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granat apfel 2|2014

KULTUR & GESELLSCHAFT Geschichte

Per Schiff nach Amerika

ed Star Line“ prangt in großen, weißen Buchstaben über dem alten Backstein- gebäude im Norden Antwerpens. Nur einen Steinwurf von der Schelde, dem breiten Zu- bringer-Fluss zur Nordsee, ist in die alten Räumlichkeiten, in denen einst die Passa- giere der dritten Klasse abgefertigt wurden, im Vorjahr neues Leben gezogen. Für viele Hunderttausend Menschen war der schmuck- lose Zweckbau das Tor zur Neuen Welt. Für den Vater des Stepptanz-Königs Fred Astaire ebenso wie für die Vorfahren des Sängers Neil Diamond. Auch Juden, die vor ihren Ver- folgern in Russland oder Nazi-Deutschland flüchteten, waren darunter, wie der Physiker Albert Einstein, der Komponist Irving Berlin oder die Politikerin Golda Meir.

Dreimalige ärztliche Prüfung

Doch die Pforte der Hoffnung stand nicht jedem offen. Jeder zehnte Passagier, so schätzt man, wurde von Antwerpen aus wieder zurückge- schickt. Schließlich durften nur Gesunde an Bord der Passagierdampfer, die jeweils bis zu

4.000 Hoffnungssuchende Richtung Amerika beförderten. Alte Schwarz-Weiß-Filme zeigen Männer in weißen Kitteln, die die Haare der Reisenden nach Flöhen durchkämmen und ihre Augen auf Trachom inspizieren, eine da- mals weit verbreitete Krankheit, die zur Er- blindung führen konnte. Bis zu drei Ärzte nah- men die Passagiere unter die Lupe: einer der Schifffahrtsgesellschaft, einer des belgischen Auswanderungsamtes und einer der amerika- nischen Einwanderungsbehörden, die ab 1926 alle Passagiere schon in den europäischen Hä- fen kontrollierten und Kranken die Einreise verweigerten.

Passagiere der dritten Klasse wurden vor der Einschiffung eine Stunde lang geduscht, ihr Gepäck samt Kleidern gründlich desinfi- ziert. Denn die Angst war groß, Typhus, Cho- lera und andere Krankheiten einzuschleppen.

Schließlich dauerten die ersten Atlantiküber- querungen mehrere Wochen, später immer noch acht bis zehn Tage, auf denen die Dritter- Klasse-Reisenden unten hausten, die besser Zahlenden weiter oben.

Mit den Schiffen der Red Star Line reisten insgesamt zwei Millionen Menschen von Europa nach Amerika. Auswanderer meist, die jenseits des Atlantiks eine neue Heimat suchten. Ihre Reisen dokumentiert ein neues Museum in Antwerpen. Passagierlisten, Briefe, Fotos und alte Filme geben Einblick in die Schicksale der Menschen.

TEXT: GÜNTER SCHENK

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Bilder von links nach rechts:

Dort, wo einst die Passagiere der dritten Klasse abgefertigt wurden, ist nun das Museum untergebracht.

Die Schiffe der Red Star Line brachten von 1872 bis 1939 rund zwei Millionen Menschen von Europa nach Nordamerika.

Die Überfahrt in der ersten Klasse war komfortabel, die in der dritten weniger.

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Fotos: Günter Schenk

Geschichte

Passagierlisten, Tickets und Werbeplakate do- kumentieren die Arbeit der Red Star Line. Die belgisch-amerikanische Schifffahrtslinie fuhr anfangs nach Philadelphia, später vorwiegend nach New York oder Kanada. Der rote Stern auf der Flagge der 1872 gegründeten Reederei wurde zum Namensgeber. Marken zeichen ih- rer Schiffe waren die mit weißen Bändern ge- kennzeichneten schwarzen Schornsteine. Von den Ozeanriesen der Linie ist keiner erhalten.

Geblieben aber sind die Modelle der schönsten Dampfer, die heute im Museum stehen.

Die Passagiere kamen aus ganz Europa.

Vor allem aus Österreich-Ungarn und Russ- land, von wo sie mit dem Zug nach Antwerpen reisten. 1905 bauten die Belgier deshalb einen neuen Bahnhof, der heute als einer der schöns- ten der Welt gilt. Schnell entstand rund um ihn eine Handvoll Hotels, in denen die Reisenden vor ihrer Einschiffung Unterkunft fanden, wie Bilder und Filme im Museum zeigen.

Berührende Schicksale

Auf Ellis Island wurden die Einreisenden noch einmal kontrolliert, zwei von Hundert im Durchschnitt wieder zurückgeschickt – so wie Ita, das jüngste Kind der Familie Chaja Moel, dem die Ärzte wegen eines Augenleidens die Einreise verweigerten. Mutterseelenallein musste die Neunjährige nach Europa zurück- kehren, wo sich eine jüdische Hilfs organisation um das Mädchen kümmerte. Ein Jahr später er- klärten sie die Belgier für gesund und das Kind fuhr mit der Red Star Line nochmals nach New York. Doch wieder schickten sie die Amerika- ner zurück. Erst vier Jahre später durfte sie endlich zu Vater, Mutter und Geschwistern.

Es sind Schicksale wie dieses, die die Qua- lität des Museums ausmachen. Eine von vie-

len Geschichten, welche die Organisatoren der Ausstellung in jahrelanger Arbeit zusam- mengetragen haben. 2.000 Interviews mit Reisenden oder ihren Nachfahren haben sie geführt.

So wissen wir heute auch, wie es an Bord einst zuging. In 24-Betten-Räumen waren die Passagiere der dritten Klasse auf Stroh säcken zusammengepfercht. Zweieinhalb Kilo Kar- toffeln, 500 Gramm Speck und zwei Herin- ge gehörten zu ihrer Wochenration. Zwei- Bett-Kabinen gab es nur in der ersten Klasse, wo auch die Mahlzeiten üppiger ausfielen.

Kinder mädchen passten auf die Jüngsten auf, während sich die Eltern in Gymnastikräumen oder Schwimmbädern vergnügten.

Fast am Ende der Ausstellung steht ein Klavier, eine Leihgabe der Nachfahren Irving Berlins, der unter seinem Namen Israel Isidore Baline Anfang der 1890er-Jahre als Fünfjähriger mit seiner Familie aus Weiß- russland nach New York auswanderte. Als singender Kellner verdiente er sein erstes Geld, mit dem Schlager „Alexander’s Rag- time Band“ erlangte er Weltruhm. Obwohl er weder Noten lesen noch richtig Klavier spielen konnte, schrieb er Musikgeschichte.

Lieder wie „White Christmas“ oder „There’s no business like showbusiness“ entstammten seiner Feder ebenso wie das Musical „Annie get your gun“. Vor allem aber schrieb er Ame- rikas inoffizielle Nationalhymne „God Bless America“. Der Bestseller eines Auswanderer- kindes, der auf jenem Klavier erstmals ertönt sein soll, das jetzt in Antwerpen steht.

«

Die Pforte der Hoffnung stand nicht jedem offen.

Jeder zehnte Passagier, so schätzt man, wurde wieder

zurück- geschickt.

Abschied von Europa – die

„Königstein“ legt in Antwerpen ab.

INFOS IM INTERNET www.redstarline.be (in Belgisch und Englisch)

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