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Das Präadverb als neue Wortart des Deutschen

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Das Präadverb als neue Wortart des Deutschen

Plädoyer für seine grammatische Etablierung am Beispiel einer syntaktischen Studie über bis

In traditional grammars, words are grouped into word classes according to various criteria.

Some words with idiosyncratic properties, however, are difficult to categorize, for example the lexeme bis. Its description in the grammars of German is inconsistent and mostly inaccurate.

This lexeme behaves morphologically and semantically like a preposition, but syntactically it shows a different behavior. Since the syntactic properties of bis also characterize other lexemes, such as ab, seit and von, it seems justified to group them together into a new word class, called the pre-adverb, which is not included among the canonical word classes of German.

Through the detailed description of the selected lexemes as pre-adverbs, this article contributes to the descriptive grammar of German.

Keywords: word class classification ‒ Einzelgänger ‒ preposition ‒ pre-adverb ‒ adverbial complement

Einleitung

Den Untersuchungsgegenstand des vorliegenden Beitrags bildet das Le- xem bis, dessen Darstellung in den Grammatiken des Deutschen unein- heitlich und meist ungenau ist. Bis wird von der Grammatikschreibung des Deutschen meistens in dem Kapitel behandelt, das der Wortart Prä- position gewidmet ist. Bis wird aber als untypische Präposition bezeichnet.

Dieser Artikel will einen Beitrag leisten, um die Beschreibung der syntak- tischen Eigenschaften von bis zu verbessern.

Das Lexem bis wird in dieser Arbeit als grammatischer Einzelgänger im Sinne von Pasch et al. (2003: 584-674) betrachtet. Dieses Darstel- lungsverfahren ist keine für die traditionelle Grammatikschreibung typi- sche Vorgehensweise. Traditionell wird das lexikalische Inventar einer

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Sprache nach morphologischen, syntaktischen und/oder semantischen Kriterien in Wortklassen eingeteilt (vgl. Vogel 1996: 99-100). Die Be- schreibung von Wörtern als Einzelgänger ist typischer für die Lexiko- logie, die als der Ort der Idiosynkrasie im Sprachsystem gilt (vgl. Weber 2010; Engelberg et al. 2011).

Das syntaktische Verhalten von bis als Einzelgänger wird an Hand von Korpusdaten des Gegenwartsdeutschen untersucht. Zur korpusge- stützten Beschreibung werden ausgewählte syntaktische Kriterien heran- gezogen.

Das Lexem bis wird in diesem Artikel nicht isoliert behandelt: Die aus der Einzelgänger-Perspektive festgestellten Eigenschaften von bis cha- rakterisieren auch andere Wörter, die sich syntaktisch ähnlich verhalten.

Die Gemeinsamkeiten dieser Wörter untereinander sind so ausgeprägt, dass es nach dem Verallgemeinerungskriterium, das für die traditionelle Wortartenlehre typisch ist, gerechtfertigt erscheint, sie zu einer neuen Wortklasse zusammenzufassen. Diese neue Wortklasse kann als Prä- adverb bezeichnet werden.

Der vorliegende Beitrag setzt sich aus sieben Abschnitten zusammen.

Abschnitt 1 führt in die Untersuchungsthematik ein. Dabei wird das Darstellungsverfahren der traditionellen Wortartenlehre thematisiert. Im Gegensatz dazu wird die Einzelgänger-Perspektive als alternatives Be- schreibungsverfahren vorgestellt. In Abschnitt 2 wird ein Überblick über die traditionelle Darstellung von bis in der Grammatikliteratur gegeben.

Im dritten Abschnitt werden die Datengrundlage und die Untersu- chungsmethode erklärt. Abschnitt 4 ist der korpusgestützten Untersu- chung von bis gewidmet. In Abschnitt 5 werden die syntaktischen Eigen- schaften von bis als Präadverb präsentiert. In Abschnitt 6 wird die Unter- suchung auch auf einige weitere Lexeme, etwa ab, seit und von, ausge- dehnt, die sich genauso wie bis verhalten. Im Anschluss daran werden in Abschnitt 7 die Schlussbemerkungen formuliert.

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Allgemeines und Idiosynkratisches in der Grammatik:

Kategorien und Einzelgänger

Das lexikalische Inventar einer Sprache besteht aus Wörtern, die auf Grund gemeinsamer grammatischer Eigenschaften zu Wortklassen (auch Wortarten) zusammengefasst werden können. Daneben gibt es Wörter, die sich nicht gut in Wortklassen einordnen lassen, weil sie grammatische Eigenschaften haben, die nur bei ihnen selbst und allenfalls bei wenigen anderen Wörtern vorkommen. Die traditionelle Wortartenlehre teilt die Wörter einer Sprache durch wenige Kriterien in wenige Klassen ein, die bestimmte Eigenschaften miteinander gemeinsam haben1.

Zur Wortartklassifikation werden morphologische, syntaktische und semantische Kriterien genutzt, häufig kombiniert in der Form von Misch- klassifikationen (Glinz 1968; Ehlich 2007: 51-53). Die Wortartenliteratur geht im Allgemeinen dazu über, Wortarten im Sinne der Prototypentheo- rie2 zu sehen (Fuhrhop 2007: 7-8). Wortarten lassen sich in Anlehnung an Prototypen beschreiben bzw. etablieren; der Prototyp ist der beste Vertre- ter einer bestimmten Wortart, weil er in sich die größte Anzahl wortarten- spezifischer Eigenschaften vereint, d.h. Eigenschaften, die nur für eine Wortart relevant sind. Diese Eigenschaftsbündelung unterscheidet proto- typische von peripheren Vertretern, die nicht über eine entsprechende

1 Die Klassifizierung von Wörtern nach Wortarten hat eine lange Tradition. Platon hatte im Dialog Kratylos (5./4. Jh. v. Chr.) die Begriffe Onoma (ʻNameʼ) und Rhema (ʻAussageʼ) sowohl auf die Satzfunktionen von Subjekt und Prädikat als auch auf die morphologischen Klassen Substantiv und Verb bezogen (Licciardi 1989: 23; Buß- mann 1990: 850-851). Diesen beiden Wortarten fügte Aristoteles eine dritte Gruppe, die der Undeklinierbaren, hinzu. Die heute verbreitetste Wortarteneinteilung geht auf die griechischen Grammatiken von Dionysios Thrax (2./1. Jh. v. Chr.) und Apollo- nios Dyskolos (2. Jh. n. Chr.) zurück (ebd.; Dürscheid 2007: 31; Ehlich 2007: 51-94).

Dort werden acht Wortarten unterschieden: Substantiv, Verb, Adjektiv, Artikel, Pronomen, Präposition, Adverb und Konjunktion.

2 Der Ursprung der Prototypentheorie liegt in der experimentellen Kognitiven Psycho- logie von Eleonor Rosch, die auf anthropologisch orientierte Untersuchungen zur Farbwahrnehmung und -benennung aufbaute (vgl. Spieß 2011: 138).

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(qualitative und quantitative) Bündelung von Eigenschaften verfügen (Spieß 2011: 138-140). Daraus ergibt sich, dass nicht jeder Vertreter der Wortart alle die zur Wortart gehörenden definitorischen Wortarteigen- schaften aufweisen muss. Beispielsweise werden der Wortart Adjektiv Wörter zugeordnet, die in drei syntaktischen Funktionen vorkommen: at- tributiv (der schnelle Flitzer), prädikativ (der Flitzer ist schnell) und adverbial (Hans flitzt schnell). Daneben werden auch Einheiten als Adjektive katego- risiert, die nicht alle drei Funktionen erfüllen können. So sind z.B. hiesig und dortig nur attributiv verwendbar. Die Deklinierbarkeit kennzeichnet sie dennoch recht klar als Adjektive. Ganz an der Peripherie der Klasse stehen Einheiten wie quitt oder abhold, die nur prädikativ verwendet und nicht flektiert werden können (vgl. grammis 2.0, Stichwort Probleme bei der Wort- artklassifikation. Letzter Zugriff 02.06.2020). Manche Wörter müssen meh- reren Wortarten zugeordnet werden, etwa das Wort laut, das als Substantiv (der Laut), Adjektiv (es ist zu laut) oder Präposition (laut Vorschrift) auf- treten kann (vgl. Bußmann 1990: 851).

In diesem Aufsatz will der Autor einen anderen Weg nehmen und solchen Wörtern, die sich auf Grund idiosynkratischer Eigenschaften an die Peripherie einer Wortklasse setzen oder einer klaren Wortartzuord- nung entziehen, den syntaktischen Status des Einzelgängers zuschreiben (Pasch et al. 2003: 584-674). Für traditionelle Grammatiken ist die Be- schreibung von Einzelgängern untypisch. Das Einzelgänger-Verfahren ist typisch für die Lexikologie, in der idiosynkratische Eigenschaften und idiosynkratisches Wissen ihren Platz haben (vgl. Weber 2010; Engelberg et al. 2011: 51-53). Nach Engelberg et al. (2011: 1) lässt sich sprachliches Wissen so abbilden, dass auf der einen Seite die Grammatik steht, die das regelhafte Wissen enthält, auf der anderen Seite das Lexikon, das idio- synkratisches Wissen zusammenfasst. Die Grammatik steht für ein Top- down-Vorgehen, weil sie einzelne Ausdrücke oder Phänomene allgemein formulierten Regeln und Prinzipien unterordnet. Das Lexikon steht für ein Bottom-up-Vorgehen, das von den idiosynkratischen Eigenschaften einzelner Wörter ausgeht. Das Einzelgänger-Verfahren ermöglicht es, die Eigenschaften von Wörtern wie bis wesentlich genauer zu erfassen als

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das Top-down-Verfahren der traditionellen Wortartenlehre. In diesem Beitrag wird daher auf der Grundlage von Korpusdaten das grammati- sche Verhalten von bis zunächst im Detail beschrieben und erst dann die Frage gestellt, ob eine Wortartzuordnung möglich ist.

Darstellung von bis in der Grammatikliteratur

In den Grammatiken wird bis zwei Wortarten zugeordnet (vgl. Di Meola 2000: 56; Duden 2016b: 169-171):

▪ Präposition (mit Akkusativ): 1. gibt die Beendigung eines Zeitab- schnitts (bis heute, Freitag, Oktober) an; 2. gibt das Erreichen eines End- punktes an (bis hierher und nicht weiter, bis München fliegen)

▪ Konjunktion: gibt die zeitliche Grenze an, an der ein Vorgang endet (Sollen wir noch warten, bis wir Wurzeln schlagen?)

Die Grammatiken und Wörterbücher des Gegenwartsdeutschen (z.B.

Klappenbach/Steinitz Bd. 1 1978, Weinrich 1993, Zifonun et al. 1997, Duden 2016a; Eisenberg 2006, Helbig/Buscha 2007, Engel 2009 und Wahrig/Wahrig-Burfeind 2011) verhalten sich gegenüber bis ratlos. Wah- rig/Wahrig-Burfeind (2011: 278) klassifizieren es als Präposition, gehen aber nicht auf seine Kasusforderung ein. Es werden Beispiele angeführt wie von Berlin bis München, von morgens bis abends, bis gegen Mitternacht, aus denen der Präpositionsstatus von bis nicht eindeutig ersichtlich ist. Von Präpositionen wird erwartet, dass sie durch Nominalgruppen in einem bestimmten Kasus ergänzt werden. In den Beispielen wird bis durch den Ortsnamen München, das Adverb abends und die Präpositionalphrase gegen Mitternacht ergänzt. Nur im ersten Fall, in dem allerdings keine Kasus- forderung erkennbar ist, kann es als Präposition betrachtet werden. Auch das Duden-Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle (2016b: 169) stützt sich auf Beispiele wie bis Berlin und beschreibt bis als Präposition mit dem Akkusativ. Ohne Artikel ist die Akkusativrektion aber nicht er- kennbar. Fügt man dem Ortsnamen ein Adjektivattribut und einen Arti- kel hinzu, so zeigt sich, dass bis nicht durch den Akkusativ ergänzt wer- den kann:

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(1) *Wir fuhren bis das schöne Berlin.3 (2) *Wir fuhren bis den Schweizer Bahnhof.

Beispiele wie bis Weihnachten / bis Ostern zeigen ebenfalls keine Kasusrek- tion. Auch Zifonun et al. (1997: 2078) stellen fest, dass bis generell keine Kasusforderung erkennen lässt. Dasselbe schreiben Weinrich (1993) und Engel (2009). Weinrich bezeichnet bis deshalb als ‚Halb-Präposition‘

(1993: 692), Engel klassifiziert es unverbindlich als ‚Partikel‘ (2009: 702).

Di Meola (2009: 211) rechnet bis den Präpositionen zu, die den Akkusa- tiv regieren. Er gibt aber keine Beispiele. Di Meola fügt hinzu, dass (normabweichende) Genitiv- und Dativbelege für bis im Internet zu fin- den sind, z.B. bis des nächsten Jahrzehnts und bis einem Kilogramm (2009: 212).

In bis des nächsten Jahrzehnts könnte man vermuten, dass bis den Genitiv regiert. Der Kasus Genitiv muss nicht unbedingt von bis gefordert sein.

Es könnte auch der adverbiale Genitiv der zeitlichen Situierung vorlie- gen, der noch in der Gegenwartssprache in Ausdrücken wie eines Tages er- halten ist. In bis einem Kilogramm steht die auf bis folgende Nominalgruppe im Dativ. Hierzu ist zu bemerken, dass bis in der mittelhochdeutschen Zeit als Verschmelzung aus den Präpositionen bi (nhd. bei) und ze (nhd.

zu) entstand (Frings/Schieb 1954: 431-432). Dativrektion könnte im obi- gen Beispiel eventuell auf die ursprüngliche Form biz zurückgehen, wie sie in Belegen aus dem Mittelhochdeutschen zu finden ist: biz der naehsten mitichen (König Rother zit. nach Frings/Schieb 1954: 450). Die Datenbasis für die These der Genitiv- bzw. Dativrektion durch bis ist in jedem Fall schwach und inkonsistent.

Von den meisten Autoren wird darauf hingewiesen, dass bis häufig vor Präpositionen steht: bis ins Grab, bis zum Sonntag, bis an das Ende der Welt (vgl. Weinrich 1993: 692; Zifonun et al. 1997: 2078; Duden 2016a:

626). Die Nominalgruppe, die die auf bis folgende Präposition ergänzt,

3 * markiert ungrammatische Ausdrücke bzw. Sätze.

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wird hinsichtlich ihres Kasus von dieser Präposition, nicht von bis, re- giert.

Die Dudengrammatik (2016a: 626) bezeichnet bis als ‚Grenzgänger‘

zwischen Präposition, Konjunktion und Gradpartikel. Bis übe keinen Einfluss auf den Kasus der folgenden Nominalgruppe aus, wenn es zwi- schen zwei ‚Größen‘ stehe (ebd.):

(3) Sie rechnet mit drei bis fünf Gästen.

Mit ‚Größen‘ sind hier offenbar Zahlwörter gemeint. Bis verbindet die Numeralia drei und fünf. Das Substantiv Gästen in (3) ist nicht von bis ab- hängig. Es steht im Dativ und wird von der Präposition mit regiert.

An Hand des folgenden Beispielpaars (Duden 2016a: 621) wollen die Autoren zeigen, dass bis den Akkusativ regiere:

(4) Kinder bis zu drei Jahren.

(5) Kinder bis drei Jahre.

In (4) folgt auf die Präposition zu der Dativ. Wird zu jedoch wie in (5) weggelassen, so zeigt sich nach Meinung der Dudenautoren die Akku- sativrektion von bis. Um diese These zu prüfen, habe ich die Distribution von Nominalgruppen wie Kinder bis drei Jahre mit Hilfe der Internet-Such- maschine Google untersucht. Solche Nominalgruppen kommen bevorzugt als Subjekte, Akkusativobjekte oder als Ergänzungen von Präpositionen mit Akkusativrektion wie in für Kinder bis drei Jahre vor. In allen diesen Fällen ist das Kernsubstantiv Kinder als Nominativ bzw. Akkusativ zu deuten. Jahre kann entweder als Akkusativ oder ebenfalls als Nominativ gedeutet werden. Eine Akkusativrektion von bis wird durch solche Bei- spiele nicht nachgewiesen. Es könnte ebenso gut Kasuskongruenz zwi- schen Kinder und Jahre vorliegen. Diese Vermutung wird dadurch ge- stützt, dass in Dativumgebungen wie nach der Präposition mit das Sub- stantiv Jahre sehr häufig ebenfalls im Dativ erscheint: mit Kindern bis drei Jahren. Häufiger ist allerdings mit Kindern bis drei Jahre. Auch dadurch ist die Akkusativrektion von bis aber noch nicht nachgewiesen. Ebenso gut könnte es sich dann bei Jahre wiederum um den Nominativ handeln (als

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unmarkierten, nicht regierten Kasus). Solange die Akkusativrektion von bis nicht durch unwiderlegbare Evidenzen nachgewiesen ist, wäre dies die zu bevorzugende sparsamere Annahme (Malloggi 2016: 27-29).

Die Grammatiken stellen auch fest, dass bis häufig durch Adverbien bzw. Adverbphrasen ergänzt wird: ich habe bis vorhin auf ihn gewartet; die S-Bahnen fahren gar nicht bis sehr viel später (vgl. Zifonun et al. 1997: 2078;

Helbig/Buscha 2007: 405). Solche Beispiele sprechen dagegen, bis als Präposition zu deuten.

Präpositionsähnlicher erscheint bis in Fällen wie bis nächsten Freitag (Engel 2009: 702), in denen es durch eine Nominalgruppe im Akkusativ ergänzt ist. Regionalsprachlich (z.B. westfälisch) finden sich Ausdrücke wie bis die Tage (= bis zum nächsten Mal) (vgl. Zifonun et al. 1997: 2078).

Ludwig/Holschuh (1990: 148), Blühdorn (2008: 301) und Ickler (2013) haben vorgeschlagen, den Akkusativ in solchen Beispielen nicht auf bis zurückzuführen, sondern als adverbialen Kasus (Akkusativ der zeitlichen Situierung) zu deuten. Nächsten Freitag, diesen Sommer, die Tage (wir erledigen es die Tage ‚wir erledigen es in den nächsten Tagen‘) und ähnliche Nomi- nalgruppen im Akkusativ kommen auch ohne bis als Akkusative der zeit- lichen Situierung vor. Diese Beobachtung, die darauf hindeutet, dass bis niemals Kasusrektion ausübt, wird von den Grammatiken zu wenig ge- würdigt.

Datengrundlage und Untersuchungsmethode

Als Datenbasis der Untersuchung dient eine Sammlung von Textaus- schnitten aus der Korpusdatenbank DeReKo (Deutsches Referenzkorpus) des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim. Die Ausschnitte stammen in der Hauptsache aus Zeitungstexten. Hinzu kommen literarische, wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Texte. Hinzugenommen werden auch Internet-Belege aus dem deutschsprachigen Raum, die über allgemein zugängliche Suchwerkzeuge (z.B. Google) erschlossen werden (Suchanfragen: September 2019-Juni 2020). Hierdurch kann die Band- breite der erfassten bis-Verwendungsweisen erweitert werden.

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Die Korpusdaten werden nach zwei Kriterien ausgewertet:

(i) Syntaktische Kategorie der Ergänzung von bis

Dabei wird festgestellt, ob bis durch eine Nominalgruppe mit Artikel ergänzt wird;

(ii) Einfluss auf die Kasusrektion der Ergänzung durch bis

Dabei wird festgestellt, ob bis Kasusrektion im Hinblick auf seine Ergänzung ausübt.

Die in (i) und (ii) angegebenen Kriterien dienen insbesondere der Cha- rakterisierung der Wortklasse Präposition: ‚Präpositionen können immer eine Nominalphrase bei sich haben, deren Kasus durch die Valenz der Präposition festgelegt wird‘ (Lindqvist 1994: 10).

Um Platz zu sparen, wird die Herkunft der Belege nicht einzeln do- kumentiert, da dies ihre Aussagekraft meines Erachtens nicht erhöhen würde. Um die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu lenken, habe ich manche Belege behutsam gekürzt, aber stets ohne diejenigen grammati- schen Eigenschaften anzutasten, die zur Diskussion stehen.

Korpusuntersuchung bzw. -auswertung

Die Untersuchung des syntaktischen Verhaltens von bis hat sich der zwei folgenden Kriterien bedient:

(i) Ergänzung durch eine Nominalgruppe mit Artikel (ii) Einfluss auf die Kasusrektion der Ergänzung

Im Korpus kommt bis in drei Situationen vor: In Verbindung mit einer Präposition, die selbst den Kasus regiert (Dativ oder Akkusativ), vor Zeitausdrücken, die im Akkusativ stehen bzw. vor Ausdrücken, in denen kein Kasus erkennbar ist. Die Kasusrektion von bis (Kriterium ii) wurde in 666 Korpusbelegen eingehender untersucht, weil bis in diesen Belegen durch ein Nomen bzw. eine Nominalgruppe ergänzt wird. Daraus haben sich die folgenden zwei Fälle ergeben: Keine Kasusmarkierung ist er- kennbar, wenn bis durch ein artikelloses Nomen ergänzt wird, so etwa bis Montag (557 Korpusvorkommen). Kasusmarkierung liegt hingegen vor,

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wenn bis durch eine artikellose Nominalgruppe ergänzt wird, z.B. bis nächsten Freitag (109 Korpusvorkommen). Die artikellosen Nominalgrup- pen, durch die bis ergänzt wird, stehen immer im Akkusativ. Dies könnte zum Schluss führen, dass bis den Kasus Akkusativ regiert. Gegen eine mögliche Kasusrektion von bis sprechen fünf Thesen, die im Folgenden vorgestellt und begründet werden:

(a) Der Akkusativ, den man nach bis gelegentlich findet, liegt ausschließ- lich bei Zeitangaben vor, die syntaktisch als Nominalgruppen ohne Artikel auftreten und im adverbialen Akkusativ stehen, z.B. bis nächsten Montag. Die Nominalgruppen, durch die bis ergänzt wird, gehören zum Adverbial und ihre Form ist von bis unabhängig: bis wann? (= bis + nächsten Montag). In bis nächsten Montag erweitert bis das syntaktische Adverbiale nächsten Montag. Adverbiale Nominalgruppen erhalten ihren morphologischen Kasus (hier: Akkusativ) nicht von bis als syntakti- schem Regens, sondern auf Grund semantischer Regularitäten. So zeigt der Akkusativ in bis nächsten Montag temporale Situierung an. Bei derartigen Zeitbestimmungen kann bis von der Präposition zu begleitet werden, die dann den Kasus (Dativ) der folgenden Nominalgruppe regiert, z.B. bis zum nächsten Montag.

(b) Gegen die Akkusativrektion von bis spricht auch die Tatsache, dass der adverbiale Akkusativ in Substandard-Varietäten auch nach Präpo- sitionen vorkommt, die eindeutig den Dativ regieren: seit letzten Frei- tag / ab nächsten Freitag ebenso wie seit letztem / ab nächstem Freitag. Wir werden in Abschnitt 6 sehen, dass auch seit und ab durch Nominal- gruppen im semantisch selegierten temporalen Akkusativ ergänzt wer- den (vgl. u.a. Blühdorn 2008; Engel 2009; Duden 2016a, 2016b).

(c) Der Akkusativ kann bei bis nicht vorliegen, wenn seine Ergänzung eine Nominalgruppe ist, die auf einen Ort hinweist: *bis den Fluss / *bis den Bahnhof / *bis den schönen Libanon. Bis kann aber durch artikellose Ortsnamen ergänzt werden, wobei es weiterhin keine Kasusmarkie- rung aufweist, z.B. Wir gelangten bis Köln / Wir fahren bis Leipzig. In sol- chen Fällen kommt bis meistens zusammen mit der Präposition nach

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vor: Wir gelangten bis nach Köln / Wir fahren heute noch bis nach Leipzig. Bis ist in diesen räumlichen Gebrauchsweisen auch weglassbar: Wir gelang- ten Ø4 nach Köln / Wir fahren heute noch Ø nach Leipzig (vgl. Hentschel/

Weydt 1990: 256). Bis verweist auf ein Intervall, dessen Endgrenze durch seine syntaktische Ergänzung nach Köln / nach Leipzig signalisiert wird. Die Präposition nach zeigt eine Bewegung an, deren Zielpunkt durch ihre syntaktische Ergänzung beschrieben wird. Die Bedeutung von bis nach Köln bzw. bis nach Leipzig kann durch die Paraphrase ‚in einem (räumlichen) Intervall mit der Endgrenze ‚Köln/Leipzig‘ wie- dergegeben werden (vgl. Schröder 1986: 94; Leys 1989: 107).

(d) Bei den im Korpus selten vorkommenden Appositionen mit Ortsna- men lässt sich eine Kasusrektion erzwingen, wobei der Dativ beson- ders vorgezogen wird: bis München, dem Zentrum Oberbayerns / bis Land- quart, einer kleinen Alpenstation. Duden (2016b: 170) erklärt die Dativ- Appositionen gewissermaßen als Ellipse: ‚Das einfache bis wird hier so verwendet, als stünde bis zu oder bis nach‘. Ich plädiere auch für diese These, die sich vor allem im Falle von bis zu durch die etymologischen Wurzeln des Wortes bis deutlich erklären lässt. Bis entstand in der mit- telhochdeutschen Zeit als Verschmelzung aus den Präpositionen bi (nhd. bei) und ze (nhd. zu) (vgl. Frings/Schieb 1954: 431-432; Kluge 2011: 126).

(e) Ein weiteres Argument dafür, dass bis ebenfalls Kasusrektion bestrei- tet, verweist auf Fälle, in denen bis sich mit einer Präposition verbin- det, z.B. Wasser an den Knien vs. Wasser bis an die Knie, Füße unter dem Tisch vs. Füße bis unter den Tisch. In Wasser an den Knien und Füße unter dem Tisch steht die Nominalgruppe im Dativ (den Knien / dem Tisch); in Wasser bis an die Knie und Füße bis unter den Tisch hingegen im Akkusativ (die Knie / den Tisch). In all diesen Beispielen besteht ein direkter Zu- sammenhang zwischen Semantik und Kasus; hierzu spricht man von semantischer Kasuszuweisung (Blühdorn 2008: 304). Der Akkusativ

4 Ø: Nichtrealisierung von bis.

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wird von den Präpositionen an und unter regiert, und nicht von bis. Der Akkusativ ist hier durch die Richtung bedingt, die bis semantisch an- zeigt.

Aus den in (a) bis (e) vorgebrachten Argumenten schlussfolgere ich, dass bis nicht durch eine Nominalgruppe mit Artikel ergänzbar ist und seiner Ergänzung keinen Kasus zuweist. Als Nächstes prüfe ich, in welcher Funktion die syntaktischen Kategorien stehen, durch die bis im Korpus ergänzt wird.

Bis als Präadverb

Die Korpusauswertung hat ergeben, dass etwa 80% der syntaktischen Kategorien, die bis im Korpus erweitern, syntaktische Adverbialia sind.

Dies trifft auf die Ergänzung zu bis durch Präpositionalphrasen, Adver- bien bzw. Adverbphrasen und Verbletztsätze zu. Dasselbe gilt aber auch für den größten Anteil der Nominalergänzungen zu bis, der aus seman- tisch definierten Subklassen besteht. In derartigen Fällen weist bis seiner Ergänzung keinen Kasus zu. Das idiosynkratische syntaktische Verhalten von bis lässt sich durch die grammatische Bezeichnung als Präadverb, die ich mit Blühdorn (2008: 302) teile, deutlich erfassen. Die syntaktischen Eigenschaften eines Präadverbs können folgendermaßen definiert wer- den: Präadverbien stehen im prototypischen Fall vor Adverbien bzw. vor adverb-äquivalenten syntaktischen Kategorien. Präadverbien üben dabei keinen Einfluss auf die Kasusform ihrer Ergänzung aus.

An dieser Stelle möchte ich durch die Tabelle 1 zeigen bzw. argumen- tieren, dass die Nomina, durch die bis im Korpus ergänzt wird, die Funk- tion als syntaktische Adverbialia einnehmen. Mit Grau markiert sind die Nomina, die keine syntaktischen Adverbialia sind. Mit Hellgrau markiert sind die Nomensubklassen, die es hingegen sind:

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Tabelle 1: Art der Nominalergänzung zu bis

Die Einteilung der Nominalergänzung zu bis in Eigennamen und Appellativa ermöglicht einen besseren Überblick über die breite Palette von Nomina, durch die bis im Korpus ergänzt wird. Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass die Eigennamen und die Appellativa den größten Anteil der Nominalergänzungen zu bis (96%) haben. Dies zeigen die folgenden Nomina sehr deutlich:

(6a) Jahreszahlen

Pro Jahr fließt nun – bis 2006 garantiert – ein Förderstrom von 5,8 Mrd. $.

Die Jahreszahl 2006 (6a), durch die bis ergänzt wird, kann durch das Adverb jetzt ersetzt werden, so etwa Pro Jahr fließt nun – bis jetzt garantiert – ein Förderstrom von 5,8 Mrd. S. Dasselbe gilt für die Ergänzung zu bis durch ein Zeitnomen (6b), eine Kalendereinheitsbezeichnung (6c) und einen Personennamen (6d).

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(6b) Zeitnomen

Ich sage ja nichts, wenn man bis Mitternacht aus bleibt.

(6c) Kalendereinheitsbezeichnung

Der jährliche Niederschlag beträgt etwa 1527mm, wobei der meiste Regen von Juni bis Oktober durch den Südwest-Monsun beschert wird.

(6d) Personenname

Der edle Wettstreit – von Biber bis Bach.

In den Beispielsätzen (6b)-(6d) kann die Nominalergänzung zu bis durch ein Adverb wie jetzt in (6b)-(6c), dahin in (6d) ersetzt werden. Auch artikellose Ortsnamen als syntaktische Adverbialia können bis erweitern, wie in Die Auswirkungen der Kettenreaktion reichten bis Deutschland. Der Orts- name Deutschland, der bis erweitert, ist durch das Adverb hierher ersetzbar:

Die Auswirkungen der Kettenreaktion reichten bis hierher. Bis kann auch durch ein Zahlnomen ergänzt werden: Ich zähle bis drei. Das Zahlwort drei lässt sich als die obere Grenze eines numerischen Intervalls, dem eine räumli- che Interpretation der Zahlen zugrunde liegt (z.B. auf einem Blatt Papier angeordnete Zahlenreihe), durch das Adverb hierhin ersetzen, so etwa: Ich zähle bis hierhin (3 und nicht weiter). Die Nomina, durch die bis ergänzt wird und die keine syntaktischen Adverbialia sind, werden der Nomen- subklasse sonstiges Appellativum (1%) zugerechnet. Solche Substantive sind nicht durch Adverbien ersetzbar:

(7) sonstiges Appellativum

Und noch dazu werden sie mit schwankenden Umweltbedingungen von Dürre bis Überflutung zu kämpfen haben.

[…], und neben sich zwei Einkaufstaschen, die Toni Ruh mit allem hat füllen lassen, um es dort mit Profit loszuschlagen, von Butter bis Häkeldeckchen.

[…] sind verschiedene Tochterunternehmen gegründet worden, die von der Ver- mögensverwaltung und dem Wertpapierhandel bis zum Leasing Produkte anbie- ten.

Die syntaktische Funktion, die die verschiedenartigen syntaktischen Ka- tegorien nach bis erfüllen, bestätigt weiterhin das syntaktische Verhalten von bis als Präadverb.

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Verallgemeinerung des Einzelgänger-Verfahrens

Die Darstellung als Einzelgänger wirft das Problem hinsichtlich einer Ver- allgemeinerung der festgestellten Eigenschaften auf, die auch andere Lexeme betreffen können. Das Präadverb kommt unter den kanonischen Wortarten, auf deren Grundlage traditionelle Grammatiken aufgebaut sind, nicht vor (vgl. etwa Duden 2016a). Damit der Gebrauch dieser Wortart zur Klassifi- kation des Wortbestands einer Sprache gerechtfertigt wird, wird das Unter- suchungsfeld auch auf andere Lexeme ausgedehnt. Potenzielle Kandidaten sind die Lexeme ab, seit und von, die neben der Verwendungsweise als Präpositionen mit dem Dativ (Weinrich 1993: 659/671/691; Di Meola 2009:

211; Hoffmann 2013: 367; Duden 2016a: 619, 622), wie etwa in ab allen deut- schen Flughäfen, seit letzter Woche, vom Bahnhof, morphologische, syntaktische und semantische Gemeinsamkeiten mit bis aufwiesen.

Ab, seit und von5 sind wie bis unflektierbare Ausdrücke (Morphologie).

Sie teilen mit bis auch syntaktische Eigenschaften, weil sie auf vollständige Adverbialia, also auf Adverbien (8a)-(8e), Präpositionalphrasen (9a/c) und artikellose Nominalgruppen (10a/c), angewendet werden können6 (vgl.

Zifonun et al. 1997: 2078; Blühdorn 2008: 302; Gallmann 2015: 13-15), so etwa:

Adverbien

(8a) Dieser Salon ist ab jetzt meine Stube.

(8b) Ab dort werden diejenigen Fahrten, […], über die Westfalenstraße direkt zum Busbahnhof geführt.

(8c) Ich bin seit heute wieder im Büro.

5 Von war im Gotischen (= af), im Altniederdeutschen (= fan, fon) und Angel- sächsischen keine Präposition. Das Lexem von wird beispielsweise in der gotischen (af hinauf) bzw. altniederdeutschen Zeit (fan dannen, fan foran, fan wannen) hauptsächlich durch Adverbien ergänzt (Priese 1899: 39).

6 Die in diesem Abschnitt gesammelten Beispielsätze stammen aus der gängigen Grammatikliteratur, ergänzt durch Internet-Belege aus dem deutschsprachigen Raum (Suchanfragen: September 2019-Mai 2020).

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(8d) Mögliche Fusionen öffentlicher Körperschaften sollen nicht von oben verordnet werden, […].

(8e) Die Studie erklärt die Glättung von heute bis ins Jahr 2010 mit zwei Punkten.

Die Ergänzung durch Adverbien ist auch bei weiteren Präpositionen möglich, aber längst nicht bei allen, bei denen das aus semantischer Sicht denkbar wäre, wie in Dieses Geräusch stammt aus dem Innern des Geräts >

Dieses Geräusch stammt *aus innen.

Präpositionalphrasen

(9a) Ab in die Natur!7 (9b) Seit nach dem Krieg.

(9c) Von unmittelbar vor dem Haus.

Die Lexeme ab, seit, von fungieren in (9a) bis (9c) als syntaktische Köpfe, die die Präpositionalphrase in die Natur (9a), nach dem Krieg (9b) und vor dem Haus (9c) als ihr Komplement fordern. Dabei regieren aber nur die inneren Präpositionen in, nach, vor den Kasus der Nominalgruppe die Na- tur, dem Krieg, dem Haus (Zifonun et al. 1997: 2078), wie folgendermaßen gezeigt werden kann: { [ ab [pp in die Natur]8pp ] } / { [ seit [pp nach dem Krieg] pp ] } / { [ von [pp unmittelbar vor dem Haus] pp ] }.

In Substandard-Varietäten sind Verwendungen von ab, seit, von mit Nominalgruppen-Ergänzungen im semantisch selegierten temporalen Akkusativ häufig, wie in (10a/c)9:

Artikellose Nominalgruppen

(10a) Die Kleiderstube in Bookholzberg ist ab nächsten Mittwoch wieder geöffnet.

(Google, letzter Zugriff 30. Mai 2020)

7 Die Verwendung von ab in (11a) ist insbesondere für Aufforderungen typisch.

8 Die Klammerschreibweise (eckige Klammern) dient zur Markierung der Grenzen einer Phrase, hier der Präpositionalphrase. Die geschweiften Klammern kennzeich- nen das Satzglied (Ramers 2007).

9 Die Beispiele sind Originalbelege, die mit der Suchmaschine Google auf einer deutsch- sprachigen Internetseite in der Domäne .de gefunden wurden. Um Platz zu sparen, ver- zichte ich durchweg auf den Nachweis der Fundstellen.

(17)

(10b) Seit letzte Woche hatte die Ruhrbahn ihren Fahrplan wegen des Coronavirus reduziert.10

(Google, letzter Zugriff 30. Mai 2020) (10c) Wir kannten die Wohnung schon von letztes Jahr.

(Google, letzter Zugriff 30. Mai 2020)

In (10a) bis (10c) üben ab, seit und von keinen Einfluss auf die Kasusform der Ergänzung aus. Hierbei handelt es sich um Nominalgruppen als syntaktische Adverbialia, die ihren morphologischen Kasus nicht von einem syntaktischen Regens erhalten; der Kasus (Akkusativ) wird bei ih- nen aus semantischen Gründen selegiert. Nach Gallmann weisen die No- minalgruppen in den Beispielsätzen (10a)-(10c) autonomen Kasus auf;

hierzu spricht der Autor von ‚semantischer Kasuszuweisung‘ (2015: 190).

Blühdorn nimmt an, dass der Akkusativ in nächsten Mittwoch, letzte Woche, letztes Jahr der funktionale Kopf der Konstruktion sein könnte. Die kasus- lose Nominalgruppe wäre dann jeweils dessen Ergänzung. Diese Sicht- weise macht klarer, was es bedeutet, dass bei adverbialen Nominalgruppen der Kasus nach semantischen Regeln selegiert wird (2008: 304). Die Bei- spielsätze in (9) und (10) spielen im Rahmen unserer Untersuchung eine wichtige Rolle, weil sie zeigen, dass ab, seit und von keine Kasusrektion ausüben.

Als Nächstes prüfe ich, in welcher Funktion die syntaktischen Kate- gorien stehen, durch die ab, seit und von in den Beispielsätzen (9) und (10) ergänzt werden. Bei (9) handelt es sich um Präpositionalphrasen als syn- taktische Adverbialia, d.h. sie können jeweils durch ein Adverb ersetzt werden, so etwa ab dahin in (9a), seit damals in (9b) und von ganz vorne in (9c). Dasselbe gilt für die Ergänzung zu ab, seit, von durch artikellose No- minalgruppen in (10), die ebenfalls durch Adverbien ersetzbar sind, z.B.

ab sofort in (10a), seit damals in (10b) und von damals in (10c).

Zwischenfazit: Aus den vorgebrachten Argumenten kann man schluss- folgern, dass ab, seit und von neben der Verwendungsweise als (proto)typi-

10 Zum Sprachgebrauch von ab und seit in Substandard-Varietäten des Deutschen siehe auch Gallmann (2015: 188-191).

(18)

sche Präpositionen mit dem Dativ auch die syntaktischen Merkmale des Präadverbs aufweisen, die sie mit bis gemeinsam haben.

Abschließende Bemerkungen

Die traditionelle Wortartenlehre hat Schwierigkeiten mit Lexemen, die idiosynkratische grammatische Eigenschaften aufweisen und die sich daher in keine der angenommenen Wortklassen einfügen. Die Untersu- chung des syntaktischen Verhaltens der Lexeme ab, bis, seit und von hat zu der Erkenntnis geführt, dass sie durch Eigenschaften gekennzeichnet sind, die von denen einer typischen Präposition abweichen. Um die idio- synkratischen Eigenschaften dieser Lexeme genauer zu erfassen, wurden sie in diesem Beitrag als Einzelgänger beschrieben. Im Folgenden werde ich über die erzielten Ergebnisse einen abschließenden Überblick geben:

Die Untersuchung von ab, bis, seit, von als Einzelgänger hat dazu bei- getragen, eine Skala der Präpositionsartigkeit zu erfassen, die sich wie folgt abbilden lässt:

Skala der Präpositions- artigkeit

Ergänzung durch eine Nominalgruppe mit Definitartikel

Kasus- rektion

Ergänzung durch ein Adverb bzw.

eine adverb- äquivalente Kategorie

Kasus- rektion

Prototypische

Präpositionen aus der Schule Dativ mit dem Einbruch der

Nacht Dativ

weniger typische Präpositionen

ab dem übernächsten Monat

Dativ ab sofort ab in den Urlaub!

ab nächsten Freitag

keine

seit einigen Wochen Dativ seit damals seit nach dem Krieg seit letzte Woche

keine

von diesem Sonntag an Dativ von gestern an von vor dem Haus von letztes Jahr

keine

untypische Präpositionen

bis hierher, bis morgen

keine

Tabelle 2: Übersicht über die Skala der Präpositionsartigkeit

(19)

Aus der Tabelle geht hervor, dass prototypisch Präpositionen sind, die durch Nominalgruppen mit Artikel ergänzbar sind (z.B. aus, mit) und stets Kasusrektion zeigen (aus, mit).11 Weniger typisch sind Präpositionen, die daneben auch durch Adverbien, Präpositionalphrasen und artikellose Nominalgruppen ergänzbar sind, und in diesem Fall keine Kasusrektion zeigen können (ab, seit, von). Untypisch sind Präpositionen, die durch No- minalgruppen mit Artikel nicht ergänzbar sind und niemals Kasusrektion zeigen, wie bis (vgl. hierzu Malloggi 2016).

Die Einzelgänger-Perspektive hat es ermöglicht, die idiosynkratischen syntaktischen Eigenschaften der Lexeme ab, bis, seit und von genau zu er- fassen. Die Gemeinsamkeiten dieser Lexeme untereinander sind so aus- geprägt, dass es nach dem Verallgemeinerungskriterium, das für die tradi- tionelle Wortartenlehre typisch ist, gerechtfertigt erscheint, sie zu einer neuen Wortklasse, das heißt das Präadverb, zusammenzufassen. Zu der Etablierung dieser neuen Wortklasse unter den kanonischen Wort- klassen, in die das lexikalische Inventar des Deutschen eingeteilt werden kann, müssen die folgenden Kriterien erfüllt werden:

(a) Morphologie: ab, bis, seit und von sind unflektierbare Ausdrücke.

(b) Syntax: ab, bis, seit und von können allein kein Satzglied bilden. Sie eröffnen eine Leerstelle, die mit einer Konstituente gefüllt werden muss. Die Ergänzung von ab, bis, seit und von als Präadverbien sind typischerweise Adverbien bzw. adverb-äquivalente syntaktische Kate- gorien. Dabei üben ab, bis, seit und von keinen Einfluss auf die Kasus- form ihrer Ergänzung aus.

(c) Semantik: ab, bis, seit und von setzen Gegenstände oder Sachverhalte in eine Beziehung zueinander, z.B. in eine räumliche (ab dort bis zum Violasee zeigt sich das Val Campo / er fuhr bis Wittenbergplatz / die Seitenka- pellen beleuchteten von oben her die beiden Teile […]) oder zeitliche Bezie-

11 Die in der Tabelle 2 angeführten Beispiele für aus findet man bei Hoffmann (2013:

369), für bis und mit bei Zifonun et al. (1997). Die angeführten Beispiele für ab, seit, von sind der IDS-Datensammlung entnommen. Die grau hinterlegten Teile der Tabel- le stehen für Nicht-Erfüllung der ausgewählten Kriterien.

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hung (ab morgen lädt der Schifffahrtsbetrieb Rorschach jeden Sonn- und Feiertag zu erlebnisreichen Brunchfahrten ein / er bleibt bis Oster / seit gestern steht fest, dass es für den Kanadier keine Rückkehr aus Mannheim in die Ostschweiz geben wird / Kinder von früher und jene von heute sind gleich geblieben). Ab, bis, seit und von haben eine weitere semantische Eigenschaft gemeinsam, da sie Lexeme sind, die Grenzen ausdrücken: Ab, seit, von deuten auf die Anfangsgrenze eines Intervalls hin. Bis verweist auf Intervalle, deren Endgrenze durch seine syntaktische Ergänzung beschrieben wird.12 Die Etablierung der Wortklasse Präadverb dient dazu, das idiosynkra- tische syntaktische Verhalten von ab, bis, seit, von, das von dem einer typi- schen Präposition abweicht, genau zu erfassen. Damit leistet der vorlie- gende Aufsatz einen Beitrag zur deskriptiven Grammatik des Deutschen.

Der vorliegende Beitrag hat die Syntax der Lexeme ab, bis, seit und von in den Vordergrund gestellt. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen den Ausgangspunkt für zusätzliche Untersuchungen bilden, die der Über- prüfung dienen, ob weitere Lexeme in die Wortart Präadverb aufgenom- men werden können. Die grammatische Etablierung der Wortklasse Prä- adverb stellt ein wichtiges Forschungsdesideratum dar.

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12 Dieser Beitrag beruht auf der Syntax der Lexeme ab, bis, seit, von. Auf die Semantik dieser Lexeme werde ich daher nicht weiter eingehen.

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Referenzen

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