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Archiv "Advanced Trauma Life Support: Mit Blaulicht in die Sackgasse?" (25.06.2004)

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T H E M E N D E R Z E I T

A

A1874 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2625. Juni 2004

entwickeln. Damit wäre ein Großteil der genannten Probleme beseitigt.

Epidemiologische Daten zeigen, dass bereits die Schulbildung enormen Ein- fluss auf die Prävalenz kardialer Risiko- faktoren wie Übergewicht, Hypertonie, Diabetes und Nikotinmissbrauch hat (2).

Vielleicht sollten gerade ambitionierte Ärzte deshalb einen Teil ihrer Zeit – statt mit der Durchführung einer neuen Me- dikamentenstudie – mit der Abhaltung einer Stunde Schulunterricht zum Thema Gesundheit verbringen. Neben dem primär präventiven Nutzen würde es vielleicht dazu führen, besser informierte Patienten zukünftig auch besser in Thera- pieentscheidungsprozesse einzubinden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 1870–1874 [Heft 26]

Literatur

1. Anonymous: Effects of an angiotensin-converting- enzyme inhibitor, ramipril, on cardiovascular events in high-risk patients. New Engl J Med 2000; 342:

145–153.

2. Anonymous: Heart disease and stroke statistics–2003 update. http://www. americanheart.org.

3. Anonymous: Major outcomes in high risk hypertensive patients randomized to angiotensin-converting en- zyme inhibitor or calcium channel blocker vs. diuretic:

the Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to prevent Heart Attack Trial (ALLHAT). JAMA 2002;

288: 2981–2997.

4. Bayes T: An essay towards solving a problem in the doctrine of chances. Philosophical Transactions of the Royal Society of London 1763, 1764; 53: 376–399;

54: 298–310.

5. Beck-Bornhold HP, Dubben HH: Der Schein der Wei- sen. Hamburg: rororo-science 2003.

6. Downs JR, Clearfield M, Weis S et al.: Primary pre- vention of acute coronary events with lovastatin in men and women with average cholesterol levels.

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8. Moss AJ: Implantable cardioverter defibrillator thera- py. The sickest patients benefit the most. Circulation 2000; 101: 1638–1640.

9. Moss AJ, Hall WJ, Cannom DS et al.: Improved survi- val with an implanted defibrillator in patients with coronary disease at high risk for ventricular arrhyth- mia. New Engl J Med 1996; 336: 1933–1940.

10. Wald NJ, Law MR: A strategy to reduce cardiovascu- lar disease by more than 80 %. BMJ 2003; 326:

1419–1424.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Feraydoon Niroomand Universität Heidelberg

Innere Medizin III Bergheimer Straße 58 69115 Heidelberg

E-Mail: feraydoon_niroomand@med.uni-heidelberg.de

S

tellen Sie sich vor, Sie fahren in einer kalten Dezembernacht auf einer dunklen Straße mit ihrem PKW gegen einen unbeleuchteten Container.

Sie haben den Unfall bis auf ein paar Schrammen gut überstanden, Ihr Auto allerdings nicht. Sie rufen über Mobilte- lefon die Polizei, die wenige Minuten später an der Unglücksstelle erscheint.

Die hilfsbereiten Beamten bieten Ihnen an, sich in ihrem Einsatzfahrzeug aufzu- wärmen und dort das Protokoll aufzu- nehmen. Kurze Zeit darauf trifft der vor- sorglich alarmierte Rettungsdienst ein.

Da Sie ein leichtes Ziehen im Nacken verspüren, äußert eine Rettungsdienst- fachkraft den Verdacht auf eine gefähr- liche Verletzung der Halswirbelsäule.

Um Sie „wirbelsäulengerecht“ aus dem Polizeiauto zu befreien, stellt der Ret- tungsdienstmitarbeiter die Indikation zur „technischen Rettung“, woraufhin der Rüstzug der Feuerwehr mit Sonder- signal anrückt. Ein Feuerwehrmann nimmt hinter Ihnen Platz und hält Ihren Kopf in Neutralposition, während der Rettungsdienstmitarbeiter Ihnen eine Halsmanschette anlegt.

Realität statt Glosse

Nun beginnt die Feuerwehr, mit schwe- rem Gerät das Polizeifahrzeug um Sie herum in seine Einzelteile zu zerlegen.

Nachdem das Dach entfernt ist, legt man Ihre Rückenlehne nach hinten um, schiebt Ihnen ein zwei Meter langes Brett ins Kreuz und zieht Sie aus dem Wrack des Polizeifahrzeugs. Mit Gurten fixiert man Sie dann so auf dem ungepol- sterten Brett, dass Sie komplett bewe- gungsunfähig sind. Zu guter Letzt ver- sorgt man Sie mit einer Sauerstoffmaske und verfrachtet Sie in einen großen ame-

rikanischen Rettungswagen, der Sie mit heulender Sirene ins nächste Kranken- haus bringt. 30 Minuten nach Aufnahme stehen Sie vor dem Haupteingang des Krankenhauses mit einer Packung Pa- racetamol in der Hand, warten auf Ihr Taxi, das Sie nach Hause bringen soll, und fragen sich, was eigentlich passiert ist.

Wer annimmt, es handle sich hierbei um eine Glosse, täuscht sich. Der ge- schilderte Fall (1) ist rettungsdienstliche Realität in Europa und stellt die konse- quente Umsetzung des Versorgungspro- tokolls „Advanced Trauma Life Sup- port“ (ATLS®) dar. Anstoß hierzu gab ein Arzt, der in den USA 1976 einen Flugzeugabsturz erlitt. Die medizinische Primärversorgung empfand er als so schlecht, dass er die Universität von Nebraska veranlasste, ein systemati- sches Konzept zur Versorgung von Schwerverletzten zu erarbeiten. Dieses Konzept wurde vom American College of Surgeons (ACS) aufgegriffen und zu ATLS weiterentwickelt – mit dem Ziel, die Mortalität von Traumaopfern zu senken und das Outcome zu verbessern.

Inzwischen ist ATLS zusammen mit dem „Pre-Hospital-Trauma-Life-Sup- port“-(PHTLS®-)Protokoll internatio- nal zum Standard für die präklinische und klinische Versorgung von Unfall- verletzten avanciert.

Innerhalb Europas haben die Nie- derlande und Großbritannien diese Protokolle eingeführt. Die Ausbildung wird von Tochterorganisationen des ACS und von nationalen Fachgesell- schaften ausgerichtet, die im Franchi- sing den kompletten Kursus einschließ- lich Zertifizierung vom ACS überneh- men. Zielgruppe des zweieinhalbtägi- gen Intensivkurses mit abschließender Prüfung sind alle Berufe, die aktiv an der Versorgung Schwerverletzter teil-

Advanced Trauma Life Support

Mit Blaulicht in die Sackgasse?

Die Absicht, weltweit eine standardisierte Traumaversorgung

zu etablieren, muss mit Vorsicht betrachtet werden.

(2)

nehmen. Der Kurs deckt die präklini- sche und innerklinische Diagnostik und Therapie ab. Die Handlungsabläufe werden in Flussdiagrammen vermittelt, die systematisch abgearbeitet werden müssen. Notärztliche Versorgungssyste- me sind nicht berücksichtigt.

Obwohl sich diese Kurse europaweit wachsenden Zustroms erfreuen, konnte das ACS in den deutschsprachigen Län- dern und in Frankreich – Ländern, die auf eine lange notfallmedizinische Tra- dition zurückblicken – bislang noch nicht Fuß fassen. Mit dem Ziel, deutsch- sprachige ATLS-Ausbilder zu rekrutie- ren, wurden allerdings schon die ersten deutschsprachigen Kurse abgehalten.

ATLS bietet ohne Zweifel eine strukturierte Ausbildung in der Traumaversorgung. Die starre Handhabung der dia- gnostischen und therapeuti- schen Schemata schränkt de- ren Wert allerdings erheblich ein. Bedenklich ist auch, dass das ACS seine Richtlinien nicht an bewährten Algorith- men ausrichtet. Der Algorith- mus zur Luftwegssicherung lässt zum Beispiel unerwähnt, dass die endotracheale Intu- bation von Traumapatienten in der Regel ohne Anästhesie nicht gelingt. Nach misslunge- ner Intubation wird als näch- ster Schritt die Koniotomie

propagiert (2). Dies kann bedeuten, dass Schädel-Hirn-Verletzte ohne Stress- abschirmung durch Anästhesie konio- tomiert werden. Angesichts einer Viel- zahl weniger invasiver, evaluierter Alternativen der Luftwegssicherung, sind derartige Empfehlungen nicht mehr zeitgemäß.

Zentrale therapeutische Dogmen des ATLS halten einer klinisch-wissen- schaftlichen Überprüfung nicht stand:

Besonderen Schwerpunkt im ATLS- Konzept bildet die Immobilisation der Wirbelsäule, die einen bewegungsbe- dingten Sekundärschaden des Myelons verhindern soll. Wie der geschilderte Fall zeigt, sind die Verfahren umständ- lich, zeitraubend und kostspielig. Ob mit diesen Techniken überhaupt ein protek- tiver Effekt erzielt wird, ist zweifelhaft (3, 4). Vielmehr ist zu befürchten, dass durch die Verzögerung der Rettungs-

maßnahmen die Mortalität polytrauma- tisierter Patienten steigt (5).

Die Obstruktion der oberen Luft- wege steht bei den vermeidbaren Todes- ursachen in dieser Patientengruppe an erster Stelle. Unter den propagierten Immobilisationsmaßnahmen könnte ei- ne bestehende Luftwegsobstruktion lebensbedrohliche Ausmaße annehmen (3). Lebensrettende Handlungen, wie die endotracheale Intubation, werden erschwert. Das inflexible Infusionspro- tokoll ist ebenfalls in die Kritik geraten, denn es gibt Hinweise, dass die Morta- lität von Schwerverletzten hierdurch erhöht wird (5, 6). Es ist nicht klar, ob Crash-Ausbildungskonzepte wie ATLS

überhaupt einen positiven Beitrag in der Traumaversorgung leisten können.

Nicholl und Mitarbeiter (5) fanden in einer großen prospektiven Untersu- chung keinen zusätzlichen Nutzen einer weitergehenden Schulung von Parame- dics in „Trauma Life Support“. Es zeig- te sich lediglich eine vierfach erhöhte Mortalität in der Subgruppe der Schwerverletzten. Die Autoren führen dies zurück auf verlängerte Primär- versorgungszeiten, eine inadäquate Volumenbehandlung sowie seltenere ärztliche Unterstützung am Einsatzort.

Paramedizinische Rettungsdienstsy- steme müssen sich starrer Protokolle be- dienen, um Qualitätsstandards sicher- zustellen. Derartige Protokolle ermögli- chen eine medizinische Basisversorgung von Notfallpatienten durch nichtärzt- liches Personal. Hierbei ist allerdings eine ständige ärztliche Supervision und

regelmäßige Überarbeitung der Ver- sorgungsprotokolle notwendig, da diese sonst eine irrationale Eigendynamik entwickeln können.Besonders wichtig ist dies in Staaten, in denen wegen Ärzte- mangels, fehlendem öffentlichen Interes- ses und leerer Kassen der präklinische Einsatz von Notärzten in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist.

Auch wenn die Überlegenheit des notärztlichen Systems aus ethischen Er- wägungen schwer zu beweisen ist, lassen sich ärztlicher Sachverstand und Ent- scheidungsfähigkeit nicht ersetzen. Die moderne Notfallmedizin ist so komplex, dass sie – bis auf wenige Ausnahmen, wie die kardiopulmonale Reanimation – durch Algorithmen kaum erfassbar ist. Die Versorgung von Polytraumatisierten ist jedoch so vielen Variablen unterworfen, dass protokol- läre Entscheidungsbäume entweder zu kurz gefasst oder zu unübersichtlich sind. Die lobenswerte Absicht des ACS, weltweit eine standardi- sierte Traumaversorgung zu etablieren, muss mit Vorsicht betrachtet werden. Inhalt- liche Mängel, starre Algorith- men, die den Beweis ihrer Wirksamkeit schuldig blei- ben, und fehlende Anpass- barkeit an lokale Gege- benheiten sind augenfällige Schwächen, die einer Verbreitung von ATLS in Deutschland entgegenstehen.

Dennoch zeigt die international wach- sende Beliebtheit dieser Kurse, dass ein Ausbildungsdefizit auf dem Gebiet der Akutversorgung polytraumatisierter Pa- tienten besteht. Es ist notwendig, dies auf europäischer Ebene zu thematisieren und ein alternatives Ausbildungskonzept zu erarbeiten. Interdisziplinäre Gremien, wie das European Resuscitation Council, sollten ermuntert werden, sich dieser schwierigen Aufgabe anzunehmen.

T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2625. Juni 2004 AA1875

Eine standardisierte Traumaversorgung birgt nach Ansicht des Autors Schwächen, die einer Verbreitung in Deutschland entgegenstehen.

Foto:BilderBox

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit2604 abrufbar ist.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Karl-Christian Thies Anesthesiologie, UMCN St Radboud Geert-Grooteplein 10, 6500HB Nijmegen, NL

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