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Bin ich oder bin ich nicht?

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dtv Taschenbücher

Bin ich oder bin ich nicht?

Neue philosophische Anworten auf ewige Fragen

Bearbeitet von

Nicholas Fearn, Susanne Held

1. Auflage 2010. Taschenbuch. 280 S. Paperback ISBN 978 3 423 24771 9

Format (B x L): 13,5 x 21 cm

Weitere Fachgebiete > Philosophie, Wissenschaftstheorie, Informationswissenschaft >

Philosophie: Allgemeines > Philosophie: Sachbuch, angewandte Philosophie

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finden Sie auf unserer Website www.dtv.de

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Nicholas Fearn

BIN ICH

ODER BIN ICH NICHT?

Neue philosophische Antworten auf ewige Fragen

Aus dem Englischen von Susanne Held

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Deutsche Erstausgabe März 2010

© Nicholas Fearn 2005 Titel der Originalausgabe:

›Philosophy. The Latest Answers to The Oldest Questions‹, first published by Atlantic Books Ltd.

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.

Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen Umschlagfoto: Mirós ›L’or de l’azur‹ aufräumen (2004)

von Ursus Wehrli aus seinem Buch ›Kunst aufräumen‹

Satz: Schumacher Gesetzt aus der Sabon 9,7/13,5·

Druck und Bindung: Kösel, Krugzell

Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany · ISBN 978-3-423-24771-9 Der Inhalt dieses Buches wurde auf einem nach den Richtlinien des Forest Stewardship Council zertifizierten

Papier der Papierfabrik Munkedal gedruckt.

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Inhalt

Vorwort 7 Teil I: Wer bin ich?

1 Das Problem des Selbst 23 2 Freier Wille und Schicksal 41

3 Geist und Maschine 64 4 Leib und Seele 85 Teil II: Was kann ich wissen?

5 Das Problem des Wissens 107 6 Das Problem der Bedeutung 127

7 Eingeborene Ideen 143 8 Die Sprache des Denkens 156 9 Postmoderne und Pragmatismus 169

10 Die Grenzen des Verstehens 198 Teil III: Was soll ich tun?

11 Moralischer Zufall 217 12 Der Kreis wird größer 231

13 Der Sinn des Lebens 246 Anmerkungen 263

Stichwörter 273

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Vorwort

Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl als das praktische) vereinigt sich in folgenden drei Fragen: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?

Immanuel Kant

Es gibt die Möglichkeit, über Themen in Worten zu sprechen, die nicht endgültig klingen. Ich gestehe, dass mich die Art, wie phi- losophische Fragen üblicherweise dargestellt werden, verwirrt.

Philosophische Texte hören sich häufig so an, als gingen ihre Autoren davon aus, dass sie die definitiv abschließenden Worte

über ihr Thema äußern. Robert Nozick

Die großen Philosophen wie Aristoteles, Immanuel Kant und Ludwig Wittgenstein sind groß, weil sie die Revolution der Evolution vorzogen, weil sie lieber neue Ideen und Sys- teme entwarfen, statt mit dem Material ihrer Vorgänger zu arbeiten. Die Folge davon war, dass nach zweieinhalb Jahr- tausenden Philosophie die jeweils nachfolgenden Denker die Leinwand ihrer Themen mit derart zahlreichen Pinselstrichen übermalten, dass kein unterscheidbares Bild mehr übrig blieb.

Erst jüngst hat eine Restauration gewisse Ergebnisse gebracht.

Es wurden Schichten entfernt und naivere Korrekturen rück- gängig gemacht. Alte Fassungen wurden freigelegt, als die Ideen der früheren Denker neue Aktualität gewannen, und mit zeitgenössischer Tinte wurden die Hauptlinien verstärkt.

Ermöglicht wurde das durch neue Techniken in der Analyse

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von Argumenten, durch neue Ideen, an denen diese Techniken erprobt werden konnten, und durch neues, von den Naturwis- senschaften zur Verfügung gestelltes Rohmaterial.

Jetzt ist der ideale Zeitpunkt gekommen für eine Revision der Philosophie des Abendlandes. Dieses Buch stellt den gegen- wärtigen Zustand der Philosophie dar, es nimmt in den Blick, was in den letzten Jahren in den am intensivsten umkämpften Gebieten erreicht wurde, und untersucht die jüngsten Annä- herungen an Probleme, die in der Antike zum ersten Mal for- muliert wurden. Um meinen Überblick zu vervollständigen, beschloss ich, eine Art Querschnitt durch die Hauptdarsteller der wichtigsten Auseinandersetzungen aus verschiedenen Tei- len der Welt anzustellen. Meine Aufgabe wurde dadurch erleich- tert, dass sich die meisten der besten Philosophen an einem – wenn auch ausgedehnten – Ort finden, den USA. Erschwert wurde mein Vorhaben allerdings durch das fortgeschrittene Alter der Interviewten, von denen einige, darunter Robert Nozick und W. V. O. Quine, starben, bevor ich sie aufsuchen konnte. Die meisten waren meinem Vorhaben gegenüber auf- geschlossen und – wie etwa David Chalmers, Jerry Fodor und Colin McGinn – empfingen mich bei sich zu Hause, während andere wie Thomas Nagel und Alasdair MacIntyre gegen Journalisten einen solchen Argwohn hegen, dass sie sich wei- gerten, mit mir zu sprechen. Daniel Dennett und Tyler Burge gestatteten mir Überarbeitungen und Anschlussfragen, wäh- rend Jacques Derrida mich in aller Herrgottsfrühe anrief und jegliche Hilfe ablehnte, da ich seiner Ansicht nach seiner Argu- mentation nicht gewachsen war.

Letztendlich gelang es mir, über dreißig der berühmtesten Denker der Welt zu interviewen. Nach den ersten Begegnun- gen stellte ich fest, dass die Gespräche sich jeweils ähnlich entwickelten. Zuerst eröffnete man mir, dass sich leider der philosophische Horizont in den letzten Jahren und Jahrzehn- ten nicht nennenswert erweitert habe. Dann setzten meine

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Gesprächspartner zu einer ausführlichen Beweisführung des Gegenteils an. Offensichtlich ist der typische moderne Phi- losoph von äußerster Bescheidenheit. Die Philosophie hat immer unter überzogenen Erwartungen gelitten, doch es ist nicht nur töricht, die Lösung eines philosophischen Problems für definitiv zu erklären, vielmehr ist es auch voreilig, alles, was diesem Anspruch nicht gerecht wird, als wertlos abzutun.

In den letzten fünfzig Jahren kam die Revolution in der phi- losophischen Welt aus der Mode. Die Antworten waren im Vergleich mit ihren Vorgängern von bescheidenerer Größe – ebenso wie, könnten Zyniker hinzufügen, das geistige Format der Denker, die sie vortrugen. Doch sogar Zyniker müssen zugeben, dass das fachliche Vermögen so ausgeprägt ist wie nie zuvor. Ein durchschnittlicher Doktorand im Fach Philo- sophie dürfte heutzutage dazu in der Lage sein, sich in einem Streitgespräch gegenüber jedem namhaften Denker der Alten Welt zu behaupten. Man begegnet weniger Gurus, weniger Giganten, dafür ist auf einem zunehmend fragmentierten und spezialisierten Feld die Arbeitsteilung effizienter geworden.

Auf den ersten Blick gibt es zwischen den unterschiedlichen Schulen nur wenige Schnittmengen, und dennoch sind sie häu- fig einiger, als es den Anschein hat, denn wenn ein Aufgaben- bereich erst mehr oder weniger erledigt ist, dann werden die Forscher, die darin weiterarbeiten, leicht zu Exzentrikern. So ist es etwa für die meisten Wissenschaftler keine Frage mehr, ob in letzter Zeit Aliens in fliegenden Untertassen die Erde heimgesucht haben, obwohl ein Überblick über die Fachlite- ratur zum Thema »Entführung durch Aliens« zeigt, dass die große Mehrheit der sogenannten »Experten« fest an Ufos und kleine grüne Männchen glaubt. Das liegt daran, dass die meis- ten Wissenschaftler Besseres zu tun haben, als sich mit Fragen zu beschäftigen, die bereits stichhaltig widerlegt sind.

Für die Philosophie ist ein »post-heroisches« Zeitalter angebrochen. Die heute tätigen Philosophen – nach Anga-

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ben des Philosophical Documentation Center gibt es heute mehr als 26.000 Berufsphilosophen – arbeiten daran, unser Verstehen schrittweise zu erweitern, und bauen auf vernetzte Leistung, wobei sie auch die aktuellen Ergebnisse der Geistes- und Naturwissenschaften mit in den Blick nehmen. Das Genie spielt kaum noch eine Rolle; das mag daran liegen, dass in den letzten Jahren derartige Individuen kaum mehr auftraten oder dass es eine ganze Weile dauern kann, bis man sie als Genies erkennt; am wahrscheinlichsten ist, dass das Fach die Lehren aus seinen imperialistischen Fehltritten gezogen hat.

Einer dieser Fehltritte ist Überbeanspruchung. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts berechnete der deutsche Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel mithilfe seines philosophischen Sys- tems, dass es nicht mehr als sieben Planeten im Sonnensystem geben kann. Es ist zu hoffen, dass die Philosophen heutzutage eine klarere Vorstellung davon haben, was mit logischer Argu- mentation geleistet werden kann und was nicht. Auch halten Philosophen es heute nicht mehr für nötig, ihren Gegenstand auf den Kopf zu stellen, um philosophische Probleme zu lösen.

Revolution erübrigt sich, wenn es gleichmäßigen, zuverlässi- gen Fortschritt gibt.

Die heutige Philosophie blickt auf mindestens fünf große Revolutionen im Reich der Ideen zurück. Die erste war die Geburt der Vernunft als Instrument der Wahrheitsfindung im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr., sie ist uns überliefert in den Werken, die von den Vorsokratikern erhalten sind, und in den Dialogen Platons. Platon entwickelt die Gedanken seines Leh- rers Sokrates weiter: Unsere Ansichten sind wahr oder falsch, insofern sie mit den überweltlichen »Formen« des Wahren, des Schönen, des Guten, des Mutes und so weiter übereinstim- men. Diese Vorlagen waren für Platon existierende Objekte – tatsächlich seien sie realer als die Objekte, die wir in der phy- sischen Welt vorfinden, da sie vollkommen sind, rein, ewig und unveränderlich. Er behauptete, dass es uns bei richtigem

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Gebrauch der Vernunft gelingen würde, diese Wahrheiten zu sehen und echtes Wissen zu erwerben, welches die bloße

»Meinung«, mit der wir uns normalerweise zufriedengeben, ersetzen kann. Die einzige Grenze war das Material, das uns vorgegeben ist – denn die physische Welt bietet nur unzuläng- liche Kopien der ewigen Wahrheiten.

Die zweite große Revolution fand in Königsberg im 18. Jahr- hundert statt, als Immanuel Kant den Schwerpunkt auf das menschliche Subjekt verlagerte. Alles, was wir sehen und hören, alles, was der Geist wahrnimmt, muss nach Kant durch die Sinne und den Verstand für unser Verständnis umgeformt werden. Die eigentliche Natur der Dinge können wir nie, wie Platon das erträumt hatte, erfassen. Wir werden immer nur eine menschliche Version von Gott, der Tugend und der Schönheit begreifen. In Kants Formulierung: Je vertrauter uns die Fähigkeiten unseres Geistes werden, desto näher kommen wir der Wahrheit. Wir können die Grenzen unserer Welt nur verstehen, wenn wir die Grenzen des menschlichen Denkens untersuchen.

Die dritte große Revolution fand ungefähr zur selben Zeit in England statt. John Locke und David Hume machten aus der wissenschaftlichen Methodenlehre ihres Vorgängers Fran- cis Bacon aus dem 17. Jahrhundert ein philosophisches Sys- tem namens »Empirismus«. Die Empiristen sagen, dass wir nur wissen können, was wir aus unserer Erfahrung ableiten können. Die Vernunft allein enthüllt uns nichts Neues, sie for- muliert lediglich von den Sinnen vorgegebenes Wissen um.

Im 19. Jahrhundert vollzog sich eine weitere Revolution, als der deutsche Denker Georg Friedrich Wilhelm Hegel nicht mehr primär danach fragte, was der Mensch ist, sondern worauf seine Entwicklung zielt; er führte die geschichtlichen Kräfte an, die die Vernunft in der Erschaffung neuer Ideen und Lebensweisen prägen. Seine »Dialektik« verfolgte in der Geschichte den Zusammenstoß einander entgegengesetzter

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Bewegungen, um den »Fortschritt im Bewusstsein der Frei- heit« nachzuzeichnen, und Hegel definierte den Staat, der diese Bewegung verkörpert, als den »Gang Gottes in der Welt«.

Hegel griff die Vernunft von oben an, sein Landsmann Friedrich Nietzsche dagegen unterminierte sie, indem er ihre Motive untersuchte. Seiner Ansicht nach werden Werte durch den »Willen zur Macht« des Individuums wahr und nicht durch ihren Bezug auf Evidenz und Beobachtung. Mit einem Schlag lieferte Nietzsche damit die Grundlage für die als »Postmoderne« bekannte Anti-Philosophie, die nach wie vor in den geisteswissenschaftlichen Universitätsinstituten so große Popularität genießt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Grenzen noch enger gezogen, indem Philosophen wie der Österreicher Lud- wig Wittgenstein eine fünfte Revolution einläuteten: Sie pos- tulierten, dass die Grenzen des Denkens durch die Grenzen der Sprache markiert sind, in der das Denken sich vollzieht.

Die Kriterien zur Beurteilung eines Wahrheitsgehaltes finden sich weder im Jenseits noch in den Begrenzungen des Geistes, sondern in der Grammatik des allgemeinen Sprachgebrauchs.

Immer, wenn Philosophen dachten, sie untersuchten die Natur irgendeiner Sache, taten sie in Wahrheit – so Wittgenstein und seine Nachfolger – nichts anderes, als Wörter aus ihrem Kon- text herauszulösen. Die eigentlichen Gegenstände des Nach- denkens waren für Platon quasi-göttliche Wesenheiten und für Kant die Strukturen des Bewusstseins; »analytische« Philoso- phen hatten nun als Gegenstand nur mehr die Grunzer und körperlichen Zuckungen, mit denen menschliche Wesen sich zu verständigen pflegen. Zur Abwechslung konnten sie Spu- ren metaphysischen Denkens aufspüren und auslöschen und Probleme für »gelöst« erklären. So argumentierte der engli- sche Philosoph Gilbert Ryle etwa, die Frage, wo das bewusste Selbst aufzufinden ist, sei eine »Kategorienverwechslung«, wie sie etwa auch ein Besucher der einzelnen Universitätsgebäude

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von Oxford macht, der die Frage stellt, wo sich »die Univer- sität« befindet, oder der Zuschauer einer Truppenparade, der fragt, wann »das Heer« aufmarschieren wird.

Westliche Denker sind sich heutzutage über all diese Ver- schiebungen im Klaren, doch eine hat ihren Ideenreichtum in den vergangenen Jahren im Besonderen angeregt: das empi- ristische Versprechen einer »wissenschaftlichen« Philosophie.

Bertrand Russell verglich einmal die Gebiete des menschli- chen Wissens mit einem Aktenschrank, in dem die Themen, mit denen sich die Philosophen befassen, in dem Fach mit der Aufschrift »Nicht gewusst« abgelegt sind. Wenn wir über ein vorliegendes Thema so viel herausgefunden haben, dass wir uns ihm systematisch nähern können, wird es in ein anderes Fach mit einer neuen Aufschrift verlagert, sei es nun »Phy- sik«, »Psychologie« oder »Wirtschaft«. Das beschreibt tref- fend die Geschichte der Philosophie, die immer wieder in neue Disziplinen und neue Wissenschaftszweige mündete. Das Bild erklärt auch die Illusion, die Philosophie komme nie irgendwo an. Philosophen erhalten kaum Anerkennung für ihre Erfolge, denn wenn in der Behandlung eines Problems ein wirklicher Fortschritt erzielt wurde, wird es ihnen aus der Hand genom- men und neuen Bearbeitern übergeben. Sir Isaac Newton ver- fasste als Philosoph seine ›Principia‹, ebenso schrieb Adam Smith als Philosoph über den ›Wohlstand der Nationen‹, heutzutage jedoch werden sie als Physiker beziehungsweise als Ökonomen angesehen. Der zeitgenössische Denker Noam Chomsky wird sowohl als Philosoph wie auch als Begründer der Linguistik bezeichnet, die erste Hälfte dieser Bestimmung wird jedoch in den Enzyklopädien eines nicht allzu fernen Tages wegfallen.

Dieses Schicksal hat zu dem kürzlich geäußerten Vorschlag geführt, dass die Philosophie, insofern als ihr Erfolg in der Begründung neuer Wissenschaften besteht, doch als Ganze zu einer Wissenschaft umgewandelt werden soll. Ein solcher

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Glaube an den »Szientismus« ähnelt der Frage eines kleinen Jungen, der seinen Vater fragt: Wenn die Polizisten der Spe- zialeinheiten so erfolgreich sind, warum wird dann nicht aus der ganzen Polizei eine Spezialeinheit gemacht? Weder das Wissen noch ein politisches Schutzsystem funktioniert so.

Wer verlangt, dass das Denken prinzipiell und ausschließlich nach strengen wissenschaftlichen Prinzipien abzulaufen hat, der muss in Kauf nehmen, dass bestimmte Themen – und zwar genau diejenigen, über die wir am wenigsten wissen – nie ins Blickfeld geraten und dass sich neue Disziplinen daher gar nicht entwickeln könnten. Doch geht es um mehr als nur den produktiven Umgang mit Ideen, denn das würde bedeuten, dass jede nützliche Untersuchungsmethode früher oder später zur Wissenschaft wird. Der Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft liegt oft eher in Zeitumständen als in thema- tischen Schwerpunkten. Manchmal endet Philosophie in Wis- senschaft. Hin und wieder löst die Philosophie ein Problem, ohne dass eine neue Disziplin daraus entsteht, was teilweise daran liegt, dass das Problem nicht so sehr gelöst als vielmehr aufgelöst wurde. In den nachfolgenden Kapiteln werden wir für all diese Optionen Beispiele finden.

Einige zeitgenössische Philosophen halten die Inanspruch- nahmen der Physik und der Biologie für einen unerwünschten Übergriff auf ihr eigenes Gebiet und mokieren sich über den

»Wissenschaftsneid« ihrer Kollegen, die vor den Labortüren lauern, um die philosophischen Auswirkungen der jüngsten Entdeckung umgehend in Form von Aufsätzen unters Volk zu bringen. Weitverbreitet ist der Glaube, dass die Philosophie als einzige unter den Künsten und Wissenschaften eine demo- kratische Angelegenheit sei: Mit Sicherheit entwickeln nur wenige von uns eine eigene Theorie zur Strömungslehre oder glauben, dass sie schreiben könnten wie Hemingway, doch es wird allgemein davon ausgegangen, dass jeder Mensch philo- sophische Erkenntnisse nachvollziehen kann. Und mehr noch:

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Philosophische Wahrheit soll nicht nur gegenwärtig prinzipi- ell jedem zugänglich sein, sondern auch in der Vergangenheit sei das nicht anders gewesen. Die Welt, die in jeder anderen Hinsicht keinerlei Tendenz zur Gleichbehandlung kennt, soll angeblich, wenn es um das Verständnis der tiefsten Wahrhei- ten geht, absolut gerecht und fair sein. Man stellt sich vor, dass die Antworten von jedermann gepflückt werden können wie Äpfel. Doch das ist reines Wunschdenken. Es gibt Wahr- heiten, die leicht erreichbar sind, weil sie an den unteren Ästen hängen, andere aber bleiben so lange unzugänglich, bis ent- sprechende Leitern erfunden werden. Die Philosophen ver- gangener Generationen, unter ihnen viele große Geister, müh- ten sich ihr ganzes Leben lang ab, ohne hoffen zu können, die Wahrheit zu erreichen – eine ebenso unbarmherzige wie zutreffende Vorstellung. Möglicherweise entwickelten diese Denker fehlerhafte Theorien und nicht beweiskräftige Argu- mentationsgänge, weil sie nicht gründlich genug nachdachten.

Doch das Problem kann auch auf einer viel schlichteren Ebene liegen: Sie hatten nicht das richtige Handwerkszeug für das, was sie suchten, da dieses noch nicht existierte.

Dieses Handwerkszeug hat viele Ausprägungen: eine bestimmte Art von Argument oder logischem Verfahren, eine mechanische Unterstützung wie die Gehirn-Magnetresonanz- Tomografie oder eine Aufnahme der Erde aus dem Weltraum.

Wie scharf auch immer unsere visuelle Wahrnehmung entwi- ckelt sein mag – wenn wir die Sterne lediglich mit bloßem Auge anschauen, werden wir sie niemals in ihrer Eigenart verstehen oder herausfinden, was diese Lichtpünktchen im Nachthim- mel bedeuten, von denen wir jetzt wissen, dass es Sterne sind.

Doch das Teleskop versetzte und versetzt sogar diejenigen, deren Sehvermögen eher schlecht ist, in die Lage, die Plane- ten als solche anzuschauen. Zweifellos sind heute viele Prob- leme nur deswegen unlösbar, weil uns dafür die Forschungs- instrumente fehlen, die unseren Nachkommen einst durchaus

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zur Verfügung stehen werden. Um die Wahrheit zu finden, braucht es nicht in erster Linie Wissenschaft, sondern – in der einen oder anderen Form – Technologie. Die Fehlschläge der Philosophie in der Vergangenheit ähneln daher auch teilweise denjenigen der frühen Flugmaschinen oder der Versuche in der Krankheitsbekämpfung: Es standen einfach noch nicht die nötigen Mittel zur Verfügung. Philosophie erweckt zwar den Anschein, als sei sie unabhängig von empirischen Fakten, doch letztlich hängt sie eben doch zum großen Teil von ihnen ab, und nicht alle Lösungen sind gleichermaßen allen Völkern zu allen Zeiten zugänglich, ganz zu schweigen von einzelnen Individuen. Uns kann das nur erleichtern: Es weist darauf hin, dass unsere Untersuchungen sich nicht auf reine Nabelschau beschränken müssen, sondern dass sie sich auf Wahrheiten beziehen, die von unserem Bewusstsein unabhängig sind.

Die Hoffnung auf eine »demokratische« Philosophie geht nicht zuletzt auf das antike griechische Ideal von Wahrheit als mathematischer Vorstellung zurück. Die Wahrheiten der Phi- losophie sollten ebenso streng aus ersten Prinzipien ableitbar sein wie die Wahrheiten der Zahlen. Für notwendige Wahrhei- ten verstand sich das von selbst. Philosophische Wahrheiten aber – wenn wir überhaupt davon sprechen können – sind häufig eher zufällig und haben mehr mit flüchtigen, in den Sand geschriebenen Zeichen gemein als mit unwandelbaren Gesetzen wie denen, die den Lauf der Gestirne bestimmen.

In dieser Hinsicht war die Geschichte der Philosophie schon seit jeher eine Abfolge von Enttäuschungen. Wenn die Philo- sophie neue Wissenschaften hervorbringt, dann haben diese Nachkommen wesentlich weniger Probleme mit der begrenz- ten Gültigkeit der Gesetze, die ihren Entdeckungen zugrunde liegen, als ihre Mutterdisziplin. Jede dieser neuen Wissen- schaften hinterlässt in dem Leib, aus dem sie hervorging, einen Hohlraum, ohne dass die Wölbung sich nach der Geburt des Kindes zurückbilden würde.

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Eine solche neue Wissenschaft löst vielleicht die Probleme, die zuvor von den Philosophen aufgeworfen wurden und zur Entstehung dieser neuen Wissenschaft geführt hatten, aber es scheint immer etwas zu fehlen, als ob die Lösung nicht ganz den Erwartungen oder dem Problem entspräche, um das es ursprünglich ging. Beim Studium der Ergebnisse schleicht sich das Gefühl ein, einen Zauberer bei einem billigen Trick erwischt zu haben: »Sie haben die Karte ja in Ihrem Ärmel ver- steckt – das war doch überhaupt keine echte Zauberei!« Vor allem die Moralphilosophie war ein Opfer dieser Denkweise, und zwar im Hinblick auf die Frage, was moralisches Handeln begründet. Der englische Philosoph G. E. Moore ging so weit, aufgrund seines Konzeptes des »naturalistischen Fehlschlus- ses« Moralität als unanalysierbare Eigenschaft zu bestimmen.

Nach seiner Einschätzung hört eine Handlung, auch eine scheinbar ethisch wertvolle Handlung, in dem Moment auf, moralisch zu sein, wo wir ein Motiv für sie ausmachen kön- nen: »Du hast ihr geholfen, weil es dir Freude machte (oder aus Nächstenliebe, oder aus Pflichtgefühl) – Moral spielte dabei keine Rolle!« Wenn wir solche Erwartungen hegen, ist es kein Wunder, wenn sie enttäuscht werden.

Wir suchen nach philosophischen Antworten auf philoso- phische Fragen, allerdings passen diese Antworten möglicher- weise nicht zur Aura der Frage, wenn es letztlich darum geht, ein Geheimnis aufzudecken. Der dramatische Impetus, eine übliche Begleiterscheinung von Komplexität, pflegt bei der Auflösung der Komplexität zu verpuffen. Diejenigen, die sich für Philosophie interessieren, weil diese für sie letztlich eine erwachsenere Form des Eskapismus darstellt als der Glaube an Geister, Kobolde oder UFOs, sind dann begreiflicherweise frustriert. Haben Besucher aus dem Weltall die Pyramiden gebaut? Nein, aber dafür können Computer vielleicht den- ken. Es gibt Menschen, für die die Arbeiten von Philosophen wie Hilary Putnam, Richard Rorty und Daniel Dennett eine

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natürliche Fortsetzung von Erich von Dänikens ›Erinnerun- gen an die Zukunft‹ sind. Ein Suchender, der zur Philosophie kommt, weil er von der Religion enttäuscht wurde, ist noch anfälliger für Enttäuschungen. Wenn er sich jedoch beklagt, dass die Lösungen auf diesem neuen Gebiet nicht die Gewiss- heit verheißen, die der religiöse Sektor bot – dann muss er sich die Frage gefallen lassen, ob das Problem des moralischen Handelns mit Gott tatsächlich so viel einfacher zu lösen war.

Eine weitere gebräuchliche Herangehensweise an das Thema, praktiziert etwa von Wittgenstein und Leibniz, sind mathematische Studien. Ein solcher Hintergrund kann es einfacher machen, die besonderen Vorzüge philosophischer Untersuchungen anzuerkennen und die Haltung nachzuvoll- ziehen, die der Physiker Richard Feynman folgendermaßen umreißt:

Ein Freund von mir ist Künstler. Es kommt immer wieder vor, dass er mir gegenüber einen von mir kaum nachvollziehbaren Standpunkt vertritt. Er zeigt mir beispielsweise eine Blume und sagt: »Schau, wie schön sie ist«, und ich gebe ihm recht. Dann sagt er: »Tja, ich als Künstler kann sehen, wie schön sie ist, aber du als Wissenschaftler nimmst sie auseinander, und dann ver- liert sie ihren ganzen Reiz.« Meiner Meinung nach hat er damit nicht recht. Erstens ist die Schönheit, die er sieht, anderen Men- schen und also auch mir genauso zugänglich wie ihm, auch wenn ich vielleicht nicht ganz so ästhetisch sensibel bin wie er.

Ich kann die Schönheit der Blume genießen. Gleichzeitig aber sehe ich viel mehr in der Blume als er. Ich kann mir die Zel- len vorstellen, aus denen sie besteht, die komplexen Vorgänge in ihnen, die ebenfalls ihre Schönheit haben. Schönheit gibt es nicht nur im Bereich dieses einen sichtbaren Zentimeters: Es gibt Schönheit im kleineren Maßstab, in der inneren Struktur

… und in den Prozessen. Dass die Farben der Blume sich ent- wickeln, um Insekten anzuziehen, die die Blume befruchten, ist

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19 ein interessantes Faktum – es weist darauf hin, dass auch Insek- ten Farbe wahrnehmen können. Und es stellt sich die Frage:

Kommt ästhetische Wahrnehmung auch in weniger entwickel- ten Organismen vor? Warum ist die Blume schön? Es gibt alle möglichen interessanten Fragen, die die Wissenschaft der Bewunderung und dem Geheimnis und der Ehrfurcht vor einer Blume hinzufügen kann.1

Wer Feynmans Haltung nicht nachvollziehen kann, ist ein Nostalgiker, aber er sehnt sich nicht nach der Erklärungs- macht diskreditierter religiöser Antworten zurück (die diese Erklärungsmacht häufig gar nicht besaßen), sondern nach einer vermuteten mystischen Erfahrung, in der alle Antworten zum Schweigen gebracht sind. Im Hinblick auf die Öffent- lichkeit ist das eigentliche Problem der modernen Philosophie nicht der Neid der Wissenschaft, sondern ein spiritueller Hun- ger nach Magie.

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