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Gerhard Krebs

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Rezensionen Aus der Arbeit des Bundesarchivs. Beiträge zum Archivwesen, zur Quellenkunde und Zeitgeschichte. Hrsg. von Heinz Boberach und Hans Booms. Boppard a.Rh.: Boldt 1977. 568 S. ( = Schriften des Bundesarchivs. 25.)

Das Bundesarchiv feierte 1977 den 25. Geburtstag. Zum Jubiläum haben 34 Mitarbeiter seiner Abteilungen und Außenstellen den vorliegenden Sammelband formiert. Als Werk- stattbericht einer »Dienstleistungsanstalt für die Öffentlichkeit« soll er nach Maßgabe des Präsidenten Hans Booms einerseits feststellen, was seit 1952 an Arbeit im Zentralarchiv der Bundesrepublik Deutschland geleistet wurde. Andererseits will er klären, welche Ziele neu und welche neuen Ziele zu stecken sind: etwa in Hinsicht auf den ständigen Ausbau der Bundesbehörden und das entsprechende Anwachsen ihrer Schriftgutproduktion, mit Blick auf die Intensität der Beständeerschließung und ihr Verhältnis zum Benutzerinteresse, oder unter Berücksichtigung der besonderen Arbeitsbedingungen in den Zwischenarchi- ven.

Die Aufsätze sind in zwei Gruppen gegliedert. 20 Beiträge behandeln Probleme des Ar- chivwesens, 15 diskutieren Aspekte der Quellenkunde und Zeitgeschichte. Die Arbeiten — von denen hier nur solche mit militärgeschichtlichem Einschlag vorgestellt werden — füh- ren die Reihe der Publikationen über das Bundesarchiv, seine Arbeit und seine Bestände weiter, die eine umfangreiche Bibliographie (ca. 300 Titel) nachweist. Dieses Schrifttum- verzeichnis dokumentiert auch das Ausmaß der Öffentlichkeitsarbeit des Archivs in Tages- zeitungen und Fachzeitschriften. Da diesmal darüber hinaus seine Archivare aus ihrer Ver- fasseranonymität heraustreten sollen, bilden deren Kurzbiographien den Abschluß des Bandes.

Alle Bemühungen des Bundesarchivs um das Schriftgut der Behörden des Deutschen Rei- ches 1871—1945 stehen, wie Heinz Boberach ausführt, unter drei Vorzeichen: Sicherung, Rückführung und Ersatzdokumentation der noch erhaltenen bzw. verlorenen Archivalien.

Wie dabei gesammelte Erfahrungen mittlerweile auch in anderen Staaten, die aus histori- schen Gründen deutschsprachige Dokumente verwahren, nutzbar gemacht werden konn- ten, zeigt Wolf Buchmann an der Sicherung und Erschließung des Schriftguts deutscher Kolonialbehörden in afrikanischen Archiven. Die Übernahme von Altregistraturen der modernen Bundesbehörden stellt dagegen in erster Linie das Problem von Menge und Auswahl. Das Bundesarchiv wird dabei seit langem von den Staatsarchiven der Länder ent- lastet, die sich um das Schriftgut der mittleren und unteren zivilen Dienststellen des Bun- des kümmern. Gerhard Granier stellt die Frage, ob eine vergleichbare Regelung auch für die Archivierung militärischer Akten getroffen werden könnte? Aber viel spricht dafür, sie nach wie vor in einem Ganzheitsarchiv zu verwahren, das einen engen Kontakt zu den Streitkräften pflegt. Zwischen der Bundeswehr und dem Bundesarchiv haben sich solche Beziehungen entwickelt. Sie werden von Helmuth Forwick beleuchtet, wobei er die Bedeu- tung des MGFA als Treffpunkt für Forscher und Soldaten hervorhebt.

Mittlerweile verwahrt das Bundesarchiv etwa 81000 Regalmeter Akten und 76000 amtli- che Drucksachen, dazu nach Millionen zählende Einzelstücke audiovisuellen Archivguts (Bilder, Plakate, Tonträger) und archivierte Filmmeter (Stand 1981). Nach einer Analyse der wissenschaftlichen Benutzung der davon gebildeten Bestände1, die Hans Schenk für die Zeitabschnitte 1965—1970 und 1971—1975 vornimmt, werden sie vornehmlich zur Er- forschung der deutschen Geschichte von 1867—1918 und 1933—1945 ausgewertet (wobei ca. 20% aller Benutzungen auf die Abteilung Militärarchiv Freiburg entfallen). Die Fragen konzentrieren sich auf die NS-Zeit, wobei das historische Interesse an Aspekten der Mili- tärpolitik, an Ereignissen des Zweiten Weltkriegs oder an der Entwicklung einzelner Waf- fengattungen sowie der SS dominiert. Persönliche Anliegen ehemaliger Wehrmachtsange- höriger führen zu Recherchen nach ihren Dienst- und Rechtsverhältnissen. Sie werden meist von der Außenstelle Zentralnachweisstelle Aachen-Kornelimünster übernommen, die dabei umfangreiche Gutachten ausgearbeitet hat. Rudolf Absolon führt vor, wie Aus- künfte etwa über das Verhältnis von Besoldungsdienst- und Rangdienstalter oder die tat- sächliche Fluktuation zwischen Berufsunteroffizier- und Offizierkorps anhand des Wehr- gesetzes von 1935 und seiner Ausführung erteilt werden können.

191 M G M 2 / 8 3 Die Organisationsgeschichte des deutschen Heeresarchivwesens zwischen 1936 und 1945

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wird von Friedrich-Christian Stahl geschildert. Dabei erhellt, daß die ab 1933 betriebene Ausgliederung des militärischen Schriftguts aus dem Reichsarchiv und der Aufbau eines neuen Ressortarchivs ebenso in der Kontinuität älterer Reichsreformvorstellungen wie im Zusammenhang mit den Zielsetzungen der Wiederaufrüstung stand. Als Generalstabschef Ludwig Beck an Generalleutnant Dr. Friedrich v. Rabenau am 7. September 1936 den Auf- trag zur Einrichtung des Heeresarchivs erteilte (dem seine Ernennung zum Chef der Hee- resarchive in Potsdam, Dresden, Stuttgart und München am 1. April 1937 folgte), war die organisatorische Basis für die verhängnisvolle Zentralisierung der Militaria aus den preußi- schen Staatsarchiven in den Magazinen auf dem Potsdamer Brauhausberg gegeben. Ihr Umfang wird an einer (von Stahl abgedruckten) Aufzählung der Aktenbestände vom Mai 1939 deutlich. Nach Kriegsausbruch übernahmen die Heeresarchivare möglichst bald die von der Truppe im Verlauf der Feldzüge produzierten Dokumente. Ebenso emsig küm- merten sie sich um erbeutetes Schriftgut in Sammel- und Zweigstellen. Sträflich vernach- lässigt wurde dagegen der Schutz der in Potsdam zusammengeballten Aktenmassen vor Luftangriffen — zumal nach der Entlassung Rabenaus, der 1942 vor Oberst d. G. Walter Scherff, Hitlers Beauftragtem für die Weltkriegs-Geschichtsschreibung, das Feld räumen mußte. Da es nicht zuletzt in politischer Verblendung und aus persönlicher Schwäche zu keiner größeren Auslagerungsaktion kam, gingen nahezu alle Bestände des Heeresarchivs beim Luftangriff am 14./15. April 1945 in Flammen auf2.

Vernichtet wurde die schriftliche Überlieferung der »altpreußischen« und der »alten« Ar- mee, der Reichswehr und aller seit 1934 aufgestellten Heeres-Verbände, -Einheiten und -Dienststellen. Weiteres Schriftgut v. a. der höheren Kommandobehörden wurde noch kurz vor der Kapitulation auf Befehl des OKW-Chefs Wilhelm Keitel verbrannt. Immer- hin blieben davon manche Registraturteile und besonders die Kriegstagebücher der Kom- mandobehörden und Divisionsstäbe bis 1943 erhalten. Sie gelangten nach der Beschlag- nahme durch die Alliierten mittlerweile nach Freiburg ins Militärarchiv. Dort stellt ihre Archivierung besondere Probleme. Brün Meyer erklärt, wie herkömmliche Methoden der Bestandsbildung nach dem Provenienzprinzip in Anpassung an die militärischen Eigenhei- ten modifiziert werden müssen, um zu einer übersichtlichen Gliederung der (Archiv-)Ein- heiten zu gelangen. Speziell die inhaltliche Erschließung der ca. 10000 Kriegstagebücher wird von Walter Werhan behandelt. Da bei dieser Masse eine klassische Amtsbuchanalyse zum Nachweis etwa einzelner Einsätze einfach undurchführbar ist, haben die Archivare ein am Benutzerinteresse orientiertes automatisierbares Indexverfahren entwickelt, mit dem begrenzte Erschließungsaufgaben ausgeführt werden können.

Im Gegensatz zum Heeres- wurde das Marinearchiv 1944 größtenteils aus Berlin ausgela- gert und so vor der Vernichtung gerettet. Mit diesem Schriftgut wurden Ende der 50er Jahre auch ca. 80 000 Schiffskonstruktionszeichnungen ins Militärarchiv abgegeben. Zum fachgerechten Lesen dieser Dokumente ist ein Archivar in der Regel nicht in der Lage — so daß man in Freiburg bei der Bewertung der Zeichnungen einen ehemaligen Ingenieur- offizier zur Mitarbeit heranzog. Verlauf und Ergebnis der nicht alltäglichen Aktion wer- den von Gert Sandhofer (f) geschildert. Er entwickelt dabei auf der Basis der engen Bezie- hungen zwischen Militär- und Technikgeschichte prinzipielle Richtlinien zur Arbeit auf einem sonst lieber nicht berührten Gebiet der archivalischen Formenkunde.

Ein zweiter Beitrag Sandhofen eröffnet die Aufsatzgruppe »Quellenkunde und Zeitge- schichte«. Hier würdigt er die Uberlieferung der Kaiserlichen Marine — ca. 60000 Archiv- einheiten — als Informationsfundus für die Kaiserreichforschung. Diesem Schriftgut kommt um so höhere Bedeutung zu, als die Registraturen vergleichbarer Zentralbehörden mittlerweile vernichtet oder doch nur schwer zugänglich sind. Freilich muß man mit den Kompetenzen der verschiedenen Dienststellen der Seestreitkräfte völlig vertraut sein, um ihre Akten auf nichtmilitärische Probleme hin befragen zu können. Sandhofer besaß diese Kenntnis; er hat sie auch weitergegeben. Seine Ausführungen erweisen die Ergiebigkeit von fünf ausgewählten Beständen (Ks. Marinekabinett, Reichsmarineamt, Admiralstab, Admiralität, Marinestation Ostsee) für Aspekte der Innen- und Außenpolitik, der Wirt- schafts-, Sozial- sowie Technikgeschichte, für Verwaltungs- oder Presseprobleme bis hin zu Fragen der Landes- bzw. Stadtgeschichte zwischen 1871 und 1918 — und last not least 192 für die Biographie Wilhelms II. Mit kolonialgeschichtlichen Fragen wird man vornehmlich

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bei den Admiralitätsakten fündig. Sie können dabei zur Korrektur eingefahrener Vorstel- lungen dienen: etwa wenn der Begriff »Kanonenbootpolitik« an der schiffsbautechnischen Wirklichkeit ihrer Werkzeuge gemessen wird. Die Probe auf dieses Exempel wird von Pe- ter Geißler gegeben, der die Rolle des Freiwilligen-Schulschiffs SMS »Sophie« im Golf von Guinea Anfang 1884 für die spätere Inbesitznahme der deutschen Schutzgebiete in Togo und Kamerun anhand des Schriftwechsels zwischen der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes und der Admiralität ausleuchtet.

Im Gegensatz zu den Marineregistraturen wurden die Akten der Luftstreitkräfte der preu- ßischen Armee, die man ab 1936 in einem Ressortarchiv des Reichsluftfahrtministeriums vereinte, wie das Potsdamer Heeresarchivgut weitgehend vernichtet. Hans-Heinrich Flei- scher zeigt Möglichkeiten und Grenzen einer Ersatzdokumentation für die verlorene Überlieferung am Beispiel der Quellen zur Geschichte der Militärluftfahrt bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. So bieten preußische Ausstellerprovenienzen in bayerischen Akten und im Reichsmarineschriftgut Unterlagen zur technischen Entwicklung von Flugzeugen und Luftschiffen, zum Ausbau der Staffeln und Abteilungen sowie zu ihrem Einsatz vor 1914 und bis 1918. Ebenso kommen militärpolitische Probleme wie die Luftkriegführung gegen einen möglichen Gegner USA oder medizinische Aspekte beim Beobachten der Flugbelastungsfolgen für den menschlichen Körper zur Sprache. Weitere Lücken können durch Amtsdrucksachen, Nachlässe sowie Erinnerungsbücher von Fliegern oder Material- sammlungen für amtliche Spezialuntersuchungen geschlossen werden. Wünschenswert wäre schließlich die Auswertung einschlägiger Bestände in Wien, Paris, London und Wa- shington, wo weitere Berichte über Freund- und Feind-Flugzeuge (teils in Abschrift preu- ßischer Dokumente) verwahrt werden. Ähnliche Chancen sieht Wulf-Dietrich Noack zur Schließung von Uberlieferungslücken am Beispiel des Schriftguts der deutschen Luftwaffe 1933—1945 gegeben. Auch für sie ist Ersatzdokumentation nötig, da ihr zunächst recht- zeitig ausgelagertes Registraturgut Ende April 1945 befehlsgemäß verbrannt wurde. Im- merhin blieben Reste erhalten, die nun mit einem Indexverfahren um so intensiver er- schlossen werden.

Das Aufweichen von Ressortgrenzen im schier unentflechtbaren Verwaltungswirrwarr des NS-Staates und die im Krieg immer stärker werdende Tendenz zur Durchdringung militä- rischer, (partei-)politischer sowie gesellschaftlicher Bereiche gestatten es Klaus-Volker

Gießler, Akten der Wehrmacht als Quelle zur inneren Geschichte Deutschlands von 1933—1945 vorzustellen. Seine Beispiel-Bestände (Allgemeines Wehrmachtsamt, Amt Aus- land/Abwehr, Wehrmachtsführungsstab, Wehrkreis- und Generalkommandos, Luftgau- kommando VII/München) bieten vielfältige Einblicke in das Innenleben des »Dritten Rei- ches« : etwa in Hinsicht auf das Verhältnis von Wehrmacht und Partei, auf die Propagan- daarbeit zur Verbreitung der NS-Ideologie, auf Raum- und Verkehrsplanung, auf die Techniken zur Wahrung der inneren »Sicherheit« oder auf die Zusammenarbeit militäri- scher und ziviler Stellen in Luftschutzangelegenheiten.

In ähnlichem Zusammenhang steht Peter Buchen Aufsatz, der mit schriftlichen und audio- visuellen Quellen die Entwicklung der Feierlichkeiten zu Hitlers Geburtstag herausarbei- tet. Wie beim Ablauf der Reichsparteitage — von Josef Henke untersucht — ist von 1933 bis 1939 eine stetig steigende Beteiligung der Wehrmacht am Zeremoniell zu beobachten. Im Rahmen des Führer-Gefolgschaft-Schemas sollten Paraden und Appelle immer mehr den Eindruck der deutschen militärischen Kraft demonstrieren.

Eine SS-Schriftgutanalyse wird von Elisabeth Kinder in Anknüpfung an die Schilderung von Geschichte und Aufgaben des Persönlichen Stabes Reichsführer-SS 1929—1945 beige- tragen. Der Stab war (bei engen personellen Kontakten zu den SS-Amtern) als sachbear- beitende Dienststelle Himmlers für Angelegenheiten außerhalb der Fachressorts tätig.

Dazu führte er die Aufsicht über die dem Reichsführer unmittelbar unterstellten Institutio- nen: etwa über die wirtschaftlichen SS-Unternehmen oder die »kulturellen« Organisa- tionen. Insgesamt dokumentieren die erhaltenen rund 30 lfm Archivgut des Stabes die Realität des SS-Staates und seiner anscheinend bürokratisch-planmäßig ablaufenden, tat- sächlich aber ziellos-widersprüchlich freigesetzten Verbrecherdynamik.

Diese Dynamik führte nicht nur zur physischen Vernichtung von Menschen, sondern be- flügelte auch das »giftigste aller Zukunftsgespenster: den geistigen Tod«. Dessen Gefahren

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wurden von Fritz v. Unruh schon im Ersten Weltkrieg erkannt und in der Folge mit litera- rischen Mitteln bekämpft. Konrad Reiser publiziert dazu bislang unbekannte Dokumente, die er in den Nachlässen Maximilian Harden und Theodor Wolff gefunden hat. Seine Edi- tion von Schreiben und Gedichten des Kavallerieoffiziers v. Unruh aus den Jahren 1914—17 (aus denen das Zitat oben stammt) liefern ein letztes Beispiel, an welch entlege- nen Orten Quellen zur Militärgeschichte aufgespürt werden können.

Vor dem Hintergrund des beschriebenen Chaos von Auflösung und Vernichtung, das 1945 auch die Akten und Archive der Wehrmacht erlebten, beeindruckt der Werkstattbe- richt der Bundesarchivare um so mehr durch die Bezeichnung der Möglichkeiten, die sich der Militärgeschichtsforschung in den erhaltenen Beständen trotz allem eröffnen. Beson- ders die Beiträge von Sandhofer, Fleischer, Gießler und Kinder erreichen dabei die Inten- sität von Kurz-Inventaren. Aber auch alle anderen hier vorgestellten Aufsätze zeigen vor- züglich, wie das Bundesarchiv zu benutzen und wie darin zu arbeiten ist. }. Kloosterhuis

1 G. Granier, J. Henke, Kl. Oldenhage: Das Bundesarchiv und seine Bestände. Begründet von F.

Facius u.a. 3. erg. und neu bearb. Aufl. Boppard a.Rh. 1977; vgl. die Bespr. in M G M 23 (1978) 296 ff.

2 Zur Vorbereitung und Durchführung dieses Einsatzes vgl. H. Knitter: Zum Bombenangriff der Royal Air Force auf Potsdam am 14./15. April 1945. In: Beiträge zur Potsdamer Geschichte 17 (1969) 173—213. Kurz zuvor, am 13. oder 14. April, war Friedrich v. Rabenau wegen seiner Ver- bindungen zum Widerstand von der Gestapo hingerichtet worden (s. den Beitrag Stahl im hier vorzustellenden Werk »Aus der Arbeit des Bundesarchivs«, S. 93).

Die Bauernkriege und Michael Gaismair. Protokoll des internationalen Symposions vom 15. bis 19. November 1976 in Innsbruck-Vill. Hrsg. von Fridolin Dörrer. Inns- bruck: Selbstverlag des Tiroler Landesarchivs 1982. 349 S., 4 Karten in eigener Hülle ( = Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs. Bd 2.)

Bauer, Reich und Reformation. Festschrift für Günther Franz zum 80. Geburtstag am 23. Mai 1982. Hrsg. von Peter Blickle. Stuttgart: Ulmer 1982. 332 S., 2 Abb.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem »Bauernkrieg« hat auch nach 1975 nicht nachgelassen, als man die Distanz von viereinhalb Jahrhunderten in der Bundesrepublik Deutschland und in der D D R zum Anlaß für zahllose Publikationen und eine stattliche Reihe von wissenschaftlichen Tagungen nahm1. Gleichsam als letztes in dieser Reihe ist das Symposion anzusehen, das in dem hier anzuzeigenden Tagungsband Die Bauernkriege und Michael Gaismair ausführlich dokumentiert ist. Durch sein Erscheinen nach einem hal- ben Jahrzehnt ist er zugleich eine Erinnerung an den 450. Todestag Michael Gaismairs ge- worden, der am 15. April 1532 in Padua den Tod fand2.

Der Band enthält nach einem die Situation des heutigen — nicht nur österreichischen — Wissenschafts»betriebs« grell beleuchtenden Vorwort »Aus der Geschichte des Sympo- sions und dieses Bandes« (S. 7—11) des Herausgebers 24 Beiträge von Historikern aus acht europäischen Staaten. Ein speziell Gaismair betreffender Auszug aus den Diskussionen (S. 305—310) und die redaktionell bearbeitete, in vier Themenkreise (Bauernkrieg und Wirtschaft — Territorialstaat — Recht — Reformation) gegliederte Schlußdiskussion (S. 311—335) schließen sich an.

Der hier zur Verfügung stehende Raum erlaubt es nicht, jeden für sich verdienstvollen Beitrag zu würdigen. Aber es soll zumindest ein Überblick über die thematische Breite die- ses Bandes gegeben werden. Nach einer landesgeschichtlichen Einführung in »Die Lage in Tirol vor Ausbruch des Bauernkrieges« anhand dreier Karten und einem umfangreichen

»Literaturverzeichnis über die besonderen Gegebenheiten Tirols, den Tiroler Bauernkrieg und Michael Gaismair« von F. Dörrer (S. 13—27) stellt H. Benedikter die Frage nach der Aktualität des Führers des Tiroler Bauernkrieges: »Was hat uns Gaismair noch heute zu 294 sagen?« (S. 29—35). Seine Antwort fällt differenzierend aus: weder Nationalheld noch

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Freiheitskämpfer in einem spätneuzeitlichen Sinne, noch »Vorkämpfer der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft«, sondern »eine Figur im Gegenlicht, die zum Widerspruch reizt«, der unbequeme Größe bescheinigt wird. In seinem das Symposion einleitenden Vortrag »Der Bauernkrieg 1525 in heutiger Sicht« (S. 37—43) erläutert G. Franz, worin sich für ihn das Bild vom Bauernkrieg seit seiner bis heute unentbehrlichen Arbeit von 1933 geändert hat, und unterstreicht, daß gerade wegen der verdienstvollen Forschungen der jüngsten Zeit eine neue zusammenfassende Geschichte des Bauernkrieges erforderlich ist.

Die weiteren Beiträge haben einmal die Aufgabe, den breiteren historischen Hintergrund der Tiroler Ereignisse um Gaismair zu erhellen. Den verfassungsgeschichtlichen Aspekten geht P. Blickle mit seinem auf seinen früheren umfangreichen Studien aufbauenden Bei- trag »Die Krise des Ständestaats« nach, indem er — vor allem im Kontrast zu den Versu- chen in Württemberg, Vorderösterreich und am Oberrhein — »Tirol als Modell zur Lö- sung des Konflikts von 1525« behandelt (S. 45—54). Der »Gemeine Mann« ist der Gegen- stand R. Wohlfeils (»Der >Gemeine Mann< im >Bauernkrieg<«, S. 283—288), dem es um begriffliche Klarheit und sozialgeschichtliche Adäquanz geht, und T. Scotts in seinem Ko- Referat »Bemerkungen zum Begriff >Gemeiner Mann<. Das Stadt-Land-Verhältnis zur Zeit des Bauernkrieges« (S. 289—292). Hierher gehört auch das Schlußreferat H. Reinal- ters, das einen Uberblick über den »Bauernkrieg als Periodisierungs- und Revolutionspro- blem« anhand der neueren Geschichtsschreibung seit 1960 gibt: »Frühbürgerliche Revolu- tion oder Systemkonflikt?« (S. 293—304).

Dem engeren Tagungsthema »Michael Gaismair« sind fünf Beiträge gewidmet. »Überlie- ferung und zeitgenössische Einflüsse« sind die Aspekte, unter denen sich S. Hoyer mit der

»Tiroler Landesordnung des Michael Gaismair« beschäftigt (S. 67—78). Sie vergleicht G. Vogler mit den »Tendenzen der sozialen und politischen Programmatik im deutschen Bauernkrieg« (S. 99—114), vor allem bei Hipler, Weigandt und Müntzer und in den

»Zwölf Artikeln«. Eingeengt auf das Thema »Michael Gaismair und Thomas Müntzer — Unterschiede und Gemeinsamkeiten« befaßt sich M. Steinmetz mit der »Stellung des Tiro- ler Bauernkrieges und Michael Gaismair[s] in der deutschen frühbürgerlichen Revolution«

(S. 141—151). Den Exiljahren des Tirolers bis zu seinem Tode ist A. Stellas Untersuchung über »Michael Gaismayr, >Cavaliere degli Strozzi< e la sua famiglia durante il soggiorno padovano (1527—1532)« gewidmet (S. 115—124). W. Legere berichtet schließlich über

»Meine Schwierigkeiten mit Michael Gaismair« (S. 125—131) bei der Abfassung seines Romans »Der gefürchtete Gaismair« (2. Aufl. (Ost-)Berlin 1981).

Die weitaus meisten Vorträge des Symposions waren dem Vergleich der Tiroler Gegeben- heiten und Ereignisse mit anderen Schauplätzen bäuerlicher Aufstände gewidmet. R. En- dres befaßt sich mit dem »Niederadel in Tirol und Süddeutschland zur Zeit des Bauern- krieges« (S. 55—66); U. Corsini mit »La guerra rustica nel Trentino e Michael Gaismair«

(S. 79—98); B. Grafenauer mit »Michael Gaismair und die Kroaten und Slowenen«, wobei er besonders die slowenische Bauernbewegung untersucht (S. 133—151); Ο. P. Clavadet- scher mit den »Beziehungen Gaismairs zur Schweiz. Die Bauernunruhen im Gebiet der heutigen Eidgenossenschaft« (S. 153—160); Κ. H. Burmeister mit den »Beziehungen Vor- arlbergs zum Tiroler Bauernkrieg und zu Michael Gaismair« (S. 161—170); A. Zauner mit den »Verhältnissefn] in Tirol und Oberösterreich« (S. 185—196); H. Feigl mit den »Ursa- chen der niederösterreichischen Bauernkriege des 16. Jahrhunderts und [den] Ziele[n] der Aufständischen« (S. 197—209); H. Dopsch mit dem »Salzburger Bauernkrieg und Michael Gaismair« (S. 225—246); H. Haushofer mit den »Ereignisse[n] des Jahres 1525 im Her- zogtum Bayern« (S. 247—258); G. Bischoff mit »La Guerre des Paysants et l'Alsace« (S.

259—281). Den für Tirol und die Einschätzung seines »Bauernkrieges« besonders wichti- gen Problemen im Montanbereich wenden sich A. Laube »Der Aufstand der Schwazer Bergarbeiter 1525 und ihre Haltung im Tiroler Bauernkrieg« (S. 171—184) und Κ. H . Ludwig »Sozialemanzipatorische, politische und religiöse Bewegungen 1524—1526 im Montanwesen des Ostalpenraums« (S. 211—224) zu. Alle Beiträge zusammen ergeben ein detailliertes, die jeweils besonderen Umstände berücksichtigendes Bild vom »Bauernkrieg«

im alpenländischen Raum, deren Zusammenfassung eine Aufgabe für die Zukunft bleibt.

195 Als Nachwort, in gewisser Weise als Zusammenfassung des Symposions von 1976 aufzu-

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fassen, schließt ein Innsbrucker Vortrag von G. Franz aus dem Jahre 1979 den Tagungs- band ab: »Der Bauernkrieg in Tirol 1525/1526« (S. 337—344). Darin geht es dem Nestor der deutschen »Bauernkriegs«-Forschung um den Versuch »zu zeigen, wie weit der Bauernkrieg in Tirol besondere, durch die Landesgeschichte und die Person Michael Gais- mairs bestimmte Züge aufweist, wie weit er [in Anlehnung an Heinrich von Srbik] ein Teil der gesamtdeutschen Bewegung war« (S. 337). Sein Ergebnis: »Die Tiroler Bauernbewe- gung 1525 ist ein Teil des deutschen Bauernkrieges, auch wenn ein organisatorischer Zu- sammenhang nicht festzustellen ist. Sie erhält ihre Eigenart durch die Stellung des Berg- baus und die hochentwickelte Ausbildung des Ständestaates. Entscheidend aber wird sie durch die Person Michael Gaismairs und seine Pläne bestimmt.« (S. 344)

Insgesamt ein wichtiger, über die Landesgeschichte (nicht nur Tirols) hinaus bedeutsamer Band, der die intensive wissenschaftliche Beschäftigung des letzten Jahrzehnts mit dem Thema »Bauernkrieg« gewissermaßen noch einmal zusammenfaßt und abschließt, aber zu- gleich auch neu beleben und etwa unter den Aspekten »Krise des Ständestaates« oder

»Verhältnis zur >Reformation<« weiterführen wird. Schade, daß ihm jegliche Register feh- len, über die Referate und Diskussionsbeiträge leichter in Ubereinstimmung und Kontro- verse zu überschauen wären. Darüber hinaus kann gerade bei thematisch fest umrissenen Tagungsbänden der Wert solcher Register für auf sie aufbauende Forschungen nicht hoch genug veranschlagt werden.

Schlechthin grundlegend für die Beschäftigung mit dem »Bauernkrieg« ist bis heute G.Franz' vor 50 Jahren zum erstenmal erschienenes, jetzt in 11. Auflage vorliegendes Buch »Der deutsche Bauernkrieg«, ergänzt um einen 1935 publizierten Quellenband3. Diesem Gelehrten ist die Festschrift Bauer, Reich und Reformation gewidmet, die in Titel und Kapiteleinteilung, erweitert um das Kapitel »Bauernkrieg«, die Hauptforschungsge- biete von Franz anspricht4. Die 16 Beiträge, die sich zum Teil den vier Themenkreisen der Schlußdiskussion bei der Gaismair-Tagung (siehe oben) zuordnen lassen, wie die übrigen früheren Arbeiten der Verfasser legen Zeugnis von der großen Wirkung ab, die von dem Werk des Jubilars ausgegangen ist.

Der »Bauer« ist das Thema im ersten Kapitel der Festschrift. W. Abel untersucht die Ein- wirkungen der »secular trends« vom Hochmittelalter bis zum 18. Jahrhundert auf das Ver- hältnis von Feudalquote zur Bauernquote in seinem Beitrag »Die Lasten der Bauern im Zeitalter des Feudalismus« (S. 9—17). Um die wirtschaftliche Lage der Bauern am südli- chen Oberrhein bis 1525 geht es H. Buszello in seiner Untersuchung »>Wohlfeile< und

>Teuerung< am Oberrhein 1340—1525 im Spiegel zeitgenössischer erzählender Quellen«

(S. 18—42). Dafür wertet er 35 Texte — meist Annalen und Chroniken — nach 22 Ge- sichtspunkten aus (vor allem Witterungseinflüsse und ihre Folgen) und stellt die Ergeb- nisse jahrzehntweise graphisch dar. Die Häufung von Mißernten und Teuerungen nach 1470 erklärt für den von ihm gewählten Raum die erhöhte Sensibilität der Bauern bei auch nur geringfügigen Erhöhungen von Abgaben und Diensten oder bei Einschränkungen von Nutzungsrechten. »Bäuerliches Protesthandeln in Bayern« am Beispiel der »Haager Bauernversammlung des Jahres 1596« ist das Thema R. Blickles (S. 43—73). Sie tritt für eine Modifizierung der These von der »Verrechtlichung sozialer Konflikte nach 1525«

(W. Schulze) ein, da sie den bayerischen Verhältnissen des 17. und 18. Jahrhunderts nicht gerecht würde (Haager Bauernaufstände von 1633/34 und 1705/06). Der Zeit nach dem großen »Bauernkrieg« ist im Kapitel »Reich« auch der Beitrag W. Schulzes gewidmet:

»Oberdeutsche Untertanenrevolten zwischen 1580 und 1620. Reichssteuern und bäuerli- cher Widerstand« (S. 120—147). Neben anderen hat vor allem er die Erforschung sozialer Konflikte in der Nach-Bauernkriegs-Zeit intensiv vorangetrieben5 und neue Aspekte zur Beurteilung des Standes von »Staatlichkeit« in jenen Gebieten beigebracht, in denen sich nach der Katastrophe von 1525/26 besondere Formen von Herrschaftskritik, Protest und Widerstand herausgebildet haben. Um die »Folgen des Bauernkriegs im Kloster Schwarz- ach« geht es in »Die Huldigung der Petersleute« von C. Ulbrich (S. 74—84), die sich damit dem Antiklerikalismus im Bauernkrieg in der Ortenau zuwendet. Grundsätzlicher und umfassender thematisiert ihn im Kapitel »Reformation« H.-J. Goertz: »Aufstand gegen den Priester. Antiklerikalismus und reformatorische Bewegungen« (S. 182—209). Er arbei-

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tet heraus, daß der sehr weit zu fassende, vor allem wirtschaftlich und geistig-moralisch motivierte Antiklerikalismus »sich zu einer zielbewußten, gesellschaftlich höchst wirksa- men Bewegung« (S. 207) in Stadt und Land entwickelte.

Neben Schulzes Beitrag gehören zwei weitere Arbeiten zum Kapitel »Reich«. R. Endres:

»Der Kayserliche neunjährige Bund vom Jahr 1535 bis 1544« (S. 85—103), greift ein völlig vernachlässigtes Thema aus einem auch sonst wenig bearbeiteten Jahrzehnt der Reforma- tionszeit auf. Wenn dieser Bund auch im Schatten des gleichzeitigen protestantischen Bündnisses von Schmalkalden stand, so hat er doch nach dem Ende des Schwäbischen Bundes seinen Beitrag zur Landfriedenssicherung in Oberdeutschland geleistet, weil es ihm gelang, die dortigen, »auf Ausgleich bedachten protestantischen wie katholischen Kräfte« von konfessionellen Sonderbünden fernzuhalten (S. 101). Mit Recht nimmt En- dres eine positive Bewertung dieses Bundes vor. Einem — trotz hervorragender Einzellei- stungen wie etwa der P. E. Schramms — von der deutschen Forschung lange vernachlässig- ten, erst neuerdings wieder mehr beachteten Arbeitsgebiet wenden sich R. und T. Wohlfeil zu: »Landsknechte im Bild. Überlegungen zur >Historischen Bildkunde<« (S. 104—119).

Anhand der von den Zeitgenossen stark beachteten »bildliche[n] Thematisierung militäri- scher Phänomene und kriegerischer Vorgänge [. ..] in fast allen künstlerischen Medien des sog. späten Mittelalters und vor allem der Frühen Neuzeit« (S. 117) unterstreichen sie die Bedeutung, aber auch die methodischen Schwierigkeiten und zeigen, zu welchen Er- kenntnissen die geschichtswissenschaftliche Auswertung von bildlichen Quellen gelangen kann.

Mit quellenkritischen Bemerkungen zu »Thomas Müntzer und die Mystik« (S. 148—159) leitet M. Steinmetz das dritte Kapitel »Reformation« ein. M. Lienhard beschäftigt sich un- ter dem Titel »Glaube und Skepsis im 16. Jahrhundert« (S. 160—181) mit den »Straßbur- ger Epikuräern«, »die sich nicht eingliedern ließen in die großen Kirchen oder in die täufe- rischen Gruppen« (S. 160). P. Bierbrauer behandelt »Das Göttliche Recht und die natur- rechtliche Tradition« (S. 210—234) und weist auf die »neue politische Qualität« des Göttli- chen Rechts des Bauernkrieges gegenüber dem mittelalterlichen Gottesrecht hin (S. 232).

Am Beispiel von »Bauern und Reformation im Herzogtum Preußen« (S. 235—251) setzt sich H. Wunder mit Max Webers Religionssoziologie auseinander und hebt deren Fruchtbarkeit für die Arbeit des Fakten ordnenden und interpretierenden Historikers her- vor, der seinen Gegenstand »nicht nur kurzfristig, sondern langfristig [. . .] überblicken«

will (S. 251).

Thema des abschließenden vierten Kapitels ist der »Bauernkrieg«. Um eine Analyse der Quellenlage und den Entwurf einer sich daraus ergebenden verbesserten Chronologie geht es H.-G. Rott in seinem Aufsatz »Der Bauernkrieg und die Stadt Weißenburg im Elsaß«

(S. 252—267). H. Haushofers Beitrag aus dem Gaismair-Tagungsband wird im Wortlaut geringfügig verändert noch einmal abgedruckt: »Die Ereignisse des Bauernkriegsjahres 1525 im Herzogtum Bayern« (S. 268—285). Unter dem Titel »Nochmals zur Entstehung der Zwölf Artikel im Bauernkrieg« (S. 286—308) greift P. Blickle ein altes Thema der

»Bauernkriegs«-Forschung auf. Neu aufgefundenes Material läßt ihn zu dem Ergebnis kommen, »daß die Zwölf Artikel von einer oberrheinischen Vorlage ihre wesentlichen Im- pulse erhielten« (S. 306), was für die Interpretation der Ereignisse von 1525 bedeutungs- voll ist. »Die Geschichte der Zwölf Artikel« zeigt — so schließt Blickle —, »daß es eine Kollektive Vernunft des Gemeinen Mannes< [E. Weyrauch] gegeben hat« (S. 308). Ein hi- storiographischer Beitrag W. v. Hippels schließt den Band ab: »Bauernkrieg, Französische Revolution und aufgeklärte Humanität. Zum Geschichtsbild des deutschen Bürgertums am Ende des 18. Jahrhunderts im Spiegel von Georg Friedrich Sartorius' >Versuch einer Geschichte des Deutschen Bauernkrieges<« (S. 309—329).

Aufs Ganze gesehen dokumentiert die Festschrift sehr anschaulich, wie die Forschungen in den Arbeitsbereichen von G. Franz seit den Erinnerungsjahren 1975/76 vorangeschritten sind und welche Richtungen sie eingeschlagen haben. An ihnen wird einmal mehr deutlich, wie oft behandelte Gegenstände durch neue Quellenfunde oder neue Fragestellungen neu gesehen werden können, und das nicht selten mit Weiterungen für die Gesamtsicht. Von

»abgeschlossenen Themen« kann jedenfalls schwerlich gesprochen werden, sofern das in 297 der Geschichtswissenschaft überhaupt möglich ist. Helmut Neuhaus

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1 Die zwischen 1974 und 1976 erschienene, 371 Titel umfassende Literatur ist — Wichtiges und N e - bensächliches nebeneinander aufführend — zusammengestellt in: Bibliographie zum deutschen Bauernkrieg und seiner Zeit. Veröffentlichungen seit 1974. Bearb. von U. Thomas. Stuttgart 1976.

Darüber hinaus informiert mit neuester Literatur H. G. Hockerts: Der Bauernkrieg 1525 — früh- bürgerliche Revolution, defensive Bauernerhebung oder Revolution des »gemeinen Mannes«? In:

Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 30 (1979) 1—20. Problematisch dagegen der jüngste Überblick zur Historiographie des nach Ranke »größten Naturereignisses des deutschen Staates«:

F. Winterhager: Der Bauernkrieg von 1525 in der historischen Literatur. Positionen der For- schung vom Vormärz bis heute. Berlin (Freie Universität), Phil. Diss. 1979; ders.: Bauernkriegs- forschung. Darmstadt 1981 (vgl. dazu P. Blickle in H Z 235 (1982) 179).

2 J. Bücking: Michael Gaismair. Reformer, Sozialrebell, Revolutionär. Seine Rolle im Tiroler

»Bauernkrieg« (1525/32). Stuttgart 1978.

3 G. Franz: Der deutsche Bauernkrieg. Darmstadt u1 9 7 7 ; ders.: Der deutsche Bauernkrieg. Akten- band. München, Berlin 1935 (Nachdruck: Darmstadt 51980).

4 Vgl. auch G. Franz: Persönlichkeit und Geschichte. Aufsätze und Vorträge, hrsg. von O. Hauser.

Göttingen, Zürich, Frankfurt a. M. 1977.

5 Vgl. zuletzt etwa W. Schulze: Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft in der frühen N e u - zeit. Stuttgart 1980, mit umfangreicher Auswahlbibliographie (S. 307—344); Aufruhr und Empö- rung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, hrsg. von P. Blickle. München 1980;

den daran anschließenden Forschungsbericht von W.Schulze: Aufruhr und Empörung? Neue Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich. In: Z H F 9 (1982) 63—72; Europäische Bauernrevolten der frühen Neuzeit, hrsg. von W. Schulze. Frankfurt a. M. 1982.

Otto Forst de Battaglia: Jan Sobieski. Graz, Wien, Köln: Styria 1982. 320 S. (Über- arb. Neuaufl. der 1946 bei der Verlagsanstalt Benzinger & Co. AG., Einsiedeln-Zü- rich, erschienenen Erstausg.)

Thomas M. Barker: Doppeladler und Halbmond. Entscheidungsjahr 1683. Übers, und bearb. von Peter und Gertraud Broucek. Graz, Wien, Köln: Styria 1982. 423 S.

(Originalausg. New York 1967.)

Gertrud Gerhard: Belagerung und Entsatz von Wien 1683. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1982. 68 S. ( = Militärhistorische Schriftenreihe. H. 46.)

Jan Wimmer: Der, Entsatz von Wien 1683. Warszawa: Interpress 1983. 304 S., 12 Karten ( = Panorama der polnischen Geschichte. Fakten und Mythen.)

Die Türken vor Wien: Europa und die Entscheidung an der Donau 1683. Hrsg. vom Historischen Museum der Stadt Wien unter der Leitung von Robert Waissenberger.

Salzburg, Wien: Residenz 1982. 367 S.

Peter Broucek, Walter Leitsch, Karl Vocelka, Jan Wimmer, Zbigniew Wöjcik: Der Sieg bei Wien 1683. Wien: Österreichischer Bundesverlag; Warszawa: Wydaw- nictwa Szkolne i Pedagogiczne 1983. 192 S., 1 Plan

Die Türken vor Wien: Europa und die Entscheidung an der Donau 1683. Katalog zur 82. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Karlsplatz, im Künstlerhaus, Karlsplatz 5 und im Sonderausstellungsraum des Historischen Museums der Stadt Wien, Karlsplatz. 5. Mai bis 30. Oktober 1983. Wien: Eigenver- lag der Museen der Stadt Wien 1983. 411 S.

Kara Mustafa vor Wien: 1683 aus der Sicht türkischer Quellen! Übers, und erl. von Richard F. Kreutel. Stark vermehrte Ausg. besorgt von Karl Teply. Graz, Wien, Köln: Styria 1982. 376 S. ( = Osmanische Geschichtsschreiber. Bd 1.)

Peter Broucek, Erich Hillbrand, Fritz Vesely: Historischer Atlas zur zweiten Türken- belagerung. Wien 1683. Wien: Deuticke 1983. 56 S.

Rudolf Henz: Der Kurier des Kaisers. Mit den Türken gegen Wien. Roman. Graz, Wien, Köln: Styria 1982. 448 S. (2. neubearb. Aufl. der 1941 u.d.T. »Der Kurier des Kaisers« ersch. Aufl.)

In der, wie sich bald herausstellen sollte, nicht einmal vollständigen Bibliographie über die Türkenbelagerungen Wiens 1529 und 1683 von Walter Sturminger werden 1955 für die zweite Belagerung rund 2500 Titel genannt1. Die seither vergangenen fast 30 Jahre haben

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manche wichtige Neuerscheinung gebracht2. Einen Höhepunkt erreichte die Neuproduk- tion aber sicherlich im Jubiläumsjahr 1983. Die Zahl der neuen Veröffentlichungen ist kaum festzustellen. Die hier besprochenen Werke sind selbstverständlich eine subjektive Auswahl.

Die Frage, ob Quantität auch Qualität bedeutet, ist bestimmt berechtigt. Daß sich unter den hier vorgestellten Büchern vier Neuauflagen, allerdings verbessert, überarbeitet oder zum ersten Mal in deutscher Sprache, befinden, mag vielleicht ein Hinweis darauf sein, daß so leicht neue und bessere Erkenntnisse auf dem schon vielfältig bearbeiteten Gebiet der Türkenbelagerung von 1683 doch nicht erzielt werden können.

Ungleichgewichtig verteilt sich auch die Büchermasse auf die am ehemaligen Geschehen beteiligten Völker. Osterreich und Polen haben sich wesentlich intensiver um das Jahrhun- dertereignis bemüht als die Türkei oder gar die Nachfolgestaaten der Mitglieder des un- tergegangenen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Die Zurückhaltung der Nachkommen des ehemaligen osmanischen Reiches scheint ange- sichts des katastrophalen Ausgangs des Ereignisses verständlich, ist aber bedauerlich, denn von dieser Seite wäre noch am ehesten die weitere Klärung offener Fragen zu erwarten.

Aus bisher vorliegenden kurzen Abhandlungen ergibt sich die auch aus übersetzten Quel- len der Osmanen ersichtliche These, daß der Mißerfolg der Belagerung vor allem auf poli- tische und militärische Fehler im osmanischen Lager selbst zurückzuführen sei. Der christ- liche Entsatzversuch erscheint so in seinem großen Erfolg als quasi »vorprogrammiert«3. Die Tatsache, daß die zunächst mehrtägig konzipierte Entsatzschlacht schließlich mit er- schöpften Truppen an einem Tag geschlagen und gewonnen wurde, und daß die türkische Niederlage sofort in einen chaotischen Rückzug überging, stützt diese Behauptung sinn- fällig. Hier läge noch ein Betätigungsfeld auf der Grundlage vielleicht noch unbekannter osmanischer Quellen4.

Folgen wir dem amerikanischen Historiker Gordon A. Craig, so ist Geschichte eine »hu- manistische Wissenschaft«, die nicht »von Umständen, sondern von Menschen in Umstän- den« handelt5. So erscheint es gerechtfertigt, die Biographien der bedeutendsten »Helden«

der Ereignisse an die Spitze der Besprechung zu stellen. Aber hier erlebt man eine herbe Enttäuschung. Keiner der wichtigsten Akteure ist einer neuen Würdigung unterzogen worden. Der Kaiser, der polnische König, die deutschen Kurfürsten, alle christlichen Heerführer und ihre osmanischen Kontrahenten erscheinen in zum Teil schon etwas ver- blichenem biographischen Gewand6. Das ist zumindest für den osmanischen Feldherrn Kara Mustafa Pascha zu bedauern, denn letztlich ist der ganze Feldzug mit den für das os- manische Reich lang anhaltenden negativen Folgen heute im allgemeinen Urteil aller Wis- senschaftler sein Werk7.

Mit großem Vergnügen liest man die mit literarischer Meisterschaft und tiefer historischer Sachkenntnis geschriebene Sobieski-Biographie von Otto Font de Battaglia. Mögen man- che Details besonders zum Feldzug von 1683 durch die Forschungen Jan Wimmers über- holt sein, so bleibt der nachhaltige Eindruck eines auch die tragischen Züge des Polenkö- nigs treffenden biographischen Urteils. Höhepunkte des Buches im Zusammenhang mit dem Jahr 1683 sind die Schilderungen der persönlichen Begegnungen Sobieskis mit Karl von Lothringen und besonders mit Kaiser Leopold. Selten ist das Mißverstehen zwischen westlichem und östlichem Europa so konzentriert zum Ausdruck gekommen wie in dem kurzen Zusammentreffen des polnischen Wahlkönigs mit dem deutschen Kaiser in Schwe- chat nach der Befreiung Wiens8.

Obwohl das Erscheinen der amerikanischen Ausgabe schon 16 Jahre zurückliegt, ist das nun in deutscher Übersetzung zugängliche Werk von Thomas M. Barker die bedeutendste Monographie zum Gesamtkomplex der zweiten Türkenbelagerung, die zum Jubiläumsan- laß zu nennen ist. Das Buch ist von einem österreichischen Sachkenner übersetzt und auf den neuesten Forschungsstand gebracht worden, damit in allen Fragen eine zuverlässige Auskunftsquelle geblieben. Es greift weit über das Jahr 1683 hinaus und liefert ein beein- druckendes Gemälde Europas seit den westfälischen Friedensschlüssen von 1648. Dieser Gesamtschau stehen die detaillierten Schilderungen und Bewertungen der militärischen In- strumente und des operativen Geschehens während des ganzen Feldzuges von 1683 gleich- 1 9 9 wertig gegenüber.

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M e h r kriegsgeschichtlich orientiert ist die kurze Abhandlung von Gertrud Gerhard. Unter- stützt von zwei sehr instruktiven Karten wird das militärische Geschehen klar und bis in die Einzelheiten gehend beschrieben. Kurze biographische Notizen über die wichtigsten Akteure und Hinweise auf Gedenkstätten in Wien runden die Darstellung in geglückter Weise ab.

Am intensivsten haben sich in jüngster Zeit polnische Historiker, an ihrer Spitze Jan Wim- mer, um das Jahr 1683 bemüht9. D e r politische und militärische Anteil Polens an dem Ent- satz des belagerten Wien tritt nun deutlich, aber ohne jeden überzogenen nationalen An- strich zutage. W e n n es natürlich in der kurzen Zeit von April bis August 1683 auch nicht gelang, das vertraglich vereinbarte Kontingent von 40 000 M a n n aufzustellen, so waren doch die polnischen Streitkräfte ein »unabdinglicher Bestandteil« (S. 288) des Entsatzhee- res. Sehr eingehend wird der über den nominellen Oberbefehl weit hinausreichende Ein- fluß Sobieskis auf Planung und D u r c h f ü h r u n g der Entsatzoperationen untersucht. M e h - rere Karten unterstützen die Schilderungen der militärischen Operationen, die neben der Darstellung der inneren Situation Polens und seines Verhältnisses zur T ü r k e i zu den ein- drucksvollsten Passagen in Wimmers Buch gehören. Ein Kapitel über die Wirkungsge- schichte der Befreiung Wiens in dem wechselvollen Leben der polnischen Nation schließt das Buch ab. Es ist ein Stück Militärgeschichte modernster Prägung, dem eine weite V e r - breitung im deutschen Sprachraum zu wünschen wäre.

Ereignisse, an denen viele Nationen beteiligt waren, legen fast wie selbstverständlich bei der historischen Aufbereitung ein Verfahren nahe, das auch hier die ehemaligen Verbün- deten und Gegner zu gemeinsamer Tätigkeit zusammenbringt. Solchen Aufsatzsammlun- gen fehlt dann zwar die Einheit der Perspektive und des Stils einer Monographie, aber die bunte Vielfalt der Ansätze und Probleme entschädigt d a f ü r durch o f t völlig neue oder längst vergessene Einsichten und Zusammenhänge.

So vereint der vom Historischen Museum der Stadt Wien herausgegebene Sammelband 34 Autoren aus acht Ländern. Die T h e m e n der Beiträge reichen von der europäischen Si- tuation in der zweiten H ä l f t e des 17. Jahrhunderts bis zum türkischen Einfluß auf die eu- ropäische Musik. Vier große thematische Blöcke sind gebildet worden. Sie beschäftigen sich mit der inneren und äußeren Lage der einzelnen beteiligten Staaten, den militärischen Operationen und Streitkräften, den wichtigsten Persönlichkeiten und dem Hineinwirken der osmanischen Kultur in die europäische Zivilisation bis in das 20. Jahrhundert.

Es erscheint nun ganz unmöglich, einzelne Beiträge zu würdigen. Die verschiedenen T h e - menbereiche werden je ihre Interessenten finden. Die Sammlung von Kurzbiographien al- lerdings ist in besonderer Weise gelungen und vermittelt ein faszinierendes Bild vom sub- jektiven Faktor im historischen Geschehen. Aber auch eine auf den ersten Blick sehr spe- zielle Abhandlung, wie die über das Bogenschießen in der Türkei im 17. Jahrhundert, ist unverzichtbar f ü r das Verständnis der T a k t i k der leichten osmanischen Kavallerie und der türkischen Bogenschützen zu Fuß1 0.

Nicht mit Worten zu beschreiben ist das ausgebreitete Bildmaterial, das alle Aspekte des Ereignisses eindrucksvoll dokumentiert und das gedruckte W o r t sinnvoll unterstützt. D e r gewiß nicht geringe Preis erfährt seine volle Berechtigung durch die innere und äußere Qualität dieses w a h r h a f t überwältigenden Buches.

Eine polnisch-österreichische Gemeinschaftsproduktion »für die Jugend, f ü r die Lehrer und f ü r alle Interessierten« ist der »Sieg bei Wien 1683«. Peter Broucek und Jan Wimmer schildern Bedrohung und Entsatz Wiens. Walter Leitsch und Karl Vocelka untersuchen aus je unterschiedlichen Blickwinkeln das Verhältnis des osmanischen Reiches zu Europa und zu Österreich, dabei weit bis in das 14. Jahrhundert zurückgreifend. Zbigniew Wojcik lie- fert eine kurze, aber um so prägnantere Biographie Sobieskis als Politiker und Feldherr.

D e r Anspruch der Autoren ist sicher eine Untertreibung. D e n n was — zwar ohne Quellen- angaben — zu den Problemkreisen gesagt wird, ist fern aller populären historischen Sach- buchforschung Geschichtswissenschaft auf dem neuesten Stand und in leicht verständli- cher, überzeugender Diktion. N u r wer sich lange Zeit mit einem T h e m a beschäftigt, kann wohl so wie die Autoren dieses Buches das Resümee seiner Erkenntnisse konzentriert, aber allgemeinverständlich, darbieten.

2 0 0 Ein besonderes W o r t verdienen die 70 Illustrationen. W e r — wie der Verfasser — einige

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Bücher zum Thema Wien 1683 gelesen hat, trifft immer wieder auf die gleichen Bilder und Dokumente. Das Erstaunen ist um so größer, wenn dann — wie in dem vorliegenden Buch — neue Bilder, Karten oder Bildausschnitte auftauchen. Das ist vor allem durch Bild- dokumente aus polnischen Archiven, durch Bildreproduktionen polnischer Fotografen und die Karten von Jan Wimmer und Zdzislaw Parczynski erreicht worden. Wer sich be- sonders für die politisch-militärischen Verhältnisse und Abläufe interessiert, dürfte mit die- sem Werk den besten Einstieg finden.

Ein buntes Kaleidoskop bietet — wie jeder Katalog — der die beiden Ausstellungen des Hi- storischen Museums der Stadt Wien im Künstlerhaus und im Historischen Museum selbst zur Türkenbelagerung begleitende Text. Trotzdem spiegelt sich die hervorragende musea- le und didaktische Konzeption der beiden Ausstellungen auch in dem gemeinsamen Kata- log wider. Uber die zahllosen Informationen hinaus, die zu jedem Ausstellungsstück gege- ben werden, entwickeln die Einführungen zu den einzelnen Abschnitten der Ausstellungen und des Katalogs den Zusammenhang und den Ablauf der Ereignisse in voller Breite. In diesem Rahmen gewinnen Bild und Text zu den ausgestellten Gegenständen ihr je eigenes Gewicht. Nachdenklich gegenüber der »historischen Wahrheit« und dem historischen Ar- gument im politischen Alltagsgeschehen stimmt der Abschnitt über das »sogenannte Nach- leben« der Türkenbelagerung bis in unsere Zeit. Historische Ereignisse scheinen gegen keinerlei und wie auch immer motivierte Inanspruchnahme geschützt zu sein.

Quellenwerke führen den nachgeborenen Leser und Betrachter in die unmittelbare Nähe des historischen Geschehens. Das gilt im besonderen für die uns heute noch zum Teil fremde Welt des Islams. So ist die Lektüre der türkischen Quellen zum Jahr 1683, die von zwei führenden Osmanisten Österreichs neu herausgegeben wurden, nicht nur direkte Teilnahme am Ereignis, sondern auch Eindringen in eine neue Welt des Denkens und Handelns.

Die Tagebücher des Dolmetschers und des Zeremonienmeisters der Pforte und die »Ge- schichte des Silihdar«, d.h. des Waffenträgers des Sultans, ergeben ein umfassendes und farbiges Bild von der türkischen Seite11. Da das Archiv des Großwesirs Kara Mustafa Pa- scha verlorengegangen ist, und auch sonst kaum türkische Akten zur Belagerung erschlos- sen worden sind, stellen diese erzählenden Quellen bis heute die Basis für eine Beurteilung der türkischen Lage und der Planungen dar.

Die schlechte Versorgungslage, die Zerstrittenheit der militärischen Führer und die man- gelnde Führungskraft Kara Mustafas werden von den türkischen Zeitgenossen allgemein als Gründe für die Niederlage vor Wien genannt. Wenig Aufschluß ergeben die Quellen für den Entschluß, Wien und nicht Raab oder Komorn zu belagern. Auch die Tatsache, daß die Masse des türkischen Heeres von der Raab nach Wien sechs Tage für eine sonst in einem Tag zu bewältigende Wegstrecke benötigte und damit den Verteidigern wertvolle Zeit gewährt wurde, findet keine Erklärung.

Auch in der Übersetzung wird noch die völlig andere Welt des Islams in seinen Zeremo- nien, in den peinlich genau beachteten Rangunterschieden und in seiner religiös motivier- ten Einstellung zum Gegner sichtbar. Nicht selten werden barbarische Grausamkeiten mit der größten Selbstverständlichkeit geschildert. Sie riefen natürlich entsprechende Reaktio- nen auf christlicher Seite hervor.

Das Buch ist illustriert mit Tafeln aus dem Werk eines der frühesten Türkenforscher, des

»Polyhistors, Offiziers, Kriegsingenieurs und Diplomaten Conte Luigi Ferdinando Mar- sigli aus Bologna (1658-1730)« (S. 329)12.

Eine Präsentation bildlicher Quellen von hohem Rang ist der vorwiegend aus den Bestän- den des Wiener Kriegsarchivs zusammengestellte historische Atlas. Keineswegs handelt es sich nur um Karten, sondern um Bilder, Pläne und Zeichnungen zu allen Phasen der Bela- gerung und des Entsatzes sowie zu den beteiligten Streitkräften. Kommentare und Erläu- terungen der ursprünglichen Beschriftungen der alten Pläne erschließen die Bilddoku- mente im umfassenden Sinn.

Am eindrucksvollsten sind sicherlich die farbigen Wiedergaben eines Planes des belagerten Wien mit den türkischen Angriffsarbeiten und des Planes zum gesamten Aufmarsch und zur Schlacht des Entsatzheeres. Erst in dieser reliefartigen Darstellung werden die immen- 201 sen Schwierigkeiten sichtbar, die der Wiener Wald dem Anmarsch der verbündeten Ar-

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meen entgegensetzte. Die Schlacht mußte aus diesem Grunde ganz modern von drei unab- hängigen Angriffsgruppen geschlagen werden, fern aller Lineartaktik. Da die Original- pläne meist verkleinert wiedergegeben sind, erschließt erst eine Lupe zahlreiche inter- essante Details.

Der im 19. Jahrhundert außerordentlich beliebte und von seriösen Schriftstellern gepflegte historische Roman ist heute fast unbekannt oder durch das historische Sachbuch ersetzt.

Der wiederaufgelegte und überarbeitete Roman des 1897 geborenen österreichischen Schriftstellers und Glasmalers Rudolf Henz schildert die dramatischen Ereignisse der Jahre 1682/83 aus der Sicht eines türkisch sprechenden Hilfsschreibers, der an der diplomati- schen Mission des Wiener Hofes an die Pforte teilnimmt. Auf abenteuerliche Weise wech- selt er mehrfach die Fronten, und so zeichnet sein fiktives Tagebuch die Situation auf der Reise nach Konstantinopel, auf dem Vormarsch des osmanischen Heeres, vor und in Wien und beim Entsatzheer auf der Grundlage historisch gesicherter Fakten getreulich auf.

»Ein historischer Roman nun, der mit echter Kunst auf wissenschaftlicher Grundfläche aufbaut und wissenschaftliche Bausteine verwendet, vermag auch dem Fachhistoriker sehr viel zu schenken.«13 Dieses Urteil Heinrich Ritter v. Srbiks trifft sicherlich auf den »Kurier des Kaisers« zu, der sich dem romantischen, abenteuerlichen Kolorit des historischen Ge- schehens zuwendet, aber nie den Boden der historischen Tatsachen verläßt.

Nimmt man die am Beginn dieser Sammelbesprechung gestellte Frage nach dem Ertrag der Bücherflut wieder auf, so kann sicherlich gesagt werden, daß der politische Rahmen und die militärischen Aktionen dieses Jubiläums in befriedigendem Umfang untersucht sind14. Eine historisch-kritische Darstellung der osmanischen Seite oder aus heutiger türki- scher Sicht wäre allerdings eine wünschenswerte Ergänzung. Der Leser aus dem ehemali- gen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation schließlich vermißt eine Würdigung des politischen und militärischen Anteils des Reiches und seines militärischen Unterbaues, der Reichskreise, an dem Geschehen, wie sie für den Feldzug gegen die Osmanen von 1664 zum Teil geleistet worden ist15. Auch unter dem Gesichtspunkt der Koalitionskriegfüh- rung könnten Belagerung und Entsatz von 1683 für moderne Fragestellungen fruchtbar gemacht werden.

Von den Persönlichkeiten der dramatischen Ereignisse verdiente vor allem Kara Mustafa endlich eine biographische Bemühung. Ein Ansatz im Detail liegt seit 1981 aus österreichi- scher Feder vor16.

Eine mehr soziologisch-psychologische Frage hat Onno Klopp 1882 angeschnitten und damit bei den Zeitgenossen heftigen Widerspruch hervorgerufen. Er glaubte, Zweifel an dem Heldenmut und der Standfestigkeit des Wiener Stadtrates und der Stadtbevölkerung anmelden zu müssen17. So wäre vielleicht eine Untersuchung über das Verhalten der Zivil- bevölkerung in längerer militärischer Gefahrensituation auch aus dieser fernen Zeit heute noch von Interesse. So bleiben trotz des gewaltigen Bücherberges noch ausreichend wich- tige Forschungsmöglichkeiten, die nicht unbedingt bis zur nächsten Jahrhundertfeier für

die Türkenbelagerung 2083 warten müßten. Greiner

1 H. Schmidt: Das Türkenjahr 1683 und seine historische Bedeutung. In: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 28 (1977) 87.

2 J. Stoye: Wien 1683 oder die Rettung des Abendlandes. Düsseldorf 1967 (engl. Ausg.: The Siege of Vienna. London 1964).

3 A. Arkayin: The Second Siege of Vienna (1683) and its Consequences. In: Revue Internationale d'Histoire Militaire 46 (1980) 107—117; Fahri Celiker: Zweite Türkenbelagerung Wiens und Ur- sachen der Mißerfolge. Vortrag, gehalten beim Internationalen Kongreß für Militärgeschichte, Wien 6.—10. 6. 1983 (Veröffentlichung in einem Tagungsband geplant).

4 Zygmunt Abrahamowicz: Islamische Quellen zur Geschichte des Türkenjahres 1683. Vortrag, ge- halten beim Internationalen Kongreß . . . (wie Anm. 3); Yasar Yücel: An Unknown Ottoman Source of XVIIth Century. Vortrag, gehalten beim Internationalen Kongreß . . . (wie Anm. 3).

5 Gordon A. Craig: Das Gedächtnis der Welt am Leben erhalten. Rede, gehalten bei der Entgegen- nahme des Historiker-Preises der Stadt Münster. In: Die Zeit, Nr. 47 v. 13.11.1981, S. 36.

6 J. P. Spielman: Leopold I. Zur Macht nicht geboren. Graz, Wien, Köln 1981 (engl. Ausg.: Leo- pold of Austria. London 1977); L. Hüttl: Max Emanuel. Der Blaue Kurfürst. Eine politische Bio- graphie. München 1976; P. Wentzcke: Der Feldherr des Kaisers. Leben und Taten Herzogs Karl V.

von Lothringen. Leipzig 1943; A. Graf Türheim: Feldmarschall Ernst Rüdiger Graf Starhemberg

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(1638—1701). Eine Lebensskizze. Wien 1882; G. Hagenau: Sobieski. Polens König — Retter des Abendlandes. Wien, München 1983, stand dem Verfasser nicht zur Verfügung.

7 Siehe für viele andere Z. Abrahamowicz: Kara Mustafa Pascha. In: Die Türken vor Wien (s. die 5. Pos. der in dieser Rez. besprochenen Neuerscheinungen), S. 241—250.

! Janusz Tazbir: Die Legende vom Wiener Entsatz. Vortrag, gehalten beim Internationalen Kon- greß . . . (wie Anm. 3).

' J. Wimmer: Le deblocage de Vienne en 1683 et la part que les Polonais y pirent. In: Revue Inter- nationale d'Histoire Militaire 52 (1982) 29—93. Jan Wimmer: Der Entsatz von Wien 1683 — Pla- nung und Realisierung. Vortrag, gehalten beim Internationalen Kongreß . . . (wie Anm. 3).

10 Josef Borus: Moderne Militärtechnik und alte Kriegswaffen in den Türkenkriegen 1683—1698.

Vortrag, gehalten beim Internationalen Kongreß . . . (wie Anm. 3).

11 Diese Quellen sind an anderer Stelle schon veröffentlicht: Kara Mustafa vor Wien. Das türkische Tagebuch der Belagerung Wiens 1683, verfaßt vom Zeremonienmeister der Hohen Pforte.

Übers., eingel. u. erklärt von R. F. Kreutel. Graz, Wien, Köln 1955; R. F. Kreutel: Kara Mustafas Feldzug gegen Wien. Nach dem Tagebuch des Pfortendolmetschers A. Maurokordätos. In: Jahr- buch des Vereins für die Geschichte der Stadt Wien 27 (1971) 47—81.

12 L. F. Marsigli: Stato Militare dell' Imperio Ottomano / L'Etat Militaire de l'Empire Ottoman.

Amsterdam 1732 (Neudr.: Graz 1972).

13 H. Brunner: Mars und Venus. Hofintrigen und Frauen um Prinz Eugen. Historischer Roman.

Graz, Wien, Stuttgart 1950, S. 6 (Heinrich Ritter v. Srbik: Zum Geleite).

14 Siehe jetzt die ausgezeichneten kurzen Zusammenfassungen von J. Chr. Allmayer-Beck: Die poli- tischen Voraussetzungen für die Wende vor Wien im Jahre 1683. In: Ö M Z 21 (1983) 428—433;

ferner B. R. Kroener: Die Türken vor Wien. Die europäische Dimension der Belagerung Wiens durch die Türken 1683. In: Information für die Truppe. H. 9 (1983) 25—45.

15 A. v. Schempp: Der Feldzug 1664 in Ungarn. Stuttgart 1909.

16 W. Leitsch: Warum wollte Kara Musufa Wien erobern? In: Jahrbücher für die Geschichte Osteu- ropas 29 (1981) 494—514.

17 O. Klopp: Das Jahr 1683 und der folgende große Türkenkrieg bis zum Frieden von Carlowitz 1699. Graz 1882, S. 206—252, hier bes. S. 243 ff., und ders.: Zur Zweiten Säcular-Feier des 12. September 1683. Wiederabdruck der Anklage des Herrn Bürgermeisters Uhl und der zwei of- fenen Sendschreiben von Onno Klopp an denselben mit einem Votum für die Säcular-Feier. Graz 1882.

J.A. Houlding: Fit for Service: The Training of the British Army, 1715—1795. O x - ford: Clarendon Press 1981. X X I , 459 S.

D e r Ausbildungsstand der britischen Armee des 18. Jahrhunderts war äußerst dürftig. So meinte ein kompetenter Zeitgenosse, wenn ein ernsthafter Krieg ausbräche: » . . . no people in the world will be more frightened, than Those w h o n o w govern this Kingdom«

(S. VIII). Ein anderer hoher Militär, stellvertretend für viele, beklagte die »insensate stu- pidity which tolerates this laxity in our Affairs« (ebd.).

D i e Historiker haben dieser Tatsache bislang nur unzureichend Rechnung getragen, in- dem sie den traurigen Zustand der britischen Truppen in Übersee konstatierten. Er wird auch vom Autor der vorliegenden, sehr intensiven Studie nicht bestritten; Houlding betont aber gegenüber der erwähnten communis opinio, daß die Bedingungen für die Masse der regulären Truppen in England, Wales, Schottland und Irland kaum besser gewesen seien.

Auch die Truppen auf der Insel selbst seien miserabel, zumindest unzureichend ausgebil- det gewesen (S. 388).

In der Regel werden für den schlechten Ausbildungsstand der Soldaten insbesondere das

»purchase system« (Käuflichkeit und Transferierbarkeit von Offizierstellen) und das Feh- len angemessener Exerziervorschriften verantwortlich gemacht. Houlding hält beides für verfehlt. Entscheidend sei der enorme Mangel an Zeit und Gelegenheit für Ausbildungs- zwecke gewesen (S.X). Daher behandelt er im wesentlichen drei Schwerpunkte:

1. Die Situation des Korps: Menschen und Bewaffnung (Kap. II).

2. Die Drillbooks: Offizielle und private Verlautbarungen und Vorschriften (Kap. III).

3. D i e Praxis des täglichen Dienstes und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten der Ausbildung (Kap. I u. I V - V I I ) .

2 0 3 D a zu seinem Thema für den ausgewiesenen Zeitraum praktisch keine Sekundärliteratur

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existiert, basiert Houldings Studie fast ausschließlich auf Quellen. Weil die meisten Re- gimentsunterlagen verlorengegangen sind, stehen die Materialien des W a r Office im P R O , vor allem die »Marching Orders« ( W O 5), im Zentrum der Untersuchung. Sie wer- den ergänzt durch die Papiere der jährlich durchgeführten Inspektionen ( W O 27) und die ebenfalls jährlichen »Army Lists« (S. IX). H i n z u kommt eine umfangreiche Liste von V o r - schriften und H a n d b ü c h e r n (siehe Quellenverzeichnis S. 423—434).

V o r allem die systematische Auswertung der »Marching Orders« ermöglichte es H o u l - ding, ein detailgetreues und realistisches Bild des Armeealltages zu rekonstruieren. D e n n

— so die zentrale These des Buches — die Routineaufgaben der Armee, vor allem der Gar- nisondienst und die diversen Polizeifunktionen, machten eine angemessene Ausbildung unmöglich (S. 395). So waren in den Jahren 1 7 1 6 - 3 9 ; 1 7 4 8 - 5 5 ; 1 7 6 3 - 7 5 und 1 7 8 3 - 9 3 mehr als ein Drittel der Infanteristen ständig außerhalb der britischen Inseln. Die Sollstär- ken waren zwischen 1750—95 nur zu etwa 9 0 % erfüllt; 1 6 % der Infanteristen waren Re- kruten. Im Kriege verringerten sich diese Zahlen auf durchschnittlich 8 3 % bei 2 7 % Re- kruten. Für die Kavallerie lagen die Zahlen etwas besser.

Angesichts der Existenz eines Empire und der expansiven T e n d e n z der englischen Politik im 18. J a h r h u n d e r t verwundert eigentlich weniger der von H o u l d i n g beklagte Ausbil- dungsmangel — er ergab sich aus der Fülle und Diversifikation der Aufgaben der T r u p p e n und aus dem Arkanum englischer Innenpolitik: daß nämlich die Effizienz der T r u p p e we- niger wichtig w a r als die Erhaltung einer freiheitlichen O r d n u n g , mit welcher sich eben eine straff und professionell geführte Armee nicht vertrug. Zu diesem Mißtrauen kamen wirtschaftliche Interessen. Unzählige logistische Aufgaben wurden von privaten oder halb- privaten Stellen verwaltet (S. 153).

So gesehen reduziert sich die eigentliche Aussage des Autors zu einer — gemessen an die- sen Gegebenheiten — unrealistischen Kritik an den Verantwortlichen: daß nämlich die bri- tische Armee viel besser hätte sein können und dann auch weniger Verluste hätte erleiden müssen (die Aussichtslosigkeit, den amerikanischen Krieg 1775—83 gewinnen zu können, wird überzeugend dargelegt, verstärkt durch zeitgenössische Urteile hoher Militärs).

D a das Buch mehr als 80 Jahre englischer Heeresgeschichte abdeckt, w a r selbstverständ- lich eine vollständige Auswertung der Quellen zum täglichen Dienst (u. a. die erwähnten W O 5 und 27) ausgeschlossen. H o u l d i n g griff daher auf die bekannte M e t h o d e des

»sampling« zurück; er beschränkte sich auf bestimmte (historisch interessante) Zeitab- schnitte ( 1 7 2 6 - 2 9 ; 1 7 3 7 - 4 3 ; 1 7 5 1 - 5 6 ; 1 7 6 4 - 6 7 ; 1 7 7 2 - 7 6 ; 1 7 8 6 - 9 0 ) .

Das Offizierkorps wird äußerst positiv beurteilt. T r o t z der erwähnten Praxis von »pur- chase« (etwa 2/3 der Offizierposten wurden derart vergeben) seien die allermeisten O f f i - ziere Berufs- und Karrieresoldaten gewesen (S. 106, 115). Nicht zuletzt die in dieser Frage dezidierte H a l t u n g der Hannoverschen Könige, die die Ernennung von Offizieren als un- umstößlichen Teil ihrer Prärogative werteten, habe f ü r Qualität gesorgt (vgl. S. 154 Anm.

5 bzw. S. 152—157). Dennoch scheint mir die Methode, die Güte und Professionalität (für Houlding offensichtlich Synonyme) des Offizierkorps anhand von Statistiken über Dienst- zeiten und Dienstdauer bei Beförderungen »nachzuweisen« (so etwa auch bei den »pro- prietary colonelcies«, S. 115 f.), nicht voll überzeugend, denn solche Daten sagen noch gar nichts über das tatsächliche Verhalten und Können der einzelnen aus. Etwas seltsam mutet auch Houldings verharmlosende Einschätzung des gewaltsamen Pressens von Soldaten an.

Es sei praktiziert worden »to drive others to volunteer for fear of being pressed« (S. 118).

D e n n o c h ist die Schilderung der enormen Rekrutierungsprobleme z u t r e f f e n d ; entspre- chend u n o r t h o d o x und behelfsmäßig waren dann auch die M e t h o d e n , ihrer H e r r zu wer- den, wobei sich die diversen Waffengattungen bzw. Teilstreitkräfte (Miliz, H e e r mit N o r - malregimentern und den Additionais, Marines, Artillerie und Navy) auch noch massiv K o n k u r r e n z machten. Auch dies belegt, daß Effizienz nicht an erster Stelle stand.

Das Buch liest sich anfangs recht zäh, erschließt aber dem, der durchhält, eine Fülle inter- essanter Einblicke. Die zahlreichen Tabellen und Diagramme sind angemessen in den T e x t eingebaut; ein umfangreicher Tabellenteil rundet das Buch ab. Es ist wohl nicht zuviel ge- sagt, d a ß mit Houldings quellengesättigtem Buch ein Standardwerk des Innenlebens der englischen Armee im 18. Jahrhundert vorliegt. D e r Mensch darin ist allerdings — der Sa- 2 0 4 che angemessen, doch betrüblich — nur eine statistische N u m m e r . Hans-Christoph Junge

(15)

Günther Martin: Die bürgerlichen Exzellenzen. Zur Sozialgeschichte der preußi- schen Generalität 1812-1918. Düsseldorf: Droste 1979. 207 S.

»Preußen, so tot wie / jedes Reiterstandbild, / weiß von Taubenkalk. / . . . Kinder lesen / im Märchenbuche deiner Macht«: mit diesem bekannten Krolow-Gedicht beginnt eines der seltsamsten Bücher zur deutschen militärischen Sozialgeschichte. Die preußische Ge- schichte könne man nicht »tot reimen«, ebensowenig wie »die Generale, mit oder ohne Standbild«, meint der Autor. Er wolle aber dennoch »kein Märchenbuch der Macht«

schreiben, wenn man auch nicht leugnen könne, daß die heutigen »General-Direktoren«

(der Autor ist in der chemischen Industrie tätig) »noch mehr, als lediglich dem Namen nach in der Generals-Nachfolge stehen«; schließlich sei auch Werner v. Siemens preußi- scher Offizier gewesen. Man erkenne daran, wie fließend die Grenzen zwischen Ge- schichtswissenschaft, Soziologie, Anthropologie und Vererbungslehre »eigentlich von je- her« gewesen seien (S. 7 ff.).

Wer glaubt, einen faktengesättigten Beitrag über die Zusammenhänge der preußischen

»Power Elite« (Mills) lesen zu können, sieht sich alsbald getäuscht. Dem Autor ist es auch in der mit »Das Jahrhundert« überschriebenen Einleitung (S. 12—21) — übrigens dem ein- zigen Kapitel, in dem übergeordnete Fragen erörtert werden; ein Schlußkapitel fehlt — nur ansatzweise gelungen, einem zusammenhängenden Gedankengang zu folgen. Beab- sichtigt sei eine »preußische Generals-Gruppen-Biographie« für die Jahre 1812—1918, d.h.

»von den Schlachten bei Waterloo bis Verdun etwa«. Waterloo ist als Epoche wichtig, weil, nach einem Stendhal-Zitat — »so erspürt große Kunst auch sozial-geschichtliche Kri- sen« (S. 15) — sich hier das 19. Jahrhundert »als Massenzeitalter angekündigt« habe (S. 14). Der Rezensent gesteht, daß er lieber Goethes Valmy-Äußerung und der bisherigen Ansicht folgt, die der levee en masse als Ausfluß der Französischen Revolution diese Be- deutung zuschreibt. Die Ansicht des Verfassers, der preußische Staat habe erst im 19. Jahr- hundert »seine Eigenart voll ausgebildet«, überrascht ebensosehr wie die Folgerung, erst jetzt sei das typische Bild der preußischen Generalität entstanden. Es wäre sicherlich nütz- lich gewesen, wenn der Autor die Zeit Friedrich Wilhelms I. und seines großen Sohnes nicht ganz übersehen hätte. Der kurze Abschnitt über die Einführung des Marschallstahes in Preußen (1852) als Beleg für die Konsolidierung der preußischen Generalität, der den verdutzten Leser in kühnem Bogen vom paduanischen Condottiere Gattamelata über Wel- lington, Wrangel, Gneisenau, Wilhelm I. bis zu General v. Mossner, dem Sohn eines jüdi- schen Bankiers, führt (S. 12 f.), ist ein Kabinettstück an Verworrenheit, und es ist bezeich- nend für den Zustand des bundesdeutschen Rezensionswesens, daß dieser Tatbestand, der das Buch bis zur letzten Seite prägt, den meisten Rezensenten offensichtlich verborgen blieb. Die Vorliebe des Verfassers für schmissige Schlagwörter kann nur begrenzt einen Pfad durch den Wald von Fakten und Folgerungen aufzeigen; als Überschriften verwen- det, bilden sie eher zusätzliche Schlinggewächse ähnlich dem Buchtitel, der von »bürgerli- chen Exzellenzen« spricht, obwohl eigentlich mehr von Adligen und auch bisweilen von Generalmajoren (denen der Titel »Exzellenz« nicht zustand) die Rede ist. Gemeint war vermutlich die wichtige Gruppe der neugeadelten Generale, aber die begriffliche Un- scharfe ist symptomatisch. Die Kapitelüberschrift »Das martialische Kollegium« (S. 22) meint schlicht die Gesamtheit der angeblich behandelten 2500 Generale; die Gruppe der sozialen Aufsteiger heißt »Die Clans der neuen Leute« (S. 58); im Kapitel »Devivanten [!]

von der Generallinie« (S. 127 ff.) geht es um das Verhältnis der Generale zur Politik; die Uberschrift »Glänzende Taktiker — blinde Strategen« (S. 112) schließlich ist nicht etwa militärisch gemeint — man hätte es ja vermuten können —, sondern hochmetaphorisch (»Strategie« = religiös-ethisches, »Taktik« = Alltagsverhalten!). Dagegen handelt das letzte Kapitel mit dem Titel »Bitterer Zylinder« (S. 179 ff.) in nackter Gegenständlichkeit und ganz ohne Ironie tatsächlich von Verabschiedungen.

Dieses Buch ist freilich kein eigenständig erarbeitetes Werk, sondern lediglich ein Re- make, d. h. eine von Grund auf neu geschriebene, »popularisierte« Fassung der Saarbrük- ker Dissertation des Verfassers, die bereits 1970 als Dissertationsdruck erschienen war1. Anmerkungen, Anhang und sonstiger »Ballast« wurden weggelassen, leider auch die stati- 205 stischen Übersichten und ihre Zuordnungsdefinitionen, so daß man sich die Daten aus

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