Psychosomatik
F Ü R S T U D I E R E N D E
D E S P S Y C H O T H E R A P E U T I S C H E N P R O P Ä D E U T I K U M S A N D E R PA R I S L O D R O N U N I V E R S I TÄT S A L Z B U R G 2 0 1 7
D R . B O D O K I R C H N E R FA F Ü R I N N E R E M E D I Z I N P S Y C H O A N A LY T I K E R
Struktur der VL Psychosomatik
Begrüßung und Vorstellung Theorie – Praxis
3 Termine 15 UE, Unterlagen auf ppt / blackboard
Schwerpunkte : Leib/Seele, allgemeine PS, spezielle PS : Herz, Bauch, Schmerz Seminararbeit : 5 Seiten über ein selbstgewähltes Thema aus der PS bis 12/17 bei Problemen : Anruf 0650 5371675 oder Mail bodo.kirchner@auva.at
und immer: diskutieren, kritisieren, fragen !
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Was ist psychosomatisch ?
Brainstorming: was wissen Sie bereits - was vermuten Sie?
Und - was ist nicht psychosomatisch?
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Definition Psychosomatik 1
…eine Betrachtungsweise, die den
Einfluss des Körperlichen, Seelischen
und Sozialen bei der Entstehung und
im Verlauf von Krankheiten und bei
deren Behandlung verfolgt
Definition Psychosomatik 2
…eine Betrachtungsweise, bei der
das Seelische und die psychosoziale
Situation erhebliches Gewicht bei
der Entstehung, Aufrechterhaltung
und Überwindung eines Krankheits-
zustandes haben
Definition Psychosomatik 3
…eine Weise des verstehenden Zuganges und der umfassenden Behandlung, die bei jedem
Krankheitszustand Bedeutung
haben kann
Psychosomatik ist….
1.eine Grundhaltung im Umgang mit allen Patienten
( psychosomatisches Basiswissen, psychosomatische Grundversorgung)
2. ein Spezialgebiet in der Erkennung und
Behandlung von krankheitswertigen Störungen leibseelischer Vorgänge
(speziell fortgebildete PsychotherapeutInnen und klinische PsychologInnen, FÄ für Psychiatrie, ÄrztInnen mit „Psy-Diplom“)
Der kranke Mensch
Subjektive Erlebniswelt
Gefühlsmäßige Befindlichkeit
Lebensgeschichtliche Bedingungen Persönliche Interpretation
Subjektive Krankheitstheorie
Bezug zur sozialen und biologischen Umwelt Sinn und Bedeutung von Krankheit
Beziehung zum Spirituellen und Transzendenten
Die subjektive Krankheit
Subjektive Erlebniswelt
Gefühlsmäßige Befindlichkeit
Lebensgeschichtliche Bedingungen Persönliche Interpretation
Subjektive Krankheitstheorien
Bezug zur sozialen und biologischen Umwelt
Sinn und Bedeutung von Krankheit
Subjektive Krankheitstheorien
Mechanistisch: Zufall, Notwendigkeit, Unfall
Fatalistisch: Gene, Schicksal, Vorherbestimmung Ökologisch: Vergiftung, Strahlung, Umwelt
Chemisch: Nahrung, Genussmittel, Drogen, Medikamente Biologisch: Infektion, Entzündung, Reizung
Psychologisch: Stress, Ärger, Kränkung…
Sozial: Gewalt, Angriff, Gegner (Schadenersatz!) Metaphysisch: Schuld, Strafe, Sühne, Vergeltung Theologisch: Buße, Prüfung (Hiob)
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Wissenschaftliche Krankheitstheorien
Antike: Götter (Rituale, Opfer) / Natur
Asklepios: Tempelschlaf (Inkubation und Imagination) Symbolischer Tod / Auferstehung
Dionysos : Rausch, Traum, Katharsis
Hippokrates: Harmonie des beseelten Leibs Sokrates: Mäeutik (Hebammenkunst)
Galen: Humoralpathologie (Körpersäfte) und Naturheilkunde Paracelsus: Astrologie, (Al)Chemie, Mikro- und Makrokosmos
Aufklärung: sachlich-rationales Wissen, Beherrschung der Natur, Fortschrittsidee, Hypothese und Experiment
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Sokrates in Plato ( 428-348 v-Chr.), Charmides
„….so wie man nicht unternehmen dürfe, die Augen zu heilen ohne den Kopf,
noch den Kopf ohne den ganzen Leib, so auch nicht den Leib ohne die Seele,
sondern dieses eben wäre auch die Ursache,
weshalb die Ärzte den meisten Krankheiten noch nicht gewachsen wären, weil sie nämlich das Ganze verkennten….
…das ist das größte Unheil bei der Behandlung von Kranken; dass es Ärzte für den Körper gibt und Ärzte für die Seele…
dem ganzen Menschen sollten sie ihre Aufmerksamkeit zuwenden…“
Antikes Psychogenese- und
Psychotherapieverständnis bei Sokrates
„…denn alles entspränge aus der Seele, das Böse und das Gute dem Leibe und dem ganzen Menschen…jenes also müsse man zuerst und am sorgfältigsten behandeln…
Die Seele aber…werde behandelt durch gewisse Besprechungen….
Denn durch solche Reden entstehe in der Seele
Besonnenheit, und wenn diese entstanden und da wäre, würde es leicht, Gesundheit auch dem Kopf und dem übrigen Körper zu verschaffen.“
Sokrates in Plato: Charmides / Ch.Herrmann-Lingen, Marburg 2006
Die cartesianische Wende
René Descartes (1596-1650)
„Iatrophysik“ - Rationalismus
Giovanni Alfonso Borelli (1608-1679)
„Iatromathematik“ - Körper als triviale Maschine Julien Offray de la Mettrie (1709-1751)
„L‘homme machine“
(Ch.Herrmann-Lingen, Marburg 2006)
Lehrbuch der Störungen des Seelenlebens
J.C.A.Heinroth, Leipzig 1818 spricht erstmals von „Psychosomatik“
„…wir versuchen vergebens den Leib von der Seele, die Seele vom Leibe zu trennen.
Mit dem Begriffe: Ich, Mensch, Individuum, ist unabänderlich die Unzertrennlichkeit des Leibes und der Seele verbunden.
Wir unterscheiden erst dann einen Leib an uns, wenn wir etwas innerliches, ein Ich, diesem, als Uns selbst wiefern wir auch ein Äußeres sind,
entgegensetzen.
Das Innerliche unseres Wesens, unser Selbst als Inneres, nennen wir Seele, das Äußerliche unseres Wesens, unser äußeres Selbst, nennen wir Leib.
Und so ist der Mensch ein Einziges Selbst oder Ich (Individuum), aus Seele und Leib, aus Innerem und Äußerem bestehend; als wovon sich keines ohne das andere denken läßt.“
Mitte des 19.Jh. / Dominanz der Naturwissenschaften
Naturwissenschaftliche Orientierung in der Medizin ohne Einbeziehung der Psyche
Psychosomatik wird zu einer Gegenbewegung mit 3 Traditionen:
◦ holistische
◦ psychogenetische
◦ psychophysiologische
Wem „gehört“ die Psychosomatik ?
Konfliktreiche Ansprüche und Grenzgebiete Traditionelle organbezogene Medizin
D: Innere Medizin , Ö: Psychiatrie
Traditionelle seelenbezogene Psychotherapie
Komplementär- und Alternativmedizin, esoterische Techniken Grenzen, Berührungen, Überschneidungen
Konkurrenz, Rivalität, Verteilungskämpfe Macht und Geld
„…das haben wir immer schon gemacht“ ?
Der holistische Ansatz
Jede Krankheit hat psychosoziale Aspekte
Novalis: „…so kann man jede Krankheit Seelenkrankheit nennen“
Behandlung von Kranken, nicht von Krankheiten
Berücksichtigung chemischer, physikalischer, biologischer und psychosozialer Ursachen
Psychosomatik kein Spezialfach, sondern ein
Grundlagenfach, Beurteilungs und-Handlungsdimension
Psychogenetischer Ansatz
Bei organischen Erkrankungen wirken psychische Kofaktoren bei der Entstehung und dem Verlauf entscheidend mit
Konversionsneurotisches Modell nach S.Freud und G. Groddeck Franz Alexander: „Holy 7“:
somatische Erkrankungen, bei denen unbewusste Konflikte beschrieben werden (Ulcus, Colitis ulcerosa, Neurodermitis, Asthma bronchiale, Hypertonie, Migräne, Rheuma...)
Das Subjekt im Krankheitsprozess (v. Weizäcker) Arzt-Patientenbeziehung (Balint)
Psychophysiologischer Ansatz
„Stress“-Begriff von Cannon 1914 eingeführt Stresstheorie von H.Selye (1907-1922):
Bewältigung von Belastungsanforderungen durch den Organismus, Adaptation an die durch den Stress
hervorgerufenen Zustände („Adaptationskrankheiten“) Psychoneuroendokrinologie
Psychoneuroimmunologie Neuroplastizität
Leib - Seele – Problem 1
Descartes: Trennung res extensa – res cogitans
„Cogito , ergo sum“, Zirbeldrüse als Sitz der Seele … De la Mettrie: L´homme machine
Brücke / Helmholtz: „…keine anderen Kräfte anzuerkennen, als die physikalisch-chemischen…“
Experimentelle naturwissenschaftliche Forschung Messbarkeit, Operationalisierbarkeit, Reproduzierbarkeit
Seelisches = Verhalten = Epiphänomen der Biologie ? Naturwissenschaft vs. Geisteswissenschaft?
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Dualismus
biologisch rational Vernunft aktiv Macht Sieg Kontrolle ordentlich anständig sichtbar männlich Sonne Yang
psychologisch irrational Gefühl passiv Ohnmacht Niederlage Zufall
unordentlich unanständig unsichtbar weiblich Mond Yin 23
Leib-Seele Problem 2
Parallelismus : Nebeneinander von Körper und Seele Monismus : Identität von Körper und Seele
Emergenz: aus physikochemisch – biologischen Ereignissen
entstehen psycho – soziale, die sich nicht mehr in der bisherigen
„Sprache“ beschreiben lassen
Synchronizität : gleichzeitige Geschehnisse, die durch verborgene Kräfte miteinander verbunden sind
Identität: unterschiedliche Beschreibungen (Sprachen) für eine untrennbare Einheit ( ~ Physik: Welle /Teilchen)
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Psychosomatik:
Es gibt keine Krankheiten,
sondern nur kranke Menschen
( Krehl, 1930)
W. v. Weizsäcker:
…nicht dem Körperlichen weniger, sondern dem Seelischen und
Sozialen mehr Beachtung
schenken“
Das ärztliche „Gespräch “
Der/ die PatientIn benötigt ca. 1,5 Minuten, um das Wesentliche darstellen zu können,
wird aber nach ca. 22 Sekunden vom Arzt unterbrochen…
dieser bestimmt dann das Thema.
Das ÄG wird nach ca. 3,5 Minuten durch den Arzt
beendet.
Biomedizinisches Modell (alt):
1. Weder Krankheit noch Befund = Gesundheit 2. Krankheit und passender Befund =
wirkliche / „anständige“ Krankheit
3. Befund ohne Krankheit = Bewältigung 4. Krankheit ohne Befund = eingebildet?
„psychosomatisch“? unanständig?
Der „eingebildete Kranke“:
„Psychisch überlagert“
Hypochondrie, Neurasthenie Befindlichkeitsstörung
„nur psychisch“
Vegetativ labil
Simulation, Rentenneurose…
ärztliche Verachtung statt Verständnis!
Krankheitsursachen:
Körperliche Seelische
Neigung Neigung
Äußere innere
Belastung Belastung
„Henne oder Ei?“
psychosomatisch
somatospsychisch
Paradigmenwechsel
nicht: was hat Vorrang? (body over mind vs. mind over body) sondern: Wie hängt das zusammen?
Wie kann ein Symptom gelesen, verstanden und verwendet werden?
Was gehört noch dazu?
Was weiß ich (noch) nicht, um diese Erkrankung
bei diesem Menschen,
Hermeneutik und Szenisches Verstehen
Verstehen, Deuten, Interpretieren eines Bildes/Textes/Szene:
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Ich bin viel zu dick…
Neues Paradigma
Beobachtungen und Befunde aus verschiedenen Fachgebieten (Befund und Befinden) zu verbinden
Ziel ist es,
◦ körperliche Befunde,
◦ soziale Einflüsse und
◦ seelische Erfahrungen
in Beziehung zueinander zu setzen und in eine verstehbare und gesetzmäßige Verbindung zu bringen
Gegenseitige Bereicherung statt Konkurrenz!
Seele
Gesellschaft Körper
Biopsychosoziales Konzept
• Verbindung der Wissensbereiche und Theorien
• Nutzbarmachung für ein integriertes Behandlungskonzept
•Dialog und Kommunikation
statt Vereinzelung, Isolierung und Trennung
•Einbeziehung aller Wissenschaften und Techniken
•Stärkung der Eigenverantwortung und -kompetenz
Unterstützung statt Konkurrenz
Naturwissenschaften Geisteswissenschaften Sozialwissenschaften Pflegewissenschaften
Alternativ- und Komplementärmedizin Philosophie und Theologie
W1 W2
W3
Bio-psycho-soziales Modell
Der Mensch entwickelt und verändert sich unter dem
wechselseitigen Einfluss von Biologie, Psychologie, Kultur, Geschichte und Gesellschaft in seiner gesamten
persönlichen Lebensspanne, in Gesundheit und Krankheit
genetische Faktoren biologische Faktoren psychologische Faktoren soziale Faktoren
Unter Einbeziehung von
Subjektivität
Individualität
Sozialität
Biografie
Kommunikation
Bio-Psycho-Soziales Modell
mod. n. F. Resch 1996
Biographische Aktueller „Krise“ Outcome
Biologische Entwicklungs- einflüsse
Genetik
Psychosoziale Entwicklungs- einflüsse
DISPOSITION
Entwicklungs- aufgaben
Lebens- ereignisse
Risiko- verhalten
Krankheit
Stabilisierung
Störung
Thure von Uexküll: Psychosomatische Medizin das bio-psycho-soziale Modell:
sozial
bio psycho
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Kontinuum Seele-Körper
psychisch
Gesundheit und Krankheit, subjektiv / objektiv psychisch / somatisch : Kontinuum!
Gesundheit subjektiv psychisch
Krankheit objektiv somatisch
Dynamisches Krankheitskonzept
Krankheit als:
Ungleichgewicht
Fixierung und Einengung
Verlust von Komplexität
Verlust von Selbstregulation
Verlust von Integration und Integrität
Soziales Risiko: „Krankheitsgewinn“
Krankheit
Gesundheit
Perspektiven
in der Psychosomatik
Salutogenese
Pathogenese
Pathogenetische Perspektive
Was macht krank?
Verlust der Passung zwischen Organismus und Umwelt, Verlust von Copingstrategien –(Stress) macht krank
Erleben von Handlungsunfähigkeit – ausgeliefert sein
Verlust an Verstehbarkeit, was zwischen Arzt/Patient oder mit dem Patienten geschieht
Krankheitssymptome als Narrativ der Patienten Leibgefühl / Körperwahrnehmung / Krankheit
Stressoren
Holmes/Rahe 1948: Life-event-adjustment scale:
Verlust :Personen, Arbeit, Status, Sicherheit, Geld Kränkung: Familie ,Beruf, Freunde
Enttäuschung: Hoffnungen, Lebensplan, Chancen Angst: vor Verlust, Kränkung, Enttäuschung
subjektiv / objektiv real / phantasiert
symbolische Bedeutung!
„Energieräuber“
Dys-Stress Frustration Zeitknappheit Unklarheit Unsicherheit
Unzufriedenheit Hilflosigkeit
Überforderung
Fehlender Rahmen
Kommunikationsmängel Ungerechte Kritik
Unsachliche Kritik Schlafstörungen Schmerzen
Kränkung Mobbing
Häufige konfliktträchtige
Lebensbereiche
(nach Dührssen 1981) Partnerwahl / Bindung / Familienleben
Herkunftsfamilie (Drei-Generationen-Konzept)
Eigene Elternrolle
Berufs-, Arbeits-. Leistungsverhalten
Einkommens- und Besitzverhältnisse
Soziokultureller Lebensraum
Salutogenese (A. Antonovsky)
Sense of Coherence - Kohärenzgefühl:
◦ Comprehensibility oder Überschaubarkeit
(Ereignisse sind vorherschaubar und in Kontext einzuordnen)
◦ Manageability oder Handhabbarkeit ( Vertrauen in die eigene Bewältigungskraft gegenüber Anforderungen)
◦ Meaningfulness oder Sinnhaftigkeit (Bewältigung der Anforderungen / Ereignisse lohnen sich)
Salutogenese
(Antonovsky,1970, 1997)Sense of Coherence SOC:
…ein dynamisches Gefühl des Vertrauens darauf, dass …das Leben strukturiert und erklärbar ist und dass …die Anforderungen
Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engagement lohnen
Verstehbarkeit
Bedeutsamkeit
Handhabbarkeit
Ressourcen:
Soziale Unterstützung Optimismus
Resilienz
Kohärenz: die Welt ist
sinnvoll
verstehbar
beeinflussbar
Resilienz-Widerstandsfähigkeit
Gegensatz: Vulnerabilität
Lat. resilire: zurückspringen, abprallen
= Fähigkeit, auf wechselnde Anforderungen flexibel zu reagieren und auch schwierige Lebenssituationen zu meistern
(G.Elder, J. Block, E. Werner,1971)
Schutzfaktoren
vor Stress, Burnout, Depression:
4B : Bindung, Bildung, Beziehung, Bedeutung
Familie, Kultur, Schule, emotionale Intelligenz aktive Einstellung und Haltung
Interesse und Lernbereitschaft
Emotionalität, Empathie, Vertrauen interne Kontrollüberzeugungen
Im Strom des Lebens …
Verbundenheit mit anderen Menschen Gefühle als Orientierungshilfen
Selbstwert durch Anerkennung,
Selbstfürsorge und -freundschaft
Lebensgestaltung
Achtsamkeit und Selbstwirksamkeit:
Regelmäßig Bewegung Genügend Schlaf
Gesundes Essen
Freunde und Familie
Entspannung und Urlaub Partnerschaft und Sexualität
Was hält gesund?
Lachen (Humor)
Lernen (Neugierde) Lieben (Erotik)
Loben (Dankbarkeit)
Laufen (Bewegung)
„Heilsame Begegnung“
Team ( re-parenting und holding function)
Neue Beziehungs- u. Bedeutungserfahrungen Neuorientierung in der Krise
Re-Integration und Desomatisierung Pathologie als Herausforderung
Beratung auf einem Entwicklungsweg
Salutogenese und Resilienz fördern
Prädiktoren des Behandlungserfolgs
1. Persönlichkeit des Patienten 2. Persönlichkeit des Behandlers
3. Familiäre und soziale Situation des P.
4. Art der Behandlung
5. Umgebung (Krankenhaus)
6. Interaktion von 1-5
GFW Hegel
Etwas ist also lebendig nur
insofern es den Widerspruch in sich enthält und zwar diese
Kraft ist, den Widerspruch in
sich zu fassen und auszuhalten
Ein Modell
Psychosomatischer Erkrankungen:
Stress und Burnout
PSYCHOPHYSIOLOGIE UND -PATHOLOGIE
Neurophysiologie- psychologie
Präfrontaler Cortex
Limbisches System
Amygdala (Mandelkern)
Hippocampus
Thalamus
Hypothalamus
Hypophyse
Hirnstamm
Vegetatives NS:
Sympathicus Parasympathicus
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Sympathikus
Sympathischer Grenzstrang:
Stress Aktivität Kampf Flucht
Parasympathikus:
N. Vagus (X)
Ruhe
Entspannung Verdauung Rückzug
Reparatur Erholung
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Stressreaktion
„Allgemeines Adaptationssyndrom“ :Körperliche und psychische
Anpassungsleistung des Organismus auf äußere Belastungen (Selye, 1936)
Leistungssteigerung Leistungsknick
Erschöpfung
Anpassung (Eustress) – Erschöpfung (Dysstress)
Psychisch: Ärger / Aggression / Furcht / Hilflosigkeit
Verhalten: Kampf / Flucht / Unterwerfung / Beschwichtigung
Stress: persönliche Ursachen
Typ A Persönlichkeit:
Hoher Leistungsanspruch Motivation, Wunschdenken Perfektionismus, Kontrolle Unter- Überschätzung
Verleugnung
Erfolgszwang: „more and more in less and less time“
Stress: berufliche und
private / familiäre Ursachen
Arbeitspensum /-intensität Verantwortung / Pflichten Konkurrenz / Kooperation Selbst- / Fremdbestimmung Identifikation / Abgrenzung Kommunikation / Rückzug Multitasking / Langeweile
Stress damals…
…und heute
Stressreaktion
Die Stressreaktion ist eine körperliche und seelische Reaktion auf die Einwirkung von Belastungsfaktoren
Stressoren, welche das innere Gleichgewicht (Homöostase) verletzen. Zu unterscheiden sind die Reaktionen auf akute und auf andauernde Belastungen.
Die Stressreaktion ist eine durch die Evolution geformte, sehr schnelle Anpassungsmöglichkeit des Körpers an
auftretende Gefahrensituationen, mit dem Ziel, das
Überleben zu sichern. Es wird Energie bereitgestellt, um eine Reaktion zu ermöglichen, die der Situation
angemessen ist: Angriff, Flucht oder Erstarrung, welche sich im Rahmen der Evolution als überlebenssichernd bewährt haben.
Sympathikus-aktivierung
Über die Sinnesorgane gelangen Informationen über Stressoren in das Großhirn und ins limbische System.
Aber auch (unbewusste) Phantasien, Vorstellungen und Gedanken können im Großhirn auftauchen
Hier findet die Bewertung der Situation als Stress- Situation statt.
Signale des Großhirns und des Limbischen Systems an den Hypothalamus lösen Nervenimpulse an den
Sympathikus aus.
Fight or flight?
Als weitere Wirkung wird die Aufmerksamkeit auf die Gefahrensituation fokussiert und andere
energieverbrauchende Körperprozesse unterdrückt, da sie in der akuten Situation unnötig oder behindernd sind.
Die erste wissenschaftliche Erforschung der Stressreaktion ist die 1915 von Walter Cannon beschriebene „Fight-or-flight“- Antwort.
Der Mediziner Hans Selye schuf als Modell der menschlichen Reaktion auf chronische Belastungen das „Allgemeine
Anpassungssyndrom“ (1936).
Tend and befriend
Fliehen oder kämpfen ist für Schwangere und Mütter von
Kleinkindern evolutionär wenig sinnvoll, und Cannon hatte für seine Forschung auch hauptsächlich männliche Ratten
verwendet.
Als weitere Reaktionsmöglichkeit auf chronischen Stress fanden Shelley Taylor und Kolleginnen (2000) die „Tend and befriend-Reaktion“, die aus der Sorge um den Nachwuchs (tend= sich kümmern) und der Schaffung eines sozialen Netzwerkes (befriend= sich anfreunden) besteht.
Sie ist bei Frauen etwas häufiger anzutreffen als bei Männern.
Was macht Stress im Hirn?
Akut: Beschleunigung, Konzentration, Angst, Einengung, Aggression, Primitivschablonen, reflexartige Reaktionen
Chronisch: Hemmung komplexer Denkvorgänge, verminderte Lernfähigkeit, Abstumpfung,
Angstbereitschaft, Erschöpfung, Hilflosigkeit,
Resignation
Stress- Angst- Isolation- Depression
3 Stressphasen - 1. Phase: Schockphase
An körperlichen Veränderungen machen sich arterieller Blutunterdruck (Hypotonus),
Körpertemperaturabsenkung,
Unterzuckerung des Blutes (Hypoglykämie), verminderte Harnabsonderung,
Verringerung der Elektrolyte Chlorid, Natrium und Kalium im Blut, sowie eine Vermehrung der Lymphozyten bemerkbar.
2. Phase: Widerstandsphase
Hierbei folgt, vermittelt durch das sympathische Nervensystem, eine rasche Ausschüttung des Hormons Adrenalin.
Adrenalin setzt Glucose und freie Fettsäuren aus den Energiespeichern der Leber, der Muskulatur und des Fettgewebes frei.
Es kommt zu einer Stimulation der Herztätigkeit und der Atmung.
Der Blutdruck erhöht sich.
Zudem werden andere stressabhängige Hormone, wie Cortisol und Wachstumshormone freigesetzt.
Sie bewirken eine Stabilisierung der stressinduzierten
Stoffwechselvorgänge, insbesondere bei chronischem Stress.
Widerstandsphase 1
Leistungssteigerung der Muskeln
Hierzu werden die Skelettmuskeln vermehrt mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, die für die Bereitstellung von Energie in Form von ATP durch die Oxidation von Glukose und Fett benötigt werden.
Eine Steigerung der Durchblutung der Muskeln erfolgt durch Steigerung des Blutdrucks, der Umlaufgeschwindigkeit des Blutes und durch Erweiterung der Blutgefäße der Muskeln.
Widerstandsphase 2
Die Steigerung des Blutdruckes erfolgt durch Erhöhung der Schlagfrequenz und des Schlagvolumens des Herzens und durch Verengung der herznahen Blutgefäße.
Der vermehrte Sauerstoffbedarf wird durch Verstärkung der Atmung (Ventilation) und durch Ausschwemmen roter
Blutkörperchen aus den blutbildenden Geweben gedeckt.
Der erhöhte Nährstoffbedarf wird durch Freisetzung von Fettsäuren aus dem Fettgewebe und von Glukose aus dem Glykogenvorrat der Muskeln und der Leber gedeckt.
Widerstandsphase 3
Hemmung der Ruheorgane
Die Darmmuskulatur wird entspannt, die Verdauung gehemmt.
Die Durchblutung der Geschlechtsorgane wird vermindert Lymphatische Organe wie Thymusdrüse, Milz und
Lymphknoten vermindern die Antikörperproduktion.
Entzündungen in den Geweben werden gehemmt
3. Phase: Erschöpfungsphase
Wirken die Stressoren unvermindert stark ein, kommt es irgendwann zur Erschöpfungsphase,
die im schlimmsten Fall mit dauerhaften Schädigungen, Zusammenbruch des Organismus und Tod enden kann.
Cortisol oder Prolaktin?
Neueren Forschungsergebnissen zufolge kann man nicht von einer
einheitlichen Stressreaktion sprechen, da Art und Mechanismen der Reaktion auf psychischen Stress sich je nach Art des Stressors und der dadurch
ausgelösten Emotion unterscheiden:
Überraschung und Schock führen zur Ausschüttung des Stresshormons Cortisol und zur verminderten Produktion von Prolaktin
Wut und Demütigung hingegen führen zur erhöhten Ausschüttung von Prolaktin und vermindertem Cortisol.
Tendenziell geht eine Erhöhung des Prolaktins mit passivem Coping einher, eine Verringerung mit aktivem Coping.
Die Fähigkeit eines Menschen, verschiedenen Stressoren zu widerstehen nennt man Resilienz.
Adrenalin
Gleichzeitig aktiviert der Sympathikus das Nebennierenmark, welches Adrenalin ausschüttet.
Adrenalin und Noradrenalin verstärken die Wirkung des Sympathikus:
Steigerung der Leistung des Herzens durch Erhöhung der Kontraktionsfähigkeit;
Förderung des Glykogenabbau in Muskeln und Leber;
Mobilisierung der Fettsäuren des Fettgewebes;
Erweiterung der Blutgefäße in den Skelettmuskeln;
Verengung der Blutgefäße der Eingeweide;
Unterdrückung der Insulinausschüttung.
Stressreaktion HPA
Über die Hypothalamus – Hypophysen-Achse:
Der Hypothalamus aktiviert einerseits den Sympathikus, andererseits ist er Ausgangspunkt einer Kaskade von
Hormonen, die die Stress-Reaktion verstärken und erweitern:
Die vom Hypothalamus ausgeschütteten Hormone werden als releasing hormons = Liberine bezeichnet, da sie in der nachgeschalteten Hypophyse die Freisetzung
entsprechender Hormone, der Tropine, bewirken.
Weitere Reaktionen
Die allgemeine Erhöhung des Grundumsatzes führt zu einer Erhöhung der Körperkerntemperatur. Dadurch verlaufen die notwendigen chemischen Reaktionen schneller.
Andererseits muss einer Überhitzung durch vermehrte Produktion von Schweiß entgegengewirkt werden.
Die Erweiterung der Pupillen dient der besseren Übersicht der Gefahrenzone
Die Niere hält Wasser zurück, das für den Ersatz von Körperflüssigkeitsverlusten benötigt werden kann
Die Kontraktion der Haarbalgmuskeln führt zur Aufrichtung der Haare („Gänsehaut“)
Hormonregelkreise
Diese Tropine wirken wieder auf weitere
Hormondrüsen, die ihrerseits Hormone ausschütten.
Diese Hormone wirken auf ihre Zielorgane ein, gleichzeitig hemmen sie in Hypophyse und
Hypothalamus die Produktion der releasing hormones.
Auf diese Weise ist gewährleistet, dass eine Stress-
Reaktion bei fehlenden Stressoren auch wieder beendet
werden kann.
Schilddrüse
Steigerung des Grundumsatzes:
Hormonkaskade der Hypothalamus-Hypophysen- Schilddrüsen-Achse:
Hypothalamus → TRH → Hypophyse → TSH → Schilddrüse
→ Thyroxin
TRH = Tyreotropin releasing hormone TSH = Tyroidea stimulating hormone
Thyroxin fördert langfristig (6 Tage) den Stoffwechsel, erhöht die Körpertemperatur und stimuliert den
Sympathikus
Cortisol
Hemmung des Immunsystems: Hormonkaskade der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse:
Hypothalamus → CRF → Hypophyse → ACTH → Nebennierenrinde→ Cortisol
CRF = Corticotropin releasing factor
ACTH = Adreneocorticotropes Hormon
Entzündung und Schmerz
Cortisol hemmt das Immunsystem, unterdrückt
Entzündungen, aktiviert den Glykogenabbau in den Muskeln, die Neubildung von Glukose in der Leber und steigert daher den Blutzucker sowie die
Blutfette
Schmerzunterdrückung: Die Hypophyse produziert auch Endorphine, die die Schmerzempfindung
dämpfen und die Körpertemperatur steigern.
Eustress - Dysstress
Eustress: Leistungssteigerung durch
Herausforderungen und Anstrengungen und deren Bewältigung
Dysstress : Überforderung und Versagen der Gegenregulation mit zunehmend autonomen Körperprozessen
Prinzipiell reversibel, aber:
Chronischer Dysstress macht krank!
eine psycho-sozio-somatische Reaktion auf Dysstress, die durch
• Emotionale Erschöpfung
•Depersonalisierung und
• Leistungsminderung / -unzufriedenheit
mit prozesshafter Entwicklung gekennzeichnet ist
(Kaluza, 1994; Maslach, 1997; Williams, 2002; Bergner, 2006)
Vom Stress zum Burnout
Emotionale Erschöpfung
Verlust von positiven Empfindungen Verlust von Sympathie und Achtung Zweifel, Mutlosigkeit, Libidoverlust
Chronische Müdigkeit, Antriebsmangel Nervosität und Schlafstörungen
Erhöhte Krankheitsanfälligkeit Körperliche Beschwerden
„ich bin fertig“
Depersonalisierung
Als Abwehr: „Entmenschlichung“
Negative, zynische Grundhaltung Kritik und Entwertung anderer Sozialer Rückzug, Desinteresse Reduzierung auf das Nötigste
Passivität, Dienst nach Vorschrift:
„es ist mir egal“
Leistungsunzufriedenheit
Subjektive / objektive Einbuße Erfolgs- und Machtlosigkeit Gefühl der Unzulänglichkeit Chronische Überforderung
Schuldgefühle / Gleichgültigkeit
„ich schaffe es nicht mehr“
Weitere Symptome
Zeit schinden / einsparen /kontrollieren
Entlastung durch Terminaufschub / -absage Täglicher Widerstand zur Arbeit
Keine Erholung durch Urlaub
Infektanfälligkeit, Schlafstörungen Schmerzen ( Kopf, Magen, Rücken…) Suchtmittelmissbrauch
Geschlechtsspezifisch?
Bei Frauen insgesamt häufiger
eher emotionale Erschöpfung oder Somatisierung
Bei Männern eher Zynismus, Rückzug, Depersonalisation, Aggression
tend and befriend / fight or flight ?
weinen und schlucken /schweigen und trinken?
es gut machen oder gut sein ?
Soziale Ungleichheit: Einkommen, Kinder, Doppelbelastung
(Taylor, 2003; Williams, 2003)
Burnout -
die Drehscheibe zur psychosomatischen Erkrankung Stress
Burnout
Angst Depression Somatisierung
„Körperliche Krankheit“
Die Psychosomatik des Gehirns Depression F 32.0
Genetisch-biologisch-psychisch-sozial Vulnerabilität - Stress - Coping
„Gemeinsame Endstrecke“ Serotonin, Noradrenalin oft nach anhaltender oder traumatischer
biopsychosozialer Überforderung:
Krise, Erschöpfung oder Verlust
Depression II
Symptome:
Gedrückte Stimmung
Hemmung des Antriebs und Denkens Vegetative Störungen
Verbindung zu Angst Zwang Somatisierung Behandlung:
Psychotherapeutisch und/oder medikamentös über mindestens 6 Monate (?)
Burnout
Differentialdiagnose
Maslach Burnout Inventory Maslach 1996 Bei hohen Werten im MBI: Komorbidität 50% Depressive Erkrankungen
10-20% Angsterkrankungen
5-10% Abhängigkeitserkrankungen
? Psychosomatische Erkrankungen ?
Etikettenschwindel?
Syndrom = Symptomkomplex
Gesellschaftlich / beruflich akzeptabel Burnout- eine Modediagnose ?
Neurasthenie, hyperästhetisch - emotionaler Schwächezustand, larvierte Depression, CFS, Fibromyalgie…
Ratgeber, Kuren, Wellness-Industrie
DSS Dysregulation Spectrum Syndrome
Fibromyalgie – Syndrom FMS
Chronic Fatigue Syndrome (Müdigkeitssyndrom) CFS Multiple Chemical Sensitivity Syndrome MCSS
Sick Building Syndrome SBS
Irritable Bowel Syndrome (Reizdarm) IBS Irritable Heart Syndrome „Osteochondritis“
Temporo-Mandibuläre Gelenksdysfunktion
Kopfschmerzsyndrome (Spannungskopfschmerz) Prämenstruelles Syndrom PMS
Was ist das für ein Tier?
Ein Herrscher ließ 6 blinde Männer ein Tier betasten, das sie noch nicht kannten. Diese sagten:
1. Das Tier ist wie ein Seil 2. Das Tier ist wie ein Pfahl 3. Das Tier ist wie ein Fächer 4. Das Tier ist wie eine Wand 5. Das Tier ist wie ein Baum 6. Das Tier ist wie ein Pinsel
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Was ist das für ein Tier !
!
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Risikofaktoren für Burnout
(Maslach, 1997; Burke, Cooper, 2006)Starkes emotionales Engagement Einzelkämpfer / Konkurrenz
Steigende Wissensanforderungen Komplexität / Multitasking
Mangelnder Respekt / Unterstützung Ungerechtigkeit / Benachteiligung
Innere Antreiber:
Beeile dich!
Sei stark!
Streng dich an!
Sei perfekt!
Mach es allen recht!
Selber schuld ?
Workaholic (neurotische Struktur) ?
Verschleiß der Seele, Alter (Maschine) ? Falsche Stressbewältigung ?
Psychosoziale Zusammenhänge:
Zuwendungsberufe = Hightouch - Berufe Gratifikationskrisen
Siegrist, 2004Mangelnde Wertschätzung / Fairness
Burnout – eine soziale Krankheit
High demand Low control Low reward
Hohe Anforderungen
Wenig Einfluss / Veränderung / Kontrolle Wenig Lohn / Erfolg / Anerkennung
Schöne neue Welt ?
Social skills – soziale Kompetenz
Missverhältnis zwischen Mensch / Arbeit
Diskrepanz zwischen Werten / Bedingungen verschleißen, austauschen, entledigen?
individuelle / soziale Krankheit?
(Freudenberger, 1974; Buritsch, 2006; Maslach, 2001)
Was schützt vor Stress ?
Fragen und Entscheidungen:
Umwelt- / Arbeitsbedingungen Anforderungen / Fähigkeiten Kraftquellen / Energieräuber Bedürfnisse / Ängste
Glaubenssätze / Überzeugungen Innere Antreiber / ubw Aufträge
Behandlungskonzept
Erkennen des Burnout / Depression Ressourcen, Lebensbedingungen Motivation und Umsetzung:
Entspannung, Stressreduktion Aktivierung, Bewegung
Reflexion, Coaching, Supervision Psychotherapie / Medikation
Vorbeugung am Arbeitsplatz (und in der Familie!)
Bewältigbare Arbeitsmenge
Identifikation, Autonomie und Kontrolle Überblick, Zuständigkeit, Unterstützung Anerkennung, Entlohnung, Transparenz Gemeinschaftsgefühl, Solidarität
Fairness, Respekt, Gerechtigkeit Gelebte Werthaltungen (Maslach, 2001)
Psychotherapie:
Alle anerkannten Methoden, aber entscheidend ist die
Beziehung PatientIn – TherapeutIn !
Entspannung: AT, Biofeedback, Jacobson, Stressbewältigung, Hypnose (GDH)
Qi Gong, Tai Qi, Yoga
Tiefenpsychologisch / humanistisch / verhaltenstherapeutisch
Alternativmedizin?
Wer heilt, hat recht ?
Placebowirkung 30-70% bei allen medizinischen und alternativmedizinischen Behandlungen
Aktivierung der Selbstheilungskräfte
Selbstverantwortung und –ermächtigung Anteilnahme und Aktivität
statt Distanz und Passivität Gemeinsame Wirklichkeit
Psychosomatische Haltung
Anamnese
Diagnosen
Aufgaben im psychosomatischen Erstgespräch
•Begegnung mit dem Patienten
• Entängstigung, Aufklärung und Entmystifizierung
•Wohlwollende Akzeptanz und Verständnis
•Zugang zum psycho-somatischem Erleben des Patienten finden und erhalten
•Fachvokabular in diagnose- und therapierelevante Information übersetzen
• Tragfähiges Arbeitsbündnis herstellen
Psychosomatische Begegnung
Grundhaltungen : Echtheit, Empathie, emotionale Wertschätzung
Grundbewegung: zugewandt, zuhörend, zuversichtlich
Ort: Offene Bühne mit Kulisse (Spital), wer sind Mit- und Gegenspieler / Statisten?
Zeit: begrenzte Dauer / Wiederkehr?
Grundhaltungen
Den andern annehmen, wie er ist Anfangen, wo der andere steht
Zeigen, dass ich den Kontakt wünsche
Wahrnehmen der eigenen/ ausgelösten Gefühle Verzicht auf eigene Wertmaßstäbe
Verzicht auf Rechthaben / Argumentation
Orientierung an den Bedürfnissen des anderen Den anderen als Partner wahrnehmen
Psychosomatische Haltung
Der Patient weiß, was ihm fehlt und was er braucht.
Der Behandler weiß, was man tun kann/soll/muss.
Wer verstehen will, muss hören und fühlen.
Wer wissen will, darf nicht besserwissen.
Belehrung ist nutzlos, Begegnung ist alles.
Der Patient hat ein Recht, anders zu sein.
Jedes Missverständnis ist eine Chance.
Die gemeinsame Konstruktion der Wirklichkeit ist die
Wahrnehmungsebenen im Gespräch
Faktisch-deskriptive Ebene
Welche Fakten teilt mir der Patient mit?
Empathische Ebene
Was empfinde ich, wenn ich mich in den Patienten hineinversetze?
Situativ-szenische Ebene
Wie gestaltet der Patient die Situation und die Beziehung zu mir?
Die psychosomatische Frage:
Paradigmenwechsel: vom „typischen Kranken“
und der „Risikopersönlichkeit“ zur Frage:
Warum erleidet gerade dieser Mensch mit dieser Lebensgeschichte
zu diesem Zeitpunkt
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Krankheit als Drama…
Wie begegnet mir der Patient /in?
Wie findet die Begrüßung statt?
Wie stelle ich / er / sie mich /sich vor?
Was sagt er / sie im ersten Satz?
Wie reagiere ich darauf?
Welche Rolle spiele ich (wirklich)?
Welche Informationen sind wichtig?
Was erwartet er/sie von mir?
Welches Leiden / Krankheit ist im Vorder/ Hintergrund?
Spezielle Fragestellung in der psychosomatischen Anamnese
Warum bekommt
• diese Patientin / dieser Patient
• mit dieser biologischen Disposition
• mit seiner individuellen Biografie
• mit dieser Persönlichkeit – Psyche
• in dieser sozialen Lebenssituation
• dieses Symptom?
Psychosomatische Anamnese
aktuelle und frühere Belastungen
Ressourcen, die bisher zur Gesundheitserhaltung beigetragen haben
Funktion des Symptoms (Ausdruck, Krankheitsgewinn) Zeitpunkt der Konsultation/ Krankenhausaufnahme
Gestaltung / Inszenierung der Gesprächssituation durch den Patienten
Reaktion (emotional und szenisch) des Behandlers / Arztes/
Therapeuten auf die Situation
Ablauf der biopsychosozialen Anamnese
( nachBräutigam und Christian)
Kontaktaufnahme, Beschwerden, Gründe des Kommens: Symptomatik:
„was führt Sie her?“ Krankheitsangebot mit subjektivem Erlebnisgehalt
Beschwerdebeginn, Zeitlicher Ablauf, körperliche Untersuchung, somatischer Befund „seit wann?“ Besserungen, Veränderungen, Verschlimmerungen
Lebenssituation, allgemeines psychosoziales Umfeld und somatische Begleitprobleme, Ereignisse beim Beschwerdebeginn oder bei
Rückfällen (Veränderungen, Schicksalseinbrüche)
Biographie: Entwicklung, Eltern, Kindheit, Schule, frühere Beziehungen, Belastungen, Bewältigung/ Krisen
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Psychosomatische Anamnese 2
Parallel zur körperlichen Untersuchung und Behandlung!
Symptom
Beginn
Situation LebensG
Persönl.
140
Anamnese und Szene in der Psychosomatik
Jede Begegnung, jeder Kontakt, jedes Gespräch ist immer psycho-sozio-somatisch strukturiert
Die Übertragung zwingt jeden Behandler, in die Psychodynamik des Patienten einzutreten und mit der konkordanten /
komplementären Gegenübertragung zu reagieren.
Es gestaltet sich automatisch eine signifikante Szene, welche die Konfliktdynamik und –thematik darstellt
Wissen darüber ist (Behandlungs-) Macht
Unwissenheit liefert mich der unbewussten Dynamik der
Spiegelneurone
(Rizzolatti, J.Bauer, 1999)Spiegelneurone (Rizzolatti, 1999) spiegeln beobachtetes Verhalten „in der Vorstellung“ wieder:
Denken, Fühlen und Handeln wie der andere Einfühlung, Empathie, Resonanz
Intentionalität, Absichten und Ziele Sympathie, Mitgefühl, Mitleid
Feinfühligkeit, Mentalisierung, Bindung Objektbeziehung und Objektlibido
„attunement“, Tanz und Responsivität
Grundlage der Kooperation aber auch d. Täuschung
Spiegelneurone und Redekur
Neurobiologie der Empathie, Internalisierung und Mentalisierung, Transformation von Aktion in Denken, von Körperfunktionen in seelisches und zwischenmenschliches Erleben
Neurobiologie der „Redekur“:
1) Sprache vermittelt zwischen Phantasie, Wahrnehmung, Gedächtnis und Handeln, Denken = Probehandeln
2) durch eine Übertragungsbeziehung werden alte Konflikte und Strukturen reaktualisiert, und damit Desomatisierung, sowie
Mentalisierung und neue Internalisierungen und Externalisierungen möglich
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Psychosomatik der Psychotherapie
PT Einfluss auf das limbische System (Amygdala):
1. Kognitive Stärkung des bw Ich und der Impulskontrolle im orbitofrontalen Cortex (kognitiv: Verstehen, Bewerten und Entscheiden) i. Sinne von Symptomkontrolle und –
bewältigung (z.B. Coping)
2. Emotionale Veränderung durch Umstrukturierung = „earned security“ i. S. der korrigierenden emotionalen Erfahrung und psycho-somatischen Neuorientierung
3. Induktion der Bildung alternativer und kompensatorischer Funktionen und Netzwerke durch kognitiv-emotionale
Psychosomatische Diagnostik
Biopsychosoziale Anamnese Psychometrische Diagnostik
Somatische / psychophysiologische Diagnostik Physiotherapeutische Funktionsdiagnostik
Beziehungsdiagnostik (Übertragung - Gegenübertragung)
Systemischer Kontext
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Psychosomatische Krankheitsbilder
1. Solche, bei denen organische oder funktionelle
Veränderungen in ihrer Entstehung und Behandlung entscheidend durch die Psyche mitbestimmt sind 2. Körperliche Beschwerdebilder ohne organisches
Substrat („ohne Befund“)
3. Die normalen, aber auch krankhaft gesteigerten
seelischen Reaktionen auf körperliche Leiden, auf
chronische Krankheiten, Unfälle und verschiedene
Formen ärztlicher Eingriffe (somatopsychische Kr.).
ICD - Diagnosen im Rahmen der Psychosomatischen Medizin
F40 Phobische Störungen F41 Andere Angststörungen
z.B. Panikstörungen F42 Zwangsstörungen
F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen
F44 Dissoziative Störungen (Konversionsstörung)
F45 Somatoforme Störungen
F45 somatoforme Störungen
F 45.0 Somatisierungsstörung
F45.1 undifferenzierte Somatisierungsstörung F45.2 hypochondrische Störung
F45.3 somatoforme autonome Funktionsstörung verschiedener Organsysteme
45.4 anhaltende somatoforme Schmerzstörung F45.8 sonstige somatoforme Schmerzstörung
F 45.9 nicht näher bezeichnete somatoforme Schmerzstörung
Weitere Diagnosen im Rahmen der Psychosomatischen Medizin
F 48 Neurasthenie F50 Essstörungen
F51 Nichtorganische Schlafstörungen F52 Sexuelle Funktionsstörungen
F54 Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei andernorts klassifizierten Krankheiten
F55 Missbrauch von nicht-abhängigkeitserzeugenden Substanzen F58 nicht näher bezeichnete Verhaltensauffälligkeiten
bei körperlichen Störungen und Faktoren
Psy Diagnosen im Rahmen der Psychosomatischen Medizin
F32 Depressive Störungen
F33 Rezidivierende depressive Störung F34 Anhaltende Affektive Störungen F20 Schizophrene Störungen
F03 Organische Psychosen
F60 Spezifische Persönlichkeitsstörungen
Prävalenz psychischer und
psychosomatischer Störungen
Punkt- Prävalenz: 30-40% aller
hausärztlicher oder internistischer Patienten ( w: 37% , m: 25%)
Lebenszeitprävalenz: 50%
Arbeitsunfähigkeitszeiten: 40%
(Wittchen et al. 2001)
Theorien und
Modelle
Bindungsstil, Morbiditätsrisiko und Krankheitsverhalten
( nach Maunder u. Hunter)Unsicherer Bindungsstil führt zu:
•gesteigerter Stressreaktion (z.B. funktionelle Symptome)
•beeinträchtigter individuelle Stressregulation
•fehlender „soziale Modulation“ von Stress
•Neigung zu externen „Regulatoren“ (Alkohol, Nikotin, Essen, Sexualverhalten…)
•unzureichende Nutzung protektiver Faktoren
• Hilfesuchverhalten
• soziale Unterstützung
• Compliance
Schutz durch Bindung
Neurobiologie erworbener
Stressanfälligkeit
(C.Herrmann-Lingen, Marburg 2006)Dysstress in der (frühen) Kindheit:
selektive und effektive Ausbildung synaptischer Verbindungen (incl. selekt.Kappung von Synapsen)
Frühe Belastungen unselektive Beibehaltung von synaptischen Verbindungen, erhöhte Synapsendichte (Helmeke et al., Neuroscience 2001)
Folge: wenig effiziente Reizverarbeitung, Irritierbarkeit,
„Überlastung“, verminderte Stressbewältigung
Neurobiologie erworbener Stressanfälligkeit
McEwey Ann Rev Neuroscience, 1999
Früher Stress
erhöhte Cortisolausschüttung
erhöhte Glucocorticoid – Rezeptoren Dichte vegetative Sensibilisierung
verminderte Immunantwort
erhöhte Krankheitsanfälligkeit
Adverse Childhood Experience (ACE) Study
Felitti et al.1998; Dong et al.2004 USA
Ereignis-Prävalenz:
Seelische Misshandlung 11% körperliche Misshandlung 11%
Sexueller Missbrauch 22% Substanzabusus der Eltern 26%
Psych.Erkr.d.Eltern/ Suizid 19% Gewalt durch Mutter 13%
Inhaftierung der Eltern 3%
ACE-Scores in der Bevölkerung:
Je höher der ACE-Score desto höheres Risiko für:
•Depressionen, famil. Gewalt, Drogen, Suizid, Arbeitslosigkeit
Epigenetik
Epigenetische Prozesse:
Gene werden durch psychosoziale Einflüsse „an- und abgeschaltet“
damit ist eine „soziokulturelle Vererbung“ möglich, d.h.
erworbene Erfahrungen strukturieren die Entwicklung biologischer Strukturen
auch über Generationen (z. B. „Familientraditionen“,
transgenerationale Traumatisierung)
Early Adverse Experiences and the Brain
(mod. N. Shonkoff et al. 2010)
Externe
Erfahrungen:
Stress, Nahrung, Toxine etc.
1. Führen zur Erregung von Neuronen
2. Neuronale Signale regen die Produktion von regulatorischen Genen in der Zelle an
3. Diese führen zu Addition oder Wegnahme epigenetischer Marker
3. Diese epigenetischer Marker kontrollieren wo und wieviel Protein durch ein Gen produziert wird, schalten Gene „ab“ oder „an“, darüber kommt es zur Formung von Gehirn und Körper
4. Chromosomen können diese Gene/Informationen an die
Psychosoziale Einflüsse - soziokulturelle Vererbung
Vulnerabilität = Verletzlichkeit
Vernachlässigung
Fehlende Förderung / Reizarmut Unerhörtes Leid
Seelische Gewalt, Demütigung, Kränkung
Körperliche Gewalt, Drakonische Strafen
Sexuelle Gewalt - Missbrauch
Wiederholung:
Resilienz-Widerstandsfähigkeit
Gegensatz: Vulnerabilität
Lat. resilire: zurückspringen, abprallen
= Fähigkeit, auf wechselnde Anforderungen flexibel zu reagieren und auch schwierige Lebenssituationen zu meistern
Bindung, Beziehung, Bedeutung, Bildung
Familie, Kultur, Schule, (emotionale) Intelligenz, aktive Einstellung
J. Block, E. Werner (1971), G.Elder
Resilienz fördern:
Interesse und Lernbereitschaft
Emotionalität, Empathie, Vertrauen Interne Kontrollüberzeugungen
Hilfe erbitten und annehmen
Wertorientierung „shared values“
Gruppenzusammenhalt und- identität Aktive Verantwortung in Gruppen
Realistische Selbsteinschätzung und Zukunftsperspektive
Psychosoziale Schutzfaktoren gegen psychische / somatische Krankheit
Umwelt: Individuum:
Dauerhafte gute Beziehung Überdurchschnittl. Intelligenz zu mind. einer Bezugsperson Robustes, aktives und
Großfamilie kontaktfreudiges Temperament Kompensat. Beziehungen sicheres Bindungsverhalten Entlastung d. Mutter „Kohärenzgefühl“
(wenn allein erziehend) Gutes Ersatzmilieu nach
Mutterverlust Soziale Förderung
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Coping 1
To cope with: sich auseinandesetzen mit:
Verlust an Freiheit , Möglichkeiten, Entfaltung Einschränkung, Einengung, durch:
unmittelbare körperliche Einschränkung ärztliche /institutionelle Maßnahmen berufliche und soziale Konsequenzen
familiäre und partnerschaftliche Veränderungen emotionale und zwischenmenschliche Folgen Reaktion der gesellschaftlichen Umwelt
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Coping 2
= Anpassungs- und Bewältigungsstrategien bewusst oder unbewusst? (=Abwehr)
regressiv oder progressiv
akzeptieren - verleugnen
ignorieren - dramatisieren
rationalisieren - emotionalisieren
realisieren – katastrophieren
kompensieren – überkompensieren
> Depression, Angst, Aggression, Somatisierung….
Wiederholung:
Subjektive Bedeutung der Krankheit
Strafe (Gottes)
Prüfung
Flucht
Versagen
Scheitern
Unfall - Zufall
Defekt
Makel
Ausgrenzung
Aufschub
Ausweg
Gelegenheit
Rettung
List
Chance
Heilung(sversuch)
Sinnfrage
Bedeutung
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