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Hans-Jörg Döhla / Anja Hennemann (Hg.) Konstruktionsgrammatische Zugänge zu romanischen Sprachen

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Hans-Jörg Döhla / Anja Hennemann (Hg.)

Konstruktionsgrammatische Zugänge zu romanischen Sprachen

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Anja Hennemann / Hans-Jörg Döhla (Hg.)

Strukturelle Dynamik und Sprachkontakt in der Romania / Structural Dynamics and Language Contact in Romance Languages

Band 1

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Hans-Jörg Döhla / Anja Hennemann (Hg.)

Konstruktionsgrammatische Zugänge zu romanischen Sprachen

Verlag für wissenschaftliche Literatur

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ISBN 978-3-7329-0741-0 ISBN E-Book 978-3-7329-9227-0 ISSN 2699-5042

© Frank & Timme GmbH Verlag für wissenschaftliche Literatur Berlin 2021. Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts- gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Herstellung durch Frank & Timme GmbH, Wittelsbacherstraße 27a, 10707 Berlin.

Printed in Germany.

Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier.

www.frank-timme.de

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© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 5

Inhaltsverzeichnis

I EINLEITUNG

Anja Hennemann (Potsdam) / Hans-Jörg Döhla (Tübingen)

Konstruktionsgrammatik und Romanistische Linguistik:

Eine Standortbestimmung  ... 13 Elmar Schafroth (Düsseldorf)

Das Lexikon-Syntax-Kontinuum  ...  43

II ANALYSE VON EINZELPHÄNOMENEN Katrin Betz (Bamberg)

Konstruktionen im innerromanischen Sprachvergleich:

Depiktive im Italienischen und Spanischen  ...  87 Thaís Dias de Castilho Ehrler (Heidelberg) /

Verena Weiland (Wien)

Romanischsprachige Resultativkonstruktionen aus konstruktionsgrammatischer Sicht: Charakteristika des Portugiesischen, Spanischen und Französischen

im Vergleich zum Deutschen  ... 113 Birgit Füreder (Salzburg)

Verbalperiphrasen aus konstruktionsgrammatischer

Perspektive: Eine Annäherung  ... 143

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© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur

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Katharina Gerhalter (Graz)

El silencio no es precisamente una de sus virtudes … Diachronie und Pragmatik der Konstruktion [Negation + Exaktheits-Fokusadverb + X] im

Französischen, Portugiesischen und Spanischen ... 171 Inga Hennecke (Tübingen) / Johanna Wolf (Salzburg) Chunks first, syntax second? –

Aphasiedaten als Quelle für eine

konstruktionsgrammatische Sprachverarbeitungstheorie  ... 215 Andrea Pešková (Osnabrück)

Gibt es melodische Konstruktionen? Erwerb von

W-Fragen im L2-Italienischen und L2-Spanischen  ... 241 Felix Tacke (Bonn)

Já lá vão seis meses que …

Zur deiktisch-präsentativen Referenz auf Zeiträume

im Portugiesischen  ... 273

III DER KONSTRUKTIONSSTATUS BESTIMMTER STRUKTUREN

Hans-Jörg Döhla (Tübingen)

Null-Realisierungen aus konstruktionsgrammatischer Sicht: Passivkonstruktionen im Papia Kristang und

im Chabacano de Zamboanga  ...  307 Gerda Haẞler (Potsdam/Paris Nanterre)

Möglichkeiten und Grenzen der

Konstruktionsgrammatik am Beispiel der

Erklärung von Polysemie   ... 335

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© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 7 Anja Hennemann (Potsdam) /

Alexander M. Teixeira Kalkhoff (Nürnberg/Potsdam) Funktional-semantische Kategorien in der

Konstruktionsgrammatik  ...  369 Benjamin Meisnitzer (Leipzig)

Direkte Objektmarker und Modalpartikeln im Fokus – Grenzen und Chancen der Generativen Grammatik und

der Konstruktionsgrammatik  ...  389 Benjamin Peter (Kiel)

Zum epistemischen Status von sozialer Bedeutung und Metapragmatik in der Konstruktionsgrammatik anhand

von ça fait que   ...  419

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© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 9

Vorwort

Mit Konstruktionsgrammatischen Zugängen zu romanischen Sprachen liegt der erste Band unserer Reihe Strukturelle Dynamik und Sprachkontakt in der Romania (DyKoRo) vor. Wir sind sehr stolz und dankbar, dass sich so viele begeisterte Wissenschaftler*innen an unserem Projekt beteiligt haben. Außer- dem danken wir Astrid Matthes vom Frank & Timme-Verlag für die stets zu- verlässige, unkomplizierte, kompetente und gewissenhafte Zusammenarbeit.

Hans-Jörg Döhla und Anja Hennemann Juli 2021

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I EINLEITUNG

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Anja Hennemann (Potsdam)/

Hans-Jörg Döhla (Tübingen)

Konstruktionsgrammatik und Romanistische Linguistik: Eine Standortbestimmung

1 Zur Stellung der Konstruktionsgrammatik in der Romanistischen Linguistik

Wozu Konstruktionen? (Jacobs 2008),

wurde auch noch 20 Jahre nach dem Aufkommen der Konstruktionsgrammatik gefragt, direkt gefolgt von der Aussage „Der Status von Konstruktionen in der Grammatik ist umstritten“ (Jacobs 2008: 3). Auch wenn herausgearbeitet und festgestellt wird, dass „die Grammatiktheorie für die Analyse bestimmter Phänomene konkrete komplexe Konstruktionen zulassen muß“ (Jacobs 2008:

26), heißt es an anderer Stelle, dass „eine strikt konstruktionistische Gram- matikkonzeption […] nicht möglich“ sei (Jacobs 2008: 34). In der Tat stößt die Konstruktionsgrammatik bei der Untersuchung bestimmter sprachlicher Phänomene an ihre Grenzen, wie auch von einigen Beiträgen in dem vorlie- genden Sammelband aufgezeigt wird. Dennoch hat sich die Konstruktions- grammatik in der Germanistik1 schon vor geraumer Zeit zurecht ein festes Standbein erarbeitet und stößt auf breite Akzeptanz, was u. a. – um nur ein paar Beispiele zu nennen – die Studien in den Sammelbänden von Bergs/Diewald (eds., 2009) Bücker/Günthner/Imo (eds., 2015), Fischer/Stefanowitsch (eds., 2008a, 2008b), Günthner/Imo (eds., 2006), Lasch/Ziem (eds., 2011, 2014) oder Ziem/Lasch (eds., 2015) zeigen. Insbesondere bei Untersuchungen zum L1- und L2-Erwerb erfreut sich die Anwendung der Konstruktionsgrammatik

1 Diese Tendenz ist auch deutlich in der Anglistik spürbar, wo besonders die Arbeiten von Hil- pert (2013, 2014), Hoffmann (2011, 2019) und Hoffmann/Trousdale (2013a) hervorzuheben sind.

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generell großer Beliebtheit. Die Studien von Diessel (2013), Ellis (2013), Lieven (2014), Madlener (2016), Mollica (2015), Tomasello (u. a. 2005 oder 2006) oder Wolf (2018) sowie die in De Knop/Gilquin (eds., 2016) seien an dieser Stelle nur beispielhaft genannt.

2013 stand innerhalb der Romanistischen Linguistik der Sammelband

„Konstruktionsgrammatik in den romanischen Sprachen“ von De Knop/Mol- lica/Kuhn (eds., 2013), der auf der fast gleichnamigen Sektion, die auf dem Romanistentag 2011 stattfand, beruht, noch ziemlich allein, wenn nicht sogar

„verloren“ da, sodass es 2014 noch hieß: „Except for a few publications dea- ling with constructional phenomena in French […], there has been relatively little constructional research on Romance languages to date“ (Boas/Gonzál- vez-García 2014: 1). Was 2014 noch definitiv der Wahrheit entsprach, hat sich in den letzten Jahren stark geändert, denn dass die Romanistische Linguistik bei der Anwendung der Konstruktionsgrammatik zurückhaltend wäre, kann man schon seit ein paar Jahren nicht mehr behaupten. Das theoretische Kon- strukt und das empirisch anwendbare Modell der Konstruktionsgrammatik erleben insbesondere seit den letzten drei Jahren einen nicht zu verachtenden Aufschwung.

Bei der Beschreibung bestimmter sprachlicher Phänomene ist vorrangig die Kognitive, aber auch die Interaktionale Konstruktionsgrammatik innerhalb der romanistischen Linguistik in den letzten Jahren ‘im Kommen’ (z. B. Dres- sel/Teixeira Kalkhoff 2019, Ehmer 2016, 2021, Hennecke 2020, Hennecke/

Baayen 2017, Kalkhoff 2015, Pietrandrea 2010, Henne mann 2015, 2016a, 2016b, Ewert-Kling 2014, Schafroth 2014, 2015, Schafroth/Benigni/Ramu- sino/Mollica 2015, Mollica/Schafroth 2018, Tacke 2020a, Willems/Blan- che-Benveniste 2014, Wiesinger 2019 oder die Sammelbände bzw. Special Issues von Gévaudan/Hennemann, in Vorb., Hennecke/Wiesinger, in Vorb.

oder Mellado/Gutiérrez 2020).

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© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 15 Konstruktionsgrammatik und Romanistische Linguistik

2 Zur (Weiter-)entwicklung der Konstruktionsgrammatik

2.1 Wie es anfing …

Der erste konstruktionsgrammatische Zugang, der auch als solcher be nannt wurde, war der der Berkeley Construction Grammar in den späten achtziger und der ersten Hälfte der neunziger Jahre des 20. Jh. (Hoffmann/Trous dale 2013b: 5). Damit stellt die Berkeley Construction Grammar die ‘Urform’ der Konstruk tionsgrammatik dar und hat ihre Anfänge mit Paul Kay, Charles Fillmore und George Lakoff (Fillmore 2013: 111). In „The Mechanisms of Construction Grammar“ definiert Fillmore (1988) eine Konstruktion wie folgt:

By grammatical construction we mean any syntactic pattern which is assigned one or more conventional functions in a language, together with whatever is linguistically conventionalized about its contribution to the meaning or the use of structures containing it. (Fillmore 1988: 36) In diesem Zusammenhang und mit diesem Verständnis von ‘Konstruktion’ ist bspw. die oft zitierte Studie von Fillmore/Kay/O’Connor (1988) entstanden, die sich mit der X let alone Y-Konstruktion beschäftigten; unmittelbar vorher publizierte Fillmore (1986) zur the X-er, the Y-er-Konstruktion; später folgte die Analyse der What’s X doing Y-Konstruktion von Kay/Fillmore (1999).

Diese Studien machen deutlich, dass sich die Konstruktionsgrammatik in ihren Anfängen hauptsächlich mit teilweise schematisierten Konstruk tionen befass- te, denn der Grundgedanke der Berkeley Construction Grammar war, Phäno- mene, die zum Kern der Grammatik gehören, und grammatische Randerschei- nungen vor demselben gramma ti schen Hintergrund beschreiben zu wollen (Hoffmann/Trous dale 2013b: 5; vgl. auch Dobrovol’skij 2018). „Tatsächlich war der Versuch, Phraseologismen in die Sprachtheorie zu integrieren (statt sie als scheinbar peripher aus dieser auszublenden) die Initialzündung für das Programm der CxG“ (Jacobs 2008: 28, FN 33; vgl. auch Ziem 2018: 3). Somit wird die Grammatik einer Sprache als „the set of its grammatical construc- tions, the rules that unite formal and semantic information into various kinds

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of linguistic objects, together with the principles that constrain and connect them“ (Fillmore 2013: 112) definiert. Während die ‘formale Information’ syn- taktische, morphologische und phonologische Eigenschaften umfasst, bezieht sich die ‘semantische In for mation’ auch auf konventionalisierte Verwendun- gen, was den Teil be reich der Pragmatik miteinschließt (Fillmore 2013: 131):

[…] idioms and even lexical items are constructions: we cannot figure out what water means by examining its components: it has to be known in itself; we do not know that let alone is even sayable, let alone has an interpretation, on the basis of what we know about the individual words or their combination. (Fillmore 2013: 127)

Auch bei Lakoff (z. B. 1987, 1990) – als Vertreter der Kognitiven Konstruktions- grammatik (vgl. Goldberg 2006: 214 oder Tacke 2020b) – stehen Strukturen mit nicht-kompositioneller Bedeutung im Fokus. Auf ihn verweist auch Fill more (1988), indem er zusammen mit den von diesem analysierten Konstruktionen die Tatsache erwähnt, dass im Rahmen der Konstruktionsgrammatik eben auch Randphänomene („non-central constructions“) einer Sprache interessieren:

[…] construction grammarians differ from many other workers in the generativist tradition by their insistence on simultaneously descri- bing grammatical patterns and the semantic and pragmatic purposes to which they are dedicated, and by their tendency to give attention to the fine and fussy details of what might be called the non-central constructions of a language. This tendency shows itself, for example, in George Lakoff’s detailed survey of constructions in English intro- duced by the words HERE and THERE (Lakoff 1987, pp. 462–585) […]. (Fillmore 1988: 36; vgl. hierzu auch insbesondere Tacke 2020a) Diese Worte machen erneut deutlich, dass die Konstruktionsgrammatik ur- sprünglich für die Analyse von sprachlichen Phänomenen, die nicht-kano- nische grammatische Strukturen repräsentieren, angedacht war (vgl. auch Fillmore 2013: 111 oder Filatkina 2018).

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© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 17 Konstruktionsgrammatik und Romanistische Linguistik

2.2 … und wie es weiterging

Ronald W. Langacker ist wohl der Linguist, der in der Regel als erstes mit der Kognitiven Grammatik in Verbindung gebracht wird (vgl. auch Evans/Green 2006: 114). Die Anfänge der Cognitive Grammar liegen in den 1980er Jahren.

1986 erschien sein Aufsatz „An Introduction to Cognitive Grammar“ in der Zeitschrift Cognitive Science. Seitdem hat sich dieser grammatische Ansatz – vor allem durch Langacker selbst – konstant weiter ent wickelt. Im Laufe der Jahrzehnte wurden vornehmlich einige Korrekturen bzw. ‘Verfeinerungen’ auf terminologischer Ebene vorgenommen (vgl. Broccias 2013: 191). Nach zahlrei- chen weiteren Artikeln und Monografien (z. B. Langacker 1987, 1991) wurde 2008 das monumentale Werk Cognitive Grammar: A Basic Introduction veröf- fentlicht, wo sich Langacker unter anderem dem Konstruktionsbegriff und sei- ner Beziehung zur Kognitiven Grammatik widmet (Broccias 2013: 191). Nach seiner Cognitive Grammar (2008) beschäftigte sich Langacker weiterhin mit Konstruktionen vor dem Hintergrund der Kognitiven Grammatik und es folgten Publikationen wie bspw. „Constructions and Constructional Meaning“ (Lang- acker 2009a) oder „Cognitive (Construction) Grammar“ (Langacker 2009b).

Jedenfalls ist genauso wie in Fillmores (1988) Konstruktionsgrammatik in der Kognitiven Grammatik von symbolischen Einheiten in einer Sprache die Rede:

[…] grammar is intrinsically symbolic, having no independent existence apart from semantic and phonological structure. Grammar is describable by means of symbolic units alone, with lexicon, morphology, and syntax forming a continuum of symbolic structures. (Langacker 1988: 5)

Generell gilt: je öfter Modelle angewandt, Konzepte übertragen oder bestimmte Termini gebraucht werden, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese modifiziert bzw. erweitert werden. Das war schon nach dem Aufkommen der Berkeley Construction Grammar gewissermaßen durch Langacker Ende der 80er Jahre der Fall, als die Konstruktionsgrammatik nicht mehr nur auf die Analyse von (teilschematisierten) Idiomen angewandt wurde, sondern auch auf vollschematisierte Strukturen wie in Goldberg (1995). Von Vertretern der Berkeley Construction Grammar werden vollschematisierte Konstruktionen

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Anja Hennemann / Hans-Jörg Döhla

wie bspw. Valenzstrukturen allerdings nicht als Konstruktionen verstanden.

Eine Wortfolge wie Je le vois ist damit keine gesondert zu erfassende Verbin- dung aus Form und Bedeutung, weil man zum Ver ständnis dieser Wortfolge auf bereits vorhandenes grammatisches und lexikalisches Wissen zurückgrei- fen kann (vgl. Fillmore 2013: 126). Kons truk tionen liegen gemäß dieser engen Definition von Konstruktionen also (nur) dann vor, wenn Form oder Bedeu- tung eines sprachlichen Ausdrucks nicht mit Wissen über andere sprachliche Struk turen erklärt werden kann (Fillmore 2013: 126). Dadurch unterscheidet sich die Berkeley Construction Grammar von allen anderen Ausrichtungen der Konstruktionsgrammatik, die auch voll schematisierte Konstruk tionen anneh- men. Der Konstruktionsbegriff wurde somit nach und nach durch Vertreter an- dersartig ausgerichteter konstruktionsgrammatischer An sätze erweitert, sodass auch voll schematisierte Satz struk turen als Konstruktionen aufgefasst wurden (vgl. z. B. Croft/Cruse 2004).2 Die Vertreter der Berkeley Construction Gram- mar sind jedoch ihrer Auffassung von Konstruktionen treu geblieben. Somit gibt es – wie auch bei anderen Grammatikmodellen – ebenfalls bei der Kons- truktionsgrammatik nicht nur den einen konstruk tionsgrammatischen Ansatz, sondern verschiedene Ausrichtungen (vgl. auch Hennemann, im Druck).3

Der ‘ganz klassische’ Konstruktionsbegriff – angewandt auf teilsche- matisierte Strukturen bzw. Idiome – erfuhr also ziemlich bald nach seinem Aufkommen eine Erweiterung. Mit Goldbergs (1995) Anwendung der Kon- struktionsgrammatik auf bspw. resultative und ditransitive Konstruktionen und mit der wohl berühmtesten Definition von ‘Konstruktion’ wurde diese Erweiterung prominent:

2 So heißt es bspw.: „Constructions other than idiomatic phrases are compositional, that is, the meanings of the parts of the construction are combined to form the meaning of the whole construction“ (Croft/Cruse 2004: 253).

3 Dazu zählen neben der Berkeley Construction Grammar die Sign-Based Construction Gram- mar (Michaelis 2013), die Fluid Construction Grammar (Steels 2013, van Trijp 2008, 2015), die Embodied Construction Grammar (Bergen/Chang 2013), die Radical Construction Gram- mar (Croft 2001, 2013), die Cognitive Grammar (Langacker 1986, 2008, Broccias 2013) und die Cognitive Construction Grammar (Goldberg 1995, 2003, 2006, Boas 2013).

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© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 19 Konstruktionsgrammatik und Romanistische Linguistik Any linguistic pattern is recognized as a construction as long as some aspect of its form or function is not strictly predictable from its compo- nent parts or from other constructions recognized to exist. In addition, patterns are stored as constructions even if they are fully predictable as long as they occur with sufficient frequency […]. (Goldberg 2006: 5) Es scheint daher bezeichnend, dass es schon Anfang der 2000er Jahre bei Fried/Östman heißt:

Judging from the frequency and variety of uses attested in recent lin- guistic research, almost anything can be referred to as a ‘construction’.

The term seems to have become immensely popular, if not overused, and its denotation has, consequently, become quite unclear and fuzzy.

(Fried/Östman 2004: 1)

Die oben zitierten Worte von Fried/Östman (2004) sind zweifelsohne eher kritisch gemeint, aber wir möchten gern die Gegenfrage stellen: Sollte das nicht so sein, dass vor der Folie der Konstruktionsgrammatik alles eine Kon- struktion ist?4 Bei Goldberg (2003: 219) heißt es bspw. sehr selbstbewusst:

„Constructionist approaches aim to account for the full range of facts about language, without assuming that a particular subset of the data is part of a privileged ̒core̕“ (Goldberg 2003: 219). Dass aber – entgegen der Aussage Goldbergs (2003) – im Rahmen der Konstruktionsgrammatik vorzugsweise Phänomene, die nicht über die Satzgrenze hinausgehen, behandelt werden, steht außer Frage. Und dennoch ist eine gewisse Entwicklung innerhalb der Konstruktionsgrammatik und deren Anwendung zu beobachten. Insbesondere in letzter Zeit ist „ein wachsendes Interesse an der Beschreibung und theoreti- schen Erfassung sprachlicher Muster [zu] beobachten, die potentiell weit über die Satzebene hinausgreifen“ (Hennemann/Tacke 2020). Genau genommen vollzog sich der richtige „Boom“ bezüglich der Ausweitung des Konstrukti- onsbegriff eigentlich erst kurze Zeit später, und zwar allen voran durch Östman (2005) selbst. Denn wenn es um die Erfassung sprachlicher Muster weit über

4 Die Berkeley Construction Grammar sei bei dieser Frage außen vor gelassen.

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die Satzgrenze hinaus geht, stehen vor allem konventionalisierte Konstrukti- onsmuster diskursiver Natur – „discourse patterns“ (Östman 2005: 130) – im Vordergrund (vgl. auch Antonopoulou/Nikiforidou 2011, Herbst/Hoffmann 2018: 199 oder Langacker 2008: 477). Östman baut für die Beschreibung von Diskursmustern als Konstruktionen auf Fillmores (1982) Begriff des Frames auf, der wie folgt erklärt wird:

Knowing that a text is, say, an obituary, a proposal of marriage, a busi- ness contract, or a folktale, provides knowledge about how to interpret particular passages in it, how to expect the text to develop, and how to know when it is finished. (Fillmore 1982: 117)

Wie bei Fillmore (1982) angesprochen, kann bspw. die Gattung „Märchen“

als teilschematisierte Konstruktion nach dem Schema [Anfangsformel + {in- haltlicher Teil} + Schlussformel] aufgefasst werden (vgl. Fillmore 1982: 117, Langacker 2008: 117; vgl. auch Hennemann/Tacke 2020). Damit lässt sich das Märchen einem bestimmten Frame zuordnen: „the lexical and grammatical material observable in the text ‘evokes’ the relevant frames in the mind of the interpreter by virtue of the fact that these lexical forms or these gram- matical structures or categories exist as indices of these frames“ (Fillmore 1982: 123–124). Diese in einer Sprachgemeinschaft etablierten Frames be- ruhen wiederum auf Konventionen (vgl. Fillmore 1982: 117), sodass Östman (2005: 126) treffend formuliert: „much of discourse is conventionalized“ und

„CxG needs to recognize the usefulness of holistic frames, which are akin to genres“. Folglich heißt es:

certain ‘discourse patterns’ represent conventionalizations of specific linguistic properties, which places them on an equal footing with the conventionalized patterns known as ‘grammar’, at least with respect to capturing speakers’ knowledge of a language as a symbolic system.

(Östman 2005: 121)

In a discourse approach to constructions, context features […] are […] part of the constructions. Together with the internal features, they specify resources for language users in an ordinary constructional fa-

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© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 21 Konstruktionsgrammatik und Romanistische Linguistik shion. When looked at in this manner, ‘contextual features’ that affect variability are not seen as being outside grammar, but as being part of grammar. (Östman/Trousdale 2013: 488)

Auch Hoffmann/Bergs (2018) gehen der Frage nach, inwieweit die Prinzipi- en der Konstruktionsgrammatik auf einer linguistischen Makroebene – und damit über den einzelnen Satz hinaus – angewandt werden können. Sie ar- gumentieren, dass ein konstruktionsgrammatischer Zugang, obwohl eng mit den Traditionen der Textlinguistik der 1970er und 1980er Jahre verbunden, besonders geeignet ist, einen neuen Blick auf die Frage des Genres zu werfen.

Schließlich stelle der konstruktionsgrammatische Ansatz nicht per se Sprache, Diskurs oder Kognition als bestimmende Faktoren in den Vordergrund (vgl.

Hoffmann/Bergs 2018: 1). In diesem Sinne fordert auch Filatkina (2018), die bereits klassisch gewordene These Goldbergs (2003: 223) „It’s const- ructions all the way down!“ […] nach oben um die größere Dimension des Textes bzw. der Textsorte zu erweitern, in der das gesellschaftliche Metawissen über eine bestimmte Formulierungstradition – und nicht einfach der Kontext – gleichzeitig für die formelhafte Geprägtheit und Variation sorgt. (Filatkina 2018: 135)

Es ist also möglich, Diskurse oder Genre ebenso als konventionalisierte Kon- struktionsmuster mit definierbaren Form- und Funktionseigenschaften, die genauso wie die wohl berühmteste partiell schematisierte Konstruktion X let alone Y (Fillmore/Kay/O’Connor 1988) als teilschematisiert beschrieben wer- den können, aufzufassen, so dass Goldbergs These erweitert werden kann: It’s constructions all the way down and all the way up.

2.3 Und aus diachroner Sicht?

In diachroner Hinsicht kann sich die Anwendung der Konstruktionsgrammatik als sehr brauchbar erweisen. Es gibt genügend sprachliche Phänomene, die das Resultat eines nicht eineindeutig zuordenbaren Entwicklungsprozesses

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sind, sondern das Ergebnis, bei dem (mindestens) zwei Wandelprozesse (vgl.

FN 6) Hand in Hand gingen, sodass die ‘klassischen’ Konzepte der Gramma- tikalisierung, Lexikalisierung oder Pragmatikalisierung nicht (hinreichend) greifen (vgl. hierzu auch Filatkina 2018: 118–120). Dies hat immer wieder dazu geführt, dass die bereits etablierten Konzepte und Definitionen den jewei- ligen Untersuchungsobjekten angepasst und dadurch modifiziert wurden. In der Regel beinhaltet eine sich mit einem Entwicklungsprozess auseinanderset- zende Studie bereits in der Einleitung die jeweils angewandte Definition von Grammatikalisierung, Lexikalisierung oder Pragmatikalisierung. Schließlich findet der Lexikalisierungsbegriff mit zwei verschiedenen Bedeutungen in der Forschungsliteratur Verwendung: Einerseits versteht man unter Lexikalisie- rung aus synchroner Perspektive „die Kodierung konzeptueller Kategorien“

(Haßler 2011: 49), während sie andererseits aus diachroner Sicht die Aufnah- me eines sprachlichen Elements in das Lexikon beschreibt, sodass ein be- stimmtes Element von Sprechern als Einheit gespeichert und zum Verständnis nicht analysiert werden muss (vgl. Haßler 2011: 49–50; auch Lehmann www):

The tradition of work in lexicalization typically starts with a string that is already used in a conventionalized and fixed way and comes to be used as a “word”, whether a compound such as daredevil, or a phrase such as whodunit (a term for a detective story based on a colloquial form of Who did it?). (Traugott 2014: 95)

Brinton/Traugott (2005) zufolge bezieht sich der Lexikalisierungsbegriff an- dererseits manchmal auch auf einen diachronen Prozess, der dem Gegenteil von Grammatikalisierung entspricht (vgl. auch Ramat 1992, 2001 zur Le- xikalisierung). In diesem Sinne würde man davon ausgehen, dass Elemente im Laufe der Zeit unabhängiger (autonomer) würden als in früheren Stadien ihres Gebrauchs (vgl. Brinton/Traugott 2005: 57–60 zur „Lexicalization as increase in autonomy“).

Wie Lexikalisierung findet auch der Begriff der Grammatikalisierung mit (mindestens) zwei Bedeutungen Verwendung in der gängigen Forschungsli- teratur:

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© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 23 Konstruktionsgrammatik und Romanistische Linguistik […] der Terminus Grammatikalisierung wird sowohl auf synchrone als auch auf diachrone Gegebenheiten angewandt. Synchronisch erscheint Grammatikalisierung als morphosemantisches oder diskurspragmati- sches Element […]. Diachronisch geht es dabei um die Untersuchung, wie lexikalische Elemente unter teilweisem Verlust ihrer lexikalischen Bedeutung grammatische Funktionen erfüllen können. (Haßler 2011: 50) Im engeren Sinne – und demnach den Aspekt der Diachronie einschließend – ist Grammatikalisierung als der Prozess beschrieben, bei dem sich eine sprachliche, autonome, lexikalische Einheit zu einer grammatischen, gebunde- nen Form mit neuen grammatischen Funktionen entwickelt (Hopper/Traugott 2003: xv; vgl. auch Diewald 1997: 11). Dementsprechend heißt es schon bei Meillet ([1912] 1921: 131), dass es sich bei der Grammatikalisierung um die

„attribution du caractère grammatical à un mot jadis autonome“ handelt:

L’affaiblissement du sens et l’affaiblissement de la forme des mots accessoires vont de pair ; quand l’un et l’autre sont assez avancés, le mot accessoire peut finir par ne plus être qu’un élément privé de sens propre, joint à un mot principal pour en marquer le rôle grammatical.

(Meillet [1912] 1921: 139)

Im weiteren Sinne bezieht sich der Grammatikalisierungsbegriff nicht nur auf den Übergang von einer lexikalischen zu einer grammatischen Einheit, sondern auch auf den Übergang von einem weniger grammatischen zu einem

‘noch grammatischeren’ Element (vgl. Lehmann 2002: 10):

Grammaticalization consists in the increase of the range of a morpheme advancing from a lexical to a grammatical or from a less grammatical to a more grammatical status, e.g. from a derivative formant to an inflectional one. (Kuryłowicz 1965: 52)

Diese ‘Weitergrammatikalisierung’ wird auch „secondary grammaticalization“

genannt (Traugott 2004: 138). Wie Garachana (2008) treffend formuliert, gibt es aber auch ‘noch andere’ Auffassungen von Grammatikalisierung:

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Anja Hennemann / Hans-Jörg Döhla

Una visión más moderna [de la gramaticalización] incluye también otros cambios en los que el origen de la evolución se encuentra en el discurso: la gramaticalización supone la codificación en la gramática de unos significados discursivos. (Garachana 2008: 8)

Ob diese Auffassungen tatsächlich „moderner“ sind oder eigentlich das ur- sprüngliche Grammatikalisierungskonzept etwas ‘verwässern’, da es dadurch ausgeweitet und somit in seiner Trennschärfe zu anderen -isierungsprozessen

‘geschwächt’ wird, sei dahingestellt. Auch bei Traugott (2014: 91) heißt es:

„some recent characterizations of grammaticalization have shifted focus to conceptualizing grammaticalization as extension“, was gewissermaßen mit der Aussage Garachanas vergleichbar ist, insofern eine Erweiterung auch eine Bedeutungserweiterung auf diskursiver Ebene betreffen kann, wodurch wiede- rum der Bereich der Pragmatikalisierung involviert ist.5 Laut Traugott (2014:

91) kann eine Extension auch den Gewinn an prozeduraler Bedeutung meinen.

D. h., eine Konstruktion gewinnt an zusätzlichen Bedeutungen/Funktionen, wobei die genaue Bedeutung/Funktion in der Regel erst unter Berücksichti- gung des Kontextes erschließbar ist. Traugott (2014) – siehe auch Trousdale (2008) – schlägt daher passenderweise das Konzept der Prozeduralen Konst- ruktionalisierung vor: „procedural constructionalization involves increase in schematicity and productivity and loss of compositionality“ (Traugott 2014:

94). Im Detail definiert sich die Prozedurale Konstruktionalisierung wie folgt:

it signals the fact that the changes under discussion lead to the cueing of relationships between constructions; it avoids the problem of being inter- preted in terms of narrow definitions of grammar that exclude pragmatic elements such as discourse markers like I think; and it does not evoke definitions of grammaticalization as reduction. (Traugott 2014: 95) Damit ist der Begriff der Prozeduralen Konstruktionalisierung gut mit dem der Pragmatikalisierung vereinbar. Pragmatikalisierung bezieht sich auf das Um- funktionieren eines sprachlichen Elements, um den Anforderungen bestimmter

5 Vgl. hierzu auch die Diskussion in Heine (2018).

(26)

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 25 Konstruktionsgrammatik und Romanistische Linguistik Konversationssituationen bzw. dem Ausdruck von Sprecherhaltungen gerecht zu werden (Günthner/Mutz 2004). Allerdings wird eine strikte Trennung zwi- schen Grammatikalisierung und Pragmatikalisierung nicht immer vorgenom- men (vgl. Fried 2013: 424 oder Heine/Claudi/Hünnemeyer 1991), was auch Studien zu „pragmaticalization (defined) as grammaticalization“ (Diewald 2011) oder zu „pragmatic aspects of grammaticalization“ (Nicolle 2011) zei- gen. Ein Aspekt, der sich z. B. schwer in bestehende Konzepte der Wandel- prozesse einordnen lässt und der auch von Garachana (2008) angesprochen wird, ist der der Zunahme an syntaktischer Flexibilität:

[…] en los procesos de pragmatización, la pieza o piezas que experi- mentan el cambio no solo pueden ampliar su alcance estructural —el nivel categorial sobre el que inciden—, sino que, además, no tienen que quedar fijadas en una posición sintáctica; no se rigidifican, sino que pueden adquirir mayor libertad de movimiento en la oración. (Ga- rachana 2008: 9–10)

Vor konstruktionsgrammatischem Hintergrund wird sich auch mit der Fra- ge, ob die Entwicklung eines bestimmten Elements als Grammatikalisierung, Lexikalisierung oder Pragmatikalisierung beschrieben werden sollte, beschäf- tigt, wobei ‘Konstruktionalisierung’ als umbrella term dient und verschiedene Ausrichtungen annehmen kann.6 Das heißt, dass die Analyse von Spuren eines Wandels an einem Element auch ihren Platz in einer diachronen, konstruk- tionsgrammatischen Analyse findet (vgl. auch Coussé/Andersson/Olofsson, eds. 2018, Hilpert 2013, Traugott 2014 oder Traugott/Trousdale 2013: 22; vgl.

auch Hennemann 2015). Traugott/Trousdale (2013: 22) unterscheiden zwei Arten von Konstruktionalisierung: grammatische und lexikalische Konstruk- tionalisierung, wobei sie auch solche Wandelprozesse berücksichtigen, die teils konzeptuelle, teils prozedurale Einheiten hervorbringen. Diese nennen sie ‘intermediäre’ bzw. ‘hybride’ Konstruktionen (2013: 26). Bei Fried (2013)

6 Unseres Erachtens ist davon auszugehen, dass jeder sprachliche Wandel in irgendeiner Weise an pragmatische ‘Belange’ bzw. Bedingungen geknüpft ist, sodass die Pragmatik als Variable bei jeder Art von sprachlicher Entwicklung (mehr oder weniger) involviert ist.

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Anja Hennemann / Hans-Jörg Döhla

heißt es sogar, dass „Konstruktionalisierung“ die adäquatere Bezeichnung für das ist, was während eines Grammatikalisierungsprozesses geschieht:

[…] grammaticalization processes are most accurately conceptualized as instances of ‘constructionalization’: a process that leads to (1) the emergence of a new grammatical pattern (construction) out of pre- viously independent material or (2) a reorganization of an existing construction, leading to an increasingly more opaque meaning of the pattern. (Fried 2013: 424)

Wandelprozesse können auch nur ein bestimmtes Merkmal oder bestimmte Merkmale einer Konstruktion betreffen: „Constructional changes are changes to features of constructions“ (Traugott 2014: 89). Hilperts Begriff des Konst- ruktionalen Wandels bezieht sich sogar nicht nur auf alle -isierungsprozesse, sondern auch auf sprachlichen Wandel, der die Zu- oder Abnahme von Ge- brauchsfrequenzen betrifft (2013: 8–9):

Constructional change is more encompassing than the changes that characterize grammaticalization. Specifically, it includes processes of lexicalization, processes of syntactic change that do not instantiate grammaticalization, processes within derivational morphology, and processes of frequency change that are unrelated to grammaticaliza- tion. (Hilpert 2013: 8–9)

Hilpert zufolge ist zwischen absoluter und relativer Frequenz zu unterschei- den: „Absolute frequency (or token frequency) measures how often a construc- tion occurs within a fixed amount of running text. Trivially, a construction may become more or less frequent over time“ (Hilpert 2013: 7). Bei der Ermittlung der relativen Frequenz werden zwei Konstruktionen oder Konstruktionsva- rianten miteinander verglichen: „Relative frequency measures how often a construction occurs in comparison to some alternative construction. A change in relative frequency could be that a construction surpasses another one in frequency or becomes surpassed itself“ (Hilpert 2013: 7). Insbesondere bei verschiedenen Varianten einer Konstruktion kann es dazu kommen, dass sich

(28)

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 27 Konstruktionsgrammatik und Romanistische Linguistik unterschiedliche Entwicklungen bezüglich ihrer Gebrauchshäufigkeit ergeben.

Damit erfasst die relative Frequenz die funktionale und strukturelle Variation von Elementen (Hilpert 2013: 17). Generell erfasst Konstruktionaler Wandel selektiv ein konventionelles Form-Bedeutungspaar einer Sprache und verän- dert es hinsichtlich seiner Form, seiner Funktion, eines beliebigen Aspekts seiner Häufigkeit, seiner Verteilung in der Sprachgemeinschaft oder einer be- liebigen Kombination davon (Hilpert 2013: 16). Die dem Konstruktionalen Wandel zugrunde liegende Annahme ist, dass Konstruktionen nicht starre, sondern flexible Strukturen sind und formale sowie funktionale Variationen aufweisen (können). Eines der unzähligen Beispiele in den romanischen Spra- chen für eine Konstruktion im Sinne eines Form-Bedeutungs-Paares, bei dem die Form gleichbleibend, die Bedeutung/Funktion aber variierend ist, ist sp.

encima. Garachana (2008: 12) hat hier einen „cambio desde el nivel sintag- mático hasta el oracional, textual y discursivo“ festgestellt. Während encima (de que) auf Satz- bzw. textueller Ebene als „conector aditivo“ (Beispiel 1) im Sinne von además und als „conector contraargumentativo“ (Beispiel 2) im Sinne von a pesar de fungiert, erfüllt es auf Diskursebene die Funktion einer

„marca de réplica“ wie in Beispiel (3) (vgl. Garachana 2008: 13):

(1) Oíd, los cabdillos e los prínçipes de la casa de Israel, que abor- resçedes el bien e vos pagades del mal, que tomades e robades por fuerça a los pequeños e a los menguados lo suyo e comedes las carnes de los del mi pueblo, e encima desolládesles las piel- les. (Anónimo: Un sermonario castellano medieval, 1400–1500;

Garachana 2008: 12)

(2) ¿Aunque te contase que me desgarraba el alma y que sufría vién- dome obligado a cortejar a otra mujer…, tú…, encima, serías capaz de hacerme una escena de celos? (Joaquín Calvo Sotelo:

Una muchachita de Valladolid. Comedia en dos partes, 1957; Ga- rachana 2008: 12)

(3) —Mira, la próxima vez que yo discuta con Juan, tú mantente al mar- gen. No necesito que me defienda nadie. Puedo arreglármelas yo solita.

—¡Encima! (Garachana 2008: 12)

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Bei dieser Entwicklung von encima (de que) greift auch nicht das Kriterium der Unidirektionalität, woran das ursprüngliche Verständnis von Grammati- kalisierung geknüpft war (und sein sollte?). Schließlich sind auch heute noch alle oben aufgezeigten Verwendungsweisen nachweisbar. Encima (de que) hat vielmehr an Bedeutungen gewonnen und welche genau beim jeweiligen Gebrauch zur Anwendung kommt, ist kontextuell erschließbar. Insgesamt können Konstruktionalisierung/Konstruktionaler Wandel hilfreiche Modelle darstellen, um Wandel auf syntaktischer oder auf Frequenzebene zu untersu- chen. Außerdem kann festgehalten werden,

dass der entscheidende Vorteil des diachronen konstruktionsgrammati- schen Herangehens […] in der konsequenten Orientierung am simulta- nen und ebenenübergreifenden Charakter der Veränderungen bestehen kann. Der zweite Vorteil, den die Beschreibung einiger Sprachwan- delprozesse als Konstruktionswandel mit sich bringt, besteht in der Möglichkeit, Veränderungen mit nicht systemischem Charakter zu in- terpretieren, d. h. solche Veränderungen, die nicht oder nicht unbedingt weiterführende Veränderungen im System/Paradigma nach sich ziehen und ins „theoretische Niemandsland“ (Hilpert 2011: 71) zwischen den bekannten Sprachwandelprozessen fallen. (Filatkina 2018: 120)

Die Anwendung der Konstruktionsgrammatik und der Prozess der (Prozedu- ralen) Konstruktionalisierung/des Konstruktionalen Wandels erscheinen also gerade dann auf diachroner Ebene sinnvoll, wenn es um die Frage nach dem Typ des -isierungsprozesses geht und wenn möglicherweise verschiedene Pro- zesse Hand in Hand gehen.

3 Wohin die Reise (mit diesem Sammelband) geht

Je mehr Linguist*innen insgesamt sich jedenfalls mit der Konstruktionsgram- matik auseinandersetzen, desto mehr Schwachstellen werden aber auch ent- deckt bzw. aufgedeckt (vgl. auch Döhla/Hennemann/Tacke, im Druck oder Haßler, im Druck). Eher ‘generativ verortete’ Sprachwissenschaftler*innen

(30)

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 29 Konstruktionsgrammatik und Romanistische Linguistik könnten nun sagen, sie hätten ja von Anfang an (kritisch) gefragt, wo Intona- tion bzw. Kontext ihren Platz innerhalb der Konstruktionsgrammatik finden.

‘Eingefleischte Konstruktionsgrammatiker*innen’ könnten darauf antworten, dass ja ohnehin ein Lexikon-Syntax-KONTINUUM angenommen wird. Aber dass damit tatsächlich nicht alle Probleme gelöst werden (können), zeigt sich erst, wenn man sich mit bestimmten sprachlichen Phänomenen auseinander- setzt bzw. wenn versucht wird, bestimmte Phänomene aus konstruktionsgram- matischer Perspektive zu beschreiben.

Der vorliegende Band vereint daher einerseits (Fall-)Studien, in denen ein konstruktionsgrammatisches Modell (meist das der Kognitiven Konstrukti- onsgrammatik nach Goldberg 2006) bei der Analyse bestimmter Phänomene angewandt wird, und andererseits Beiträge, die sich mit den Grenzen dieses Grammatikmodells auseinandersetzen. Voranstellen möchten wir all diesen Studien den Beitrag von Elmar Schafroth, der sich mit einer der Grundan- nahmen, dem primären Postulat, der Konstruktionsgrammatik auseinander- setzt, nämlich dem „Lexikon-Syntax-Kontinuum“, auch aus historisch-gram- matikographischer Perspektive. Im Fokus des Beitrags stehen verschiedene Arten des Kontinuums, d. h. unterschiedliche Kontinua innerhalb des Lexikons bzw. an der Schnittstelle von Syntax und Lexikon, wozu bspw. caused-motion Konstruktionen gehören können, die verbale Idiome bürgen, wie in Anja und Hans-Jörg hängen ihre Jobs an den Nagel. Außerdem gibt Elmar Schafroths Beitrag einen Einblick in die Anwendung dieser Kontinua auf die Fremdspra- chendidaktik, insbesondere auf die Spracherwerbsforschung, woraus wiederum Desiderata für die Forschungsbereiche Linguistik und Fremdsprachendidaktik abgeleitet werden.

Im ersten Block finden sich subtile, feinsprachliche Analysen einzelner Konstruktionstypen oder Gruppen von Konstruktionen. Er umfasst die Beiträ- ge von Kathrin Betz, Thaís Dias de Castilho Ehrler und Verena Weiland, Birgit Füreder, Katharina Gerhalter, Inga Hennecke und Johanna Wolf, Andrea Pešková sowie Felix Tacke.

Unter Anwendung der Radical Construction Grammar unterzieht Kath- rin Betz depiktive Konstruktionen im Spanischen und Italienischen einem kontrastiven Vergleich. Es geht hier um Konstruktionen wie Anja und Hans- Jörg schrieben fröhlich, in denen das Adjektiv eine sekundäre Prädikation

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