Kapitel 1 V or ab
EinnotorischesProblemimLehramtsstudiumPhysikistdieMathematikausbildung, dieimVergleichzum1-FachstudiumPhysikmagerausf¨allt.Betroffensindinsbeson- dereLehramtsstudierende,diewederimHaupt-nochimNebenfachMathebelegt haben.Ihnen–abernichtnurihnen–sollendie“MathematischeMethodenderPhy- sik”dasn¨otigeHandwerkszeugvemittelnumimPhysikstudium¨uberdieRunden zukommen. DieMathMethwerdeninPotsdam¨uberzweiSemestergestreckt.ImWintersemester werdenimFormat2V1¨ UdieVektorrechnung,komplexeZahlenundGrundlagender reellenAnalysisbehandelt.ImSommersemesterfolgenimFormat2V1
¨ UdieVektor- 1 felder,DivGradRotunddieIntegralstzevonGaussundStokes.DiePortionierung derInhaltefolgtderRegel“eineWoche–einThema–einKapitel(imSkript)”. 1 xVy
¨ Ustehtf¨ur
“xSemesterwochenstunden(SWS)VorlesungnebstySWS
¨ Ubung”.
DasNorm- semesterhat15Wochen.EntsprechendsitzenSieimForma2V1
¨ Ugenau45Schulstundeninder Unirum... c!MartinWilkens315.Oktober
4Vorab AußerdemkleinenEin-Mal-Einsundeinergeh¨origenPortionDisziplinwerdenkei- nerleiKompetenzenvorausgesetzt.WerdieRegelnderBruchrechnungvergessen hat–unddaskannjaschonmalpassieren–wirdindenerstenVorlesungenansie erinnert.
!
DieNotizenerhebenkeinerleiAnspruchaufOriginalit¨atundsindvollst¨andig unvollst¨andig.AktualisierungenundweiteresMaterialzurVorlesungfinden SieimOrdner“Teaching”aufhttp://www.quantum.physik.uni-potsdam.de.1.1 Ph ysik und Mathe
WozuMathe?GalileiGalileo,derVaterderexperimentellenNaturwissenschaften, gibtdieAntwort: DasBuchderNaturkannmannurverstehen,wennmanvorherdieSpra- cheunddieBuchstabengelernthat,indenenesgeschriebenist.Esistin mathematischerSprachegeschrieben,unddieBuchstabensindDreiecke, KreiseundanderegeometrischeFiguren,undohnedieseHilfsmittelist esMenschenunm¨oglich,auchnureinWortdavonzubegreifen. Abb1.1Euklids“Elemente”–dieSpra- chederMathematikzuGalileisZeit.HeutzutagesindnichtgeometrischeFigurendie“BuchstabenderMathematik”, sondernZahlenundFunktionen,undauchdieSprache–ehemalsArithmetikund Geometrie–istumAnalysisundLineareAlgebraerweitert. Sokommtes,dassindenEinf¨uhrungsvorlesungeneinesPhysikstudiumsohneviel FederlesensogleichvonFunktionen,AbleitungenundIntegralendieRedeist,so mancheFunktionineinerTaylorreiheentwickeltoderineinerFourierreihedarge- stelltwird,kurzmalebenDifferentialgleichungenintegriertundVektoreninder einenoderanderenArtmutlipliziertwerden. 15.Oktober20124c!MartinWilkens
1.1PhysikundMathe IndenerstenVorlesungenzurExperimentalphysik,beispielsweise,kommenausder AnalysiszumEinsatz •DiequadratischeFunktionf(x)=ax2 +bx+c,nebstderFormel f¨ur
ihre Nullstellen x1,2=−b±√ b2 −4ac 2a(1.1) •DieExponentialfunktionex unddieTrigonometrischenFunktionensin(x), cos(x),ihrecharakteristischenMerkmale,insbesondereeax ebx =e(a+b)x ,sin2 (x)+ cos2 (x)=1,nebstihrerjeweiligenAbleitungf! (x):=d dxf(x)undStammfunk- tionF(x):=!x f(x! )dx! . •DieProdukt-undKettenregelderDifferentialrechnungunddieTechnikder partiellenIntegration
f¨ur
dieIntegralrechnung. •Differentialgleichungen,etwainForm“Masse-mal-BeschleunigunggleichKraft”. BeschleunigungistdiezweiteAbleitungdesOrtesnachderZeit,unddasbe- sagteGesetznimmtdannimeinfachstenFalldieFormdergew¨ohnlicheDif- ferentialgleichungmd2 dt2q(t)=F(q(t))an.GesuchtistbeisoeinerDifferential- gleichungimmereineFunktiondiedieDifferentialgleichungbefriedigt,inunse- remBeispielalsoirgendeineFunktionq(t),die–wennmansiezweimalableitet undmitmmultipliziertdasgleicheliefertwiedieFunktionf(t)=F(q(t)). undausderlinearenAlgebra •Vektor,bildlich“Pfeil” •L¨angeeinesVektors,Skalarprodukt!a·!b,Kreuzprodukt!a×!bundSpatprodukt !a·(!b×!c). c!MartinWilkens515.Oktober2012
6Vorab •Matrix,insbesondere3×3Matrix f¨ur
dieDarstellungvonTensoren(T
r¨agheits-
tensoretc.)undKoordinatentransformation,insbesondereDrehungdesKoor- dinatensystems •Determinante, f¨ur
dieBerechnungvonVolumina,aberauchzurBestimmung descharakteristischenPolynomseinerlinearenDifferentialgleichungusw. Wieschongesagt–indenerstenpaarVorlesungen...unddanngehtdasgenauso weiter.DieListesoll¨ubrigenskeinsfallsbehaupten,dassSiedasallesschoninder Schulegehabthaben.DashabenSiewahrscheinlichnicht.EsistnureineListevon denDingen,mitdenenSievermutlichganzschnellkonfrontiertwerden. MathematiklernenentsprichtdemErlerneneinerFremdsprache.EineFremdsprache aber,indersienichtirgendwanneinkaufenoderimRestaurantbestellenk¨onnen, sonderneinerFremdsprachemitdersiesicheineandereFremdsprache–diePhy- sik–erschließen.WennSien¨amlichphysikalischeSachverhaltebeschreiben,und schließlichauchverstehen,danntreffenSiemathematischeAussagen¨uberphysika- lischeGr¨oßen.“DieQuadratederUmlaufzeitenverhaltensichwiedieKubender großenHalbachsen”istsoeineAussage–auchwennSiehierkeinGleichheitszeichen sehenundkeineFormel.VerstehentunSiedieseAussagealsmathematischnotwen- digeKonsequenzeinerKombinationdesGravitationsgesetzes,demzufolgedieAn- ziehungskraftzweierMassenumgekehrtproportionaldemQuadratihresAbstands, mitdem
¨ Aquiv
alenzprinzip,demzufolgesichtr¨ageundschwereMasseeinesK¨orpers bisaufsHaargleichen.Wohlgemerkt,diePrinzipiensindPhysik,dieKonsequenzen sindnichtsalseinmathematischesEssay. SolcheEssayszulesen,undim t¨aglic
henPhysikerdaseinselberkleineEssayszu verfassenbedarfesmehralsnurdie“Buchstaben”zukennenundzuerkennen.Sie m¨ussenauchW¨orterundvollst¨andigeS¨atzebildenk¨onnen,m¨oglichstmitrichtiger Kommasetzung.Siem¨ussen–kurzgesagt–auchdieGrammatikderMathematik 15.Oktober20126c!MartinWilkens
1.1PhysikundMathe zumindestinihrenGrundz¨ugenbeherrschen. EsgibtKollegen,insbesondereinderExperimentalphysik,diesind¨uberzeugt,dass beispielsweisedieganzenε-undδ-BetrachtungenderAnalysis–kurzgenannt“die Epsilontik”–f¨ur denPhysiker¨uberfl¨ussigeGrammatikist:Hauptsache,mankann denSinusableitenundintegrieren!DerRestistwas
f¨ur
Erbsenz¨ahler–und
f¨urs
Erbsenz¨ahlenhatmaninderPhysikschongarkeineZeit.DerKollegehatnat¨urlich v¨olligRecht:niemand,dernochalleTassenimSchrankhat,wirdim t¨aglic hen Gesch¨aftbeiderAbleitungdesSinuszurEpsilontikgreifen.DasmussZack-Zack gehen,undZack-Zackkommtnurdurch¨ Ubung.
DerKollegehatdenSinusschon tausendmalabgeleitet,undnungehtdasbeiihmganzmechanisch.DasFundament –dieEpsilontik–konnteihmdabeigetrostausseinemBlickfeldgeraten.Aberwenn erzur¨uckdenktanseineeigeneStudienzeit f¨allt
ihmvielleichtauf,dassgeradeseine eigeneEinsichtindieFestigkeitdesFundamentsesihmschließlicherlaubthat,sich ausdemKellerindieoberenEtagenzubewegen.Undwennerdenngefragtwird,wie mandenn√ 2ausrechnet,dannwirderzwardieAntwortnichtparathaben,2 aber erwirdeinenWegzur¨uckindenKellerkennen,unddorteineEckeamFundament angebenk¨onnen,womandieAntwortfindet. Eshilftalsonichts.Nur“Rechnenk¨onnen”reichtnichtaus.Manmussauchdie FundamentekennenundsichihrerFestigkeitselbstvergewisserthaben.Manmuss –umnocheinBildzubem¨uhen–beiAdamundEvaanfangen.BeiMengeund Zahl,beiFolgeundReihe,beiKleinundGroß.Dabeimussmanaberm¨oglichst schnellauchSinusableitenundTangensintegrierenk¨onnen.Tja–wenndasmal gutgeht... 2 esseidenergreiftzubesondersgeistreichenAntwort“MitdemComputer!”. c!MartinWilkens715.Oktober2012
8Vorab
1.2 Liter atur
MathematiklernenSienichtinderVorlesung.DiezeigtallenfallseinenrotenFa- denderihrSelbststudiumerleichternsoll.MathematiklernenSieindemSieinder Vorlesungmitschreiben,IhreMitschriftzuHauseinOrdnungbringen,die¨ Ubun-
genbearbeitenund–mitPapierundBleistiftgewappnet–einMathebuchlesen. Empfohlenseihier •AlfredRieckersundKurtBr¨auer“EinladungzurMathematik”,Logos2002. Tutwasesbehauptet.GuterLeitfaden f¨ur dieVorlesung. •SiegfriedGroßmann“MathematischerEinf¨uhrungskurs–f¨ur
diePhysik”,8. Auflage,B.G.Teubner2000.MitAusnahmederRechnensimKomplexenist hieraufnur344Seitenalleszusammengefasst,“wasmansobraucht”.Etwas “rechenorienterter”alsRieckers/Br¨auer;setztallerdingsvoraus,dassSieihr AbivorG12gemachthaben...ambesteninden1970’erJahrenoderdavor. •HerrmannSchulz“PhysikmitBleistift”,7.Auflage,HarriDeutsch2009.Sehr gut,wennmanschoneinenrotenFadenhat,abernichtweiß,woderhinf¨uhrt. AusgezeichnetdiePflegevonPapier-und-Bleistift. Etwash¨artereKost,aberGrundlagedieserVorlesung •FriedhelmErwe“Differential-undIntegralrechnung”(Band1:Elementeder InfinitesimalrechnungundDifferentialrechnung,Band2:Integralrechnung), B.I.Hochschultaschenb¨ucherBde.30und31,B.I.-Wissenschaftsverlag1962, [ISBN3-411-00030-9und3-411-00031-7].SolideWertarbeit.HatbereitsGe- nerationenvonMathe-undPhysikstudentengedient. 15.Oktober20128c!MartinWilkens
1.2Literatur •KonradK¨onigsberger“Analysis1”(5.Auflage),Springer2001[ISBN3-540- 41282-4]und“Analysis2”(3.Auflage),Springer2000[ISBN3-540-66902- 7].ThematischeBreiteundTiefeinetwawieErwe,inderSpracheetwas moderner.Empfehlenswert. •KlausJ¨anich“Mathematik1–Geschrieben f¨ur Physiker”und“Mathematik2 –Geschrieben
f¨ur Physiker”,Springer2001und2002[ISBN3-540-41976-4und 3-540-42839-9].InparlierendemTondasvolleProgramm
f¨ur
denkanonischen FachstudentenimPhysikBachelor.ZuweilengehtdieGratwanderungzwischen FachsystematikderMathematikundZielgruppenorientierungPhysikschief. Dasst¨ortdiePuristen,
l¨asst
michabervergleichsweisekalt. VertiefendeMonographienzuspeziellenKapiteln: •Heinz-DieterEbbinghausetal.“Zahlen”,3.Auflage,Springer1992.Ok–eher was
f¨ur Aficionados.AberzauberhaftinseinenAusf¨uhrungenzurIdeenge- schichtederMathematik.Alsogenaudasrichtige
f¨ur
StudierendeinLehr- amtsstudieng¨angen... •KlausJ¨anich“LineareAlgebra”,7.Auflage,Springer1998[ISBN3-540-64535- 7].EinwunderbaresLehrbuchzueinemwichtigenWerkzeugderPhysik.F¨ur Mathematik-undPhysikstudierendegleichermaßengeeigent. •KlausJ¨anich“Analysis
f¨ur
PhysikerundIngenieure–Funktionentheorie,Dif- ferentialgleichungen,SpezielleFunktionen”,3.Auflage,Springer1995[ISBN 3-540-58878-7].Hierfindetsich,wasbeiGroßmannfehlt–n¨amlichArithmetik undAnalysisimKomplexen. •KlausJ¨anich“Vektoranalysis”,2.Auflage,Springer1993[ISBN3-540-57142- 6].Dasklingtwiedivgradrot,istabereigentlicheinewundersch¨oneEinf¨uhrung indieDifferentialgeometrie.HateinenEhrenplatzaufmeinemRegal. c!MartinWilkens915.Oktober2012
10Vorab
1.3 Logik f¨ur
Laien
DieSprachederPhysikistdieMathematik.UnddieSprachederMathematik...ist dieLogik.AberkeineAngst–Siem¨ussenjetztnichtersteinumfangreichesLogik- studiumabsolvierenbevorSieaufdieMathematiklosgelassenwerdenk¨onnen.Ein paareinfachelogischeSachverhalte,dieIhremn¨uchternenMenschenverstandzum Gl¨uckgel¨aufigsind,reichendurchausaus. JedeAussageistentwederwahroderfalsch–einDrittesgibtesnicht(Tertiumnon datur).“Wahr”und“Falsch”sinddiebeidenm¨oglichenWahrheitswertewundf einerAussage.DieAussage“ZweimalZweiistVier”,beispielsweise,istwahr.Die Aussage“F¨unfisteinegeradeZahl”istfalsch.IsteineAussageAwahr,sagtman auchAseirichtig,oderAgelte.IstAfalsch,sagtmanAseiunrichtigoderung¨ultig.DieWahrheitswertevon“und”,“oder”und “wenn–dann”fasstmangerneineinersog. Wahrheitswerttabellezusammen. ABA∧BA∨BA⇒B wwwww wffwf fwfww ffffwHatmaneineAussageA,kannmandarauseineneueAussage“Aistnichtwahr”, kurz“(nichtA)”bilden,genanntdieNegationvonA,kryptischnotiert¬A.Die Aussage“(nichtA)”istgenaudannwahr,wennAfalschist. HatmanzweiAussagenAundB,istauch“AundB”eineAussage,genannt Konjunktion,notiertA∧B.WahristdieKonjunktiondannundnurdann,wenn sowohlAalsauchBwahrsind. DieAussage“AoderB”nenntmaneineAlternative,notiertA∨B.3 DieAlternative istdannundnurdannfalsch,wennsowohlAalsauchBfalschsind.DieAussage “Aoder(nichtA)”istdaherstetswahr.Achtung!ImGegensatzumlandl¨aufigen Sprachgebrauchist“oder”hiernichtimausschließendenSinnevon“entweder– oder”gemeint.4 3 Kannmansichmerken:Lateinisch“vel”heißtaufdeutsch“oder”.Undalsokannmansich auchmerken,dassdassandereSymbol∧f¨ur
“und”steht. 4 “EntwederAoderB”nenntmaneineDisjunktion.DieDisjunktionistgenaudannfalsch, wennderWahrheitswertvonAdergleichewiederWahrheitswertvonB. 15.Oktober201210c!MartinWilkens
1.3Logik f¨ur
Laien DieAussage“WennAgilt,danngiltB”,auchgelesen“ausAfolgtB”undnotiert A⇒BnenntmaneineImplikation.InderImplikationA⇒BistBnotwendige Bedingung
f¨ur
A,undAisthinreichendeBedingung
f¨ur
B.DieImplikationA⇒B istgenaudannfalsch,wennBfalsch,aberAwahr.MItHilfevonWahrheitswert- tabellenbeweistman,dassdieAussageA⇒Bgenaudannwahrist,wenndie Aussage(nichtB)⇒(nichtA)wahrist(sog.Kontraposition). Achtung!Esistdurchausm¨oglich,dassdieImplikationA⇒Bwahr,obwohlA falsch!Beispiel:AusderSchulzeiterinnernSiesichvielleichtandiesog.Kurven- diskussion,insbesonderedieBestimmungderExtremalstellen(Minima,Maxima, Wendpunkte)einerFunktion.VielleichthabenSiedanninihremSchulheft f¨ur
Funk- tionen,dieaufganzRdefiniertsind,undnirgendwo“verr¨ucktspielen”,irgendwo denmathematischenSatzstehen“Wennfbeix0maximal,dannf! (x0)=0”.Der Satzbleibtnat¨urlichg¨ultig,wennfbeix0keinMaximumaufweist.Andererseits d¨urfenSieausf! (x0)=0nat¨urlichnichtschließen,dassfbeix0maximal.Schließ- lichk¨onnteessichauchumeinMinimumodereinenWendepunkthandeln.Das VerschwindendererstenAbleitungistnotwendige,aberebennichthinreichende Bedingung
f¨ur
dasVorliegeneinesMaximum. DieAussage“(A⇒B)und(B⇒C)”hatdiegleichenWahrheitswertewiedie Aussage“A⇒C!! .DenspeziellenFall“(A⇒B)und(B⇒A)”nenntmandie
¨ Aquivalenz
vonA,undB,notiertA⇔B.Die
¨ Aquiv
alenzA⇔Bistgenaudann wahr,wennsichdieWahrheitswertevonAundBgleichen,d.h.wennbeidewahr, oderwennbeidefalschsind. Aussagenwie“AlleMenschensindsterblich”k¨onnenmitHilfedessog.Allquantors pr¨agnantformuliertwerden:∀x∈M:S(x),worinMdieMengeallerMenschen,und S(a)dieAussage“aiststerblich”.Aussagenwie“Es f¨ahrt einZugnachNirgendwo” k¨onnenmitdemExistenzquantorpr¨agnantformuliertwerden:∃x∈Z:N(z),worin ZdieMengeallerZ¨uge,undN(a)dieAussage“DerZugaf¨ahrt
nachNirgendwo”. c!MartinWilkens1115.Oktober2012
12Vorab IndenseltenstenF¨allenweißmanvonvorneherein,obeinegegebeneAussagewahr istodernicht.Wesentlichh¨aufigerm¨ochtemandieWahrheiteinerAussagebeweisen. BeweisenisteineArgumentationstechnik,dieeinemstriktenRegelwerkunterworfen ist–denRegelndeslogischenSchließens.F¨ureinegegebeneFunktionf(x)m¨ochte manbeispielsweisebeweisen,dassihreAbleitunganeinergegebenenStellex0ver- schwindet(f! (x0)=0seiimFolgendendieAussageBgenannt).Wirstellenunsvor, dassdieFunktionsofurchtbarkompliziertist,dassmansienichteinfachableiten kannumf! (x0)ausrechnen,dassabermitvertretbaremAufwandfestgestelltwer- denkann,dassfbeix0einlokalesMaximumaufweist(imFolgendendieAussageA genannt).IndiesemFallkannderBeweisderAussage“f! (x0)=0”nachfolgendem Schemagef¨uhrtwerden:“A→Bistwahr.Awahr.DaheristBwahr.”DenSchluss (A→B,A)!BnenntmanModusPonens.Achtung!DerlogischeSchluss(das “Daher”),hiersymbolisiert!,istbittenichtmitderImplikation,symbolisch⇒zu verwechseln.
1.4 Umgang mit Gleic h ungen, T erme,
¨ Aquiv
alen- zumfor m ungen
EinenAusdruckderForm1+2·3istkeineAussage,sonderneinTerm.EinAusdruck derForm1+istkeinTerm.EinTermisteinAusdruck,dereineZahlbenennt.Der Ausdruck1+2·3isteinTerm,weilerdieZahl7benennt.KeineAhnung,welcheZahl derAusdruck1+benennt.Daherist1+auchkeinTerm(sondernm¨oglicherweise dieNotef¨ur
einebesondersguteLeistung). EinenAusdruckderForm 1+2·3=4·5−6 2(1.2) nenntmaneineGleichung.EineGleichungisteineAussage.Auch1=2isteine 15.Oktober201212c!MartinWilkens
1.4UmgangmitGleichungen,Terme,
¨ Aquiv
alenzumformungen Gleichung,nurdassdieseGleichungeinefalscheAussage,imGegensatzzurGlei- chung(1.2),dieeinewahreAussagedarstellt.InderMathematikbeschr¨anktman sichimAllgemeinendarauf,nurwahreAussagenhinzuschreiben,2=1werdensie seltensehen,allenfallsgegenEndeeinesindirektenBeweises. EineGleichunghateinelinkeSeiteundeinerechteSeite.BeideSeitenhabennot- wendigdieFormvonTermen.EineGleichungbehauptet,dassdieZahl,dieder TermaufderlinkenSeitebenenntdiegleicheZahlist,wiedieZahl,diederTerm aufderrechtenSeitebenennt.Soeinfachistdas. DassGleichung(1.2)einwahreAussagedarstellt,kurzgesagt“dassGleichung(1.2) wahrist”,istnat¨urlichbeweisbed¨urftig.DerBeweiswirddurchsog.
¨ Aquivalenzum-
formungengef¨uhrt,anderenEnden(hoffentlich)eineTrivialit¨atwiebeispielsweise 1=1(oder0=0,oder17=17etc.)steht.Umdie
¨ Ub
ersichtnichtzuverlieren (“H¨ah?Wiekommt’nderjetztdarauf?”)kann–undsollte–mandiejeweilige Umformungdurcheinensog.Auftragsstrichprotokollieren.Etwaso5 1+2·3=4·5−6 2|·2(beideSeiten“mit2malnehmen”) 2·(1+2·3)=4·5−6|links:Assoziativgesetz;rechts:4·5=20 2+4·3=20−6|links:4·3=12;rechts:20−6=14 2+12=14|links:2+12=14 14=14|÷14(beideSeiten“durch14teilen”) 1=1(Uff!) Verstehtsich,dassmitzunehmender
¨ Ubung,
dieDichteanAuftragsstrichenab- nimmt–manmussjanichtjedeBanalit¨atprotokollieren.AberdemNovizensei geraten,Auftragsstricheernstzunehmen.Erkanndannn¨amlichbessernachvollzie- hen,wosichseinDenkfehlereingeschlichenhat(wennerdennDenkfehlermacht). 5 DasAssoziativgesetzwirdin3.1nocheinmalrekapituliert... c!MartinWilkens1315.Oktober2012
14Vorab EinewichtigeFormvon
¨ Aquiv
alenzumformungistdieTermvereinfachung.Termver- einfachungistbeispielsweise2·(1+2·3)=2+2·2·3=2+12=14.Aberauch 2 3+3 2=13 6istTermvereinfachung.UntereinerTermvereinfachung¨andertsichder ZahlenwertdesTermsnicht.AndieserStelleeinegroßBitte:
!
MachenSieumHimmelsWillenbloßnichtdenFehler,sofortallesmitdem Taschenrechner(odersonstwie)inDezimalzahlenauszudr¨ucken!BleibenSie solangeirgendm¨oglichbeidenBr¨uchen.ErstganzamSchlussk¨onnenSie,wennSie dennunbedingtwollen,13 6alsDezimalzahlschreiben,13 6=2,166.... DieanderewichtigeFormvon¨ Aquiv
alenzumformunginvolviertdasAddieren,Sub- trahieren,MultiplizierenundDividierenderbeidenSeiten(=Terme)einerGlei- chungmitirgendwelchen,m¨oglichstgeschicktgew¨ahltenZahlen.Hatmanbeispiels- weiseeineGleichung3 2=1+1 2,erzeugtMultiplikationmit2dieGleichung3= 2+2·1 2.DerWertderlinkenSeitehatsichdabeige¨ander(von3 2nach3),ebensoder WertderrechtenSeite(von1+1 2nach2+2·1 2),aberderWahrheitswertderGlei- chunghatsichnichtge¨andert(von“wahr”nach“wahr”).Addierenetc.d¨urfenSie ¨ubrigensauchganzeGleichungen,vorausgesetzt,SiehabenderenWahrheitschon anderweitigetabliert. DasGesagte
l¨aßt sichproblemlosaufdieBuchstabenrechnung¨ubertragen.Buch- stabenstehen
f¨ur
Zahlen,derTerm2·b
f¨ur dasDoppeltederZahlb,bzw.–dem KommutativgesetzderMultiplikationseiDank–f¨ur
dasb-fachederZahl2.Weres genaunehmenm¨ochte,nennt2·beinenunges¨attigtenTerm.Offenbleibthierder ZahlenwertdesTerms–schließlichkenntmanjadenZahlenwertvonbandieser Stellenicht(undbrauchtihnauchnichtzukennen). Zuweilenst¨oßtmanaufeineGleichungderFormx·a=2·b,imAnschlussandas geradegesagtebezeichneteineunges¨attigteAussage,wobeinachderL¨osungdieser Gleichunggefragtwird.Ohneesdazuzusagen,meintmanmit“dieL¨osung”denje- nigenWertderUnbekanntenx,derbeigegebenenParameterna,bdieunges¨attigte 15.Oktober201214c!MartinWilkens
1.5DasPrinzipdervollst¨andigenInduktion AussagezueinerwahrenAussagemacht.
¨ Aquiv alenzumformungenerforderndann einegewisseSorgfalt–alsonichteinfach“durchateilen”,dennwasw¨aredenn, wenna=0?DurchNulldarfmanschließlichnichtteilen(durchNullteilenistkeine
¨ Aquiv alenzumformung),manmussalsodenFalla=0gesondertbehandeln. Manwirddannfeststellen,dassdieGleichungx·a=2·bimFallea=0f¨ur
b-=0¨uberhauptkeineL¨osunghat,dassesalsokeinenWert f¨ur
xgibt,
f¨ur
dendie GleichungeinewahreAussage.Mansagtdann,dieL¨osungsmengederGleichung x·a=2·bseiimFallea=0,b-=0,dieleereMenge.ImFallea=0,b=0hingegen bestehtdieL¨osungsmengeausderMengeallerZahlen.NurimFallea-=0umfasst dieL¨osungsmengegenaueineZahl.Stattumst¨andlichzuformulieren“{2·b a}istdie L¨osungmengederGleichungx·a=2·bimFallea-=0”k¨urztmandieProsaetwas ab,undsagt“x=2·b aistdieL¨osungderGleichungx·a=2·b”(wobeistillschweigend vorausgesetztwird,dassa-=0).
1.5 Das Pr inzip der v ollst ¨andigen Induktion
EinenBeweismittels¨ Aquiv alenzumformungennenntmaneinendirektenBeweis. ImmerwennSieetwasnachrechnenoderausrechnen
f¨uhren
SieeinensolchenBeweis. Inder“reinenMathematik”istdieseBeweisformabereherseltenanzutreffen. BetrachteetwadieAussage E(n):1+2+3+···+n=n·(n+1) 2(1.3) F¨urn=1stimmtdieseAussageoffensichtlich,“E(1)istwahr”.Wieaberkannman beweisen,dassE(n)f¨ur
allenat¨urlichenZahleneinewahreAussage?6 6 EinerAnekdotezufolgehatGaussalsjungerSch¨uler
dieWahrheitvonE(100)durchUmord- c!MartinWilkens1515.Oktober2012
16Vorab DasBeweisprinzipdervolst¨andigenInduktion:Seizujedernat¨urlichenZahl neineAussageA(n)gegeben.DannsindalleAussagenA(n)wahr,wennman beweisenkann 1.A(1)istrichtig(sog.Induktionsanfang). 2.F¨urjedesn,f¨ur
welchesA(n)richtigist,istauchA(n+1)richtig(sog. Induktionsschluss). DasBeweisprinzipdervollst¨andigenInduktionfolgtunmittelbarausdemIndukti- onsaxiomdasbeieinersystematischenEinf¨uhrungdernat¨urlichenZahlenformuliert wird. ImvorliegendenFallwurdeschonerkannt,dassE(1)legitimerInduktionsanfang. DerSchlussvonE(n)nachE(n+1)wirdnundurchfolgendekleineRechnung vollzogen,wobeianderStelle∗dieAussageE(n)alsInduktionsvoraussetzungher- angezogenwird: 1+2+3+···+n+(n+1)∗ =n·(n+1) 2+(n+1)=(n+1)·(n+2) 2.(1.4) DamitistE(n)⇒E(n+1) f¨ur
alleneinewahreAussage.WeilaberschonE(1) alswahrerkanntwurde,kannmitModusPonensaufE(2)geschlossenweden,im VerbundmitderderWahrheitvonE(2)⇒E(3)viaModusPonensaufE(3)und soweiter.M.a.W.E(n)istwahr f¨ur allen.qed7 NebendemBeweisdurch¨ Aquiv
alenzumformungenunddemBeweismittelsvollst¨andi- gerInduktiongibtesnochdensog.indirektenBeweis,auchgenanntWiderspruchs- beweis,gebildetformuliertreductioadabsurdum.DerWiderspruchsbeweisisteine nungderReihe,1+2+3+...+100=(1+100)+(2+99)+(3+98)+···+(50+51)=50·101=100·101 2 bewiesen. 7 Das“qed”,wasmanzuweilenamEndeeinesBeweisesfindetsteht¨ubrigens f¨ur
“quoderat demonstraundum”–waszubeweisenwar. 15.Oktober201216c!MartinWilkens
1.6Aufgaben beliebteFigurdermathematischenBeweisf¨uhrung.GuteGelegenheitalso,Siemit dieserFigurvertrautzumachen. DazueinBeispieldasschoninEuklidsLehrbuchderGeometriezufindenist: Satz:EsgibtunendlichevielePrimzahlen. Angenommenes g¨ab
enurkPrimzahlenp1<p2<···<pk.Dannw¨aredieZahl p=p1·p2·····pk+1entwederselbereineneuePrimzahlp>pk,odersiew¨are durcheinePrimzahlp! teilbar,dieallerdingsauchneuseinm¨usste,dapdurchdie Primzahlenp1,...,pknichtohneRestteilbar.InbeidenF¨allenbef¨andemansichim WiderspruchzurAnnahme,unddaesmindestenseinePrimzahlgibt,z.B.dieZahl 17,istdereinzigeSchlussderbleibt,dassesunendlichvielePrimzahlengibt.qed UndjetztnochkurzdielogischeAnalysedesBeweises.SeiAdieAussage“esgibt genaukPrimzahlen”undBdieAussage“esgibtmindestensk+1Primzahlen”. DiemathematischeArgumentationnimmtAalsAnnahmeundhatdieForm“Wenn AdannB”.DiemathematischeLogiksagtaber“WennBdannnichtA”.Beide zusammengenommenerzeugen“WennAdannnichtA”,unddaskannnachden RegelnderAussagenlogiknurwahrsein,wenn“nichtA”wahrist,bzw.Afalsch ist.Wennalso“esgibtgenaukPrimzahlen”falschist,unddas f¨ur
allek.Damit verbleibengenauzweiM¨oglichkeiten:esgibt¨uberhauptkeinePrimzahlen,oderes gibtunendlichvielePrimzahlen.DerHinweis,dass17einPrimzahlverweistdie ersteM¨oglichkeitindasReichderUnm¨oglichkeiten,undsomitverbleibtalseinzig zul¨assigerSchluss,dassesunendlichvielePrimzahlengibt.
1.6 Aufgab en
$Aufgabe1-1(1Punkt) c!MartinWilkens1715.Oktober201218Vorab SchreibenSieunsdiejenigenFormelnauf,dieIhnenimLaufederWochebegegnen, etwaindenVorlesungenzurExperimentalphysik,unddieIhnenunklarsind. $Aufgabe1-2(πPunkte) EinealteBauernregelbesagt“WennderHahnkr¨ahtaufdemMist,¨andertsichdas Wetteroderesbleibtwieesist”.UnterwerfenSiedieRegeleinerlogischenAna- lyse.K¨onneSieausderWetterlageaufdasKr¨ahenbzw.nicht-Kr¨ahendesHahnes schließen? $Aufgabe1-3(2Punkte) BeweisenSie:DieAussageA⇒Bistgenaudannwahr,wenndieAussage(nichtB)⇒ (nichtA)wahrist. $Aufgabe1-4(1Punkt) Jemandbehauptet“Esgibt3Primzahlen”.StimmenSiezu? $Aufgabe1-5(2Punkte) FallsSieschonwissen,wasmanunterderAbleitungeinerFunktionversteht:istdas VerschwindendererstenAbleitungineinemPunktx0notwendigeoderhinreichende Bedingungdaf¨ur,dassdieFunktiondorteinMaximumhat? $Aufgabe1-6(GeometrischeSummenformel)*(7Punkte) ZurErinnerung:Mitxn meintmandasn-facheProduktvonxmitsichselbst, xn =x·x·····x(nFaktoren),undesgiltxn ·xm =xn+m . BeweisenSiemittelvollst¨andigerInduktiondiegeometrischeSummenformel 1+x+x2 +···+xn =1−xn+1 1−x,x-=1.(1.5) 15.Oktober201218c!MartinWilkens
1.6Aufgaben $Aufgabe1-7(BernoullischeUngleichung)(7Punkte) ZurErinnerung:EineZahlaheißtgr¨oßeralseineZahlb,notierta>b,wenna−b einepositiveZahl. BeweisenSiemittelsvollst¨andigerInduktiondieBernoulli’scheUngleichung (1+x)n >1+n·x, f¨ur
x∈R,x>−1,x-=0undn=2,3,....(1.7) c!MartinWilkens1915.Oktober2012
20Vorab 15.Oktober201220c!MartinWilkens