Rudolf Tschudi (1884—1960)
Von Feanz Taeschnee, Münster/Westf.
In Rudolf Tschudi beklagen wir das Hinscheiden eines Gelehrten
von ausgesprochen humanistischer Gesinnung. Er wurde geboren am
2. Mai 1884 in Glarus (Schweiz). Nach dem Besuch des Oberen GjTn-
nasiums in der alten Humanistenstadt Basel, in deren Geist er sich rasch
einlebte, studierte er seit 1904 an der Universität Basel klassische und
orientalische Philologie. Veranlaßt durch eine Anzeige von Prof. Geoeg
Jacob in Erlangen, er würde ein Kolleg über islamische Mystik lesen,
entschloß er sich, nach Erlangen zu übersiedeln. Geoeg Jacob, auf
dessen Veranlassung Tschudi auch das Türkische in seinen Studien¬
plan aufnahm, bheb fortan sein Hauptlehrer, mit dem er auch fernerhin
bis zu dessen Tode freundschafthch verbunden bheb. Bei ihm promo¬
vierte er 1910 mit einer Dissertation über das ,,Äsafnäme des Lutfi
Pascha".
Nach seiner Promotion wurde Tschudi wissenschaftlicher Hilfsarbeiter
am Seminar für Geschichte und Kultur des Hamburger Kolonial¬
instituts und damit Assistent von Prof. Cael Heineich Becker. Nach
drei Semestern ging Tschudi nach Tübingen und bereitete sich dort auf
die Habihtation vor. Doch ist es zu einer solchen nicht gekommen ; denn
bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges erreichte ihn der Ruf an das Ham¬
burger Koloniahnstitut als Nachfolger von C. H. Becker.
Im Revolutionswinter 1918/19 folgte Tschudi einem Rufe in seine
Schweizer Heimat, zunächst als a. o. Professor in Zürich, 1922 aber als
Nachfolger von Prof. Schulthess an die Universität Basel, welche Stadt
ihm zur zweiten Heimat wurde. 1929 erhielt Tschudi einen Ruf nach
Göttingen, den er aber nicht annahm. Im Jahre 1949, mit 6.5 Jahren,
trat er von seiner Professur zurück, um einer jüngeren Kraft, seinem
Schüler, Prof. Fritz Meier, einem Speziahsten auf dem Gebiete der
islamischen Mystik, den Weg frei zu geben. Doch hielt er weiterhin Vor¬
lesungen.
Das Dozieren fiel ihm leicht; seine sorgfältig vorbereiteten Vor¬
lesungen waren sprachhch wie inhaltlich aufs äußerste ausgefeilt, seine
Sprache war von Goethe'scher Klarheit und Formvollendung. Seine
Worte im Druck festzuhalten, war er dagegen zeitlebens durch seine
\
Rudolf Tschudi
Rudolf Tschudi 5
Akribie behindert, weshalb sein Schriftenverzeichnis nur wenige Werke
aufweist. Doch wer das Glück hatte, mit ihm in persönlichen Verkehr
zu treten, lernte bald seine umfassende Gelehrsamkeit und sein treff¬
sicheres Urteil in allen Fragen der wissenschafthchen Problematik zu
schätzen. Es war ihm eine Freude und ein Bedürfnis, mit gleichgesinnten
und gleichgerichteten Kollegen über wissenschafthche Fragen zu spre¬
chen. Von seinen Schülern verlangte er, ebenso wie von sich selbst,
vollen wissenschaftlichen Einsatz.
Im Jahre 1952 wurde Tschudi zum Ehrenmitghed der Deutschen
Morgenländischen GeseUschaft, 1959 zum Ehrenmitghed des Instituto
Peruano de Altos Estudios Islamicos in Lima (Peru) gewählt. Im Jahre
1954 wurde ihm von Freunden und Schülern zum 70. Geburtstag eine
Festschrift („Westösthehe Abhandlungen", herausgegeben von Fbitz
Meiee) überreicht.
Nach seinem 70. Geburtstag fielen Tschudi die täghchen Pflichten
immer schwerer; ein heimtückisches Leiden verbrauchte seine Kräfte.
Eine Operation vor drei Jahren brachte nur vorübergehend eine Besse¬
rung. Nach kurzem Krankenlager fand er die letzte Ruhe am 11. Ok¬
tober 1960. Mit ihm ist ein Humanist reinsten Wassers dahingegangen,
der in seiner Haltung gute alte Baseler Tradition verkörperte.
Schriften von Rudolf Tschudi
1910 „Asafnäme des Lutfi Pascha". Erlanger Dissertation (12. Bd. der
„Türkischen Bibliothek"),
1914 „Das Vilajot-name des Hadschim Sultan. Eine türkische Heiligen¬
legende" (17. Bd. der „Türkischen Bibliothek"),
1926 „Das Chalifat" („Philosophie und Geschichte", Heft 10, Tübingen),
1930 „Vom alten osmanischen Reich" (ebenda, Heft 25),
1932 „Ein Schreiben Sülejmäns I. an Ferdinand l." (in Festschrift Georg Jacob),
1933 „Vom Islam zur Zeit der Kreuzzüge" (Festschrift Otto Franke in Asia Major, Bd. 9),
1941 „Die osmanische Geschichte bis zum Ausgang des 17. Jahrhimderts"
(Neue Propyläen-Weltgeschichte, Bd. 3),
1952 „Die Bekehrung des Kaighusuz" (Festschrift Karl Meuli in „Heimat
und Humanität"),
1953 „Das Osmanische Beich" (in Hesperie Nr. 10, Zürich),
1956 ,,Die Ausbreitung des Islam bis zum Jahre 750" (Historia Mundi,
Bd. V),
1960 Artikel „Bektashi" (in der Enzyklopaedie des Islam, 2. Aufl.),
1913 1929 Herausgeber der „Türkischen Bibliothek", Bd. 16—26, zu¬
sammen mit Georg Jacob und Theodor Menzel,
1916—1919 Herausgeber von „Der Islam", Bd. 6—9, zusammen mit
C. H. Becker,
1952—1958 Mitherausgeber von „Historia Mundi".
Johannes Nobel (1887—1960)
Von Wilhelm Rau, Marburg
Am 22. Oktober 1960 starb in Marburg an den Folgen einer Operation
der emeritierte ordentliche Professor für Indische Philologie und Kultur¬
geschichte des Ostens, Dr. phil. Julius Adolf Johannes Nobel.
Als Sohn des Buchhalters Oskar Nobel und dessen Ehefrau Elisa¬
beth geb. Teicheet am 25. Juni 1887 zu Forst in der Lausitz geboren,
wuchs er als der älteste von drei Brüdern auf. Im Jahre 1890 siedelte die
Famihe von Forst nach Fulda über, wo Nobel von 1893 bis 1897 die
Volksschule und von 1897 bis 1907 das katholische Dom-Gymnasium
besuchte. Schon während der Schulzeit entwickelte er ein lebhaftes
Interesse für Sprachen und Literaturen, besonders für das Lateinische,
Griechische und Hebräische, und begann sofort nach bestandenem
Abitur gegen den Willen seiner Eltern, die ihn zum katholischen Priester
bestimmt hatten, in Greifswald das Studium der Semitischen Sprachen,
des Sanskrit und der Vergleichenden Sprachwissenschaft. Er hörte dort
zwei Semester Arabisch und Türkisch bei F. Giese, Vergleichende
Sprachwissenschaft bei E. Zupitza und Indologie bei L. Hellee. Der
Letztgenannte, ein ebenso scharfsichtiger wie warmherziger Philologe
aus der Schule F. Kielhobns, hat Nobels Werdegang aufs entschei¬
dendste beeinflußt. Er lenkte das noch unbestimmte Streben des jungen
Studenten von Vorderasien auf Indien und dort wiederum auf die in¬
dische Kunstdichtung, nicht auf das Spezialstudium der einheimischen
Sanskrit-Grammatik, die er ebenso gründlich hätte lehren können.
Nobel war in der Tat zum Philologen, nicht zum Grammatiker, geboren.
Da ihm finanzielle Hilfe von Hause versagt blieb, wäre es indessen un¬
klug von ihm gewesen, sich allzu früh auf die Orientalia zu beschränken.
Er dachte damals wohl daran, sein Studium mit einem Staatsexamen
abzuschließen, und hörte deshalb bei Bickel, Gercke, Hosius und
Peenice klassische Philologie, ältere Germanistik bei Koneath und
Philosophie bei Rehmke. Dazu begann er bereits im 2. Semester aus¬
hilfsweise an der Universitätsbibhothek Greifswald zu arbeiten, um
Geld zu verdienen. Zum Sommersemester 1908 zog ihn vor allem R.
Pischels glänzender Name nach Berhn, doch war jener Sommer Pi¬
schels letzter: er starb lange vor seiner Zeit am 26. 12. desselben Jahres