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A Haar- und andere Ausfälle

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ndrogenetische Alopezie ist kein medizi - nisches Problem. Trotzdem wenden sich die Patienten an ihre Hausärzte, wenn sie das blanke Entsetzen packt, weil die Ratsherrenecken nicht mehr patrizierhaft aussehen. Der empathische Grund- versorger freut sich zwar nicht über seine eigene Glatze, aber sie ist in dem Fall nützlich, weil sie ihm Glaubhaftigkeit verleiht. Denn die Altorfers und Beises, im Schmucke dichten Haupthaars, können die Wehmut kaum nachempfinden, die Männer packt, die langsam oben ohne werden. Martin Suter, im Schutze einer zu- rückgegelten Lockenmähne, witzelt über Blacky Meier und andere Coiffeur-Opfer. Was den sich schütter füh- lenden Patienten echt unter die Haut geht – fertig lustig.

Der kahle Hausarzt hingegen strahlt aus jeder Pore, aus jedem verendeten Haarfollikel Mitgefühl aus. Behut- sam nimmt er die Verlaufsanamnese auf, um das «Early Wildfire» vom «Smoldering» und «Late Onset» diffe- renzieren zu können. Benutzt grobe Worte wie «Horn- spaghettis» und «Hautanhangsgebilde». Verweist auf Testosteronreichtum. Denn der Hausarzt weiss: Lichter Werdende machen ebenfalls die fünf von Kübler-Ross beschriebenen Phasen durch: Denial, Anger, Bar - gaining, Depression und Acceptance. Die Phase des Nichtwahrhabenwollens, die der Patient meist unbe- wusst durch Erkenntnissuche ausklingen lässt, beendet der Hausarzt brutal, indem er auf die Frage «Ist das schon Haarausfall?» wortlos nickt. Die Phasen der Wut und des Noch-etwas-daran-ändern-Wollens treten meist zusammen auf. In diesem Stadium sind 5-alpha- Reduktase und Minoxidil für viele «angry young men»

ganz hilfreich. Genau wie Chemotherapie und Bestrah- lung heilen sie nicht wirklich dauerhaft, aber verschaf- fen Zeit, die für das Realisieren und Sich-daran-Ge- wöhnen wichtig ist. Langsam führt man die Patienten dann an die nackte Wahrheit heran: Das Erkahlen geht genauso gnadenlos weiter wie das Altern. Und nichts hilft dagegen. Ausser heiter-gelassenem Akzeptieren.

Oder Galgenhumor, der sich in Glatzen-Jokes-Web - sites und leicht unanständigen Witzen (die wir in einem so seriösen Druckerzeugnis wie diesem nicht abdru- cken wollen) zeigt. Natürlich kann man es wie «Papi»

Berlusconi machen. Sich Haare implantieren lassen.

Minderjährige dafür bezahlen, dass die sie ganz vorsichtig durchwuscheln und so tun, als ob sie echt wären. Doch der immunologische Prozess in der Kopf- haut geht meist weiter und lässt auch die neu einge- pflanzten Büschel absterben. Dem klinischen Blick der

Grundversorger unserer Region entging nicht, wie der frisch eingepflanzte Dschungel von Kollege S. nach einem Jahr erst zur Kleingehölzbaumschule wurde, dann zum Reisfeld, auf dessen Halme alle starrten.

Unaufhaltsam wurde der Bewuchs mickriger, mutierte zur zartgrasigen Steppe und schliesslich zu Ödland mit seitlichem Wachstumsrest. Daher ziehen viele Männer das Toupet vor und auf. Euphemisch als «Zweitfrisur»

bezeichnet, von bösen Behaarten als «Fifi» oder «Pelz- kappe» verunglimpft. Sean Connery hat es als James Bond salonfähig gemacht – Rolf Knie hat es medien- wirksam wieder abgelegt. Doch der Markt bietet tat- sächlich attraktive Haarersatzteile an. Wobei man sich fragen kann, ob die Beaufort Institute mit ihrem Namen andeuten wollen, dass ihre Toupets grösste Windstär- ken der oben geschlossenen Skala und Cabriofahrten aushalten. Oder sind Assoziationen mit Admiral Sir Francis B. gewünscht? Der trotzte Orkanen, Geschütz - feuern und Säbeln (mit Blessuren im Gesicht und an der Hüfte), sowie der Porphyria cutanea tarda. Seinen Norwood VI konnte er im 19. Jahrhundert nicht mehr mit einer Allongeperücke tarnen, die war nur – dank Louis Treize bis Quatorze – von 1665 bis 1715 Mode. Heut - zutage muss man Richter im Common wealth sein, um Perücken tragen zu dürfen. Oder in der Rave-, Cyber- und Goth-Szene sein. Sensationell, was es da an Foa- mies, Cyberlox und Falls gibt. Aber ob neonfarbige Dreadlocks bei der Clientèle eines Schweizer Kleinst- adtgrundversorgers gut ankämen? Glatzenträger fol- gen daher lieber dem Kahlschurtrend, der seit den späten Neunzigern herrscht. Langhaarschneider an und aabe mit dem letzten Flaum. Delilas haben keine Chance mehr – wir Geschorenen haben unsere Kraft an anderen Stellen. Nicht der Haaransatz weicht zurück, sondern die Kopfhaut stürmt vor! Ein markantes Ge- sicht, ein grosses Gehirn brauchen schliesslich Platz.

Das leben uns Yul Brynner, Zinedine Zidane, Teddy Savalas, Bruce Willis et alii vor. Die Blue Man Group liess sich sogar künstliche Gummiglatzen anfertigen.

Doch die echte, natürliche Glatze ist unerreicht. «Mein ultrasensitiver Regendetektor!», schmunzelt Chirurgen- kollege Bijan, der bei beginnendem Niederschlag fast noch schneller als Alex, der Pneumologe, die jeweils stylishste Kopfbedeckung aufsetzt. Merke: Sich am nobelsten, wichtigsten Organ eine Blösse zu geben – beziehungsweise zu erleiden –

heisst nicht, dass man(n) dort eine Schwäche hat.

Haar- und andere Ausfälle

ARSENICUM

A

MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

864

ARS MEDICI 17 2012

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