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Entscheidungen - Verletzung des Grundrechts aus GG Art 2 Abs 2 S 2 iVm Art 20 Abs 3 durch unangemessene Verfahrensverzögerung in einem Verfahren auf Strafrestaussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung

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Academic year: 2022

Aktie "Entscheidungen - Verletzung des Grundrechts aus GG Art 2 Abs 2 S 2 iVm Art 20 Abs 3 durch unangemessene Verfahrensverzögerung in einem Verfahren auf Strafrestaussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung"

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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 2 BVR 828/01 -

Im Namen des Volkes In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde des Herrn W...

gegen das Unterlassen des Landgerichts Regensburg, in dem Verfahren über den am 27. Juni 2000 gestellten Antrag des Beschwerdeführers auf Strafausset- zung zur Bewährung - StVK 155/80; 125 VRs 10213/76 StA Nürnberg-Fürth - eine Entscheidung zu treffen

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach

und die Richter Hassemer, Mellinghoff

gemäß § 93c in Verbindung mit §§ 93a, 93b BVerfGG in der Fassung der Bekannt- machung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. Juni 2001 einstimmig be- schlossen:

1. Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechts- staatsprinzip ist dadurch verletzt, dass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg in dem Verfahren über den am 27. Juni 2000 ge- stellten Antrag des Beschwerdeführers auf Strafaussetzung zur Bewährung - StVK 155/80; 125 VRs 10213/76 StA Nürnberg-Fürth - bislang noch nicht ent- schieden hat.

2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerde-Verfahren zu erstatten.

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4 Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Dauer eines Verfahrens auf Strafrestaus- setzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung gemäß § 57a StGB.

1. Der Beschwerdeführer wurde am 29. Dezember 1977 wegen Totschlags zu le- benslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Fünfzehn Jahre dieser Freiheitsstrafe waren am 30. August 1992 vollstreckt. Einen ersten Antrag des Beschwerdeführers auf Straf- aussetzung zur Bewährung lehnte das Landgericht im Juni 1992 ab. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht als unbegründet.

Soweit nicht über die Mindestverbüßungsdauer wegen der Schwere der Schuld ent- schieden worden war, wurde die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht lehnte einen weiteren Antrag auf Strafrestaussetzung zur Bewährung ab und stellte fest, dass die Schwere der Schuld des Beschwerdeführers eine Vollstre- ckungsdauer von 17 Jahren gebiete. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerde- führers wurde dieser Beschluss vom Oberlandesgericht aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Eine neue Entscheidung über die Mindestver- büßungsdauer wurde in der Folgezeit nicht mehr getroffen.

Im Mai 1993 beschloss das Landgericht die Einholung eines psychiatrischen Sach- verständigengutachtens zur Frage der Kriminalprognose im Sinne der §§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB. Den vom Gericht beauftragten Sachver- ständigen Dr. O. lehnte der Beschwerdeführer wegen Besorgnis der Befangenheit ab, weil im Gutachten versehentlich in einer Passage auf Umstände abgestellt wurde, die einen anderen Probanden betrafen. Die Strafvollstreckungskammer beauftragte deshalb im Februar 1994 den Sachverständigen Prof. Dr. K. mit der Erstellung des Gutachtens. Diesen Sachverständigen entpflichtete es wegen seiner Arbeitsüberlas- tung im Mai 1994 und beauftragte den Sachverständigen Prof. Dr. H. Dieser legte im April 1995 sein Gutachten vor. Im Juni 1995 lehnte der Beschwerdeführer den Sach- verständigen sowie den Vorsitzenden Richter der Strafvollstreckungskammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Landgericht wies das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden im Februar 1996 zurück. Die hiergegen eingelegte sofortige Be- schwerde verwarf das Oberlandesgericht im Mai 1996. Erst im Mai 1997 nahm der Sachverständige Prof. Dr. H. abschließend zu dem gegen ihn gerichteten Ableh- nungsgesuch Stellung, nachdem er vom Landgericht im Juni, September und Okto- ber 1995, im Juni 1996 sowie - nach einer Untätigkeitsbeschwerde des Beschwerde- führers - im April und Mai 1997 jeweils dazu aufgefordert worden war. Im Juni 1997 beauftragte das Landgericht den Sachverständigen Prof. Dr. K. mit der Erstellung ei- nes Gutachtens. Dieser erbat die Übersendung der Gefangenenpersonalakten, was von der Justizvollzugsanstalt am 22. September und 3. November 1997 abgelehnt wurde. Im November 1997 erstattete der neue Sachverständige deshalb nur ein "vor- läufiges" Gutachten.

Nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten wandte sich der Vorsitzende der Straf-

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6 vollstreckungskammer im März 1998 an die Vollzugsanstalt sowie an das Bayerische

Staatsministerium der Justiz, um die Überlassung der Gefangenenpersonalakten an den Sachverständigen zu erreichen. Ende März 1998 wurden dem Sachverständi- gen die Akten übersandt, der daraufhin im Mai 1998 ein Ergänzungsgutachten vor- legte. Im November 1998 verfügte der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer die mündliche Anhörung des Sachverständigen, die im Dezember 1998 erfolgte. Mit Beschluss vom 28. Dezember 1998 ordnete das Landgericht die Strafrestausset- zung zur Bewährung ab dem 1. Oktober 1999 an. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde dieser Beschluss vom Oberlandesgericht am 27. Mai 1999 aufgehoben. Zwar sei die wegen der Schwere der Schuld erforderliche Min- destverbüßungsdauer überschritten. Jedoch seien zur Vorbereitung einer bedingten Entlassung stufenweise Vollzugslockerungen notwendig. Der Beschwerdeführer ha- be bislang noch keine Vollzugslockerungen erhalten. Es fehle damit an einer aus- reichenden Beurteilungsgrundlage für eine Kriminalprognose. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die Justizvollzugsanstalt künftig Vollzugslockerungen bewilligen werde. Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin Vollzugslockerungen. Diese An- träge lehnte die Justizvollzugsanstalt am 14. Oktober 1999 ab. Im Dezember 1999 wies das Landgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entschei- dung gegen die Versagung von Vollzugslockerungen zurück. Das Oberlandesgericht hob diesen Beschluss im Februar 2000 auf, bezeichnete die Versagung von Voll- zugslockerungen als "nicht mehr nachvollziehbar" und wies die Justizvollzugsanstalt an, dem Beschwerdeführer ab dem 20. März 2000 Vollzugslockerungen nach Maß- gabe des Sachverständigengutachtens zu gewähren.

2. Am 27. Juni 2000 stellte der Beschwerdeführer einen erneuten Antrag auf Straf- restaussetzung zur Bewährung. Nach seiner Anhörung am 17. August 2000 beauf- tragte die Strafvollstreckungskammer am 14. September 2000 den Sachverständi- gen Prof. Dr. K. mit der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens zur Kriminalprognose. Die Exploration des Beschwerdeführers durch diesen Sachver- ständigen erfolgte während eines Hafturlaubs in der Zeit vom 4. bis 8. Januar 2001 in Berlin, nachdem die Vollzugsanstalt einen vom Beschwerdeführer früher bereits hier- für beantragten Urlaub zu diesem Zweck abgelehnt hatte. Das schriftliche Sachver- ständigengutachten ging beim Landgericht am 26. Februar 2001 ein. Das Landge- richt bestimmte bis Anfang Mai 2001 noch keinen Termin zur Anhörung des Beschwerdeführers gemäß § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO.

II.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner unter dem 5. Mai 2001 erhobenen Verfassungsbeschwerde gegen die Untätigkeit des Gerichts. Er sieht sich durch mehrere zusammentreffende Verfahrensverzögerungen in seinem Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

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11 III.

Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat namens der Bayerischen Landes- regierung zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Es hält sie für unbe- gründet. Im Blick auf die Bedeutung der Strafrestaussetzung zur Bewährung bei ei- ner lebenslangen Freiheitsstrafe wegen eines Tötungsverbrechens bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass das Landgericht nach dem erneu- ten Antrag des Beschwerdeführers auf Strafrestaussetzung zur Bewährung die Er- stellung eines neuen Sachverständigengutachtens angefordert habe. Da dieses Gut- achten am 26. Februar 2001 bei Gericht eingegangen sei und hierzu Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft eingeholt werden müssten, sei es unbedenklich, dass drei Monate später noch keine Entscheidung getroffen worden sei.

IV.

1. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist in einer Weise begründet, aus der sich die Zuständigkeit der Kammer ergibt (§ 93b Satz 1 BVerfGG). Es ist bereits entschie- den, dass Grundrechte auch durch das Unterlassen einer gerichtlichen Tätigkeit ver- letzt werden können (vgl. BVerfGE 10, 302 <306>; 16, 119 <121>). Entschieden ist ferner, dass sich aus dem Freiheitsrecht in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ein Beschleunigungsgebot für gerichtliche Entscheidungen er- gibt (vgl. BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 21, 184 <187>; 21, 220 <222>; 21, 223 <225 f.>;

36, 264 <273>; 46, 194 <195>).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Das Verfahren über den Antrag des Beschwerdefüh- rers vom 27. Juni 2000 auf Strafrestaussetzung zur Bewährung ist in einer Weise ver- zögert worden, die sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt.

a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip einen Anspruch auf angemessene Beschleunigung des mit einer Freiheitsentziehung verbundenen gerichtlichen Verfahrens (BVerfGE a.a.O.). Im Verfahren über die Aus- setzung des Rests einer Freiheitsstrafe zur Bewährung kommt eine Verletzung des Beschleunigungsgebots allerdings nur dann in Betracht, wenn das Freiheitsrecht nach den Umständen des Einzelfalls gerade durch eine sachwidrige Verzögerung der Entscheidung unangemessen weiter beschränkt wird.

Ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, muss nach den Umständen des Ein- zelfalles beurteilt werden (vgl. BVerfGE 46, 17 <28>; 55, 349 <368 f.>). Insbesondere sind der Zeitraum der Verfahrensverzögerung, die Gesamtdauer der Strafvollstre- ckung und des Verfahrens über die Strafrestaussetzung zur Bewährung, die Bedeu- tung dieses Verfahrens im Blick auf die abgeurteilte Tat und die verhängte Strafe oder Maßregel, der Umfang und die Schwierigkeit des Entscheidungsgegenstandes sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens verbunde-

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14 nen Belastung des Verurteilten zu berücksichtigen. Dabei ist auch das Prozessver-

halten des Verurteilten angemessen zu bewerten. Im Verfahren über die Aussetzung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung gemäß §§ 57, 57a StGB gewinnt der Freiheitsanspruch mit fortschreitender Dauer der Strafvollstre- ckung zunehmend an Bedeutung (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>).

Dann verlangt das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betrof- fenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden Rechtsgutsverletzungen nicht nur im Rahmen einer Sachentscheidung nach § 57a StGB nach vertretbarem Ausgleich; es hat auch Auswirkungen auf den Zeitpunkt ei- ner Entscheidung.

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Verzögerungen im Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung mit den rechtsstaatlichen Anforderun- gen nicht mehr vereinbar.

Im Ausgangsverfahren hat das Landgericht über einen Antrag auf Strafaussetzung zur Bewährung rund elf Monate nach dem verfahrenseinleitenden Antrag noch nicht zur Sache entschieden. Dieser Zeitraum ist für sich genommen bei einem zu lebens- langer Freiheitsstrafe Verurteilten nicht unangemessen lange; jedoch verbietet sich eine isolierte Betrachtung. Mit zu berücksichtigen sind bei der Bewertung dieses Zeit- raums insbesondere die bisherige Gesamtdauer des Vollstreckungsverfahrens, so- weit die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht mehr wegen der beson- deren Schwere der Schuld zwingend geboten ist; dies ist nach dem auf sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers aufgehobenen Beschluss des Landgerichts, der von einer siebzehnjährigen Mindestverbüßungsdauer ausgegangen war (zum Verschlechterungsverbot Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., Vor § 304 Rn.

5), jedenfalls seit 1994 der Fall. Ferner müssen der Umfang zusammenwirkender frü- herer Verfahrensverzögerungen und die weitere Dauer des Verfahrens bis zu seinem voraussichtlichen Abschluss in den Blick genommen werden.

Die Behandlung der vom Beschwerdeführer früher gestellten Anträge auf entlas- sungsvorbereitende Vollzugslockerungen und auf Strafrestaussetzung zur Bewäh- rung hat in ihrer Gesamtheit zu einer besonderen Dringlichkeit der Entscheidung ge- führt. Dem hat das Landgericht bisher nicht Rechnung getragen. Es hatte in den vorangegangenen Verfahren im Zeitraum von Mai 1993 bis Dezember 1998 nachein- ander vier psychiatrische Sachverständige beauftragt; gegen die Sachverständigen gerichtete Ablehnungsgesuche wurden, soweit ersichtlich, nicht beschieden. Dem dritten Sachverständigen, Prof. Dr. H., ließ das Landgericht für die Gutachtenerstat- tung von Mai 1994 bis April 1995 Zeit, ohne mit Nachdruck für eine kürzere Bearbei- tungsdauer Sorge zu tragen (vgl. § 77 Abs. 2 StPO). Hierzu hätte deshalb besonde- rer Anlass bestanden, weil der Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens bereits im Mai 1993 ergangen und der zuvor beauftrag- te Sachverständige, Prof. Dr. K., drei Monate nach seiner Bestellung wegen Arbeits- überlastung entpflichtet worden war. Von Juni 1995 bis Mai 1997 begnügte sich das Landgericht hinsichtlich des gegen den Sachverständigen Prof. Dr. H. gerichteten

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18 Ablehnungsantrags damit, diesen in mehrmonatigen Abständen an die Abgabe sei-

ner Stellungnahme zu erinnern, obgleich dessen Anhörung im Ablehnungsverfahren nach § 74 StPO nicht vorgeschrieben ist. Lange Zeit nahm auch das Verfahren über die Richterablehnung auf die Ablehnungsgesuche des Beschwerdeführers vom Juni 1995 in Anspruch. Das Landgericht hat darüber erst im Februar 1996 entschieden.

Nicht nachvollziehbar war die Ablehnung der Anträge des Beschwerdeführers auf Lo- ckerungen des Strafvollzuges nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 27. Mai 1999.

c) Vor diesem Hintergrund ist es mit dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungs- gebot nicht mehr vereinbar, wenn das Landgericht in dem durch Antrag vom 27. Juni 2000 eingeleiteten Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung nach Ein- gang des Sachverständigengutachtens wiederum mehrere Monate verstreichen ließ, ohne die gemäß § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO erforderliche Anhörung des - vom Sach- verständigen bereits ausführlich befragten - Beschwerdeführers durchzuführen und auf Grund der dann vollständig vorliegenden Entscheidungsgrundlagen alsbald über den Aussetzungsantrag zu entscheiden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich ge- gebenenfalls ein Beschwerdeverfahren anschließen mag, das eine weitere Verlänge- rung der Gesamtverbüßungsdauer verursachen kann. Dies ist bei einer bisherigen Dauer der Strafvollstreckung von rund 24 Jahren unangemessen. Die durchschnittli- che Verbüßungsdauer bei lebenslanger Freiheitsstrafe, die in der Praxis zumeist nur wegen vollendeten Mordes verhängt wird (vgl. Kerner, ZStW 98 [1986], S. 874

<894>), beträgt rund 20 Jahre (vgl. BVerfGE 45, 187 <204>; Kerner, a.a.O., S. 908).

3. Es kann derzeit nicht angenommen werden, dass die Verfahrensverzögerung von Verfassungs wegen zu einem Vollstreckungshindernis führt. Staatliches Strafen ist allerdings am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen (vgl. BVerfGE 92, 277 <326>). Es kann im Einzelfall unverhältnismäßig werden, wenn es durch aner- kannte Strafzwecke nicht mehr gerechtfertigt werden kann. Ob dies der Fall ist, hängt im Ausgangsverfahren, nachdem die Schwere der Schuld des Beschwerdeführers die weitere Strafvollstreckung jedenfalls seit 1994 nicht mehr gebietet, davon ab, ob die bedingte Entlassung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allge- meinheit verantwortet werden kann (§§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 57 Abs. 1 Satz 1 Nr.

2 StGB). Diese Entscheidung haben in erster Linie die zuständigen Fachgerichte zu treffen. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist nicht zu entnehmen, dass für die- se von Verfassungs wegen nur die Anordnung der Strafrestaussetzung zur Bewäh- rung als zutreffende Entscheidung in Betracht kommt.

Da die Verfahrensverzögerung deshalb für sich genommen - von zeitbedingten Ver- änderungen der Beweislage abgesehen - den sachlichen Inhalt der vom Landgericht noch zu treffenden Entscheidung nicht berührt, ist derzeit lediglich festzustellen, dass sie den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Ver- bindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt (§ 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwer-

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19 deführers im Verfassungsbeschwerde-Verfahren beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Limbach Hassemer Mellinghoff

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Juni 2001 - 2 BvR 828/01

Zitiervorschlag BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Ju- ni 2001 - 2 BvR 828/01 - Rn. (1 - 19), http://www.bverfg.de/e/

rk20010606_2bvr082801.html

ECLI ECLI:DE:BVerfG:2001:rk20010606.2bvr082801

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