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Promovieren an und mit Hochschulen für Angewandte Wissenschaften

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Promovieren an und mit Hochschulen für

Angewandte Wissenschaften

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Constance Engelfried Pierre L. Ibisch (Hrsg.)

Promovieren an und mit

Hochschulen für Angewandte Wissenschaften

Am Wendepunkt?

Verlag Barbara Budrich

Opladen • Berlin • Toronto 2016

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier.

Alle Rechte vorbehalten.

© 2016 Verlag Barbara Budrich, Opladen, Berlin & Toronto www.budrich-verlag.de

ISBN 978-3-8474-0771-3 (Paperback) eISBN 978-3-8474-0890-1 (eBook)

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver- wertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustim- mung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigun- gen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlaggestaltung: Bettina Lehfeldt, Kleinmachnow – www.lehfeldtgraphic.de Titelbildnachweis: Foto: Gordon Robertson, Aberdeen University New Library 6, www.piqs.de

Typographisches Lektorat: Anja Borkam, Jena

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Inhalt

Teil I: Aktuelle Positionen und Entwicklungen ... 7 Am Wendepunkt? Promovieren an und mit Hochschulen für Angewandte Wissenschaften

Constance Engelfried/Pierre L. Ibisch ... 9 Promotionsrecht an Fachhochschulen: „Ein wissenschaftspolitisches oder ein wissenschaftstheoretisches Problem?“

Pierre L. Ibisch ... 19 Promovieren mit FH-Abschluss: Aktuelle Positionen und Perspektiven Constance Engelfried/Marianne Klotz ... 43 Promotionen an HAWs – Die Situation in Bayern

Christiane Fritze/Stephanie Kastner ... 67 Das Promotionsrecht von Fachhochschulen in Schleswig-Holstein: Eine kritische Meinung

Gerhard Kockläuner ... 89 Promotionsförderung im Dualen Hochschulmodell Baden-Württembergs.

Rahmenbedingungen – Erfahrungen – Perspektiven

René Gründer/Jürgen Burmeister ... 97 Promovieren mit FH-Abschluss: Im Gespräch mit Susanne Elsen

Constance Engelfried/Florian Schäffler ... 125

Teil II: Aktivitäten und Maßnahmen ... 135 Das kooperative Forschungskolleg „Familiengesundheit im

Lebensverlauf” (FamiLe) der Universität Witten/Herdecke und der Hochschule Osnabrück – Ein Beispiel gelungener Kooperation zwischen Universität und Fachhochschule

Andreas Büscher/Lena Dorin/Claudia Hellmers/Christiane Knecht/

Sabine Metzing/Wilfried Schnepp/Stephanie Stelzig/Friederike zu Sayn- Wittgenstein ... 137 Konkrete Promotionsförderung in der Sozialen Arbeit durch gezielte

Maßnahmen

Rudolf Schmitt/Silke B. Gahleitner ... 157

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Promotionsrundmail Soziale Arbeit (FH) – Ergebnisse der Evaluation Marianne Klotz ... 173 Promotionsförderung von Fachhochschulabsolvent/inn/en in der

Begabtenförderung

Ulla Siebert ... 191 Traumziel Frau Doktor! Oder: „Nehmen Sie's wie ein Mann, Madame!

Werden Sie Frau Professorin!”

Birgit Meyer ... 199 Autor_innen-Verzeichnis ... 209

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Teil I:

Aktuelle Positionen und

Entwicklungen

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Am Wendepunkt?

Promovieren an und mit Hochschulen für Angewandte Wissenschaften

Constance Engelfried/Pierre L. Ibisch

Der viel gescholtene ‚Bologna-Prozess‘ hat vielerlei Veränderungen der deut- schen Hochschullandschaft angestoßen – auch solche, die ursprünglich nicht intendiert waren und über die Reform von Studienstruktur und -abschlüssen hinausgehen. Diese Veränderungen betreffen die Universitäten, Dualen Hochschulen, Pädagogischen Hochschulen, Gesamthochschulen, Privaten und kirchlichen Hochschulen oder die Hochschulen für Angewandte Wissen- schaften jeweils in unterschiedlichem Maße. Überall wurden Leistungen, Angebote, Produkte und Zielsetzungen auf den Prüfstand gestellt, weiterent- wickelt und evaluiert. Studienreformen wurden mit unterschiedlichem Tempo umgesetzt. Im Falle der Fachhochschulen bzw. Hochschulen für Angewandte Wissenschaften1 trafen die neuen Vorgaben auf einen vergleichsweise jungen 1 Viele deutschen Fachhochschulen sahen sich und bezeichneten sich zusehends als

Hochschulen für angewandte Wissenschaften (University of Applied Sciences als engl.

Übersetzung für Fachhochschule). In unterschiedlichem Maße wurde dieser Trend auch durch die Hochschulgesetzgebung nachvollzogen.

In Nordrhein-Westfalen heißen die Fachhochschulen nach wie vor Fachhochschule (Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen; Hochschulgesetz - HG; https://

recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_anzeigen?v_id=10000000000000000654#det320301;

>Zugriff: 11.10.2015@).

In Brandenburg konnten sich die Fachhochschulen ab 2013 ‚Hochschule‘ nennen (mit dem Zusatz FH in Klammern; diese Bestimmung fiel 2014 weg). In Bayern gilt wiederum: „Die Fachhochschulen können in der Grundordnung vorsehen, dass dem Namen nach Satz 1 die Bezeichnung „Hochschule für angewandte Wissenschaften” vorangestellt oder hinzugefügt wird oder dass anstelle der Bezeichnung „Fachhochschule” die Bezeichnung „Hochschule für angewandte Wissenschaften” verwendet wird” sowie „Mit Zustimmung des Staats- ministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (im Folgenden: Staatsminis- terium) kann die Grundordnung vorsehen, dass anstelle der Bezeichnung ,Fachhochschule‘

eine andere profiladäquate Bezeichnung, insbesondere die Bezeichnung ,Technische Hochschule‘ geführt wird, wenn die Fachhochschule (...) dieser Bezeichnung entspricht”

(vgl. Bayerisches Hochschulgesetz (BayHSchG) vom 23. Mai 2006; http://www.gesetze -bayern.de/jportal/portal/page/bsbayprod.psml?showdoccase=1&doc.id=jlr-HSchulGBY 2006rahmen&doc.part=X&doc.origin=bs; >Zugriff: 11.10.2015@.

In Baden-Württemberg wiederum gilt: „In der Grundordnung ist die gesetzliche Bezeich- nung der Hochschule durch mindestens eine profilbildende Kernkompetenz zu ergänzen”;

hier sind die „Hochschulen für angewandte Wissenschaften” „Fachhochschulen im Sinne des § 1 des Hochschulrahmengesetzes” (Gesetz über die Hochschulen in Baden-Württem-

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und dynamischen Hochschultyp, der ohnehin im Wandel begriffen war.

Wichtige bundesweite Impulse erfolgten u.a. durch die Neugründung zahlrei- cher Fachhochschulen in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereini- gung. Selbstverständnis und Selbstbewusstsein bezüglich des gesamten Spektrums der Aufgaben und der Relevanz für das bundesdeutsche akademi- sche Bildungsangebot wurden befördert. Vor dem Hintergrund der ‚Bolog- na‘-bedingten Möglichkeit, fortan in Form von Bachelor und Master die gleichen Abschlüsse anzubieten wie die Universitäten, wurde vielerorts ver- stärkt über die quantitativen und qualitativen Unterschiede der Hochschulty- pen nachgedacht. Diese betreffen die Qualifikation des Personals genauso wie die Ausstattung mit Ressourcen – und nicht zuletzt auch die Zielsetzun- gen und Aufgaben. Es lag nahe, die Frage zu stellen, ob sich die Unterschiede verwischen würden und auf die herkömmliche Differenzierung der Hoch- schultypen zu verzichten wäre. Umso mehr, als viele Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften im Zuge ihrer Weiterentwicklung die Notwendigkeit erkannten, sich nicht zu akademischen Fachschulen degradieren zu lassen, die besonders kostengünstig akademischen Nachwuchs bereitstellen. In die- sen Zusammenhang ist der immense Bedeutungszuwachs der Forschungsar- beit an Fachhochschulen zu verorten.

Viele Fachhochschulen (FH) bzw. Hochschulen für Angewandte Wissen- schaften (HAW), zu denen sie sich zunächst terminologisch mausern durften, sind mittlerweile zu Organisationen herangereift, die sich durch Forschungs- abteilungen, forschende Kolleg_innen, sowie zahlreiche Forschungspro- gramme, Forschungsprojekte und Promotionskolloquien auszeichnen. Nicht zu vergessen ist die zunehmende Anzahl an Studierenden, die nach dem Ab- schluss des Studiums eine Promotion anstreben, erfolgreich bestreiten und abschließen. Die aktuell amtierende Bundesbildungsministerin (und ehemali- ge Fachhochschulprofessorin) Prof. Dr. Johanna Wanka selbst führte als Landesministerin in Brandenburg im Jahr 2009 erstmals das neue Instrument der Forschungsprofessur ein.

Die forschungs- und promotionsbezogenen Ambitionen der FH- oder HAW-Professor_innen und Studierenden trafen von Beginn an auf Unver- ständnis und Ablehnung vieler universitären Kolleg_innen und Institutionen.

Interessenverbände wie v.a. der Deutsche Hochschulverband sprachen sich zusehends vehementer gegen die Stärkung der Fachhochschulen aus – v.a.

mit Blick auf deren eigenständige Forschung und die Erteilung des Promoti- onsrechts. Das Ringen um das Promotionsrecht an HAW ist eingebettet in eine 40-jährige „Geschichte der Emanzipation”, die zusehends als „Angriff auf die Oberklasse” gesehen wird (van Bebber 2011). Die Worte des Rektors

berg (LHG); http://www.landesrecht-bw.de/jportal/portal/t/3q7b/page/bsbawueprod.psml?

pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=4&num berofresults=110&fromdoctodoc=yes&doc.id=jlr-HSchulGBWV19P1&doc.part=X&doc.

price=0.0&doc.hl=1#focuspoint; >Zugriff: 11.10.2015@.

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11 der RWTH Aachen und damaligen Präsidenten des Verbands Technischer Universitäten TU9 Schmachtenberg (im duz Magazin 12/11 vom 18. Novem- ber 20112) bringen die Abwehrhaltung der Universitäten und Technischen Hochschulen auf den Punkt: „Es geht darum, dass wir in der modernen Wis- sensgesellschaft spezialisierte Bildungseinrichtungen haben: die Fachhoch- schulen mit dem Profil einer sehr hochwertigen, anwendungsbezogenen Be- rufsausbildung, die Universitäten mit dem Profil der forschungsorientierten Lehre. (…) Also, um es klar zu sagen: Es gibt exzellente Fachhochschulen, aber nicht weil sie forschen, sondern weil sie ihren Ausbildungsauftrag ganz hervorragend erfüllen!” Hierbei handelt es sich um eine konträre Position zur Stellungnahme des Wissenschaftsrates zur Rolle der Fachhochschulen (Wis- senschaftsrat 2010a), die betonte, dass „Forschungsaktivitäten, die auf die berufliche und gesellschaftliche Praxis ausgerichtet sind, Lehre und Studium um zusätzliche Praxisbezüge und um interdisziplinäre Perspektiven” berei- chern könne. In den veröffentlichten Empfehlungen zur Differenzierung der deutschen Hochschulen wurde bestätigt, dass man sich einen ambitionierten Aufbruch wünsche, der von einzelnen FH ausgehen könnte: „Der Wissen- schaftsrat befürwortet eine kompetenzorientierte Weiterentwicklung einzel- ner Fachhochschulen jenseits der Möglichkeiten des Regelfalles.” (Wissen- schaftsrat 2010b).

Die Stellungnahme, die zur Verschärfung der entsprechenden hochschul- politischen Debatte führte, erkannte auch deutlich an,

ƒ wie sehr sich das Funktions- und Anforderungsspektrum des Hoch- schultyps Fachhochschule erweitert habe,

ƒ dass eine konvergente Entwicklung von Fachhochschulen und Uni- versitäten zu beobachten und die klassische Unterscheidung von der Realität überholt worden sei,

ƒ dass dennoch eine hochschulrechtliche Typendifferenz zwischen Universität und Fachhochschule weiterhin funktional und nützlich sei, wobei gleichzeitig den Fachhochschulen eine weitere bedarfs- orientierte Ausdifferenzierung ermöglicht werden solle,

ƒ dass die Fachhochschulen Angebote zur bedarfsgerechten Akademi- sierung von Berufsfeldern machen sollten (z.B. Gesundheit, Thera- pie) und dabei auch zu unterstützen seien, entsprechende For- schungskapazitäten aufzubauen,

ƒ dass die Fachhochschulen die Studierneigung von jungen Menschen befördern könnten, die weniger eine theoriebezogene, sondern eher eine auf die außerhochschulische Karriere ausgerichtete akademi- sche Ausbildung angesprochen fühlten,

2 Siehe http://www.duz.de/duz-magazin/2011/12/angriff-auf-die-oberklasse/46#sthash.oZUE LICm.dpuf [Zugriff: 15.9.2015].

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ƒ und dass die Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen we- sentliche Impulse für die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft aus- gingen.

Das Papier des Wissenschaftsrates war umfassend und bezog Argumente ein, die in der Debatte seitens der Universitäten immer noch konsequent ignoriert werden. Konkret angesprochen wurde u.a. auch die Möglichkeit, dass Absol- vent_innen von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in stärkerem Maße promovieren sollten, damit die Wissenschaft auch in Professionen, Disziplinen und Feldern vorangebracht werden könne, die an Universitäten kaum oder gar nicht vertreten seien. Unterstützt wurde zudem explizit das Instrument der HAW-/FH-Forschungsprofessur. Außerdem wurde klarge- stellt, dass es nicht allein um den Promotionszugang für FH-Absolvent_innen ginge: „Die Forschung der Promovierenden aus der Fachhochschule soll zu einem wesentlichen Teil auch der Weiterentwicklung der Forschung an der Fachhochschule zugutekommen.” (Wissenschaftsrat 2010a).

Es lohnt, die junge und dynamische Geschichte der Fachhochschulen Re- vue passieren zu lassen, um zu verstehen, dass dieser Hochschultyp nicht stehen geblieben ist und wie viele Veränderungen sich in kurzer Zeit ergeben haben. Ihre Entstehung ist zweifelsohne mit der „Reform- und Gesetzge- bungsdynamik” der 1970er Jahre in Verbindung zu bringen, die auf die Stu- dentenbewegung und den 1969 erfolgten Regierungswechsel zu einer sozial- liberalen Koalition zurückgingen (Kehm 2004). Zum einen wurden die über- kommenen Traditionen der Universitäten in Frage gestellt, zum anderen ging es auch um eine verbesserte Bildungsgerechtigkeit. Höhere Fachschulen, Akademien und weitere Bildungseinrichtungen im sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Sektor sowie öffentliche und private Ingenieurschulen wurden zu Fachhochschulen und erhielten einen eigenständigen Bildungsauf- trag, um jungen Menschen eine Berufsqualifizierung auf wissenschaftlichem Niveau anbieten zu können (Schulze 2011). Es ging selbstverständlich auch um die Stärkung des Fachkräfteangebots und die Leistungs- und Wettbe- werbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sowie der Träger und Einrichtungen im sozialen Bereich. Das Modell der Fachhochschule wurde ab 1990 (1993) auch in Österreich und 1994 in der Schweiz eingeführt. Hier wurde der Stu- dienbetrieb erst 1997 aufgenommen. Dort erfolgte zunächst eine stärkere Fixierung auf eine Sicherung des Nachwuchses von „Kaderleuten für die Wirtschaft” sowie eine Aufwertung der beruflichen Fortbildung; aber auch die Förderung der Idee der sozialen Mobilität war von Bedeutung (sozialer Aufstieg durch Bildung von Angehörigen eher bildungsferner Schichten;

Hänsli/Dürsteler 2007: 17).

In der gleichen Zeit hatte die Neugründung von Fachhochschulen u.a.

auch an traditionsreichen ehemaligen akademischen Standorten in den neuen deutschen Bundesländern (z.B. Eberswalde, Brandenburg ab 1992) zu gänz-

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13 lich neuen Impulsen geführt. Nach einem „post-experimentellen Waffenstill- stand” (Kehm 2004) in den 1980er Jahren hatte der politische Umbruch auch Konsequenzen für die Hochschullandschaft. In einer Zeit des Umbruchs und der Neugestaltung war das Modell der Fachhochschule weniger verfestigt (Kehm 2004) und wurde zum Teil neu gedacht. Es wurden frühzeitig zahllose Experimente gestartet (z.B. erster internationaler Bachelorstudiengang im waldbezogenen Bereich in Deutschland an der FH Eberswalde schon ab 19983), ehe die bundesweiten Rahmenbedingungen dazu einluden. „Die in der DDR bestehende Tradition der Lehrorientierung und der guten Betreuung von Studierenden bestimmt nach wie vor in beträchtlichem Maß das Verhal- ten und das Selbstverständnis des wissenschaftlichen Personals” (Kehm 2004). Auch die Möglichkeiten der Diversifizierung des Studiengangsange- bots mit größerem Mut zu Inter- und Transdisziplinarität wurden kreativ ausgenutzt. Dies befruchtet auch die Forschungsentwicklung und die Entste- hung neuer Forschungstypen. „Nachdem die Grundlagenforschung, die an- gewandte Forschung und die Industrieforschung über lange Zeit hinweg getrennt betrachtet und gefördert wurden, ist in jüngerer Zeit die Notwendig- keit der Vernetzung der verschiedenen Bereiche in den Vordergrund gerückt.

Die Innovationsforschung zeigt, dass Neuerungen am besten im engen Zu- sammenwirken zwischen diesen Forschungstypen vorangetrieben werden können” (Teuscher 2011). So wurden auch in allen anderen Disziplinen und Professionen an den Fachhochschulen eigenständige Forschungsrichtungen neu entwickelt und ausgebaut. Inzwischen hat die einsetzende angewandte Forschung auch Rückwirkungen auf die Lehre und die Ausgestaltung der Curricula (eigene Erfahrung: Global Change Management, M.Sc. an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde4). Es entstanden z.B.

Masterstudiengänge für Angewandte Forschung in der Sozialen Arbeit (vgl.

Hochschule für Angewandte Wissenschaften in München5), die den Bereich der Forschung in den Mittelpunkt stellten. Daraus ergeben sich wiederum rückkoppelnd auch Konsequenzen für den Zugang von Studierenden und Mitarbeiter_innen zu FH/HAW. Die Unterschiede bzgl. der Studierenden, Mitarbeiter_innen und Doktorand_innen sind längst weniger deutlich als gemeinhin angenommen (z.B. hoher Anteil von Studierenden mit Abitur, Universitätsabsolvent_innen, die an FH/HAW in Projekten oder sogar an der Promotion arbeiten, etc.). Innovative attraktive Studienangebote und sichtba- res Forschungsengagement mit qualifizierten und sich durch Promotion qua- lifizierende Mitarbeiter_innen verstärken sich gegenseitig, so dass Personal und Studierende überdurchschnittlich motiviert sind und Hochschulen zuse-

3 International Forest Ecosystem Management (B.Sc.).

4 Siehe www.hnee.de.

5 Siehe http://www.sw.hm.edu/studienangebot/master/angewandte_forschung_in_der_sozia len_arbeit/index.de.html.

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hends einzigartige Profile entwickeln können. Auch vor dem Hintergrund solcher (persönlicher) Erfahrungen entstand dieses Buch.

Inzwischen gibt es in mehreren Bundesländern Initiativen, den Hochschu- len für Angewandte Wissenschaften den Zugang zum Promotionsrecht zu ebnen. Die dabei eingeführten oder angestrebten Modelle variieren erheblich.

Nicht nur in den Medien, sondern auch seitens diverser politischer Gremien und Studienwerke kommt es zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem Thema. Am 7. November 2014 trafen sich im Rahmen der Jahrestagung der Heinrich-Böll-Studienstiftung die Vertrauensdozent_innen in Berlin. Hierbei handelt es sich um einen Kreis von Wissenschaftler_innen aller Hochschul- typen aus ganz Deutschland, die sehr unterschiedliche Disziplinen und Pro- fessionen vertreten. Sie unterstützen die Studienstiftung u.a. bzgl. der Aus- wahl von geeigneten Stipendiat_innen und bringen ihre Expertise in diesen Kontext ehrenamtlich ein. Wie in jedem Jahr stand ein inhaltliches aktuelles Thema im Fokus – in diesem Falle das Promotionsrecht an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften/Fachhochschulen. Für ein Studienwerk ist das Thema auch deshalb wichtig, da es den Diskurs um die Bewertung von Qua- litätsstandards und -anforderungen bei der Auswahl von Promovierenden berührt (vgl. Beitrag Siebert in diesem Band).

Drei Referent_innen, die auch in diesem Band vertreten sind bzw. ihn verantworten, erläuterten ihre zum Teil konträren Positionen (siehe jeweilige Beiträge von Engelfried, Ibisch und Kockläuner) und legten das Fundament für eine angeregte Diskussion, die viele der auch in diesem Band erläuterten Argumente aufgriff. U.a. wurde hervorgehoben, dass viele universitäre Studi- engänge anwendungsorientiert seien (Jura, Medizin, etc.) und sich somit anwendungsorientierte und forschungsorientierte Studiengänge an beiden Hochschularten finden lassen. Beide Modelle näherten sich somit einander an, und das Promotionsrecht sollte dieser Entwicklung folgen. Die Heinrich- Böll-Stiftung könnte, so eine Anregung, Kooperationen zwischen Fachhoch- schulen und Universitäten unterstützen. Vorgeschlagen wurde u.a., die Stif- tung möge mit der Förderung von FH-Promovierenden früh einsetzen, so dass sie potenzielle Doktorand_innen schon auf dem Weg zur Promotion begleiten könnte. Letztlich entstand die Idee, über Disziplingrenzen hinweg weiter gemeinsam nachzudenken und zusätzliche Positionen und Erfahrungen aufzunehmen bzw. zu dokumentieren. Die Idee für eine gemeinsame Publika- tion war geboren, die wir hiermit vorlegen.

Abgesehen von grundsätzlichen Reflexionen zur angewandten Wissen- schaft und ihrer sich wandelnden Rolle in einer herausgeforderten Gesell- schaft, der damit verbundenen Rolle der Hochschulen für angewandte Wis- senschaften (Beitrag Ibisch) schildern die Autoren konkrete Erfahrungen in verschiedenen Bundesländern und mit diversen Instrumenten und Ideen zur Promotionsförderung an Hochschulen für angewandte Wissenschaften (u.a.

Brandenburg, Pfriem und Ibisch). Fritze und Kastner stellen die Veränderun-

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15 gen der letzten zehn Jahre in Bezug auf den Zugang zu Promotionsmöglich- keiten von Absolvent_innen und Mitarbeiter_innen der HAWs vor. Ein be- sonderes Augenmerk wird auf die Aktivitäten im Bereich Politik, Ministeri- um und Universitäten gelegt. Die im Juni 2015 veröffentlichte Vereinbarung zwischen den agierenden Hochschulverbünden wird vorgestellt. Einen sehr interessanten Hochschultypus in Baden-Württemberg stellen Gründer und Burmeister vor. In den Fokus geraten die Dualen Hochschulen, die früheren Berufsakademien. Sie stellen Möglichkeiten und Grenzen der Anbahnung und Begleitung von Hochschulkarrieren vor. Der erste Themenblock, der über ausgewählte Diskurse zum Stand der aktuellen Positionen und Entwick- lungen zum Promotionsrecht an Hochschulen für Angewandte Wissenschaf- ten informiert, wird abgeschlossen durch ein Interview mit Susanne Elsen.

Engelfried und Schäffler beschäftigen sich im Gespräch mit der Hochschul- lehrerin in Bozen/Brixen mit nationalen und internationalen Entwicklungen.

Herausgearbeitet werden u.a. die Wirkung von unterschiedlichen Machtver- hältnissen auf verschiedenen Ebenen, in die der Diskurs eingebettet ist. Vor- gestellt werden auch konkrete Strategien und Strukturen, die das Promovie- ren von Absolvent_innen von HAWs befördern können.

Der zweite Teil des Bandes wendet sich konkreten Aktivitäten und Maß- nahmen der Promotionsförderung zu. Den Anfang macht die Vorstellung des kooperativen Forschungskollegs „Familiengesundheit im Lebensverlauf”

(FamiLe) der Universität Witten/Herdecke und der Hochschule Osnabrück.

Büscher, Dorin, Hellmers, Knecht, Metzing, Schnepp, Stelzig und zu Sayn- Wittgenstein stellen einige hochschulpolitische Debatten vor, in die das For- schungskolleg involviert ist, welches durch das Bundesministerium für Bil- dung und Forschung im Rahmen der Ausschreibung „Forschungskooperatio- nen zwischen Fachhochschulen und Universitäten stärken – Wissenschaftli- chen Nachwuchs in Forschungskollegs fördern” finanziert wird. Schmitt und Gahleitner beschäftigen sich im Anschluss in ihrem Beitrag mit der Entwick- lung von promotionsförderlichen Maßnahmen nach FH-Abschluss. Sie sind in und um die Fachgruppe Promotionsförderung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) entstanden. Ein Instrument dieser promotionsför- derlichen Maßnahmen hat Marianne Klotz im Rahmen ihrer Masterarbeit im Masterstudiengang „Angewandte Forschung in der Sozialen Arbeit” an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in München quantitativ evalu- iert: die Promotionsrundmail. Meyer nähert sich in ihrem Aufsatz der beson- deren Situation von Akademiker_innen. Sie geht dann auf das Mathilde- Planck-Programm in Baden-Württemberg ein, welches vom Wissenschafts- ministerium Baden-Württemberg aufgelegt worden ist. Es ist gezielt auf die Bedürfnisse von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ausgerichtet, um weiblichen Nachwuchs zu fördern. Vorgestellt wird z.B. der Startzirkel Promotion, der sich an Frauen wendet, die sich über eine Promotion fundiert

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informieren wollen. Im Begleitzirkel Promotion werden Frauen während des Promotionsprozesses unterstützt.

In dieser Publikation wird ein breiter Bogen gespannt: es werden aktuelle und spannende Befunde auf unterschiedlichen Ebenen präsentiert, die es dem/der Leser_in ermöglichen, sich in der Debatte zu verorten.

Möge dieser Band, der nunmehr ca. 45 Jahre nach der Schaffung der ers- ten Fachhochschulen erscheint, zur Versachlichung der Debatte beitragen.

Sind wir an einem neuen Wendepunkt der Entwicklung der (ehemaligen) Fachhochschulen? Aufgrund der Vielfalt der Ebenen, auf denen agiert wird sowie der großen Anzahl der existierenden Diskurse kann hier nur ein Ein- blick in Zusammenhänge, Positionen und Entwicklungen präsentiert werden.

Sie lassen aber klar erkennen, dass die Forschungswende an den FH/HAW bereits erfolgt und dass das Promotionsrecht einen notwendigen weiteren Entwicklungsschritt darstellt. Möge der Band auch neugierig machen darauf, was nach diesem Wendepunkt folgen wird: eine ergebnisoffene, aber vielver- sprechende Zukunft der Hochschulen für angewandte Wissenschaften, gestal- tet durch ihre Studierenden, Lehrenden und Doktorand_innen.

Literatur

Hänsli, Marcel/Dürsteler, Urs. (2007): Soziale Mobilität durch das Fachhochschulstu- dium. Bern: Haupt Verlag AG.

Kehm, Barbara M. (2004): Deutsche Hochschulen: Entwicklung, Probleme, Perspek- tiven. Aus Politik und Zeitgeschichte (B25/2004). Bpb: Beilage zur Wochenzei- tung Das Parlament, 14.6.2004. 6-17 (Dossier Bildung, Bundeszentrale für politi- sche Bildung, 28.4.2015, http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/zukunft-bildung/

205721/hochschulen-in-deutschland?p=all, >Zugriff: 25.9.2015@

Schulze, Svenja (2011): Festakt 40 Jahre Fachhochschulen NRW „Die Fachhochschu- len können mit Stolz und Selbstbewusstsein auf ihre Arbeit blicken.” In: Eine Er- folgsgeschichte 40 Jahre Fachhochschulen in NRW. Beilage zur duz – Unabhän- gige Deutsche Universitätszeitung/Magazin für Forscher und Wissenschaftsma- nager, 2. Dezember 2011. 14-17 http://www.duz.de/cms/media/uploads/user/379/

duzSPECIAL_NRW_40_Jahre_FH_Screen_24.11.11.pdf; S. 5-13 >Zugriff:

25.9.2015@

Teuscher, Micha (2011): Es ist an der Zeit, die strukturelle Benachteiligung zu been- den. In: Eine Erfolgsgeschichte 40 Jahre Fachhochschulen in NRW. Beilage zur duz – Unabhängige Deutsche Universitätszeitung/Magazin für Forscher und Wis- senschaftsmanager, 2. Dezember 2011. http://www.duz.de/cms/media/uploads/

user/379/duzSPECIAL_NRW_40_Jahre_FH_Screen_24.11.11.pdf; S. 14-17

>Zugriff: 25.9.2015@

van Bebber, Frank (2011): Fachhochschulen stärken Forschung. Angriff auf die Oberklasse. Duz Magazin, Ausgabe 12/11 vom 18. November 2011 Online-

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17 Version: http://www.duz.de/duz-magazin/2011/12/angriff-auf-die-oberklasse/46;

>Zugriff: 25.9.2015@

Wissenschaftsrat 2010a. Empfehlungen zur Rolle der Fachhochschulen im Hoch- schulsystem. Drs. 10031-10 Berlin 02 07 2010, Köln http://www.wissenschafts rat.de/download/archiv/10031-10.pdf; >Zugriff: 25.9.2015@.

Wissenschaftsrat 2010b. Empfehlungen zur Differenzierung der Hochschulen. Drs.

10387-10 Lübeck 12 11 10, Köln http://www.wissenschaftsrat.de/download/

archiv/10387-10.pdf; >Zugriff: 25.9.2015@

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Promotionsrecht an Fachhochschulen:

„Ein wissenschaftspolitisches oder ein wissenschaftstheoretisches Problem?“

Pierre L. Ibisch

1 Einleitung

„Die ganze Lehre an FH's müsste vom Niveau her ja angehoben werden aber dann könnten sich die Unternehmen ihre Fachidioten nicht mehr genau auf ihr Berufsprofil zuschneiden lassen.”1

„Für alle die es NICHT wissen: Eine Promotion hat NICHTS mit Praxis zu tun”2

„Die RWTH Aachen ist eine Universität und besitzt demnach regulär das Promotionsrecht.

Wäre ja fürchterlich, wenn die Ingenieurskaderschmiede Deutschlands eine Schwachma- ten-FH wäre.”3

Ausgewählte Online-Leserkommentare zu einem Diskussionsbeitrag über das Promotionsrecht von Fachhochschulen (Ibisch 2014) können als Indiz dafür gelten, dass die Diskussion zu diesem Thema oftmals abseits von sachlichen Argumenten und zum Teil mit bemerkenswerter Vehemenz geführt wird. Der Stil der Debatte zum Promotionsrecht der Fachhochschulen ist emotional, ja sogar polemisch und irrational, sehr häufig wohl auch ignoranzbasiert. Zwar ist bereits bekannt, dass die Anonymität im geschützten virtuellen Raum Menschen dazu verleitet, regelmäßig Regeln des anständigen Miteinanders zu verletzen, doch ist dennoch erstaunlich, dass sich auch mutmaßlich akade- misch gebildete und aktive Menschen zu einem wissenschaftspolitischen Thema derartig ereifern. Woher rührt die Aufregung? Worum geht es eigent- lich bei dieser Debatte, die seit einigen Jahren anschwillt? Handelt es sich tatsächlich um ein rein politisches Feld, welches angesichts vermeintlicher Konkurrenz um knappe Ressourcen für die Forschungsentwicklung erbittert umkämpft wird? Welche Rolle spielen Unkenntnis und Missverständnisse bezüglich der Kapazitäten und Veränderungen von Fachhochschulen bzw.

1 29. Januar 2014, 11:31 Uhr Leserkommentar zu „Promotionsrecht an Fachhochschulen.

Schluss mit der Zweiklassenwissenschaft”, Pierre L. Ibisch. Insgesamt reagierten Leser mit 101 Kommentaren über einen Zeitraum von über 2 Monaten nach Erscheinen des Beitrags.

2 29. Januar 2014 14:29 Uhr Leserkommentar, s.o.

3 08. April 2014 19:44 Uhr, Leserkommentar, s.o.

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Hochschulen für angewandte Wissenschaften? Wurzelt der Streits vielleicht in wissenschaftstheoretischer Unsicherheit, die eine eingehendere Behand- lung verdient? Geht es gar um sehr grundlegende Fragen unseres Verständ- nisses von angewandter Wissenschaft bzw. Forschung in einer Zeit raschen Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse? Der vorliegende Beitrag hat zum Ziel, zu diesen Fragen einige Thesen und Antworten vorzuschlagen, möchte aber auch Anregungen zur Versachlichung und Verbreiterung der Diskussion geben.

2 Eine in die angewandte Wissenschaft getriebene Gesellschaft

„Wissenschaftliche Forschung kann aus doppelter Perspektive betrachtet werden. Sie soll uns Aufschluss geben über den Naturzusammenhang und die ihm zugrunde liegenden Mechanismen, und sie soll zugleich die Mühsal der menschlichen Existenz erleichtern” (Carrier 2009). Die Unterscheidung der Wissenschaften nach ihrer Anwendungsrelevanz bzw. Theorie- vs. Praxisba- siertheit ist nicht neuzeitlich, sondern wird bis auf Aristoteles zurückgeführt, der in seiner Metaphysik praktische, poietische und theoretische Wissen- schaft differenzierte. Bis heute wird immer wieder diskutiert, ob angewandte Wissenschaft (vorrangig) die Anwendung zum Ziel hat und dabei (überwie- gend) auf existierendes Grundlagenwissen zurückgreift, oder aber eine ent- sprechende angewandte Forschung durch Anwenderinteresse motiviert wird.

Letztlich scheint die klassische Unterscheidung der Komplexität von For- schungsprozessen sowie den entstandenen Forschungstypen nicht immer angemessen gerecht zu werden. Eines ist klar: Am Anfang jeglicher wissen- schaftlicher Arbeit stehen Fragen oder Probleme, deren Beantwortung in der Regel neue Fragen aufwirft. Die sich beliebig fortsetzenden Fragen- Antworten-Ketten können überwiegend in praktischen Bereichen liegen, in theoretischen oder wechselweise in beiden. Häufig standen zweifelsohne sehr grundsätzliche Probleme im Vordergrund der systematischen wissenschaftli- chen Arbeit, wobei diese – wie etwa „Ist die Erde eine Kugel?”, „Was ist Energie?”, „Ist Masse energieäquivalent?” – praktische Fragen nach sich zogen – z.B. „Kann man die Welt umsegeln?”, „Wie kann Energie für be- stimmte Zwecke bereitgestellt werden?”, „Kann eine Atombombe gebaut werden?”.

Abstraktion und theoriebasierte Methodiken und (Hilfs-)Wissenschaften wie etwa die Mathematik vermochten etliche wissenschaftliche Disziplinen immer weiter in theoretische Sphären zu treiben. Dies führt regelmäßig zur Erkenntnis, welcher weder praktische Motivation noch Zielsetzung zugrunde

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21 liegt. Motivation, Zielsetzungen und oft auch Ergebnisse dieser theoretischen

‚Grundlagenwissenschaften‘ sind für Menschen, die nicht spezifisch vorge- bildet sind, meist nur schwerlich nachzuvollziehen, was mit entsprechender Ehrfurcht vor diesen Disziplinen einhergehen kann. Praktische Probleme, die beispielsweise vom konkreten Leid der Menschen oder ihren Bedürfnissen ausgingen, wurden lange Zeit auf eher ‚unwissenschaftliche‘ Weise erforscht.

Ein entsprechendes Beispiel stellt die Medizin dar, die sich im Zuge eines vergleichsweise langsamen Prozesses vom unsystematischen und schlecht dokumentierten Versuch-und-Irrtum-Ansatz und vom Quacksalbern zur evi- denzbasierten Medizinwissenschaft mauserte. Bestimmte Fortschritte der medizinischen Wissenschaft waren wiederum erst möglich, nachdem Grund- lagenwissenschaften wie etwa die Biochemie oder die Molekularbiologie – häufig unfreiwillig und definitiv unvorhersehbar – Anstöße gaben, neue, praxisorientierte Fragen zu stellen.

Oftmals führten auch praktische Probleme zur Geburt von wissenschaftli- chen Disziplinen. Als der Naturforscher Carl von Linné begann, den bekann- ten Tier- und Pflanzenarten Namen zu geben, ging es darum, etwas Ordnung in ein scheinbares Chaos zu bringen und eindeutigere Verständigung über bestimmte Lebewesen zu ermöglichen. Die entsprechende Taxonomie war eine wichtige Grundlage für die systematischen und vergleichenden morpho- logischen Wissenschaften, für die Erkenntnis der Abstammung und somit die Erforschung der Genetik und der Evolution des Lebens. Entsprechende theo- retische Befunde dieser Zweige der Biologie finden wiederum praktische Anwendung wie z.B. in Medizin oder Naturschutz. Aber jegliche Ange- wandtheit ist relativ und perspektivenabhängig. Einer Weltgesellschaft, die von sehr akuten (Über-)Lebensfragen gebeutelt wird, mag die Frage, ob man zwei Grubenottern voneinander unterscheiden kann, reichlich akademisch vorkommen – selbst wenn es eine pharmazeutische Relevanz geben möge.

Die Verwobenheit der Wissenschaften, die ohne praktische Absicht be- gonnen und betrieben werden, und der angewandten, die einer praktischen Motivation oder Zielsetzung folgen, ist schon lange gegeben. Die Praxisrele- vanz jeglicher Frage ist relativ, da sie durch sich ständig verändernden Mehr- heiten unter sich rasch wandelnden Rahmenbedingungen definiert wird. Al- lerdings scheint sich der Stellenwert der (eher) angewandten Wissenschaften durch die – nicht zuletzt auch durch Wissenschaft beförderte – Veränderung der menschlichen Gesellschaft doch signifikant vermehrt zu haben. Eine Reihe von parallel fortschreitenden und systemisch ineinandergreifenden Prozessen treiben Veränderungen unserer sog. Wissensgesellschaft an. Die exponentielle Zunahme der Menschen und das noch heftigere Wachstum von Informationstechnologie und Kommunikationsmöglichkeiten treiben die Gesellschaft in bis vor kurzem unvorstellbare Dimensionen der Komplexität.

Die Interaktion von immer mehr Menschen, deren Bildungsstand stetig wächst und die immer schneller auf beschleunigt anwachsende Information

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zurückgreifen können, mehrt nicht nur das kollektive Wissen, welches in stets effizienteren globalen Netzwerken umgesetzt wird, sondern führt gleichzeitig – und in Bezug auf verschiedene Dimensionen – auch zu einem unübersehbaren Wachstum des Nichtwissens (Ibisch/Hobson 2012). Es schrumpft der relative Anteil des möglichen aktiven Wissens der Individuen am Weltwissen, was eine neue Art von geradezu paradoxer Ignoranz bedingt.

Zudem ergibt sich in der komplexen und pluralistischen Gesellschaft eine unüberschaubare Vielfalt von Bewertungen des bekannten Wissens und Nichtwissens, was zur größeren Uneindeutigkeit führt. Diese Uneindeutigkeit bezieht sich auf eine Welt, in der konvergierende Krisen (Biggs et al. 2011) Entscheidungsträger vor sich her treiben, da eine stets größere Zahl von Prob- lemen qualifiziert zusammengedacht werden müssen und in rascher Folge zu behandeln sind. Dabei handelt es sich nicht zuletzt um globalisierte Krisen der sozialen, politischen und ökonomischen Systeme genauso wie um fun- damentale ökologische. Eine Facette der VUCA-Welt (Volatility – Uncertainty – Complexity – Ambiguity; Richard 1997) ist die Tatsache, dass die Wissenschaft immer stärker gefordert ist, fundierte und umfassende Be- wertungen vorzunehmen und Lösungen von tendenziell akuteren Problemen zu unterstützen. Hier erfolgt ein Arbeiten im Grenzbereich von deskriptiver (‚Was ist?‘) und präskriptiver bzw. normativer Wissenschaft (‚Was soll sein?). Es ist zu verzeichnen, dass wissenschaftliche Ergebnisse nicht nur allein angesichts eines wachsenden Informations- und Bildungshungers in einer sich fortschreitend differenzierenden Gesellschaft immer stärker nach- gefragt werden, sondern dass diese Nachfrage auch vor dem Hintergrund der Zuspitzung von Problemen mit bislang unbekannter Intensität und Diversität erfolgt.

Die sich beschleunigende technologische Entwicklung allein entfaltet rückkoppelnd ein erhebliches Wachstum des Bedarfs nach unterstützender Forschung und Entwicklung. Vor der Industrialisierung beförderten einzelne, mehr oder weniger zufällige und häufig geniale Erfindungen den technologi- schen Fortschritt und die kulturelle Entwicklung. Inzwischen zwingen kon- kurrierende Systeme in den diversen technologischen Bereichen wie etwa im Computer- oder Informationsbereich zu in größerem Maße zielorientierter und sehr schneller Entwicklung. Eine wichtige Triebkraft der entsprechenden Nachfrage ist der systematisch angetriebene Konsum auf einem globalen Markt. Die komplexeren sozialen Systeme verlangen permanent nach neuen Lösungen, um ihr weiteres Funktionieren und Wachstum zu gewährleisten.

Die technologische Entwicklung selbst zeitigt problematische Umweltwir- kungen, die wiederum erfasst, bewertet und bearbeitet werden müssen. Ange- sichts der Verknappung von Rohstoffen und der Verschärfung ökologischer Probleme wie etwa dem Klimawandel werden auf der Grundlage eines durchaus abundanten Wissens immer präzisere und dringlichere Fragen auf- geworfen, die von der Wissenschaft zu lösen sind. Die Rolle des konventio-

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