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Archiv "EU-Finanzkrise und die Folgen: Am Ende bezahlen die Kranken" (12.10.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Heft 41

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12. Oktober 2012 A 2013

C

hristos Zacharias ist immer noch aufgebracht, wenn er an die vergangenen drei Monate zu- rückdenkt – daran, dass seine herz- kranke Mutter in einem maroden Gesundheitssystem beinahe unter die Räder gekommen wäre. Die Re- de ist von Griechenland, dem Staat in Europa, der zurzeit am meisten unter den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu leiden hat und dessen Gesundheitswesen unter dem rigiden Sparkurs ächzt, den die Troika aus Europäischer Kommis- sion, Internationalem Währungs- fonds und Europäischer Zentral- bank dem Land auferlegt hat.

Despina Zacharias leidet an einer Koronarstenose und benötigt drin- gend eine neue Herzklappe. Die 78-Jährige bricht eines Abends zu- sammen und wird ins staatliche Krankenhaus eingeliefert. „Dort herrschten völlig chaotische Zu- stände“, berichtet der Sohn, der wie seine beiden Geschwister seit Jah- ren in Deutschland lebt und hier als pädagogischer Mitarbeiter in einer

haus verlangt den Betrag in bar.

Das können sich viele Griechen schlicht nicht leisten. „Wenn Sie Geld haben, werden Sie leben.

Wenn Sie kein Geld haben, werden Sie sterben. So läuft das inzwi- schen“, empört sich Zacharias.

Großen Anteil daran, dass der Fall seiner Mutter gut ausgeht, hat ein befreundeter Kardiologe, der die nötigen Kontakte zur Privatkli- nik herstellt. Dr. Christo Dragas be- treibt in Aridea eine Privatpraxis und behandelt, wenn es hart auf hart kommt, Patienten auch schon ein- mal unentgeltlich. Die Krise habe ganz Griechenland im Griff, sagt er gegenüber dem Deutschen Ärzte- blatt. Der privatmedizinische Be- reich sei allerdings längst nicht so stark betroffen wie der staatliche:

„Dort fehlt es an Geräten und Medi- kamenten. Außerdem hat man den Ärzten die Gehälter zusammenge- strichen. Sie verdienen nur noch um die 1 500 Euro im Monat.“ Da- bei sei es durchaus üblich, dass das Krankenhauspersonal zwei, drei EU-FINANZKRISE UND DIE FOLGEN

Am Ende bezahlen die Kranken

Ob rigide Sparvorgaben Länder wie Griechenland und Portugal vor dem Staats- bankrott bewahren können, ist umstritten. Spürbar sind hingegen die Folgen, die diese „Politik der Härte“ für das Gesundheitswesen der betroffenen Staaten hat.

sozialpsychiatrischen Tagesstätte ar- beitet. „Es war unerträglich heiß, und es gab keine Klimaanlage“, sagt Zacharias. „Erst nach drei Ta- gen ist es mir gelungen, mit dem zuständigen Arzt zu sprechen.“

„Wenn Sie kein Geld haben, werden Sie sterben“

Der Arzt erklärt, die Mutter werde im Krankenhaus stabilisiert und müsse dann zur Operation in eine andere Klinik überwiesen werden.

Sein Befund stützt sich auf eine Ultraschalluntersuchung. Für ein EKG fehlt das Gerät. Warum Chris- tos Zacharias so lange auf einen Gesprächstermin warten musste?

„Der Arzt wollte Geld von mir.“

Despina Zacharias’ Zustand ist schlecht. Die Wartezeiten auf einen Operationstermin im staatlichen System liegen bei bis zu vier Mona- ten. Den Kindern ist das Risiko zu groß, sie legen zusammen und las- sen die Mutter in einer Privatklinik in Thessaloniki operieren. 6 000 Eu - ro kostet der Eingriff. Das Kranken-

Foto:

Fotolia/mpanch [m]

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A 2014 Deutsches Ärzteblatt

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12. Oktober 2012 Monate lang auf die Auszahlung

der Gehälter warten müsse.

„Die Situation im Gesundheits- wesen ist äußerst angespannt“, be- stätigt der griechische Europaabge- ordnete Theodoros Skylakakis. Der 52-Jährige gehörte bis vor kurzem der konservativen Nea Dimokratia von Ministerpräsident Antonis Sa- maras an. Die Partei schloss ihn aus ihren Reihen aus, weil Skylakakis sich schon vor den Neuwahlen im Sommer für eine Verständigung mit Brüssel ausgesprochen hatte. In- zwischen gehört er im Europaparla- ment der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa an.

Wo in Griechenland investiert werden müsste

Jetzt sitzt Skylakakis in seinem win- zigen Abgeordnetenbüro und wirkt gehetzt. Für ein Gespräch nimmt er sich trotzdem Zeit, denn es ist ihm wichtig, auf die Zustände in seinem Land hinzuweisen. Sicher, es habe in Griechenlands Gesundheitswesen vor der Krise strukturelle Defizite, Überkapazitäten und Ineffizienz ge- geben, räumt er ein. Das Land leiste sich beispielsweise doppelt so viele Ärztinnen und Ärzte wie der Durch- schnitt der OECD-Staaten. „Die ha- ben sich lange ihren eigenen Bedarf geschaffen“, meint der Politiker.

„Inzwischen haben die Kürzungen und Einschnitte aber eine Dimensi- on erreicht, die die realen Bedürf- nisse der Patienten betreffen. Sie be- kommen in vielen Fällen nicht mehr das, was nötig ist.“

Problematisch ist insbesondere die Versorgung mit Arzneimitteln.

Das liegt zum einen daran, dass die Regierung die Ausgaben für Medi- kamente drastisch zusammengestri- chen hat – Skylakakis spricht von einer Kürzung um mehr als 30 Pro- zent. Zum anderen lasse der klam- me Staat Apotheker sowie Arznei- mittel- und Medizinprodukteher- steller auf ihren Kosten sitzen.

Griechische Zeitungen berichten über Außenstände in Höhe von zwei Milliarden Euro. Viele Firmen seien darüber hinaus schon im ver- gangenen Jahr mit Staatsanleihen bezahlt worden, die inzwischen kaum noch etwas wert sind. Die Folge: Wenn die Unternehmen ihre

Lieferungen an Apotheken und Krankenhäuser nicht gleich ganz einstellen, erhalten Patienten not- wendige Medikamente nur noch ge- gen Vorkasse. Für viele Griechen, denen Gehälter und Renten dras- tisch gekürzt wurden oder die infol- ge der Rezession ihre Arbeit verlo- ren haben – inzwischen jeder vierte –, ist das unerschwinglich.

„Wir befinden uns in einer ex- plosiven Lage“, sagt Skylakakis.

Eine Mitschuld gibt er der Troika.

Denn deren Verhandlungen mit der griechischen Regierung über ein weiteres Sparpaket von 11,5 Milli-

arden Euro ziehen sich hin. Eine be- reits für Juni angestrebte Einigung zeichnet sich frühestens für No- vember ab. Sie ist aber Vorausset- zung für die Auszahlung der nächs- ten Tranche aus dem Hilfspaket von 31 Milliarden Euro. „Das sind drei, vier Monate Verzögerung, in denen Unternehmen und Apotheken Me- dikamente vorfinanzieren müssen“, kritisiert der EU-Parlamentarier.

Gibt es einen Ausweg aus dieser Lage? „Wir brauchen pragmatische Lösungen“, sagt Skylakakis und wird energisch. „Wir müssen mehr aus dem machen, was wir haben, mehr produzieren.“ Gesundheit sei auch ein Wirtschaftsfaktor. Statt angesichts der 40 000 Ärztinnen und Ärzten über Überversorgung zu klagen und womöglich Abwer- bungsprogramme anderer Länder zu unterstützen, könne man diese auch produktiv im eigenen Land einsetzen. Vorstellbar sei beispiels- weise, die Stellung Griechenlands im Bereich klinischer Studien aus- zubauen und dafür die ärztliche Kompetenz zu nutzen. Als weitere Säule könne der Medizintourismus dienen. „Dialysepatienten oder All - ergiker könnten in Griechenland ih- ren Urlaub verbringen und gleich- zeitig medizinisch gut versorgt wer- den“, meint Skylakakis. „Denn wir können auf eine gute medizinische Infrastruktur sowohl im staatlichen als auch im privaten Sektor zurück- greifen.“ Doch das Land braucht dringend Investitionen, um die Kri- se zu überwinden. „Im Moment sieht es allerdings nicht danach aus, als ob Europa sich aus der Krise her - ausinvestieren will“, sagt der Politi- ker. Dabei wäre es eine Schande, wenn das viele Geld, das nach Grie- chenland geflossen sei, verpuffe, weil Investitionen in vielverspre- chende Projekte unterblieben.

Das griechische Parlament hat Ende September dem von der Troika geforderten Sparpaket von 11,5 Milliarden Euro, 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, bis En- de 2014 zugestimmt. Zehntausende Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft hat der Protest dage- gen am 24. September auf die Stra- ße getrieben, ein Generalstreik leg- te das Land lahm.

Bei 300 Euro Rente kann man sich monatlich 150 Euro Zuzahlungen für Arzneimittel nicht leisten.

Marisa Matias, Europaabgeordnete aus Portugal, Vereinigte Europäische Linke

Die Patienten in Griechenland bekommen in vielen Fällen nicht mehr das, was nötig ist.

Theodoros Skylakakis,

Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa

Fotos: Wiktor Dabkowski

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12. Oktober 2012 A 2015

„Wenn ich mir Griechenland an- schaue, habe ich das Gefühl, ich se- he unsere Zukunft“, sagt Marisa Matias. Pessimistische Aussagen wie diese scheinen gar nicht zu der Europaabgeordneten zu passen. Die 36-jährige Portugiesin ist ein Ener- giebündel und mit Herzblut bei der Sache. Dass die Folgen der Finanz- krise aber inzwischen die Grundfes- te des Gesundheitssystems in ihrer Heimat erschüttern, lässt die Lin- ken-Politikerin zornig werden: „Es gibt Bereiche, in denen Kürzungen kriminell sind. Das Gesundheits - wesen gehört dazu.“

Im April 2011 schlüpfte Portugal unter den Euro-Rettungsschirm und wurde gegen strikte Sparauflagen mit einem Kredit von 78 Milliarden Euro aus akuter Finanznot befreit.

Seither steht das Land unter der Aufsicht der Troika. „Seit 2011 mussten allein im Gesundheitssek- tor 800 Millionen Euro eingespart

werden“, erklärt Matias. „Das ist für ein kleines Land wie Portugal eine Riesensumme.“ Bei dem Ver- such, die maroden Staatsfinanzen zu sanieren, sei das Gesundheits - wesen inzwischen zu einer Haupt- zielscheibe geworden.

Portugiesen müssen lange auf Operationen warten Ein funktionierendes Sozialsystem entstand in dem Land erst nach dem Ende der Diktatur im Jahr 1974.

Seither habe sich ein gut funktionie- render nationaler Gesundheitsdienst entwickelt, der aus Steuern finan- ziert werde und allen Menschen of- fenstehe, berichtet Matias. „Und das alles steht jetzt zur Disposition.“

Schon vor dem Milliardenkredit der internationalen Geldgeber habe die Regierung – unter dem Protest der Betroffenen – damit begonnen, aus Kostengründen kleinere Gesund- heitsstationen auf dem Land und

zahlreiche Geburtskliniken zu schlie- ßen. „Inzwischen ist die Situation unerträglich“, beklagt die Politike- rin. Die Folgen der rigiden Sparauf- lagen: Es gibt lange Wartelisten für Operationen, von denen auch Herz- und Krebskranke betroffen sind. Die zahnärztliche Versorgung ist kom- plett aus dem Leistungskatalog des staatlichen Gesundheitsdienstes ge- strichen worden; die Eigenbeteili- gung der Patienten wurde erhöht;

staatliche Krankenhäuser wurden privatisiert, Gehälter gekürzt und Personal abgebaut. Erst im Juli kam es aus Protest gegen den Sparkurs der Regierung zu einem Ärztestreik.

Matias schildert ein Beispiel aus dem Alltag: In einem großen Teil der Gesundheitseinrichtungen und Kran- kenhäuser des Landes hat man die Arbeitsverträge des Krankenpflege- personals gekündigt und durch flexi- ble Zeitverträge ersetzt. Das Ziel:

Personal wird nur noch dann be- zahlt, wenn es gebraucht wird, und das mit maximal 4,50 Euro die Stun- de. Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, dass insbesondere viele Krankenschwestern dem Sys- tem den Rücken kehren, weil sie sich innerhalb der Europäischen Union oder in Brasilien bessere Ar- beitsbedingungen erhoffen. Rezes - sion und Schuldenkrise haben seit 2011 circa 150 000 Portugiesen dazu veranlasst, das Land zu verlassen.

Ähnlich wie in Griechenland hat sich auch in Portugal der Zugang von Patienten zur Arzneimittelver- sorgung verschlechtert. Auch hier ist ein Hauptgrund die schlechte Zahlungsmoral des staatlichen Ge- sundheitsdienstes angesichts leerer Kassen. „Wir stehen vor zwei Phänomenen“, erklärt Matias. Ei- nerseits seien in Portugal zurzeit 16 lebensnotwendige Medikamente nicht erhältlich. Andererseits könn- ten sich Patienten Medikamente, die verfügbar seien, zum Teil we- gen der gestiegenen Zuzahlungen nicht mehr leisten. „Wenn Sie bei einer durchschnittlichen Rente von 300 Euro monatlich 150 Euro im Monat für Arzneimittel ausgeben sollen, müssen Sie sich entschei- den“, sagt Matias.

Ähnlich wie ihr konservativer Kollege Skylakakis kritisiert auch Griechenland

Seit 1983 gibt es in Griechenland einen nationa- len Gesundheitsdienst, der staatlich gesteuert wird. Finanziert wird das System durch Sozialbei- träge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Zu- letzt größer werdende Defizite gleicht der Staat mit Steuermitteln aus. 2010 hat das Land pro Kopf 2 914 US-Dollar für Gesundheitsleistungen aufgewendet und liegt damit unter dem Durch- schnitt der westlichen Industrieländer (3 268 Dol- lar). Zum Vergleich: Deutschland kommt umge- rechnet auf 4 338 Dollar Pro-Kopf-Ausgaben. Nach einem kontinuierlichen Wachstum in den Jahren zuvor sanken die Gesundheitsausgaben in Grie- chenland 2010 um 6,5 Prozent – eine Folge des drastischen Sparkurses angesichts der Schulden- krise. Er umfasste in erster Linie Gehaltskürzun- gen, die Entlassung von medizinischem Personal sowie Preissenkungen bei Medikamenten.

Portugal

Portugal verfügt über ein öffentliches Gesund- heitssystem, das dezentral organisiert ist. Der na- tionale Gesundheitsdienst wird zu 90 Prozent vom Staat über Steuern finanziert. Allerdings sind die örtlichen Gesundheitszentren ungleichmäßig über das Land verteilt. Das Angebot in sozial schwa- chen und ländlichen Regionen ist häufig unzurei- chend. Die Gesundheitsausgaben pro Kopf der Bevölkerung sind mit 2 728 Dollar (2010) niedri-

ger als in Griechenland. Die Steigerungsrate bei den Gesundheitsausgaben, die zwischen 2000 und 2009 bei 2,3 Prozent jährlich lag, ist 2010 auf 0,6 Prozent zurückgegangen. Die Sparvorga- ben infolge der Finanzkrise haben mittlerweile unter anderem zu sinkenden Arzneimittelausga- ben, einer erhöhten Eigenbeteiligung der Patien- ten sowie Einsparungen beim medizinischen Per- sonal geführt.

Italien

Auch Italien erreicht mit Gesundheitsausgaben pro Kopf von 2 964 Dollar Euro nicht den um 300 Dollar höheren Durchschnitt der Industrie- länder. 80 Prozent der Gesundheitsausgaben, die 2010 moderat um 1,5 Prozent gestiegen sind, stammen aus öffentlichen Quellen. Dazu zählen die Einkommensteuer, die Umsatzsteuer und eine Regionalsteuer. Beiträge zur Krankenversiche- rung zahlen nur die Arbeitgeber. Der staatliche Gesundheitsdienst SSN (Servizio sanitario nazio- nale) ist dezentral organisiert. Die Regionalregie- rungen verteilen die Mittel an die lokalen Ge- sundheitsdienste und Krankenhäuser. Sie legen die Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln fest, die von einer geringen Rezeptgebühr bis zur vollstän- digen Kostenübernahme reichen kann. Für Re- gelleistungen in staatlichen Gesundheitszentren müssen Patienten nichts zahlen, wohl aber für Facharztbesuche. Quelle: AOK Bundesverband; OECD

DREI EURO-SORGENLÄNDER IM VERGLEICH

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A 2016 Deutsches Ärzteblatt

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12. Oktober 2012 die Portugiesin die einseitige Poli-

tik der Troika: Sparen, ohne Wachs- tum anzukurbeln. „Unsere Arbeits- losenquote ist in eineinhalb Jahren von sieben auf 20 Prozent gestie- gen“, betont Matias. „Wenn aber niemand Arbeit hat, kann auch nie- mand etwas kaufen. Der Sparkurs verschärft die Krise.“ Erst am 14.

September gingen in Portugal Hun- derttausende auf die Straße, um ge- gen weitere Einschnitte zu protes- tieren. Angesichts der Proteste ist die portugiesische Regierung in- zwischen von Plänen abgerückt, die Sozialabgaben für Arbeitnehmer von elf auf 18 Prozent zu erhöhen und gleichzeitig die Abgaben der Arbeitgeber zu senken, um Be- schäftigungsanreize zu setzen.

Die Troika betreibt längst Gesundheitspolitik

Doch was ist die Alternative? Es gebe Effizienzreserven im Gesund- heitssystem, räumt Matias ein. Um diese zu heben, dürfe man aber nicht nur sparen. Man müsse auch investieren. „Aber staatliche Inves- titionen liegen zurzeit bei null.“

Nach Ansicht der Linken-Politike- rin müssen andere Geldquellen er- schlossen werden, um die Schul- denkrise zu überwinden, beispiels- weise eine Steuer für die großen Vermögen. „Im Moment zahlen

diejenigen für die Krise, die sie nicht verursacht haben.“

Auch aufgrund solcher Schilde- rungen will Dr. med. Peter Liese (CDU), gesundheitspolitischer Spre- cher der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, die Initiative ergreifen und Vertreter der Troika in den Gesundheitsausschuss einladen. Bis- her sind Euro-Rettungsschirm und Fiskalpakt ein Thema der Finanz- politiker und der Regierungschefs.

Liese appelliert an die Gesundheits- politiker in Brüssel: „Wir müssen genauer hinschauen, was die Euro- päische Kommission tut und wel- che Auswirkungen dies auf das Gesundheitswesen hat.“ Schließlich betreibt die Troika, wenn sie Län- dern unter dem Euro-Rettungs- schirm strikte Auflagen bei Arznei- mittelausgaben oder Krankenhaus- kosten macht, nichts anderes als Gesundheitspolitik.

Im Gegensatz zu Griechenland und Portugal musste Italien noch nicht unter den Euro-Rettungs- schirm flüchten. Aber die Krise hat die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone gleichwohl erfasst: Die Wirtschaft Italiens schrumpft, und seit Monaten treibt Experten die Sorge um, dass Rom seine hohen Schulden früher oder später nicht mehr aus eigener Kraft bedienen

könne. Zuletzt aber honorierten die Finanzmärkte den strikten Sparkurs der italienischen Regierung unter dem Wirtschaftsprofessor Mario Monti, der von rechten, linken und Parteien der Mitte gestützt wird.

Müssen die Menschen als Folge der Wirtschaftskrise mit einer Ver- schlechterung der medizinischen Versorgung rechnen? Die Europa- abgeordnete Elisabetta Gardini (56), eine Fraktionskollegin Lieses, die der Partei „Volk der Freiheit“

des Exministerpräsidenten Silvio Berlusconi angehört, ist fast em- pört: „Nein. Wir haben glücklicher- weise keine Verschlechterung der Leistungen. Italien steht im Ver- gleich zu vielen anderen Ländern in der Welt bei der Gesundheitsver- sorgung gut da.“ Aber bleibt das so? Im August hat das Parlament für die Zeit bis Ende 2014 ein dras- tisches Sparprogramm im Umfang von 26 Milliarden Euro beschlos- sen. „Die Kürzung der Gesund- heitsausgaben wird die Anzahl der Krankenhausbetten vermindern und zu einer Teilverlagerung des Ge- sundheitswesens in den privaten Sektor führen“, kündigt Gardini an.

Diese Veränderungen fänden auf lo- kaler Ebene statt. Von dem italieni- schen Gesundheitswesen kann man ohnehin nicht sprechen. Denn für Gesundheit sind die Regionen zu- ständig. Gardini, die sich in Italien als Schauspielerin, Moderatorin und Theaterproduzentin einen Na- men gemacht hat, verweist auf Strukturprobleme in allen Berei- chen des Gesundheitswesens. Mit Reformen habe man deshalb schon 1999 begonnen. Es gehe darum, Verschwendung beispielsweise bei Arzneimitteln zu stoppen. „Auch die Schließung ganz kleiner Kran- kenhäuser ist sinnvoll, stößt aber oft auf Widerstand.“

Das Hauptproblem sieht die Ab- geordnete aus Venetien in dem be- trächtlichen Nord-Süd-Gefälle. Die medizinische Versorgung in ihrer Heimat und anderen nördlichen Re- gionen sei sehr gut. Im Süden sehe es anders aus. „Ziel der Regierung ist es deshalb, die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden zu

verkleinern.“

Heike Korzilius, Heinz Stüwe

Die Wirtschaftskrise hat die Gesundheits - versorgung in Italien nicht verschlechtert und ist deshalb nicht der Grund für Reformen.

Elisabetta Gardini, Europaabgeordnete der Europäischen Volkspartei

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Referenzen

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