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AQUA & GAS Fachzeitschrift für Wasser, Gas und Wärme Revue pour l eau, le gaz et la chaleur

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Academic year: 2022

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Qualität und Kompetenz:

Alles aus einem Guss

AQUA & GAS

N o 2 | 2021

FERNWÄRMEAUSBAU Herausforderungen des Tiefbaus im urbanen Umfeld

INFRASTRUKTUR

Ein sicherer Wert für eine nachhaltige Versorgung

RICHTLINIE W3/E4 Nun ist die W3-Reihe komplett

Fachzeitschrift für Wasser, Gas und Wärme Revue pour l’eau, le gaz et la chaleur

Lizenz für Ernst A. Müller, mueller@infrawatt.ch

Geschäftsstelle InfraWatt, Schaffhausen

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INTEGRALE WASSER- BEWIRTSCHAFTUNG

Die integrale und dynamische Bewirtschaftung des Gesamtsystems Kanalnetz – ARA – Gewässer ist seit Langem ein Anliegen des VSA. Zwar stellt die konkrete Umsetzung dieser Bewirtschaftung eine Herausforderung dar, verschiedene Beispiele in der Schweiz zeigen jedoch, dass sie realisierbar ist und zahlreiche Vorteile bringt. Der VSA ist in diesem Bereich seit ein paar Jahren aktiv und stellt die Instrumente bereit, mit deren Hilfe sich die integrale Wasserbewirtschaftung fördern lässt.

Luca Rossi*, Sinef AG

EIN SCHWERPUNKT DES VSA – UMSETZUNGSBEISPIELE

EINLEITUNG

Die Idee, die verschiedenen Sektoren der Wasserbewirtschaf- tung aufeinander abzustimmen, findet seit mehreren Jahren zunehmend Anklang. Ziel ist, die verschiedenen Probleme und Konflikte in Zusammenhang mit der Wasserbewirtschaftung, zum Beispiel Ressourcenverteilung, Probleme mit der Wasser- qualität, Biodiversität usw., zu lösen [1]. Dieser integrale Ansatz wird durch den Bund unterstützt und gefördert [2–5]. Die inte- grale Wasserbewirtschaftung (GIRE, aus dem Französischen:

Gestion Intégrée des Ressources en Eau) stellt ein Instrument zur Umsetzung eines nachhaltigen Ansatzes für den Wasser- kreislauf dar. Um die konkrete Umsetzung dieser Vision zu forcieren, hat der VSA verschiedene Projekte zu diesem Thema gestartet.

Die integrale und dynamische Bewirtschaftung des Gesamt- systems Kanalnetz – ARA – Gewässer stellt im VSA seit ein paar Jahren einen Schwerpunkt dar. Es geht nicht darum, eine neue Wasserbewirtschaftung für die Schweiz vorzuschlagen, sondern darum, Mittel zu finden, um die Verbindungen zwischen den ver- schiedenen Disziplinen zu fördern und die Kapazitäten der beste- henden Infrastrukturen optimal zu nutzen. Diese Verbindungen reichen von technischen Lösungen (Modellierung, Optimierung) über konstruktive Lösungen (optimale technische Lösungen im jeweiligen Kontext) bis hin zu sozio-ökonomischen Lösungen,

RÉSUMÉ

LA GESTION INTÉGRÉE DES EAUX – UN AXE PRIORITAIRE DU VSA La Gestion Intégrée des Ressources en Eau (GIRE) est une ap- proche largement soutenue et encouragée par la Confédération, dont l’objectif est une gestion durable de la ressource eau. La GIRE est également un axe prioritaire du VSA. Le présent projet VSA- GIRE a pour objectif de collecter et d’analyser différents exemples d’application de gestion intégrée des eaux en Suisse. La GIRE se focalise dans notre cas sur les composantes réseaux d’assainisse- ment, station d’épuration et milieu naturel (RSM). Cinq exemples sont analysés, chacun situé dans un contexte différent. L’analyse détaillée des exemples ainsi que d’autres informations générales sur la GIRE se trouvent sur le site www.gire.ch, conçu spécifique- ment dans le cadre de ce projet. L’outil PASST-CH est également implémenté sur ce site: il permet, par le biais d’un questionnaire, d’estimer le potentiel de gestion dynamique d’un bassin versant urbain. L’application de PASST-CH sur les différents exemples a permis de valider l’outil. Les exemples analysés montrent qu’en Suisse, nous avons déjà tous les éléments pour mettre en œuvre une gestion intégrée et dynamique des eaux. Les outils, le cadre législatif, les données, etc. sont présents et de qualité. Les limites de l’approche GIRE sont également identifiées. L’approche GIRE nécessite notamment plus de temps, plus d’interactions entre les différents acteurs. L’expérience acquise dans ce projet sera valorisée dans un nouveau projet VSA destiné à offrir aux acteurs

* Kontakt: luca.rossi@sinef.ch (© dudlajzov/123RF.com)

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bei denen die Hauptakteure und die Ent- scheidungsträger ermittelt und in einer gemeinsamen Arbeitsplattform vereint werden.

Das Ziel des VSA-Projekts GIRE, das in diesem Artikel vorgestellt wird, besteht darin, mithilfe konkreter Umsetzungs- beispiele zu belegen, dass die integrale Betrachtung nicht nur möglich, sondern auch unter finanziellen und ökologischen Gesichtspunkten interessant ist. Anhand verschiedener Schweizer Beispiele wer- den die Vor- und Nachteile der integra- len Bewirtschaftung des Gesamtsystems verdeutlicht. Das Projekt umfasst zudem ein Instrument zur Entscheidungshilfe, PASST-CH, mit dem das Potenzial eines Einzugsgebiets für die Umsetzung einer dynamischen Bewirtschaftung abge- schätzt werden kann.

DAS VSA-PROJEKT GIRE

Der Fokus des GIRE-Projekts liegt auf der integralen und dynamischen Bewirt- schaftung des Entwässerungssystems im weiteren Sinne. Diese Bewirtschaf- tung kann beispielsweise zu geringe- ren Kosten der Abwasserreinigung oder zu einer Optimierung der bestehenden Infrastrukturen für einen besseren Ge- wässerschutz führen. Das Gesamtsystem Kanalnetz – ARA – Gewässer kombiniert die Aktivitäten der drei VSA-CC (Centres de Compétences) «Siedlungsentwässe- rung», «Abwasserreinigung» und «Ge- wässer» (Fig. 1). Je nachdem werden auch die anderen CC und die VSA-Plattformen einbezogen.

Die Akteure im Bereich Entwässerung verfügen nur selten über einen Überblick

über das Gesamtsystem. Eine Erklärung hierfür ist, dass die Pflichtenhefte dieser verschiedenen Disziplinen voneinander getrennt erarbeitet werden. Dies führt zu einer Aufsplittung der Verantwort- lichkeiten zwischen den verschiedenen Behörden, ob kommunal oder interkom- munal, und dem Kanton. Das Subsidia- ritätsprinzip und eine fest in den Köp- fen verankerte kommunale Autonomie führen zudem zu äusserst kleinteiligen Strukturen mit zahlreichen Akteuren, die zuweilen unterschiedliche Interessen und Ziele verfolgen [5]. Der VSA-Ansatz ist auf eine umfassende Betrachtung und eine bessere Interaktion zwischen den Akteuren im Bereich Entwässerung ausgerichtet.

Morges Chaux-de- Fonds

Lugano Hochdorf Steinach

Anzahl EW 45 000 37 500 110 000 22 500 120 000

Anzahl der Gemeinden 17 1 29 3 8

Elimination von Mikro-

verunreinigungen? Ja Ja Ja Nein Ja

Retentionsvolumen [m3]

<100 2000 geplant

2000 1260 1700 6870

Gewässertyp Fluss, See Fluss Fluss, See Fluss, See Fluss, See

Ursprüngliches Ziel Fremdwasser Karst, Kosten

Bewirtschaftung, Gewässerschutz

Retention Einfluss ARA auf Gewässer Tab. 1 Übersicht über die Merkmale der Standorte, die für eine detaillierte Analyse ausgewählt wurden.

Fig. 1 Sektorübergreifender Ansatz der integralen Wasserbewirtschaftung auf VSA-Ebene:

Dieser Ansatz bezieht die fünf CC (Centres de Compétences) und die beiden technischen Plattformen mit ein.

Fig. 2 Analyse der in dem jeweiligen integralen Ansatz berücksichtigten Sektoren der Wasserwirtschaft.

Innerer Ring: Integration der drei Bereiche Kanalnetz – ARA – Gewässer; äusserer Ring: andere Sektoren. Der Grad der Integration wird durch verschiedene Farben dargestellt: von blau (vollständig einbezogen) bis orange (geringfügig einbezogen) oder grau (nicht berücksichtigt). Darstellung für das Beispiel «Steinach».

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VORGEHENSWEISE UND INSTRUMENTE

VORGEHENSWEISE BEIM PROJEKT GIRE Im Rahmen des VSA-Projekts wurden diverse konkrete Beispiele einer integra- len Bewirtschaftung des Gesamtsystems zusammengetragen und analysiert. Die Vorgehensweise zur Auswahl und Be- wertung der Beispiele umfasst mehrere Schritte. Zunächst traf sich das Projekt- team, um konkrete Beispiele zur inte- gralen Bewirtschaftung in der Schweiz zu finden. Nach den Gesprächen wurden 26 Beispiele ausgewählt. Jedes potenziel- le Beispiel wurde anhand verschiedener Kriterien wie Stand der Umsetzung, er- zielte Vorteile, Art des Gewässers, Grösse der ARA usw. bewertet. Ein besonderes Augenmerk galt der Grösse des Einzugs- gebiets. Weil grosse Städte mit einem professionellen Tiefbauamt über mehr Möglichkeiten verfügen, eine integrale Bewirtschaftung umzusetzen, wurden sie bewusst nicht ausgewählt. Kleine und mittelgrosse Agglomerationen wurden bevorzugt und dabei die verschiedenen Sprachregionen und Einleitungsarten (See, Fluss) berücksichtigt. Schliesslich fiel die Wahl auf folgende fünf Einzugs- gebiete: Morges VD, La Chaux-de-Fonds NE, Lugano TI, Hochdorf LU, Steinach SG.

Für jeden Standort wurden Interviews mit den Verantwortlichen geführt, um die Vor- und Nachteile des umgesetzten integralen Ansatzes zu ermitteln (Tab. 1).

Zudem wurden für jedes Beispiel die an- deren im integralen Ansatz berücksichtig- ten Sektoren der Wasserwirtschaft ana- lysiert. Die Ergebnisse wurden dann in Form eines Kreisdiagramms dargestellt (Fig. 2). Zudem wurde für jedes Beispiel ein Kurzbericht erstellt, der die wesent- lichen Elemente des integralen Ansatzes sowie die obgenannten methodologischen Elemente enthielt. Die Ergebnisse wurden auch auf einer im Rahmen des Projekts erstellten Website (www.gire.ch) veröffent- licht. Diese enthält umfassende Informati- onen zur integralen Bewirtschaftung des Gesamtsystems, zu den verfügbaren tech- nischen Instrumenten, zur Bedeutung der Daten usw. Darin integriert ist auch das Instrument PASST-CH.

DAS INSTRUMENT PASST-CH

Ob in einem ARA-Einzugsgebiet die Ein- führung einer integralen und dynami- schen Bewirtschaftung des Gesamtsys- tems sinnvoll ist, lässt sich grob mithilfe

eines vereinfachten Fragebogens (PASST- CH) prüfen. Dieses Instrument wurde zu- nächst in Deutschland entwickelt [6] und anschliessend den Schweizer Verhält- nissen angepasst [7, 8]. Der Fragebogen umfasst rund 15 Fragen zum Einzugsge- biet (Grösse, geplante Entwicklung usw.), zur Abwassermenge (Abwasserfrachten, Anteil Trennsystem usw.), zur Funkti- onsweise des Kanalnetzes (Überschwem- mungen, Retentionsvolumen usw.), zum Gewässer (Empfindlichkeit, Verdün- nungsfaktor usw.) sowie zur Funktion der ARA (maximale Beschickung bei Regenwetter). Die Antworten werden in vorgegebene Klassen eingestuft. Jeder Pa- rameter wird mit einem spezifischen Ge- wicht gewichtet. Die Ergebnisse, d. h. das Potenzial der vorhandenen Infrastruktur für deren dynamische Bewirtschaftung und das Potenzial für die Einführung einer integralen Bewirtschaftung auf Stu- fe Einzugsgebiet, werden in Form eines Diagramms dargestellt (siehe Fig. 5).

Jedes geschilderte Beispiel wurde mit- hilfe dieses Instruments analysiert. Die erzielten Ergebnisse wurden mit der Rea- lisierung und den umgesetzten Entschei- dungen verglichen.

FALLBEISPIELE

Die fünf ausgewählten Beispiele (Tab. 1) werden auf der Website www.gire.ch de- tailliert vorgestellt. Die wesentlichen Elemente der einzelnen Beispiele werden hier zusammengefasst.

MORGES

Für den Interkommunalen Verband für die Abwasserreinigung der Region Mor- ges (Épuration Région Morgienne, ERM) war der Ausgangspunkt für die integrale Bewirtschaftung ein Problem mit Fremd- wasser: Es galt, dessen Herkunft zu er- mitteln und die durch die 14 Mitglieds- gemeinden und die drei angeschlossenen Gemeinden zu ergreifenden Massnahmen zu bestimmen. Mithilfe eines Instru- ments zur Modellierung und Visualisie- rung des gesamten Netzes konnten eine Antwort auf dieses Problem gefunden und die verschiedenen Einträge der ein- zelnen Gemeinden quantifiziert werden.

Zugleich eröffnete dieser Ansatz weitere Untersuchungsfelder. Aufgrund der vor- gesehenen Erweiterung der ARA um eine Stufe zur Elimination der Mikroverunrei- nigungen war es besonders interessant, die künftige Entwicklung der Anlage

mit den Netzdaten zu koppeln. Wegen offener Fragen zur Regionalisierung von ARA sowie zu den Auswirkungen der Abwassereinleitungen bei Regenwetter wurden die Gewässer, insbesondere der Fluss Morges, ebenfalls in die Überlegun- gen einbezogen. Sowohl die biologische Qualität des Fliessgewässers als auch die Minimierung der Einleitungen in den Genfersee wurden berücksichtigt. Dieser integrale Ansatz brachte erhebliche Vor- teile: So konnte beispielsweise die Grösse bestimmter Anlagen der neuen ARA um 50% reduziert werden. Eine Speicherka- pazität für Mischabwasser von 1000 m3 im Bereich dieser neuen, dynamisch be- wirtschafteten Anlage wird es ermögli- chen, die Entlastungen in Richtung See stark zu reduzieren Durch Verbesserun- gen an der aktuellen ARA sowie an allen Bauwerken im Verbandsnetz konnten zu- dem die Stromerzeugung und der Strom- verbrauch optimiert und eine positive Bilanz erzielt werden.

LA CHAUX-DE-FONDS

Die Stadt La Chaux-de-Fonds befindet sich auf 1000 m ü. M. in einer Karstland- schaft. Sowohl das gereinigte Abwasser als auch die Mischabwasserentlastungen des Einzugsgebiets werden grossenteils in ein Fliessgewässer ohne ständige Was- serführung (La Ronde) eingeleitet; ein kleiner Teil fliesst in Richtung Le Locle ab. Das Wasser der Stadt versickert diffus in Richtung Doubs, eines besonders emp- findlichen Gewässers (Fig. 3). Der Druck aus Fischerei- und Umweltkreisen ist in diesem Beispiel sehr wichtig. Die Auswir- kungen der Abwassereinleitungen lassen sich nur schwer abschätzen, da es sich im Wesentlichen um diffuse Einträge nach Versickerung im Karst handelt. Die Stadt unterliegt strengen Budgetbeschränkun- gen. Der Beschluss, die ARA mit einer Stufe zur Elimination der Mikroverunrei- nigungen auszubauen, stärkte den Wil- len, eine integrale Bewirtschaftung des Gesamtsystems Kanalnetz – ARA – Ge- wässer einzuführen.

Der integrale Ansatz umfasst verschiede- ne Lösungen. Geplant sind Lösungen «an der Quelle», also vor der Einleitung des Regenwassers in das Kanalnetz (Versi- ckerung auf der Parzelle, sofern möglich, Rückhaltung auf Flachdächern, Wieder- verwendung von Regenwasser usw.). Er- gänzt werden diese Massnahmen durch den Ausbau der ARA (Inbetriebnahme für 2023 geplant) und die damit erzielte

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Verbesserung der Qualität des gereinigten Abwassers. Zudem wird die Rechenkapazität für das Mischabwasser von 2,5 m3/s auf 8,5 m3/s erhöht (Inbetriebnahme 2022) und die Einrichtung eines Schilffilters unterhalb der ARA zur Behandlung des ent- lasteten Mischabwassers geprüft.

Die integrale Bewirtschaftung des Gesamtsystems ermöglicht es in diesem Fall, Lösungen mit einem besonders interessan- ten Kosten-Nutzen-Verhältnis umzusetzen und dabei ein hohes Mass an Gewässerschutz sicherzustellen. Im Vergleich zur ersten Version des Generellen Entwässerungsplans (GEP) kön- nen damit Investitionen im Umfang von rund 25 Mio. Franken eingespart werden.

LUGANO

Das Einzugsgebiet der ARA Bioggo umfasst mehrere Verbän- de und deren Kanalnetze. 2008 bewilligte der Vorstand des Abwasserverbands Consorzio depurazione acque di Lugano e dintorni (CDALED) einen Kredit für die Ausarbeitung eines Verbands-GEP (V-GEP). Es wurde angestrebt, die Abwasserrei- nigungsziele des Bezirks Lugano zu aktualisieren sowie die Ziele, Umsetzungsfristen, Massnahmen und Finanzierung der regionalen Verbände zu koordinieren. Da sich neben dem V-GEP des CDALED auch der GEP der Stadt Lugano und der V-GEP eines weiteren Verbands in der Planungsphase befanden, war die Koordination ausserordentlich schwierig.

Um die gesetzten Ziele leichter erreichen zu können, wurde ein funktionales Netz definiert, welches das gesamte Einzugsgebiet der ARA Bioggio umfasst, unabhängig vom Eigentümer und ak- tuellen Betreiber. Dadurch liessen sich Fragen und Probleme innerhalb des V-GEP mit einem integralen Ansatz behandeln.

Die allgemeinen Gewässerschutzziele für Fliessgewässer, Seen und Grundwasser erfordern eine integrale Betrachtung für den Bezirk Lugano. Auf diese Weise gelang es, die Funktion vor- handener oder geplanter Rückhaltebauwerke zu verbessern, die Beschickung der ARA durch Ausnutzung ihrer maximalen Kapazität zu erhöhen und die Auswirkungen von Entlastungen (optisch, Nährstoffeinträge, bakteriologische Belastungen usw.) in einem Bereich mit hohem touristischem Wert zu vermindern.

Die Schwierigkeiten dieses integralen Ansatzes lagen vor allem in der Qualität der Daten zu den verschiedenen kommunalen Netzen und in den unterschiedlichen administrativen Bearbei- tungsebenen. Dennoch wurden diese Schwierigkeiten überwun- den. Das Konzept wurde auf äusserst pragmatische Art und Weise eingeführt, wobei lokale Besonderheiten und budgetäre Zwänge Berücksichtigung fanden. Die integrale Betrachtung hilft mit, in den betroffenen Gemeinden Unterstützung für die zu sprechenden Kredite zu erhalten. Die Sichtbarkeit der durch- zuführenden Arbeiten ist gestiegen: Es lässt sich nun schwarz auf weiss feststellen, dass es bei bestimmten Punkten Probleme gibt. Die Investitionen lassen sich daher einfacher rechtfertigen.

Die Vorteile in Sachen Wasserqualität sind noch nicht sicht- oder messbar, aber diese Probleme standen im Beispiel Lugano auch nicht im Vordergrund.

Auf Kantonsebene ist man mit diesem Projekt zufrieden, da der Verband eine regionale Betrachtung der Wasserbewirtschaf- tung entwickelt. Es stellt einen Schritt in Richtung eines Regi- onalen Entwässerungsplans (REP) dar, der auf Kantonsebene noch nicht entwickelt wurde. Das Konzept des «funktionalen Kanalnetzes» mit einer globalen Betrachtung des Systems und gezielten Investitionsmöglichkeiten verschafft dem Betreiber einen Mehrwert.

HOCHDORF

Im Rahmen der Sanierung der ARA Hochdorf wird die maxi- mal bei Regenwetter behandelte Abwassermenge reduziert.

Durch den Verzicht auf die Entlastung nach dem Vorklärbe- cken wird mehr Mischabwasser in den Bach Ron eingeleitet.

Zudem werden erheblich stärkere Einleitungen aus dem Regen- überlaufbecken (RÜB) direkt oberhalb der ARA erwartet. Eine erste Studie zeigte, dass grosse zusätzliche Retentionsvolumen (1000 bis 2500 m3) erforderlich wären, um diese Auswirkungen zu kompensieren. Eine weitere Studie sprach sogar von einer zusätzlichen Speicherung von 3000 m3 vor der ARA Hochdorf.

Dieses auf 3 bis 6 Mio. Franken geschätzte Projekt warf Fragen seitens der Behörden auf, da das Kanalisationsnetz bereits über vier RÜB mit einem Gesamtvolumen von 1700 m3 verfügt. Es ist nun zu prüfen, ob vor dem Bau neuer Speicherbecken eine Opti- mierung der bestehenden RÜB und deren Entlastungen möglich ist. Daher liegt der Fokus bei diesem Beispiel auf einer ganz- heitlichen Betrachtung des Systems. In der Tat legten mehrere Studien zu den aufnehmenden Gewässern, dem Bach Ron und dem Baldeggersee, Defizite im Bereich Gewässerqualität, Fauna und Morphologie offen.

Die Analyse der Befüllungs-/Entleerungsverhalten zeigte ein beträchtliches Optimierungspotenzial für die bestehenden RÜB Fig. 3 Luftaufnahme des Entwässerungssystems der Region La Chaux-

de-Fonds, begrenzt im Norden durch den Doubs und im Süden durch die Valanvron-Schlucht, in der die La Ronde verläuft, mit Angabe der unterirdischen Wasserläufe in Richtung Doubs.

(Quelle: [9]) Verrerie

La Rasse

Le Doubs

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(Fig. 4). Die Analyse einzelner Regener- eignisse mithilfe der gemessenen Daten verdeutlichte, dass die Leerung der Be- cken nicht koordiniert erfolgt.

Deshalb ist in diesem Beispiel das Ziel der integralen Bewirtschaftung, das vor- handene System, vor allem den Betrieb der Rückhaltebauwerke, zu optimieren, ohne dabei die Gewässer und die Funk- tion der ARA zu beeinträchtigen. Dank der Datenanalyse, den Simulationsmo- dellen und den durchgeführten Feldana- lysen (Immissionen) wurde ein besseres Verständnis des Gesamtsystems Kanal- netz – ARA – Gewässer erreicht. Die Er- gebnisse zeigten, dass es nicht notwendig ist, zusätzliches Retentionsvolumen zu bauen. Dadurch lassen sich Investitions- einsparungen in Höhe von 3 bis 6 Mio.

Franken erzielen. Die Optimierung führt zu einer hohen Schutzwahrscheinlichkeit (> 65%) bei Regenwetter und einem best- möglichen Betrieb der ARA.

STEINACH

Zu Projektbeginn war die Steinach ein Gewässer, das aufgrund der Mischabwas- serentlastungen der Stadt St. Gallen und der Einleitung von gereinigtem Abwasser der ARA Hofen stark belastet war. Unter- halb der ARA Hofen betrug der Abwasser- anteil bei Niedrigwasser bis zu 80%. Der ökologische Zustand des Flusses wurde in den durchgeführten Studien als schlecht bewertet. Die Entwicklung einer Lösung

für den Fluss Steinach basierte auf der Untersuchung von sechs Szenarien, die hinsichtlich ihrer Machbarkeit und ihrer Kosten (Investition und Instandhaltung) bewertet wurden. Die geschätzte Schad- stoffbelastung in Richtung Bodensee (insbesondere Phosphor) spielte in der Analyse eine entscheidende Rolle.

Im Rahmen dieses Beispiels ist es ent- scheidend, die beiden ARA (Hofen und Morgental), das Fliessgewässer selbst (Steinach), das Kanalisationsnetz (Um- wandlung in Trennsystem, Erhöhung der Rückhaltekapazitäten usw.) und den Bodensee gleichermassen zu betrachten, um eine zufriedenstellende Lösung zu finden. Zudem sind sehr hohe Investiti- onen (72 Mio. Franken bis 2060) vorge- sehen, weshalb es äusserst wichtig ist, eine möglichst umfassende globale Be- trachtung mit sämtlichen Akteuren zu erhalten. Eine multifaktorielle Analyse wurde erstellt, an der sich zahlreiche Akteure beteiligten: Öffentlichkeit, kan- tonales Amt für Umwelt, Anwohner der Gewässer, Betreiber der ARA, Fischer, Umweltschutzverbände, Verantwortliche für die Trinkwassergewinnung aus dem Bodensee usw. Die Kosten der verschiede- nen Lösungen sowie die Vor- und Nach- teile wurden innerhalb des Lenkungsaus- schusses anhand verschiedener Kriterien bewertet. Auf Grundlage der erfolgten Arbeiten gelangten sämtliche Mitglieder zum Schluss, dass die Variante mit der

Aufhebung der ARA Hofen vorzuziehen sei. Dementsprechend sprach der Exper- tenausschuss die Empfehlung aus, auf die Steinach als Aufnahmegewässer für gereinigtes Abwasser zu verzichten. So lässt sich ein sehr hohes Mass an Gewäs- serschutz erreichen. Eine nach dem An- schluss der ARA Hofen an die ARA Mor- genthal durchgeführte Erfolgskontrolle nach Modulstufenkonzept (MSK) belegte eine deutliche Verbesserung der Situation in der Steinach bezüglich der Parameter äusserer Aspekt, Wasserpflanzen, Kiesel- algen und Makrozoobenthos.

Neben dem System Kanalnetz – ARA – Gewässer wurden im Beispiel Steinach weitere Sektoren der Wasserwirtschaft betrachtet (siehe Fig. 2). Fischereiliche Aspekte spielten eine wichtige Rolle bei der Wahl des Entwässerungssystems.

Dabei wurde angestrebt, einen Migrati- onskorridor für die verschiedenen Fisch- arten zu schaffen. Auch die Wasserkraft ist durch die Turbinierung des Abwassers einbezogen: Diese Option wurde in sämt- lichen analysierten Szenarien berück- sichtigt und als wichtiger Aspekt der ausgewählten Lösung betrachtet.

ERGEBNISSE PASST-CH

Die Anwendung des Instruments PASST- CH in den fünf Fallbeispielen ergab ko- härente Resultate (Fig. 5). Obgleich das Instrument stark vereinfacht ist, ermög- Fig. 4 Analyse der zeitbasierten Daten für die verschiedenen RÜB der Gemeinde Hochdorf (Quelle: Holinger AG)

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licht es doch eine erste Abschätzung des Potenzials für eine integrale und dyna­

mische Bewirtschaftung des Gesamtsys­

tems Kanalnetz – ARA – Gewässer.

Es sei darauf hingewiesen, dass das In­

strument nur für Kanalisationsnetze mit einem Trennsystemanteil von maximal 50% vorgesehen ist: Das Ergebnis der Analyse im Beispiel Morges ist daher mit Vorsicht zu betrachten. Im Falle eines Anschlusses kleinerer ARA an die ARA Morges könnte auf den aufgegebenen ARA jeweils ein gewisses Retentionsvo­

lumen geschaffen werden: Diese Volumen könnten im Rahmen einer dynamischen Bewirtschaftung bei Regenwetter genutzt werden.

Für das Beispiel La Chaux­de­Fonds zeigt die Analyse, dass die dynamische Bewirtschaftung nicht empfohlen wird:

Aufgrund fehlender Retentionsvolumen im Einzugsgebiet besteht praktisch kein Potenzial. Das verwendete hydrologische Prognoseinstrument ermöglicht jedoch, die in der ARA ankommenden Abfluss­

mengen zu antizipieren und damit die Abwasserreinigung zu optimieren, eben­

so wie die Funktionsweise der Behand­

lung des entlasteten Mischabwassers im geplanten Schilffilter. Das mit dem Instrument PASST­CH erhaltene Ergeb­

nis steht im Einklang mit den in diesem Beispiel gewählten Lösungen.

Für Lugano zeigt die PASST­CH­Analyse das Potenzial einer dynamischen Bewirt­

schaftung des Netzes deutlich. Das Ergeb­

nis steht in völligem Einklang mit den durch den Verband festgelegten Zielen.

Die dynamische Bewirtschaftung kann tatsächlich zur Reduktion der Einleitun­

gen in die Gewässer führen. Das Ergeb­

nis liegt im grünen Bereich, das heisst:

«Im Einzugsgebiet wird die dynamische Bewirtschaftung der Abwasseranlagen empfohlen, das Kosten­Nutzen­Verhältnis ist hoch.»

Für Hochdorf wird die dynamische Be­

wirtschaftung nicht empfohlen, obwohl ein Zusammenspiel von vier RÜB be­

steht. Das Ergebnis mag überraschen. In diesem Beispiel wird jedoch festgestellt, dass die koordinierte Entleerung der RÜB bereits eine zufriedenstellende Lösung darstellt, weswegen nicht unbedingt auf eine dynamische Bewirtschaftung zurückgegriffen werden muss. Die Un­

tersuchungen werden jedoch fortgesetzt, um herauszufinden, ob eine dynamische Bewirtschaftung dem Gesamtsystem einen Mehrwert verschaffen könnte.

Die PASST­CH­Analyse für die Steinach schliesslich zeigt ein interessantes Poten­

zial für die dynamische Bewirtschaftung.

Eine detaillierte Analyse der Betriebsda­

ten ist erforderlich, um dieses Potenzial genauer zu bestimmen. Eine dynamische Bewirtschaftung bietet die Möglichkeit, die vorhandenen, derzeit sehr ungleich­

mässig genutzten Retentionsvolumen unter Berücksichtigung der im Einzugs­

gebiet sehr unterschiedlichen Schmutz­

stofffrachten optimal zu betreiben.

DISKUSSION

Die im VSA­Projekt dargestellten Beispie­

le zeigen, dass wir in der Schweiz bereits über alle Elemente verfügen, um eine integrale und dynamische Bewirtschaf­

tung des Gesamtsystems umsetzen zu können. Die Rolle des VSA besteht darin, den Akteuren der Wasserwirtschaft auf­

zuzeigen, wie sie die verschiedenen Ele­

mente für eine optimale Bewirtschaftung zusammenführen können.

DIE BEDEUTUNG DER DATEN

Die verfügbaren Daten spielen für die in­

tegrale Bewirtschaftung des Gesamtsys­

tems und insbesondere für einen optima­

len Betrieb der Sonderbauwerke und der ARA eine entscheidende Rolle. Qualitativ hochwertige und aktuelle Daten sind für eine Umstellung auf Instrumente zur Sys­

temoptimierung notwendig. Die vorlie­

genden Beispiele zeigen aber auch, dass eine integrale Betrachtung möglich ist auf der Basis von Daten, die nicht zwangs­

läufig hochaktuell sein müssen: Im Rah­

men der Implementierung der integralen Bewirtschaftung kann der notwendige Aktualisierungsrhythmus bestimmt und festgelegt werden, welche Daten dazu un­

erlässlich sind. Es ist somit nicht nötig, auf einen perfekten Datensatz zu warten.

A R A

Die ARA­Betriebsdaten sind im Allgemei­

nen vollständig und gut dokumentiert.

Auch die Schadstoffkonzentrationen und ­belastungen werden regelmässig gemessen und sind in den kantonalen Zusammenfassungen enthalten [10]. Die Kapazität der ARA bei Regenwetter ist eine Kerninformation. Obgleich die meis­

ten ARA auf den doppelten Trockenwet­

teranfall (QTW) dimensioniert wurden, lässt sich in den Beispielen feststellen, dass diese Kapazität sehr viel höher sein kann (z. B. 5 QTW im Fall Lugano). Es ist daher zentral, diese Kapazität und die Auswirkungen auf die ARA genau zu be­

stimmen: In den meisten Beispielen las­

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Fig. 5 Übersicht über die PASST-CH-Ergebnisse für die fünf analysierten Beispiele

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sen sich die 2 QTW überschreiten. Beim integralen Ansatz spielen zudem die Son- derbauwerke in Zusammenhang mit der ARA (Vorhandensein und Funktion von RÜB resp. RÜ im Zulauf zur ARA, Hebe- werke usw.) eine sehr wichtige Rolle. In La Chaux-de-Fonds kann der Rechen im ARA-Zulauf Mischabwasser bis zu einer Kapazität von 10 QTW behandeln.

K anal is a t ionsne t z

Im Gegensatz zu den ARA-Daten werden Abflussdaten im Kanalisationsnetz sel- tener und meist im Zusammenhang mit lokalen Problemen erhoben. Diese Infor- mationen werden im Allgemeinen in den GEP erfasst. Eine 2017 in der Schweiz durchgeführte Analyse der Betriebsdaten zu Rückhaltevolumen im Netz (Abfluss, Häufigkeit, Dauer usw.) unterstreicht die- se mangelhafte Situation [11]. Netzseitig fehlen eindeutig Richtlinien, welche die Art der zu erfassenden Daten, die emp- fohlenen Instrumente und die Datenvali- dierung definieren, um so eine optimale Qualität der Informationen zu gewähr- leisten. Richtlinien dieser Art gibt es bei-

spielsweise in Deutschland [12]. Der VSA ist in einem aktuellen Projekt daran, die- se Lücke zu schliessen.

Oft ist die tatsächliche Funktionsfähig- keit der Regenüberläufe unbekannt. Die Echtzeitkopplung von Messungen und Modell, wie in den Beispielen Morges und La Chaux-de-Fonds, ermöglicht die Nut- zung der Messungen, um die problema- tischen Einleitstellen zu priorisieren. Die VSA-Richtlinie «Abwasserbewirtschaf- tung bei Regenwetter» (ehemals STORM) ist eine wertvolle Hilfe, um sich mit der Funktionsweise von Überläufen vertraut zu machen und potenzielle Auswirkun- gen abzuschätzen [13]. Sie wurde in allen Beispielen genutzt.

G e w äs s er

Das Gewässer ist Teil des Gesamtsystems.

Im Gewässer lassen sich alle im Einzugs- gebiet unternommenen Anstrengungen messen. Eine gute Wasserqualität ist ein Indikator für die Leistung des gesamten Entwässerungssystems. Die Auswirkun- gen der Entwässerung können jedoch nicht getrennt von anderen potenziellen

Auswirkungen – landwirtschaftliche Einleitungen, Ökomorphologie, Wasser- kraftnutzung usw. – betrachtet werden.

In den analysierten Beispielen ist die Rol- le der Siedlungsentwässerung dank der umgesetzten integralen Bewirtschaftung relativ gut bekannt. Eine für das Einzugs- gebiet des Doubs erstellte Schadstoff- bilanz ermöglichte es beispielsweise, den Einfluss der Siedlungsabwässer aus La Chaux-de-Fonds auf die Beeinträchti- gung der Umwelt zu relativieren [14].

Qualitativ hochwertige Daten der Ge- wässer werden regelmässig durch die kantonalen Behörden erhoben. Jedes Gewässer wird gemäss einem durch die Behörden festgelegten Rhythmus einge- hend untersucht. Die durch die Kantone ausgewählten Messstellen haben jedoch oft keinen Bezug zu den Einleitstellen aus der Siedlungsentwässerung. In allen Bei- spielen mussten daher Messstellen ein- gerichtet und spezielle Analysen durch- geführt werden, um die Auswirkungen der Abwassereinleitungen abschätzen zu können. Die in der VSA-Richtlinie [13]

beschriebenen Instrumente erlauben

Fig. 6 Instrument, das im Beispiel Morges zur Echtzeitsteuerung resp. für Voraussagen eingesetzt wird.

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eine gezielte Bewertung der Auswirkun- gen der Siedlungsentwässerung auf die Gewässer.

L eis t ungsindik a t or en

Um die Vorteile der integralen Bewirt- schaftung beurteilen zu können, sind Leistungsindikatoren erforderlich. Mit- hilfe eines Indikators kann eine Eigen- schaft des untersuchten Systems bewer- tet werden. Im Fall der dynamischen Optimierung eines Systems definiert der Leistungsindikator das zu erreichende Ziel numerisch.

In jedem Beispiel werden spezielle Leis- tungsindikatoren für das Gesamtsys- tem verwendet. Die Unterschreitungs- wahrscheinlichkeit, definiert durch den STORM-Ansatz, wird regelmässig als Leistungsindikator für die Abwasserein- leitungen bei Regenwetter genutzt. Die Einhaltung der ARA-Einleitungsbedin- gungen zählt selbstverständlich ebenso zu den verwendeten Leistungsindikato- ren. Überdies sind ARA-Energiekenn- zahlen ein wichtiges Kriterium (siehe die Beispiele Morges, La Chaux-de-Fonds und Steinach). Im Bereich Gewässer sind die MSK-Indikatoren ausschlaggebend.

Mithilfe umfassender Indikatoren (bei- spielsweise die aus der Siedlungsentwäs- serung in die Gewässer eingeleitete Ge- samtfracht), die mehrere Teilindikatoren vereinen, lässt sich eine Bestandsaufnah- me des Systems machen. In den unter- suchten Beispielen fehlt jedoch solch ein aggregierter, globaler Leistungsindikator, der einen Vergleich der Gesamtsysteme untereinander erlauben würde.

MODELLIERUNGSINSTRUMENTE UND ECHTZEITSTEUERUNG

In den fünf Beispielen werden konven- tionelle Modellierungsinstrumente (SWMM, MIKE, SIMBA, MOUSE, RS URBAN) genutzt. Die Erfahrung ist noch auf die Verwendung von relativ komplexen integrierten Modellierungs- instrumenten durch Ingenieurbüros beschränkt. Kopplungslösungen, wie z. B. im Fall La Chaux-de-Fonds, werden bevorzugt: Das hydrologische Modell RS URBAN erzeugt zeitbasierte Daten, die in der Software REBEKA (Analyse der Aus- wirkungen auf das Gewässer) und im Mo- dell ORAGE (Dimensionierung des Schilf- filters [15]) weiterverwendet werden. Jede Software arbeitet autonom.

Die Software REBEKA wird in allen ana- lysierten Beispielen eingesetzt und er-

möglicht, die Auswirkungen der Einleit- stellen auf die Gewässer abzuschätzen.

Sie kann als integriertes Netz-Gewässer- Modell betrachtet werden, wenngleich die ARA-Komponente kaum berücksichtigt wird (nur maximaler ARA-Durchfluss).

In den Beispielen Morges und La Chaux-de- Fonds wird ein hydrodynamisches Modell hinzugezogen, dessen vergangene, aktu- elle und zukünftige Ergebnisse direkt auf einer entsprechenden Website abgerufen werden können. Dieser Ansatz ist interes- sant, denn er ermöglicht den verschiede- nen Akteuren, festzustellen, was im Netz abläuft, Probleme im Nachhinein zu ana- lysieren oder kurzfristig Massnahmen zu planen (Fig. 6). Die globale Visualisierung, die das Gewässer teilweise einschliesst [16], hat den Vorteil, einen Überblick über das Netz zu bieten und es so jedem zu ermöglichen, die Situation vom eigenen Standpunkt aus einzuschätzen.

Für die dynamische Echtzeitsteuerung von Kanalnetzen ist es erforderlich, Modelle und Instrumente der Echtzeitsteuerung (Real Time Control, RTC) heranzuziehen [17]. Üblicherweise ermöglicht die RTC in einem Entwässerungssystem die Regu- lierung der Schieberstellungen, um das Speicherpotenzial im Kanalnetz optimal zu nutzen. Die RTC kann eine Alternative zum Bau grösserer Retentionsbecken oder Kanäle darstellen. Unter den fünf Beispie- len kommt der Fall Hochdorf einer Bewirt- schaftung vom Typ RTC am nächsten: Die Leerung der RÜB erfolgt intelligent, um die Entlastungen zu minimieren.

In allen analysierten Beispielen haben sich die Modellierungsinstrumente be- währt. Es ist nicht unbedingt erforder- lich, auf komplexere Instrumente zurück- zugreifen. Die Modellierungsinstrumente werden jedoch ständig weiterentwickelt.

Zahlreiche Software-Anwendungen wur- den bzw. werden für die integrierte und dynamische Modellierung des Entwäs- serungssystems entwickelt. Die GIRE- Website (www.gire.ch) bietet eine nicht abschliessende Auflistung der üblicher- weise verwendeten Software und wird diesbezüglich regelmässig aktualisiert.

KOMMENTARE

Während der Zusammenstellung der Beispiele wurden zahlreiche Kommenta- re dazu gesammelt. Die Akteure hoben die Vor- und Nachteile der dynamischen und integralen Bewirtschaftung des Ge- samtsystems hervor und äusserten ihre

Fragen. Folgende Punkte wurden in In- terviews regelmässig vorgebracht. Die Antworten darauf basieren auf bereits gesammelten Erfahrungen:

«D as eigne t sich nich t f ür meine G emeinde » Die dynamische und integrale Bewirt- schaftung des Gesamtsystems lässt sich tatsächlich nicht überall anwenden. Der in der Gesetzgebung und in unseren Institutionen verankerte Grundsatz der Verhältnismässigkeit gilt auch für diesen Ansatz: Freiwillige Konzepte und anpass- bare Lösungen werden bevorzugt, um eine pragmatische Umsetzung von Lö- sungen zur integralen und dynamischen Bewirtschaftung des Gesamtsystems Kanalnetz – ARA – Gewässer zu fördern.

Die Akteure der verschiedenen geschil- derten Beispiele warteten nicht auf eine Vorschrift, um ihre Vision zu entwickeln, sie handelten pragmatisch.

Mehrere Motive spielen eine Rolle, z. B.

die «Dissonanz» zwischen dem Perimeter des technischen Systems (üblicherweise das Einzugsgebiet der ARA) und der je- weiligen Verwaltung (üblicherweise die einzelnen Gemeinden), die Regionalisie- rung der ARA oder ein aus ökologischer oder touristischer Sicht sehr empfindli- ches Gewässer.

«No ch eine w ei t er e Ver p f l ich t ung»

Die integrale Wasserbewirtschaftung ist bereits Teil der Schweizer Gesetzgebung.

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) wirkt zudem an der Umsetzung der Prinzipien der integralen Wasserbewirtschaftung mit, indem es theoretische Grundlagen, Umsetzungshilfen, Strategien, Berichte und Studien usw. veröffentlicht [5].

Hindernisse sind eher auf der lokalen, organisatorischen Ebene zu finden. Aber auch hier zeigen die verschiedenen Bei- spiele, dass dies die Umsetzung der dy- namischen und integralen Bewirtschaf- tung des Gesamtsystems nicht hemmt.

Der GIRE-Ansatz ist als ausgezeichnete Chance zur Weiterentwicklung der inte- gralen Wasserbewirtschaftung zu begrei- fen, nicht als Verpflichtung.

«D as is t z u t euer »

Ein koordinierter und integraler Prozess wie die integrale Bewirtschaftung des Gesamtsystems bedeutet anfangs zusätz- lichen Aufwand und damit auch Finan- zierungen. Dennoch wird in der Schweiz eine positive Bilanz gezogen. Die analy- sierten Beispiele belegen dies: In den fünf

AQUA & GAS N

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2 | 2021 FACHARTIKEL | 71

Lizenz für Ernst A. Müller, mueller@infrawatt.ch

Geschäftsstelle InfraWatt, Schaffhausen

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Une directive VSA est ainsi en cours d’élaboration sur ce thème. La version

SUITE DU RÉSUMÉ

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Fällen ist ein besserer Gewässerschutz dank des umgesetzten integralen Ansat- zes deutlich erkennbar. Summiert man die erzielten Einsparungen im Bereich In- vestitionen in den fünf Beispielen, ergibt sich ein Betrag von rund 50 Mio. Franken.

Selbstverständlich ist dieser Betrag zu re- lativieren: Die Zeit für die Entwicklung der Lösungen, die Expertisen, die zahlrei- chen Arbeitssitzungen verursachen eben- falls Kosten. Alle Befragten sind jedoch der Auffassung, dass die Bilanz, sowohl in finanzieller als auch in ökologischer Hinsicht, insgesamt positiv ist.

«E s gel ing t mir nich t , die B ehör den z u üb er z eugen»

Neben den bereits erwähnten finanziellen und rechtlichen Aspekten unterstreichen die aussergewöhnlichen Wetterereignisse der letzten Jahre die Notwendigkeit, die vorhandenen Strukturen zu prüfen. Die Dürreperioden, die Hochwasser, die De- batten zum Klimawandel, die politischen Interventionen und die Ergebnisse der letzten Wahlen stärkten auf verschiede- nen Ebenen den Willen, eine dynamische und integrale Wasserbewirtschaftung einzuführen.

POSITIVE UND NEGATIVE ASPEKTE

Zu den positiven Aspekten zählen die Be- fragten die Verbesserung des Kontakts und des Dialogs mit den Gemeinden (Schaffung eines Klimas des Vertrauens), den Gewinn an Glaubwürdigkeit für be- stehende Probleme, die Möglichkeit, die Effizienz vorgeschlagener Lösungen zu belegen, und die Priorisierung von Mass- nahmen. Die Entdeckung eines besonders vielfältigen Gewässers, das Schutzmass- nahmen benötigt, ist ein wichtiger Punkt, den es ebenfalls zu erwähnen gilt.

Bei den negativen Aspekten ist die schwierige Finanzplanung im Bereich der Gemeinden zu nennen: Die Investitionen verteilen sich über einen langen Zeitraum und erfolgen oft unkoordiniert, wenn zahlreiche Gemeinden involviert sind.

FAZIT

Der integrale Ansatz ist in der Schweiz zwar recht gut bekannt, dennoch befürch- tete die Arbeitsgruppe bei Projektbeginn, nicht genügend Anwendungsbeispiele zu finden. Schliesslich wurden sogar 26 Bei- spiele vorausgewählt, was eine weitere Re- duktion nötig machte. Selbstverständlich verfolgen nicht alle Beispiele die gleichen

Ziele und befinden sich nicht in den glei- chen Entwicklungsphasen. Es zeigt sich jedoch, dass die integrale Bewirtschaftung tatsächlich Teil des Kompetenzbereichs von Entwässerungsexperten ist. Die För- dermassnahmen von Bund und Kantonen für eine Umstellung auf eine integrale Wasserbewirtschaftung tragen Früchte.

Die Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden muss verstärkt werden. In den verschiedenen analysierten Beispielen sind es die lokalen Akteure, die die Ini- tiative ergreifen und ihre Ergebnisse den Behörden präsentieren. Angesichts der ziemlich komplexen neuen Problemati- ken verfügen die Behörden nicht immer über die erforderlichen Kompetenzen, um die Projekte zu überwachen, und ziehen daher Experten bei. Es ist jedoch ent- scheidend, dass die kantonale Behörde von Projektbeginn an involviert ist, wie es in den Beispielen der Fall war, und als treibende Kraft in den integralen Ansät- zen fungiert. Die Schulung des Verwal- tungspersonals in den neuen Instrumen- ten und dem integralen Ansatz ist von entscheidender Bedeutung.

Oft wird erwähnt, dass die Arbeitsebene eine Schlüsselrolle in den integralen An- sätzen spielen kann. Es ist vor allem wich- tig, auf einer funktionalen Ebene, die mit der jeweiligen Problematik verbunden ist, zu arbeiten. Die Einzugsgebietsebene ist, obgleich sie logisch erscheinen mag, nicht zwangsläufig am besten geeignet, um auf Probleme der Siedlungsentwässerung zu reagieren.

Zudem wurde der integrale Ansatz von den Befragten in den verschiedenen Beispielen a priori als zu komplex wahrgenommen.

Dennoch sind die Akteure mit dieser Pro- blematik gut vertraut: Die GEP stellen be- reits einen relativ integralen Ansatz dar und schliessen mit ihren jeweiligen Zu- standsberichten das Kanalnetz, die ARA und die Gewässer ein. Der dynamische Aspekt sowie die globale Optimierung feh- len in den GEP noch. Diese könnten jedoch problemlos in die GEP-Aktualisierung auf- genommen werden, womit ein zusätzlicher Arbeitsschritt vermieden wird.

Die im VSA-Projekt geschilderten Bei- spiele dienen dazu, die Möglichkeiten für eine konkrete Anwendung einer inte- gralen und dynamischen Wasserbewirt- schaftung im Bereich der Entwässerung im weitesten Sinne aufzuzeigen. Der VSA arbeitet weiter an der Förderung dieses Ansatzes durch ein neues Projekt: Die Ergebnisse in Form einer Richtlinie zur

integralen Bewirtschaftung des Gesamt- systems werden für Ende 2022 erwartet.

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doi:10.1016/j.jhydrol.2004.08.010

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