Fritz Wolff (1880—1943)
Von Hans Heinbich Schaedeb, Göttingen
Mit seinem erstaunlichen ,, Glossar zu Firdosis Schahname", dem
Werk von zweieinhalb Jahrzehnten, hat Fbitz Wolfe der neupersischen
Lexikographie zum ersten Male eine wissenschaftlich verläßliche, ebenso
breite wie feste Grundlage geschaffen. Als Schöpfer dieses Werkes wird
er in der iranischen Philologie fortleben. Auf dem Titelblatt des üher
900 Seiten starken Bandes, der 1935 erschien, werden als Herausgeber
die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und die Deutsche
Morgenländische Gesellschaft genaimt. So darf Fbitz Wolffs Name nicht
vergessen werden, wenn die Gesellschaft in ihrer nach Jahren des
Schweigens wiedererstehenden Zeitschrift ihrer Toten gedenkt. Es ist
nicht leicht, für das Gedenken an ihn und seine Lebensarbeit die rechten
Worte zu finden. Denn wie dürften wir ihn und seine wissenschaftliche
Leistung würdigen, ohne in Schrecken und Trauer des Endes zu ge¬
denken, das ihm bereitet worden ist ! Als ein Mann lauterster Gesinnung
und Haltung, bescheiden und freundlich gegen jedermann, ganz der
stiUen und uneigennützigen Arbeit zu Nutz und Frommen seiner Wissen¬
schaft hingegeben, steht er denen vor Augen, die ihn näher kennen lernen
durften. Aber er war Jude, und so wurde er zum wehrlosen Opfer national¬
sozialistischer Verfolgung, durch Jahre wachsender Leiden und De¬
mütigungen, die er mit schlichter Seelengröße und Unerschrockenheit
auf sich nahm. Bis zum Frühjahr 1943 lebte er in Berhn, dann traf ihn
das gleiche gräßliche Schicksal wie zahllose Leidensgenossen. Niemand
weiß, wann und wo er gestorben ist.
Geboren war er am 11. November 1880 zu Berhn, wo er auch den
größeren Teil seines Lebens zugebracht hat. Mit dem Abgangszeugnis
des alten Französischen Gymnasiums (CoUege Royal Fran9ais) ging er
zum Studium nach Münehen, von da weiter nach Heidelberg und Berhn,
endhch nach Gießen, wo er 1905 bei Chr. Bartholomae promovierte.
Der Kreis seiner Interessen umfaßte weite Gebiete der Literatur und
Kunst. Umso strenger war die Disziphn, die er sich im Dienste der
Wissenschaft auferlegte. Wenn er seine zunächst weiter ausgedehnten
sprachwissenschaftlichen Studien — unter seinen Lehrern hob er Be-
häghel und Osthoff dankbar hervor — schließlich ganz auf die Ira¬
nistik beschränkte, so rührte das offensichtlich von der Wirkung Bar-
tholomaes her, dessen nüchtern-strenge Sachlichkeit und Gründlichkeit
ihn ansprach. Seine Dissertation, die 1907 an der Spitze des 40. Jahr¬
gangs der ,, Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung" erschien, hat
H. H. Schaedbb, Fritz Wolff 165
,,Die Infinitive des Indischen und Iranischen" zum Gegenstande. Die
Entstehung der indogermanischen Infinitive aus erstarrten Casus von
nomina actionis läßt sich im Indpiranischen am deutlichsten beobachten.
Dabei fäUt die Scheidung zwischen Infinitiven und gewöhnlichen Sub¬
stantivformen vielfach nicht leicht, und die Abgrenzung zwischen In¬
finitiven und finiten Verbalformen bereitet weitere Schwierigkeiten.
Hier suchte F. Wolffs Dissertation klarere und schärfere Linien zu
ziehen; sie stellt für die Infinitive ablativisch-genetivischer und akku¬
sativischer Form — so weit reicht der veröffenthchte Teil der Arbeit —
den Stoff übersichthch zusammen und prüft seine bisherige Behandlung
mit zurückhaltender Kritik nach. '
Nach der Promotion stand es für F. Wolff fest, daß er seine Arbeit
weiterhin der iranischen Sprachforschung widmen würde. Aber er ver¬
zichtete auf den Kampf mit den Schwierigkeiten, die sich ihm als Ver¬
treter einer obdachlosen Spezialwissenschaft und als Juden entgegen-
gesteUt haben würden, wenn er es mit der akademischen Laufbahn ver¬
sucht hätte. Zu diesem Verzicht bewog ihn wohl auch die Neigung zu still
zurückgezogener Arbeit auf lange Sicht, die ihr Gesetz in sich selber
trägt und nicht durch Beanspruchung von außen her abgelenkt und zer¬
splittert wird. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit, die ihm diese Arbeit
gestattete, wurde durch die Inflation der ersten zwanziger Jahre be¬
schränkt, aber nicht aufgehoben. So lebte er, auf die Nähe einer größeren
wissenschaftlichen Bibhothek angewiesen, fünfzehn Jahre hindurch in
verschiedenen Universitätsstädten, vor dem ersten Kriege — den er in
Berlin verbrachte — in Münster, danach in Tübingen und Gießen, mit
zweijähriger Unterbrechung durch einen Italienaufenthalt, dessen Haupt¬
stationen Rom und Florenz waren. 1929 kehrte er nach Berlin zurück.
Mit seiner DarsteUung der altiranischen Grammatik und dem ihr zur
Seite gehenden Wörterbuch (1904) hatte Chr. Bartholomae eine neue
Übersetzung des Awesta vorbereitet, die er selber nur für die Gathas
ausführte (1905). Sie auf die übrigen awestischen Texte auszudehnen,
soweit sie in Geldners Ausgabe enthalten sind, das war die entsagungs¬
volle Arbeit, die Fr. Wolff nach seiner Dissertation auf sich nahm.
1910 voUendete er sie und eignete sie seinem Lehrer in Verehrung und
Dankbarkeit zu; 1924 erschien ein unveränderter Neudruck. ,, Übersetzt
auf der Grundlage von Chr. Bartholomaes Altiranischem Wörter¬
buch": so heißt es auf dem Titelblatt. Dem Übersetzer war es aUein
darum zu tun, die Textauffassung, die in den Arbeiten seines Lehrers
niedergelegt war, so getreu wie möghch zur Anschauung zu bringen, ohne
mit ihr sein eigenes Urteil zu vermengen. So schuf er die unentbehrhche
Ergänzung zum ,, Altiranischen Wörterbuch", die sich freiUch nur an
Philologen wendet: sie hält sich in den Grenzen von Bartholomaes
rein grammatisch-lexikalischem Interesse an den awestischen Texten.
Während F. Wolff die Awestaübersetzung vorbereitete, trat ihm
bereits der Plan vor die Augen, an den sich so leicht kein andrer gewagt
hätte: die voUständige Bestandaufnahme der Sprache des Schahname.
i
166 H. H. Schaeder, Fritz Wolff
Die Bedeutung des Unternehmens lag auf der Hand. Wenn trotz der
Schwierigkeiten, die mit dem außerordentlichen Umfang des Textes
gegeben waren, die Erfassung des Wortschatzes einer so überragend
bedeutenden Urkunde der neupersischen klassischen Dichtung gelang,
dann gewann die neupersische Wortforschung endhch festen Boden unter
den Füßen und konnte sich aus der Abhängigkeit von der unzulänghchen
Lexikographie der Perser und Inder lösen. Natürlich konnte F. Wolfe
nicht daran denken, ein Wörterbuch zu schaffen, das den Sprachgebrauch
des Schahname im einzelnen erläutert und auf schwierige oder dunkle
SteUen näher eingeht, also einen lexikalisch geordneten sprachlichen
Kommentar zu Firdosis Epos. Um überhaupt fertig zu werden, mußte
er sich darauf beschränken, den riesigen Stoff übersichthch zu ordnen
und die wichtigsten Bedeutungsangaben hinzuzufügen. Er fußte dabei
auf der siebenbändigen Pariser Ausgabe von J. Mühl, neben der er die
alte Calcuttaer Ausgabe von Tuenbe-Mäcän und die Leidener von
Vullees-Landauee durchgängig berücksichtigte, ebenso wie das von
C. Salemann herausgegebene Schahname-Lexikon des Abdulqädir
Baghdadi.
Jahraus, jahrein setzte er mit unermüdhcher Geduld und Sorgfalt die
Arbeit des Sammeins und Ordnens fort, bis der ganze Text des Schah¬
name verzettelt war. Ganz seiner selbstgestellten Aufgabe hingegeben,
hat er sich wohl kaum allzu viele Gedanken darüber gemacht, wie der
Ertrag seiner Mühe den daran interessierten Forschern zugänglich ge¬
machtwerden könne. Es traf sich, daß 1934, als Iran dieFirdosi-Millermar- feier beging, die deutsche Regierung der iranischen eine Aufmerksamkeit
zu erweisen wünschte. Es gelang, die Kulturabteilung des Auswärtigen
Amtes für die Bereitstellung der beträchtlichen Mittel zu gewinnen, die
der Druck erforderte. Der Name des Geheimrats Dr. Osteb, der sogleich
die gegebene Möghchkeit erkannte und bejahte, eine so ungewöhnliche
wissenschafthche Leistung vor die öffenthchkeit zu bringen, ist mit be¬
sonderem Dank zu nennen. Es war für F. Wolff die letzte große Freude
seines von zunehmenden Besorgnissen überschatteten Lebens, daß er
sein Glossar in der mustergültigen Ausführung der Reichsdruckerei vor
Augen sehen durfte.
In den folgenden Jahren arbeitete er an der Fortführung der Vullees-
LANDAüEESchen Schahname-Ausgabe und konnte auch sie vollenden;
das druckfertige Manuskript, das er hinterließ, ist gerettet worden,
ebenso wie sein Handapparat. Half ihm das Beharren bei der Arbeit
über Mühsale und Ängste hinweg, so fand er im christhchen Glauben,
zu dem er sich freudig bekannte, den inneren Frieden, in dem ihn schlie߬
lich auch das Wissen um die Unausweichhchkeit dessen, was ihm und
seinesgleichen drohte, nicht mehr beirren konnte. So verzichtete er auch
darauf, Deutschland zu verlassen, solange es noch möghch war.
In seiner letzten Lebenszeit stand ihm Richaed Tüngbl, der heutige
Herausgeber der Hamburger ,,Zeit", freundschaftlich nahe. Er hat für
diesen Nachruf — in dem auch Mitteilungen von F. Wolffs Tochter,
H. H. Schaeder, Fritz Wolff 167
Frau Ursula Wolfe-Schneider in Chikago, verwendet werden durften
— die folgenden Aufzeichnungen freundhch zur Verfügung gestellt :
„Am 31. März 1943 habe ich Dr. Fritz Wolff zum letzten Male ge¬
sehen. Es war in seiner Wohnung in Berlin-Neukölln zwischen sechs und
neun Uhr abends. Jene Stunden haben mir das Bild des Mannes, den
ich viele Jahre gekannt und verehrt habe, mit solcher Deuthchkeit ein¬
geprägt, daß ich von dieser Begegnung erzählen wiU.
Damals hatten die ersten Abtransporte der Juden aus Berhn be¬
gonnen. Sie fanden, seitdem Arbeiter in den Straßen dagegen demon¬
striert hatten, vorsichtshalber nur noch während der Nachtstunden
statt. So war es auch an jenem Abend. ,Die Wagen rollen wieder', ver¬
kündete eine gutgesinnte Nachbarin an der Wohnungstür, und diese
Warnung stand lastend über unserm Beisammensein. Ich bat Dr. Wolff,
mit seiner Gattin zunächst einmal zu mir zu ziehen und abzuwarten,
wie sich die Dinge weiter entwickeln würden. Er lehnte jedoch fest und
ohne zu überlegen ab. Er wollte niemanden in Gefahr bringen und
niemandem zur Last fallen. Merkwürdig ist mir noch heute, wieviel
klarer er das Schicksal der Juden sah, als dies sonst in Berhn geschah.
Er wußte, daß man ihn und seine Frau umbringen werde, aber aus einer
sehr tiefen lutherischen Frömmigkeit fürchtete er den Tod nicht. Er sah,,
daß mich seine Weigerung schmerzte, und begann mich zu trösten. Wir
sprachen eine Stunde lang über Pascal, den er so sehr liebte. Dann ging
die Türglocke. Er woUte mir nicht erlauben zu öffnen, er dachte nur an
meine Sicherheit und wollte mich verstecken. Wir gingen zusammen zur
Tür — es war der evangehsche Pfarrer, der kam, um mit ihm zu beten.
Beide drängten mich zu gehen. Ich habe ihn nicht wiedergesehen. Seine
letzten Worte waren : „Sagen Sie meinen Kindern, daß ioh als ein frommer
Christ mich in mein Schicksal ergebe und heiter sterben werde".
Neues zur altnordarabischen Dialektkunde
Von Enno Littmann, Tübingen
Aus dem Studium von 503 thamudischen Inschriften, die von G. Lan-
KESTEE Haeding Chief Curator of Antiquities, The Hashimite Kingdom
of the Jordan, in der Gegend nordösthch von 'Aqaba gefunden wurden,
haben sich mir einige neue Tatsachen zur Kenntnis des vorislamischen
Nordarabisch ergeben, die ich hier zur Erörterung stellen möchte. Mr.
Haeding sandte mir so ausgezeichnete Wiedergaben dieser Inschriften,
wie wir sie bisher nur in einem Falle hatten, d. h. in der Inschrift aus
§aidä, die sich nun in Toronto befindet ; vgl. F. V. Winnett, A Study
of the Libyanite and Thamudic Inscriptions, Plate I. Durch die Photo¬
graphien und Nachzeichnungen der Originale, die Mr. Haeding mit
großer Mühe und Sorgfalt hergestellt hat, erhalten wir nun ein ganz
neues und wirkhch getreues Bild von dieser eigenartigen Epigraphik.
Mr. Haeding hat mir freundlichst gestattet, seine Inschriften zu zitieren,
ehe sie im Druck erscheinen, was aber hoffentlich bald der FaU sein wird ;
dafür spreche ich ihm meinen aufrichtigen Dank aus.
Über die altarabischen Dialekte sind uns in der arabischen Literatur
mancherlei Angaben überliefert, die in den arabischen Grammatiken
und in Einzelabhandlungen mehrfach besprochen oder behandelt worden
sind. Die letzte ausführliche Zusammenstellung, die mir bekannt ist, ist
die fleißige und gründliche Arbeit von Hans Koflee, Reste altarabischer Dialekte, die in der Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes,
Bd. XLVII bis XLIX erschienen ist. Diese Arbeit konnte ich haupt¬
sächlich meinen arabischen Vorlesungen <_jiVl j ^ ^1 oIä^I LU,
an der Fuad I. Universität 1948 zu Grunde legen; diese Vor¬
lesungen wurden in der 'LSS'il^ (Bulletin of the Faculty of
Arts, Vol. X, Part I, May 1948) abgedruckt, ohne meine Teilnahme an
der Herausgabe. Auf die Arbeit von Koflee sei hier noch besonders
hingewiesen.
Ich beschränke mich nun im allgemeinen auf die Inschriften Harding,
da wir nur in ihnen — abgesehen von der Inschrift in Toronto — ein
ganz und gar zuverlässiges Material haben. Wie sich die daraus gewonnenen
Ergebnisse zu den Schreibungen in den anderen Sammlungen, vor allem
denen von Euting, Hubee, Jaussen und Savignac verhalten, muß im
Zusammenhange künftigen Untersuchungen vorbehalten bleiben; aber
einige der Lesungen Winnett's mußten doch herangezogen werden.
Auf die literarischen Zeugnisse über die Dialekte soll nur gelegenthch
verwiesen werden. Die Hauptsache ist, daß wir hier epigraphisches Ma-