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Archiv "Die Väter des klassischen Kaiserschnitts" (17.02.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KULTURMAGAZIN

Die Väter

des klassischen Kaiserschnitts

Henrich Luyken

Um die Mitte des vorigen Jahr- hunderts lebten in Gummers- bach (60 km östlich von Köln) zwei praktische Ärzte, deren Le- ben und Wirken so bemerkens- wert und wohl wert sind, daß man das wenige ihres Nachlas- ses sammelt, um ihr Lebens- werk damit vor dem endgültigen Vergessensein zu retten. Es sind Dr. Ludwig Winckel und Dr.

Heinrich Wiefel.

Nicht nur die Art, wie diese bei- den Männer in einer damals sehr armen und wenig fruchtba- ren Gegend Deutschlands prak- tische Heilkunde ausübten, in einer Zeit, wo sich die Mehrzahl der deutschen Forscher noch in Naturphilosophie und Spekula- tionen verlor und sich damit über ihre Unwissenheit am Krankenbett hinweghalfen, ist bemerkenswert. Diese beiden Ärzte, deren Namen heute kei- ner mehr kennt, haben einen entscheidenden Einfluß auf die Wiederaufnahme und den Aus- bau einer Operationsmethode gehabt, die man ihrer vielen Mißerfolge wegen lange Jahre hindurch fast ganz verlassen hatte. Diese Operation ist der klassische Kaiserschnitt, die Entbindung durch operative Er- öffnung der Bauchhöhle und des Uterus unter Erhaltung des- selben.

Winckel: Für siebentausend Menschen der einzige Arzt Ludwig Winckel wurde geboren am 28. November 1809 in Berle- burg als Sohn des Leibarztes des Fürsten Sayn-Wittgenstein.

Nach dem Studium und einer Dissertation über die Geburts- hilfe praktizierte er an der Seite seines Vaters in Berleburg und machte dort unter Assistenz sei-

nes Vaters am 16. Mai 1840 sei- nen ersten Kaiserschnitt. 1842 siedelte er nach Gummersbach über, wo der einzige Arzt bei ei- ner Typhusepidemie gerade ge- storben war. 26 Jahre lang war er für fast siebentausend Men- schen der einzige Arzt. In bester Kollegialität arbeitete er bei Operationen und gerade beim Kaiserschnitt zusammen mit dem etwa acht Kilometer ent- fernt in Hülsenbusch wohnen- den Wiefel. Im Jahre 1868 be- warb sich Winckel um die Stelle eines Kreisphysikus in Köln-Mül- heim, wo er am Ordenshospital operieren konnte. Aufgrund sei- ner reichen Erfahrungen hat er viele Arbeiten zur Geburtshilfe im Zentralblatt für Gynäkologie veröffentlicht. 1892 ist er an ei- nem Osteosarkom gestorben.

Sein Grabstein wurde vor eini- gen Jahren auf den alten Fried- hof von Gummersbach ge- bracht.

Wiefel: Wundarzt erster Klasse Heinrich Wiefel wurde am 8.

März 1804 in einem Dorf bei Gummersbach als Sohn eines

„Ackermanns und Vieharztes"

geboren. Über seine Ausbildung ist nicht viel überliefert. Er hat in Münster studiert und 1826 dort sein Examen als Wundarzt 1.

Klasse gemacht. 1828 ist er in seine Heimat zurückgekehrt und hat sich als Arzt in Hülsen- busch, etwa acht Kilometer von Gummersbach entfernt, nieder- gelassen. Wiefel war vorwie- gend Chirurg und operierte mit Erfolg Brüche, Klumpfüße und machte sich vor allem einen Na- men als Operateur von Hasen- scharten und Wolfsrachen. Sein Ruf kam bis nach Berlin, wo Langenbeck gesagt haben soll:

„Besser als der alte Wiefel in

Hülsenbusch kann ich es auch nicht." Im Jahre 1835 führte Wiefel seinen ersten Kaiser- schnitt aus mit glücklichem Er- folg für Mutter und Kind.

Seinen beruflichen Fähigkeiten blieb öffentliche Anerkennung und Ehrung nicht versagt. 1868 verliehen ihm die Universitäten zu Rostock und Bonn die „Eh- renwürde als Doktor der Medi- zin", letztere gleichzeitig mit Darwin, Pasteur und Kekulö.

Heinrich Wiefel starb am 16.

September 1883 im 80. Lebens- jahr an einem Schlaganfall. Sein Grabstein ist auf dem alten Friedhof zu Hülsenbusch erhal- ten.

Diese beiden Männer, Landärz- te, haben große Bedeutung für die Entwicklung des Kaiser- schnitts. Sie sind vergessen worden und mit ihnen ihr Werk.

Mit Ausnahme des ersten Kai- serschnittes, den Wiefel selbst ausführte und veröffentlichte, sind alle weiteren von Winckel sehr ausführlich in einem Tage- buch geschildert und zusam- mengefaßt im Zentralblatt für Gynäkologie veröffentlicht. Da- nach haben Winckel und Wiefel zwanzig Kaiserschnittoperatio- nen ausgeführt, davon sechs oh- ne jegliche Betäubung und vier- zehn in Chloroformnarkose. Elf- mal wurde die Mutter gerettet und zehnmal das Kind; sechs- mal genasen Mutter und Kind.

Bei zwei Frauen wurde die Ope- ration zweimal, bei einer Frau dreimal ausgeführt. Die Mortali- tät für die Mutter betrug also 45 Prozent.

Wegen infauster Prognose keine exakte Indikation

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts war die Situation um den Kaiser- schnitt so: Wegen der infausten Prognose gab es keine exakte Indikation für die Operation. Bei absoluter Beckenenge, darin war man sich einig, konnte man den Kaiserschnitt ausführen;

das war aber mehr eine Hypo- 450 (100) Heft 7 vom 17. Februar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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Kaiserschnittoperation. Miniatur aus der bayerischen Handschrift von Jansen Enikel:

„Weltchronik" von 1360. Die Darstellung, die sich im Besitz der Bayerischen Staats- bibliothek, München, befindet, haben wir entnommen aus: Carstensen/Schadewaldt/

Vogt: „Die Chirurgie in der Kunst", Econ-Verlag, Düsseldorf, 1983

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Väter des Kaiserschnitts

these als eine zwingende Not- wendigkeit, weil die Frau auf je- den Fall sterben würde, mit oder ohne Operation. Diese Einstel- lung dem Kaiserschnitt gegen- über herrschte, als Winckel und Wiefel studierten, und auch während des weitaus größten Teils ihres Lebens bis etwa zum Jahre 1878, als der klassische Kaiserschnitt durch die Porro'- sche Operation, die Amputation des Uterus, verdrängt wurde.

Es war nicht leichtsinniger Wa- gemut, der Winckel und Wiefel dazu trieb, diese gefährliche Operation so oft auszuführen, sondern es war ärztliches Pflichtbewußtsein. Die Osteo- malazie, die durch die mangel- hafte Ernährung der Bevölke- rung in ihrer Praxis so häufig war, bedingte die phantastisch- sten Beckenveränderungen und vor allem -verengerungen. So sahen sich die beiden Ärzte im- mer wieder vor die Entschei- dung gestellt, entweder eine Frau unentbunden absolut si- cher sterben zu lassen, oder aber die letzte kleine Möglich- keit, sie dem Tode wieder abzu- ringen, zu versuchen. Diese Möglichkeit war der Kaiser- schnitt. Hochgradige Becken- verengerungen kamen sicher- lich überall vor, wenn auch nicht gerade in solcher Häufigkeit wie im ärmlichen oberbergischen Land. Aber die Mehrzahl der Forscher und Praktiker jener Zeit überließen in solchen Fäl- len meist der Natur den Kampf und standen tatenlos daneben.

Für sie war eben der Kaiser- schnitt keine Möglichkeit, die Frau zu retten.

Winckel und Wiefel nahmen den Kampf auf, und der Erfolg war wahrlich nicht gering. Diese bei- den Landärzte, deren Namen heute keiner mehr kennt, ver- fügten über die größte Statistik selbst ausgeführter Kaiser- schnittoperationen noch bis zum Jahre 1880. Und diese Stati- stik wies nicht nur die meisten Operationen, sondern auch die

besten Erfolge auf: Die mütter- liche Mortalität betrug 45 Pro- zent, wogegen die amtlichen Statistiken in Württemberg, Kur- hessen und Nassau im Jahre 1882 noch eine solche von 85 Prozent aufzeigten, nahezu das Doppelte.

Um diese Erfolge aber richtig zu würdigen, muß man auch die Umstände berücksichtigen, un- ter denen sie errungen wurden.

Die beiden Gummersbacher Ärzte operierten in kleinen Bau- ernhäusern mit dunklen Stuben, die zum Teil noch von ande- ren Hausbewohnern mitbenutzt werden mußten, auf einem Kü- chentisch, bei dem Licht, das durch ein kleines Fenster oder von einer Petroleumlampe her diesen Raum notdürftig erhellte.

Meist waren sie nur zu zweit bei der Operation. Auch holte man sie immer erst sehr spät zur Ge- burt. Es dauerte Tage, bis die Frau und auch die Hebamme endlich von der Unmöglichkeit einer Geburt auf natürlichem Wege überzeugt waren und sich

entschlossen, überhaupt einen Arzt hinzuzurufen, der dann erst nach oft stundenlangem Fuß- weg die Patientin in erschöpf- tem Zustande erreichte. Neun- zehn der aufgeführten Fälle sind noch in der vorantiseptischen Zeit operiert, zum Teil ohne Nar- kose.

Zu Lebzeiten erfolgreich und berühmt — heute vergessen Winckels und Wiefels Erfolge ließen zu ihren Lebzeiten die Wissenschaftler und Ärzte über- all aufhorchen. Wissenschaftler von Ruf besuchten sie in ihrem Wirkungskreis, um sie operieren zu sehen, um von ihnen selbst über ihre Erfahrungen zu hören und zu lernen. Sogar aus Eng- land kamen mehrere Forscher.

Wahrlich eine große Ehrung für zwei Landärzte!

Dr. Ludwig Winckel und Dr. h. c.

Heinrich Wiefel, man hat sie ver- gessen, aber sie sind nun ein- mal nachgewiesenermaßen und Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 7 vom 17. Februar 1984 (103) 451

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W.

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"Eins... ...zwei... drei...

...vier... ...fünf... ...sechs...

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legt $ ;

...sieben... ...acht... ...Gute Nacht!"

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Väter des Kaiserschnitts

auch von ihren Zeitgenossen an- erkannt die Altmeister des klas- sischen Kaiserschnitts.

„Arzt von Stalingrad"

verfaßte Dissertation über Winckel und Wiefel

Der Doktorand, der 1934 an der Universität Köln eine Disserta- tionsarbeit geschrieben hat mit dem Titel „Zwei oberbergische Ärzte und ihre Bedeutung für den Kaiserschnitt", war der Ur- enkel von Ludwig Winckel: Dr.

Ottmar Kohler, der bekannte

„Arzt von Stalingrad". Dieser Dissertationsschrift sind die vor- stehenden Angaben entnom- men worden.

gungen als Arzt seinen Kamera- den beigestanden. Manches Mal wird er dabei an die „primitiven Operationsbedingungen" sei- nes Urgroßvaters Ludwig Win- ckel gedacht haben, wenn er mit selbst gebastelten Instrumenten operierte, ohne Narkose, ohne Desinfektionsmittel.

Die Bundesrepublik Deutsch- land ehrte den Heimgekehrten mit der Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes. Seine Kollegen würdigten seine Ver- dienste auf dem 57. Deutschen Ärztetag 1954 in Hamburg mit

der Verleihung der Paracelsus- medaille der deutschen Ärzte- schaft. Von 1957 bis 1973 war Ottmar Kohler Chefarzt der chir- urgischen Abteilung des Kran- kenhauses in Idar-Oberstein.

Am 27. Juli 1979 ist er gestor- ben. Neben sein Grab auf dem Alten Friedhof zu Gummersbach hat man die Grabplatte seines berühmten Urgroßvaters Ludwig Winckel aufgestellt.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Henrich Luyken Grotenbachstraße 63 5270 Gummersbach 1

Statt Tabletten: Eine Bildgeschichte zum Einschlummern

Dr. Ottmar Kohler — seine Hei- matstadt hat die zum neuen Krankenhaus hinführende Stra- ße nach ihm benannt — wurde am 19. Juni 1908 in Gummers- bach als Sohn des Arztes Dr. Ott- mar Kohler und seine Frau Ge- orgine geb. Winckel geboren.

Der Vater starb, noch ehe der Sohn geboren wurde. Es war nicht leicht für die Mutter, ihrem Sohn das Medizinstudium zu er- möglichen, wenn man an die Zeit des Ersten Weltkrieges und der Inflationsjahre danach denkt. Kohler studierte in Ro- stock, Wien und Köln. Gleich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde er 1939 als Sanitätsoffi- zier eingezogen und kam nach Rußland. Als die 6. Armee schon umzingelt war, ließ sich Kohler, dem Hilferuf nach Ärzten fol- gend, ohne Bedenken mit ei- nem Sonderflugzeug in den Kessel einfliegen. Mit dem Rest der Armee geriet er am 31. Ja-

nuar 1943 in russische Gefan- genschaft, die zehn Jahre dau- ern sollte. In der Neujahrsnacht des Jahres 1954 kam Ottmar Kohler im Durchgangslager Friedland an.

In diesen zehn Jahren hat er in dreizehn verschiedenen Gefan- genenlagern unter den schwie- rigsten Umständen und Bedin-

Über die Gefahren des Medikamentenmißbrauchs erhaben ist die obige Bildge- schichte, deren Betrachtung nach Meinung der Redaktion unzweifelhaft eine ein- schläfernde Wirkung hat. Der Beitrag stammt aus dem „Handbuch zur guten Besse- rung", Harlekin-Geschenke, Wiesbaden

452 (104) Heft 7 vom 17. Februar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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