• Keine Ergebnisse gefunden

Wie erlangt mathematisches Wissen im alltäglichen Mathematikunterricht für die Lernenden Geltung?

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Aktie "Wie erlangt mathematisches Wissen im alltäglichen Mathematikunterricht für die Lernenden Geltung?"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Thomas BARDY, Bremen

Wie erlangt mathematisches Wissen im alltäglichen Mathematikunterricht für die Lernenden Geltung?

- Erste Ergebnisse einer empirischen Studie -

Einleitung

Ich beschäftige mich mit der Frage, wie im alltäglichen MU durch Hand- lungen der Akteure mathematisches Wissen Geltung in der Klasse erlangt.

Angenommen wird, dass diese Prozesse sich in Handlungspraktiken der Unterrichtskultur zeigen und deshalb beobachtbar sind.

Im MU geht es um die Vermittlung bzw. die Konstruktion mathematischen Wissens, aber auch um die Bewertung der Leistungen der beteiligten Ler- nenden. Das erzwingt bei den Lernenden, zu erkennen, was als geltend im Unterricht angesehen wird, und bei der Lehrperson, deutlich zu machen, was gelten soll. Wissen, das Geltung (aus Sicht der Lehrperson) erlangt hat, dient dann als Grundlage der Leistungsüberprüfung.

Zu den Begriffen „Geltung“ und „Gültigkeit“

Die Begriffe „Geltung“ und „Gültigkeit“ werden in verschiedenen Wissen- schaften benutzt und dort in ihrem Bedeutungsgehalt gegeneinander abge- grenzt, z.B. in der Philosophie (u.a. Habermas 1998) oder in der Rechts- theorie (siehe z.B. Alexy 2005). Geltung ist Ergebnis des Akts, der Ver- bindlichkeit und Akzeptanz herstellt. Dies kann bewusst oder unbewusst geschehen. Etwas „gilt“, wenn es verbindlich akzeptiert wird. „Unter ,Geltung‘ ist […] nur die Dimension zu verstehen, in der bestimmte An- sprüche und Bedingungen charakterisiert werden, ohne daß sie gerecht- fertigt, eingelöst oder erfüllt wären.“ (Ulfig 1997, 189) Gültigkeit einer Aussage liegt vor, wenn diese Aussage bewiesen oder durch Argumente begründet werden kann.

Gültiges Wissen besitzt allerdings noch keine Geltung, solange es nicht

durch den Willen (z.B. der Allgemeinheit oder des Lehrers) in Kraft gesetzt

wurde. „’Gültig’ heißt nur, dass Gründe vorliegen, die der Intellekt als

richtig, zutreffend, adäquat, logisch korrekt, etc. beurteilt“ (Weichbold

2007, 1), um das Wissen in Geltung zu setzen. Diese Gründe schaffen nicht

von sich aus die Geltung des Wissens; „die Geltung ist keine Folge von

logischen Voraussetzungen, sondern eines Willensaktes“ (a.a.O.).

(2)

Methodisches Vorgehen

Die empirischen Untersuchungen meines Projekts sind so angelegt, dass eine empirisch basierte begriffliche Klärung in mehreren Schritten möglich ist. Das ist am besten mit dem theoretischen Sampling aus der Grounded Theory realisierbar (Strübing 2008). Das heißt, Datenerhebung und Daten- auswertung gehen Hand in Hand. Jeder Datensatz wird sofort transkribiert und analysiert, und zwar gemäß den Zielen der Untersuchung. Mit jedem dieser Auswertungszyklen gewinnt man weiter und tiefer gehende Ein- sichten.

Zunächst habe ich den Unterricht von 3 Lehrpersonen an einem Gymna- sium (G8, Jgst.10, je 6-7 aufeinander folgende Unterrichtsstunden) zum Thema „Einführung in die Differenzialrechnung“ videographiert, transkri- biert und analysiert. Nach Abschluss der Auswertung werde ich meine Ergebnisse mit Videodaten der Universität Zürich (Reusser et al., 3 Lehr- personen, G9, Jgst.9, je 3 aufeinander folgende Unterrichtsstunden) zum Thema „Satz des Pythagoras“ vergleichen. Zusätzlich werden zurzeit durch Studierende Beobachtungsdaten von etwa 45 Lehrpersonen (unterschied- liche Themen und Jahrgangsstufen, je 2 aufeinander folgende Unterrichts- stunden) erhoben. Die Auswertung meiner Daten erfolgt mit unterschied- lichen Analysemethoden.

Ziele der Auswertung sind u.a. die theoretisch-begriffliche Klärung des Untersuchungsgegenstands, die Identifizierung von Handlungspraktiken der Herstellung von Geltung mathematischen Wissens im Unterricht, die die Konstruktion mathematischen Wissens fördern, erschweren oder be- hindern, und die Frage, in welchen Formen und mit welchen Funktionen mathematisches Schulwissen etabliert wird.

Erste Ergebnisse

Abbildung 1 ist aus der Analyse / Interpretation meiner eigenen Video- daten entstanden.

Ich erhalte z.B. als For- men der Kategorie 1.1:

• gezieltes / direktes Vor- machen / Zeigen mit oder ohne Nachmachen,

• explizite Definitionen, Begriffs- oder Bezeich-

nungsfestlegungen, Abb. 1

(3)

• Beantwortung von Lehrerfragen / Ergänzen von Sätzen des Lehrers ohne Korrektur / mit ausdrücklicher Bestätigung durch den Lehrer,

• Verfolgen / Abarbeiten eines vorgegebenen / vorbereiteten Vorgehens/

Lösungsweges.

Abbildung 2 zeigt die Gesamtauswertung der Daten der 3 Lehrperso- nen (insgesamt 19 Un- terrichtsstunden).

Erläuterung: 7198/111 bedeutet: 7198s lang trat Kategorie 1.1 auf, und zwar an 111 Stellen.

Abb. 2

Auffallend ist, dass die Kategorie 2.2 nur einen sehr geringen Anteil be- sitzt.

Abbildung 3 erfasst die Kategorienverteilung im Vergleich der 3 Lehr- personen.

Erhebliche Unterschie- de treten insbesondere bei den Kategorien 1.2 und 2.2 auf.

Außerdem stellen die drei Lehrer in der je- weils inhaltlich zentra- len Stunde (Themati- sierung der ersten Ab- leitung als Grenzwert des Differenzenquotien- Abb. 3

ten) mit unterschiedlichen Schwerpunkt-Kategorien Geltung her:

Lehrer 1: Vormachen/Nachmachen (Lehrer erläutert den Differenzenquo- tienten (h-Meth.) und zeigt, wie man am TR den Limes-Befehl verwendet), Lehrer 2: Gewöhnen (Lehrer erläutert die Bedeutung des Grenzwertes des Differenzenquotienten und ein allgemeines Verfahren zur Bestimmung der Steigung einer Tangente; Schüler wenden das Verfahren mehrfach an),

Gesamt

731 / 10 7793 / 166

3153 / 171 7198 / 111

4080 / 34

8691 / 536

0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000 9000 10000

Kategorie1.1 Kategorie1.2 Kategorie1.3 Kategorie1.4 Kategorie2.1 Kategorie2.2

(4)

Lehrer 3: Vormachen/Nachmachen; Verweisen; Intervenieren; gemein- sames fachliches Verständigen (gemeinsame Erarbeitung des Differen- zenquotienten; Erläuterung des Differenzenquotienten an einem Beispiel durch einen Schüler und Diskussion/Verständigen darüber; Präzisieren, Vormachen und Verweis auf fachliche Normen durch den Lehrer).

Jeder Kategorie kann eine Norm zugeordnet werden: Norm 1: Was der Lehrer (vor)macht, gilt. Norm 2: Der etablierte Gebrauch verschafft Gel- tung. Norm 3: Worauf der Lehrer verweist, das gilt. Norm 4: Lehrerinter- ventionen verschaffen Geltung. Norm 5: Das, worauf wir uns verständigt haben, gilt. Norm 6: Gründe für fachliche Richtigkeit erzeugen Geltung.

Bei Lehrer 1 erzeugen die Normen 3 und 5 vorrangig Geltung, bei Lehrer 2 die Normen 2 und 3 sowie bei Lehrer 3 die Normen 5 und 1.

Gewinn für die Unterrichtspraxis

Im Hinblick auf die Unterrichtspraxis können meine Untersuchungen wichtige Hinweise für Lehrpersonen in Bezug auf den Einsatz spezieller Formen/Kategorien der Herstellung von Geltung liefern. Welche Kate- gorien bzw. Formen bevorzugt eine Lehrperson? Ist dies sinnvoll? Wie kann sie sensibel dafür gemacht werden, wie oft sie Geltung durch Kon- ventionen herstellt und welche Bedeutung Argumentieren für das Fach Mathematik hat?

Im Einzelnen sind u.a. Antworten auf folgende Fragen zu erwarten: Welche Formen der Herstellung von Geltung gibt es? Gibt es Indizien, die auf er- folgreiche Formen der Herstellung von Geltung hinweisen? An welchen Stellen von Prozessen der Wissenskonstruktion sollte mathematisches Wissen sinnvollerweise Geltung erlangen? Welche Formen der Herstellung von Geltung sollten als professionelles Handeln im Unterricht in die Lehreraus- und -fortbildung integriert werden?

Literatur

Alexy, R. (

4

2005). Begriff und Geltung des Rechts. Freiburg, München: Karl Alber.

Habermas, J. (1998). Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Strübing, J. (

2

2008). Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung. Wiesbaden:

VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Ulfig, A. (1997). Lebenswelt – Reflexion – Sprache. Zur reflexiven Thematisierung der Lebenswelt in Phänomenologie, Existenzialontologie und Diskurstheorie. Würzburg:

Königshausen & Neumann.

Weichbold, V. (2007; 12.11.2009). Eine Anmerkung zur Normenbegründung.

Abgerufen von: http://www.at/E_Normenbegruendung.pdf

Abbildung

Abbildung 1 ist aus der  Analyse / Interpretation  meiner eigenen  Video-daten entstanden
Abbildung 2 zeigt die  Gesamtauswertung der  Daten der 3  Lehrperso-nen (insgesamt 19 Un-  terrichtsstunden)

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

gen Wahrheiten Geltung besäßen, auch wenn es keinen Gott gäbe, und wendet ein: Ein Atheist kann Geometer sein, aber ohne Gott gibt es keine Geometrie, überhaupt nichts

Thomas Bardy gelingt es – gleichermaßen theoretisch wie empirisch fundiert – darzustellen, welche Bedeutung die Herstellung von Geltung im Mathematikunterricht besitzt,

Unsere Beispiele zeigen, dass Argumentation als Begründungshandeln in der Kind-Kind-Kommunikation im Vorschulalter auch eingesetzt wird, um Geltung zu etablieren, und

3 Diese Entwicklung des internationalen Jihads wird derweil als feindselige Rivalität beschrieben, und zwar als einen innerjihadistischen »global civil war«, eine

Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag steht im Span- nungsverhältnis zu einer Vielzahl von Grundrechtspositionen, insbesondere der der Eltern aus Art. Diese mehr-

Nach diesen Maßgaben stellt auch im vorliegenden Fall das Wettbewerbsverbot einen unzulässigen Eingriff in die Berufsausübung des Verfügungsklägers dar: Der

Sollte eine wei- tere Druckprüfung erforderlich sein oder vor Ort oder im Leistungsverzeichnis gewünscht werden, so wird diese gesondert auf Basis der jeweils gültigen Fassung

Schulministerin Sylvia Löhrmann hat heute in Gelsenkirchen im Rahmen einer Feierstunde Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften staatliche türkische Sprachzertifikate