Vom Glück und glücklichen Leben
Sozial- und geisteswissenschaftliche Zugänge
Mit 2 Abbildungen und 2 Tabellen
Vandenhoeck & Ruprecht
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ISBN 978-3-525-45180-9
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l
Herausgegeben von
Marianne Leuzinger-Bohleber und Rolf Haubl
Reihe 2
Psychoanalyse im interdisziplinären Dialog Herausgegeben von
Marianne Leuzinger-Bohleber, Rolf Haubl und Stephan Hau
Band 6
Timo Hoyer (Hg.)
Vom Glück und glücklichen Leben
Sozial- und geisteswissenschaftliche Zugänge
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Über die Kunst, im Tun das Lassen zu üben
Biblisch-theologische Glücksmomente
Keine Rückkehr ins Paradies
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»Adam und Eva wurden aus dem Paradies vertrieben. Wir fliegen Sie jeden Tag hin.« Vor einigen Jahren warb ein Reiseveranstalter mit diesem Satz, dessen Hervorhebungen den Angesprochenen das »Paradies – jeden Tag« verheißen. Mit den Personennamen und der Benennung des Ortes »Paradies« gibt sich der Werbetext als Anspielung auf die alttestamentliche Erzählung im Buch Gene- sis 2–3 zu erkennen. Auch die Vertreibung gehört zum Plot der bi- blischen Geschichte. Nach der biblischen Urgeschichte allerdings wird der Eingang des Gartens Eden von Cheruben mit flammen- den Schwertern bewacht, eine Rückkehr ins Paradies ist gerade nicht möglich. In der Ideologie des neoliberalen Marktes wird das Paradies als Sehnsuchtsort käuflich. Der Reiseveranstalter über- trifft noch Gott: Während jener die Menschen aus dem Paradies vertrieben hat, schafft dieser den Zugang neu.
Dieses Werbeplakat fasst eine Glückssehnsucht in Worte, nach der das glückende Leben machbar, erreichbar ist, und zwar sofort.
Dieses Glück richtet sich auf eine Aufhebung von Raum, Zeit und Sinn und greift deshalb auf mythische Sprache zurück (Müllner 1997). Hier spricht sich eine infantile Sehnsucht nach Bedürfnis- befriedigung aus, die eine übermächtige Figur gewährleisten soll.
Die biblische Erzählung in Genesis 2-3 hingegen setzt das Pa- radies nicht als Ort der Hoffnung (ganz anders als das verheißene Land oder die Stadt Jerusalem, auf die sich Hoffen und Handeln richten). Die Urgeschichte entwirft eine paradigmatische Topogra- phie. Das hebräische Wort ’eden heißt »Lust« oder »Wonne«, Para- dies ist ein persisches Lehnwort und bedeutet »Garten«. Ebenso
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wie die Personennamen (etwa ’adam – Mensch) wollen auch die Orte keine reale Geographie darstellen, sondern mit hohem Iden- tifikationspotential »Allmaliges als Erstmaliges« (Erich Zenger) erzählen. Wenn den beiden ersten Menschen als Konsequenz ih- rer Gebotsübertretung das Leben »jenseits von Eden« vor Augen geführt wird (Gen 3,14–19), dann wird deutlich, welche sozialen und natürlichen Gegebenheiten die Menschen der damaligen Zeit als belastend erlebt haben: mühevolle Feldarbeit und ebensolche Geburt, Herrschaft des Mannes über die Frau und Feindschaft zwischen Tier und Mensch. Die Erzählrichtung ist ätiologisch:
Die Paradieseserzählung will erzählen, warum die Feldarbeit als ebenso beschwerlich wie die Geburt und warum die Beziehungen zwischen Männern und Frauen als schmerzlich asymmetrisch erfahren werden. Sowohl in der biblischen Erzählung als auch in späteren Deutungen ist das Paradies ein Ort, der hinter den Men- schen liegt. So hat etwa die Philosophie der Aufklärung eine In- terpretation der »Sündenfallerzählung« als Aufstiegsgeschichte (Kant, Schiller u. a.) entworfen. Seither wird die Erzählung immer wieder sowohl individuell als auch kollektiv im Sinn einer Rei- fungsgeschichte gelesen. Eine Rückkehr in die Naivität des Para- dieses wäre in dieser Perspektive gar nicht wünschenswert.
Aus Sicht der biblischen Theologie kann also das Paradies nicht als Sehnsuchtsort gelten, auf den hin sich die Hoffnung richtet.
Andere Bilder stehen im Vordergrund, wenn in der Bibel vom Glück, vom guten Leben gesprochen wird. Es sind – für manche vielleicht unerwartet – diesseitige Perspektiven, die die biblische Theologie hier einnimmt. »Mit dem Glück im Diesseits tut sich das Christentum immer wieder schwer« (Ammicht-Quinn 2006, S. 112). Das hat auch etwas damit zu tun, dass das Christentum seine biblischen, vor allem seine alttestamentlichen Wurzeln oft und lang genug vergessen hat. Denn wer von der Bibel, und, wie dieser Beitrag es tut, vor allem von der hebräischen Bibel her liest, stellt keine Jenseitsorientierung in den Mittelpunkt, sondern die Frage nach dem gelingenden Leben hier und jetzt.
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Das pralle Leben –
■ la‘asot chajim
Die Theologie legt einige Zurückhaltung an den Tag, was das Sprechen vom Glück betrifft. »Glück« gehört sicherlich nicht zu den Schlüsselwörtern christlicher Theologie. Dennoch gibt es auch theologisch gängige Begriffe, die dem nahekommen, was wir unter Glück verstehen: Segen, Gnade, das Anbrechen des Reichs Gottes – hier sind Spuren dessen enthalten, was theologisch un- ter Glück zu verstehen ist. Das Problem ist aber nicht bloß eines der richtigen Begrifflichkeit. Verschiedene Aspekte des Glücks machen die theologische Rede darüber schwierig. »Denn es steht scheinbar als Banalität, ein wenig einfach, dümmlich und rosarot neben diesen Begriffen und Vorstellungen der Theologie« (Sutter Rehmann 2006 et al., S. 13). Der Vorwurf des Privatistischen liegt ebenso nahe wie die Frage, ob überhaupt angesichts des Leidens in der Welt vom Glück gesprochen, das persönliche Glück gar ge- sucht werden darf. Diese Anfragen sind nicht einfach beiseitezu- wischen. Insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von Glück und Leid, vor allem dem eigenen Glück und dem Leiden anderer, muss ein Stachel im Fleisch bleiben und bewahrt vor allzu rosaro- ten, dümmlichen und einfachen Glücksvorstellungen. Gerade in einer Kultur wie der unseren, die von einer grausamen Ambivalenz gekennzeichnet ist – der Leidensvergessenheit und Leidverdrän- gung einerseits, der medialen Frei-Haus-Lieferung von Leidens- darstellungen andererseits –, ist Glück nicht ohne Mitbedenken des Leidens zu bestimmen. Zur Ambivalenz unserer Gegenwarts- kultur kommt eine christliche Tradition, die allzu oft Leid um sei- ner selbst willen wertgeschätzt hat, also nicht nur Wege aufgezeigt, unvermeidliches Leiden in Würde zu tragen, sondern das Leid so positiv besetzt hat, dass es erstrebenswert schien. »Die heutige Situation ist eine besondere: Eine Frömmigkeits- und Theologie- geschichte der Leidbetonung trifft auf eine Kultur der Leidver- gessenheit und Leidverdrängung. […] Leidvergessenheit aber ist kein Glück. Es gibt kein Glück des Wegschauens, kein Glück des Vermeidens, des Verurteilens oder des Beschämens. Glück macht lebendig. Das Vergessen und Vermeiden derjenigen, die unglück- lich sind, macht stumpf« (Ammicht-Quinn 2006, S. 118).
Das Glück scheint eher zum Hans des Märchens zu passen, zum
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tapferen Schneiderlein und all den anderen Helden der Glückssu- che als ausgerechnet in die Texte der Bibel. Und doch: Sowohl das Alte als auch das Neue Testament kennen das Glück: in Geschich- ten, Prophetie und Psalmen. Wer etwa die »Seligpreisung« (z. B.
Ps 1; Mt 5) aus ihrem verstaubten Sprachgewand befreit, findet da- rin die Kraft, »das Glück in die Welt zu rufen« (Rapp 2006).
Das Alte Testament, und das macht es auch für Menschen an- ziehend, die sich nicht aus religiösen Gründen an die Bibel gebun- den fühlen, ist ein Buch voller Leben. In diesem Buch haben die Höhen und die Tiefen, hat das Leben in allen Dimensionen Platz.
In meiner Arbeit mit Studierenden höre ich oft den Satz: »Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas in der Bibel steht.« Das Vorurteil blutleerer frömmelnder Langeweile bestätigt sich denen nicht, die anfangen, die Texte wirklich zu lesen. Hier geht es um das ganze Leben in seinen überwältigend vielfältigen Aspekten, auch um das Glück.
Wie formulieren die Texte das Glück des vollen Lebens selbst?
Was ist für die Menschen im Alten Israel Glück? Was für den Be- reich des Alten Orient in Bezug auf ähnlich gelagerte Fragen häu- fig gilt (Assmann 1994, S. 17), gilt für das biblische Israel in die- sem Fall: Eine einfache Wortuntersuchung, wo sich ein Begriff für Glück eben durch die Konkordanz ermitteln ließe und das Ergeb- nis dieser Untersuchung bereits den Grundstock der Überlegun- gen ergäbe, ist nicht möglich. Das hebräisch-deutsche Wörterbuch
»Gesenius« nennt dreizehn hebräische Begriffe für Glück, aber die Beschreibung dessen, was unter Glück verstanden wird, geschieht oft auch ohne einen solchen Begriff (Lang 1994, S. 60).
Allein die Tatsache, dass der Begriff der eudaimonia weder in der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel (Septuaginta) noch im griechischsprachigen Neuen Testament vorkommt, be- deutet nicht, dass die Frage nach ihr nicht gestellt wird. Im Ge- genteil: Für einen Teil des biblischen Kanons, der so genannten Weisheitsliteratur, erweist sich die Frage nach dem Glück sogar als treibende Kraft. »›Was muß der Mensch tun, um glücklich zu wer- den?‹ – diese Frage kann als Zusammenfassung des Anliegens der Weisheit gelten« (Schwienhorst-Schönberger 1994, S. 275).
Aber auch die Erzählungen und die Prophetie kennen das menschliche Glück. Als das biblische goldene Zeitalter gilt die
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Regierungszeit Salomos im 10. Jahrhundert vor unserer Zeitrech- nung. Salomo gilt als der Inbegriff königlicher Weisheit. Und das sichert das Glück der Menschen, die in Israel leben:
Juda und Israel lebten in Sicherheit von Dan bis Beerscheba. Ein jeder saß unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum, solange Salomo lebte. (1 Kön 5,5)
Drei Aspekte zeichnen das hier beschriebene Glück aus:
das Sitzen, die Muße;
−
der ganz irdische Genuss der Früchte des Landes;
−
die Sicherheit, die darin besteht, das
− Eigene genießen zu kön-
nen.
Gerade der letzte Punkt ist für das biblische Israel nicht selbstver- ständlich. Das Wohnen in Sicherheit (Jer 32,37) ist häufiger Verhei- ßung als Wirklichkeit. Nur wenige Jahrhunderte in seiner mittler- weile dreitausendjährigen Geschichte hat das Judentum einen ei- genen Staat gehabt, kaum gibt es Momente in dieser Geschichte, in denen dieser Staat nicht von außen bedroht oder als Vasallenstaat von einem Großreich wie Assyrien abhängig war. Weite Strecken der Geschichte Israels und des Judentums sind von der Diaspo- rasituation, von einem politischen und sozialökonomischen Zu- stand des Zerstreutseins geprägt. Das babylonische Exil im 6. Jahr- hundert vor unserer Zeitrechnung wird geradezu zur Chiffre, die Erfahrungen dieser Art zum Ausdruck bringt. Diese Erfahrungen prägten die Bilder von Glück und Unglück. Wie eine Kontrastfolie zur goldenen salomonischen Zeit kann das Unglück im Buch Deu- teronomium so beschrieben werden:
Du verlobst dich mit einer Frau, und ein anderer schläft mit ihr. Du baust ein Haus und wohnst nicht darin. Du legst einen Weinberg an und hältst nicht einmal die erste Lese. (Dtn 28,30)
Mit Haus, Weinberg und Frau werden (aus androzentrischer Sicht) zentrale Güter des Lebens benannt. Wie sehr sie als schützenswert gelten, zeigt Deuteronomium 20,5–7. Neben Deuteronomium 28 ist dies die einzige Stelle, an der diese drei Begriffe gemeinsam vorkommen. In Deuteronomium 20 geht es um die Befreiung vom
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Kriegsdienst, die in allen drei auf diese zentralen Güter bezoge- nen Lebenssituationen, in denen eine Handlung begonnen, aber noch nicht vollendet ist, gewährt wird: Das Haus ist gebaut, aber noch nicht eingeweiht; der Weinberg ist angelegt, aber die erste Lese konnte noch nicht gehalten werden; eine Verlobung hat zwar stattgefunden, die Hochzeit aber steht noch aus. Dieses Schützens- werte wird versagt, wo Israel sich nicht der Tora entsprechend ver- hält. So formulieren die prophetischen Bücher Amos (5,11) und Zefanja (1,13) fast gleichlautend zu Deuteronomium 28,30 in Be- zug auf Haus und Weinberg:
Weil ihr von den Hilflosen Pachtgeld annehmt und ihr Getreide mit Steu- ern belegt, darum baut ihr Häuser aus behauenen Steinen – und wohnt nicht darin, legt ihr euch prächtige Weinberge an – und werdet den Wein nicht trinken. (Am 5,11)
Das Nicht-Bewohnen des Hauses und das Nicht-Trinken des Wei- nes werden als Konsequenzen sozialer Ausbeutung, einer »Haltung des praktischen Atheismus« (Steymans 1995, S. 279), angekündigt.
Das Ende des Exils dagegen wird in folgendem Bild verheißen:
Wieder wirst du pflanzen Weinberge auf den Bergen Samarias.
Pflanzende werden gepflanzt haben, und sie werden die Früchte genossen haben.
(Jer 31,5; Übersetzung: Georg Fischer 2005)
»Das Anlegen von Weinbergen ist zum einen eine sehr aufwän- dige Tätigkeit, die erst nach Jahren Ertrag abwirft. Sie steht unter besonderem Schutz, so dass sie sogar bei Kriegsgefahr vom Heer- dienst befreit (Dtn 20,6), und das Versagtsein des Verkostens die- ser Mühen gilt als Zeichen von Fluch (Dtn 28,30). Zum anderen verbinden sich mit dem Weinberg symbolische Bedeutungen, sei es über den Wein als Zeichen von Freude und erfülltem Leben, sei es grundlegend, als Bild für Israel (Jes 5,7)« (Fischer 2005, S. 148).
Beide Ebenen, die faktisch körperliche und die bildhafte, sind zu berücksichtigen und diese Bilder als Metonymie zu interpretie- ren. Sie bezeichnen zunächst die soziale Wirklichkeit von Pflan- zen, Ernten und von Beziehungen. Entsprechend zu leben wird konkret verheißen (Jer 31) oder versagt (Dtn 28; Am 5; Zef 1).
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Zusätzlich entwickeln diese Vorstellungen aber auch ein Leben als Bilder, die vielfältige Glückserfahrungen verdichtet zur Sprache bringen.
Glück ist die Möglichkeit, die Früchte der Erde zu genießen.
Für die Israelitinnen und Israeliten vor dem Einzug ins verheißene Land (ich spreche hier über literarische Chronologie, nicht über Historie) sind die Früchte dieses Landes so verlockend, dass diese Verlockung nur mit der Stilfigur der Übertreibung zu fassen ist.
Die Kundschafter, die Mose von jenseits der Grenze ins Verhei- ßungsland schickt, kommen ins »Traubental«:
Dort schnitten sie eine Rebe mit einer Weintraube ab und trugen sie zu zweit auf einer Stange, dazu auch einige Granatäpfel und Feigen.
(Num 13,23)
Für diese Gabe des Landes zeigen die Israelitinnen und Israeliten ihre Dankbarkeit einerseits dadurch, dass sie diese Gabe gerecht verteilen, und andererseits dadurch, dass sie Gott die Erstlings- früchte darbringen. Wo der Segen fehlt (Dtn 28; Am 5; Zef 1), wird »nicht nur die Inbesitznahme des Weinbergs, sondern auch das Opfer der Erstlingsgabe unmöglich« (Steymans 1995, S. 279).
Grundlagen, Freude und Luxus –
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Brot, Wein und Öl
»[…] die Absicht, daß der Mensch ›glücklich‹
sei, ist im Plan der ›Schöpfung‹ nicht enthalten.«
(Sigmund Freud 1930, S. 434)
Der Zugang zum Leben in Fülle hat mit Gott zu tun. Er gründet in der Gabe des Landes und in der Schöpfung. In Psalm 104, ei- nem großartigen Schöpfungshymnus, ist kaum vom Menschen die Rede. Anders als in der Paradieserzählung (Gen 2–3), in der die Menschen eine zentrale Rolle spielen, liegt in Psalm 104 die Kon- zentration ganz auf den nichtmenschlichen Elementen der Welt, auch auf solchen Bereichen wie Wind und Wolken (V 3f.), die dem Menschen gar nicht zugänglich sind. So wie Gott dafür sorgt, dass
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die Erde nicht vom Wasser verschlungen wird, dass der Mond die Zeiten misst und dass es Bäume gibt, in denen die Vögel ihr Nest bauen können, gilt aber auch: Gott ist einer,
der Gras sprießen läßt für das Vieh und Pflanzen für die Arbeit des Menschen, um Brot aus der Erde hervorzubringen
und Wein, der des Menschleins Herz froh macht, um zum Glänzen zu bringen sein Angesicht mit Öl, und daß Brot des Menschleins Herz stark mache.
(Ps 104,14f.; Übersetzung: Zenger 1994, S. 32)
Zwei den Menschen betreffende Aspekte will ich an dieser Stelle hervorheben:
Gott sorgt nicht nur für das, was zum Überleben notwendig ist.
1.
Auch die Freude (im Wein) und der Luxus (im Öl) sind schon in der Schöpfung angelegt. Die Fürsorge Gottes geht über das tägliche Brot hinaus und umfasst auch den Überschuss, das Mehr.
Das Handeln Gottes und das Handeln der Menschen greifen 2.
auf eine Weise ineinander, dass man nicht analytisch dem einen Aspekt des Handelns die menschliche, dem anderen die göttli- che Seite zuordnen kann. Das Handeln Gottes findet in dieser Welt und mit den Mitteln dieser Welt statt, es verzahnt sich mit dem menschlichen Handeln. Damit ist dem Gottesbild eines Lückenbüßers eine Absage erteilt. Gott setzt nicht dort an, wo das menschliche Handeln, wo die von uns erklärbare Natur, wo das menschliche Denken nicht hinkommen. In einem solchen Denken wird Gott immer kleiner, wenn der Mensch wächst.
Jede weitere naturwissenschaftliche Erkenntnis ließe weniger Raum für Gott. So denken weder die Bibel noch die Theologie.
Insofern ist das Handeln Gottes an der Welt auch kein Zusatz zu den Phänomenen des Alltags, die Gnade geschieht nicht als Zu- gabe, sondern inmitten dessen, was wir als geglücktes Leben er- fahren (vgl. Faber 1995/2006, S. 781). Bibel und Theologie regen an, grundsätzlich und immer wieder neu und konkret über das Handeln Gottes und der Menschen sowie das Verhältnis der bei- den zueinander nachzudenken.
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Teilhabe an Gottes Blick auf die Welt
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»Du meinst, in der Bibel sei von Gesundheit, Glück, Kraft etc. nicht viel die Rede. Ich habe mir das nochmal sehr überlegt. Für das AT trifft das doch jedenfalls nicht zu. Der theologische Zwischenbegriff im AT zwischen Gott und dem Glück etc. des Menschen ist, soweit ich sehe, der des Segens.« Dietrich Bonhoeffer (zit. n. Frett- löh 1998, S. 189)
Es sind mehrere Begriffe, die vom biblischen Denken her mit dem Stichwort »Glück« in Verbindung gebracht werden können.
Mit Sicherheit gehören zwei Termini dazu, die in der biblischen Schöpfungserzählung, vor allem in Genesis 1, eine Rolle spielen:
»Segen« und »gut«.
Dietrich Bonhoeffer gibt dem Glück – ich meine zu Recht – eine fundamentale Bedeutung, indem er es im Horizont der Schöpfungstheologie verankert: nicht als Rückkehr ins Paradies, sondern – und das wäre meine Interpretation – als Teilhabe am Blick Gottes auf die Welt.
Die erste Schöpfungserzählung in Genesis 1,1–2,4a ist poetisch gestaltet. Sprachlich lebt sie von Wiederholungen und Refrains.
Dem Handeln Gottes in Wort und Tat folgt der Blick Gottes auf das soeben Geschaffene (V 10.12.18.21.25; vgl. V 4): »Gott sah, dass es gut war« (Einheitsübersetzung, Luther). Auch eine andere Übersetzung ist möglich, da der hebräische Nominalsatz zeitlich unbestimmt ist: »Er sah, dass es gut ist« (Martin Buber). Die Güte der Schöpfung wäre in diesem Fall nicht ein vergangenes Phäno- men, sondern reichte in die Gegenwart hinein. Gottes Blick auf die Welt ist ein Blick der ungebrochenen Affirmation. Der Re- frain wird im Blick auf das Gesamt der Schöpfung am sechsten Tag noch überboten: Es ist sehr gut. Ihre Vollständigkeit erhält die Schöpfung aber erst am und durch den siebten Tag, den Tag der Ruhe, den Schabbat.
Die Erschaffung der Menschen, männlich und weiblich, wird in dieser Schöpfungserzählung mit der theologischen Denkfi- gur der Gottebenbildlichkeit zusammengebracht. Diese Vorstel- lung hat eine lange Deutungstradition. Die Frage, worin denn die
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Gottebenbildlichkeit bestehe, hat viele Gemüter bewegt. Der he- bräische Begriff führt hier weiter. Im Alten Testament gilt das so genannte Bilderverbot, das untersagt, das Göttliche mit Hilfe von Bildern und Statuen darzustellen. Die ansonsten im Alten Orient gängige Praxis der Repräsentation und Verehrung von Gottheiten in Bildern wird in der hebräischen Bibel rundweg abgelehnt. Einer der Begriffe für »Götzenbilder«, also für »Statue« oder exakter:
»Repräsentationsbild« (Janowski 2004, S. 190), ist zaelaem (z. B.
Num 33,52; Ez 7,20), eines der beiden Wörter, das in Genesis 1,26 im Rahmen der Gottebenbildlichkeit der Menschen verwendet wird. Die Gottebenbildlichkeitsaussage gehört in der altorienta- lischen Umwelt Israels zur Königsideologie. Gottebenbildlichkeit und Herrschaft gehören traditionsgeschichtlich eng zusammen und werden in der Schöpfungserzählung der Genesis universali- siert. Man könnte zuspitzen: Das einzig legitime (Götzen)Bild auf der Welt sind wir! Und diese Vorstellung steht im Text ganz eng mit dem so genannten Herrschaftsauftrag zusammen. Die Men- schen sind insofern Gottes Ebenbild, als sie Gottes fürsorgliches, schöpferisches Handeln an der Welt fortsetzen.
Die inhaltliche Bestimmung der Gottebenbildlichkeit bündelt sich im Segen. In der Schöpfungserzählung werden alle Schöp- fungswerke als gut betrachtet, die Tiere, die Menschen und der Schabbat werden darüber hinaus gesegnet. »Mit dem Segen be- zeugt und bestätigt Gott die Güte des Geschaffenen« (Frettlöh 1998, S. 195).
»Segnen« ist im Hebräischen anders konnotiert als wir es ge- wohnt sind. Während im Deutschen dieser Begriff ausschließlich von »oben« nach »unten« und maximal unter Gleichen funktio- niert, kann im Hebräischen der Segen von Gott ausgehen, aber auch von den Menschen in Richtung Gottes und der Welt, eine Handlungsrichtung, die im Deutschen oft als »preisen« wiederge- geben wird. »Zwar bleibt Gott damit die einzige Quelle des Segens, aber sein schöpferischer Segen pflanzt sich fort im Tun des Men- schen« (Frettlöh 1998, S. 198). Mit Gottes Blick auf die Welt zu schauen bedeutet nicht, das Schreckliche in der Welt schön zu re- den, sondern eine maßvolle und lebensfördernde Spannung zwi- schen Affirmation und Kritik aufrechtzuerhalten.
Von einer Teilhabe am Blick und am Handeln Gottes zu spre-
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chen bedeutet ebenso wie das Sprechen vom Segen, das mensch- liche Handeln nicht absolut zu setzen. »Die Erfahrung, dass Zu- friedenheit, Glück und gutes Leben auf Segen als unverfügbare Gabe angewiesen sind und gleichzeitig neuen Segen schaffen, ist tausendfach erzählt und geht doch immer wieder verloren« (Prae- torius 2005, S. 109).
Der Tun-Ergehen-Zusammenhang:
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Pflicht zum Glück?
Die biblische Weisheitslehre kennt ein Ordnungsprinzip, das die Wirklichkeitswahrnehmung strukturiert: Der Mensch, der gut handelt, hat in seinem Leben Erfolg. Wer Gutes tut, dem wider- fährt auch Gutes.
Lässige Hand bringt Armut, fleißige Hand macht reich. (Spr 10,4)
Das ist ganz einsichtig und nachvollziehbar: Wir können und müssen für unseren Erfolg arbeiten. Der auch in den deutschen Sprichwörterschatz eingegangene Spruch von der selbst gegrabe- nen Grube formuliert bildhaft und beschränkt sich nicht auf einen Lebensbereich:
Einer gräbt eine Grube – hinein fällt er;
einer wälzt einen Stein – auf ihn rollt er zurück. (Spr 26,27)
Das Sprüchebuch kann dieses Denken noch weiter verallgemei- nern, so dass das gesamte Leben von dieser Regel betroffen ist.
Hinzu kommt noch eine ethische Dimension. Während im oben zitierten Spruch (Spr 10,4) das Verhältnis von Handlung und er- fahrener Reaktion nach Art ökonomischer Eigengesetzlichkeit formuliert ist, kommt etwa im folgenden Spruch die ethische Di- mension des Handelns zum Tragen:
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Unrecht Gut gedeiht nicht,
Gerechtigkeit aber rettet vor dem Tod. (Spr 10,2)
Die ethische Komponente nimmt das Thema Gerechtigkeit in den Horizont des Tun-Ergehen-Zusammenhangs hinein. Der gerechte Mensch, der sich in seine sozialen Zusammenhänge eingebunden weiß und die Armen nicht ausbeutet (»keine Grenzen unrechtmä- ßig verrückt«, Spr 23,10), der denen zur Seite steht, die seiner Hilfe bedürfen, dieser Gerechte wird auch Erfolge sehen. Sein Leben wird einen guten Weg nehmen. Dagegen gilt für den Besitz des- sen, der Unrecht tut, dass er nicht wächst und gedeiht. Und selbst dort, wo er das ausnahmsweise tut, wo »ein Verbrecher Wurzeln schlägt« (Ijob 5,3), dort ist dieses Glück nicht von Dauer.
Dem moralisch guten Menschen wird es auch gut ergehen, dem Schuft dagegen geht es schlecht. Zunächst klingt das wie ein selbst- wirksames Naturgesetz. Aber auch Gott spielt in diesem Denken eine Rolle:
Nicht läßt JHWH das Verlangen des Gerechten hungern, aber die Gier der Frevler stößt er zurück. (Spr 10,3)
Gemäß diesem Denken ist Gott Ausführender, er setzt den Tun- Ergehen-Zusammenhang in Kraft. Es gibt in der Forschung eine Reihe von Deutungsansätzen für dieses im Alten Orient wurzelnde biblische Denken. Besonders einflussreich sind die Arbeiten von Jan Assmann zur Gerechtigkeit, der Ma’at. Für ihn sind es (bezo- gen auf ägyptisches Denken) nicht undurchschaubare Kräfte, die für die Wirksamkeit dieses Gesetzes verantwortlich gemacht wer- den können. Er sieht darin die Gesetzmäßigkeiten sozialer Bezie- hungsgefüge abgebildet:
Der Lohn eines Handelnden liegt darin, daß für ihn gehandelt wird.
Das hält Gott für Ma’at.
Diese aus dem 17. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung stam- mende »Inschrift des Neferhotep« (zit. n. Assmann 1995, S. 65) benennt das Füreinander- oder Aneinander-Handeln als Grund- kategorie menschlichen Zusammenlebens. In einer angemessenen Balance der Handlungen, die die Menschen aneinander vorneh-
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men, verwirklicht sich die Gerechtigkeit (oder Ma’at). Auf diese Weise kehrt das Tun zu den Täterinnen und Tätern zurück. Nicht weil sie von einer »schicksalwirkenden Tatsphäre« umgeben wären (so Klaus Koch 1955), sondern indem die Solidarität der Gruppe die Verbindung von Tun und Ergehen zu garantieren vermag. Erst in der Spätzeit Ägyptens wird göttliches Handeln in diese Gedan- kengänge integriert. Zunächst bleibt Gerechtigkeit eine rein soziale Angelegenheit. Menschen sind nach dieser Vorstellung nicht dazu da, dass sie »selbstbezüglich agieren, sondern [dass] sie füreinan- der handeln (aktive Solidarität), aufeinander hören (kommunika- tive Solidarität) und aneinander denken (intentionale Solidarität)«
(Janowski 1999, S. 179).
Mit dem Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen fasst die Weisheit sowohl eine Erfahrung als auch ein Postulat ins Wort.
Immer wieder wird in der Lebenswelt von Menschen damals wie heute sichtbar, dass das Handeln Konsequenzen nach sich zieht.
Das so entstehende Gleichgewicht hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Gerade darin liegt aber auch der Forderungscharakter dieses Gedankengangs. Gerechtigkeit stellt sich nicht von selbst her. Für ihr Wirken muss gesellschaftlich immer wieder Sorge getragen werden.
Wem dieses Denken antiquiert vorkommt, der oder die möge einmal mit geschultem Ohr Argumentationslinien der Gegenwart verfolgen, die etwa den Zusammenhang zwischen Verhalten und Gesundheit oder zwischen Leistung und wirtschaftlichem Erfolg, aber auch das Glück im Allgemeinen betreffen. Auf diesen Feldern sind Argumente nach dem Muster des Tun-Ergehen-Zusammen- hangs gang und gäbe: Wer nicht glücklich ist, muss doch etwas falsch gemacht haben. Oder?
Ijob und die Vergänglichkeit des Glücks
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Bereits innerbiblisch löst diese Art zu denken heftige Widersprü- che aus. Ijobs Einspruch gegen die Deutung seines Schicksals vor dem Hintergrund des Tun-Ergehen-Zusammenhangs ist die ein- drücklichste Kritik dieser traditionellen Denkbewegung. Während
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seine Freunde dem vom Leid nahezu zerstörten Protagonisten des Ijobbuchs immer wieder die traditionellen Deutungsmuster nahe legen und damit einen Tun-Ergehen-Zusammenhang entwerfen, beharrt Ijob darauf, dass er sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, sein Leiden also gänzlich ungerecht und ein feindlicher Akt Gottes sei.
Die Erfahrung Ijobs zeigt, dass es doch auch ganz anders sein kann, dass dieser Zusammenhang oftmals nicht gilt. Dabei steht Ijob als Chiffre für das Leiden vieler. Bereits der Talmud diskutiert darüber, ob Ijob eine historische Gestalt sei und in welcher Epoche er gelebt habe (Bereschit Rabba 57,4). Die Diskussion läuft auf die Auflösung einer historischen Zuordnung und auf die Bestimmung Ijobs als Gleichnis hinaus. »Mithin legt das Arrangement der acht unterschiedlichen Datierungen mit den beiden abschließenden zeitaufhebenden Positionen eine andere Hypothese nahe: Hiob lebte und lebt in jeder Epoche, zu jeder Generation« (Oberhänsli- Widmer 2003, S. 145). Das Leiden unschuldiger Menschen stellt den Tun-Ergehen-Zusammenhang in Frage, ohne ihn jedoch ad absurdum führen zu können. Im biblischen Kanon kommt es der Gestalt des Ijob zu, mit seinem Leben und mit seinen Worten die Mauer zu bilden, an der der Tun-Ergehen-Zusammenhang zerbre- chen muss.
Dabei wird Ijob als Paradigma glücklichen Lebens eingeführt – und schließlich, auch nach der 42 Kapitel dauernden Auseinan- dersetzung, als glücklicher Mensch aus der Erzählung entlassen, der »alt und satt an Tagen« stirbt (Ijob 42,17). Die Einführung Ijobs in 1,1–5 liest sich insofern märchenhaft, als dieser Mensch an Wohlstand, Beziehungsglück und Weisheit alle Menschen sei- ner Zeit übertrifft. Die folgende Handlung zeigt, dass es auf dieses Glück keine Garantie gibt, dass es in kürzester Zeit völlig zerstört werden kann.
Oft wird das Ende des Ijobbuchs als der Tiefe der Auseinan- dersetzung unwürdiges »Happy End« verurteilt. Dabei wird meist übersehen, dass dieses gute und glückliche Ende für Ijob nicht erst in der Wiedererlangung der Güter und in einem neuen Leben mit Kindern besteht, dass es vielmehr schon in seiner Reaktion auf die Gottesreden gefunden werden kann:
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Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut.
Darum verwerfe und revidiere ich meine Einstellung – auf Staub und Asche.
(Ijob 42,5f.; Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache)
Im Horizont einer Religion, für die es gerade nicht möglich ist, Gott zu sehen, ist die Schilderung der Gottesbegegnung Ijobs mehr als bemerkenswert. Ijob wird eine Nähe zu Gott zuteil, die in der hebräischen Bibel nur in extremen Ausnahmesituationen und dann immer nur gebrochen zu haben ist (siehe dazu Vincent 1998).
Kohelet, die Nichtigkeit und das Glück
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»Windhauch, Windhauch, das alles ist Windhauch« – so bekannt das Leitwort des Koheletbuchs ist, so schwierig ist seine Deutung.
Geht es um Nichtigkeit oder Flüchtigkeit? Bezieht sich die – mit einem modernen Begriff – Skepsis Kohelets auf die Welt insge- samt oder auf einzelne ihrer Bereiche? Allein schon die Häufigkeit des Vorkommens dieses Wortes im Text zeigt, dass wir es hier mit einem Leitwort zu tun haben: 38-mal kommt der Begriff »Wind- hauch« (haævæl) im Koheletbuch vor (der Zahlenwert des Wortes haævæl ist 37, eine Stelle ist wahrscheinlich später hinzugefügt).
Auch die refrainartige Formulierung der Windhauch-Aussagen prägt sich ein.
Viele Ausleger und Auslegerinnen verfallen – geprägt von mo- dernem Nihilismus und Skeptizismus, vom Denken des Absurden – dem Missverständnis, Kohelet würde die gesamte Welt als leer und nichtig abwerten. Das Windhauch-Motiv bezieht sich aber nicht auf das Ganze der Welt, sondern ausschließlich auf anthro- pologische Sachverhalte, also auf die Vergänglichkeit und Sinn- losigkeit, insofern sie etwas mit dem menschlichen Leben zu tun haben (Backhaus 1993, S. 343). Ein allgemeines kosmologisches
1 Das Folgende ist leicht verändert auch in Müllner (2006, S. 91ff.) zu fin- den.
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Urteil ist damit nicht getroffen. Und auch hinsichtlich der Men- schen und ihres Handelns gibt es Einschränkungen. Die Offenheit des Menschen für Gott fällt ebenso wenig unter das Windhauch- Urteil wie das Glück, das dem Menschen von Gott her eröffnet wird. Nicht jede Freude des Menschen allerdings ist von Gott ge- schenkt, und so ist auch nicht jedes Glück vom Windhauch-Urteil ausgenommen (Koh 2,1).
»Windhauch« markiert im Koheletbuch gemeinsam mit »Luft- gespinst« die Grenze menschlichen Bemühens und menschlichen Erfolgs. Die Königstravestie in Kohelet 2,3–11 – der Auftritt des Lehrers Kohelet im Gewand des Königs – dient unter anderem dazu, in zugespitzter Form das menschlich Machbare auszuloten und mögliche Einwände der Hörer und Hörerinnen vorwegzuneh- men. Der Selbstversuch mit allem, was sich der Alte Orient (für einen Mann) unter Luxus vorstellen kann, mit Gärten, Bediens- teten, großem Besitz, Frauen und Unterhaltung, führt zu einem eindeutigen Ergebnis: »Das alles ist Windhauch und Luftgespinst«
(Koh 2,11). Der Mottovers Kohelet 1,2 scheint sich schnell zu bewahrheiten. Kohelet, also doch einfach ein Skeptiker? Kohelet bleibt hier nicht stehen, sondern wendet sich einem Glück zu, das nicht von den oben beschriebenen Gütern abhängt.
Das Glück, das Kohelet dann beschreibt, ist weder eine einfache Fortsetzung dessen, was er als »König« ausprobiert hat, noch das bloße Gegenteil. Auch dem an seinen Erfahrungen und Beobach- tungen gewachsenen Kohelet gelten Genuss und Liebe etwas, welt- liche Güter werden nicht abgelehnt. Die Haltung Kohelets zu die- sen Gütern hat sich aber verändert. Er muss den großen Gleichma- cher Tod (Koh 3,19; vgl. Ps 49,11) nicht mehr verdrängen, sondern kann sich angesichts der wenigen Tage des menschlichen Lebens freuen und sein Glück genießen. Kohelet geht es um jenes Glück, das sich der Vergänglichkeit menschlichen Lebens bewusst ist.
Vor diesem Hintergrund nur wird die Carpe-diem-Motivik ver- ständlich, die auch in der lateinischen Tradition keinen oberfläch- lichen Hedonismus predigt. Dort wie bei Kohelet steht die Freude an den Genüssen des Lebens, steht das »Pflücken des Tags« unter dem Zeichen des unentrinnbaren Todes. Was hat der Mensch von einem Leben, in dem nur eines völlig sicher ist, nämlich dass es zu Ende geht? Was hat der Mensch von allen Mühen, die er unter-
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nimmt, wenn auch die härteste Arbeit und der größte Erfolg ihn davor nicht bewahren? Die Grundfrage des Koheletbuchs 1,3 kann nur unter folgenden Rücksichten beantwortet werden:
Erstens: Die Antwort muss in der Lebenspraxis verwurzelt sein.
Zweitens: Diese Lebenspraxis muss sich der Vergänglichkeit stellen.
Drittens: Das, was nicht zu verändern ist, muss angenommen werden. Die Antwort besteht also in einer Haltung zu den positi- ven und negativen Unabänderlichkeiten des Daseins.
Kohelet findet auf seinem Erfahrungsweg eine Antwort auf die Frage nach dem höchsten Gut: Es ist das Glück. In mehreren mit- einander verwandten Begriffen spricht das Koheletbuch davon:
Tōv (Gutes) und simchāh (Freude) sind solche zentralen Wörter.
Daneben gibt es Begriffskombinationen: »(sich) Gutes tun«, »Gu- tes sehen«, »sein Leben Gutes sehen lassen« und schließlich ganz konkret »essen und trinken«. Diese Konkretion verwundert man- che Leser, aber sie macht das Koheletbuch auch heute so anzie- hend. Gerade auf dem Hintergrund einer oftmals genussfeindli- chen christlichen Tradition, die zudem das wahre Glück erst nach dem Tod erwartet, wirkt das Wort Kohelets befreiend:
Auf, iss mit Freude dein Brot,
und trink glücklichen Herzens deinen Wein,
denn schon längst hat Gott Gefallen an diesem deinem Tun.
Jederzeit seien deine Kleider weiß, und an Öl auf deinem Haupt fehle es nicht.
Genieße das Leben mit einer Frau, die du liebst, alle Tage deines Lebens voll Windhauch, die er dir gegeben hat unter der Sonne. (9,7–9a)
Der Tod ist damit nicht aus der Welt geschafft. Aber das Denken von Menschen, denen Gott Lebensgenuss und Wohlstand schenkt, ist von der zwanghaften Fixierung auf das Sterben befreit. Darin gibt Gott Antwort in der Freude seines – des glücklichen Men- schen – Herzens (Koh 5,17–19). Brot und Wein gehören zu den basalen Lebensmitteln im Alten Israel. Weiße Kleider und Öl re- präsentieren jene Güter, die über die grundlegende Versorgung hi- nausgehen und auf das Fest hinweisen. Über die Grundversorgung
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und das Fest hinausgehend ist der Höhepunkt dieser Steigerungs- kette schließlich die Liebe. Aus diesen Beobachtungen lassen sich bezogen auf das Buch Kohelet vier Kennzeichen des Glücks ablei- ten (Schwienhorst-Schönberger 2004, S. 75–82):
Erstens: Das Glück ist Gabe Gottes. Kohelets Erkenntnis ist die, dass das Glück nicht im Menschen selbst gründet (2,24). Sowohl die materiellen Güter, die dem Menschen Freude bereiten, wie auch die Fähigkeit, diese zu genießen, sind Geschenk Gottes.
Zweitens: Glück ist erfahrene Wirklichkeit. Glück ist mit Reich- tum nicht einfach zu identifizieren. Erst wo Gott auch die Fähig- keit zur Glückserfahrung schenkt, ist dem Menschen Glück mög- lich.
Drittens: Glück ist in der Gegenwart erfahrbar, nicht erst in ei- ner dies- oder jenseitigen Zukunft.
Viertens: Das gegenwärtig erfahrbare Glück ist bleibendes Glück. Gerade die Annahme der Vergänglichkeit führt zum Be- stand der Freude. Glück ist nicht als punktuelles Hochgefühl be- schrieben, sondern etwas, das »alle Tage deines Lebens voll Wind- hauch« (9,9) prägen soll.
Mit solchem Denken steht Kohelet »im Spannungsfeld jüdischer Weisheit und hellenistischer Philosophie« (Schwienhorst-Schön- berger 1994). Mit der hellenistischen Philosophie teilt er die Entwertung des Unverfügbaren, nimmt allerdings Gott und die Freude von dieser Entwertung durch das »Windhauch«-Urteil aus. Er erweist Gott gerade als den schlechthin Unverfügbaren.
»Als Garant des Tun-Ergehen-Zusammenhangs, als eine Größe, die der Mensch in sein Glückskalkül miteinbeziehen könnte, wird Gott entthront« (Schwienhorst-Schönberger 1994, S. 287). Kohelet unterscheidet sich darin von der hellenistischen Philosophie, die ihren Schülern Glück durch die Entwertung des Unverfügbaren verspricht. Für Kohelet ist Glück Gabe Gottes und steht damit in einem personal-religiösen Rahmen.
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Glück jenseits von Eden
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Das Glück jenseits von Eden ist, das zeigen insbesondere die Bü- cher Ijob und Kohelet, an die Einsicht in die Grenzen des eigenen Handelns gebunden. Dabei greifen aber – theologisch gesprochen – menschliches und göttliches Handeln, deren Grenze nicht genau zu bestimmen ist, ineinander. Treffend lässt sich diese Einsicht in einem Paradox formulieren, das Ignatius von Loyola zugeschrie- ben wird. Da der Satz schwer zu verstehen ist, wird er bereits in der zweiten Auflage des Werks, aus dem er stammt (Gabriel He- venesi, Scintillae Ignatiani), verkehrt wiedergegeben.2 In dieser kalenderspruchartigen Variation lautet er ganz einfach: »Handle so, als ob alles von Dir abhinge; bete so, als ob alles von Gott ab- hinge.« Das klingt plausibel und führt doch einerseits in die Über- forderung, andererseits in den Fatalismus. Der ursprünglich Igna- tius zugeschriebene Gedanke ist ein Paradox und hebt die beiden Extreme auf:
Vertraue so auf Gott, als hinge der Erfolg der Dinge ganz von dir, nicht von Gott ab; verwende jedoch auf dein Werk so sehr alle Mühe, als wenn du nichts könntest, Gott aber alles tun würde.
Das Tun des Menschen und das Handeln Gottes geraten in ein di- alektisches Verhältnis. Weder kann sich das menschliche Handeln einer Allmachbarkeit rühmen oder der Mensch an der Allmachts- phantasie zugrunde gehen noch löst sich menschliches Handeln in ein resignatives Schulterzucken auf. »Das typisch Ignatianische besteht darin, daß man alles Eigene einsetzen muß, aber im Mit- tun muß man innerlich so frei bleiben, daß man doch alles in die Hände Gottes gibt« (Rahner 1964, S. 151).
Gerade in einer Welt, in der die Machbarkeit ganz groß ge- schrieben wird, scheint mir hier eine zentrale Aufgabe der Theolo- gie zu liegen: im Hinweis auf die Grenzen menschlichen Handelns und auf die menschliche Verantwortung, unter der Handeln und Nicht-Handeln dennoch stehen.
2 Diesen Hinweis verdanke ich meinem Freund und Kollegen Gunter Prül- ler-Jagenteufel.
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Literatur
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