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A2874 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4325. Oktober 2002
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as kann ich auch!“ – oder: „Das macht ja mein Dreijähriger bes- ser.“ Welcher ungegenständ- lich, vor allem informell arbei- tende Künstler hat sich diesen Satz noch nicht anhören müs- sen. Bruno H. wird mit sol- chen Vorwürfen nicht kon- frontiert, er wird für seine Zeichnungen mit Lob be- dacht. Bruno H. war knapp vierzig Jahre alt, als die Zeich- nung entstand. Er lebt seit ei- nigen Monaten in einem Heim für geistig Behinderte aufgrund einer Mikrozepha- lie, einer angeborenen, krank- haften Verkleinerung von Umfang und Inhalt seines Schädels im Vergleich zu den altersentsprechenden Grö- ßenverhältnissen der übrigen Körperteile. Bis zu seiner Auf- nahme in das Heim lebte er mit seiner Mutter in einem kleinen Dorf, wo er ausrei- chend gut integriert gewesen sein soll. Infolge des hohen Alters und einer Erkrankung der Mutter wurde die Aufnah- me in ein Heim notwendig.Bruno H. kann sich sprach- lich nicht verständlich ma-
chen; er bringt nur unzusam- menhängende Laute hervor.
Bei den Verrichtungen des täglichen Lebens ist er auf Hilfe angewiesen. Konkrete Aufforderungen versteht er nicht dem Wortsinne nach, durch geduldige Zusprache und praktische Anleitung kann er jedoch beeinflusst werden, beispielsweise zum Zeichnen angeleitet werden.
In der Beschäftigungs- und Maltherapie schien er sich spontan wohl zu fühlen. Von Anfang an fertigte er täglich mehrere Zeichnungen an, wobei er eine erstaunliche Ausdauer zeigte. Seine Zeich- nungen wirken spontan, frisch, lebendig, manchmal auch fahrig-unruhig. Vom Hieb- und Schwingkritzeln, wie aus Kinderzeichnungen bekannt, bis zu Kreisformen reicht sein Formenrepertoire.
Es lässt sich mit den bildneri- schen Möglichkeiten eines zwei- bis zweieinhalbjährigen Kindes vergleichen, weist aber eine vergleichbar größe- re Dynamik und eine stets flächenfüllende Gestaltungs- weise auf.
Kunst und Psyche
Anfänge des Zeichnens
„ohne Titel“, Buntstifte auf Papier, 43 cm × 61 cm, 1983
Foto:Eberhard Hahne
Biografie Bruno H.:Geboren 1943.Angeborene Mikrozephalie. Lebt seit 1983 in ei- nem Heim für geistig Behinderte, wo er unter Anleitung zu zeichnen begann.
Literatur
Kraft H: Grenzgänger zwischen Kunst und Psychiatrie. Köln: DuMont 1998.
Schuster M: Kinderzeichnungen. München, Basel: Ernst Reinhardt Verlag 2001.
Es geht hier um die Anfän- ge des Zeichnens, besonders hinsichtlich der minimalen Unterschiede zu Kinder- zeichnungen. Dass wir in die- sen Bildern ästhetische Qua- litäten wahrnehmen können, verdanken wir der Schulung unseres Sehens – vor allem durch informelle Künstler,
wie zum Beispiel Peter Brü- ning, Jackson Pollock oder Georges Matthieu bis hin zu einem Künstler der Gegen- wart wie Cy Twombly. Für ih- re Arbeiten ernteten sie an- fänglich Hohn und Spott – heute gehören sie zu den ge- fragten Protagonisten des Kunstmarkts. Hartmut Kraft
Die Opernhäuser ächzen nicht nur unter den leidigen Finanz- problemen. Manchen von ih- nen steht zu Saisonbeginn das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes sogar bis zum Hals – die Semperoper in Dresden ist das prominenteste Opfer der Flutkatastrophe dieses Som- mers. Gleichwohl beginnt die Spielzeit – auch in den Tem- peln der Hochkultur gilt näm- lich: The show must go on!
„Siegfried“ in Dresden Als Nachhall der Jahrtau- sendwende sehen einige lau- fende Projekte ihrer Vollen- dung entgegen. Zwei davon mit einer besonderen Hypo- thek belastet: Hochwasserbe- dingt Dresden, wo man „Sieg- fried“ am 10. November und
„Götterdämmerung“ am 23.
März 2003 eher skeptisch ent- gegensieht. Und München, wo man nun auf den Einstieg von David Alden gespannt sein darf, der unter anderem mit „Siegfried“ (3. Novem- ber) und „Götterdämme- rung“ (28. Februar 2003) wei- termachen wird.
Der „Fliegende Holländer“
geht dutzendweise an Land.
Neben Mannheim , Bonn und Kiel wird auf jeden Fall Würz- burg im Mittelpunkt der Medi- en stehen. Denn dort wird die 23-jährige Wagner-Urenkelin Katharina als Regisseurin de- bütieren. Neben Bonn (23. Fe- burar 2003) wird sich aber auch die Berliner Lindenoper (5. Juni 2003) der „Ariadne“
annehmen, und an der Deut- schen Oper lässt Achim Freyer
„Salome“ tanzen.
Mozart ist immer eine un- verzichtbare Säule des Re- pertoires. So inszeniert in Amsterdam Hausherr Pierre Audi einen Titus (am 2. De- zember). Auch aus dem Serail wird reichlich entführt, unter anderem in Zürich (22. Juni 2003) und in München (15. Ja- nuar 2003). Verdi steht eben- falls wieder auf dem Pro- gramm. Spannend dürfte es zum Beispiel in Hannover (8. März 2003) werden, wenn der Katalane Calixto Bieito
„Il Trovatore“ inszeniert. Peter Musbach und Daniel Baren- boim werden an der Linden- oper in Berlin mit „Traviata“
glänzen (12.April 2003).
Erstaunlicherweise wird Rossini die Sache von ambi- tionierten jungen Regisseu- ren: In Luzern nimmt sich Sebastian Baumgarten (21.
Februar 2003) dessen selten gespielten „Moses und Pha- rao“ vor und in Weimar Thi- lo Reinhardt (25. Januar 2003) den „Barbiere“ – bei- de Schüler von Ruth Berg- haus. Belcanto wird in Zürich Donizettis „Maria Stuarda“ mit der Gruberova (am 7. Dezember) auf- führen. In Leipzig wird sich mit Bellinis „Sonnambula“
(5. April 2003) zeigen, ob Henry Meyer die Belcanto- fans zu beeindrucken ver- mag. Auch fürs Regietheater längst entdeckt ist Bellinis
„Norma“: Robert Schuster wird sie in Basel (19. Dezem- ber) und Werner Schroeter in Düsseldorf (16. Mai 2003) herausbringen. Weitere In- formationen: www.opernbase.
com Dr. Joachim Lange