V O L K E R T R U G E N B E R G E R
Der Leonberger Raum an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit
Wirtschaft und Bevölkerung
Bevölkerungsentwicklung
Die Zeit zwischen 1470 und 1618 w i r d in der Wirt- schaftsgeschichte als Zeitalter der Preisrevolution bezeichnet.1 Sie war, w i e schon aus der Epochen- bezeichnung hervorgeht, geprägt v o n einem allge- meinen, besonders j e d o c h bei Agrarprodukten feststellbaren Preisanstieg in H ö h e v o n durch- schnittlich 1,5 Prozent pro Jahr. Ursache dafür war zum einen die Vermehrung des umlaufenden Gel- des durch die Erschließung neuer Silbergruben in Europa und im neuentdeckten Amerika, v o r allem aber eine Zunahme der Nachfrage aufgrund eines starken Bevölkerungswachstums, mit d e m die landwirtschaftliche Produktion nicht Schritt hal- ten konnte. Exakte Bevölkerungszahlen liegen zwar nicht vor, doch ist davon auszugehen, daß die Bevölkerung in Deutschland v o n neun oder zehn Millionen im Jahr 1470 auf 15 bis 17 Millionen im Jahr 1618 anwuchs.
Diese Zunahme der B e v ö l k e r u n g läßt sich auch für den L e o n b e r g e r R a u m feststellen. Wir haben zwar auch hier keine genauen Einwohnerzahlen aus dieser Zeit, sondern nur A n g a b e n über die Zahl der Haushalte in den einzelnen Ortschaften, doch lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Ein- wohnerzahl ziehen.
Steuerlisten aus den Jahren 1470 und 1544/45, eine Herdstättenliste aus d e m Jahr 1525 s o w i e eine Haushaltszählung v o n 1598 decken das gesamte damalige A m t L e o n b e r g ab und sind deshalb die
wichtigsten Quellen für die Ermittlung der B e v ö l - kerungsentwicklung.2 Dazu k o m m e n Steuerlisten und Steuerbücher der Stadt L e o n b e r g .3 B e i der bevölkerungsstatistischen Interpretation v o n Steuerlisten ist zu beachten, daß hier auch P f l e g e - kinder mit e i g e n e m V e r m ö g e n als selbständige (Steuer-) Haushalte aufgeführt sind, o b w o h l sie natürlich im Haushalt v o n Verwandten lebten und deshalb bei statistischen Erhebungen w i e der v o n 1598 nicht berücksichtigt wurden. Da es sich j e - doch dabei i m m e r um relativ w e n i g e Fälle handelt, sind dennoch Aussagen über die Grundtendenzen der Bevölkerungsentwicklung m ö g l i c h .
N a c h den genannten Quellen verdreifachte sich in Gebersheim zwischen 1470 und 1598 die Zahl der Haushalte v o n 15 auf 48, was einem A n s t i e g der Bevölkerung v o n ungefähr 70 Personen auf über 200 entspricht, w e n n man ( w i e üblich) d a v o n aus- geht, daß durchschnittlich vier bis fünf Personen in einem Haushalt lebten. In Warmbronn vervier- fachte sich die Haushaltszahl sogar v o n 14 auf 59.
Nicht ganz so groß war die Bevölkerungszunahme in Höfingen, wo es 1470 69 Haushalte gab, während in der Steuerliste v o n 1545 86 Haushalte genannt sind und bei der Haushaltszählung 1598 101, aber auch dort ist demnach immerhin eine Zunahme v o n beinahe 50 Prozent festzustellen.
Für Eltingen liegen A n g a b e n über die Zahl der Haushalte für das Jahr 1470 nicht vor, da dieser Ort damals vorübergehend nicht zum A m t L e o n b e r g gehörte. 1491 gab es hier 127 Haushalte, 1545 136 und 1598 143.
In L e o n b e r g sind 1470 208 Haushalte nachgewie- sen, demnach lebten damals dort ungefähr 900 Personen. 25 Jahre später sind es 218, also auch in L e o n b e r g können w i r zunächst ein leichtes A n - wachsen der B e v ö l k e r u n g beobachten. D o c h 1525
bevölkerten nur noch 161 Familien, W i t w e n und ledige Bürger die Stadt, was einem Rückgang v o n 26 Prozent gegenüber 1495 entspricht, ein Rück- gang, der v ö l l i g der allgemeinen Bevölkerungsent- wicklung zuwiderläuft. Der Grund für diesen Rückgang ist w o h l in erster L i n i e in einem verhee- renden Stadtbrand im Jahr 1498 zu sehen, der 46 Häuser vernichtete.4 N o c h 1553 hieß es, daß nach der »großen verderblichen brunst v i l der v e r m ö g - lichsten persohnen unnd b u r g e r « , die v i e l e Güter in Höfingen, Gerlingen und Ditzingen gehabt hät- ten, »auß der statt g e z o g e n « seien und daß 20 Hof- stätten in der Stadt noch i m m e r » o n g e b a w t « lägen.5
Erst in den 1550er Jahren konnten die Einwohner- zahlen der Zeit v o r d e m Stadtbrand w i e d e r er- reicht werden. Dann setzte allerdings ein rapides Bevölkerungswachstum ein. Angesichts der klei- nen Markung und der mit d e m Bürgerrecht ver- bundenen Leistungen der Stadt w i e der kostenlo- sen Brennholzgabe aus d e m Stadtwald oder der Unterstützung im Fall der N o t war dieser rasche
Das älteste erhaltene Leonberger Bür- gerbuch beginnt mit einer Auflistung aller Bürger der Stadt um 1560 (Transkription der abgebildeten Seite siehe Anhang Seite 321).
Bevölkerungsanstieg nicht unproblematisch. Man entschloß sich deshalb, Zuzugsbeschränkungen zu erlassen. Ab 1575 wurde das Bürgergeld, das Auswärtige zu entrichten hatten, die sich als Bür- ger in L e o n b e r g niederlassen wollten, verdoppelt, außerdem hatten sie v o n nun an ein Mindestver- m ö g e n v o n 100 Gulden nachzuweisen. Ferner wur- de beschlossen, daß Bürgertöchter, die nach aus- wärts heirateten, auf das L e o n b e r g e r Bürgerrecht verzichten mußten.6
Diese Maßnahmen scheinen zumindest vorüber- gehend erfolgreich gewesen zu sein, denn die Zahl der jährlichen Neubürgeraufnahmen ging zu- nächst deutlich zurück. D i e Zahl der Haushalte verringerte sich v o n 243 im Jahre 1568 auf 208 im Jahr 1598. Zu B e g i n n des 17. Jahrhunderts gab es allerdings w i e d e r eine merkliche Zunahme der Be- völkerung, w i e eine Steuerliste aus d e m Jahr 1613 beweist, in der 286 Haushalte genannt sind, davon 211 Bürger mit Hausbesitz und 75 »hausgenossen«
ohne eigenen Hausbesitz.
D e r erhebliche Bevölkerungsrückgang in L e o n - berg nach d e m Stadtbrand v o n 1498, insbesondere aber das Stagnieren der Einwohnerzahl gegen En- de des 16. Jahrhunderts führten dazu, daß die grö- ßeren Dörfer des A m t s w i e Eltingen, Ditzingen, Gerlingen oder Weilimdorf beinahe die Größe der Amtsstadt erreichten, ja, so Gerlingen 1598, sogar übertrafen.
D i e allgemeine Zunahme der Bevölkerung in der Zeit zwischen 1470 und 1618 hatte ihre Ursache w o h l v o r allem in der hohen Geburtenrate. In vie- len Ehen brachten die Frauen alle anderthalb bis z w e i Jahre ein K i n d zur Welt. Der L e o n b e r g e r Barbier und Gastwirt Simon Ackermann hatte v o n z w e i Frauen insgesamt 21 Kinder, sein Mitbürger, der Küfer Wendel Bilfinger, v o n z w e i Frauen 14
Eine Seite aus der Leonberger Bürgermeisterrechnung (Stadtrechnung)
von 1586187 mit Einträgen des von Neubürgern bezahlten Bürgergelds (Transkription siehe Anhang).
Kinder.7 In Eltingen wurden im 16. Jahrhundert jährlich bis zu 47 K i n d e r g e b o r e n8, das heißt in j e d e m dritten Haushalt kam pro Jahr eine Frau nieder.9
Not und Tod 1
Wenn trotz der hohen Geburtenrate im Durch- schnitt nur zwischen vier und fünf Personen in einem Haushalt lebten, so lag das daran, daß sehr viele K i n d e r bereits bei der Geburt oder in den ersten Lebensmonaten starben. Es ist davon aus- zugehen, daß es sich bei einem Drittel bis der Hälfte aller Todesfälle um Säuglinge und K i n d e r handelte und daß nur ungefähr z w e i Drittel aller lebendgeborenen K i n d e r das zeugungs- bezie- hungsweise gebärfähige A l t e r erreichten. A l s Hauptursachen für die hohe Kindersterblichkeit gelten Ernährungsmangel, fehlende H y g i e n e , aber vor allem die P o c k e n .1 0 Hatte man das Kindesalter überstanden, dann hatte man j e d o c h gute Aussich- ten 60 Jahre und älter zu werden. Der L e o n b e r g e r Wirt Michel K o c h , gestorben im A p r i l 1612, w u r d e sogar um die 100 Jahre a l t .1 1
Den Menschen war der T o d - sei es durch Krank- heit oder durch Unfall - allgegenwärtig. A u c h M o r d und Totschlag kamen vor. Großes Aufsehen etwa erregte es, als G e o r g Müller, der Bürgermei- ster v o n Warmbronn, zusammen mit seiner v o n ihm schwangeren Geliebten seine Ehefrau um- brachte.1 2
Mehrmals wütete die Pest und raffte ganze Fami- lien hinweg. Seuchen sind für die Jahre 1572,1576, 1584 bis 1586, 1594, 1596/97, 1608/09 und 1611/12 überliefert.1 3 1596/97 forderte die Pest allein in El- tingen 253 Seelen, das bedeutet ungefähr ein Drit-
tel der B e v ö l k e r u n g .1 4 Besonders tragisch war hier der Fall der Familie des G e o r g und der Margaretha Wendel. Mitte August 1596 w u r d e Anna Wendel, eine Tochter, die als M a g d in Hirschlanden gedient hatte, krank in ihr Elternhaus in der Eltinger Glemsstraße gebracht, wo sie am 26. der Seuche erlag. Wenige Tage darauf w u r d e das jüngste K i n d der Familie, ein drei Wochen alter Säugling, das nächste Opfer der Pest. Am 9. September mußte man die kleine Tochter Christine begraben, am darauffolgenden Tag einen ihrer Brüder, wieder einen Tag später eine weitere Schwester und am 12. September schließlich den Familienvater G e - org Wendel, der nach viertägiger Krankheit gestor- ben war. I h m folgten noch vier Töchter und drei Söhne ins Grab. Von der vielköpfigen Familie
Wappenschild von 1571 mit Initialen B. B. (Bastian Berwart) und Hand- werkerzeichen an einem Haus in der Leonberger Schloßgasse. Bastian Berwart war Küfer von Beruf.
Ein von Sebastian Mochel 1603 an seinem Haus in der ehemaligen Le- onberger Kirchgasse (heute: Bei der Stadtkirche) angebrachter Spruch blieb beim Stadtbrand von 1895 er- halten und ziert jetzt das an gleicher Stelle errichtete Gebäude.
Wendel überlebten nur die Ehefrau und der Sohn Johannes. N o c h im September griff die Pest auf andere Häuser über. Bald reichte der Platz auf d e m um die K i r c h e gelegenen Friedhof nicht mehr aus, um die Toten aufzunehmen, und es mußte ein neuer Friedhof (der heute noch bestehende) v o r dem Ort angelegt werden.
Auch in L e o n b e r g w u r d e im übrigen w o h l g e g e n Ende des 16. Jahrhunderts ein neuer Friedhof au- ßerhalb der Stadt angelegt (der heutige A l t e Friedhof).
Seuchen traten häufig in Verbindung mit Hun- gersnöten auf. Deren Ursache waren Mißernten, die Lebensmittelteuerungen zur F o l g e hatten. Für viele, deren Landwirtschaft nicht ausreichte, um den Eigenbedarf zu decken (in L e o n b e r g zu B e - ginn des 17. Jahrhunderts z w e i Drittel der B e v ö l - k e r u n g1 5) , war dann das tägliche Brot uner- schwinglich und die Familie mußte hungern.
Eine besonders große Hungersnot herrschte z w i - schen 1571 und 1574, als mehrere hintereinander- folgende Mißernten in beinahe ganz Europa eine Hungerkrise auslösten. A u s anderen G e g e n d e n Deutschlands erfahren wir, daß die L e u t e Rüben, Nesseln, Kraut und Gras gegessen hätten oder das Laub v o n den B ä u m e n .1 6 I n L e o n b e r g w u r d e i m Winter 1573/74 den A r m e n kostenlos Hafer ausge- g e b e n .1 7 Eine neue Hungersnot kam in den 1580er Jahren. Manche sahen sich in jenen Jahren sogar gezwungen, das ihnen v o n der Stadt zugeteilte Brennholz zu verkaufen, um über die Runden zu k o m m e n .1 8 Was das in einem kalten Winter bedeu- tete, braucht nicht näher ausgeführt zu werden. Im Mai 1586 mußte ein L e o n b e r g e r Dachdecker bei der Stadt » f l e h e n l i c h « um Unterstützung bitten,
»das er mit w e i b unnd khinder nit ongeeßen schlaffen m ü e ß « .1 9 Wegen »beschwerlicher, be-
khümerlicher theurung« und großer Kälte reichte man den K i n d e r n armer L e u t e in L e o n b e r g in den Wintermonaten 1589/90 und 1592/93 zweimal am Tag kostenlos einen B r e i .2 0
Blüte der Landwirtschaft
Dennoch, die Zeit zwischen 1470 und 1618 war trotz Seuchen und Hungersnöten auch die Zeit einer gewissen wirtschaftlichen Blüte. Die Land- wirtschaft, aber auch Handel und G e w e r b e nah- m e n einen allgemeinen Aufschwung, so daß man für die Jahre v o r dem Dreißigjährigen K r i e g sogar v o n Wohlstand sprechen kann. Dieser Wohlstand fand seinen Niederschlag in einer regen Bautätig- keit, v o n der noch heute manches Gebäude und manche Bauinschrift in L e o n b e r g und in den Nachbardörfern z e u g e n .2 1
Da freilich zwischen 1470 und 1618 die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse bedeutend stär- ker stiegen als die L ö h n e oder gar die Preise für g e w e r b l i c h e Erzeugnisse, kam der wirtschaftliche A u f s c h w u n g v o r allem denjenigen zugute, die landwirtschaftliche Produkte verkauften. Dies waren die Adelsfamilien w i e etwa die Truchsessen v o n Höfingen, die A b g a b e n v o n den Bauern erhiel- ten, dies waren die reichen Kaufleute in den Städ- ten, w i e etwa die Familie Dreher in Leonberg, die mit Wein, Getreide und Wolle handelte, Getreide- abgaben v o n z w e i Höfen in Höfingen erhielt und eine ausgedehnte eigene Landwirtschaft betrieb, die auch das Hofgut Mauer bei Münchingen um- faßte, und dies waren die großen Grundbesitzer und Bauern w i e etwa die Besserer in Leonberg, die Wolfangel in Eltingen oder die Dolmetsch in H ö - fingen, die über den Eigenbedarf hinaus Über-
Die 1968 abgebrochene alte Leonberger Kelter, erbaut um 1600. Heute steht an dieser Stelle das Finanzamt.
schüsse produzierten. Diejenigen H a n d w e r k e r und Tagelöhner, die sich ihre Nahrungsmittel überwiegend oder sogar ganz auf d e m Markt kau- fen mußten, verarmten d a g e g e n .2 2
Die Leonberger G e g e n d galt als fruchtbar. Der Humanist Johannes Tethinger rühmte 1545 ihren Reichtum: L e o n b e r g selbst sei zwar nicht sehr groß, aber es g e b e große und stattliche Dörfer, v e r m ö g e n d und bevölkerungsreich, in ganz Würt- temberg sei kein Landstrich reicher an V i e h , K o r n und W e i n .2 3
Die Bevölkerungszunahme hatte ebenso w i e die steigenden Agrarpreise eine Ausweitung der land- wirtschaftlichen Nutzfläche zur Folge. A l l e i n die v o n Leonberger Bürgern bebaute landwirtschaft- liche Fläche nahm zwischen 1528 und 1575 um über 80 Hektar z u .2 4 Diese Zunahme ist v o r allem auf das Anwachsen der Weinbaufläche zurückzu- führen, die sich in d e m genannten Zeitraum v o n 55 Hektar auf 92 Hektar beinahe verdoppelte. D e r Anteil der Weingärten an der gesamten landwirt- schaftlichen Nutzfläche stieg damit in L e o n b e r g v o n 10 Prozent im Jahr 1528 auf 16 Prozent im Jahr 1575.
In den L e o n b e r g e r Nachbarorten bemühte man sich ebenfalls eifrig, neue Weinberge zu erschlie- ßen. 1566 genehmigte H e r z o g Christoph eine Bitte des »flecken Ölungen v o n w e g e n usreittung 26 morgen (8 Hektar) egarten (brachliegender Wein- gärten), so sie zue Weingarten machen w ö l t e n « , weil »solche usreittung d e m gemeinen man zu gut- ten komen m a g «2 5; in Wärmbronn wurden z w i - schen 1553 und 1574 z w e i Weingartenhalden v o n insgesamt 12 Hektar neu a n g e l e g t2 6, und in Höfin- gen rodete man 1573 5V4 M o r g e n (1,7 Hektar). Das Höfinger Fleckenbuch v o n 1593 nennt 73 Weingär- ten, die vor 18 Jahren noch Wüste und Egarten
g e w e s e n seien. 1617 schließlich baten Gebershei- mer Bürger den H e r z o g , 5 M o r g e n (1,6 ha) Egarten am H u m m e l b e r g in Weingärten umwandeln zu dürfen.2 8
Der Weinbau brachte Wohlstand. D i e meisten Orte in Württemberg, die aufgrund des hohen Durch- schnittsvermögens ihrer Einwohner als wohlha- bend zu bezeichnen sind, lagen in Weinbaugebie- ten. V i e l e L e o n b e r g e r Bürger besaßen einen eige- nen Weinberg, 1528 waren es 108 v o n 174. Bei der Hälfte v o n ihnen war der Weinbergbesitz damals allerdings kleiner als ein M o r g e n (30 A r ) , der größ- te Weinbergbesitzer konnte auf knapp drei Hektar R e b e n anbauen. Ähnliches läßt sich auch v o n den Dörfern vermuten, o b w o h l aus dieser Zeit nur für Gebersheim genauere Unterlagen überliefert sind.
Dort hatten einem Steuerbuch aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zufolge v o n 50 Haus- halten 34 eigene Weinberge. N u r bei v i e r Haushal- ten j e d o c h betrug die Weinbaufläche einen Mor- gen oder m e h r .2 9
A u c h die Ackerflächen wurden, w e n n w i r die L e o n b e r g e r Verhältnisse verallgemeinern dürfen, ausgeweitet, j e d o c h bei w e i t e m nicht in d e m M a ß w i e die Weinbauflächen. Angesichts relativ gerin- ger Erträge und teilweise hoher grundherrlicher A b g a b e n , die bis zur Hälfte der Ernte betragen konnten, diente der A c k e r b a u überwiegend der Eigenversorgung. 1583 stellten die L e o n b e r g e r fest, es g e b e bei ihnen nur » e i n sehr kleinen ackherbaw unnd fruchtwachs, dergestallt über vier b e y unns, die ihre fruchten nit all selbs zuo ihrem haußbrauch uffwenden unnd zuverkhauf- fen haben, nit s e y e n « , deshalb stünden »narung
In das von Norden gesehene Ortsbüd von EUingen („Ölttingen") in der Forstkarte des Andreas Kieser von 1681 ist, rechts im Bild, auch der große Eltinger Schafhof aufgenommen.
unnd hinbringen uff d e m w e i n w a c h s fürnem- l i c h « .3 0
A u f den Feldern wurden die traditionellen Getrei- dearten Dinkel, R o g g e n und Hafer angebaut, gele- gentlich auch Weizen und Gerste. G e g e n 1600 scheinen, dies legen zumindest die erhaltenen Ge- bersheimer Nachlaßinventare3 1 nahe, in verstärk- tem Maße auch Hanffelder angelegt w o r d e n zu sein. Für die Ernährung der B e v ö l k e r u n g waren ferner das in den Gärten g e z o g e n e Kraut sowie die Erbsen wichtig. Häufig w e r d e n in den Gebershei- mer Nachlaßinventaren auch » O b s t s c h n i t z « , also getrocknete Birnen und Ä p f e l , unter den Vorräten erwähnt.
An Tieren wurden Pferde, K ü h e , Schweine, Scha- fe und Geißen sowie Geflügel g e h a l t e n .3 2 Der Schafhaltung kam eine große Bedeutung zu. D i e Schafe dienten vornehmlich der Wöllgewinnung, wurden j e d o c h auch g e m o l k e n .3 3 D i e Pferchnut- zung, das heißt das Einpferchen einer Schafherde auf einem A c k e r über Nacht, war angesichts eines allgemeinen Düngermangels wichtig für die Dün- gung der Äcker. A l s man gemäß der Landesord- nung v o n 1552 in der zweiten Hälfte des 16. Jahr- hunderts Höchstzahlen ermittelte, w i e v i e l e Scha- fe v o n den einzelnen G e m e i n d e n auf ihrer Weide gehalten werden könnten, ging man für Eltingen v o n maximal 650 Schafen aus, für L e o n b e r g v o n 550, für Höfingen v o n 400 und für Gebersheim v o n 250, während Warmbronn keine Schafe w e i d e n lassen durfte.3 4 Der in seinen Ausmaßen beein- druckende Eltinger Schafhof im Westen des Dor- fes ist deutlich auf den Kieserschen Ortsansichten aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu sehen.3 5
Handel und Gewerbe
D e m Austausch der ländlichen Produkte dienten die Wochenmärkte in L e o n b e r g , die jeweils mitt- w o c h s stattfanden. D a g e g e n wurden auf den städ- tischen Jahrmärkten v o r allem gewerbliche Pro- dukte feilgeboten. Im Gegensatz zu den benach- barten Städten, wo bis zu vier Jahrmärkte (so in Calw und Markgröningen) abgehalten wurden, be- saß L e o n b e r g nur einen einzigen Jahrmarkt. Die- ser fand in der R e g e l an Mariae Geburt, dem 8. Sep- tember, statt, wurde gelegentlich aber auch auf einen Termin kurz nach Matthäi (21. September) verschoben, w e n n er nicht w e g e n einer gerade grassierenden Seuche oder aus anderen Gründen ganz ausfiel. Ü b e r das Warenangebot liegen nur spärliche Informationen vor, gewisse Schlüsse las- sen sich daraus ziehen, w e r alles Standgeld zu bezahlen hatte. N a c h d e m städtischen Eidbuch aus der zweiten Hälfe des 16. Jahrhunderts waren dies Eisen- und Gewürzkrämer, gemeine Krämer, Schuhmacher, L e d e r g e r b e r sowie Händler, die Geschirr und K ü b e l verkauften. 1630 boten nach A u s w e i s einer Standgeldliste A n g e h ö r i g e folgen- der Berufe Waren feil: g e m e i n e Krämer, Eisenkrä- mer, Gewürzkrämer, Puppenkrämer, Weißgerber, Rotgerber, Kürschner, Schuhmacher, Gürtler, Säckler, Hafner, Kubier, Wannen- oder Siebma- cher, Dreher, Löffelmacher, Spengler, Buchhänd- ler, Schlosser, Waffenschmiede, Schaufelschmie- de, Messerschmiede, Zinngießer, Kupferschmie- de, Hutmacher, Barchetträger, Weber und Tuch- macher. Einzelne Wanderhändler kamen sogar aus S a v o y e n und den Niederlanden. Ein Schweine- markt war v o m übrigen Marktgeschehen getrennt.
Dort wurden w o h l auch Ochsen und K ü h e gehan- d e l t .3 6
An der 1514-1519 erbauten Kirche in Schwaigern befin- det sich eine Inschrift mit Namen und Meisterzeichen des Erbauers, des aus Leonberg stammenden Steinmet-
zen und Bild- Allein schon w e g e n des Marktes war das Hand-
werk in der Stadt, in L e o n b e r g , konzentriert.3 7 A u f den Dörfern gab es zunächst lediglich die typi- schen Dorfhandwerker w i e Schmiede, Zimmer- leute oder Schuhmacher. D a g e g e n machten in Leonberg die Handwerkerhaushalte knapp z w e i Fünftel der Gesamthaushalte aus. Allerdings schrieben die L e o n b e r g e r 1583, daß »hanndtie- rungs- unnd handtwerckhsleuth biß daher zu ge- ringem uffgang khomen seyen, dann ob sie w o l l - was doch fürnemlich allein inns ambt - ann wha- ren unnd arbeitten vertreiben, geschieht es doch gemeinglich uff borg. Nachgeendts müessen sie wein unnd anders an der bezahlung nemmen, den wein aber fürtter ein jar ettlich mit grossen costen, bis sie dessen wider ehnwerden, ihnen selbs be- hallten, dannenhero abermall d e m stettlin ein mercklicher abbruch e n t s t e h t . «3 8
Die dominierende R o l l e des Weinbaus zeigt sich auch in der Struktur des städtischen H a n d w e r k s : 1568 gab es unter den 244 L e o n b e r g e r Steuerhaus- halten allein z w ö l f Küfer. Daneben finden wir neun Schneider, acht Weber, sieben Schreiner, je sechs Bäcker und Schuhmacher, fünf Maurer, je vier Schmiede und Metzger, drei Steinmetzen, drei Glaser, je zwei Hafner, Seiler, Dachdecker, Sattler, Scherer, Schlosser und Wagner. Je einmal vertre- ten waren die Handwerksberufe eines Drehers, Färbers, Gipsers, Goldschmieds, Hutmachers, Zinngießers, Kürschners, Kupferschmieds, Mes- serschmieds, Zieglers und Zimmermanns.
Ein für den Export bestimmter Wären arbeitendes Handwerk, w i e es uns etwa in Calw oder Wildberg in dieser Zeit begegnet, wo 1591 70 beziehungswei- se 72 Engelsaitweber belegt sind, gab es in L e o n - berg nicht. L e d i g l i c h d e m Steinmetzenhandwerk kam eine gewisse überregionale Bedeutung zu. Zu
hauers Bern- hard Sporer.
Grabstein des 1564 verstorbenen Leonberger Steinmetzen Martin Berwart in Brackenheim.
nennen sind in diesem Zusammenhang die Stein- metzen Bernhard Sporer, Jeremias Schwartz und Peter Pfänder sowie aus der Familie Berwart Sil- vester, Endris, Blasius und Martin B e r w a r t .3 9
Erste Nachrichten über eine Organisation der Handwerker in L e o n b e r g liegen aus der z w e i t e n Hälfte des 15. Jahrhunderts mit der Gründung einer religiösen Bruderschaft der Bäcker vor, die j e d o c h auch andere M i t g l i e d e r aufnahm. Im 16.
Jahrhundert sind (offensichtlich ortsübergreifen- de) Zünfte der Schneider, Schuhmacher, Weber, Schmiede, Wagner und Maurer genannt.
Das städtische H a n d w e r k hatte mit einer zuneh- menden Konkurrenz der dörflichen Handwerker, insbesondere der Landweber, zu kämpfen, o b w o h l die Obrigkeit versuchte, durch Verordnungen das G e w e r b e auf den Dörfern einzudämmen. So wur- de vorgeschrieben, daß M e t z g e r sich in den Dör- fern nur mit G e n e h m i g u n g der Amtsstadt nieder- lassen durften, M e t z g e r in Dörfern, » w o v o n alter kein Metzger g e h a l t e n « , sollten abgeschafft wer- d e n .4 0 Dennoch waren zum Beispiel 1579 M e t z g e r in Ditzingen, Gerlingen, H e i m e r d i n g e n , Heims-
heim, Mönsheim, R e n n i n g e n und Rutesheim an- sässig, bis zum E n d e des Jahrhunderts kamen noch M e t z g e r in Weilimdorf und H e m m i n g e n da- zu. A l l e bedeutenden A m t s o r t e mit Ausnahme der L e o n b e r g unmittelbar benachbarten Dörfer hat- ten also eigene M e t z g e r .4 1 M i t anderen Verordnun- gen w o l l t e man die Verkaufsmöglichkeiten der Dorfhandwerker einschränken und das städtische M a r k t m o n o p o l stärken. So w u r d e etwa den Dör- fern, » s o nit eigen w o c h e n m a r c k t v o n alter gehabt oder sonst sondere freiheiten hatten«, verboten,
»furohin die wullin Tuch, Barchat und Gewürtz feil zu h a b e n « , und Webermeister durften in den Dörfern ihre T u c h e erst verkaufen, nachdem sie in L e o n b e r g »besichtigt und v e r s i g e l t « w o r d e n wa- r e n .4 2 Von Verstößen g e g e n diese landesherrlichen Verbote in Ditzingen und Gerlingen, wo sogar ein Niederländer Tuche zum Verkauf anbot, ist j e d o c h 1581 die R e d e .4 3
D i e H a n d w e r k e r waren als selbständige Meister für die Beschaffung ihrer Rohstoffe und den A b - satz ihrer Fertigprodukte selbst verantwortlich.
G e g e n Ende des 16. Jahrhunderts begann sich auch in Württemberg, genauer bei den Webern in den Städten Calw und W i l d b e r g s o w i e in den Dör- fern des nördlichen Schwarzwaldes und des Obe- ren Gäus, eine andere, eine frühkapitalistische F o r m des G e w e r b e s durchzusetzen: das Verlags- wesen. D i e Weber arbeiteten nunmehr für Calwer Handelsherren, die als » V e r l e g e r « für den überre- gionalen Vertrieb s o r g t e n .4 4 Häufig b e z o g e n die Weber über den Verleger auch die Rohstoffe, das heißt die Wolle. M i t d e m Verlagswesen wurden erstmals in größerem U m f a n g Produktion und A b - satz getrennt. Der Handwerker, der für einen Ver- leger arbeitete, w u r d e v o n diesem in einem Grade wirtschaftlich abhängig, w i e das bisher etwa b e i m
Verhältnis zwischen Meister und Gesellen nie!
der Fall war. Damit war das Verlagswesen ein«
der entscheidenden Elemente bei der Herausbi dung des modernen Kapitalismus.4 5 Hinweise ai eine Ausbreitung des Verlagswesens im Leonbe ger R a u m konnten für die Zeit v o r dem Dreißigjäl rigen K r i e g allerdings nicht ermittelt werden.
D i e meisten Handwerker, auch die in der Stad betrieben zusätzlich zu ihrem G e w e r b e Landwir schaft, hatten zumindest einen Weinberg oder Ga:
ten. Angesichts der steigenden Agrarpreise, m denen die Preise für ihre Gewerbeerzeugniss nicht Schritt hielten, waren v i e l e interessier Grundbesitz zu e r w e r b e n .4 6 Manche Handwerke gerade die wohlhabenden, machten auch Handel!
geschäfte. D i e M e t z g e r handelten mit Vieh, di Bäcker mit Getreide und Mehl. Weit verbreitet W c auch der Weinhandel.
Der Wein war im 16. Jahrhundert der wichtigst Ausfuhrartikel des Herzogtums Württemberg N e c k a r w e i n , w i e der Württemberger Wein in de Sprache der Zeitgenossen hieß, wurde bis nac Österreich, Norddeutschland und in die Niedei lande e x p o r t i e r t .4 7 D o c h L e o n b e r g mußte 1583 au d e m Landtag vorbringen, aufgrund der schlechte]
Verkehrslage »haben w i r zu unnsern weinen kei nen anndern vertrieb, dann was beim zapffen uss geschenkht und b i ß w e y l e n v o n württen im Hei renberger und Böblinger ambt unnd mherer theil uff borg abgeholt w ü r d t « .4 8 Tatsächlich sind in dei Quellen Geschäfte L e o n b e r g e r Weinhändler mi A b n e h m e r n in Eltingen, Gerlingen, Sindelfinger Holzgerlingen, Hildrizhausen, Weil im Schön buch, A i d l i n g e n und Magstadt genannt, alles Orti in den Ä m t e r n L e o n b e r g , Böblingen und Herren berg. L e o n b e r g e r Wein wurde aber auch über di<
Weinhandelsplätze U l m , Augsburg und Münchei
Der Wappenstein mit den drei würt- tembergischen Hirschstangen am Oberen Tor in Leonberg zeigte jedem
Eintretenden an, wem die Stadt gehörte (siehe Text Seite 92). Von 1519 bis 1534 war der Wappenstein zuge-
mauert (siehe Seite 109). Heute befindet er sich im Vorraum des Alten Rathauses.
außerhalb des Landes e x p o r t i e r t .4 9 Eine relativ wichtige R o l l e spielte L e o n b e r g für Weinimporte, es gehörte zu den württembergischen Städten, »us denen die meiste w e i n über Rhein und us d e m Elsass ins land gebracht« w u r d e n .5 0
N e b e n dem Weinhandel ist der Schaf- und Woll- handel zu erwähnen, der v o n der L e o n b e r g e r Kauf- manns- und Beamtenfamilie Dreher betrieben wurde. D i e Schafe gingen an Schäfer im A m t L e - onberg, im Zabergäu und im Kraichgau. D i e Schä- fer bezahlten nur in den wenigsten Fällen in bar, sondern gaben Wolle in Zahlung, die an die Weber in den benachbarten Städten, v o r allem in C a l w und Wildberg, weiterverkauft w u r d e .5 1 Dieser Schaf- und Wollhandel funktionierte also offen- sichtlich ähnlich w i e das Verlagswesen im g e w e r b - lichen Bereich. Der Schäfer verkaufte seine Wolle nicht direkt an die Weber, sondern war, o b w o h l nach außen hin selbständig, v o n einem »Unterneh- m e r « abhängig, der ihm die Schafe stellte und die Wolle abnahm. Damit zeigen sich hier erste »kapi- talistische« Ansätze auch bei der Agrarproduk- tion.
Kriegsdienst als Erwerbsmöglichkeit
Nach Landwirtschaft, Handel und G e w e r b e muß zum Schluß noch ein letzter Wirtschaftszweig er- wähnt werden, der im 16. Jahrhundert zu einer gewissen Blüte kam: der K r i e g s d i e n s t .5 2 Das Auf- k o m m e n der Feuerwaffen und die zunehmende Bedeutung des Fußvolks gegenüber der Reiterei hatten die Kriegführung verändert und ein »neues H e e r w e s e n « gebracht. Rückgrat der H e e r e war nun nicht mehr die Reiterei, sondern die Fußtrup- pe, die aus Landsknechten, also aus Berufssolda-
ten, bestand. Landsknechte waren gesuchte Spe- zialisten, die entsprechend gut bezahlt wurden.
D i e Verdienstmöglichkeiten erhöhten sich für denjenigen, der zum Söldnerführer aufstieg. Söld- nerführer waren nämlich nicht nur militärische Befehlshaber, sondern besorgten als Unternehmer in Sachen K r i e g für ihre Auftraggeber auch die Werbung und die Aufstellung der Truppen. Sie waren häufig an den Waffenlieferungen für die K n e c h t e beteiligt, ja sie ermöglichten oft durch K r e d i t e ihren Auftraggebern erst die Aufstellung v o n Truppen. Ein solcher Söldnerführer war Hein- rich Kepler, der Vater des Astronomen, der 1590 als Hauptmann umkam.
So hatte man als Söldner durchaus die M ö g l i c h k e i t zu gewinnen, ja v i e l zu gewinnen, doch man konn- te auch verlieren: Seuchen, Gefangennahme, Ver- krüppelung oder der T o d drohten auf j e d e m Feld- zug. Dennoch fanden sich, auch im L e o n b e r g e r Raum, i m m e r w i e d e r Männer aus allen Schichten, die sich als Söldner anwerben ließen. Zu verlok- kend war die Aussicht auf das schnelle G e l d , zu groß die Abenteuerlust v o n vielen, die - w i e es 1583 über einen H e i m e r d i n g e r hieß - »täglichs wa kriegsgeschray vorhannden hinaußzuziehen ge- sinnet« w a r e n .5 3
Verfassung und Verwaltung
Landesherrliches Regiment
Den Fremden, die nach L e o n b e r g kamen, etwa um den Markt zu besuchen, w u r d e gleich beim Betre- ten der Stadt durch Wappen über den Toren ange- zeigt, daß die Stadt d e m Grafen beziehungsweise (seit 1495) dem H e r z o g v o n Württemberg gehörte.
Der Wappenstein mit den drei württembergischen Hirschstangen, der das Obere Tor zierte, ist bis heute erhalten, und aus d e m Jahr 1486 ist überlie- fert, daß man an einen Torturm das gräfliche und städtische Wappen malen l i e ß .1
Das Wappen des Landesherrn findet sich zusam- men mit d e m Stadtwappen auch auf d e m Schild der 1566 auf Kosten der Stadt errichteten Markt- brunnenfigur. Diese, ein Werk des Tübinger Bild- hauers Leonhard Baumhauer, stellt einen Gehar- nischten in voller Rüstung dar, der in der gepan- zerten rechten Hand ein Zepter hält, während er sich mit der L i n k e n auf den Schild stützt. Brun- nen, bei denen auf einer Säule die Figur eines Gerüsteten mit d e m Wappen des Landesherrn oder - bei Reichsstädten - d e m der Stadtgemeinde beziehungsweise d e m des Reiches steht, sind im 16. Jahrhundert beinahe im gesamten deutschen Sprachraum mit Ausnahme Norddeutschlands er- richtet worden, unter anderem in den württem- bergischen Städten Wildbad, Balingen, Ebingen, Bietigheim, Wildberg, Rosenfeld und Markgrönin- gen. A u f g a b e all dieser Brunnen war es, d e m Volk inmitten des Marktplatzes, des wirtschaftlichen Mittelpunktes der Stadt, deutlich sichtbar v o r A u - gen zu führen, w e r hier der Herr war.2 In der L e o n -
berger lokalhistorischen Forschung war es lange Zeit umstritten, ob die Marktbrunnenfigur den da- mals regierenden H e r z o g Christoph v o n Württem- berg darstellen sollte3 oder nur einen Herold, einen Wappner des H e r z o g s .4 Für die letztere Deutung spricht, daß in den Stadtrechnungen die Markt- brunnenfigur tatsächlich als » w ä p n e r « bezeichnet w i r d .5 Zu beachten ist aber, daß für den mittelalter- lichen und frühneuzeitlichen Menschen viele Din- ge auch S y m b o l e waren. So ist die Marktbrunnen- figur eben nicht nur ein schlichter Wappner, son- dern zugleich S y m b o l des Landesherrn, Symbol der Herrschaft des Herzogs v o n Württemberg über die Stadt L e o n b e r g . Jedoch stellt die Figur nicht einen bestimmten H e r z o g dar, sondern symboli- siert idealtypisch den H e r z o g schlechthin als Inha- ber der landesherrlichen Gewalt. D i e Herrscherge- walt ist bildlich durch das Zepter ausgedrückt, das die Figur in der Rechten hält, während die Ordens- kette um den Hals ein H i n w e i s auf die sozial her- ausgehobene Stellung ist, indem sie die Zugehö- rigkeit zu einer jener exklusiven Rittergesellschaf- ten anzeigt, die d e m A d e l , v o r allem den Fürsten, vorbehalten waren.
Ein weiteres S y m b o l der landesherrlichen Macht, S y m b o l der Präsenz des Landesherrn, ist das L e - onberger Schloß, das H e r z o g Christoph 1560 bis 1565 an der Stelle der mittelalterlichen Stadtburg errichten ließ. 1609 w u r d e das Schloß Witwensitz der H e r z o g i n Sibylla, der W i t w e Herzog Fried- richs. Damit erhielt L e o n b e r g vorübergehend den Glanz einer kleinen Residenz. Sibylla ließ einen überdachten Gang v o m Schloß zur Kirche bauen und v o n Heinrich Schickhardt einen Pomeran- zengarten anlegen.
Das L e o n b e r g e r Schloß gehört zu den Renais- sanceschlössern, die die württembergischen Her-
Die Leonberger Marktbrunnenfigur von 1566 zeigt einen Wappner als Symbol der landesfürstlichen Herrschaft (Text Seite 92).
Die Steinplastik ist eine Kopie.
Das Original steht aus konservatorischen Gründen im alten Eltinger Rathaus.
zöge im 16. Jahrhundert in beinahe allen ihren Amtsstädten planten und größtenteils auch aus- führen ließen. Diese Schlösser sind - so Hans- Martin Maurer - » S y m b o l der politischen Samm- lung des aufstrebenden j u n g e n Staates der N e u - z e i t «6, bildete sich doch in den anderthalb Jahr- hunderten zwischen 1470 und 1618 der frühmoder- ne Staat heraus. A u s d e m K o n g l o m e r a t v o n Graf- schaften, Herrschaften und Gütern, die d e m Gra- fen v o n Württemberg gehörten und die allein durch die Person des Grafen zusammengehalten wurden, wurde das L a n d Württemberg, w u r d e ein weitgehend geschlossener Territorialstaat.
Mit der Erhebung Württembergs zum Herzogtum 1495 wurden die verschiedenen Teile des Landes - so der Herzogsbrief - „vereinigt und also sament- lich zu einem hertzogthumb geordnet", also zu einer rechtlichen Einheit zusammengefaßt.
Ein im gesamten H e r z o g t u m geltendes, römisch- rechtlich ausgerichtetes Landrecht, das 1555 unter Herzog Christoph eingeführt wurde, trat in den Bereichen des Privatrechts, insbesondere des Erb- rechts, und der Zivilgerichtsbarkeit an die Stelle des »alten H e r k o m m e n s « . H e r z o g Christoph ge- lang es auch, die Maße und G e w i c h t e im L a n d zu vereinheitlichen. Das bisher im L e o n b e r g e r Raum gebräuchliche sogenannte » L e o n b e r g e r M e ß « wurde abgeschafft.
In Stuttgart entstanden mit d e m für die innere Verwaltung zuständigen Oberrat, mit d e m für Kir- chen- und Schulangelegenheiten zuständigen Kir- chenrat und mit der für das Finanzwesen zuständi- gen Rentkammer leistungsfähige Zentralbehör- den, in denen studierte Juristen saßen. Einzelne Landesherren faßten ihre engsten politischen Räte ebenfalls in einem K o l l e g i u m zusammen, dem Hofrat oder (später) dem Geheimen Rat.
Der H e r z o g erließ eine Vielzahl v o n Ordnungen und Reglementierungen, mit denen im Sinne der
»guten p o l i c e y « , das heißt eines guten Regiments, die Verwaltung und das Wirtschaftsleben geregelt wurden, die aber auch den Untertanen Vorschrif- ten für ihr sittliches und religiöses L e b e n machten und damit in deren individuelle Lebenssphäre ein- griffen. So w u r d e n Höchstbeträge für Hochzeits- und Taufgeschenke vorgeschrieben, das Gotteslä- stern und Zutrinken verboten, Fastnachtsmum- merei und Maskeraden untersagt, der L u x u s in der K l e i d u n g eingeschränkt und festgelegt, bei w e l - chen Anlässen das Tanzen erlaubt beziehungswei- se verboten sein sollte.
Damit »ain ordnungliche pollicey erhallten, g e -
mainer nutz gefordert w e r d « , schrieb H e r z o g Chri- stoph den Pfarrern des Landes 1558 verbindlich die Führung v o n Kirchenbüchern vor. Bereits 1551, also sieben Jahre bevor der H e r z o g die Perso- nenstandsführung durch die K i r c h e landesweit anordnete, hatte der Eltinger Pfarrer G e o r g Fieß ein Tauf- und Ehebuch angelegt. Fieß hatte diese Einrichtung w o h l in einer Reichsstadt (wahr- scheinlich Straßburg, wo er 1544 als Schüler im Haus eines Diakons g e w o h n t hatte) gesehen und v o n dort übernommen. D i e Eltinger Kirchenbü- cher sind damit die ältesten in ganz Württemberg.7
Vogt, Keller, Forstmeister
Einheitliche Verwaltungsstrukturen auf der B e - zirksebene waren bereits im Spätmittelalter mit den Ä m t e r n oder Vogteien geschaffen worden, an deren Spitze als Vertreter des Landesherrn j e w e i l s ein adliger oder bürgerlicher Vogt stand, der zu- gleich Vorsteher der Amtsstadt war, und in denen jeweils ein (immer nichtadliger) K e l l e r die herr- schaftlichen Einkünfte in Stadt und A m t einzuzie- hen und zu verwalten hatte.
Seit dem 14. Jahrhundert ist L e o n b e r g als Sitz eines Vogts genannt. Das A m t L e o n b e r g umfaßte im 16. Jahrhundert außer der Amtsstadt die Stadt Heimsheim und die Dörfer Ditzingen, Eltingen, Gebersheim, Gerlingen, Heimerdingen, Höfingen, Mönsheim, Münklingen, Renningen, Rutesheim, Warmbronn und Weilimdorf, außerdem die würt- tembergischen Anteile an H e m m i n g e n und Hirschlanden.8 S o w e i t die V ö g t e nichtadlig waren, waren sie nicht nur landesherrliche Beamte, son- dern bis 1629 vertraten sie zusammen mit A b g e - sandten der Amtsstadt ihren A m t s b e z i r k auch auf
den Landtagen, wo d e m Landesherrn also seine Bezirksbeamten als Verhandlungspartner gegen- übersaßen. Seit Anfang des 16. Jahrhunderts wur- de das A m t des Vogts zusätzlich aufgewertet, da dieser nunmehr auch die Aufgaben des Kellers wahrnahm.9
Während sich die A m t s b e z i r k e v o n Vogt und K e l - ler deckten, hatte der dritte landesherrliche Beam- te, der in L e o n b e r g saß, der Forstmeister, einen bedeutend größeren Sprengel. I h m oblag nämlich die Aufsicht über den Wald und die Jagd im Be- reich des sogenannten L e o n b e r g e r Forsts. Dieser war kurz v o r der Mitte des 15. Jahrhunderts gebil- det w o r d e n und umfaßte v o m Neckar bis über die Würm das Gebiet zwischen Nesenbach und E n z .1 0 W i e der K e l l e r war auch der Forstmeister (bis auf eine Ausnahme im 16. Jahrhundert) immer nicht- adliger Herkunft.
Da es keine Trennung zwischen A m t s - und Privat- v e r m ö g e n gab, mußten die Amtsinhaber mit ihrem P r i v a t v e r m ö g e n für etwaige Verluste bei der Amtsführung haften können. D i e nichtadligen lan- desherrlichen Bezirksbeamten stammten deshalb aus w e n i g e n wohlhabenden, um nicht zu sagen reichen Familien, die untereinander verwandt und verschwägert waren, den sogenannten Vogtsfami- lien. Eine solche typische Vogtsfamilie war etwa die in Eltingen und L e o n b e r g begüterte Familie Schertlin: A b e r l i n Schertlin, 1470 mit ungefähr 6000 Gulden Vermögen bei w e i t e m der reichste Mann L e o n b e r g s , war K e l l e r in L e o n b e r g ; von sei- nen Söhnen waren z w e i V ö g t e in Calw beziehungs- w e i s e L e o n b e r g , ein dritter Schultheiß in Vaihin- gen an der Enz und ein weiterer, Heinrich, der die geistliche Laufbahn eingeschlagen hatte, Speyrer Weihbischof.1 1
Einen Einschnitt für die Bezirksverwaltung brach-
Herzog Ulrich von Württemberg (1487 - 1550).
ten die Regierungsjahre H e r z o g Ulrichs (1498- 1550). V i e l e V ö g t e opponierten schon bald g e g e n das verschwenderische, autokratische, Recht und Gesetz mißachtende und unbeherrschte R e g i m e n t des jungen Herzogs, was ihre führenden K ö p f e , der Cannstatter Vogt Konrad Vaut und die Brüder Sebastian und Konrad Breuning, V ö g t e zu Weins- berg und Tübingen, mit d e m L e b e n bezahlen muß- ten. A l s Ulrich 1519 mitten im Frieden die Reichs- stadt Reutlingen überfiel und sie seinem Territo- rium angliederte, w u r d e er v o n den im Schwäbi- schen Bund zusammengeschlossenen benachbar- ten Territorialherren und Reichsstädten vertrie- ben, sein Herzogtum kam unter österreichische Herrschaft. D i e A n g e h ö r i g e n der Vogtsfamilien waren größtenteils Parteigänger der neuen Her- ren. V i e l e v o n ihnen verließen deshalb 1534, als Ulrich sein L a n d zurückeroberte, aus A n g s t v o r Racheakten des Herzogs das L a n d . G e g e n diejeni- gen, die blieben, ging Ulrich gleich nach seiner Rückkehr energisch vor. Dennoch blieb der Her- zog letztendlich auf die A n g e h ö r i g e n der alten Vogtsfamilien bei der Besetzung der Bezirksbe-
amtenstellen angewiesen, verfügten d o c h nur die- se über den für die Amtsführung n o t w e n d i g e n finanziellen Rückhalt und über eine entsprechen- de Vorbildung. Ulrich versuchte deshalb die Macht der V ö g t e einzuschränken, i n d e m er eine Institution ausbaute, die es schon vorher verein- zelt g e g e b e n hatte: das A m t des Obervogts. Das L e o n b e r g e r Vögtamt w u r d e nunmehr ständig und durchgängig aufgeteilt in einen (in der R e g e l ) adli- gen O b e r v o g t und einen bürgerlichen Untervogt.
Letzterer führte die laufenden Geschäfte, während der O b e r v o g t Repräsentativaufgaben wahrnahm, zu militärischen und diplomatischen Sonderauf- gaben herangezogen w u r d e und v o r allem den Un- tervogt politisch und überhaupt in seiner A m t s - führung überwachen sollte, denn die U n t e r v ö g t e würden, so eine Landesordnung v o n 1536, » z u Zei- ten durch die finger sehen, diejenen, so inen ge- freündt oder anhengig nit straffen, w i t w e n und weisen b e y irem rechten nit handthaben und un- billich b e s c h w e r e n « .1 2
M i t der Institutionalisierung des Obervogtamts schuf H e r z o g Ulrich nicht nur ein Kontrollorgan für die bürgerlichen V ö g t e , gleichzeitig gelang es ihm damit, den A d e l , der sich in den Jahrzehnten zuvor der württembergischen Landeshoheit hatte entziehen können, durch Versorgungsstellen an sich zu binden, die dieser umgekehrt zur wirt- schaftlichen und politischen Existenzsicherung brauchte.1 3
Eine weitere gezielte Maßnahme zur K o n t r o l l e der bürgerlichen Bezirksbeamten war die personelle Trennung zwischen Untervogt- und Kelleramt, ei- ne Maßnahme, die nach d e m T o d H e r z o g Ulrichs allerdings w i e d e r rückgängig gemacht w u r d e .1 4
Im R a h m e n der v o n H e r z o g Ulrich 1534 eingeführ- ten Reformation w u r d e das Kirchengut eingezo-
Unten: Der Galgenberg auf dem Längenbühl, Hinrich- tungsstätte des Leonberger Hochgerichts (Ausschnitt aus der Forstkarte des Andreas Kieser von 1682). Auch in den Forstkarten von Georg Gadner aus dem Jahr 1592 (siehe Buchanfang) ist dieser Platz gekennzeich- net. Die dunkle Markierung ist die Straße von Eltin- gen nach Renningen. Die Galgen standen nördlich der Straße; die Kieserschen Karten sind von Norden her gezeichnet, Süden ist deshalb oben.
gen und amtsweise zentral verwaltet. Damit war zunächst ein Mitglied des L e o n b e r g e r Stadtge- richts, Simon Weinmann, betraut, später der K e l - ler. Ab 1551 wurde diese A u f g a b e v o n einem eige- nen landesherrlichen Beamten, d e m Geistlichen Verwalter, w a h r g e n o m m e n .1 5
Gericht und Rat
N o c h im 15. Jahrhundert war es den württem- bergischen Landesherren gelungen, eine einheitli- che Gerichtsorganisation mit einem geregelten In- stanzenzug aufzubauen.1 6 Unterste Instanz waren die Dorfgerichte, zuständig für die niedere und zivile Gerichtsbarkeit. G e g e n ihre zivilgerichtli- chen Entscheidungen waren Appellationen an das Leonberger Stadtgericht zulässig, das zugleich Erstinstanz für die Stadtbewohner war. Von dort konnte man an das Tübinger Stadtgericht als Obergericht und an das Hofgericht in Tübingen als letzte Instanz appellieren. D e m L e o n b e r g e r Stadt- gericht oblag außerdem die niedere Gerichtsbar- keit in der Stadt, und schließlich übte es die hohe Gerichtsbarkeit aus, das heißt, v o r ihm wurden die peinlichen Sachen verhandelt, also solche Strafge- richtsfälle, in denen es um L e i b und L e b e n für den Angeklagten ging. In dieser Eigenschaft als Hoch- gericht umfaßte der Sprengel des L e o n b e r g e r Ge- richts zunächst die Stadt L e o n b e r g und die A m t s - dörfer, doch konnte es im 16. Jahrhundert auch die Heimsheimer Hochgerichtsfälle an sich ziehen und seine Zuständigkeit außerdem auf das K l o - steramt Merklingen ausdehnen.
G e g e n hochgerichtliche Entscheidungen gab es keine Berufungsmöglichkeiten, o b w o h l sehr harte Strafen verhängt wurden. Im ältesten erhaltenen
peinlichen Urteilsbuch des Stadtgerichts sind im- merhin 27 Todesurteile überliefert. Die Hinrich- tungsstätte befand sich ursprünglich vor dem Obe- ren Tor, seit d e m 16. Jahrhundert war es der »Gal- g e n b e r g « auf d e m L ä n g e n b ü h l .1 7
N e b e n d e m herrschaftlichen Gericht gab es in El- tingen ein Gemeindegericht, das schon auf Seite 47 erwähnte » B i r e n g e r i c h t « (Birnengericht). Wie der N a m e sagt, war der Schutz und die Verteilung des w i l d e n Obstes seine Hauptaufgabe, aber auch Ver- gehen im Zusammenhang mit der Bestellung der Ä c k e r und Weingärten wurden v o n ihm geahndet.
Gebildet w u r d e es, w e n n wir die Zusammenset- zung der Renninger und Flachter Birengerichte auf Eltingen übertragen dürfen, v o n den Bauern, die einen Pflug besaßen. Es tagte sonntags vor oder nach der P r e d i g t unter freiem Himmel. Von der Obrigkeit w u r d e diese dorfgenossenschaftli- che Einrichtung nicht gern gesehen, gegen Ende des 17. Jahrhunderts sogar v e r b o t e n .1 8
D i e herrschaftlichen Gerichte waren nicht nur In- stitutionen der Rechtsprechung, sondern auch der
Gemeindeselbstverwaltung. Da sie j e d o c h als ob- rigkeitliche Organe galten, wurden in den G e m e i n - den für Angelegenheiten der Selbstverwaltung zu- sätzlich Vertreter der » g e m e i n e n « Bürgerschaft hinzugezogen, die sich bald zu einem eigenen Gre- mium konstituierten, zum Rat oder, so die ur- sprüngliche Bezeichnung auf den Dörfern, Zusatz.
In L e o n b e r g ist der Rat erstmals 1502 genannt, er bestand dort aus acht M i t g l i e d e r n .1 9 In Eltingen gab es 1514 einen Zusatz, das G r e m i u m „der vier- unndzwaintzig", 1617 neben d e m zwölfköpfigen Gericht einen sechsköpfigen Rat, der in jener Z e i t auch für Renningen überliefert ist.2 0
Die Mitglieder v o n Gericht und Rat wurden nicht v o n den Bürgern gewählt, sondern durch kompli- zierte jährliche Besetzungsverfahren bestimmt.
Das Leonberger Verfahren ist überliefert. Danach wählte der Vogt beim sogenannten Vogtgericht im September j e w e i l s den ersten Richter, danach der Vogt und der erste Richter den zweiten Richter, diese drei dann den dritten Richter und so fort, bis es z w ö l f Richter waren. Diese wählten dann den Rat. Damit war eine Honoratiorenherrschaft weni- ger einflußreicher Familien, die untereinander verwandt und verschwägert waren und die in der
Das zwischen 1462 und 1482 erbaute Alte Rathaus in Leonberg beherrscht noch heute den Marktplatz.
R e g e l auch den Schultheißen oder Vogt stellten, gewährleistet.
Gericht und Rat traten auf den Rathäusern zusam- men, die im späten 15. und 16. Jahrhundert allent- halben gebaut wurden. Das L e o n b e r g e r Rathaus entstand zwischen 1462 und 1482 und löste ein älteres »Bürgerhaus« ( w o h l das heutige Gebäude Marktplatz Nr. 3) ab. Um 1580 w u r d e es durch einen A n b a u im Renaissancestil erweitert. Es war ein multifunktionales Gebäude, besaß es d o c h ne- ben einer großen und kleinen Ratsstube auch ei- nen Tanzboden, und im offenen Erdgeschoß hat- ten die Bäcker und M e t z g e r ihre Verkaufsstände.
Im Renaissanceanbau schließlich befanden sich zwei A r c h i v g e w ö l b e sowie das »Narrenhäuslein«, ein Gefängnis, in das Übeltäter zur Sühnung klei- nerer Vergehen für ein, z w e i T a g e gesteckt wur- d e n .2 1 In Eltingen, Gebersheim und H ö l i n g e n wer- den Rathäuser in der zweiten Hälfte des 16. Jahr- hunderts e r w ä h n t2 2, das Warmbronner allerdings erst im 17. Jahrhundert.2 3 Im Höfinger Rathaus w u r d e auch Schule gehalten, und im Gebershei- mer befand sich im Erdgeschoß die K e l t e r .2 4
Gemeindeämter und -dienste
Für die G e m e i n d e v e r w a l t u n g gab es eine Vielzahl v o n Ä m t e r n , deren Inhaber, meistens Mitglieder des Gerichts oder des Rats j ä h r l i c h bestätigt wer- den mußten. Wichtigstes A m t war dasjenige, das mit der Führung der Gemeinderechnung betraut war. Dieses A m t w u r d e deshalb (soweit sich dies feststellen läßt) v o n z w e i Personen, je einer aus d e m Gericht und d e m Rat, wahrgenommen, die in der Stadt Bürgermeister genannt wurden, in den Dörfern ursprünglich Heimbürgen, seit d e m 16.
Jahrhundert nach städtischem Vorbild auch Bür- germeister. D i e beiden Bürgermeister oder H e i m - bürgen sollten sich gegenseitig kontrollieren. In der Stadt standen die Bürgermeister nach d e m Vogt an der Spitze der Ämterhierarchie mit Wei- sungsbefugnis gegenüber den städtischen B e - diensteten. Ihre besondere Stellung k o m m t auch in der offiziellen Titulatur des Stadtmagistrats zum Ausdruck, die » V o g t , Bürgermeister, Gericht und Rat der Stadt L e o n b e r g « lautete. Jedes Jahr wählte der Rat einen, seit 1582 z w e i Bürgermeister aus dem Kreis der Richter und das Gericht einen Bürgermeister aus d e m Kreis der Ratsmitglieder.2 5 Ein rechnungführendes A m t in der G e m e i n d e v e r - waltung war auch das des Heiligenpflegers, das heißt des Kirchenpflegers, das es in j e d e r G e m e i n - de gab. In L e o n b e r g gab es zusätzlich den Spital- pfleger, der das Vermögen des 1485 gegründeten Spitals verwaltete, und den Heckenpfleger, der für eine Stiftung des Priesters A l b r e c h t H e c k zustän-
Titelblatt der Leonberger Bürgermei- sterrechnung (Stadtrechnung) von
1596/97 mit Nennung der die Rech- nung führenden damaligen Bürger- meister Claus Koch, Michael Beck und Jacob Mochel. Seit 1582 gab es in Leonberg drei Bürgermeister.
dig war (siehe Seite 111). An weiteren Ä m t e r n seien die Steuersetzer genannt, w e l c h e die H ö h e der Steuer festlegten, die die einzelnen Bürger zu zah- len hatten, und die Untergänger, die bei Grenz- streitigkeiten im Ort oder auf dem Feld aufgrund eigenen Augenscheins zu entscheiden hatten und baupolizeiliche Aufgaben wahrnahmen. In Leon- berg, der Stadt, gab es außerdem eine ganze Reihe v o n Ä m t e r n , die der Gewerbeaufsicht dienten: die Tuchsiegier, die Fleischschätzer, die Brotbeseher und die Lederschauer.
Da es sich bei den Mitgliedern des Gerichts und des Rats sowie bei den übrigen Inhabern v o n Ge- meindeämtern um ehrenamtliche Funktionsträ- ger handelte, konnten diese Ä m t e r nur v o n Leuten übernommen werden, die » a b k ö m m l i c h « waren, das heißt die über ein gewisses Vermögen ver- fügten.
Einziger hauptberuflicher Amtsträger auf Ge- meindeebene war der Stadtschreiber in Leonberg, der zusammen mit seinen Gehilfen auch die anfal- lende Schreibarbeit für die Dörfer erledigte. Erst 1618 w u r d e dafür eigens ein Amtsschreiber ange- stellt. D e r Stadtschreiber brauchte als einziger in der gemeindlichen Selbstverwaltung eine speziel- le Verwaltungsausbildung und war bei praktisch allen wichtigen Vorgängen und Entscheidungen als Protokollant und Schreiber dabei.
N e b e n den Gemeindeämtern gab es eine Vielzahl v o n nachgeordneten Gemeindediensten, angefan- gen b e i m Mesner bis hin zu den Hirten.
Im 16. Jahrhundert setzte sich zunehmend die Schriftlichkeit auch in der Gemeindeverwaltung durch. D i e bisher mündlich weitergegebenen Ge- meindesatzungen wurden aufgezeichnet, so 1582 in L e o n b e r g in einem Statutenbuch, so 1593 in Höfingen in einem sogenannten Fleckenlager-
buch.2 6 A u c h Eltingen und Warmbronn legten in dieser Zeit Fleckenlagerbücher an, die heute j e - doch nicht mehr erhalten sind. D i e Rechnungsfüh- rung hatte nun schriftlich zu erfolgen. A u c h in d e m zu den »geringsten f l e c k h e n « des A m t s L e o n b e r g zählenden Wärmbronn, wo man noch zu B e g i n n der 1580er Jahre nur mit Hölzern abrechnete, soll- ten die Rechnungen » h i n f ü r o « schriftlich geführt w e r d e n .2 7
Ein figürliches Grabmal konnten sich nur die Wohlha- benden leisten, wobei es bei der Darstellung weniger auf Ähnlichkeit als auf eine prächtige Ausstattung ankam. Der Leonberger Steinmetz Jeremias Schwartz fertigte das Epitaph des Burkhard Stickel, Obervogt in
Leonberg von 1592 bis 1613, in der Schorndorfer Stadt- kirche (links); an der Leonberger Stadtkirche sind die Epitaphien des 1607 verstorbenen Ratsverwandten Johann Sebastian Besserer (Mitte) und dessen Vaters, des 1593 verstorbenen Bürgermeisters Sebastian Besserer, (rechts) angebracht.
Soziale Schichten und Gruppen
Haushalt und Familie
Kleinste Einheit des sozialen Zusammenlebens war die Familie, der Haushalt. Ein eigener Haus- halt wurde begründet durch die Heirat. S o w e i t die finanziellen Verhältnisse es zuließen, brachte der Mann ein Pferd, die Frau eine »bereite bettstatt«, also ein Bett und Bettzeug, und eine K u h mit in die Ehe. Wesentliche Faktoren bei der Partnerwahl waren die H ö h e und A r t der Mitgift, die soziale Herkunft des Partners, einfach Fragen w i e : Bringt die Frau eine K u h mit in die Ehe? L i e g e n die Ä c k e r der künftigen Frau bei den eigenen? A u s welcher Familie k o m m t der Mann? Dabei beanspruchten die Eltern natürlich ein Mitspracherecht. Im Testa-
ment Sebastian Besserers, eines der reichsten Bür- ger L e o n b e r g s im 16. Jahrhundert, heißt es klipp und klar: » W u r d e aber ain khind nit v o l g e n , sonn- der one vorwissen unnd rath« der Eltern heiraten, sollte es keinen Anspruch auf eine Mitgift haben.1 Wirtschaftliche Erwägungen spielten auch eine w i c h t i g e R o l l e , w e n n die W i t w e eines Handwerks- meisters einen Gesellen heiratete, um den Betrieb ihres verstorbenen Mannes weiterzuführen, oder w e n n ein W i t w e r zur Versorgung der K i n d e r und zur Führung des Haushaltes seine M a g d heiratete.
A u f diese Weise konnte es sehr große Altersunter- schiede zwischen den Ehepartnern geben.
Z u m Haushalt gehörte auch das Gesinde, die Knechte, M ä g d e , Handwerksgesellen, und zum Haushalt konnten auch Verwandte gehören, etwa Pflegekinder, der Großvater oder die Großmutter.
Der Haushalt war partriarchalisch organisiert; zu- mindest rechtlich stand ihm, soweit es sich nicht um einen Witwenhaushalt handelte, der Mann vor.
D i e Rechtsfähigkeit weiblicher Haushaltsvorstän-
Im „Paradies", der Vorhalle an der Westseite der Leonberger Stadtkirche, befinden sich die Epitaphien der Justina Dreher, 11581 (Mitte), ihres zweiten Ehemanns, des Kellers und Untervogts Johann Aichmann, f 1578 (rechts), und ihres Bruders Sebastian Dreher, Amtmann in Derdingen, f 1582 (links).
de, also der Witwen, war stark eingeschränkt, durf- ten diese doch ohne einen männlichen Beistand, den sogenannten K r i e g s v o g t , keine Rechtshand- lungen vornehmen, keine Verträge schließen, kei- ne Immobiliengeschäfte tätigen.
Trotz ihrer unselbständigen rechtlichen Stellung war die Frau j e d o c h nicht nur Mutter und Haus- frau, sie war auch ein wichtiger Faktor zur Siche- rung des Lebensunterhalts ihrer Familie. Sie muß- te in der Landwirtschaft mithelfen, etwa bei der Ernte, aber auch im H a n d w e r k des Mannes. Es ist überliefert, daß die Frau des Hausbäckers den Kunden den Teig einknetete und daß ein Sattler in der Zeit vor d e m Jahrmarkt zusammen mit seiner Frau bis tief in die Nacht hinein in seiner Werkstatt saß und Geschirr machte, also L e d e r - und R i e m e n - zeug.2
Gelegentlich heirateten v e r w i t w e t e Frauen nicht mehr und führten über längere Zeit selbständig einen Haushalt. Diese hatten in der R e g e l kein
einfaches L e b e n . V i e l e v o n ihnen begegnen uns in den Quellen als Almosenempfänger oder als Insas- sen des Armenhauses. Selbst w e n n sie etwas Grundbesitz hatten und damit im Prinzip ein si- cheres A u s k o m m e n , waren sie doch auf die Gefäl- ligkeiten ihrer Mitbürger bei der Bestellung der Felder angewiesen. Von Katharina Kepler, der Mutter des Astronomen, die lange als W i t w e in L e o n b e r g lebte, hören w i r zum Beispiel, daß ein Mitbürger seinem K n e c h t trotz dreimaligem Bit- ten der Frau verbot, ihr eine Fuhre Heu zu holen.
Ein andermal bat sie den Ziegler, den Dung auf die Felder zu führen.3
Es gab allerdings auch materiell bessergestellte W i t w e n , etwa die 1517 als Tochter des nachmaligen Untervogts Hans Dreher geborene Justina Dreher.
A l s junges Mädchen hatte sie Hans Engelhart aus P f o r z h e i m geheiratet, der 1547 Nachfolger ihres Vaters als U n t e r v o g t wurde. N a c h dem T o d ihres Mannes zu B e g i n n der 1550er Jahre lebte sie 20 Jahre als wohlhabende W i t w e in Leonberg, um dann noch einmal zu heiraten, und zwar den Unter- v o g t Johann Aichmann. Dieser starb bereits kurz nach der Heirat, so daß sie zum zweiten Mal W i t w e wurde. Sie selbst starb am 8. Januar 1581.4
D i e in einem Haushalt Wohnenden galten in den A u g e n der Zeit als zusammengehörende Gruppe.5
Für die soziale Einordnung des einzelnen war des- halb entscheidend, aus w e l c h e m Haushalt er stammte und v o r allem, w e l c h e m Haushalt er an- gehörte.
Die Türkeneinfälle im 16. Jahrhun- dert veranlagten Kaiser Karl V. und seine Nachfolger, immer wieder im ganzen Reich Steuern zur Finanzie- rung der Abwehrfeldzüge zu erheben.
1544/45 wurde von allen Bürgern ein halbes Prozent ihres Vermögens ein- gezogen. Die Türkensteuerlisten sind eine wichtige Quelle der Wirtschafts- und Sozialgeschichte dieser Zeit. Hier eine Seite der Gebersheimer Liste von 1545 (Transkription siehe Anhang).
Vermögensverteilung
Aufschlüsse über die Vermögensverteilung in den einzelnen Orten bieten die Türkensteuerlisten v o n 1544/45.6 Karl-Otto Bull hat sich eingehend mit den württembergischen Türkensteuerlisten beschäf- tigt und ist zu einer Einteilung der Steuerzahler in fünf Vermögensgruppen gelangt.7 L e g t man dieses Strukturmodell zugrunde, so erhält man für Eltin- gen, Gebersheim, Höfingen, L e o n b e r g und Warm- bronn folgende Vermögensverteilung:
Es ist nicht überraschend, daß in L e o n b e r g , wo die reichen Kaufleute und Beamten saßen, die mei- sten Spitzensteuerzahler mit einem Vermögen v o n über 1000 Gulden anzutreffen sind. Hier w o h n t e n auch die beiden Leute, die mit Abstand die höch- sten Einzelvermögen im A m t L e o n b e r g versteuer- ten, nämlich der für die herzoglichen Schäfereien zuständige Zahlmeister Martin Heusler mit 5104 Gulden Vermögen und der U n t e r v o g t Hans Dre- her mit 4750 Gulden Vermögen. Damit besaßen diese beiden Männer rund 20 Prozent des in L e o n -
berg vorhandenen Gesamtvermögens. N i c h t zu- letzt aufgrund dieser beiden V e r m ö g e n hatte Leonberg mit 277 Gulden das höchste Durch- schnittsvermögen aufzuweisen, allerdings auch die unausgeglichenste Vermögensverteilung.
Günstiger war die Vermögensverteilung in Eltin- gen, was sich aus d e m Fehlen großer Spitzenver- mögen (nur Mathis Wolfangel versteuerte über 1000 Gulden) und einem daraus resultierenden niedrigen Durchschnittswert v o n 132 Gulden er- klärt. N o c h ausgeglichener war die Vermögensver- teilung in Höfingen, wo auch das durchschnittli- che Vermögen mit 202 Gulden relativ hoch war.8 Genau die Hälfte der Steuerzahler gehörte dort der mittleren Vermögensgruppe mit 100 bis 499 Gul- den Vermögen an. K e i n e V e r m ö g e n über 1000 Gul- den gab es in Wärmbronn und Gebersheim. Das Durchschnittsvermögen war deshalb in diesen beiden Orten mit 112 Gulden beziehungsweise 126 Gulden auch relativ niedrig.
Eine Zuordnung der Haushalte zu einzelnen Schichten allein nach der Steuerleistung, letztend- lich also nach dem Vermögen und hierbei v o r al- lem nach d e m Immobilienbesitz, ist sehr proble- matisch. Denn die Zugehörigkeit zu einer be- stimmten Schicht w i r d eben nicht ausschließlich
Zwischen 1580 und 1590 bauten die Truchsessen von Höfingen ihre alte Burg zum Schloß aus. Hier eine
Aufnahme des Innenhofs von Nordosten aus den 1920er Jahren.
durch die finanzielle L a g e bestimmt, sondern auch durch den quantitativ schwer meßbaren Faktor des Sozialprestiges. A u ß e r d e m sagt der in der Steuerliste eines einzigen Jahres vermerkte Steu- erbetrag nichts über die persönliche Vermögens- entwicklung aus: Junge L e u t e kurz nach der Grün- dung eines eigenen Haushalts hatten in der Regel relativ w e n i g Vermögen, selbst wenn sie der Schicht der Reichen entstammten, da der Großteil des Familienbesitzes noch v o n den Eltern bewirt- schaftet wurde. Das gleiche trifft für die Alten zu, w e n n sie ihre Landwirtschaft schon den Kindern übergeben hatten.9
Ständische Gliederung der Gesellschaft
N e b e n der Gliederung der Gesellschaft in Vermö- gensgruppen gab es eine ständische Unterteilung, die jener teilweise entsprach, sie teilweise aber auch überdeckte. Landesherrliche Kleiderord- nungen schrieben genau vor, welcher Stand wel- che K l e i d u n g tragen durfte. Es wurde dabei unter- schieden zwischen den B e w o h n e r n der Dörfer und den Bürgern der Städte, bei letzteren wiederum zwischen » g e m e i n e n « Bürgern, Handwerkern und K r ä m e r n auf der einen und den Kaufleuten und den Inhabern v o n landesherrlichen oder städti- schen Ä m t e r n auf der anderen Seite. Unter den Amtsträgern und ihren Familien durften die » S e - cretari, ansehenlich Schreiber, V ö g t , Keller, Cast- ner, Pfleger, unnd dergleichen Ambtleut, so nit v o m A d e l « , im Unterschied zu denjenigen, »so zu Gericht, Rath und andern ehrlichen Ä m b t e r n ge- braucht w e r d e n « , zusätzlich Barette aus Samt und Seide und andere kostbare Kleidungsstücke t r a g e n .1 0
Die Familien der genannten Amtsträger, also der bürgerlichen landesherrlichen Beamten sowie der städtischen Richter und Ratsverwandten, bildeten die sogenannte » E h r b a r k e i t « , j e n e sozial führende Schicht im Herzogtum, die das Rückgrat der Ver- waltung stellte und die Politik der L a n d stände bestimmte.
Vornehmster Stand war j e d o c h der auf den L a n d - tagen nicht vertretene A d e l , im L e o n b e r g e r Raum zum einen präsent durch die adligen V ö g t e und Obervögte, die seit 1539 im L e o n b e r g e r Steinhaus am Oberen Tor, d e m heutigen Schwarzen Adler, ihren repräsentativen Amtssitz hatten, zum ande- ren durch die Truchsessen v o n H ö l i n g e n . Letztere bauten in den 1580er Jahren ihre alte Burg in H ö - fingen zum Schloß aus. V i e l e v o n ihnen standen als landesherrliche Beamte, insbesondere als Obervögte, in den Diensten des Herzogs v o n Würt- temberg, so etwa Hans Truchseß v o n H ö l i n g e n , der Obervogt in Tübingen war, wo sich noch heute sein Grab befindet.
Die führenden bürgerlichen Familien bemühten sich um eine adelsgleiche oder zumindest adels- ähnliche Stellung, indem sie sich v o m Kaiser Adels- und Wappenbriefe ausstellen ließen, grund- herrliche Rechte auf den Dörfern erwarben, Hei-
ratsverbindungen mit d e m A d e l eingingen, ja teil- weise, w i e der aus L e o n b e r g stammende herzogli- che Kammersekretär Franz Kurz, richtige Schlös- ser besaßen.
Sozialstruktur
War im 15. Jahrhundert die beherrschende Familie in L e o n b e r g die Familie Schertlin, so w u r d e sie im 16. Jahrhundert abgelöst v o n der Kaufmanns- und Beamtenfamilie Dreher, die es fertigbrachte, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit ihren Söh- nen und Schwiegersöhnen alle Schlüsselstellun- gen in der Stadt zu besetzen.1 1 M i t d e m Reichtum der Dreher konnten sich am ehesten die Besserer messen, N a c h k o m m e n der Schertlin. D o c h wäh- rend die Dreher Heiratsverbindungen im gesam- ten südwestdeutschen R a u m zu Familien unter- hielten, die in anderen Städten als Beamtenfami- lien zur Führungsschicht gehörten, war der Hei- ratskreis der Besserer enger. Deren Ehepartner kamen aus den reichen Bauernfamilien der U m g e - bung, aus Eltingen, Höfingen, Enzweihingen.
D i e Familienclans der Besserer und Dreher bilde- ten die dünne Oberschicht in L e o n b e r g . Dagegen sind die anderen Familien der L e o n b e r g e r Ehrbar- keit w i e die Beutelspacher, die M o c h e l oder die Bilfinger, mochten sie auch eine noch so bedeuten- de R o l l e im politischen L e b e n der Stadt spielen, v o n ihren Vermögensverhältnissen her der Mittel- schicht zuzuordnen. Diese setzte sich aus Bauern, Krämern und wohlhabenden Handwerkern zu- sammen und machte 40 Prozent der Gesamtbür- gerschaft aus. D i e Mittelschicht läßt sich nicht klar v o n der gehobenen Unterschicht abgrenzen, die insgesamt w o h l knapp die Hälfte der Gesamtbür-
Hans Truchseß von Höfingen, f 1576, war Obervogt in Tübingen. Sein Epitaph befindet sich in der Tübinger Stiftskirche.
Zur Leonberger Ehrbarkeit gehörte der Stadtschreiber Jacob Korn, dessen aufwendig gestaltetes Epitaph sich im Innern der Stadtkirche an der Ostwand des Nord- schiffes befindet. (Siehe auch Text Seite 98 und Abbil- dungen Seiten 74 und 143.)
Unteres Bild: Teil der Südwand der Leonberger Stadt- kirche mit Epitaphien von Angehörigen der Leonber- ger Ehrbarkeit.
gerschaft umfaßte und aus Kleinbauern und klei- nen Handwerkern bestand. Diese konnten sich in der R e g e l zwar ihren Lebensunterhalt verdienen, waren aber in Fällen einer allgemeinen oder indivi- duellen N o t auf die Hilfe karitativer Einrichtungen angewiesen. Ehrbare Ä m t e r standen Angehörigen dieser gehobenen Unterschicht nicht offen, dage- gen wurden die städtischen Dienste meistens mit ihnen besetzt.
Ungefähr fünf Prozent der Bürgerschaft, alles Weingärtner, Tagelöhner und Handwerker sowie v i e l e W i t w e n , bildeten die eigentliche Unter- schicht. Sie lebten dauernd oder zumindest zeit- w e i s e unter d e m Existenzminimum und waren deshalb auf A l m o s e n a n g e w i e s e n .1 2
Am untersten Ende der sozialen Rangskala stan- den die sogenannten »unehrlichen« Berufe, die Scharfrichter und die Schinder. Man mied K o n - takte mit ihnen, ihre K i n d e r konnten kein Hand- w e r k erlernen, da dies Söhnen v o n »ehrlicher«
Geburt vorbehalten war.
Eine soziale Durchlässigkeit zwischen den einzel- nen Schichten war die Ausnahme, da es geschlos- sene Heiratskreise gab. Aufstiegsmöglichkeiten bestanden v o r allem über das Studium, zumal das herzogliche Stift in T ü b i n g e n im 16. Jahrhundert noch für A n g e h ö r i g e aller Schichten offenstand, nicht nur, w i e später, beinahe ausschließlich für Pfarrers- und Beamtensöhne.
Ä h n l i c h e soziale Verhältnisse w i e in der Stadt tref- fen w i r auch in den großen und reichen Dörfern an.
H i e r gab es eine untereinander verwandte und verschwägerte »dörfliche Ehrbarkeit«, die die Schultheißen und Richter stellte. Es handelte sich dabei um die Inhaber der großen H ö f e und Hufen, allesamt reiche und wohlhabende Bauern, die häu- fig Verwandtschaftsbeziehungen zur städtischen