.4.1 Die Körpergräber . . . 31

6. Die Grabinventare des frühmittelalterlichen Gräberfeldes . . . 55

6.1 Methodik . . . 55

6.2 Die Funde . . . 56

6.2.1 Gürtel- und Schuhschnallen . . . 56

6.2.2 Goldscheibenfibel . . . 67

6.2.3 Perlenketten . . . 69

6.2.4 Ohrringe . . . 72

6.2.5 Fingerringe . . . 72

6.2.6 Knochenkamm . . . 73

6.2.7 Zierscheibenfragment . . . 74

6.2.8 Spinnwirtel aus Bein . . . 74

6.2.9 Glastummler . . . 74

6.2.10 Messer . . . 75

6.2.11 Saxe . . . 75

6.2.12 Pfeilspitzen . . . 77

6.2.13 Übrige Geräte, Werkzeuge und Amulette. . . . 77

6.2.14 Textilien . . . 77

6.3 Geflickte Gegenstände . . . 82

7. Bestattungssitten und Datierung . . . 83

7.1 Bestattungssittenvergleich . . . 83

7.1.1 Frauengräber . . . 83

7.1.2 Männergräber . . . 83

7.1.3 Kindergräber . . . 85

7.2 Bestattungssitten westlich der Aare . . . 85

7.3 Die Bevölkerung von Kallnach . . . 86

7.4 Datierung des Gräberfeldes . . . 86

8. Das Urnengrab von Kallnach . . . 89

(7)

Teil B: Fundkatalog Grabinventare

Fundkatalog Grabinventare . . . 92

Teil C: Anthropologische Rekonstruktion einer frühmittelalterlichen Bevölkerung aus dem Berner Seeland 1. Einleitung und Fragestellung . . . 114

2. Material, Erhaltung und Zeitstellung . . . 115

3. Methoden . . . 118

4. Zur Bevölkerungsstruktur von Kallnach . . . 120

4.1 Geschlechteraufbau . . . 120

4.2 Altersaufbau der Kinder . . . 121

4.3 Altersaufbau der Erwachsenen . . . 123

4.4 Zusammenfassung . . . 125

5. Das körperliche Erscheinungsbild der Bevölkerung von Kallnach . . . 126

5.1 Morphologie der Schädel . . . 126

5.2 Morphologie des postcranialen Skeletts . . . 137

5.3 Epigenetische Merkmale . . . 141

5.4 Weiteres zu möglichen «Verwandtschaften» im Gräberfeld . . . 143

5.5 Zusammenfassung . . . 148

6. Krankheiten und Verletzungen der Kallnacher Bevölkerung . . . 149

6.1 Degenerative Erkrankungen . . . 149

6.2 Verletzungen und Frakturen . . . 154

6.3 Entzündliche und geschwulstartige Veränderungen . . . 159

6.4 Mangelerscheinungen . . . 162

6.5 Anomalien, Fehlbildungen . . . 165

6.6 Zahnbefunde . . . 167

6.7 Zur Entwicklung der Kinder . . . 173

6.8 Zusammenfassung . . . 174

7. Zusammenfassung . . . 175

Bibliographie . . . 178

Zusammenfassung, Résumé, Summary . . . 188

Abbildungsnachweis . . . 194

(8)

Vorwort

Teilaspekte noch als Lizentiatsarbeit an der Universität Neuenburg vorlegen können, ihr überraschender Tod 1994 hat jedoch einen dicken Strich durch weitere von ihr noch geplante Projektteile gezogen. Umso dankbarer sind wir, dass sich mit Christiane Kissling eine erfahrene Kollegin gefunden hat, welche bereit war, das Angefangene weiter zu führen – zunächst als Lizentiatsarbeit bei Prof. Werner Stöckli an der Universität Bern. Wir sind dankbar, dass sie mit der vorliegenden Publikation nun die Auswertung zu einem glücklichen Ende gebracht hat und damit einem breiteren Kreis Interessierter Zugang zu den phantastischen Befunden und Funden ermöglicht.

Dabei durfte sie auf die Hilfe Vieler zählen; vorweg auf die initiative Unterstützung des wissenschaftlichen Leiters der Abteilung Mittelalter, Daniel Gutscher, der schon die Pro- jektleitung der seinerzeitigen Felduntersuchung inne hatte.

Die Textilien wurden von Antoinette Rast-Eicher, Ennenda, bearbeitet. Münzbestimmungen besorgten zunächst Franz E. König, später Susanne Frey. Karl Zimmermann und Käthi Bühler vom Bernischen Historischen Museum stell- ten freundlicherweise die Altfunde vom Bergweg in Kall- nach zur Bearbeitung und Integration in eine Gesamtschau des Fundplatzes zur Verfügung. Kathrin Hubert-Kühne, Burgdorf, und Rolf Fritschi, Schweiz. Landesmuseum Zü- rich, restaurierten und analysierten wichtige Einzelfunde.

Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich für ihr Engage- ment, ihre hohe Fachkompetenz und ihr unkompliziertes Mitwirken gedankt.

Gerne schliessen wir die im Dankwort der Autorinnen Genannten sowie die Mitarbeiter der Rub Media, welche die Drucklegung in gewohnt sorgfältiger Weise besorgten, in unseren Dank ein.

Cynthia Dunning, Bern, im Dezember 2006 Kantonsarchäologin Durch Zufall wurden beim Baumfällen in der bäuerlichen

Hofstatt der Familie Hurni am Bergweg 3 in Kallnach Skelettteile aufgedeckt. Die Massnahme galt der Vor- bereitung für den Bau eines Stöcklis der Bauernfamilie.

Die anschliessende Kontrolle führte zu einer ausgedehn- ten Rettungsgrabung, die vom September 1988 bis August 1989 dauerte.

Mit 155 Bestattungen stellt das Gräberfeld vom Bergweg in Kallnach – neben Bern-Bümpliz, das allerdings be- reits 1916 und 1927–31 ausgegraben wurde – das bislang grösste der publizierten frühmittelalterlichen Gräberfelder des Kantons Bern dar. Auch bezüglich des Fundspektrums darf Kallnach-Bergweg als wichtigster Komplex der letz- ten Jahre gelten. Die zahlreichen Beigaben liefern wertvolle Informationen über die Bestattungssitten der Bevölkerung des Seelandes und steuern darüber hinaus wegen ihrer zum Teil vorzüglichen Erhaltung wesentliche Erkenntnisse zu Fragen der technologischen Entwicklung bei.

Als sehr wichtig für die Kenntnis der Bestattungssitten im Frühmittelalter erweist sich die enorme Vielfalt an unter- schiedlichen Grabkonstruktionen, welche sich dank der klaren Überlagerungen und Durchschneidungen strati- graphisch einordnen und damit in eine relative Chronolo- gie bringen lassen.

Die Grabung hat das Bauprogramm der privaten Bauherr- schaft gründlich durcheinander geworfen und damit den vorgesehenen Generationenwechsel auf dem Bauernhof einer ernsten Prüfung unterzogen. Wir sind der Familie Fritz Hurni und ihrem Architekten Ernst Adam, Aarberg, für ihr Entgegenkommen und Verständnis zu grossem Dank verpflichtet.

Die wissenschaftliche Vorlage des Materials hat lange auf sich warten lassen. Die örtliche Leiterin der Grabun- gen, Janet Lechmann-McCallion, hat zwar wesentliche

(9)
(10)

Danksagungen

Grundlage dieser Publikation bildet meine 1995 an der Uni- versität Bern bei Prof. W. Stöckli verfasste Lizentiatsar- beit. Durch Dr. Daniel Gutscher erhielt ich die Möglichkeit diese Arbeit zu dieser nun hier vorliegenden Publikation auszubauen. Während der gesamten Auswertung stand er mir stets mit Rat und Tat zur Seite. Dafür möchte ich ihm ganz herzlich danken.

Eine solche Publikation entsteht nicht ohne Diskussio- nen und Gedankenaustausch mit Fachkollegen. Mein auf- richtiger Dank geht dabei an Dr. Reto Marti und Andreas Motschi, denen ich zahlreiche wertvolle Ideen und Hin- weise zu verdanken habe.

Für die sorgfältigen Plan-und Fundzeichnungen und her- vorragende Gestaltung des Buches möchte ich ganz herz-

lich unserer Grafikabteilung, besonders Eliane Schranz und Katharina Ruckstuhl, danken.

Ein grosser Dank geht auch an meine Arbeitskollegin- nen Regula Glatz und Marianne Ramstein sowie meinen Arbeitskollegen Dr. Armand Baeriswyl und Dr. Andreas Heege welche mich mit der minutiösen Durchsicht des Ma- nuskriptes, mit konstruktiver Kritik und wertvollen Dis- kussionen unterstützt haben.

Schliesslich gilt ein ganz spezieller Dank an Daniel Kiss- ling, der mich vor allem während der Lizentiatsarbeit mit Ermutigungen und Anregungen sowie massenhaft Geduld unterstützt hat. Ich möchte ihm dieses Werk widmen.

Christiane Kissling

Dr. Udo Krenzer, damals Anthropologisches Institut der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, danken wir für seine unterstützende Beratung bei der Frage der Software- Anwendung und vor allem auch für die hilfreichen Dis- kussionen bei der Dateninterpretation. Dr. med. Christian Lanz, Dr. med. Thomas Böni und Dr. med. Frank Rühli halfen bei der Untersuchung einiger schwieriger patho- logischer Fälle, wofür Ihnen besonderer Dank gebührt.

Ein herzliches Dankeschön geht an Lukas Indermaur,

Domenic Rüttimann, Annette Heigold-Stadelmann und Verena Leistner von der Historischen Anthropologie so- wie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Archä- ologischen Dienst, die auf vielen Ebenen an der Bearbei- tung und Dokumentation des Gräberfeldes von Kallnach beteiligt waren.

Susi Ulrich-Bochsler

(11)
(12)

Teil A:

Die archäologischen Forschungen

Christiane Kissling

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1.1 Lage

Das Dorf Kallnach liegt im Kanton Bern zwischen den Städten Bern und Biel, etwa 6 km vom Südufer des Bieler- sees entfernt, leicht erhöht auf einem Hügelzug am Rande des Grossen Mooses (Abb. 1). Das heutige Kallnach ist ein langgezogenes Strassendorf, an dessen Hauptstrasse sich die meisten alten Bauernhäuser reihen. Die hügelige Landschaft, in der das Dorf liegt, erreicht eine Höhe von über 500 müM.: Davor breitet sich bis zum Bielersee das Grosse Moos auf einer Höhe von 440 müM. aus. Die etwa 5 km breite Ebene wurde durch die erste Juragewässerkor- rektion der Jahre 1868–1875 entsumpft und ist erst seither landwirtschaftlich intensiv und ganzjährig nutzbar.

Unser hier vorzustellendes Grabungsgelände befand sich am nördlichen Hang eines mit dem Flurnamen «Mura- chere» bezeichneten Hügels. Das Areal der 1988–89 durch- geführten Rettungsgrabungen lag auf einer erhöhten Ter- rasse auf 455 m Höhe mit Aussicht über weite Teile der Talebene und – je nach Bewaldung – bis hin zum Bieler- see (Abb. 2).

1. Einleitung

Neuchâtel

Biel Studen / Petinesca

Solothurn

Bern

Kallnach

Avenches

J u r a

V o r a l p e n

Abb. 1: Kallnach, Bergweg. Lage der Ortschaft Kallnach im schweize- rischen Mittelland. M. 1: 750 000.

Abb. 2: Kallnach, Bergweg. Die leicht erhöhte Terrasse westlich der Grabung. Dieser Bereich ist noch nicht untersucht und birgt mit Sicherheit weitere archäologische Strukturen. Durch die flache Ebene in der Mitte zog einst die Römerstrasse welche Avenches über Studen-Petinesca mit Solothurn verband und die Hauptachse des Mittellandes bildete.

(14)

1.2 Grabungsanlass

Schon vor 1988 wurden in diesem Bereich bei landwirt- schaftlichen Tätigkeiten immer wieder Fundgegenstände an die Oberfläche gebracht.1 Der Anlass zu den Grabungen von 1988/89 war das Projekt eines Stöcklis westlich des Bauernhauses der Familie Fritz Hurni (Parzelle Nr. 95).2 Die Fläche der Rettungsgrabungen am Bergweg 3 be- schränkte sich auf den neuen Hausgrundriss, die Garagen- einfahrt und die Erdwärmeversorgung im künftigen Gar- ten südlich des Neubaus. Sie besass eine Ausdehnung von rund 600 m2.3 Bereits beim Abhumusieren konnten erste archäologische Strukturen erkannt sowie Funde geborgen werden. Bei der anschliessenden Rettungsgrabung wurden nicht nur der Bereich des geplanten Hausgrundrisses, son- dern auch die dazugehörenden Gräben der Versorgungs- und Entsorgungsleitungen untersucht, um Auskunft über die Ausdehnung der Strukturen zu erhalten (Abb. 3).

1.3 Die Befunde im Überblick

Einzelne spärliche Reste von Rollierungen und vermörtel- ten Fundamenten sowie sich im Boden abzeichnende Mau- ergräben liessen den Grundriss eines Gebäudes erkennen (Abb. 5). Die in den verpflügten Kulturschichten geborge- nen Funde datieren das Gebäude in die spätrömische Zeit, vom Ende des 3. bis ins 4. oder 5. Jahrhundert. Sowohl von der Lage des Gebäudes (Kap. 4.1) als auch von den Fun- den (Kap. 4.2) her handelte es sich hier um eine mansio, eine mutatio oder um eine statio, das heisst um eine Rast- stätte privaten oder öffentlichen Charakters.

155 Körpergräber sowie die Reste einer Grabkammer (me- moria) stammen aus dem frühen Mittelalter und sind vom 7. bis ins 10. Jahrhundert zu datieren. Die Grabkonstrukti-

onen dieser Gräber wurden teilweise aus römischem Bau- material gefügt; das römische Gebäude, bzw, dessen Ru- ine, war im frühen Mittelalter bloss noch Bestattungsort.

Wo die Leute während dieser Zeit gewohnt haben, entzieht sich gegenwärtig noch unserer Kenntnis. Es ist nicht aus- zuschliessen, dass die Siedlung im heutigen Dorf, d.h. im alten Dorfkern lag und deshalb durch nach und nach ent- standene Neu- und Umbauten weitgehend zerstört wor- den war.

Abb. 3: Kallnach, Bergweg. Die Grabung von 1988/1989.

18 20 22 24

456.00 müM G 28 G 30

G 29

d c

b b

M 1

a a

0 2m

Abb. 4: Kallnach, Bergweg. Profil 1 Ansicht SW a: spätrömischer Abbruchhorizont in den die frühmittelalterlichen Gräber eingetieft worden wa- ren. b: vor dem Bau des römischen Gebäudes eingebrachte Planie. c und d : gewachsener Boden. Die Schichten a und b gingen ineinander über und liessen sich schwer trennen. M. 1: 50.

1 Siehe Kapitel 2.1.

2 LK 1145, 584 480/208 040.

3 Hausgrundriss: 16 m × 18 m; Heizung: 8 m × 11 m und 6,5 m × 19,5 m.

(15)

Abb. 5: Kallnach, Bergweg. Gesamtplan mit römischen Mauerresten und frühmittelalterlichem Gräberfeld. M. 1: 150.

60

70

80

10 20 30

0 5 10m

N

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1.4 Geologie und Stratigraphie

Die Hügelzüge, welche sich entlang der Ebene des Grossen Mooses erstrecken, stellen Reste der Gletscherablagerun- gen der letzten Eiszeiten dar. Unser Terrain entstand wäh- rend der Würmeiszeit im Pleistozän als Seitenmoräne des Rhonegletschers. Der gewachsene Boden setzte sich daher aus einem gelblichen, mit Kies durchsetzten Sand (Schot- ter) zusammen, der in der Tiefe immer feiner und heller wurde (Schicht d, Abb. 4). Darüber lag eine siltige, braun- beige, mit Kies durchsetzte, kompakte sterile Schicht, wel- che ebenfalls als anstehender Boden bezeichnet werden musste (Schicht c). Diese beiden Schichten sind typische Moränenablagerungen des Rhonegletschers und werden im Seeland oder im Voralpengebiet häufig angetroffen.

Eine darüber liegende, dunkle lehmige Schicht, wies zahl- reiche Holzkohlefragmente und Funde auf, welche sich hauptsächlich aus römischem Bauschutt zusammensetz- ten (Schicht b). Da die Schicht unterhalb oder etwa auf der Höhe der untersten Fundamentlage oder der Sohle der Mauergruben der römischen Mauern lag, handelte es sich

hier entweder um den alten Oberboden, in welchen zufällig hierher gelangter Siedlungsabfall eingepflügt wurde oder aber um absichtlich herbeigeführtes Planiematerial – wir vermuten: vom römischen Abbruchhorizont des benach- barten Gutshofes des 2.–3. Jahrhunderts (Abb. 7, E).

Die Schicht wies einen fliessenden Übergang zur darüber- liegenden Schicht a auf. In dieser humosen Schicht kon- zentrierten sich der Benutzungs-, Zerstörungs-, und Abbau- horizont des untersuchten römischen Gebäudes (Abb. 6).

Die Schichten befanden sich im Erosionsbereich der land- wirtschaftlichen Tätigkeiten und wiesen demzufolge eine starke Durchmischung auf. Da die Schichten a und b nicht klar trennbar waren, konnten die aus diesen Schichten stammenden Funde zum Teil nicht eindeutig der älteren Planieschicht oder dem Abbruchhorizont zugewiesen wer- den. Die absolute Höhe der Funde und die Verbreitung der einzelnen Gegenstände erlaubte gewisse Interpretationsan- sätze (siehe Kap. 4.1.2 und 4.2).

In nachrömischer Zeit musste ein massiver Steinraub er- folgt sein, da von den römischen Mauern praktisch nichts mehr übrig geblieben war. Die frühmittelalterlichen Gräber wurden zum Teil bis in den gewachsenen Boden eingetieft.

Sie wiesen ebenfalls Spuren von Grabraub auf.

Als jüngste Störungen sind die in den letzten Jahrzehnten gepflanzten und versetzten Obstbäume sowie die zahlrei- chen Gruben der zwischen den Bäumen verscharrten Tiere zu erwähnen, welche ebenfalls unterschiedlich tief in die Kulturschichten drangen. Der Humus wies hier eine durch- schnittliche Stärke von 20 cm auf.

Abb. 6: Kallnach, Bergweg. Die römischen Mauern wurden zum Teil vollständig oder wie hier zu sehen bis auf die unterste Steinlage abgebaut.

Darüber breitete sich eine bis zu 80 cm breite Abbruchschicht aus.

207 000 208 000 209 000

583 000 584 000

B

E

C D

A

A

Abb. 7: Kallnach, Bergweg. Die archäologischen Fundstellen von Kall- nach A: Römerstrasse welche Avenches mit Studen-Petinesca verband.

B: spätrömisches Gebäude und frühmittelalterliches Gräberfeld «Berg- weg». C: römische Brandgräber des 2.–3. Jahrhunderts. D: postulierte Römerstrasse in Richtung Aarberg. E: römischer Gutshof des 2.–3. Jahr- hunderts «Gässli». M. 1: 25 000.

(17)

2. Forschungsgeschichte

2.2 Ablauf und Methode der Grabung 1988/89 Die 600 m2 grosse Fläche wurde in drei aufeinanderfol- genden Etappen von September 1988 bis August 1989 un- tersucht (Abb. 8). Eine Zeltüberdachung schützte vor der winterlichen Witterung. Die Grabung wurde unter der Lei- tung der Abteilung Mittelalter des Archäologischen Diens- tes des Kantons Bern durchgeführt. Die wissenschaftliche Leitung oblag Daniel Gutscher. Die örtliche Leitung lag in den Händen von Janet Lechmann-McCallion (†). Für die Grabungstechnik sowie die Fotodokumentation war Ale- xander Ueltschi verantwortlich. Durchschnittlich arbeite- ten fünf bis zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Grabung. Es waren dies: Rafael Amedy, Edy Baumann, Renzo Campana, Christiana Colliard, Sylvie Engelmann, Karin Hamuda, Therese Ingold, Daniel Jomini, Christa Jost, Barbara Klaey, Herbert Künzli, Robert Macpherson, Heinz Malli, Michael Yirenkyi McCarthy, Elsa Medina, Eva Mühlethaler, Ebbe Nielsen, Pius Peter, Federico Ras- der und Franz Josef Sladeczek.

Nach dem maschinellen Abtragen der 30 cm dicken Hu- musschicht wurden bereits erste Mauerreste und Grä- ber sowie in der sogenannten Hofstatt (Baumgarten) ver- scharrte Tierkadaver sichtbar. Da die meisten Grabgruben wegen den ungünstigen Schichtverhältnissen erst unmit- telbar vor dem Erscheinen erster Knochen als solche er- kannt werden konnten und sich keine trennbaren Schich- ten abzeichneten, wurde die Grabungsfläche mit 10 cm starken Abstichen allmählich bis zum gewachsenen Bo- den abgetieft. Nachdem die Gräber sorgfältig freigelegt worden waren, wurden die Skelette von den Anthropo- loginnen Susi Ulrich-Bochsler und Liselotte Meyer9 in situ untersucht und die Daten in einem Grabprotokoll 2.1 Ältere Untersuchungen

Der Flurname des Hügels, auf dem der Gutshof und die frühmittelalterlichen Gräber lagen, lautet «Murachere». Es ist anzunehmen, dass beim Pflügen immer wieder Steine zum Vorschein kamen oder dass sogar noch Ruinen sicht- bar waren, als der Flurname entstand. Die ersten schrift- lichen Notizen über archäologische Funde in diesem Ge- biet stammen vom Ende des 19. Jahrhunderts. Die meis- ten Funde wurden vom Historischen Museum Bern ange- kauft und sind nicht genau lokalisierbar.4 1895 wurde beim Fällen eines Baumes, vermutlich in der Nähe unserer Gra- bungsfläche, das erste frühmittelalterliche Grab entdeckt.5 Es enthielt einen Sax, eine tauschierte Gürtelschnalle und ein Eisenmesser (Abb. 137, 1–8). 1897 konnten in der Hof- statt von Friedrich Hurni6 weitere frühmittelalterliche Grä- ber und die ersten römischen Münzen aufgesammelt wer- den.7 Während den nachfolgenden Sondierungen des Dorf- pfarrers im Jahr 1899 an derselben Stelle, kamen in 1,50 m Tiefe römische Siedlungsreste, frühmittelalterliche Gräber mit Beigaben (Fragmente von Gürtelschnallen, ein Glas- gefäss, vgl. Abb. 137, 138) und über 1500 römische Mün- zen zum Vorschein.8

Abb. 8: Kallnach, Bergweg. Römische Mauerreste und frühmittelalter- liche Bestattungen.

4 Tschumi 1953, 254f.

5 JbBHM 1895, 26.

6 Dank den aufschlussreichen Angaben des Bauherrn und Enkels von Friedrich Hurni, Herrn Fritz Hurni, stammen diese Gräber von derselben Parzelle, auf der die Grabung von 1988/89 stattgefunden hat. Der Familie Hurni sei auch an dieser Stelle für die ausgezeichnete Zusammenarbeit sowie ihre grosse Geduld gedankt. In den Dank möchten wir auch den bauleitenden Architekten Ernst Adam, Aarberg mit einschliessen.

7 Es handelt sich um zwei Münzen von Constans, eine von Delmatius, eine von Constantin I Urbs Roma, vier nicht näher bestimmbare Constantine und zwei Constantius. JbBHM 1898, 9.

8 JbBHM 1899, 8; 1942, 81f; 1944, 76f; ASA 1896-98; 1899, 157;

JbSGUF 1943,86f; 1945, 80;

9 Historische Anthropologie, Universität Bern.

(18)

Abb. 9: Kallnach, Bergweg. Originale Grabungszeichnung mit eingefärbten Schichten. Zeichnung und Beschrieb: Therese Ingold.

(19)

festgehalten. Nach der Bergung und Reinigung wurden die Skelette für weitere Untersuchungen in die Abteilung His- torische Anthropologie des Medizinhistorischen Institutes der Universität Bern gebracht. Die Funde wie Keramik, Glas oder Metall wurden pro Grab oder quadratmeterweise geborgen und in Fundbüchern aufgenommen. Mit 2700 Ex- emplaren stellen die römischen Münzen die bestbelegte Fundgattung dar. Die Grabungsdokumentation besteht aus einem Tagebuch, 257 Skizzen und Zeichnungen im Mass- stab 1:20 oder 1:10 (Abb. 9). Es existiert kein Positions- nummerbeschrieb. Bei der Auswertung wurde darauf ver- zichtet Positionsnummern zu vergeben, da dies anhand der vorhandenen Dokumentation mit zu viel Aufwand verbun- den gewesen wäre, da die meisten Pläne keinen Beschrieb aufweisen. Die Fotodokumentation setzt sich aus rund 300 mittelformatigen Farbdias und Schwarz/weiss-Aufnahmen zusammen. Ein beachtlicher Aufwand wurde für die zahl- reichen Münzen aufgebracht, deren Lage separat mit Flä- chen- und Höhenangaben eingemessen wurde, um Konzen-

trationen erkennen und Verbreitungskarten herstellen zu können. Die Münzen wurden an der HEAA in La Chaux- de-Fonds restauriert. Mit der Restaurierung der Fundge- genstände aus Metall wurde das Schweizerische Landes- museum in Zürich beauftragt.10 Die Perlenketten wurden – soweit möglich – im Block geborgen und anschliessend von Katrin Hubert-Kühne (Burgdorf) freigelegt und kon- serviert. Die Textilreste konnten erst nach der Restaurie- rung der Fundgegenstände in Zusammenarbeit mit Antoi- nette Rast-Eicher analysiert werden. Die Umzeichnung der Funde wurde von Béatrice Leu und Katharina Ruckstuhl übernommen. Für die Umzeichnung und Herstellung der Grafiken war Eliane Schranz zuständig.

10 Für die Restaurierung der Metallgegenstände war Rolf Fritschi, da- mals noch beim Schweizerischen Landesmuseum, verantwortlich.

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Die Geschichte des Dorfes Kallnach begann in römischer Zeit. Einer der Hauptgründe, wieso damals in Kallnach überhaupt gesiedelt worden ist, wird nebst dem passen- den geographischen und ökonomischen Rahmen der Nähe zur römischen Strasse zuzuschreiben sein (Abb. 7, A). Die heute noch als Feldweg genutzte Strasse weist den Flurna- men «Römerstrasse» auf. Sie wurde in Kallnach 1972/73 zum ersten Mal archäologisch untersucht und dokumen- tiert.11 Die etwa 6 m breite Strasse durchquerte als inter- regionale Verkehrsachse von Vevey nach Windisch die Schweiz. Sie diente neben den in römischer Zeit wichti- gen Wasserwegen einerseits militärischen Transporten, an- dererseits auch wirtschaftlichen Zwecken. Der Ort Kall- nach liegt zwischen Avenches, dem Verwaltungszentrum der Civitas Helvetiorum und Studen-Petinesca, dem eben- falls auf der spätrömischen Strassenkarte, der sogenann- ten tabula Peutingeriana, erwähnten vicus zwischen Lyss und Biel. Die vielen Importstücke im Fundmaterial be- wiesen, dass die Bewohner von Kallnach von diesen wirt- schaftlichen Möglichkeiten profitiert haben. Eine Abzwei- gung welche an unserem Gebäude entlang nach Südos- ten über Aarberg Richtung Solothurn führt, konnte bisher noch nicht erfasst werden, wird jedoch vor allem wegen dem römischen Brandgräberfeld des 2.–3. Jahrhunderts (Abb. 7, C) postuliert, welches entlang dieser Strasse lie- gen würde.12 Die Lage der Gräber extra muros, das heisst ausserhalb von Siedlungen, galt seit dem Verbot im Zwölf- tafelgesetz13 nicht nur für Rom, sondern für alle vici und villae des Reiches. Bestattungen entlang einer Strasse wa- ren in dieser Zeit allgemein verbreitet.14

Die Besiedlung von Kallnach begann mit einem weitläu- figen Gutshof, der 1999 partiell freigelegt worden ist und durch sein Fundmaterial ins 2. bis 3. Jahrhundert datiert werden kann15 (Abb. 7, E). Er ist mit Sicherheit in Zusam- menhang mit dem oben erwähnten Brandgräberfeld zu set- zen. Hingegen ist die Kontinuität zwischen diesem kaiser- zeitlichen Gutshof und dem hier vorzustellenden Gebäude aus dem 3./4. Jahrhundert nicht erwiesen. Die Gebäude lagen in einem Abstand von 200 m, es existiert demnach keine exakte geographische Kontinuität. Da wir bei dem spätrömischen Gebäude eine mansio postulieren und es sich beim kaiserzeitlichen Gebäude eindeutig um einen Gutshof handelt, ist auch keine funktionale Kontinuität ge- geben. Einzig das Fundmaterial deutet auf eine zeitliche Ablösung der beiden Gebäude hin.

Es gibt keine schriftliche Erwähnung von Kallnach in rö- mischer Zeit. Vom Suffixauslaut «–ach», das vom gal- lorömischen Namensuffix «–acum» abgeleitet wird, er-

gibt sich zusammen mit einem römischen Gentilnamen der etymologische Name Calcaniacum16 für Kallnach in rö- mischer Zeit, der sich dann – im 13. Jahrhundert urkund- lich belegt17 – zu Calnachon ableiten lässt. Das Seeland gehörte seit der Umorganisation der römischen Reichs- verwaltung unter Diokletian Ende des 3. Jahrhunderts zur Provinz maxima Sequanorum, deren Zentralverwaltung in Besançon (F) lag.18

Aus spätrömischer Zeit sind nebst unserem Gebäude an- dere archäologische Zeugnisse aus dieser Region bekannt, welche auf eine verhältnismässig hohe Siedlungsdichte hinweisen und eine Besiedlungskontinuität von der Rö- merzeit ins Frühmittelalter nahelegen. In Avenches, das etwa 20 km westlich von Kallnach liegt, konnten im Ge- biet mit dem Flurnamen En Selley (Insula 56) Strukturen freigelegt werden, die auf metallurgische Tätigkeiten hin- weisen. Die Münzen und Keramikgegenstände datieren diese Befunde ins 3./4. Jahrhundert.19 Im Flur St.Martin wurde ein Gebäude im 4. bis 6. Jahrhundert wahrschein- lich landwirtschaftlich oder handwerklich genutzt.20 Im Theater von Avenches fand man die Reste eines Vertei- digungsgrabens, der für die Nutzung dieses Gebäudes bis ins 4. Jahrhundert spricht.21 Etwa 30 km nordöstlich von Kallnach konnte im Mittelschiff der Kirche Biel-Mett, das Grab eines höheren römischen Offiziers aus konstantini- scher Zeit freigelegt werden, dessen Grabbau im 5. Jahr- hundert zu einem Mausoleum umgebaut und schliesslich um 600 zu einer Kirche erweitert worden war.22 In Aeger- ten, etwa 1 km südlich davon, befand sich eine spätrömi- sche Befestigungsanlage, welche in die zweite Hälfte des

3. Historischer Rahmen

11 JbBHM 1981/82, 23f; AKB Bd.1, 197ff; Schnitte 1973 Kallnach- Nord 1972: 3; 1973: 4,5,14,15; Schnitte 1972 Kallnach West: 6/7, 8/9, 10/11, 12/13. Vergleiche auch: 004.001.2004.01 unpubliziert.

12 AKBE 3A 1994, 116ff.

13 Düll 1971.

14 Wie dies bei den meisten vici oder Kastellen in Augusta Raurica, Vindonissa, Petinesca und Aventicum oder auch bei Villen wie in Courroux der Fall ist. Siehe dazu Berger 1975, 152ff.

15 AKBE 4A 1999, 72.

16 Glatthard 1977, 113, 124, 150, 284 und 378; Ortsnamensbuch des Kantons Bern (Alter Kantonsteil) Dokumentation und Deutung 2. Teil 1990, 402f.

17 Das älteste Schriftdokument, das Kallnach erwähnt, datiert ins Jahr 1230, als ein gewisser Gottfried von Oltigen den Kirchensatz von Kallnach ans Bistum Lausanne vergabt: Bacher 1991, 12.

18 Maier 1975.

19 Blanc 1999, 25ff.

20 Blanc 2001, 84.

21 Blanc 2001, 85.

22 Von Kaenel 1978, 107ff.

(21)

basierten, als auf germanischen Sitten. Die östliche Ein- flussgrenze lag im 6./7. Jahrhundert ungefähr zwischen Solothurn und Bern. Gräberfelder östlich der Aare zeich- nen sich durch eine intensivere Beigabensitte aus. Inwie- weit es sich hier um eine Kulturgrenze oder um die Abren- zung eines Wirtschaftsraumes handelt, bleibt noch Gegen- stand zukünftiger Forschungen. Bei den meisten Fundstel- len im unmittelbaren Bereich westlich und östlich der Aare handelt es sich um alte Grabungen, welche nur rudimen- tär publiziert sind. Wichtige Gräberfelder, zum Beispiel das Gräberfeld von Bern-Bümpliz, dasjenige von Wah- lern-Elisried, sowie zahlreiche kleinere Fundstellen vom Oberland bis Solothurn, welche für die Untersuchung die- ser Gegend wichtig wären, stehen uns nur beschränkt zur Verfügung. Solange diese wichtigen Grabungen nicht auf- gearbeitet sind, kann über die Bedeutung der Kulturgrenze nur spekuliert werden.

In der späten Merowingerzeit kann ein Wechsel in den Be- stattungssitten auf einen Wandel in der Gesellschaft hin- weisen. Im Laufe des 8. Jahrhunderts wurde die Sitte, den Verstorbenen Beigaben ins Grab mitzugeben, durch die Christianisierung weitgehend aufgegeben. Im 7./8. Jahr- hundert begann die Tradition der Gründergräber, ausge- hend von der jeweiligen Oberschicht eines Dorfes, welche eine Kirche stiftete und sich infolgedessen eine Grablege ad sanctos, das heisst in nächster Nähe des Heiligenreli- quien enthaltenden Altars der Kirchen sicherte. Es ent- standen die ersten Pfarreien und Pfarrkirchen. Im Kapi- tular de partianibus Saxoniae Karls des Grossen aus den Jahren 775–790 wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, die Verstorbenen bei den Kirchen und nicht mehr auf den heidnischen Friedhöfen zu bestatten,33 was nichts anderes besagt, als dass die Tradition, die Toten auf den Gräber- feldern zu begraben, zu dieser Zeit noch vorkam. Die ka- rolingische Zehntenreform trug ferner dazu bei, dass die Leute ihre Toten bei jener Kirche bestatten durften, wo sie als Lebende ihre Abgaben bezahlt hatten.34

Diese Entwicklung ist ebenfalls für Kallnach anzuneh- men. Der Wechsel vom Gräberfeld am Bergweg zum Fried- hof eines Vorgängerbaus der heutigen, spätgotischen Kir- 4. Jahrhunderts (Valentinian I) zu datieren ist.23 Diese im

Grundriss doppelpilzförmige Anlage ist bautechnisch wie zeitlich denjenigen des Hochrheins (Mumpf und Sisseln AG) gleichzustellen und diente zum Schutz der sich hier kreuzenden Wasser- und Land-Verkehrswege.

Die spätrömische Herrschaftsstruktur konnte bis mindes- tens Ende des 4. Jahrhunderts beibehalten werden. Nach dem langsam beginnenden Rückzug der hier stationierten Truppenverbände ab dem frühen 5. Jahrhundert übernah- men Teile der germanischen Völker, welche zu römischen Bundesgenossen (foederati) geworden waren, den Schutz und wohl auch die Herrschaft über die Provinz maxima Sequanorum. Avenches war nach dieser Strukturänderung politisch vielleicht weniger wichtig, blieb aber ab Mitte des 6. Jahrhunderts immerhin Bischofssitz und somit weiterhin ein über das Seeland hinaus bedeutender Ort, der auch für die wirtschaftliche Existenz der Umgebung massgebend gewesen sein muss. Die Stadt wird durchgehend existiert haben.24 Dass Siedlungsspuren des 5. Jahrhunderts, das heisst eine Kontinuität vom Spätrömischen zum Frühmit- telalter, bisher nur an wenigen Stellen gefunden wurden, ist entweder ein reines Feldforschungsproblem25 oder könnte darauf zurückzuführen sein, dass sich die damalige Sied- lungstätigkeit in bisher noch nicht untersuchte Bereiche verlagert hat.26 Die Münzfunde sprechen klar für eine un- unterbrochene Besiedlung der Stadt.27 In epigraphischen Quellen jener Zeit wird Avenches genannt: in der Noticia Galliarum (Anfang 5. Jahrhundert) werden vier civitates der Provinz maxima Sequanorum, darunter Avenches, er- wähnt.28 Die Stadt muss weiterhin eine gewisse Wichtig- keit behalten haben, ansonsten wäre sie kaum im 6. Jahr- hundert – abwechselnd mit Windisch – zum Bischofsitz ge- worden.29 Vor dem 6. Jahrhundert wird in Avenches kein Bischof genannt,30 es konnte bisher auch archäologisch nicht die Präsenz eines Bischofs festgestellt werden. Erst Marius von Avenches wird in den Synoden des Jahres 585 in Mâcon als episcopus ecclesiae Aventicae erwähnt.31 Im Laufe des 7. Jahrhunderts muss der Bischofsitz von Aven- ches nach Lausanne verlegt worden sein.32 Es ist davon aus- zugehen, dass sich die Bevölkerung der Gegend um Kall- nach im Einflussbereich dieses Bistums befand.

Ab dem 6. Jahrhundert wird die Bevölkerung westlich der Aare als romani bezeichnet. Dieses Gebiet ist Teil des sogenannten fränkischen Teilreiches Burgund. Das Bur- gundische Königreich hatte als Teil des Fränkischen Rei- ches seit dem 5. Jahrhundert seinen Hauptsitz im Rhonetal (443–534 in Genf und danach in Lyon). Die Westschweiz gehörte nach der Reorganisation von 561 (nach dem Tode Chlothars I.) zusammen mit dem grössten Teil des ehe- mals burgundischen Königreichs zum neu geschaffenen Teilreich Burgund, dem fränkischen regnum Burgundiae.

Die im burgundischen Bereich fortlebenden römischen In- stitutionen wurden vielfach beibehalten. Dies zeigt sich an- hand der im Kernbereich der burgundischen Gebiete sicht- baren Geschlossenheit in der Beigabentradition, welche weit mehr auf Traditionen der romanischen Bevölkerung

23 Bacher 1990, 65ff.

24 Matter 1999, 194 sowie Blanc 2001, 82ff.

25 Bis vor nicht allzu langer Zeit hat sich die feldarchäologische For- schung in Avenches stark auf die Freilegung der «römischen» Struk- turen konzentriert. In letzter Zeit häufen sich dann – nicht überra- schend – die Befunde zu spätrömischer Besiedelung. Arculinana und AS 2001, 82ff. siehe zu diesem Thema auch: Gutscher 2003, 164.

26 Ebd.

27 Museum Helveticum 1990, 170f.

28 Museum Helveticum 1990, 165.

29 Chevalley/Favrod 1992, 63ff.

30 Chevalley/Favrod 1992, passim.

31 Pontal 1986, 37, 163, 316; Mo. Germ. Conc. I, 70, 172ff.

32 647 wird in den Synoden von Mâcon Arricius als Bischof von Lau- sanne genannt. Museum Helveticum 1990, 168.

33 «Iubemus ut corpora christianorum Saxorum ad cimiteri a ecclesiae deferantur et non ad tumulos paganorum» aus Capitularia Regum Francorum Bd. 1, 69.

34 Capitularia Regum Francorum Bd. 2, 331f.

(22)

che, welche sich etwa 600 m südlich unseres Grabungsa- reals befindet, wird aufgrund der Datierung der jüngsten Bestattungen am Bergweg im Laufe des 10. Jahrhunderts stattgefunden haben. Der Wechsel der Bestattungsorte und die Christianisierung der Bevölkerung wird nicht schlag- artig stattgefunden haben, sondern eine sukzessive Ent- wicklung darstellen. Die heutige Kirche von Kallnach – bislang nicht archäologisch erforscht – weist die Jahres- zahl 1607 auf, man muss jedoch davon ausgehen, dass sie eine Anzahl Vorgängerbauten aufweist, unter anderem auch die urkundlich überlieferte mittelalterliche Marga- rethenkapelle.

Zusammenfassend können wir festhalten, dass sich Kall- nach in spätantiker Zeit in einer zweifach privilegierten Ge- gend befand: Einerseits in geographischer Hinsicht durch die Nähe zu Avenches (civitas Helvetiorum) und anderer-

seits von der militärischen Disposition her (Aegerten, Be- festigungsanlage).

Ebenfalls für das Frühmittelalter können wir – anhand der im Vergleich zu anderen Gräberfeldern der Umge- bung wertvollen und vielfältigen Beigaben – einen gewis- sen Reichtum der Bevölkerung postulieren, oder zumin- dest davon ausgehen, dass sie durch die Nähe zum Bischofs- sitz, über ausreichende Möglichkeiten verfügten, wertvolle Trachtbestandteile zu erwerben. Eine Siedlungskontinui- tät von der römischen Zeit bis heute kann zwar noch nicht durchgehend nachvollzogen werden, ist aber anzunehmen.

Die Bedeutung der römischen Strasse durchs Seeland ist noch heute vorhanden, da durch die Reihung der Bauern- häuser auf 2,3 km Länge entlang der Hauptstrasse, das Dorf Kallnach zu einem der längsten Strassendörfer der Schweiz geworden ist.

464.50

«Gässli»

«Bergweg»

208 000

584 000

456.00 müM

470

460 450

480

Lage der römischen Gebäude:

Bergweg 3.– 4. Jh.

Gässli 2.– 3. Jh.

Sondierungen: Negativbefund Römische Strasse

postulierte römische Strasse

Abb. 10: Kallnach, Bergweg. Lage der beiden römischen Gebäude «Bergweg» und «Gässli» im Gelände. Eine Ausdehnung des spätrömischen Gebäudes nach Norden und Westen ist anzunehmen. M. 1: 5000.

(23)

4.1 Der Grundriss

Zwischen den Gräbern bzw. unter dem aktuellen Humus fanden sich Mauerreste, die sich mehrheitlich als zu einer einheitlichen Gebäudestruktur der Römerzeit gehörig er- wies (Abb. 10, 13). Die frühmittelalterlichen Gräber, ein nachantiker und vermutlich bis in die Neuzeit dauernder Steinabtrag, sowie landwirtschaftliche Eingriffe haben die archäologischen Kulturschichten vermischt und die Mau- ern stark dezimiert. Ungestörte, rein römische Bereiche mit den entsprechenden Schichtpaketen konnten nicht mehr nachgewiesen werden. Von den Mauern waren bloss noch vereinzelte Fundamentlagen erhalten. Nach Norden hin wa- ren die Mauern am stärksten abgetragen und nur noch als Mauergruben erkennbar oder durch Mörtelkonzentrationen lokalisierbar. Das römische Gebäude wies eine Mindest- grösse von 20 × 25 m auf, der Gesamtgrundriss ist bisher nicht erfasst. Er wird weite Teile der Terrasse beansprucht haben (Abb. 10). In Sondierungen südlich der Grabungs- fläche wurden keine römischen Mauern mehr festgestellt.

Das Gebäude wird sich wohl vor allem nach Westen und Südwesten hin ausgedehnt haben.

4.1.1 Die Mauern

Die fünf freigelegten Mauern (M 1–5) wiesen durchgehend eine ähnliche Bauart auf, soweit sich dies im erhaltenen Fundamentbereich überhaupt beurteilen liess. Die Rollie- rung aus unterschiedlich grossen Geröllsteinen war einla- gig und trocken, d.h. ohne Mörtel in die Fundamentgrä- ben gelegt und mit einer etwa 2 cm dicken Mörtelschicht bedeckt worden. Die zweischalige Mauer mit eingeleg- tem Kern wurde aus Bruch- und Geröllsteinen frei ge- mauert. Teilweise waren auch gehäuptete Steine zu sehen.

Der aufgehende Teil der Mauern und die Fundamente wie- sen eine einheitliche Breite von 60 cm auf. An einzelnen Stellen war die Rollierung 90 cm breit. Mauer (M 3) wies mit fünf sichtbaren Lagen die höchst erhaltene Stelle auf (Qm 16/64; 456,45 müM). Zwischen jeder Steinlage wurde eine beachtliche Schicht Mörtel aufgetragen (Abb. 11). Die frei aufgeführten Mauern wiesen an ihren Wänden zum Teil Verputzreste (M 2) auf. Es ist anzunehmen, dass der damit versehene Bereich bereits zum aufgehenden Mauer- werk gehörte, was – zumindest im beobachteten Bereich – auf ein geringes Fundament von nur zwei bis drei Lagen

4. Das spätrömische Gebäude

Abb. 11: Kallnach, Bergweg. Ansicht des Fundamentes der Mauer (M 2). Auffallend ist die massive Verwendung von Mörtel in den unters- ten Fundamentlagen. Die Rollierung wurde trocken verlegt.

6.05 6.26

6.37 6.22

456.13

6.22 UK

455.86 6.45

6.24

6.01

UK 455.89

5.99 6.32

M1

M3

62 64

18

16

0 2m

N

Abb. 12: Kallnach, Bergweg. Die Rollierung der Mauern (M 1) und (M 3) wurde im Verband verlegt, das Fundament darüber scheint etap- piert gebaut worden zu sein. M. 1:50.

(24)

hinweisen würde. Die Mauern lieferten uns keine Hin- weise auf eine Mehrphasigkeit, das heisst für nachträgliche Um- und Anbauten. Die Stossfugen zwischen den Mauern (M 1 und M 3) waren offensichtlich nur bautechnisch be- dingt, da die Rollierung beider Mauern durchgehend verlief (Abb. 12). Dass es sich bei den vorgefundenen Fundamen- ten eventuell bloss um Sockelfundamente für einen Holz- bau handelte, konnte nicht ausgeschlossen werden.

4.1.2 Die Räume

Die freigelegten Mauern liessen fünf Räume erkennen (vgl. Abb. 13). Raum II wies eine Ausdehnung von etwa 8 × 6,5 m auf. Die Räume I und III schienen eine ähnliche Grösse von ca 7 × 7 m aufzuweisen, obwohl sie nicht voll- ständig freigelegt wurden. Raum V wies die grösste Kon- zentration an frühmittelalterlichen Gräbern auf, was eine massive Störung der römischen Befunde mit sich brachte. In diesem Raum könnten einst zusätzliche Unterteilungen aus

60 70

10

0 5m

208 060

208 030

584 470

N

20 30

M2 M4

M4

M3 M3

M5

K1

F1

M1

I

II

IV

III

V

UK 456.80 456.80

UK 456.79

456.39 UK 455.89 456.45 UK 455.85 UK 455.84

455.90 456.18

456.88

456.74

456.07

455.85 UK

455.64

456.00

456.85 UK

456.59 UK 456.42

UK 455.95

UK 455.86 456.22

456.68 456.57

Abb. 13: Kallnach, Bergweg. Grundriss des römischen Gebäudes mit Mauerresten oder Mauergruben, die Herdstelle (F 1) und der Kanal (K 1).

Der Verlauf der Mauern war zum Teil nur Dank einer übriggebliebenen Mörtelkonzentration oder des noch sichtbaren Mauergrabens rekonstruier- bar. M. 1:150.

(25)

Stein oder aus Holz existiert haben, die jedoch unterdes- sen zerstört worden sind. Die vielen in den durchmischten Kulturschichten gefundenen Ziegel deuten darauf hin, dass Teile des Daches mit Leisten- (tegulae) und Halbrundzie- geln (imbrices) überdeckt gewesen sein müssen.

Hinweise auf die Funktion wenigstens eines Raumes er- hielten wir durch die Herdstelle F1 in Raum V. Sie lag etwa zwei Meter von der Mauer (M 5) entfernt (Qm 26–

27/71–72) und muss frei im Raum gelegen haben, das heisst von allen Seiten her zugänglich gewesen sein (Abb. 14).

Sie wies die gleiche Orientierung auf wie die Gebäude- achsen und wurde stark gestört vorgefunden, da sie un- mittelbar unter dem Humus lag und von den Gräbern 2 und 3 angeschnitten worden war (Abb. 15). Erhalten wa- ren fragmentierte, 60 × 60 cm messende, 5 cm dicke Bo- denplatten, (suspensura) welche auf der nordöstlichen Seite von vier hochkannt gestellten kleineren Bodenplat- ten eingefasst waren. Vor der Herdstelle lagen die Reste zweier oberster Hypokaustpfeiler- oder Suspensuraplatten (50 × 50 cm × 5 cm), welche praktisch keine Brandspuren aufwiesen und eventuell als Arbeitsplatz zum Bereitstellen der Kochtöpfe oder Wegräumen der Asche gedient haben.35 Als Untergrund der Feuerstelle war nach Entfernung der Tonplatten eine brandgerötete Lehmschicht zu sehen. Die Feuerstelle lag auf 456 müM, das heisst ungefähr 40 cm hö- her als die Rollierung der Mauer (M 5). Wird eine Ebener- digkeit der Feuerstelle vorausgesetzt, können wir dies mit der Höhe des damaligen Gehniveaus dieses Raumes gleich- setzen. Dieses lag aber nur knapp unter dem Humus und wurde deshalb durch die landwirtschaftlichen Tätigkei- ten weitgehend zerstört. Es ist möglich, dass es sich beim Raum V um eine Küche des Gebäudes handelt. Bekräf- tigt wird diese Annahme durch das Fragment eines Mahl- steins (Läufer) aus vulkanischem Gestein, der etwa 3,5 m von der Feuerstelle entfernt lag. Ebenfalls in den Zusam- menhang einer Küche passt ein Kanal (K 1) aus Geröll- steinen,36 der sich noch auf einer Länge von zwei Metern

(Qm 27–28/68) nachweisen liess. Er könnte einst für die Frischwasserzufuhr der Küche angelegt worden sein (Abb. 16). Der 50 cm breite Graben für diese Leitung war etwa 30 cm tief in den anstehenden Boden eingetieft. Die Wände waren mit Bruch- und Geröllsteinen verstärkt wor- den. Es ist anzunehmen, dass der Kanal einst eine Leitung – eventuell aus Holz oder Blei – enthielt und gedeckt war.

Man muss davon ausgehen, dass die Wasserleitung einst das gesamte Gebäude durchquerte.

5.98 5.96

5.99 5.99 455.98

5.97

6.00 6.02

6.02

6.00

26 6.11

28

72

0 2m

N

Abb. 14: Kallnach, Bergweg. Die Reste der römischen Herdstelle (F 1)

mit Rekonstruktionsschattierung. M. 1:50. Abb. 15: Kallnach, Bergweg. Einzelne Tonplatten der Herdstelle schei- nen einer massiven Hitze ausgesetzt gewesen zu sein.

28 68

0 1m

5.98 5.80

5.76 455.88

5.89

N

Abb. 16: Kallnach, Bergweg. Die Reste des römischen Kanals (K 1).

Als Sohle wurde der gewachsene Boden benutzt. Es ist anzunehmen, dass einst eine Leitung aus Holz oder Blei darin verlegt worden war.

M. 1:50.

35 Eine sehr ähnliche Herdstelle wurde in Avenches in der insula 56 im spätrömischen Teil (Phase 3) freigelegt. Bulletin de l’association Pro Aventico 41, 1999, 33f.

36 Es ist nicht ganz auszuschliessen, dass es sich bei dieser Struktur auch um eine Verkeilung eines Schwellbalkens handeln könnte. Da die Ausgräber diese Struktur ausschliesslich als Kanal bezeichneten wird dieser Interpretation den Vorrang gegeben.

(26)

4.2 Deutung und Datierung der Befunde

Eine spätantike Mansio

Die Datierung des römischen Gebäudes erfolgte aus- schliesslich anhand des Fundmaterials, hauptsächlich der Keramik (siehe Kallnach–Gässli).37 Die ältesten Gefäss- formen (z.b. Chenet 320) datieren ins Ende des 3. Jahrhun- derts, ungefähr in jene Zeit, als der einige hundert Meter weit entfernte Gutshof Gässli bereits aufgegeben war (Vgl.

Abb. 10). Ob die beiden Gebäude zu einem weitläufigen Komplex ein und desselben Betriebes gehört haben, ist un- gewiss. Von der Datierung der Funde beider Grabungen her lösten sie einander zeitlich ab. Spätestens im 4. Jahrhundert existierte nur noch das Gebäude am Bergweg.

Es gibt verschiedene Hinweise dafür, dass es sich beim Gebäude am Bergweg um ein öffentliches Gebäude han- delte. Es sind dies, nebst der Lage in unmittelbarer Nähe zur Strasse, der Reichtum der Besitzer, bezeugt einerseits durch viele Importstücke sowohl in der Gebrauchskera- mik als auch bei den Amphoren. Das Spektrum der Ke- ramiktypen reicht von rheinländischer Argonnensigillata, über braune Nigra, burgundischer und eventuell einheimi- scher Glanztonkeramik bis zu den über das Rhonetal im- portierten iberischen und afrikanisch/vorderasiatischen Amphoren. Die Menge an Importkeramik ist beachtlich und spricht für ein wichtiges Beziehungsnetz der Bewoh- ner des Gebäudes.

Der Münzhort besteht aus über 4000 Münzen,38 welche sich vorwiegend aus Kleinnominalen aes III (Bronzemün- zen) des 4. Jahrhunderts zusammensetzen.39 Das Fehlen von solidi (Goldmünzen) und silique (Silbermünzen) in diesem Münzdepot könnte eher den Eindruck einer Kasse als eines Hortes erwecken. Das Gros des Fundes verteilt sich dabei hauptsächlich auf die Jahre 330–350 n. Chr.

(jüngste Münze: Constantius II maiorina 353–355).

Der öffentliche Charakter unseres Gebäudes wird auch durch das Vorhandensein von fünf gestempelten tegulae der legio I Martia belegt. (Abb. 17). Da sich die Verbrei- tung solcher gestempelter Ziegel hauptsächlich auf öffent- liche Gebäude beschränkt,40 könnte dies ein Argument sein, für das Gebäude von Kallnach einen öffentlichen Zweck zu postulieren. Es ist deshalb anzunehmen, dass es sich bei unserem Bau um eine mansio (Raststätte), muta- tio (Pferdewechselstation)41 oder um eine statio (militäri- scher Posten, Beneficiar- oder Strassenstation) handelte.42 Die Begriffe mansio, mutatio und statio können als Tages- etappenort betrachtet werden, die manchmal auch an ei- nem wichtigen Verkehrsknotenpunkt gelegen haben. Sie dienten sowohl als Raststätte für vorbeiziehende Truppen als auch für den staatlich organisierten Kurier- und Trans- portdienst (cursus publicus). Zudem konnten sie auch als Zollstation oder als Abgabeort der von der Bevölkerung jährlich zu leistenden Getreideabgaben (annona militaris)

funktioniert haben. In regelmässigen Abständen angelegt, dienten sogenannte stationes der Überwachung der Ver- kehrswege für den Reise- und Güterverkehr.43 Es wurden hierzulande noch zu wenige mansiones, mutationes oder stationes eindeutig, das heisst auch inschriftlich als solche identifiziert, dass man durch einen Vergleich der Grund- risse darauf schliessen könnte; dafür müsste zudem mehr vom Gebäude erhalten sein als dies hier der Fall ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dem Gebäude in Kall- nach um ein öffentliches Gebäude handelte, ist sehr gross;

einzig die Frage mit welcher Bezeichnung man es betiteln will, bleibt Spekulation. So wird der Ausdruck mansio wohl für den Moment der neutralste sein.

Einer zusätzlichen Beschäftigung, welcher die Bewohner dieses Gebäudes nachgingen, betrifft die Wiederverwer- tung von Materialien. Die Funde (siehe Kallnach Gässli) enthielten zahlreiche Objekte, die auf das Recyclen von Gegenständen hinwiesen (Abb. 18). So fanden sich jeweils in kleinen Mengen Bronzegussfragmente, geschmolzenes

Abb. 17: Kallnach, Bergweg. Tegula mit Legionsstempel der Legio I Martia.

37 In Vorbereitung. Das Fundmaterial vom spätrömischen Gebäude am Bergweg wird im Band: Der Gutshof von Kallnach-Gässli publi- ziert.

38 2700 Münzen stammen von den Ausgrabungen 1988/89, 1500 Mün- zen sind Altfunde des Historischen Museums Bern. Der ganze Kom- plex entspricht etwa 6 kg Kupfer. Siehe dazu König1990, 164ff.

39 Zur Benennung der spätrömischen Münzen siehe: Frey-Kupper 2002, 103.

40 Fellmann 1998, 95ff.

41 Begriffe wie mansio und mutatio als reale Gebäudebezeichnungen scheinen erst ab Beginn des 4. Jahrhunderts aufzukommen (Bender 1975, 19).

42 Andere bekannte Bezeichnungen für Raststätten sind: taberna, pra- etorium, deversorium und stabulum.

43 Kaenel 1975, 111f; Bender 1975, 25; 1978, 6.

(27)

Glas von Gefässen des 2. Jahrhunderts, Mosaiksteine und Steinartefakte. Eine Analyse dieser Funde weist darauf hin, dass zahlreiche Gegenstände vom kaiserzeitlichen Guts- hof Gässli stammen. Aufgrund der eher geringen Men- gen, wurde kein gewerbliches Recycling betrieben, son- dern nur sporadisch und in kleinen Mengen Material ver- wertet. Grössere Mörtelfragmente, welche nicht vom spät- römischen Gutshof stammten, könnten zudem hergebracht worden sein, um als Drainage die Feuchtigkeit unter den Böden abzuweisen. Das Wiederverwenden von Altmate- rial schien in der spätrömischen Zeit durchaus üblich ge- wesen zu sein, wie wir dies zum Beispiel in Vallon VD be- obachten können.44

Das Vergraben oder Verstecken des Münzkomplexes (Sammlung oder Einnahmen) sowie die Tatsache, dass der Besitzer diesen nicht mehr bergen konnte, weist auf ein abruptes Verlassen des Gebäudes hin. Dies wird, an- hand der jüngsten Münzen und der Datierung der Keramik, Mitte des 4. bis Anfang des 5. Jahrhunderts gewesen sein.

Die Ausgräber haben in einigen Bereichen der Grabung

Brandspuren entdeckt, die mit der Zerstörung des Gebäu- des oder zumindest diesem Gebäudeteil zusammenhängen könnten.45 Es ist nicht auszuschliessen, dass gewisse Teile des Gebäudes danach noch bewohnt wurden.

Eine Kontinuität in der Besiedlung von Kallnach von der Spätantike bis ins Frühmittelalter ist momentan nicht be- legbar, sollte jedoch auf keinen Fall ausgeschlossen wer- den. Solange noch weite Teile des römischen Gebäudes und des frühmittelalterlichen Gräberfeldes im Boden lie- gen, ist es eine Frage der Zeit, dass sich die entsprechen- den Siedlungslücken schliessen.

Abb. 18: Kallnach, Bergweg. Eine Auswahl an Funden, welche Hinweise über Recyclingsaktivitäten liefern. Einerseits wurden Glasfragmente des 2. Jahrhunderts geschmolzen, andererseits weisen Bronzegussrückstände auf eine bescheidene Metallverarbeitung hin. Wofür die Mosaiksteine und die Marmorfragmente verwendet worden sind, bleibt dahingestellt.

44 Fuchs 2002, 61ff.

45 In Raum II entlang der Mauer (M 1) konnte im Dok. Niv. 1 Abst. 2 eine Ansammlung von Holzkohle, verbranntem Mörtel und Tierkno- chen freigelegt werden. (Qm 18/63). Ebenfalls im Raum V Qm 28–

29/65–67 breitet sich eine stark holzkohlehaltige Schicht aus. Auch die Münzen zeigen z.T. eine Brandeinwirkung. Ein grossflächiger Brandhorizont fehlt.

(28)

5.1 Lage und Ausdehnung

Das frühmittelalterliche Gräberfeld bestand aus 155 Körpergräbern und einer Grabkammer (memoria) und wurde in den Ruinen des spätantiken Gebäudes angelegt (Abb. 20). Da an den Grabungsgrenzen sowie in den süd- und nordöstlichen Werkleitungsgräben ebenfalls Gräber angeschnitten wurden, kann man davon ausgehen, dass bisher nur ein Teil des Gräberfeldes freigelegt worden ist.

Das Gräberfeld dehnte sich auf einer Fläche von mindes- tens 1200 m2 aus. Die Verteilung der Gräber zeigte eine Zweiteilung der Belegungsdichte. Wir unterschieden zwi- schen einer zentralen Zone mit zahlreichen Gräbern, die durch Überschneidungen und Wiederbestattungen charak- terisiert war (Raum V) und einem äusseren Teil, der ver- streut liegende Gräber mit grosszügigen Abständen zwi- schen den einzelnen Bestattungen aufwies (nordöstliche Werkleitungen, Abb. 19).

Das Anlegen eines Gräberfeldes in römischen Ruinen ist im frühen Mittelalter im schweizerischen Mittelland eine sehr häufig anzutreffende Erscheinung. Die Gründe hier- für finden sich wohl im kultischen wie auch im praktischen Bereich. Die mit Ruinen und einem Steinversturz bedeckte Terrasse war für landwirtschaftliche Zwecke unbrauchbar.

Gewisse Mauern müssen im Frühmittelalter bereits recht stark abgetragen gewesen sein (Mauer M 4), da einzelne Gräber nicht an deren Front, sondern über deren Funda- ment lagen (Gräber 133, 135, 137 usw.).46 Es ist anzuneh- men, dass das Abtragen der Mauern schon vor oder wäh- rend der Anlegung des Gräberfeldes stattgefunden hat. Ein kleiner Teil des Abbruchmaterials wurde für die Steinum- fassungen der Gräber benutzt. Wofür das übrige Steinma- terial verwendet worden ist, bleibt unbekannt.47

Die Siedlung der hier bestatteten Bevölkerung konnte bis- her nicht lokalisiert werden. Die wenigen bekannten Sied- lungsreste des frühen Mittelalters zeigen uns, dass sol- che Dörfer meistens unmittelbar an die Gräberfelder an- grenzen (z.B. Niederwangen, Ins oder Berslingen SH). Sie zeigen uns ebenfalls, dass diese Wohn- und Wirtschafts- häuser immer aus Holz gebaut worden sind (Pfostenbau- ten) bzw. über Gruben lagen (Grubenhäuser). Der Wech- sel vom Stein- zum Holzbau lässt vielfach ebenfalls ei- nen Wechsel in der Siedlungslage vermuten. Es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass weiterhin gewisse Bereiche der römischen Gebäude bewohnt waren,48 vielfach könn- ten Pfostenlöcher in den römischen Abbruchschichten auf eine nachrömische Besiedlung hinweisen. Eine entspre-

chende Schichterhaltung ist dazu allerdings die Voraus- setzung, was in Kallnach bekanntlich nicht erfüllt ist.49 Die neue Siedlungsform zeigt, dass zwar immer noch die gleichen Orte besiedelt worden sind, jedoch mit einer lo- kalen Verschiebung zu rechnen ist. In diesem Fall wurden nun Gräberfelder in den in römischer Zeit besiedelten Plät- zen angelegt. Da wir uns in der hier untersuchten Fläche mitten im Gräberfeld befanden, müssen wir davon ausge- hen, dass sich das Dorf auf einem bisher noch nicht unter- suchten Bereich der Terrasse oder des Hügels befand oder dass das ehemalige Dorf unter nun überbautem Gebiet lag.

Der Wechsel in den heutigen Dorfkern wäre die nahelie- gendste Hypothese, deren archäologischer Nachweis aller- dings noch aussteht.

5. Das frühmittelalterliche Gräberfeld

G 111

G 116

G 110

Abb. 19: Kallnach, Bergweg. Die Gräber 110, 111, 116 als Beispiel für die Gräberdichte.

46 Es ist nicht anzunehmen, dass die Grabgruben durch die Mauern hin- durch ausgehoben worden sind.

47 Dies ist eine Beobachtung, die an vielen frühmittelalterlichen Gräber- feldern, welche in römischen Ruinen liegen, gemacht werden kann.

Da im Frühmittelalter die Hauskonstruktionen aus Holz waren, weiss man nicht für was das entfernte Steinmaterial gebraucht worden ist.

Wurden etwa Wege damit ausgebessert?

48 Wie zum Beispiel im römischen Gutshof von Orbe, Pfostenlöcher und Flickstellen in der Pars urbana auf eine spätere Besiedlung hinwei- sen. Monnier 2002, 41f.

49 Römische Villa von Vallon, Guides archéologiques de la Suisse 30, 44f.

(29)

G 156

G 155 G 154

G 153

G 152

G 110 20 G 151

G 150

G 149

G 148 G 147

G 146

G 145

G 144 G 143

G 142 G 141 G 140a

G 139

G 138 G 137

G 136 G 135

G 127 G 134

G 133

G 132 G 131

G 130

G 129

G 128 G 126

G 67/125

G 124G 123

G 120

G 119 G 117

G 116

G 115 G 114

G 112

G 109

G 108 G 106

G 105 G 104

G 101 G 102 G 103

G 100

G 99 G 98

G 60

G 97 G 82

G 96

G 94

G 90 G 91 G 86

G 81 G 31

G 76/92 G 75 G 58

G 72

G 68 G 65

G 64

G 63/

47/118 G 62

G 61/107 G 59

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G 29

G 49 G 48

G 45 G 41 G 42

G 40

G 39 G 38

G 35 G 34 G 27 G 33

G 4 G 32

G 28 G 30

G 26

G 24 G 21

G 20 G 19

G 18

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G 16

G 15

G 14 G 10 G 9

G 5 G 11

G 3

G 2 G 1

G 79 G 111

G 73

G 46/78 G 77/113

I III II

V IV

60

70

80

10 20 30

0 5 10m

N

Abb. 20: Kallnach, Bergweg. Das frühmittelalterliche Gräberfeld; Lage der Körpergräber, postulierte Lage des Sakralbaus. I–V : Räume des ab- gegangenen römischen Gebäudes. M. 1: 150.

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