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leibniz — der außerirdische

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Ruppelt

17 (2014) Nr. 4

❱ „Schwerlich wird die Menschheit je fliegen, und nie wird sie wissen, wie Materie denkt“, meinte 1877 der Naturwissenschaftler und Philosoph Emil Du Bois-Rey- mond. Fünf Jahre zuvor schrieb Samuel Butler in dem utopischen Roman „Erewhon“: „Die gegenwärtigen Ma- schinen verhalten sich zu den kommenden wie die Sau- rier der Urzeit zum Menschen. Die größten unter ihnen werden wahrscheinlich im Laufe der Zeit beträchtlich kleiner werden. Maschinen können innerhalb gewisser Grenzen andere Maschinen jeder Art erzeugen, und seien sie noch so verschieden von ihnen selbst.“

Dies sind zwei Zukunftsprognosen aus dem 19. Jahr- hundert, die erste (Fehl-)Prognose gab ein renommier- ter Wissenschaftler aus Berlin ab, die zweite, durch unsere Zeit bestätigte, stammt aus der Feder eines Künstlers und Schriftstellers.

Der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz war rund 200 Jahre vor diesen Prognosen einer der her-

ausragenden Vertreter der Technik- und Fortschrittseu- phorie des Barockzeitalters. Doch anders als die eben zitierten gedanklichen Zukunftsentwürfe war Leibniz meist bemüht, seine Ideen konkret zu planen oder in die Realität umzusetzen, u. v. a. etwa im Bergbau (Ho- rizontalwindmühlen), in der Militärtechnik (Maschinen- gewehr, U-Boot) oder bei der Konstruktion von Rechen- maschinen.

Leibniz war also nicht nur ein Mann, der alle (!) Wissen- schaften seiner Zeit beherrschte, sondern er wünschte diese auch anzuwenden – nicht zufällig lautete eines seiner Motti „theoria cum praxi“. Wenn man will, kann man in Leibniz auch einen genialen Ingenieur sehen, ganz im Sinne von Jakob Leupold, der 1724 schrieb:

„Was vor alten Zeiten diese Mechanici waren, das sind heutzutage unsere Ingenieurs, welchen nicht nur al- lein zukömmt, eine Festung aufzureißen und dann zu erbauen, sondern auch nach mechanischen Funda- menten allerlei Maschinen anzugeben [...]. Ingleichen mancherlei compendieuse Maschinen zu erfinden, die Arbeit zu erleichtern und was öfters unmöglich schei- net, dennoch möglich zu machen.“

Genau dies, den Menschen das Denken und die Arbeit erleichtern, sollten die Rechenmaschinen des Gottfried

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Alle Fotos: GWLB, Jutta Wollenberg

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Dr. Georg Ruppelt ist Direktor der

Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Niedersächsische Landesbibliothek 30169 Hannover

georg.ruppelt@gwlb.de Wilhelm Leibniz, mit denen er sich

sein ganzes Leben lang beschäf- tigte. Es sei unwürdig, so meinte er, „die Zeit von hervorragenden Leuten mit knechtischen Rechen- arbeiten zu verschwenden, weil bei Einsatz einer Maschine auch der Einfältigste die Ergebnisse si- cher hinschreiben kann“.

Eine dieser von ihm nicht nur ent- worfenen, sondern auch (durch Beauftragte) gebauten Rechen- maschinen gehört zu den größten Schätzen der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover. Es

ist das letzte und weltweit einzig erhaltene Exemplar seiner Vier-Spezies-Rechenmaschine, also einer Ma- schine, die die vier Grundrechenarten Addieren, Sub- trahieren, Multiplizieren und Dividieren beherrscht.

Immerhin brachte sie es auf 16 Stellen, eine Leistung die manche Taschenrechner der 80er Jahre noch nicht erreichten.

Gern wird im Zusammenhang mit der Erörterung der Vorläufer und Begründer unseres Computer-Zeitalters auf zwei Erfindungen des hannoverschen Bibliothe- kars und Gelehrten hingewiesen, nämlich zum einen eben auf die Rechenmaschine und zum anderen auf die von ihm entwickelte „Dyadik“, den Binärcode in unserer Sprache.

Über die für einen normalen Erdbewohner nicht nach- vollziehbaren, ungeheuren Lebensleistungen von Leib- niz hat Hans Magnus Enzensberger einen satirischen Text als vorgebliches CIA-Dossier geschrieben mit dem Titel „G. W. L. (1646–1716)“. Darin heißt es u. a.:

„Was einen ferner schier rasend macht, ist dieser wahnwitzige Fleiß. Unter allen Umständen, überall, jederzeit schreibt er, liest oder rechnet. Seine kleine Maschine, die Wurzeln zieht, hat er stets zur Hand.

Die Staffelwalze rotiert. […]

Seine Programme schreibt er sich selbst. Die Algo- rithmen sind neu: Infinitesimalkalkül, Wahrscheinlich- keitsrechnung. […] Davon abgesehen frägt sich die Kommission, wie dieser L. zweihundert Jahre zu früh an die Boolesche Algebra kam, und sie antwortet, daß es hierfür nur eine Erklärung gibt: L. ist ein auto- matischer Astronaut, eine extraterrestrische Sonde“

(Mausoleum. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1975).

Man kann – jenseits aller Bewunderung und ungläu- bigem Staunen über sein Genie – ziemlich sicher sein, dass Leibniz unser elektronisches Zeitalter gut gefallen hätte – ihm, der die Vier-Spezies-Rechenma- schine erfand und den Binärcode entwickelte, ihm,

dem weltweit vernetzten Kommunikator. Sein Brief- wechsel, der seit 2007 zum Welterbe der UNESCO gehört, umfasst 16.000 Briefe mit 1.200 Korrespon- denzpartnern in drei Erdteilen.

Fortschrittlich sind seine Gedanken über den Frieden zwischen den Religionen, wohl lebenswichtig für die Welt ist sein Kosmopolitismus – wir nennen es globa- les Denken –, der verlangt, auch mit dem ganz Frem- den zu sprechen und von ihm zu lernen. Zeitgemäß sind seine Forderungen nach Transdisziplinarität und nach Akademien, die diese gewährleisten, und vieles andere mehr.

Die nachhaltige Wirkung von Leibniz über Jahrhun- derte hinweg in vielen Wissenschaften ist unüber- sehbar. Seine optimistische und dem Menschen zu- gewandte Denkweise, seine Betonung des Wirkens für das allgemeine Gute hat ihn, wie Eike Christian Hirsch es formulierte, bis heute zu einem Lehrer der Menschheit gemacht. ❙

(Über die Geschichte der Maschine, ihre Funktions- weise, ihre Bedeutung und ihre Ästhetik gibt das soeben erschienene Buch „Das letzte Original“ von K. Badur, F. O. Kopp, E. Stein und A. Walsdorf Auskunft. Es ist das erste der Reihe „Schatzkammer“.

272 S., zahlreiche farbige Abbildungen, Leinen- einband, ISBN 978-3-943922-08-0, 49,50 Euro)

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