• Keine Ergebnisse gefunden

Reich der Mitte sucht Platz in der Welt

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Reich der Mitte sucht Platz in der Welt"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

IP Mai / Juni 2016

140

Buchkritik

Wie groß ist die Gefahr, die China für seine Nachbarschaft und die Welt be- deutet? Jonathan Holslag hat dazu eine eindeutige Meinung. Chinas stra- tegische Ziele seien, so der Politikwis- senschaftler, „ nicht mit denen seiner Nachbarn und jenes anderen Riesen im pazifischen Raum, der Vereinigten Staaten, zu vereinbaren“. China wolle Großmacht werden und müsse dafür die Struktur des internationalen Sys- tems zu seinen Gunsten ändern.

Holslag folgt mit dieser Ansicht den offensiven Realisten, die in An- lehnung an die Arbeiten von John Mearsheimer davon ausgehen, dass Staaten ihre Macht maximieren müs- sen, um ihre Interessen erfolgreich ge- genüber anderen Staaten durchzuset- zen. Denn nur so können sie letztlich auch das internationale System domi- nieren. Mit diesem Bekenntnis zum offensiven Realismus und Revisionis- mus ist die Kernaussage des Buches zusammengefasst.

Das ist gleich in mehrfacher Hin- sicht problematisch. Erstens ist Hols-

lags Überblick über die existierenden Theoriedebatten zur Rolle Chinas in den internationalen Beziehungen – freundlich ausgedrückt – stark ver- kürzt. Nun ist dies kein Theoriebuch.

Doch die fehlende Reflexion etwa über nichtwestliche Ansätze zum Thema Internationale Beziehungen verweist auf ein weiteres Problem.

Holslag schreibt aus einer dezidiert eurozentristischen Perspektive. Das ist nicht verwerflich, aber es wird an keiner Stelle im Buch reflektiert.

So entgeht Holslag, dass Mears- heimers Blick auf Chinas Aufstieg zwar einigermaßen unvoreingenom- men sein mag – sein Blick auf die Welt (und die ihr zugrundeliegende Ord- nung) ist es nicht. Drittens erliegt Holslag dem Trugschluss, dass Macht und Einfluss identisch seien. Dabei wäre es auf der Basis seiner ausführli- chen empirischen Analyse spannend gewesen zu erfahren, wie Peking sei- ner Meinung nach sein Streben nach Macht in Einfluss übersetzt hat – oder noch übersetzen wird.

Nadine Godehardt | Pekings politisches Auftreten hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Während man außenwirtschaftlich mit Projekten wie der Seidenstraßen-Initiative auf Kooperation setzt, bleibt man in Kon- flikten wie den Territorialstreitigkeiten im Süd- wie Ostchinesischen Meer stur. Doch nicht alle teilen Präsident Xis Traum einer Großmacht China.

Über Chancen und Risiken der chinesischen Außen- und Innenpolitik

Reich der Mitte sucht Platz in der Welt

Jonathan Holslag:

Frieden auf Chi- nesisch. Warum in Asien Krieg droht. Hamburg:

edition Körber Stiftung 2015, 289 Seiten, 17,00 €

(2)

IP Mai / Juni 2016 141 Reich der Mitte sucht Platz in der Welt

Trotz der ausgesprochen infor- mativen Behandlung der Territori- alstreitigkeiten im Südchinesischen Meer oder der Handelsbeziehungen mit Chinas ost- und südostasiatischen Nachbarn wird Holslag letztlich dem eigenen Anspruch nicht gerecht. Für einen Autor, der „jedem Staatsmann, der als echter Friedenstifter in die Ge- schichtsbücher eingehen will, emp- fiehlt, sich seine Studie zu Herzen zu nehmen“, bietet sein Buch erstaunlich wenig Lösungsvorschläge. Es geht zu keinem Zeitpunkt über die in den USA verbreitete Perspektive eines of- fensiven Realisten hinaus.

Den vielfältigen kulturellen, so- zialen und wirtschaftlichen Ambiti- onen, die in China existieren, wid- met sich der amerikanische Journalist Evan Osnos. Ohne die großen politi- schen Entwicklungen aus dem Blick zu verlieren, beschreibt er die „Män- ner und Frauen im Zentrum von Chinas Werden“. Wie es im Unterti- tel der englischen Ausgabe, „Chasing Fortune, Truth, and Faith in the New China“, treffender heißt, geht es da- bei vor allem um die Suche der chine- sischen Bevölkerung nach Wohlstand, Wahrheit und Glauben. Die Darstel- lung der Gespräche und Ereignis- se, die Osnos während seiner Zeit in China (2005–2013) erlebt hat, unter- streicht, dass es (noch) keine eindeuti- ge Antwort auf die Frage gibt, wer den

„Kampf um die Macht, zu definieren, was China ist“ gewonnen hat.

Osnos nimmt uns mit auf eine Rei- se, auf der er so unterschiedliche Per- sönlichkeiten wie den späteren Chef- ökonom der Weltbank Justin Lin, den Englischfanatiker Michael, die heu- tige Caixin-Chefin Hu Shuli oder die Jugendikone Han Han vorstellt. Die Porträts zeichnen ganz unterschied-

liche Lebenswege nach. Dabei wird immer wieder deutlich, wie stark die jeweils individuelle Zukunft mit der sozioökonomischen Entwicklung des Landes verknüpft ist. Oftmals ist Os- nos selbst Teil seiner Geschichten als Gesprächspartner oder Beobachter, und eine Stärke des Buches liegt da- rin, dass er diese Perspektive konse- quent beibehält.

Anhand der einzelnen Geschich- ten reflektiert der Autor immer auch offizielle Politiken und gesellschaft- liche Normen kritisch; die endgülti- ge Bewertung überlässt er jedoch dem Leser. Und es geht ihm nicht nur um die Einschränkungen, die seine Prota- gonisten in einem autoritären Regime erfahren, sondern auch um die im Sys- tem vorhandenen Nischen und damit die Möglichkeiten für den Einzelnen.

Das zeigt sich besonders in der Dis- kussion über die Rolle des Internet als Plattform der gesellschaftlichen und politischen Artikulation einerseits und neuartiges Kontrollorgan der Par- tei andrerseits, etwa mithilfe der so ge- nannten „50-Cent Blogger“, die Debat- ten in sozialen Netzwerken und Medi- en „positiv“ beeinflussen sollen.

Osnos hat ein äußerst lesenswertes und unterhaltsames Buch über das ge- genwärtige China geschrieben, das den Leser mitten hineinzieht in die Irrun- gen und Wirrungen, mit denen sich Teile der chinesischen Bevölkerung tagtäglich auseinandersetzen müssen.

Evan Osnos:

Große Ambitio- nen. Chinas Grenzenloser Traum.

Berlin: Suhrkamp 2015, 535 Seiten, 24,95 €

Dr. Nadine Gode- hardt ist stellver- tretende Leiterin der Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Strafe für die Übertretung wird entweder den Göttern überlassen, indem sich das verletzte Tabu von selbst rächt, oder die Gesellschaft bestraft jenen Verwegenen, der sie

Eine Reise durch den orientalischen Süden der Sowjetunion sowie durch China. Flug ab Stuttgart oder Frankfurt inkl. allen Transfers, vollem Besichtigungsprogramm und Vollpension

Wenn Sie über ein dreijähriges abgeschlossenes Examen in einem Pflegeberuf mit einer mindestens zweijährigen Berufserfahrung als Wohnbereichsleitung verfügen, Mitarbeiter

Von der Verbotenen Stadt bis zur Großen Mauer Viele Touristen, die nach China rei- sen, statten zuerst der Haupt- stadt Peking einen Besuch ab.. Aus gutem Grund, denn die

In dieser Einheit beschäftigen sich Ihre Schüler mit der Thematik des „Komasaufens“, erarbeiten mit der Placemat-Methode mögliche Ursa- chen für eine Drogenabhängigkeit und

Zugleich soll es aber vor allem über die jeweilige Droge aufklären, Infor- mationen geben oder aber auch realistische Bilder davon zeigen, wohin die Abhängigkeit von dieser

Nachmittags be- ginnen die aus- führlichen Be- sichtigungen in der Hauptstadt der Volksrepu- blik China mit ei- nem Bummel über die Wangfu- jing (Hauptein- kaufsstraße) und

Nach der Unterzeichnung des Freihandelsabkom- mens zwischen der Schweiz und China wurden in land- wirtschaftlichen Kreisen Befürchtungen geäussert, dass der Markt in der