Der Prozess der Hilfeplanung:
eine komplexe Daueraufgabe der Entscheidung und der
Begleitung von Hilfeprozessen
Prof. Dr. Joachim Merchel
Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen
Vortrag bei der DRK-Tagung am
27.11.2019 in Berlin
Ausführungen zu 3 thematischen Schwerpunkten:
1. Hilfeplanung: Bedeutung für die Qualität der Erziehungshilfen
2. Hilfeplanung als komplexe Anforderung und als
„Dauerbaustelle“ in der Kinder- und Jugendhilfe
3. Aufgaben/ Verantwortlichkeiten von Jugendamt/ ASD und
Einrichtungen für eine gelingende Hilfeplanung
1. Hilfeplanung: Bedeutung für die Qualität der Erziehungshilfen
Hilfeplanung als Modus zu einem verantwortlichen Umgang mit
„Unsicherheit“
• „Unsicherheit“ als strukturbedingtes Phänomen bei Hilfen zur Erziehung
• Hilfeplanung als Verfahren, im Bewusstsein des Hypothesencharakters zu verantwortbaren prozessbezogenen Entscheidungen zu gelangen
Problemsituation situationsangemessene Hilfe/ Leistung
Effekte/
Nebeneffekte Notwendigkeit, auf der
Grundlage „verantwortbarer Hypothesen“ zu entscheiden
Beteiligung als elementare Bedingung für Erfolg/ Wirkung einer Erziehungshilfe – beginnend bei der Hilfeplanung
– Partizipation als verfahrensrechtliche Anforderung und als Anforderung an sozialpädagogische Hilfeprozesse
– zur Herstellung von Koproduktionsbereitschaft der
Leistungsadressaten, ohne die keine Hilfe zur Erziehung wirksam werden kann
– differenzierende Betrachtung der Perspektiven verschiedener Beteiligter und differenzierender Beteiligungsmodus erforderlich
Hilfeplanung ist bereits ein sozialpädagogischer Gestaltungsprozess und nicht nur eine formalrechtlich erforderliche
„Bedarfsfeststellung“!
1. Hilfeplanung: Bedeutung für die Qualität
der Erziehungshilfen
Hilfeplanung als sozialpädagogisch zu konzipierendes und zu realisierendes Verfahren, bei dem …
• Grundlagen für eine wirkungsvolle Ko-Produktion bei der Leistungserbringung gelegt werden;
• mit dem elementaren Problem „Unsicherheit“
verantwortlich und reflexiv umgegangen wird;
• fachlich und für den Lebenslauf von jungen Menschen und Eltern(teilen) relevante
Entscheidungen begründet und verantwortlich getroffen werden.
1. Hilfeplanung: Bedeutung für die Qualität
der Erziehungshilfen
Funktionale Mehrdimensionalität von Hilfeplanung:
Hilfeplanung bei den Hilfen zur Erziehung (HzE) hat Bedeutung in mehreren Dimensionen und muss dementsprechend in mehreren Dimensionen
„tauglich“ ausgestaltet sein:
• zur Feststellung eines Hilfebedarfs und eines daraus resultierenden Rechtsanspruchs;
• zur Initiierung, Begleitung und Auswertung eines sozialpädagogischen Hilfeprozesses;
• zum steuernden Umgang mit einem finanziellen Budget (nicht im SGB VII angesprochen – aber als faktische Bedeutung …).
2. Hilfeplanung: komplexe Anforderung und
„Dauerbaustelle“
Personenbezogene und organisationale Mehrdimensionalität von Hilfeplanung:
2. Hilfeplanung: komplexe Anforderung und
„Dauerbaustelle“
fallführende Fachkraft
Kind/
Jugendliche/r
Elternteil B Elternteil A
ASD-
Team andere
Einrichtungen KJH Institutionen
Gesundheitswesen
Schule/
Lehrer
evtl. Familiengericht/
Jugendgericht
Einrichtungen der Erziehungshilfe
Auszubalancierende Widersprüche/ Paradoxien bei der Hilfeplanung:
2. Hilfeplanung: komplexe Anforderung und
„Dauerbaustelle“
Konstituierung von Rechtsansprüchen:
Verlässlichkeit, Transparenz
Sozialpädagogisches Verfahren:
Individualität, Flexibilität
„flexible, reflektierte Routinen“
Professionelle Expertise Leistungsadressaten: „Expertentum für das eigene Leben“
„sozialpädagogische Professionslogik“;
Organisationslogik des Jugendamtes
Logik anderer Professionen und Organisationen
Auszubalancierende Widersprüche/ Paradoxien bei der Hilfeplanung:
… und dies alles im Bewusstsein zum Hypothesencharakter von Entscheidungen und daraus resultierender Notwendigkeit
kontinuierlicher Begleitung und Auswertung …
2. Hilfeplanung: komplexe Anforderung und
„Dauerbaustelle“
Unterstützung; Koproduktivität herausfordernde Hilfen
Interaktionen mit Schutz- und Eingriffscharakter
persönliche Fallverantwortung der Fachkraft (auch als ethische Haltung)
Professionelle Distanz;
fallkoordinierende Funktion
… und vor dem Hintergrund von Weiterentwicklungen, insbesondere „Inklusion“ in einem künftigen SGB VIII …
(mit erheblicher Komplexitätserweiterung: klassifikatorische Verfahren insbes.
im Hinblick auf behinderungsbedingten Bedarf, Überlagerungen von
Hilfeplanungen zu behinderungsbedingten und erzieherischen Hilfen, z.T.
anderer Typus von Leistungsadressaten, z.T. Kooperation mit anderen Leistungserbringern etc.)
2. Hilfeplanung: komplexe Anforderung und
„Dauerbaustelle“
„Projekt Hilfeplanung“ nie abgeschlossen – „DAUERBAUSTELLE“:
mit organisationsspezifischen Modifikationen; kontinuierlicher Modus der Beobachtung; in gewissen Zeitabständen Erfahrungen und implizit
erfolgte Veränderungen (evaluativ) bewerten und weiterentwickeln …
Jugendamt/ ASD hat im gesamten Prozess die elementare Gestaltungsverantwortung.
Handlungsmöglichkeiten des Leistungserbringers sind z.T. abhängig von Entscheidungen des JA und von Erfahrungen/ Haltungen, die
Leistungsadressaten bei der Hilfeplanung im ASD gemacht haben.
notwendig: Bemühen der Einrichtungen, Einfluss zu nehmen auf die Gestaltung der Hilfeplanung
3. Aufgaben/ Verantwortlichkeiten von
Jugendamt/ ASD und Einrichtungen für eine gelingende Hilfeplanung
einzelfallübergreifend bei QEV: „Qualität der
Hilfeplanung“ als Bestandteil von QEV
einzelfallbezogen: Vorbereitung und Auswertung der Hp.-Gespräche, Einflussnahme auf Ablauf (u.a. zur Beteiligung des Kindes/ Jugendlichen
und der Elternteile), Gestaltung eines gesprächsförderlichen Rahmens etc.
„etwas fällt auf“ …
Entscheidung: „Erziehungshilfebedarf“
Fallverstehen und Entscheidung zur
„geeigneten und notwendigen Hilfe“
Kontaktaufnahme mit Leistungserbringern;
Erörterung konkreter Leistungen;
ggf. Konkretisierung in „Erziehungsplanung“;
Entscheidung für einen Leistungserbringer Hilfeleistung
Hilfeplanfortschreibung(en)
Beendigung der Hilfe und ggf. Vereinbarung zu
(formellen und informellen) „Übergangsbegleitungen“
3. Aufgaben/ Verantwortlichkeiten von
Jugendamt/ ASD und Einrichtungen für eine gelingende Hilfeplanung
zuständig:
JA/ ASD
ASD und Einrichtung Einrichtung
ASD und Einrichtung
Gelingende Hilfeplanung:
Prozesse in Primärverant-
wortung des JA/ASD - bei
kooperativer Gestaltungs- verantwortung
der
Einrichtungen
Fragen, die sich die Akteure in Einrichtungen entsprechend ihrer Verantwortung für eine „gelingende Hilfeplanung“ stellen sollten:
Haben sie sich dafür eingesetzt, Qualitätskriterien für Hilfeplanung und Bewertungsverfahren in die QEV aufzunehmen?
Haben sie selbst Qualitätskriterien für gute Hilfeplanung formuliert?
Haben sie Erfahrungen der Kinder/ Jugendlichen und der Eltern(teile) aus der Hilfeplanung erörtert und ggf. „aufgearbeitet“?
Ist für sie der Auftrag aus der Hilfeplanung, mit dem sie einen „Fall“
übernehmen, ausreichend transparent?
Wie bereiten sie das Kind/ den Jugendlichen (ggf. Eltern/teile) auf Gespräche zur Hilfeplanfortschreibung vor?
Wie fördern sie die Möglichkeiten zu aktiver Beteiligung des Kindes/
Jugendlichen (und ggf. der Eltern/teile) bei dem Hilfeplan-Gespräch?
Wie erfolgt die Nachbereitung mit dem Kind/ Jugendlichen (und ggf. mit Eltern/teilen) nach dem Hilfeplan-Gespräch?